Viertes Kapitel

[39] Der Neugier aller, die an Frau Rosamunds Theetisch zu radotiren pflegten, in Ansehung der kleinen Dorf Cousine auf einmal zu gnügen, waren sie zu einer ausserordentlichen Session eingeladen worden, bei welcher Herrn und Damen in ihrem besten geistigen und leiblichen Putz erschienen. In ihrer Einfachheit geschmückter als sie alle, die After-Griechinnen, trat Albertine mit dem Anstand einer Grazie aus dem Zeitalter des Praxiteles in ihren Kreis ein.

Bescheiden erröthend nahm sie ihren Platz unter dieser drolligen ästhetischen Genossenschaft, durch deren hochtönendes Wortgeklingel bei dem ersten Anklange dieses vielbesaiteten verstimmten Instruments, sie[39] sich sogleich auf immer zurück gestoßen fühlte

Herrn und Damen ließen es sich angelegen seyn, Albertinens Sinn für's Große und Schöne durch allerlei verfängliche Fragen und naseweise Zudringlichkeiten zu mustern und zu prüfen. Nebenher ließen sich Herrn und Frauen, jedes in seinem Sinne, auch ganz menschlicher Weise herab, ihre körperliche Bildung, sammt Kleidung emsig, nach gemeiner Weiber Weise, zu mustern. Aber zu ihrem Leidwesen entdeckten sie, besonders an ersterer, durchaus keinen Fehl an ihr.

Tante Elise, die jetzt eben fünf und vierzig Sommer sahe, schloß sich freundlich an das junge Mümchen, fragte um ihre Herzensangelegenheiten, sprach viel von ihrem eigenen Herzen, das zu ihrem eigenen Unglück zu weich und hingebend sei; sie werde nie in der Liebe glücklich seyn. Sie wimmerte, daß der Wurm der Zeit die Lust der Seele stäche; es sei ein Elend, daß die Freude das Menschenherz so mit Schmerz[40] bestreuen könne. Wenn sie so im Ton der Zeit sprach, sah Albertine die Tante mit großen Augen an; besser verstand sie es, wenn die gute Verbildete, mit dem jungen Gemüthe, ihr eignes Jugendleben noch einmal durchempfinden wollte, und ihr aus ihrer Werther-Periode das Schnupftuch zeigte, das, noch ungewaschen, welke Rosen einhüllend, da lag, worein sie Werthers und Lottens Leiden so heiße Thränen geweint hatte. Auch war sie so glücklich, unter ihren heiligsten Besitzthümern einen Zahnstocher aufzubewahren, welchen der Dichter bei einer Gasterei auf der Tafel hatte liegen lassen und den sie mit schwerem Gelde von einem Marquer erstanden hatte. Die gute Elise sprach den Namen Göthe stets mit heiligem Schauer, wie den, einer ersten Liebe, aus. Dies war beinahe der einzige Berührungspunct zwischen ihr und ihrer Nichte, die den großen Dichter innig kannte und verehrte, obschon sie eine sehr verschiedene Ansicht damit verband.

Laurette, die dem Onkel Dämmrig als[41] ein Vermächtniß eines im Handel verunglückten Bruders zugefallen war, fuhr über alles, insbesondere aber über diese Grillen ihrer Tante, die ihrer rauhen Natur gar nicht eingingen, mit der Schneide ihrer bittersten Kritik her. Albertine fand sie ihrer Bemerkung, wie sie sagte, ganz unwerth; indeß ergrimmte sie doch ganz unphilosophisch im Geiste, als ihr Verehrer Wassermann, dem sie auch das Leben gallenbitter machte, Albertine eine ganz artige kleine Erscheinung hieß.

