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Minna und ihre Freundin genossen nach einem schwülen Tage die Kühle des Abends, unter der Linde vor dem angenehmen Landhause, welches die Freundin bewohnte, und in dessen Nähe Minna ein mäßiges Gütchen besaß. Schweigend sahen beide in den Mond, der freundlich durch die schöne Akazie blickte, die ihnen gegenüber rauschte. Es wetterleuchtete in fernen grauen Streifwolken. Sie lauschten, ob ein Donner ihnen ein gefürchtetes Gewitter drohe; als plötzlich Minna's Löwenhündchen von ihrem Schooße stürzte und bellend in die Nachtviolenhecke fuhr. – Eine männliche Gestalt näherte sich, und sagte den beiden Erschreckten mit bescheidner Stimme: »meine gütigen Damen,[7] könnte wohl ein wandernder Handwerker hier ein Obdach gegen das heraufziehende Gewitter finden? Die Hitze des Tages hat mich ungewöhnlich ermattet; ich erreiche vor Mitternacht nicht mehr das nächste Städtchen, und das Wetter würde mich in dem Walde überfallen.«
Die Stimme des Bittenden nahm für ihn ein, und beide Frauen waren geneigt den Müden zu erquicken. Minna antwortete zuerst: meine Freundin ist hier selbst ein Gast; aber meine eigne Wohnung ist nicht fern, diese hat Obdach und bequeme Ruhestätte für jeden Rechtschaffnen. Gehe er dort links, mein Freund; sage er: ich schicke ihn; mein Mann wird ihn gewiß gastfreundlich aufnehmen.
Der Wanderer war indeß ihnen näher getreten, und der Mond schien ihm eben silberhell ins Gesicht. Ida, Minna's Freundin,[8] sah ihn an, und fuhr, wie vor Entsetzen, von ihrem Sitz auf. Minna erschrak, faßte ihre Hand und fand sie kalt und zitternd. – »Ida! um Gottes Willen! Ida, was ist Ihnen?« Nichts, gar nichts, – sie faßte nach dem vor ihr stehenden Glase voll Wasser. – Mir ist schon wieder wohl; – eine entfernte Ähnlichkeit dieses Mannes hat mich erschreckt, weil – weil sie mich erinnerte – – »Woran, Liebe, woran?« – rief die lebhafte Minna – O fragen Sie nicht, Theure! es ist vorüber; es war nichts; ein Schattenbild das mich erschreckte. – Der Reisende stand betroffen und in flehender Stellung da; es that ihm wehe die Frauen erschreckt zu haben. Er sagte nichts, bis Ida ihn fast blöde fragte: ich bitte, lieber Fremdling, wer ist er? – Hat er noch Eltern? – Ich bin, wie ich schon gesagt habe, ein reisender Professionist. Mein Leben[9] und meine Schicksale haben nichts besonders. Von meinen Eltern lebt nur noch mein alter Vater, den der Gram um eine pflichtvergeßne Tochter vor der Zeit zum stumpfen Greise machte. Jezt will ich heim gehen, sein Alter zu trösten. Ida war in stumme Wehmuth versunken; Minna lobte sein Vorhaben, und gab ihm Anweisung, wie er sich in ihre Wohnung einführen sollte, wohin sie bald folgen werde. Er ging; und jezt erst bemerkte sie, wie ihre Freundin bleich und in Thränen gebadet neben ihr saß. Auf ihre zärtliche Frage erhielt sie blos zur Antwort: Erinnerungen, Liebe, Erinnerungen, – sie fielen schwer auf mein Herz, als ich die Bildung dieses Menschen sah, der Ton seiner Stimme durchdrang mich. Aber nun fragen Sie nicht weiter; ich will verschmerzen und vergessen. – Schlafen Sie wohl, Theure, fuhr sie fort,[10] indem sie aufstand; morgen sehen wir uns wieder. – Nein, nicht so, meine Ida; so lasse ich Sie nicht. Ihr Herz drückt ein ungewöhnlicher Kummer; es ist mir nicht entgangen, wie oft eine Thräne unwillkührlich diese schönen Wangen hinabschleicht; verschließen Sie Ihr Herz nicht; gönnen Sie sich den Trost der Theilnahme, nirgends finden Sie sie wärmer, als in dem Busen Ihrer Minna. Leiden Sie nicht so allein, schöne Seele! – Schöne Seele! wiederholte Ida schmerzlich; ach! ich hätte es seyn können; ich – ich würde sprechen, wenn mir Muth gemacht würde. – Würde es Ihnen Muth geben, wenn ich zuerst spräche? antwortete Minna schmeichelnd. War Ihre frühere Jugend vielleicht nicht ganz tadelfrei? drücken Erinnerungen an die Vergangenheit dies arme Herz: so will ich mit Offenheit vorangehen. Sie sollen mich kennen lernen, damit[11] auch Ihr Herz sich öffne; wir werden ein froheres Dasein neben einander haben, wenn wir jede Falte unsrer Karaktere kennen. Morgen Abend beginnt meine einfache, aber in ihren Folgen für mich sehr bedeutende, Geschichte. Für heute leben Sie wohl, Ihr angegrifnes Herz bedarf der Ruhe. – Sie schieden voneinander, und gingen eine jede ihrer Wohnung zu.
Als am folgenden Tage die Sonne hinter den Wald gesunken war, und die Dämmerung eintrat, fanden sich unsre Freundinnen wieder unter der freundlichen wirthbaren Linde ein. Ida fragte sogleich mit sichtlicher Bewegung, was aus den Wanderer geworden wäre? Gern hätte sie ihn noch einmal gesehen. – Er zog heut früh mit der Sonne seine Straße, nachdem wir ihm gütlich gethan. Ihre Ursachen mögen seyn, welche[12] sie wollen, meine Ida, der junge Mann war interessant. Ja ich mögte sagen, ich hätte Züge an ihm entdeckt, in Auge und Mund – – Doch still, still, ihr Gesicht zeigt Besorgniß; kein Wort mehr davon. – Lassen Sie uns davon abbrechen, Minna. Sie bemerken richtig: dies Gespräch quält mich. Halten Sie lieber Ihr Versprechen; denn noch frag' ich mich oft: wer ist sie? warum ruht auf dem lieben Gesicht so oft ein Zug stiller Trauer? warum ist, wenn stiller Gram bei mir sich in unwillkührliche Thränen auflöst, die sympathetische Thräne sogleich bereit, aus ihrem klaren Auge hervorzuquellen? Minna, länger dulde ich Ihr Schweigen nicht; denn auch ich suche ein Herz, in welchem ich meinen Kummer niederlegen kann. Minna wurde unruhig; schweigend drückte sie der Freundin Hand. Jezt nicht, jezt nicht, Liebe;[13] was ich zu sagen habe, verträgt nicht dieses Licht. Wenn die grauere Dämmerung mich schützt, dann – – Ida lenkte klug das Gespräch auf die große Heerstraße des Alltagslebens hin, und erst als der Mond an den Gipfeln der Bäume dämmerte, begann Minna mit einem aus beklommener Brust hervorbrechenden Seufzer:
»Der liebenswürdige Sonderling von Genf schrieb seine Confessions, vermochte aber nicht ihre Bekanntwerdung bei seinem Leben zu ertragen. Ich stehe im Begrif weit beschämendere Bekenntnisse abzulegen: zwar nicht vor dem Publikum, aber die Beichte ist demohnerachtet immer ein Punkt, der große Ueberwindung kostet. Wo werd' ich Stimme, wo Kraft hernehmen, sie, selbst gegen eine liebende Freundin, auszusprechen? wo die Ehrlichkeit, da ohne Schminke zu erscheinen, wo die scheue Weiblichkeit sich gern[14] in sich selbst zurückschmiegt. Aber in einer heiligen einsamen Stunde habe ich es mir zur Pflicht gemacht, Ihnen mein Herz mit allen seinen Verirrungen darzulegen. Wie stark muß Ihre Liebe seyn, wenn sie mich dann noch ferner erträgt.
