Fünftes Kapitel

[53] Albertinens leichter Sinn und trefliches Herz ließen freilich ihre Mißbilligung nie in Bitterkeit übergehen. War aber die Verstimmung zu unleidlich, so flüchtete sie zu ihrer Freundin Euler. Neben so vielen verzerrten Physiognomien wird es uns wohl thun, die Bekanntschaft dieser angenehmen Frau zu machen.

Henriette war die einzige Tochter einer angesehenen bürgerlichen Familie. Mit ihres Vaters Tode sank sie von ihrem Wohlstande, der sich nur auf ein hohes Gehalt gegründet hatte, so merklich herab, und der ganze Mückenschwarm der Tischfreunde, die der Sonnenschein des Glücks herbeigezogen hatte, verschwand plötzlich Henriettens Mutter überlebte ihren Unfall nicht lange, und die liebenswürdige Waise wurde zu einer alten, abgelebten Verwandtin gegeben, die sich um ihre Pflegebefohlne gar nicht bekümmerte, wenn diese sich ihre elende[53] Kost durch den angestrengtesten Fleiß wohl verdient hatte.

Zur Zeit des Wohlstandes war die im elterlichen Hause schön aufblühende Henriette der Gegenstand mancher flüchtigen Verehrung gewesen. Wenn diese Schmetterlinge aber inne wurden, daß sich ihnen die keusch geschlossene Blüthe nicht üppig hinneigte, so flatterten sie von dannen; denn nie wird eine sittsame Schönheit, welche die laute Bemerkung vermeidet, zur unglücklichen Ehre, die Schönheit des Tages zu werden, gelangen. Sie hatte aber zu wenig Vermögen, als daß ihr heller, gebildeter Verstand und ihre erworbenen Talente ihr einen beständigen Verehrer hätten gewinnen können.

Indem dieses nicht geschah, wurden Henriettens heißeste Wünsche erfüllt. Sie hatte die Liebe ihres schönen Herzens einem Jünglinge zugewendet, der in der That auch so, wie wir ihn gekannt haben, ihre innigste Zuneigung zu verdienen schien. Seine Armuth hatte ihn zu einer Schreiberstelle[54] bei Henriettens Vater herabgewürdigt. Man sagt, körperliche Vorzüge pflegten junge Männer eben so eitel zu machen, wie junge Mädchen. Wenigstens war dies der Fall mit unserm Karl Euler, der seiner Schönheit mit aller Sorgsamkeit einer vollendeten Kokette pflegte. Diese Frivolität entging Henrietten um so mehr, da sie Karln nur immer in dem Verhältnisse eines Untergeordneten sahe, da denn das Mitleiden dieser schönen Seele den Weg zur Liebe bahnte.

Nicht so entging Henriette dem gefährlichen Spiele seiner brennenden, schwarzen Augen, worin er vor seinem Spiegel ein Meister geworden war. Henriette beging den für ihr ganzes Leben entscheidenden Fehler, dieser unwürdigen Koketterie des Jünglings nicht jene kalte Würde entgegen zu setzen, womit sie so glücklich alle Geckerei aus ihrer Nähe verscheucht hatte. Der arme junge Mensch könnte es für Verachtung halten, dachte sie. Aber kein anderer war's, als der Bube Amor, der ihr diese[55] kleine Heuchelei eingab. – Karl spürte jedem Schlage ihres Herzens, jedem ihrer unterdrückten Seufzer nach; und wenn er seine unwiderstehlichen Reize mit in Anschlag brachte, schien ihm Widerstand selbst bei einer Henriette unmöglich. Leider hatte er nur zu richtig geschlossen! Henriette gestand nach einigem jungfräulichen Weigern, daß sie ihn allen Männern vorziehe, und verhieß, was auch sein oder ihr Loos seyn möge, die Seinige zu werden.

Als nach ihrer Eltern Tode sie, so zu sagen, sich selbst überlassen war, würde sie gern den feierlichen Bund geschlossen haben; denn obschon Karl nur vom Abschreiben lebte, wandte sie doch jetzt ihr Talent, die Malerei, zum Broderwerb an; und da sie durch den Meister, dem sie seine Kunst ablernte, viel Bestellungen nach Rußland und Polen hatte und in der Landschafts- und Blumen Malerei immer bedeutendere Fortschritte machte, so glaubte sie einen genügsamen Haushalt versorgen zu können.

So rechnete die 18jährige Henriette.[56] Der 22jährige Karl hingegen so: »Henriette ist die Gutmüthigkeit selbst; sie wird sich nicht weigern, das, was sie zu einer Haushaltung zureichend hält, zu anderm Endzwecke herzugeben. Ich will, ehe ich eine so ernsthafte Verbindung eingehe, meiner Jugend genießen.« Und so genoß der unwürdige Jüngling, und verschwendete auf eine Weise, worüber sein guter Engel weinte, das mühsam erworbene Geld der Geliebten, die es als nöthigen Aufwand bei Bewerbung um irgend eine Stelle angewendet, glaubte, indeß er sie unter dem Vorwande hinhielt, keine Stelle sei ihrer werth.