Onkel Dämmrig, das Oberhaupt dieser curiosen Sippschaft, amüsirte sich vortrefflich mit dem verschrobenen Zeuge, wie er diese allerneuste Cultur zu nennen pflegte. Er selbst war auf der Stufe der Bildung, die er in seinen jüngern Jahren erreicht hatte, stehen geblieben, und hielt steif und fest sowohl an dem wirklich Schönen jener Periode, an dem jungen Tage, der zu der Zeit über Deutschland aufgegangen war, als auch an der unglücklichen Mischung deutscher Kunst und gallischen Witzes. Wenn[42] er darüber sprach, sagte er oft, zum großen Skandal seiner Gesellschaft, den Anfang eines alten Kirchenlieds: »Der Tag der ist vergangen, die Nacht ist vor der Thür. Die Sonne ist untergegangen in den Wasserfluthen der neuern Poesie. Kinder! jenes erste war der ächte Wein, dieses ist der Coffent.« »Das verstehen Sie nicht, mon cher,« sagte dann Frau Rosamund, »Sie sollten sich doch endlich resigniren, daß es Dinge giebt, welche Sie nicht begreifen;« und so ließ er sich gewöhnlich bedeuten und lenkte wieder ein.

Onkel Dämmrig war im Ganzen kein schlimmer Mann, und bei weitem besser, als er scheinen wollte; denn es kam ihm vornehm und über alle Maßen galant vor, so, als die wahre verknöcherte Sinnlichkeit, zum Beispiel für andere dazustehen Er war ein Reichgeborener. Als ein solcher hatte er seine Kindheit und Jugend verlebt; als ein solcher war er auf Reisen gegangen, Empfehlungsschreiben nach London, Paris und Wien benutzend; als ein solcher hatte er[43] sich endlich in seiner Vaterstadt niedergelassen, einen Theil seiner besten Jahre durchgeschwärmt, bis ihn die Welt frühe auf ihre große Invalidenliste eintrug.

Jetzt glaubte er eine gewisse Höhe des Lebens erreicht zu haben, von welcher er, erfahrungsreich, mit großer Beruhigung in die verlebten Jahre zurücksehen könnte, denn er hatte ja wirklich nicht alles das Böse gethan, wozu ihn sein Reichthum und großer Wirkungskreis aufzufodern geschienen hatte. Nie hatte er den goldenen Regen bei den Danaen gespart, und waren durch seine Sorglosigkeit die lebendigen Folgen seiner Unordnungen, der Dürftigkeit und Schande Preis gegeben; so gab er ja doch auch viele Thaler an die öffentlichen Armenanstalten, wovon auch sie ihre Spende erhalten konnten; überdem beschenkte er ja seiner Schwester und Brüder Kinder mit allerlei entbehrlichen Kleinigkeiten.

Als ihn die Welt nun allmählig verließ, und die Tage eintraten, von welchen es heiß: »sie gefallen uns nicht!« als Gicht[44] und Podagra den raschen Lauf seiner Füße hemmten, wurde es ihm erinnerlich, daß er in seiner Jugend die Religion als ein Spezifikum in Leiden hatte anpreisen hören; er machte also einige schwache Versuche, sie aus der Rüstkammer seines Gedächtnisses hervorzusuchen. Er nahm eine Bibel zur Hand, freute sich, daß der fromme David beinahe eben so tolle Streiche gemacht hatte, als er selbst; las von der keuschen Susanna und der schönen Königin Esther, und vertiefte sich endlich so in das hohe Lied, daß er sich gar weltlich dabei gesinnt fühlte, und vor der Hand das Bekehrungswerk noch einmal wieder zur Seite legte.

Waren dergleichen Anfälle überstanden, so existirte der 48jährige Greis ganz heiter, in der Erinnerung abgeschiedener Freuden. Besonders hatte er sein eignes Vergnügen, wenn Wassermann den Damen seines Hauses über die Hetären der Griechen demonstrirte, und was das für ein herrliches Leben gewesen sei, als noch nicht die kleinlichen Gesetze eines kleinlichen Anstandes[45] eingeführt waren, die, leider Gottes! auch bei den gebildetsten Frauen nur noch zu viel gälten. Da erinnerte sich dann unser Dämmrig recht lebendig an Phillis und Doris, und Lalage und Chloe, die er in seinem goldnen Frühling recht elegisch bewundert hatte; seine alten Frequenzen machten ihm jetzt noch recht herzliche Freude.