Sie wird, ja sie ist entschlossen zur entschiedensten Nachsicht! Ach, wem sollt' ich nicht nachsehen müssen! seufzte Ida gerührt, und legte ihre Hand auf Minna's gefaltete Hände. Diese trocknete einige Thränen, und begann:
Ich bin die Tochter des Bürgermeister Rosenau, in der angenehmen Provinzstadt A. Mein Vater war ein Mann von Kopf und Herz, und seine Berufsgeschäfte ließen ihn Muße genug, sich oft Tage hindurch seinem Lieblingsstudium, der Geschichte und den alten Klassikern, vorzüglich aber der neuen schönen Litteratur zu widmen. Diese[15] stand damals in ihrer schönsten Blüthe, und, wenn ich so sagen darf, im reinsten schäferlichen Schmucke; die Lesewelt war noch nicht so ekel aus Uebersättigung, und das Rezensionswesen machte noch nicht ein eignes, so überflüssig angebauetes Feld deutscher Schriftstellerei aus. Mein Vater sah mich gern meine Feierstunden mit Gesners Hirten vertändeln, und freute sich, wenn er mich mit Zacharia's Tageszeiten in die Gartenlaube eilen sah. Auch meine Mutter, die von ihrem Vater, dem Rektor B. in S., eine Art von gelehrter Erziehung, nach damaliger Weise, erhalten hatte, theilte meines Vaters Hang zu den Wissenschaften, und war innig froh, wenn er ihr nach vollendetem Tagwerke vorlas, wobei ich arbeitend zugegen war. Dadurch gewann ich unvermerkt an Geistesbildung, und zeichnete mich vor den andern jungen Mädchen des Orts[16] aus. Diese geistigen Unterhaltungen entzogen mich aber auf keine Weise unsrer stillen Häuslichkeit; ich arbeitete, so jung ich war; spann, nähere und strickte für meine Ältern und jüngere Geschwister, mit so innigem Behagen, als obs kein Buch in der Welt gegeben hätte; sah, wenn der Winter vorüber war, mit Verlangen nach den ersten Schwalben aus; weil dann die Gartenarbeiten anfingen, denen ich vorstehen sollte, wenn ich würde größer seyn. Und über den Spaß in der Erndte ging mir nichts, wenn der mit blanken Bändern und Blumen geputzte Schnitter ins Haus trat, und nach Ortssitte von den Mägden mit Wasser überschüttet wurde. – –
Hieraus können Sie schließen, daß die Lebensweise im älterlichen Hause höchst einfach und patriarchalisch war; – und noch blicke ich, mit herzlichem Wohlgefallen, in[17] diesen meinen ungetrübten Lebensfrühling zurück. Diese Einförmigkeit ist wohlthätig für junge unverwöhnte Herzen; sie bildet zum ausharrenden Wohlgefallen an den stillen Freuden des künftigen Hausstandes. Bei uns herrschte sie unverrückt; und nur an den Vorabenden solcher Tage, an welchen etwa der General des dort in Garnison stehenden Regimentes den Geburtstag des Königes, oder seiner Gemahlin feierte, fand eine Ausnahme statt. – Er pflegte die Notablen des Orts einzuladen. Das Vorlesen, Stricken und Spinnen fiel dann aus; und statt dessen kräuselte Mütterchen sich und ihrem ältesten Mädchen die Haare; schwefelte Flor, färbte alte Bänder, wusch seidne Strümpfe, lüftete die seidnen Kleider, oder stickte der Tochter ihres an, wenn sie herausgewachsen war. So gings in allen Häusern wo junge Mädchen waren; denn an einem solchen[18] Tage, von dem das ganze Jahr hindurch gesprochen wurde, da galts! Wir wähnten uns in unserm zusammengestoppelten Staate sehr geputzt, besonders wenns uns gelungen war, irgend einen Modeschnitt zu erhaschen. Das Fest selbst regte, trotz der großen Zurüstungen, nur die kleinlichsten Leidenschaften, der Eifersucht und des Kleiderneides auf. Man erboste, man haßte und verfolgte sich Jahre lang, wenn der General beim Auffordern zur ersten Menuet, nicht die strengste Rangordnung beobachtet hatte; die Vorgezogne brüstete sich so kindisch, als die Zurückgesetzte sich gedemüthigt fühlte. –
Eine solche Stimmung der Gemüther machte sie, schon ihrer Natur nach, für die Eindrücke zärtlicher Gefühle unempfänglich. Ob schon eine Menge junger Personen beiderlei Geschlechts zusammen kamen, hatte doch nie die Liebe sich ins Spiel gemischt.[19] Wort und Sache standen unter dem strengsten Bannfluch; denn die jungen Männer waren Edelleute, und die Mütter führten ihre Töchter mit der strengsten Warnung dahin: um die Welt, mit Keinem sich auch nur ins Gespräch einzulassen. Wie stumm, wie steif und kalt diese Lustbarkeiten ausfielen, wie scharf die Abstandslinie zwischen Adlichen und Bürgerlichen gezogen war, können sich nur die vorstellen, welche die Anmaßungen des Provinzadels, und die elende Kriecherei der Kleinstädter mit Augen gesehen haben. Die adlichen Herren Lieutenants und Fähndriche hielten sich in großer Ferne, und ließen sich nur dann erst herab, uns bürgerliche Töchter zum Tanz zu fordern, wenn auch das adliche Mädchen im Schnürkleidchen nicht mehr tanzen mochte.
Mich verdroß und störte das weiter nicht in meiner überirdischen Freude an diesen[20] Festen; ich nahm, ohne sie zu bemerken, jede Demüthigung des aroganten Dorf- und Regimentsadels unbekümmert hin. Wenn ich nur Gelegenheit hatte, meine Anzahl Menuets und Polonoisen abzutanzen, so war ich übrigens ganz unbekümmert, wie? und mit wem? dies geschah.
Den Genuß meiner jugendlichen Freuden unterbrach aber der Tod meines vortreflichen Vaters. Ich fühlte diesen Verlust so tief, als man so etwas im eilften Jahre zu fühlen im Stande ist, das heißt: ich weinte ungestüm, und wurde im Herzen halb getröstet, wenn ich mir die prunkenden Trauerkleider, die mich zur erwachsenen Person in meinen Augen erhoben, recht lebhaft dachte. Dann weinte ich wieder, wenn die gute Mutter weinte, und rührend über ihren Wittwen- und unsern Waisenstand sprach. Wenn ich aber hörte, daß wir nun unser[21] Haus und unsre Gärten, Felder und Wiesen verlieren würden, heulte ich, und war nur durch hartes Zureden zu beruhigen.
Aber es kam gar anders; diese schönen Dinge, an denen mein Herz hing, wurden nicht verkauft. Es ereignete sich etwas, das, wie ich es damals verstand, besser, in der That aber schlimmer war, als Garten- und Feldverlust, – ich bekam einen Stiefvater, der an Witz und übler Laune seines gleichen suchte. Doch das muß ich in der Ordnung erzählen.
Herr Moorheim, ein Rechtsgelehrter, folgte meinem Vater in der Justizbürgermeisterstelle. Er war ein treflicher Kopf; aber sein Herz? – nicht ein Schatten von dem Herzen meines Vaters. So bald er von Berlin im Städtchen angekommen war, erschien er bei uns. Meine Mutter war immer noch eine Frau, die gefallen konnte; in[22] ihrem lieblichen Gesichte wohnte ein Geist, der nicht veraltern läßt, und Friede und Wohlwollen auf der weißen ebnen Stirn. Sie gefiel ihm; er war galant, und hatte in der feinern Welt gelebt; er machte ihr förmlich den Hof; sie gab seiner Anwerbung Gehör, und, anderthalb Jahr nach meines armen Vaters Tode, wurde Moorheim mein Stiefvater.
Es fehlte wenig, daß mein Herz sich nicht von meiner Mutter abgewandt hätte. Ich war in meines Vaters Seele eifersüchtig; aber ich that ihr Unrecht. Sie hatte ihren Gatten nicht vergessen; es fehlte ihrem ruhigen Sinne nur an dem Grad von Wärme und lebhafter Vorstellungsgabe, die uns auch für nicht mehr anwesende Gegenstände befeuern. Sie war an einen gewissen Wirthschaftsschlendrian gewöhnt, in welchen sie, weil sie nun Leere fühlte, wieder einzutreten[23] wünschte. Doch wer fragt denn nach Gründen zu der alltäglichsten Sache von der Welt? Warum sollten die Wittwen sich ewigem Harm weihen, wenn die Wittwer schon in der tiefen Trauer den zweiten Bräutigams Ring tragen?
Da ich mir aber vorstellte, daß es meiner Mutter im Herzen bald gereuen würde, so söhnte ich mich wieder mit ihr aus, und mein Mitleid sowohl, als gemeinschaftliche Leiden, gaben meiner Liebe zu ihr neue Schwingen. Ach, Ida! was erfuhren wir von diesem herrischen Manne, diesem Hausdespoten! Es hieß bald an allen Orten: Herr Moorheim sei sehr hypochondrisch! Dies pflegt eine Rubrik zu seyn, die jede Ungezogenheit, jede Verwahrlosung des Herzens, jede Grobheit aufnehmen muß. Hat einer sich gewöhnt, den Eindrücken übler Laune nachzugeben, plagt er seine Hausgenossen[24] bis aufs Blut, so heist er hypochondrisch. Ist er übel gelaunt, und schämt sich die unbedeutende Ursach dazu anzugeben, so sagt er: ›ach! ich bin heut so hypochondrisch!‹ – So mein Stiefvater, der im Hause nie mit einem Zutrauen erweckenden Nahmen genannt wurde, sondern immer der Herr hieß. Nie ist der süße Vaternahmen gegen ihn über meine Lippen gekommen; wie denn auch er mich gegen meine Mutter nie anders als Deine Tochter zu nennen pflegte.
Ein übellauniger Hausgenosse gehört wahrlich zu den größern Trübsalen des Hausstandes. Wenn ihm aber noch der beissendste Witz zu Gebote steht, so ist kein Hauskreuz diesem zu vergleichen. Mein Stiefvater hatte Verstand wie ein Engel, und dieser gab ihm die Gewalt alle Herzen zu gewinnen. Aber er handelte unwandelbar[25] nach dem Despoten Grundsatz: die Untergebnen müssen nie wissen, wie sie mit ihrem Oberherrn daran sind. Diesem zu Folge, war kein Wetterhahn veränderlicher als er in seinem Betragen gegen uns. Abends scherzte er, und man widerstand der Annehmlichkeit seines Umganges mit Mühe. Am folgenden Morgen erschien er steif, feierlich, auffahrend bei Kleinigkeiten; alles an ihm verkündigte einen nahen Orkan. Zu Mittage schlich jedes still und ängstlich zu Tische, und stand ehrerbietig, bis der Herr uns mit kalter Höflichkeit gegrüßt hatte. Herr Moorheim schnitt Brodt; das Messer glitt von der harten Rinde ab: – Wo hat der Schurke Johann das Brodt geholt? Immer läßt sich der Tölpel altgebacknes in die Hand stecken. – Keiner wagte zu äussern, daß das Brodt nicht alt sei. Warum thut denn Niemand den Mund auf? zu sagen,[26] daß es nicht alt ist. – Ich glaube, das große Mädchen da verstehts nicht einmal. Es ist zu hart gebacken, und es zu zerarbeiten, gehört ein Hundsgebiß dazu – Indeß war die Suppe herumgegeben. – Immer und ewig Rindssuppe! weißt du denn gar nichts anders anzugeben, Louischen? – Ich meinte, Sie äßen sie am liebsten, entgegnete meine sanftmüthige Mutter. – Nun schlang er die Suppe kochend herunter. Die Suppe ist versalzen; oder nein! – indem er sie aus dem Munde auf den Teller zurücksprudelte – sie ist nicht genug gesalzen. Der Teufel! wo so eine große Tochter im Hause ist, sollte dergleichen nicht vorkommen. – Erlauben Sie, meine liebe Mutter hat selbst – – Husch! schüttete er das Wasser aus seinem Glase über den Tisch weg, mir ins Gesicht. Da saß ich, wie eine Flußgöttin, mit herabströmender[27] der Fluth von Kopf und Brust. Meine arme Mutter saß daneben, blaß und zitternd, und wagte es nicht ein Wort für mich einzulegen; und doch entging sie nicht dem Vorwurfe: ›Das arme Töchterchen jammert Dich wohl?‹
Ausbrüche so pöbelhafter Laune entwischten dem sonst klugen Manne sehr oft, und wurden, oft noch acht Tage nachher, durchgeknetet, bis ich nich mit verbißnem Ingrimm herabließ, wie er es verlangte, mich zu demüthigen, und kniend Abbitte zu thun. Dies gab dann meiner armen Mutter den Frieden wieder; wenn es dem Haustyrannen nicht gefiel, mich zu verstoßen und kniend liegen zu lassen. Aber ich wende mich von den empörenden Scenen hinweg, deren ich auch im Greisen Alter nie ruhig werde gedenken können.