Es verging ein Jahr nach dem andern unter diesen schwankenden Aussichten auf künftige Versorgung für Henrietten; und immer noch verlor sie den Glauben an Karln nicht so bedeutende Winke sie von vielen Seiten her erhielt. Daß er, ihrer Hand auszuweichen, nicht versorgt seyn wollte, fiel der treusten Seele auf Gottes Erde nicht ein. Und hatte sie irgend eine bekümmernde[57] Nachricht über sein geheimes Verhalten gehört, so glaubte ihr zartes Gemüth ihm für den momentanen Eindruck, den es auf sie gemacht hatte, Ersatz schuldig zu seyn; sie entzog sich irgend ein nothwendiges Bedürfraß (denn andere befriedigte sie nicht), ihm eine Freude durch irgend ein kleines Geschenk zu machen, welches er gewöhnlich kalt annahm und oft noch an demselben Abend, irgend einer Unwürdigen einen freundlichen Blick abzugewinnen, zum Opfer darbrachte.

Karl hatte von Henriettens Fleiß so geschwelgt und seiner Jugend so reichlich genossen, daß er endlich auf die Hefen gekommen war. Er erkrankte und fühlte jetzt mit Schrecken, daß er einer treuen Pflege bedürfe, die er nicht verdiente. Henriette weigerte sich keinen Augenblick ihm zu gewähren, was sie für ihre heiligste Pflicht hielt. Sie betrat die Schwelle des Krankenzimmers mit dem Geistlichen zugleich, der ihre Hand in die brennende Hand des Schwindsüchtig-Kranken legte, und sie für[58] die wenigen Tage seines Lebens mit ihm verband.

Wenige Tage vor seinem Hinscheiden beging er die, wie er es dafür hielt, pflichtmäßige Grausamkeit an der Armen, ihr ein vollständiges Bekenntniß aller seiner Treulosigkeiten gegen sie abzulegen. Sie gab die Zusage ihrer herzlichen Verzeihung unter Strömen von Thränen. Nach einigen Tagen starb er, und ihr Gram war gemäßigter, als er vielleicht ohne dies unglückliche Bekenntniß gewesen seyn würde.

Aber jetzt erst wurde die unerträglichste Bürde des Kummers über ihr Herz hingewälzt. Zu ehrlich, um irgend Einem Unrecht zu thun, übernahm sie das Schuldenregister des Verstorbenen mit Aufopferung ihrer ganzen Haabe zu tilgen. Bei diesem Anlasse sahe sie Briefschaften und Rechnungen durch, die ihr ein schreckliches Licht über die Verirrungen des Verstorbenen gaben. Sie war das Spiel des Mannes gewesen, dem sie so viel hingegeben hatte, und nie hatte er es erfahren, daß sie zwei sehr annehmliche[59] Parthien, nach ihrer Eltern Tode, seinetwegen ausgeschlagen hatte. Aber ihr wahrhaft religiöser Sinn entbrannte nicht über die Vergehen des Einzelnen; doch härmte sie sich über die allgemeine Gebrechlichkeit, der sogar eine Natur, wie die ihres Karls, unterliegen mußte.

Allem zu genügen und allen Recht widerfahren zu lassen, arbeitete sie jetzt strenger, als je. Ihre Arbeiten erhielten durch ihre individuelle Lage einen sehr anziehenden Karakter, der die zarteren Saiten menschlichen Gefühls höchst lieblich berührte. Um diese Zeit wurde Albertine ihre Schülerin und ihre Freundin. Der Unterschied der Jahre hinderte nicht den Einklang dieser gleichartigen Naturen. Die ältere Freundin bewunderte neidlos die sich schön entfaltenden Geistesblüthen der jüngern: und die jüngere erndtete freudig die reiferen Geistesfrüchte der ältern ein.

Dies war das Herz, zu dem Albertine sich flüchtete, wenn das Mißfallen an ihrer Umgebung ihrem Frohsinn gefährlich zu[60] werden drohete. »Ach, Henriette!« seufzte dann Albertine. »Diese Menschen sind erbärmlich verschroben!« fiel ihr Madame Euler in's Wort; »und halten sich obenein für eminente Naturen, die uns armen Menschen Pöbel unbegreiflich sind. – Aber – wir wollen sie schon begreifen, und dann sollen sie uns eine lustige Stunde machen!«

Quelle:
Friederike Helene Unger: Albert und Albertine, Berlin 1804, S. 53-61.
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