Sechs und zwanzigstes Kapitel

[275] »Was für mich denn nirgend vorhanden ist, sollen die Andern auch nicht haben!« sprach Laurette, und Satanas lächelte in seiner Hölle, und der freundliche Horizont über den Häuptern der Lieben, mit deren Schicksal wir uns beschäftigen, schien sich schon ob dem unglückschwangern Vorsatz zu schwärzen.

Laurette hielt Wort. Überall zurückgewiesen, wo sie unterzukommen suchte, im Gefühl ihrer Verächtlichkeit, warf sie, wo sie nur Brennstoff ahnete, die Funken des Argwohns und der Zwietracht, die in ihrem Busen einen Heerd hatten, bedächtig hinein, und bließ und schürte, bis alles in lichten Flammen stand.

Im ganzen Kreise nannte man die Familie Lindenhain und Ulmenhorst die Glücklichen[275] oder auch die Guten, und jedem schien's Gewinn, in ihre Mitte eingelassen zu werden. Lange hießen sie noch so für jeden nicht Vertrauten, als längst schon die Stützen jedes häuslichen Glücks, Liebe und Zutrauen, zu wanken anfingen. Schmerzvoll ist die Erwähnung einer wiederholt bestätigten Erfahrung, daß es unter dem Monde nichts Beständiges giebt.

Als der Krieg Albertinen von ihrem Gatten schied, hatte sie, wie wir schon wissen, nur das rosenfarbene schöne erste Jahr der Ehe mit ihm durchlebt. Beide hatten sich nur im schönsten Lichte, im lachendsten Kolorit gesehen, dessen Interesse durch die schwankende Aussicht einer bevorstehenden Trennung durch den Krieg immer neu belebt wurde. Sie kannten im Grunde einander sehr wenig, und nur in dem Lichte, worin Liebende sich sehen, das heißt: im allerromantischsten. Lindenhain hatte in dem Hause gewohnt, worin Albertine mit ihrer kränklichen Mutter, der Frau von Rehthal, Dämmrigs jüngster Schwester,[276] sehr eingezogen lebte. Kaum, daß sie den Aufenthalt des schönen Jünglings, den sie nur im Vorbeigehen durch die Jalousien gesehen hatte, in ihrer Nähe ahnte. Er hingegen hatte die umgebende Gegend genau rekognoscirt, und nicht sobald erfahren, daß eine leibhafte Liebesgöttin hier neben dem trübseligen Memento mori einer kranken Mutter throne, so ließ er sich bei den Damen melden.

Er wurde sehr goutirt; und um irgend ein Band anzuknüpfen, schlug der junge Officier einen Kommerztractat vor, der eine Auswechselung geistiger Waare betraf, da beide Theile Besitzer guter Bibliotheken waren, und überdem Lindenhain alles Neuste, woran die Damen ziemlich arm waren, herbeizuschaffen versprach. Der junge Nachbar frachtete, in Ermangelung der Domestiken, sein Waarenschifflein immer selbst in den Hafen und genoß seines Lohnes in dem schönen Erröthen der süßen Albertine, die dem schönen Büchermann die Zufuhr immer selbst abnahm.[277]

Um diese Zeit nahm eben Albertine Stunden in der Zeichen- und Malerkunst bei ihrer Henriette. Da traf es sich immer ganz besonders, daß Lindenhain eben aus irgend einem Kollegium kam, wenn Albertinens Stunde aus war; und da sie in einem Hause wohnten, so war nichts natürlicher, als daß sie des Weges zusammen gingen. Albertine sagte das unverholen ihrer Mutter, und die Mutter, die keine Prüde war, lächelte und sagte: »Der Lindenhain wäre mir schon eben recht; daß er auch ein Officier ist!« – »Und warum keinen Officier, Mutter? Giebt es, außer diesem, einen Stand, in welchem der natürliche Karakter und eine bestimmte Denkungsart am meisten beibehalten werden kann? Kann der Soldat nicht so frei, so gerade, so kühn verbleiben, als die Natur den Mann gemacht hat?«

»Wo haben Sie diese Philosophie her, mein Fräulein?« sagte die freundliche Mutter. »Hast du so ernstlich über den Nachbar nachgedacht? Ich leugne dir nicht, daß[278] der Stand in meinen Augen große Vorzüge hat; aber sieh nur, wie viel Wittwen macht nicht der böse Krieg! Wie viel Wittwen von lebenden Männern! Denn das, was du sagest, giebt dem ›Ein anderes Städtchen, ein anderes Mädchen‹ seine volle Kraft.« – »Ach, Mutterchen, der Nachbar vereint in sich die Vorzüge seines Standes mit der Kultur der friedlicheren Klasse.« – »Nun, Albertine, wenn er käme, es wäre mir nicht zuwider; aber ein Unglück, daß diese edle Klasse nur erst Brod bekommt, wenn sie es nicht mehr beißen kann!« – Albertine sagte lustig: »Mag's!« und hüpfte, froh, so viel schon bei der Mutter gewonnen zu haben, an ihre Arbeit.

Und es geschah, wie sie gewünscht hatten. Nach einem kurzen Urlaub, wo Lindenhain die Erbschaft seines Vaters übernommen hatte, erschien er mit einer offnen, ungekünstelten Bewerbung um die schöne Nachbarin, und erhielt, ohne Ziererei und Bitte um Bedenkzeit, ein herzliches Ja!

Die verwelkliche Rosenkette umschlang[279] Beide; sie taumelten in ihrem süßen Duft dahin. Die gute Mutter starb bald nachher, und ihr ansehnliches Vermögen, das, wie wir wissen, leider! bei ihrem Bruder stand, machte Albertinen auch von dieser Seite zu einer sehr guten Parthie.

Nach einem im seligsten Genusse verlebten Jahre, bekam das Regiment Ordre zum Aufbruch. Das junge Paar war untröstlich. Albertine zog, wie wir wissen, zu ihrem Bruder und ihr Gatte in den Krieg, der, wir können es nicht leugnen, bei weitem mehr sein Element war, als die Mirthenlauben von Paphos. Als seine Albertine, wie es ihm schien, in Sicherheit war, zog er mit hoch aufklopfendem Herzen und den hell lodernden Flammen der Kriegslust, seinen Fahnen nach.[280]

Quelle:
Friederike Helene Unger: Albert und Albertine, Berlin 1804, S. 275-281.
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