Was in dem durchaus versäumten Karakter[28] dieses Mannes Andacht und Religion war, kann man sich leicht vorstellen. Als mein Vater sie uns durch sein Beispiel, nicht in Worten, sondern im Wesen lehrte, war die Gottesverehrung in unserm Hause eine erweckende, freudenvolle Sache, woran jeder gern Theil nahm, weil er sich durch sie froher und glücklicher fühlte, und einer noch froheren Zukunft entgegen zu leben glaubte. Auch meiner Mutter Gottesfurcht war heiter, und unsern kindischen Begriffen mit großer Klugheit angepaßt. So aber nicht mein Stiefvater. Sein Frommsein mußten alle Hausgenossen entgelten, denn sie sollten's nach seiner überspannten Weise seyn. Am liebsten schreckte er uns mit dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der die Missethat der Väter an den Kindern bis ins vierte Glied heimsucht. Diese altjüdischen Begriffe waren wie für das Schreckenssystem,[29] womit er über uns herrschte, ausdrücklich ausgesprochen. Eben so die schwermüthige Vorstellungsart der alten Theologie, von der Buße. Bei jeder Kommunionsfeier sollte Reue, Wehklagen und Zerknirschung über unsre Sünden auf jedem Gesicht bemerkbar seyn. Bei meiner ersten Kommunion sollte ich mich aller, im alten Kommunionbuche hergerechneten, Sünden anklagen, von welchen ich dazumal kaum den Sinn errieth. Sonntags las er viele Predigten, wenn wir vorher, höchst mißtönig und verstimmt, Lieder gesungen hatten, wobei jeder Vers neu intonirt werden mußte, weil wir wenigstens um eine Quinte tiefer fielen, und uns zuletzt in den tiefsten Baß verloren. Die Predigten wurden zwar aus den neueren berühmten Rednern ausgesucht; allein unser häusliche Gottesdienst begann erst, wenn längst der öffentliche vorbei war, und jedermann[30] schon zu seiner Sonntagserholung eilte. Wir jüngern Zuhörer hatten dann wenig Ohr und Herz dafür, wenn alles im Ort fröhlich umherschwirrte, wir noch immer leise umhertrippelten, und verdrossen den Augenblick erwarteten, wo es dem Herrn gefallen würde, seine profane Lektüre abzubrechen.
Durch diese Behandlung war es ihm gelungen, die Religion, welche bis dahin die freundliche Führerin meiner Kindheit und ersten Jugend gewesen war, in das traurigste und peinigendste Ding, das dem Menschen zu seiner Qual gegeben ist, zu verwandeln. Der Gott, den ich, wenn gleich unter höchst verworrenen Begriffen, als meinen eigentlichen Vater geehrt und geliebt hatte, war mir jezt ein immer strenger und zürnender Herrscher, der ganz menschlicher Weise, immer im Zorn aufzulodern pflegte, und[31] nur dann vom Schelten abließ, wenn das arme ohnmächtige Geschöpf tief zerknirscht und gedemüthigt vor ihm im Staube kroch. Diesen Jehovah, wie mein Stiefvater ihn am liebsten nannte, fürchtete ich so sehr, daß ich gewiß nichts versäumte, was die Menschen sehr menschlicher Weise seinen Dienst nennen. Sonntags wagte ich nicht eher ein profanes Buch in die Hand zu nehmen, bis ich das mürrische zänkische Wesen, welches ich Gott nannte, durch das Lesen einer Predigt, oder mit sonst etwas Geistlichem, abgefunden hatte.
Wer darf sich wundern, wenn eine solche Religion dem Menschen etwas ganz von ihm isolirtes ist? Denn wo ist eine Freude, ein Genuß, der sich mit dem Begrif eines immer finstern und scheltenden Wesens vereinigen ließ, eines Wesens, das im seinem Grimm endlich nur durch Blut zu besänftigen[32] war. Es ist schrecklich, dem Menschen zu verbittern, was ihn beglücken soll! – O, ich wurde so fromm, wahrlich! aus Angst so fromm, daß ich beinahe den Teufel mit angebetet hätte. Ich quälte mich ganz matt, wenn an Kommuniontagen mein jugendliches Herz nichts von jener geforderten Zerknirschung empfand, von jener Scheu, und dem Zittern, womit man sich dem Heiligthume nahen soll! Wie ich in Thränen zerfloß, und nur mit an mir selbst verzweifelnder Demuth die Hand nach den äußern Zeichen ausstreckte, – weil ich mich mit allen hererzählten Lastern behaftet glaubte, und mir die Verdammniß zuzuziehen fürchtete, wenn ich unwürdig genösse.
Glücklicher Weise waren diese Begriffe von der Art, daß man sie gar nicht aufs gewöhnliche Menschenleben übertragen konnte. Wenn dergleichen feierliche Handlungen überstanden[33] waren, legte ich das Ganze, wie eine drückende Last, bei Seite, und dachte nicht daran, bis etwa eine nahe Veranlassung sie mir wieder zu meinem Schrecken ins Gedächtniß brachte. Den Herrn Christum hatte ich lieb, weil ich in ihm einen Unglücksgefährten sah, der, so wie ich, unter dem Zorn des Vaters stand. Den heiligen Geist begriff ich nicht; doch kam er mir untergeordnet vor, und er war mir unter dem Bilde der Taube sehr lieb.
Die Lebensweise in unserm Hause war seit meines Vaters Tode gar nicht mehr dieselbe. Unsere Lesereien hatten eine andere Wendung bekommen. Herr Moorheim zwang uns seinen Geschmack auf, daher denn ein jeder gern für sich las. Mir waren bei der Gelegenheit, daß meines Vaters Bibliothek geordnet wurde, einige Bücher in die Hände gerathen, die der sorgsame Vater[34] weislich versteckt gehalten hatte. Freilich sollte niemand Gift in seine Vorrathskammer legen; – es war aber nun einmal da, und ich sog es mit langsamen Zügen ein. Ich erinnere mich nicht der Titel; es waren aber üppige französische Romane, die auf eine unglaubliche Art auf mich wirkten. – Mein Herz, – meine Sinnlichkeit entwickelte sich mit Schnellkraft. Noch lange, ich behaupte es, hätte bei meiner nüchternen, arbeitsamen Lebensart jeder Trieb, mich unter den Söhnen des Landes umzusehn, ohne die Dazwischenkunft jener Bücher in mir geschlummert. Ich sah mich um; aber da war keiner dem ich es zutrauen konnte, die Hauptrolle eines Romans zu übernehmen. Die Bürgersöhne waren schlichte, biedere Menschen, still ihrem Berufe nachgehend. Die Offiziere der Garnison standen unter dem mütterlichen Bannstrahl. Es war Todsünde,[35] von einem gegrüßt zu werden; und nur hinter den rohrnen Fensterkörben wagten es die Töchter, sie mit verstohlnen Blicken zu mustern.
Als ein blühendes, schnell herangereiftes Mädchen stand ich nun auf dem schlüpfrigen Scheidewege, und man fing an, mich zu bemerken. Der uns gegenüber wohnende Lieutenant von Sonnenstern fing an, sein Auge auf mich zu richten, und ließ sich herab, um die Langeweile der Garnison zu verkürzen, einen Entwurf zu einem Roman mit des Bürgermeisters Minna zu machen, der mit beständigem Herübersehen und Komplimentiren hinter'm Rücken der Mutter begann. Bei dem ersten bedeutenden Blicke flog ich scheu zurück, glühte vor Scham, vielleicht auch vor Freude, die ich mir selbst noch nicht gestand, wie eine Purpurrose, und[36] wagte es nicht, der Mutter ins Auge zu blicken, wenn ich, zitternd vor Schrecken und mit verhaltenem Athem, vor sie hintrat. – Der erfahrne Paladin hatte des Mädchens Zurückziehen sehr richtig zu deuten verstanden; denn auch er spielte nun den scheuen Betroffnen, ließ sich seltener sehn, und bließ zärtliche Lieder auf der Flöte, wenn ich des Abends mit meinen jüngern Geschwistern vor der Thür saß. Welch' ein süßes Spiel war dies für meine nun schon aufs höchste gereizte Phantasie! Auch das liebste Buch fesselte mich nicht mehr; mit dem letzten Bissen, bei dem unfreundlichsten Wetter, stand ich zur bestimmten Stunde auf meinem Posten, oft nur, um bei Licht in seinem Zimmer seinen Schatten hin- und herwanken zu sehn. Ich erstaune, daß diese Rastlosigkeit meinen Eltern entging. Mir ist sie bei jedem jungen Mädchen oder Weibe ein untrügliches[37] Merkmal erregter Leidenschaft, oder doch irgend einer leidenschaftlichen Erwartung.
Der junge Nachbar verstand sich auch sehr gut auf diese Kennzeichen. Noch glüht meine Wange bei der Erinnerung an diese jugendliche Unbesonnenheit. Als ich eines Abends mit einem unsrer Dienstmädchen eine häusliche Besorgung hatte, steckte sie mir einen Brief in die Hand. – ›Vom hübschen Nachbar!‹ – sagte sie. Noch wachte der Keuschheitswächter, jungfräulicher Stolz, über mein Herz. Ich fuhr das Mädchen an, und wies den Brief zurück. Indem ließ sich die Mutter hören, und die erfahrne Magd ließ den Brief schnell in mein Busentuch schlüpfen.
Im Herzen war ich froh, denn ich glaubte daß der Brief nun ohne mein Zuthun mein geworden war. Ihn zu lesen, fand ich den ganzen Abend keinen Augenblick. Aber wie[38] nenn' ich das Gemisch von Empfindungen, die mich bald froh, bald bang durchschauerten? mein Gesicht bald brennend roth, bald todtenblaß, meinen Gang schwankend, und meine Glieder wie von Fieberfrost durchschüttert, machten? – Meine Mutter fragte: ob ich krank wäre? Ach nein, Krankheit war es nicht; es war der laute Puls der Liebe, der durch alle meine Nerven zuckte.
