Zwei und dreißigstes Kapitel

[312] Der Tag sollte im stillen Kreise der Freundschaft zugebracht werden. Henriette und Adelaide feierten ihn durch Gesang, den die eine gedichtet, die andere componirt hatte. Albertine setzte sich an's Fortepiano und überraschte alle durch einen Gesang, der aller Herzen in Thränen auflöste. Er war Todtenfeier und Brautweihe, im rührendsten Verein. Sie hatte ihn in der Stille der Nacht vor ihrem Vermählungstage gedichtet, und ihr glückliches Talent hatte schnell die rechten Töne dazu gefunden.[312]

Der Tag sollte aber noch in mehrerer Rücksicht mit Ereignissen bezeichnet werden. Die stille Feier wurde durch die Ankunft zweier Fremden unterbrochen, die sich als der Baron und die Baronin Rothensee melden ließen. Sie sollten nicht angenommen werden, waren aber schon in Vorsaal eingetreten. Albert ging ihnen entgegen, und führte bald, zum Schrecken aller, wen anders, als die Frau Rosamund und den Baron Weißensee herein. –

Mit edler Unverschämtheit näherte sie sich ihrem beleidigten alten Freunde, der kein Wort zu sagen wußte und das Haupt tief auf die Brust herabsenkte, als sei er der Beleidiger. »Sie haben es mir wahrscheinlich gedankt, daß ich Sie von einer lästigen Hausgenossin befreite. Mein Gemahl, der Baron, ist im Stande, Ihnen jeden, mir zu Gunsten gemachten Aufwand zu ersetzen. Aber – ich sehe Sie alle versammelt; nur Ihre Albertine fehlt!« – »Hier, hier!« sagte Dämmrig, aus seiner Verlegenheit hervortretend und Albertinen[313] bei der Hand fassend. »Gott im Himmel!« Rosamund wäre beinah einmal im Ernste ohnmächtig geworden; sie drückte die Arme heiß weinend an ihr Herz. Albertine erkannte des Barons Stimme, faßte seine beinahe vor Schrecken erstarrte Hand und sagte sanft: »Sehen Sie mich doch jetzt recht an, Herr Baron! Dies einzige sei meine Rache!« – Der Baron trat erbleichend zurück und schob fast mechanisch den Hut vor die Augen. Albert war zu glücklich, um einen verjährten Streit aufzufrischen, und zu gastfrei, jemand unter seinem Dache zu beleidigen; um so weniger, da die Fremden sagten, sie gingen in einer Stunde weiter, und Petersburg sei das Ziel ihrer Reise, wo sie sich mit ihrem Vermögen niederzulassen gedächten. Die Wahrheit war, daß sich das Hochfreiherrliche Paar auf der dortigen Bühne engagirt hatte.

»Mademoiselle sind noch unversagt?« fragte Rosamunde, sich an Lauretten wendend. Ergrimmt erwiederte diese, zu Aller[314] Erstaunen: »Es ist heute mein Verlobungstag, und hier ist mein Verlobter!« indem sie den Herrn Pastor Ehrich, der die Trauung verrichtet hatte, bis mitten in's Zimmer zog. Der zögernde, hocherröthende Mann stammelte unvernehmlich ein Kompliment an seinen Gutsherrn, das eine Bewerbung um die Cousine vorstellen sollte, der aber der Braut in dieser desperaten Situation kräftig nachhalf. – Die Hand der Dame wurde dem nothgedrungenen Bräutigam unverweigerlich zugestanden, und der Onkel, dem die gute Laune zurückgekommen war, sang in seinem gewöhnlichen heisern Falsett:


»So werd' ich armer Erdenkloß

Mit Ehren meine Nichte los!«


Laurette nahm die Glückwünsche an; der Bräutigam, der nicht wußte, wie ihm geschehen war, erwiederte sie mit stillen Bücklingen und niedergeschlagenem Auge, und wenn ein Laut aus seinem Munde kam, war er so weinerlich, daß jeder, der die[315] Dame kannte, sich den Zusammenhang der Sache lebhaft dachte.

Damit wir nicht nöthig haben, die schon zu häufig vorkommende Laurette wieder einzuführen, sei sie hiermit abgefertigt. Sie freiete und ließ sich freien; war ihrem Manne, der ihre Keckheit ganz treuherzig für Verstand hielt, eine wahre Megäre; ihren Stieftöchtern – denn der Mann war Wittwer – alles, was Wahrheit und Dichtung je von Stiefmüttern gesagt hat, und ihrem Gesinde ein Schrecken. Die Geburt eines Kindes kostete ihr das Leben. Sie starb unbedauert und über ihre Gruft weht der Wind in Nesseln und Dornen, die keine Freundeshand davon hinwegpflückt. –[316]

Quelle:
Friederike Helene Unger: Albert und Albertine, Berlin 1804, S. 312-317.
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