Achtes Kapitel

[131] Jetzt, da Albertine wieder außer Gefahr war und kleine Gesellschaften in ihrem eignen Zimmer anzunehmen anfing, wagte auch Albert einst um Zulassung bei denselben zu bitten. Albertine gewährte es ihm mit sichtbarer Bewegung; und als er erschien, brach ihr Schmerz zum Erstenmale in einen Strom von Thränen aus. Denn bis dahin hatte sie, zum Schrecken ihrer Freundinnen, in ein dumpfes, thränenloses Schweigen hingebrütet, ohne der Ursache ihres Grams im mindesten zu erwähnen.[131]

Die Wehmuth überwältigte sie so, daß sie, ihr Gesicht in ein Tuch verbergend, das Zimmer wankend verließ. Albert blieb betroffen zurück, und war schon im Begriffe, sich ebenfalls zurückzuziehen, als Madame Euler erschien und ihn in Albertinens Namen zu ihr zu kommen einlud.

Albertine wollte ihn etwas fragen; es erstarb ihr aber auf der bebenden Lippe, und so gut Albert es errieth, so wagte er doch nicht, es zu beantworten. Sie weinte so schmerzlich, daß Albert, dessen männliches Herz leicht in anderer Gefühle einging, nichts zu sagen vermochte, als: »hassen Sie mich nicht, daß ich der Trauerbote war!« – »Wie sollte ich den hassen, der ihm werth war!« erwiederte Albertine. »Sie haben also die schreckliche Gewißheit?« setzte sie mit zitternder Stimme hinzu. – »Leider sah ich den werthen Namen in der Todtenliste des Regimentes nach dem unglücklichen Überfall! Seine theuren Überreste – setzte er leiser hinzu – sind Preußischer Seits nicht gefunden, weil[132] die gräßliche Verwirrung und die Dunkelheit der Nacht jede Art von gewöhnlicher Procedur unthunlich machte.« – Albertinens Brust hob sich konvulsivisch bei dieser lebhaften Vorstellung ihres Verlustes, und sie winkte Alberten mit der Hand, sich zu entfernen. Nach einer langen Zeit erschien sie, auf ihre Freundin gestützt, bei der Gesellschaft. Wassermann, der Albertinen auf gewisse Weise schon als sein Besitzthum ansah, fuhr Alberten sehr ungeziemend an, daß er es gewagt habe, den eingewiegten Schmerz zu wecken; und Albertinen legte er mit seiner eigenthümlichen Disgrazie die Hand auf ihren schönen Arm, wobei er ihr mit seinem harten, herz- und klanglosen Tone sagte: »Hin, ist hin, und todt, ist todt! spare die vergebne Noth!« – Albertine antwortete sanft: »Ich bitte, mein Herr, lassen Sie mir meinen Gram, und bedenken Sie, daß wir mit einander nichts gemein haben. Unsere Naturen sind sich durchaus fremd!«

Wassermann zog ergrimmt die Hand zurück,[133] mit der er ihr, seinem Gefühle nach, schon zu viel Ehre erzeigt hatte, und sein Zorn schwoll um so mehr, da Laurette in ein hämisches Gelächter ausbrach, welchem sie, um doch auch Albertinen eins abzugeben, hinzusetzte: »Es leben die Prüden!« –

Albert war, wie überall die Liebe in feinen Gemüthern leise und still waltet, schüchtern, sich dem Gegenstande derselben zu nähern, und richtete beinahe immer das Gespräch an Tante Elise, Laurette, oder lieber noch an Madame Euler. Das hielten nun die beiden Ersten für nichts anders, als entstehende Liebe zu ihnen. An einem schönen Morgen fanden sie sich bei Albertinen ein, und Tante Elise erklärte nach manchem Räuspern und viel mädchenhafter Ziererei, die als Frühlingsblüthe reizend, als Herbstspätling aber widrig ist, sie wisse sich bei dieser neuen Liebe des guten Alberts nicht zu verhalten, da sie, nach der Untreue ihres letzten Geliebten, dem falschen Gott ganz zu entsagen, öffentlich gelobt[134] habe. Indeß sei der Albert so lieb, so zärtlich, so schön,2 »wie ein blühender Mond. Der süße Ton des lieblichen Mundes, wenn er Worte voll Sehnsuchtsklänge aushauchte, drehete sich in ihm wie Räder in den Flüssen, und sie leugne nicht, dann wende sich ihre Sehnsucht um die Schaufeln.« –

»Nie hätte ich mir eine solche auffallende Selbsttäuschung, bei so langer Erfahrung, als möglich gedacht!« äußerte Laurette schneidend. – »Tante,« sagte sie: »ich fürchte sehr, auch diesen werden Sie auf die lange Liste ihrer Ungetreuen setzen müssen. Sagt Ihnen denn Ihr guter Verstand nicht, wen er nur meinen kann?« – »Nun, und wen denn?« fragte Tante, ziemlich beleidiget. »Erklären Sie sich, Mademoiselle!« – Laurette erhob sich und machte Tanten in der Nähe eines Spiegels, der ihr ihre ganze Gestalt zeigte, einen[135] tiefen, spöttischen Knicks. »Ich denke, es hängt nur von mir ab, wie bald Sie erfahren sollen, wer von uns Beiden Gebieterin in Ulmenwalde wird!« – Tante wußte in der Geschwindigkeit nichts Besseres zu sagen, als: »So, so!« und Albertine sagte freundlich: »welcher das gute Loos auch falle, werde ich mich herzlich freuen!«

»Ja!« sagte wieder die liebe, alberne Elise, die durch Albertinens Freundlichkeit entwaffnet wurde; »und wenn ich mir wieder das Göttliche denke, was dem Menschen werden könnte im Genuß freier Liebe, die kein Gesetz über sich anerkennen dürfte, als das allgemeine unverletzlicher Schönheit, die mit der Liebe Eins ist! Möchte man nicht an einer Menschheit verzweifeln, die sich selbst so drückende Fesseln schmiedete?« – »Liebe Tante!« fragte Albertine, die eben Laurettens beißenden Spott fürchtete, »kam diese Tirade nun wohl aus Ihrem eigenen sanften Sinn und Ihrem strengen sittlichen Gefühle?«[136]

Elise gestand, daß sie den Gedanken, weil er sie auf den ersten Anklang frappirte, einem jungen, ziem lich excentrischen Dichter gestohlen hätte.

»Meine liebe gute Tante muß nicht stehlen; sie ist reich genug an eigenem Vermögen!« antwortete Albertine schmeichelnd; und so wurden durch die Liebenswürdigkeit des einen Gemüths, die beiden andern wieder freundlicher gestimmt.

Quelle:
Friederike Helene Unger: Albert und Albertine, Berlin 1804, S. 131-137.
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