Die ersehnte Schlafstunde half mir nichts, denn ich schlief mit meinen Geschwistern zusammen. Ich legte den Brief als ich schlafen ging an mein lautklopfendes Herz. Die innere Unruhe verstattete mir keine Minute Schlaf. Mit der frühesten Morgendämmerung schlug ich leise, leise den Brief auseinander, den ich bei ruhigerer, uneingenommener Stimmung ganz unausstehlich schlecht gefunden haben würde; so aber überlas ich unzählichemal den unorthographischen, gekleksten[39] und schwülstigen Unsinn, ohne mich an die unschickliche Form des Äußeren, das grobe unbeschnittene Papier, die blasse ausgelaufne Tinte, so wenig, als an die Überschrift ›schönster Engel!‹ zu stoßen. – Nichts, nichts von diesem allen vermochte meine Freude an dem einzigen, nie wiederkehrenden Moment meiner Rosenzeit zu schwächen. Verargen Sie mir's nicht, meine Ida, daß ich, bei aller Mißbilligung der Sache an sich, jetzt noch mit frohklopfendem Herzen auf diesen Punkt meiner Existenz sehe, wo eine süße ahnungsvolle Dämmerung die Seele umfließt, wo rosige Gemälde lächelnd im Hintergrunde stehn, und zu hochgestimmten Phantasieen bezaubern. Gott! welche Seligkeit, wenn das junge weibliche Herz sein Daseyn zu ahnen beginnt, und sich, jungfräulich verschämt, vor sich selbst verbirgt! –[40]
Dieser extasirte Zustand dauerte nicht länger, als bis ich eine Zusammenkunft mit meinem Amoroso gehabt hatte. Diese war Abends vor der Thür. Ich wußte sie nicht einzuleiten, und benahm mich so linkisch dabei, daß es ein Wunder war, wenn mein Roman nicht das Mährchen der Stadt wurde.
Die Zusammenkunft war dem poetischen Schwunge meiner Imagination sehr ungünstig; denn es gab wahrlich! in der ganzen Provinz keinen prosaischern Junker, als den Lieutenant von Sonnenstern. Der einzige Brief, den ich ihm geschrieben hatte, wimmelte von Amor'n und Zephyretten, die damals nach der Lektüre von Gleim's und Jakobi's Briefen in meinem Gehirn noch obenauf schwammen. Sein herber bäurischer Styl stach seltsam dagegen ab. Die erste Anrede geschah mit ›mein Engel!‹; sie[41] wurde von einem schallenden Kusse, den er sich unterstand meinen Lippen aufzudrücken, und von einem quetschenden Händedrucke begleitet. Mein zartes Gefühl empörte sich; dies war keins von den Idealen Geßners, die sich meinem Herzen eingeprägt hatten. Ich brachte die Nacht schlaflos und mit Thränen zu. Durch ernsthafte Überlegungen stärkte ich mich in dem Entschlusse, diesen herabwürdigenden Handel abzubrechen, und mich meiner Mutter zu entdecken.
Zu eben der Zeit wurde ich in der Religion unterrichtet. Zufällig – nein, wohl nicht bloß zufällig, – sprach der Geistliche in einer bald darauf folgenden Stunde über Reinheit des Herzens und Sinnes, und der bestimmte Ausdruck: ›selig sind, die reines Herzens sind!‹ ergriff mich. Ich las damals gerade die Schriften der Frau le Prince de Beaumont, die, bei allen ihren[42] papistischen Grundsätzen, dennoch unendlich schätzbar sind. Sie bestärkten mich in dem Vorsatze, rechtschaffen zu seyn. Tiefer als alles Vorhergegangene beugte mich ein unverdienter Lobspruch, welchen meine nichts argwöhnende Mutter meiner jungfräulichen Sittsamkeit gab, Bei mehr Verhärtung im Unrecht hätte er mir wohl gethan; so aber fiel er mir, die ich nur Neulingin war, mit zermalmender Gewalt aufs Herz. Meine redliche Mutter sah mich leidend, hielt es für körperliche Unbehaglichkeit, redete mir freundlich zu, und schenkte mir zur Erheiterung eine ihrer Stickereien. Diese Güte brach mir das Herz, und ich klagte mich als die undankbarste aller Töchter an. Dieser Gemüthszustand lastete so entsetzlich auf mir, daß ich, trotz der Furcht vor dem Stiefvater, dennoch beschloß, mein Elend von mir zu werfen, und meiner Mutter alles zu entdecken.[43]
Sie erschrak zum Hinsinken, als ich, verstört und laut schluchzend, zu ihr kam, und erblaßte, als ich die Thür abschloß. – Zu ihren Füßen legte ich das demüthigende Bekenntniß ab. Noch seh' ich die Treffliche, Himmlischsanfte ihre Hände, die ich küssen wollte, zurückziehn, dann sie mir wieder entgegenreichen und auf meine Schultern stüzzen. Ihre Thränen flossen über meine Stirn. Sie vergab mir, die Unvergeßliche! Vielleicht hatte sie ein noch entehrenderes Bekenntniß gefürchtet. – ›Wie konnte meine gute Tochter, (sagte sie) meine Minna sich so vergessen? wie wird Herr Moorfeld erschrecken! wie soll ich's ihm nur vorbringen?‹ – Ach, freilich war das schrecklich; deutlich hatte ich mir die Folgen meines Geständnisses nicht gedacht, – und an den Stiefvater eigentlich gar nicht. – Jetzt schauderte ich, und fast reuete mich der Schritt. Aber die[44] gute Mutter wollte ja alles auf sich nehmen, alles ebnen und wieder gut machen. Sie befahl mir, mich ruhig zu verhalten, und den andern Morgen nicht eher zu erscheinen, bis sie ihren Gatten vorbereitet haben würde. Voll dieser bängsten aller Erwartungen schickte sie mich zu Bette. Im Herzen war ich leichter; durch das offene, freiwillige Geständniß hatte ich mich wieder bei mir selbst in einige Achtung gesetzt. Nun war ich muthig entschlossen, alles still hinzunehmen, wie auch immer der Ausgang seyn möchte. Diese Art, meinen Fehler zu büßen, schien mir Größe zu seyn. Meine Eitelkeit mischte sich ins Spiel.
Doch war's ein saurer Gang, als mich am folgenden Morgen meine Mutter nach stundenlangem Harren abrief. Gütig und Trost einsprechend unterstützte mich die fromme, vor innerer Angst und Beklemmung[45] schwankende Mutter. Als die Thür zu meines Stiefvaters Studierzimmer aufging, war ich ohne Athem. Ich sah sein strenges, strafendes Gesicht. Von Scham unwillkührlich getrieben floh ich hinter einen Vorhang, und verdeckte das Gesicht. ›Minna!‹ – sagte er mit leidlich gemilderter Stimme, – ›Sie haben sich schwer vergangen; aber ich verzeihe Ihnen. Sie haben mit der Ehre Ihrer Familie ein schändliches Spiel getrieben; aber Ihrem Unverstande verzeihe ich es. Wenn Sie schon jetzt so beschämt vor uns sich zeigen, wie werden Sie einst vor dem Richterstuhle des Weltrichters in Ihrer Armuth und Schande da stehn! Wie werden Sie zittern, wenn es heißen wird: Gehet hin zu meiner Linken! – Statt daß Sie sollten schaffen, selig zu werden mit Furcht und Zittern, bereiten Sie sich ihre eigene Hölle. Thun Sie Buße, und legen Sie Ihr[46] böses Wesen von sich.‹ – Ich knieete in der Angst mechanisch vor ihm hin, während er in demselben Tone fortfuhr. Endlich sagte er: ›Steh' auf, meine Tochter, Deine Sünden sind Dir vergeben!‹ – So pflegte er in alles, was er sprach und that, Schriftstellen einzumischen, und unschicklicher Weise seine widrige Person an die Stelle des höchsten Lehrers der Menschen zu setzen.
Als er dies gesagt hatte, glaubt' ich mich absolvirt, aber nein, er hatte nur diese, ihm passend scheinende Stelle anbringen wollen; denn nun wendete er sich zur Mutter, und sagte: ›Was meinst Du, Louischen, das wir thun?‹ Sie stand verlegen da, und ließ es auf ihn ankommen. ›Andere Eltern,‹ – fuhr er in einem rauhen Tone fort, – ›würden so ein ungerathnes Kind verstoßen; aber ich bin entschlossen, sie nach Berlin zu meiner Schwester, der Räthin Brennfeld, zu[47] geben.‹« »Brennfeld?« unterbrach Ida ihre Freundin. »Brennfeld? doch nicht die Erzieherin?« – »Eben die; das ist sie aber erst geworden, als ihr Mann sich von ihr schied.« Minna bemerkte nicht, wie sehr Ida bei diesem Namen erblaßte, und fuhr in ihrer Erzählung fort.
»Wie, mein Lieber?« – sagte meine kluge Mutter, – »Sie werden doch meine arme Minna nicht aus dem Hause stoßen, und Gelegenheit zu allerlei Gerüchten geben?« – »Nennst Du das verstoßen, Louischen, wenn sie die Ehre hat, Gesellschafterin meiner Schwester zu seyn, die ein treffliches und geehrtes Weib ist?« – »Das bestreite ich nicht, lieber Moorheim,« – erwiederte meine Mutter mit ihrer süßen, reinen Stimme; – »aber ich dächte, Minna verdiente jetzt auf ihr freiwilliges, edles Geständniß den Lohn des unbedingten Zutrauens. Von[48] jetzt an stehe ich für meine Tochter; und nun kein Wort mehr von ängstlicher Beschränkung. Das väterliche Haus sei ihr kein Jungfernzwinger. Zwang gebiert List. Ihr Herz mag wählen. Wir halten nach alter Art die Töchter, als würden sie zum strengsten Cölibat erzogen. Weiß ich doch aus eigner Erfahrung, was Liebe zu einem edlen Manne der Moralität des Mädchens ist. Die Stunde, in der Minna's Herz sich einem würdigen Gatten ergiebt soll mir gesegnet seyn.« – »Du siehst sehr weit, Louischen; indeß bin ich in so fern Deiner Meinung, daß es zur Erleichterung ihrer Wahl gut seyn wird, wenn sie in meiner Schwester Hause mehrere Männer sieht. Wen soll sie hier im Städtchen wählen? Den Meister Böttcher, oder den Meister Fleischer? Es geht nicht; das siehst Du selbst, Überdem möchte ich einen zweiten Anfall verliebter[49] Laune, den das Mädchen etwa haben könnte, nicht so geduldig hinnehmen. Minna, Sie bereiten sich zur Reise, in acht Tagen bring' ich Sie hin.«
Was er in diesem Tone sprach, war unwiderruflich. Das wußte meine Mutter so gut als ich; Thränen drängten sich aus den Augen der Schweigenden, und sie winkte mir zu, nicht weiter mit fruchtlosen Bitten in ihn zu dringen. Es wäre auch vergeblich gewesen; denn er entließ uns, um auf der Stelle an seine Schwester zu schreiben.