Stärker, als alles andere, mahnte ihn an seine Jugendsünden Madame Rosamund Wintergrün. In einer seiner bußfertigen Perioden hatte sich ihm die Vorstellung häuslicher Freuden und weiblicher Umgebung aufgedrungen Heirathen? Alles, nur das nicht; eine so kalte, langweilige Episode in sein Freudenleben schieben: nein; das ging nicht! Aber eine Herzensfreundin, die es mit der Ehre und dem ganzen weiblichen Plunder von gutem Namen und Wohlstand nicht gar zu genau nimmt, so eine besaß er schon in Rosamund, einer der gewandtesten und leichtfüßigsten Schülerinnen Terpsychorens bei der großen Oper. Auch sie hatte so reinen Moment[46] der Zerknirschung zu überstehen, indem eine ihrer bedeutendsten Freundschaften in der Auflösung war. Zwar verachtete sie, die in Absicht des Ranges sehr verwöhnt war, von ganzem Herzen den bürgerlichen Amanten; doch waren ihre Aussichten in diesen Herbsttagen ihres Lebens zu trübe, als daß sie nicht ein freudiges Ja! gesagt hätte, als er das Anerbieten that, sie zur unumschränkten Besitzerin seines üppigsten Wohlstandes zu machen. Weil sie es aber Ehren halber für ihren guten Namen bedenklich fand, bei ihm zu wohnen, entschloß er sich, ihr seine Schwestern Elise und Laurette als Ehrenretterinnen zur Seite leben zu lassen.

Rosamund war des Herrschens über eine Schaar demüthiger Verehrer allzu gewohnt, als daß sie nicht sogleich versucht haben sollte, sich ihrer weiblichen Umgebung ganz zu bemächtigen. Mit Elisen, diesem süßen, geschmeidigen Wesen, gelang es ihr sehr leicht; schwerer machte Laurette ihr den Sieg. Doch erlag auch diese endlich dem feinen Gifte der Schmeichelei und dem steten[47] Lobpreisen ihrer erhabenen Geistesqualitäten, so daß endlich dieses Kleeblatt so ungleichartiger Naturen, gleichsam in einander verwuchs und ein seltsames Ganzes darstellte, das mit vereintem Treiben, jedoch jedes sein besonderes Interesse der Eitelkeit durchsetzte.

Das Wohlleben und die Eleganz, worin sie einen guten Geschmack zu legen verstanden, zog bald ein leichtes Völkchen um sie zusammen, das so eben gut genug war, sie zu amüsiren, und auch wieder nicht gut genug, sich an dem etwas schwankenden Rufe seiner Gönnerinnen zu stoßen; wie es denn überhaupt zum Amüsements-System der schönen Welt gehört in Absicht der Sittlichkeit alles fünf gerade seyn zu lassen. Die trefflichsten Weiber werden dann nur erst bemerkt und vorgezogen, wenn sie einen notablen dummen Streich gemacht haben.

Diese Cotterie wurde bald ein Cirkel, und zwar anmaßlich ein ästhetischer, weil einige junge, Schöngeisterei treibende Herren[48] hier ihre Schwungkraft übten, ehe sie sich in höhere Regionen wagten.