Von diesem Augenblicke an war der Frohsinn meines Jugendlebens dahin; selbst in Gegenwart meiner so geliebten Mutter fühlte ich mich gedrückt. Zufälliger Ernst schien mir Strenge, und die sanfteste Zurechtweisung ein Vorwurf. Ich versagte mir jeden Genuß, um ihr Mißtrauen nicht zu erregen. O, Bewußtseyn, wie unläugbar bist Du der[50] Tod aller Lebensfreude! – »Minna!« rief hier Ida, »Minna, wozu diese Bemerkung? Sie machen mich elend, ohne es zu ahnen.« – Fällt meine Erzählung Ihnen schmerzlich, meine Ida? so breche ich ab; ich werde sie nicht unaufgefordert fortsetzen. Wohl, wohl, für heute denn: gute Nacht! – Die Freundinnen trennten sich, und gönnten einander die Ruhe, die auch dem Leser hier vielleicht nicht unwillkommen seyn wird.
Ida war am folgenden Abend heiter genug, ihre Freundin mit dem Scherz zur Fortsetzung ihrer Erzählung aufzufordern, daß sie dieselbe ihre Scheherazade nannte. Minna wußte genau, wo sie abgebrochen hatte, und fing folgendermaßen an: – Die auserlesenste Güte meiner Mutter[51] vermochte nichts über meinen Trübsinn; denn nach meines Stiefvaters schwermüthiger Vorstellungsart war die Unschuld und Reinheit meines Herzens unwiederbringlich verloren. Ich war jeder Wohlthat des Christenthums unwerth; nur durch eine Zerknirschung, die ich immer nicht hinreichend für die Größe meines Fehlers hielt, sollte ich können gereinigt werden. Mein Sinnen, wie ich diese hervorbringen wollte, gränzte nahe an Verstandeszerrüttung. Auch meine arme Mutter litt viel. Ihre stille, harmlose Seele erlag unter der Qual meines innern Gemüthszustandes, der ihr nicht entging. Der heftige, excentrische Moorfeld haranguirte bei allen Gelegenheiten mit einer an Verzückung gränzenden Spannung. Sie war von Herzen fromm; aber ihre feine, liebende Seele schätzte und verehrte Tugend und Rechtschaffenheit, ohne das Laster mit Leidenschaft hassen[52] zu können. Ihr Herz faßte keinen Haß, und ihre Religion war das Einfachste und Zweckmäßigste, was je eine menschliche Seele zur strengen Erfüllung aller Pflichten antrieb. Sie litt sichtlich, wenn ihr Gatte mit erschütternder Stimme und Gebehrde über religiöse Gegenstände sprach; und als er uns einst in dieser Manier eine Passionspredigt vom seligen Kramer vorgelesen hatte, klagte sie über Schwindel und Nervenschwäche.
Jetzt traf diese Heftigkeit ein geliebtes Kind, den lebendigen Abdruck eines, in ihrem stillen Herzen noch lebenden, geliebten Gatten. Unser Verhältniß wurde mit jedem Tage gespannter, so, daß es uns allen Wohlthat war, als ein Brief von der Räthin Brennfeld ankam, der mir Aufnahme in ihrem Hause zusicherte.
Meine kleine Reiseequipage war bald zusammengebracht. Die gute Mutter besorgte[53] alles; ich war ganz unthätig und wie betäubt. Noch einmal wagte die Arme mir das Wort zu reden, indem sie ihrem Gatten vorstellte, daß durch mein Verschwinden der Verläumdung freies Spiel gegeben würde. Dadurch erhielt sie so viel, daß er dem jungen Nachbar Lieutenant, der an dem ganzen Unwesen Schuld war, einen Besuch abstattete, ihm meine edle Offenheit rühmte, des Herrn Lieutenants Edelmuth ebenfalls in Anspruch nahm, und sich die Briefe ausbat, die er von mir erhalten hatte. Es war nur ein einziger, mit Lalage unterschrieben. Mein Stiefvater war redlich genug, ihn ungelesen in's Feuer zu werfen; im Herzen wünschte meine Eitelkeit aber, er möchte ihn lesen, denn ich war überzeugt, er würde über das Talent der Briefstellerin in Bewunderung ausbrechen.
Ich war ohne Fassung, als die Stunde[54] der Abreise schlug. Wer es kennt, was es heißt sich von geliebten Personen, von lieben Gewohnheiten loszureißen! – »Ach, wohl kenne ich das! O, es ist das Schmerzlichste! unbeschreiblich schmerzlich! Ja, Minna, ich kenne es, und denke mit zerrißnem Herzen zurück!« – sagte Ida, mit nassen Augen. Es war ein schöner Maitag, – fuhr Minna fort. Als ich zögerte und zitterte, und immer nicht vermochte, gab mir ein Blick meines Stiefvaters, der zu fragen schien, was daraus werden sollte? Kraft, mich loszureißen. Er setzte sich zu mir in den Wagen, und entriß mich einem Städtchen, das der Reisende kalt betritt und verläßt, mir aber eine Welt voll Seligkeit gewesen war.
Der Frühling hatte sich eben in seiner ganzen verherrlichten Gestalt entfaltet. Über die Fluren wallte ein mildes Grün; an allen Wegen war Blüthenduft und Vogelgesang.[55] Meinem armen, fast gebrochnen Herzen wäre eine freudenleere Einöde lieber gewesen, denn die mich umgebenden Schönheiten ließen mich eiskalt. Mein herrschendes Gefühl war Trennung von der Mutter, und Abscheu gegen den Ort meines künftigen Anfenthaltes. Mein Stiefvater fühlte menschlich genug, um mich einige Stunden mir selbst zu überlassen; sobald er aber bemerkte, daß die äußern Gegenstände wieder bei mir Eingang fanden, fing er ein Gespräch an, worin er mir hunderterlei Erinnerungen gab, wie ich mich nun in Zukunft zu betragen hätte; wie sehr meine kleinstädtischen Sitten abstechen würden; wie erbärmlich wenig ich gelernt hätte; – mein bischen Musik wäre dort kaum Geklimper; meinem Französisch fehle es an der rechten Aussprache; welche ungemeine Ehre es für mich sei, in den Kreis seiner Familie versetzt zu[56] werden; wie tiefe Ehrfurcht ich seiner Schwester, die eine vornehme und geehrte Person sei, erweisen müsse, wobei der Handkuß nicht vergessen wurde. Durch alle diese Vorspiegelungen suchte er in mir das demüthige Gefühl meiner Unbedeutsamkeit zu erwecken, und es gelang ihm nur zu gut. – Mein kleiner Ehrgeiz war empört; ich haßte im Voraus die Menschen, die mich so zu nichts machen würden, und verwünschte von ganzer Seele meinen künftigen Wohnort, als er sich mir unerwartet von einer Anhöhe darstellte. So nahe waren wir ihm schon.
Da lag nun vor mir, von der Abendsonne übergoldet, die schöne Königsstadt mit ihren hohen Thürmen und vielen tausend pralenden Dächern. Ich brach in einen Strom von Thränen aus, und machte meinem Herzen durch Äußerungen des heftigsten Widerwillens[57] Luft, die mein Reisegefährte mit leidlicher Geduld anhörte, und mit nur die Weisung gab, meine unverschämte Meinung für mich zu behalten, und ihm nicht den Genuß des ersten Wiedersehens der herrlichen Stadt zu verkümmern. Ich wurde stille, und darüber verwandelte sich selbst mein Unmuth in bange Erwartung, aber das ungewohnte Gewühl mißfiel mir, ich hatte damals noch keinen Sinn, Freude an dem Erwerbgeiste, dem Bestreben und der Indüstrie der Einwohner zu finden. An allen Ecken versperrten prächtige Equipagen unserm kleinstädtischen Fuhrwerk den Weg; denn unsre drei, mit weißleinenen Decken behangenen, Landtraber gingen gar breit auseinander. Hier geriethen sie zwischen Mehlfuhren, dort zwischen Holzhauer; dann fuhren sie nahe an Hökerbuden, so daß unser arme Christoph beinahe den Kopf verlor, und nun ganz toll und blind[58] hineinsprengte, so schnell die müden Klepper nur vermochten. So kamen wir endlich, nach manchem Zwiste mit Kutschern und Trägern, in der Abenddämmrung vor dem Hause des Rath Brennfeld an.
Mit lautem Herzklopfen betrat ich dieses Haus, im bangen Vorgefühl alles Ungemachs, das mich hier erwartete. Ein junges geschniegeltes Hausmädchen empfing uns, und berichtete mit affektirtem Schnarren: die Frau Räthin seien nicht zu Hause, würden aber unfehlbar zum Abendessen erwartet. »Meine Schwester vermuthete unsere Ankunft doch?« – fragte mein Stiefvater. »Ja; aber die Frau Räthin sind schon seit vierzehn Tagen beständig engagirt gewesen. Heute ist Thee dansant bei – – ich weiß nicht mehr wem? Sie konnten es nicht abschlagen.«
Das schnippische Mädchen musterte mich[59] von oben bis unten indem sie sprach, und als wir die Treppe hinaufgingen, hört' ich sie laut lachen, und der Köchin zurufen: »Die sieht verzweifelt kleinstädtisch aus!« – Dieser Pöbelwitz, den ich zu jeder andern Zeit nicht bemerkt haben würde, schlug mein gepreßtes Herz vollends nieder, und, kindisch genug, drückte ich mein kleines Hündchen an mich, indem ich ausrief: »Ach, arme Kolombine, wie wird's uns hier gehen!«
Das Wohnzimmer der Dame, in welches man uns eintreten ließ, war kalt und unfreundlich, und noch naß vom Scheuern, weshalb uns auch das Mädchen die Weisung gab, uns ja auf den von Leinwand gelegten Fußsteigen zu halten. In diesem unwirthbaren Zimmer sah man keine Spur einer weiblichen Niederlassung, außer einem mit Büchern bepackten Sopha, und einem mit Visitenkarten eingefaßten Spiegel.[60]
Mein Stiefvater schien über den seltsamen Empfang betroffen zu seyn. In der That machten wir, jeder auf seinem Leinwandstreifen dem andern gegenüberstehend, eine possierliche Gruppe; er, auf den Fußtritt seiner Schwester lauschend, ich, in mich gekehrt, meine Kolombine im Arm, den Blick vom gegenüberhängenden Spiegel abwendend, aus Furcht, die Figur zu erblicken, die im Hause schon Lachen erregt hatte.
Nach einer halben Stunde erschien zuerst Herr Brennfeld, ein Mann von mittlern Alter, dem Frieden und Vollgenuß im angenehmen Gesicht saß. Er hieß uns liebreich willkommen, und entschuldigte die Abwesenheit seiner Frau, so gut es anging. Der Ton seiner Unterhaltung war ungekünstelt, treuherzig und Zutrauen einflößend; ich glaubte meinen seligen Vater zu hören. Der gütige Mann gab mir Gelegenheit zu[61] sprechen, und hob dadurch ein Gewicht von meinem Herzen, welches in seiner stummen Verschlossenheit zum Zersprengen voll war.
Um Sie durch Weitläuftigkeiten nicht zu ermüden, eile ich zur Zuhausekunft der Frau Näthin, die erst nach einer guten Stunde erfolgte. Mir schlug das Herz, als ich auf der Treppe eine hohltönende weibliche Stimme fragen, oder vielmehr schreien hörte: »Wo ist mein Bruder? wo ist er?« Die Thür flog auf, und eine hagre Gestalt stürzte mit theatralischem Anstande dem Bruder in die Arme. Statt der Rührung empfand ich Widerwillen gegen diese Art, Freude auszudrücken; denn der Ton ihrer Stimme war nicht der Ton der Freude und schwesterlichen Liebe, er war rauh und unbiegsam, und es schien mir eine Lieblingsmelodie, der ein fremdartiger (heterogener, würde[62] Madame Brennfeld sagen) Text untergelegt wird. Nach dieser geräuschvollen Bewillkommung eilte sie mit offnen Armen auf mich zu: »Tochter meines Bruders, – schrie sie, – mein Herz heißt Dich willkommen!« Sie sagte noch mehr, was herzlich seyn sollte, an meinem Herzen aber eiskalt hinstreifte; denn ich hatte diese Wendungen erst ganz kürzlich irgendwo gelesen. Meine Antwort bestand in einigen unvernehmlichen Worten, und wohl einem Dutzend blöder Knikse, die ich in ehrerbietiger Ferne rasch hinter einander machte, und die zu nichts dienten, als meine Verlegenheit anzudeuten, welche durch den entsetzlichsten Verstoß meiner Kolombine gegen alle Lebensart, aufs höchste getrieben wurde. Sie hatte sich den Bewillkommungstumult zu Nutzen gemacht, und, trotz des frischgescheuerten Fußbodens, gethan als ob sie zu Hause wäre. Ich war erstarrt vor[63] Schrecken, und kam aus aller Fassung, als die Dame mit fürchterlichem Kreischen schrie: »O pfui! was ist das für ein Hund?« – Sie erklärte kurz und rund heraus: Hunde dulde sie in ihrem Hause nicht, öffnete die Thür, und scheuchte die widerbellende Kolombine mit dem Schnupftuche hinaus. Ich stammelte etwas zur Entschuldigung, aber kein Mensch verstand es. Der gütige Hausherr bemitleidete meine Verlegenheit, öffnete leise die Thür, das kleine Thier schlüpfte ungesehn herein, und schmiegte sich reumüthig an meine Füße.
Mein Stiefvater hatte versichert, daß seine Schwester das unnütze Geschöpf loswerden solle, weil er mir befehlen würde, es sogleich abzuschaffen. Ich seufzte tief. So unbedeutend an sich dieser Vorfall ist, so war er mir ein klarer Beweis, wie wenig Nachsicht und Schonung die kleinen unschuldigen[64] Neigungen meines Herzens in dieser Familie zu erwarten hatten.
Madame Brennfeld war hagerer Gestalt, mit schlangenartiger Biegsamkeit begabt; in der Sprache der feinen Welt nannte man sie degagirt. In ihrem damals noch jugendlichen Gesichte lag eine Härte, die mir gleich gar nicht zusagte. Sie galt im Ganzen für hübsch; bei genauerer Untersuchung fand man aber, daß es der feine, überlegt gewählte Putz war, der jeden Theil des Gesichts und der Gestalt in sein vortheilhaftestes Licht setzte. Ich habe dagegen nichts einzuwenden, auch nicht gegen das wenige Roth, welches sie auflegte, die bleichste Gesichtsfarbe zu heben; denn in meinen Augen hat Rothauflegen und Puder in die Haare streuen eine Absicht, und beides ist als Verschönerungsmittel gleichgültig, in so fern die Gesundheit nicht darunter leidet. In ihrer[65] Unterhaltung zeigte sie bald die Gelehrte, durch hochtönende Worte sowohl, als durch Citate von Autoren aus allen ihr bekannten Sprachen, der französischen, englischen und italienischen. Bei dem allen machte sie ihrem Bruder doch viel Herzleid, der gegen grammatikalische Unrichtigkeiten ein so empfindliches Ohr hatte, wie der Tonkünstler gegen falsche Töne. Er unterbrach sie bei jeder Phrase mit Bemerkungen, daß hier der Dativ und dort der Genitiv stehen müsse. So pries er auch ein Frauenzimmer als ganz trefflich, weil er sie noch nie auf einem Sprachfehler ertappt hatte.
Die Frau Räthin hätte sich gewiß weder ihres Bruders, noch viel weniger meinetwegen in Kosten der Unterhaltung gesetzt; denn ihr Bruder schien ihr in der kleinen Stadt verspießbürgert, und mir traute sie nicht einmal zu, daß ich Notiz von mehr[66] als meiner Muttersprache haben könne. – Ihr Aufwand von Redekunst und gelehrtem Prunk wurde eines jungen Herrn wegen gemacht, den sie aus der Theegesellschaft mitgebracht hatte. Sie stellte ihn ihrem Mann als den Baron von Löwenberg, den Neffen der Frau Ministerin, vor. Der Rath schien an dergleichen Vorstellungen gewöhnt zu seyn, und fand es nicht unbequem, wenn seine wortreiche Gattin die ganze Unterhaltung allein bestritt.
Der junge Mann war nicht uneben, jagte nach Witz, den er oft glücklich genug erhaschte, und da die Frau Räthin sich trefflich auf Eitelkeit verstand, so schmeichelte sie der seinigen sehr angenehm damit, daß sie ihn bat, von seinen Gedichten vorzulesen. Er hatte ein ganzes Volumen davon bei sich, und deklamirte sehr niedliche Sächelchen, die selbst mein Stiefvater, kein übler[67] Kenner, bis auf grammatikalische Richtigkeit recht hübsch fand; Madame aber rief einmal über das andere: »Gott, Gott, wie schön! o, excellent, excellent! o, das müssen Sie mir geben, Baron; ich will es an J... für sein Journal schicken.« Oder sind Sie Mitarbeiter einer Zeitschrift? – »Nein,« sagte der ganz Bescheidene, »mein Talent ist noch zu roh; und ich kann nicht leugnen, daß eine Rezension in dem jetzt üblichen Tone mir weher thun würde, als der Beifall mir wohl thun könnte.« – »O nicht doch, Baron,« fuhr die Räthin fort; »Ihre Bescheidenheit geht zu weit! Geben Sie mir's, geben Sie mir's! Morgen schreib' ich an J..; kein Rezensent soll Sie packen, ich steh' Ihnen dafür! Es kommt ja alles auf Konnexion und Anhang an, und diese kann ich Ihnen verschaffen.« – Sie bemächtigte sich seiner Papiere, und legte sie in die Rücklehne ihres Sophas.[68]
Bald trat noch ein junger Geistlicher ein, der sich ebenfalls als ein demüthiger Verehrer der Dame zeigte. Seine überschwengliche Redseligkeit schien ihr indeß wenig zu gefallen. Er sprach in zehn Minuten gewiß über dreißig verschiedene Materien; knisterte auch mit einem Manuscript, welches aber nicht Eingang fand, sondern auf die nächste gelehrte Zusammenkunft ausgesetzt wurde. Der junge Geistliche war auch ein Dichter; da ihn jedoch die Rezensenten erst kürzlich jämmerlich zerfleischt hatten, so mochte er vielleicht die wunden Stellen neuer Berührung nicht bloßstellen wollen. In diesem Fache überließ er dem Baron das Feld.
Zu meinem Troste erschien der Bediente, der uns zu Tische rief. Noch gedenke ich mit Widerwillen jener Abendmahlzeit, als der drückendsten, der ich je beiwohnte. Ich fühlte, daß ich in dieser Familie nie einheimisch[69] werden könne; der Ton derselben war mir durchaus fremd und mißfällig. An altdeutsche Fülle und Überfluß gewöhnt, bemerkt' ich allenthalben den kargen Zuschnitt, nebst dem lächerlichen Bestreben, es größern Häusern gleich zu thun. Der, immer auf meine Bedürfnisse aufmerksame, Rath Brennfeld bemerkte, daß ich meinem armen kleinen Thiere ein wenig Brod hinreichte; er schnitt sogleich Braten für dasselbe ab, welches aber Madame mit einem »Fi donc, mon cher, Sie werden doch nicht« – – mißfällig bemerkte.
Gegen Mitternacht hatte ein jeder die Freiheit, sich in sein Zimmer zu begeben. Auch der Raum, wohin man mich wies, hieß hier ein Zimmer. Wie ich überhaupt schon bemerkt hatte, daß es hier zum Tone gehörte, die gemeinsten Dinge mit schönen Namen zu putzen, so nannte man bei Tische[70] zähes Schmoorfleisch »à la daube,« gemein gekochte Krebse »à la dauphine,« einen, an der Treppe stehenden, baufälligen Kleiderschrank »eine Garderobe,« u.s.w. Dieses Zimmer denn also, welches mir zur Wohnung angewiesen wurde, war ein Gegenstück zu den Zimmern in der Bastille, und an der Beschaffenheit des darin befindlichen Mobiliars merkte ich bald, was ich in dieser Familie seyn würde.