Wir haben unsre junge Freundin in diesen Kreis eingeführt gesehen, und müssen sie uns nun betroffen und mit gesenktem Blicke da sitzend denken. Ihr reines, ihr frommes Herz, ihr wahrhaft jungfräulicher Sinn, dem hier nichts zusagte, fand gleich bei ihrem Eintritte nur zu viel Anlaß, den raschen, kecken Schritt zu bereuen, den sie gethan hatte Von allen Seiten wurde sie mit Fragen bestürmt, für welche sie keine Antworten hatte; oder sie zu geben, zu bescheiden war. Tante Elise, die überall dem Drange ihrer Göthe's-Existenz nicht widerstehen konnte, fragte ganz zart und liebend, ob die liebe Nieçe diesen Gott unter den Dichtern wohl kenne? »Sie sind seltsam, Tante!« rief Laurette dazwischen, »Ansprüche der Art an unsere Verwandtin zu machen; sie hat auf ihrem Dorfe wohl schwerlich andere Poesie, als aus dem Gesangbuche der lieben Gemeine kennen gelernt. – Diese Menschen –[49] ach Gott! sie dauern mich! – sie müssen sich an die trivialsten Trivialitäten halten! Diese rohen Naturkinder! und was giebt's gemeineres, als die rohe Natur, mit der sie sich ganz umgeben, um in ihrer Plattheit unterzugehen. Manches ließe man in der Natur freilich so hingehen, in so fern nemlich ihre Kenntniß die Grundlage höherer Geisteskultur wird; aber gestehen Sie, Tante! giebt es zum Beispiel etwas Gemeineres, als dieses ewig einförmige Zirkeltreiben der Jahreszeiten! Was ist in diesen gemeiner, als der Winter? Wo ist ein krasserer Begriff, als ein Gewitter? – Sieht man nicht hier schon offenbar, daß die Welt nur ein erster Versuch von einem Etwas ist, das es nicht besser zu machen verstand?«

»Ganz anders wäre sie gerathen, hätten wir sie zusammengeknetet!« rief ein junger Herr, Lauretten persiflirend. – »Freilich!« entgegnete sie ganz feierlich; »denn es ist weder Philosophie, noch Geschmack in dem Dinge.«[50]

»Gott sei mir gnädig!« seufzte Albertine; »Sie rezensiren den Schöpfer!« – Indeß wurde sie bald durch Rosamunden in ihren stillen Betrachtungen gestört, die zu viel Lebensart hatte, um in Gesellschaft zu beleidigen; daher nahm sie den Faden des Gesprächs wieder auf, und fragte Albertinen sehr freundlich, ob sie wohl etwas von dem Dichter, von welchem eben die Rede gewesen sei, gelesen habe? – »Ich weiß nicht, ob ich sagen darf, alles; aber sehr viel las ich von ihm, ehe ich zu meinem Bruder auf's Land ging. Meine liebe Cousine scheint nicht zu wissen, daß ich nur den kleinsten Theil meines Lebens auf dem Dorfe lebte, und daß auch da mein Bruder und viele der Nachbarn schätzbare Bibliotheken besitzen, aus welchen zu schöpfen, mir erlaubt war.«

»Liebes Kind! das Lesen allein thut's nicht!« sagte hier Laurette boshaft. »Verstandest du auch, was du lasest? möchte ich hier, wie Paulus den Kämmerer, fragen.«

Wassermann schlug eine helle Lacht auf[51] und rief: »O pfui! pfui! wie kann Jemand, der Anspruch auf Geschmack macht, aus der Bibel citiren! Pfui, Mademoiselle, wie können Sie uns das thun?« –

»Persiflirend ist's erlaubt,« entgegnete Laurette. – »Ach Gott! ach Gott!« seufzte Albertine. Ihr liebes Herz erlag in Wehmuth.

Tante Elise fühlte fein genug, sich in Albertinens Verlegenheit versetzen zu können. Sie machte sich also an sie, und indem sie das arme Kind vom allgemeinen Gespräch abzog, drang sie in sie, sich zu erklären, welches von Göthe's göttlichen Erzeugnissen sie vorziehe, in welcher seiner herrlichen Schöpfungen sie sich ganz heimisch fühle. – Aus Albertinens Antworten fand sich's bald, daß sie mehr als einheimisch in diesen Schöpfungen war, daß ihr Sinn sie mit Geschmack und Geist durchdringe, ob sie gleich den großen und liebenswürdigen Dichter nie zum Aushängeschilde ihrer Kultur mißbrauchte.[52]

Quelle:
Friederike Helene Unger: Albert und Albertine, Berlin 1804, S. 39-53.
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