Statt mich niederzulegen, setzte ich mich auf den einzigen alten Stuhl, der vorhanden war, und weinte bitterlich. In einem Nebenzimmer hörte ich meinen Stiefvater, auf und abgehend, mit lauter Stimme ein Abendlied singen. Diese bekannten Töne, die ich so oft, in Gegenwart meiner guten Mutter, gehört hatte, durchdrangen mein Innerstes aufs schärfste. So saß ich traurend, bald mich selbst, bald mein Hündchen[71] beklagend, bis das kurze Stümpfchen Licht, welches mir gegeben ward, ausgebrannt war, und ich im Finstern nach dem Bette tappte.
Und das wollen wir jetzt auch thun. Sie husten, meine Ida. Die Nacht ist kalt. Bis auf frohes Wiedersehn!
Der folgende Abend brachte die Freundinnen wieder zusammen, und Minna setzte ihre Erzählung also fort:
Die Frau Räthin, die ich am folgenden Tage sah, als sie um zehn Uhr aufgestanden war, schien mir eine ganz andre zu seyn, als die, der ich Abends zuvor eine gute Nacht gewünscht hätte. Sie zankte mit ihren Mägden; und als eine arme Frau ihr Handbesen verkaufte, drückte diese elegante Dame das arme Weib, um zwei Pfennige weniger[72] zu geben, bis aufs Mark. In Putz und Spiel schien sie nicht so karg zu seyn, wie ich häufig genug bemerkt habe.
Ich übergehe die unlustigen anderthalb Jahre, die ich in diesem Hause der Zwietracht und der Widerwärtigkeit verlebt habe, und erwähne nur noch einer Szene, wodurch Madame bis zu Thränen gedemüthigt wurde, und die mir unvergeßlich geblieben ist. Zu den Abendessen, welche sie ihre gelehrten Donnerstage hieß, fanden sich immer viele junge Herren, die Schöngeisterei trieben, ein. Ihr Liebling und erklärter Verehrer war ein junger Edelmann aus der Provinz, den sie so verstrickt hatte, daß er seinem Berufe nicht mehr oblag, und seine mehrste Zeit in behaglichem Müssiggange zubrachte. An einem schönen Donnerstage – Madame war so besonders guter Laune, daß sie sogar mich, der armen Lastträgerin, eine Stelle in der[73] gelehrten Zusammenkunft anwies, und mich das Fortepiano spielen ließ, – blieb der erwähnte junge Herr aus; schickte aber an Madame einen Brief von seiner Mutter an sie, der ihm als Einlage zugeschickt war. Das war ein Fund für die Übermüthige! – »Ha!« rief sie, »ein Brief von einer Landedelfrau! Das wird sehr amüsant seyn, ich versichere Sie! Lesen Sie, Baron, meine Augen sind mir zu lieb;« (indem sie einem jungen Herrn den Brief zureichte). Der Baron erbrach und las:
»Wohlgebohrne Frau! (wahrhaftig, eine vielversprechende Überschrift!) Meine Verwandte, die mit Ihnen an einem Orte sich befinden, haben mir einen hohen Begriff von Ihrem Verstande, (o! sehr gütig!) aber zugleich auch von Ihrem Talente, junge Männer – – (des Barons Stimme stockte; die Räthin rief: so lesen Sie doch!)[74] junge Männer von ihrer eigentlichen Bestimmung abzuziehen, beigebracht.« (Was will die Frau damit sagen?) »Sie haben meinem Sohne einen Ekel vor jeder ernsthaften Amtsbeschäftigung durch Tändelei und jede Modelektüre eingeflößt.« (Wie? ist sie toll? ist sie toll? Der Baron las unbarmherzig mit schallender Stimme weiter; denn er beeifersüchtelte den Abwesenden um ihre Gunst.) »Bedienen Sie sich doch der Gewalt, die Ihnen seine Weichlichkeit über ihn eingeräumt hat, und geben Sie ihn mir, geben Sie ihn seinen Pflichten zurück, dann können Sie auf den Dank einer Mutter rechnen, der es nichts gilt, daß ihr Sohn ein alter Edelmann ist; die aber untröstlich seyn würde, wenn er, uneingedenk seiner Bestimmung als nützlicher Staatsbürger, seine kostbare Zeit vertändelte. – Fährt er fort Ihre Ketten zu schleppen,[75] so werden seine Vormünder dafür sorgen, daß er, weit von Ihnen entfernt, in eine andre Laufbahn versetzt werde. Ich bitte dies zu beherzigen, und habe die Ehre etc.«
Das ging der Dame bitter ein; sie war einer Ohnmacht nahe, und hätte besonders mich gern mit den Augen getödtet, weil ich mich unterstand zugegen zu seyn. Ich saß da wie auf Kohlen, und wünschte mich weit weg. Mir traten Thränen in die Augen; denn es war wirklich schrecklich, diese stolze Frau so aufs Blut gedemüthigt zu sehen. Dieser Vorfall, – sollten Sie's glauben? Ida! – verschaffte mir die Verehrung eines Mannes, der nachher mein Gatte wurde. Er, dem es bekannt war, wie die Räthin mich zu mißhandeln pflegte, hatte mich beobachtet, ob ich triumphirend auf sie hinblicken würde; als er aber das Gegentheil sah, dachte er gut genug von meinem Herzen,[76] um mir das seinige nebst seiner Hand anzubieten.
Seit diesem unseligen Auftritte ließ es sich die Räthin immer deutlicher merken, wie sehr ich ihr zuwider sei, und wie gern sie mich los zu seyn wünsche. In dieser Rücksicht beförderte sie die Bewerbung des Rath Thalheim aufs eifrigste. Ich hatte nichts entgegenzusetzen, als daß mein Herz ihn gar nicht auszeichnete; er war mir, wie alle übrigen Männer in der Welt, gleichgültig. Von dieser Seite war ich völlig frei und unbefangen. Der Wunsch meiner redlichen Mutter, mich versorgt zu sehn, wurde durch meine Zustimmung aufs vollständigste erfüllt; denn Herr Thalheim hatte nicht nur ein einträgliches Amt, sondern auch eigenes Vermögen, und machte einen anständigen Aufwand. Seine Person war nicht übel; sie streifte an die damalige Art von Eleganz,[77] für die ich einen ungemeinen Respekt hegte. Sein Verstand gefiel mir. Er war von der heitern Art, liebte Scherze und witzige Einfälle, brachte selbst welche vor, die immer zu gefallen pflegten, und, was das Beste und Liebste war, er hatte Geschmack genug gehabt, mich zu bemerken, und mich aus dem Druck' und Hungerelende meiner höchst untergeordneten Lage im Hause der Madame Brennfeld hervorzuziehen.
Sobald ich die Einwilligung meiner Mutter wußte, zögerte ich nicht mein Jawort zu geben; die Anstalten wurden eifrig betrieben, und meine gütige Mutter kam bald mit der schon fertigliegenden Ausstattung an. Sie war sehr zufrieden mit ihrem zukünftigen Schwiegersohne, und gab uns ihren Segen, als die priesterliche Hand uns zusammengefügt hatte.
Bis jetzt, meine Ida, haben Sie mich als[78] ein leidlich gutes Mädchen kennen gelernt; aber der zweite Akt meines Lebens! – ach, Ida, was für eine Erzählung steht Ihnen bevor! – – Die jugendliche Liebelei abgerechnet, die mir nicht ins Herz drang, war ich wohl ein gutes Mädchen: denn mir gefiel zwar die Liebe, die meinem Wesen Bedürfniß des Herzens schien; der Geliebte war es jedoch nicht, den ich eigentlich meinte. Ein Besserer würde mir besser gefallen haben; aber der, an dem ich meine Schwungkraft übte, war mir der Nächste, und lief mir in den Weg. Ach, ich fühlte mich so ganz geschaffen, durch Liebe zu beglücken, und beglückt zu seyn; aber ich sollte auf anderem Wege die Glückssonne finden, welche die zweite Hälfte meines Sommers erwärmt!
»Der zweite Akt, liebe Minna, der zweite Akt! Ich bin begierig, die Räthin Thalheim kennen zu lernen!« – rief Ida.[79]
Ich zog triumphirend in meines Gatten wohleingerichtetes Haus ein, und brüstete mich ein wenig, da verschiedene Domestiken mir als Frau Räthin huldigten. – In meiner bisherigen Unterdrückung war ich, außer dem gelehrten Häuflein bei Madame Brennfeld, wenig in fremde Familienzirkel gekommen; die Welt, in die mein Mann mich einführte, war mir also eine neue Erscheinung, so wie ich es ihr war. Ich meinerseits betrat sie mit großen Erwartungen; ob sie sich die Mühe gegeben, etwas von mir zu erwarten, – das weiß ich nicht.
Ich hatte meine neue Haushaltung mit dem festen Vorsatze betreten: im ganzen Umfange des Worts Hausfrau zu seyn. Diese Pflicht, dacht' ich, wird ja wohl mit Weltgenuß nicht unvereinbar seyn? – Ich will haushälterisch mit meiner Zeit umgehn, und mir nur dann erst Erholung verstatten, wenn[80] ich sie mir durch Fleiß und Häuslichkeit verdient habe. Ich ging alles Ernstes daran, jedes Fach des Hauswesens zu ordnen, jedem Dienstboten seine Bestimmung und Arbeit anzuweisen; aber ach! ich war bei weitem noch nicht mit meinen häuslichen Einrichtungen zu Stande gekommen, als ich dem Gebrauche fröhnen, und mich den Forderungen der Konvenienz hingeben mußte. Da rollte ich nun Tage lang durch die Straßen, und schickte an Familien, die mir sogar dem Namen nach fremd waren, Katten, mit meinem, ihnen wahrscheinlich sehr gleichgültigen, Namen. In meinem Zimmer fand ich ebenfalls den Spiegel mit mehr als hundert unbekannten Namen verbrämt. Ich hatte niemand kennen gelernt, und doch hieß das Bekanntschaft machen. Dies fand ich sehr langweilig. Durch die Gastgebote, die dem jungen Paare zu Ehren veranstaltet[81] wurden, hoffte ich nun meine Erwartungen von den Freuden des geselligen Lebens erfüllt zu sehen. In dieser Hinsicht unterwarf ich mich geduldig dem entsetzlichen Zwange einer dreistündigen Toilette, bei welcher ich nicht ohne Rührung an die Simplizität meiner Vaterstadt dachte. Mein schön gewählter Putz und mein ins Gehör fallender Titel schienen mich zu einigem Selbstvertrauen aufzumuntern, und ich trat mit einer Zuversicht, die mir sonst gefehlt haben würde, in den großen Zirkel ein. Allein du stolzer Muth, wie tief sankest Du in Dich selbst zurück! Ich fühlte mich in jeder Rücksicht verdunkelt; hier war mehr Eleganz in Kleidern und Putz, dort mehr Anstand und Grazie. Mehr als alles aber waren mir die, sich so zu sagen überbietenden, Titel verdrießlich. Ich fühlte, daß man, um wirklich etwas zu seyn, nichts seyn müsse.[82] In diesem Augenblicke hätte ich den Titel, auf den ich noch eine Stunde vorher so geprunkt hatte, der sich nun unter höherstrotzenden demüthig hinwegschlich, um eine Stecknadel hingegeben. Doch der längre Weltgebrauch hat mich nachher gegen diese Thorheit, durch leeren Schall schimmern zu wollen, so abgestumpft, daß ich mich hätte Excellenz betiteln hören können, ohne mir etwas dabei zu denken.
Die ganze Unterhaltung bei Tische lief auf Gemeinplätze hinaus; aber der artige Styl des Vortrags bestach mein Urtheil, und ich hielt es für ganz hübsch. Indeß fühlte ich recht gut, daß ich hätte mitsprechen können, aber ich wagte mich nicht hervor. Meiner Sprache fehlte die Geläufigkeit des Ausdrucks und der Wendungen; auch entging ihr das Gepränge gewisser Modewörter, ohne welche sie nur falsche oder abgesetzte[83] Münze ist. – Nach Tische, dacht' ich, wird's besser gehen; ich werde mich an ein weibliches Wesen anschließen, und vielleicht, vielleicht fügt's das gütige Verhängniß, daß ich eine Freundin finde, nach deren Genuß mein entgegenstrebendes Herz sich längst sehnt; denn immer war Freundschaft der goldene Traum meiner Jugend gewesen. Aber im Kaffeezimmer war ich um nichts gebessert; und wäre ich aus Indien gekommen, ich hätte ihnen nicht fremder seyn können. Sie sammelten sich in Gruppen, unterredeten sich von Lottchen und Kätchen, und hatten ihre Lokalspäße, ihre Lokalerinnerungen, als wär' ich gar nicht da gewesen. – Dies Gespräch war mir wie eine Vorlesung aus der chaldäischen Bibel. – Keine nahm Notiz von der Fremden; ich strickte daß mir der Schweiß von der Stirn rann. – Eine ältliche Frau schien meine unbehagliche Lage zu bemerken;[84] sie näherte sich mir, und that eine Frage nach meinem Geburtsort und Eltern, wie man sie einem Kinde thut. Plötzlich schoß nun das ganze Geschwader mit Fragen über mich her, deren Beantwortung gar kein Interesse für sie haben konnte; und dies dauerte ununterbrochen fort, bis die Damen ihre Parthieen machen sahen, mich plötzlich plantirten, – wie der Franzos es sehr ausdruckvoll nennt, – und nun mit wahres Gier über die Karten herfielen.
Die ältliche Frau, welche den Fragern die Bahn gebrochen hatte, blieb zu meiner Gesellschaft allein übrig. Sie war noch immer unersättlich in ihrer Wißbegierde, aber leider! war jetzt mein Mund wie versiegelt. Als dieser Abend nun auch überstanden war, bat ich meinen Mann, mich fernerhin nicht mehr so traurigem Vergnügen auszusetzen. Er fragte mich lachend: ob mir in meinem[85] Städtchen Gänsespiel, Tipp- und Sandhäufchenspiel besser gefallen habe? – Wir lachten wenigstens dabei aus frohem Herzen, niemand fühlte sich zurückgesetzt, und Jung und Alt waren froh ohne großen Aufwand, antwortete ich. – »Wenn Du nur erst den Ton gefaßt haben wirst, wird es schon besser gehen,« – meinte mein Mann.
Von dieser Zeit fing ich an auf den Ton auszugehn, und alles dafür zu halten, was von dem Gewohnten abstach. Das Geräusch der Kokette, womit sie Aller Augen auf sich zu ziehen suchte, die Pedanterie der Anspruchvollen, die mit studiertem Ausdruck ihre Belesenheit auskramte, jede Besonderheit hielt ich für das rechte. So wurde ich immer ungewisser in dem, was ich eigentlich seyn müßte; und erst lange nachher, als ich zu vergleichen Gelegenheit und Reife genug hatte, fand ich, daß ich einem Phantom[86] nachgejagt war; daß es in der karakterlosen Menge keinen bestimmten Ton giebt noch geben kann; das alles Beginnen und Treiben nur Konvenienz und Laune des Augenblicks ist, und daß auf schwankendem Grunde nie etwas Festes und Dauerndes aufgeführt werden kann.
Nach langem Umherschwirren und lästigem Selbstbewirthen wurden wir endlich zu einer Gesellschaft solcher Männer eingeladen, die ich aus ihren Schriften, gleich unsichtbaren wohlthätigen Gottheiten, verehrt hatte. Bei der Vorstellung, daß ich diese erhabnen Wesen jetzt in der Nähe von Angesicht zu Angesicht sehn würde, ergriff mich ein heiliger Schauer, mein Geist neigte sich ehrfurchtsvoll, und ich besorgte, mit meinen fünf Sinnen die Weisheit nicht auffassen zu können, die mir zu hören bevorstand. Ich ging, und hörte an dem Ausdruck: »wir[87] Rezensenten« – – sehr bald, wer die meisten dieser Herren waren. Da gedachte ich eines französischen Reimleins, was mein Vater einst bei einer sehr hämischen Rezension sagte:
»Haine de philosophe est un feu qui devore,
Haine de gazettier est mille fois pis encore.«
»Ich habe die Vorrede gelesen,« sagte einer, »das Buch soll nicht sonderlich seyn; ich werde es schön kappen!« – Dann ein anderer: »Haben Sie meine Rezension von dem – – in dem – – gelesen? Ich habe mir einen Spaß mit dem Verfasser gemacht. Das Ding ist eigentlich ganz gut; aber so einer – – muß nicht aufkommen. Hat der Mensch sich's nicht beikommen lassen, unser Journal zu bekritteln?« – Von einem liebenswürdigen[88] Dichter hieß es: »Er hat Verdienste, der Mensch; aber wer kennt ihn? Er ist ja zu keiner Seele gekommen, als er hier war.«
Die Frauen nahmen auch hier, so wie in den andern Gesellschaften, keine Kunde von der Unterhaltung der Männer, und flüsterten einander ihre kleinen Unbedeutsamkeiten zu. Ich verließ auch diesen Zirkel unbefriedigt, weil ich zu hohe Anforderungen gemacht hatte; aber diese Namen, dieser Ruf, berechtigten doch zu etwas mehr als dem Gewöhnlichem! Mein Mann nahm mir's übel, als ich meinen Widerwillen gegen den Rezensentenklub zu erkennen gab. »Sollte sich denn nirgends Genuß für meine achtzehnjährige Philosophin finden?« sagt' er verdrießlich. »Heut' führ' ich Dich in's Schauspiel; und gewährt Dir dieses nichts, so muß ich's wohl aufgeben, Dir Freuden[89] außer Deinem Hause zu verschaffen.« Der liebe Mann! Er fühlte nicht, daß eben darin der Mißgriff geschehen war. Wer Glück und Freuden außer seinem Hause zu suchen sich aufmacht, der umreise wie Anson und Cooke die Welt, er durchschaue Höfe und Palläste: er findet es nicht; denn er ließ es oft in seinen vier Wänden, auf einem armen Plätzchen am Kamin, in seinem schlechten Lehnstuhle zurück. Sie kennen gewiß die über alles liebenswürdige Allegorie: Bathmendi von Florian; sie ist ein schöner Kommentar über das, was ich jetzt sagte.
Ich rechne mir es nicht zum Verdienst an, daß ich im Schauspiele ein Vergnügen fand, das mich ganz an sich zog. Ifflands Jäger fesselten mich durch ihre Wahrheit und reine Natur, die ich kannte. Iffland ist der Stolz und die Ehre der Nation; seinen vielfachen Werth nicht fühlen wollen,[90] hieße sich selbst herabsetzen. Ich sah alles, was von ihm war, und von der Zeit an überließ ich mich diesem Vergnügen mit Leidenschaft. Mein Herz öffnete sich wieder sanfteren Eindrücken; die gesellschaftlichen Zerstreuungen, die nichtssagenden Unterhaltungen hatten es, wie mit einer Kruste von Eis, umgeben. Bei manchen Vorstellungen wurde ich weich; ich gedachte des Morgenroths der Liebe, die einst einem so unwürdigen Gegenstande in meinem Herzen aufging. Ach, mein Herz bedurfte der Liebe, wie die Blume des Thaues! Wenn mir der Himmel, so wie ich es gegenwärtig einsehe, Töchter zu erziehen gegeben hätte, ich würde dafür sorgen, sie mit hunderterlei kleinen Spielereien, zu der Zeit, wenn ihr Herz zu erwachen anfängt, zu umgeben; mit Hündchen, Hühnerchen, Täubchen, Blümchen, etc. Ich würde ihnen einen Garten einräumen, den sie im eigentlichen[91] Verstande bearbeiten müßten; ich würde sie durch kleine Tändeleien, die das Herz beschäftigen, hinzuhalten suchen, um dem Drange, zu lieben, den Rang abzulaufen. Denn, wenn dieser hervortritt, liegt gewiß die Sinnlichkeit im Hinterhalte, und springt, gleich einer gereizten Schlange, in dem ersten unverhoften Augenblicke hervor, den bei rascher Jugend ein Tanz, ein Glas Wein, ein von ungefähr ins Ohr gefallenes schlüpfriges Wort herbeiführen kann. Ida, ich überhebe mich nicht, weil ich in dem ersten Versuche nicht fiel; eine Zusammenkunft unter Gottes freiem Himmel, – ein Liebhaber, dessen Plumpheit meinem Gefühle widerstand! – wer weiß, was schon damals aus dem unbesonnenen Mädchen geworden wäre, wenn die Mißverhältnisse nicht so gar grell ins Auge gefallen wären. – Ich war überdem zur Schamhaftigkeit erzogen, und hatte aus[92] Geßners Idyllen mein erstes Ideal von Liebe geschöpft.
Ich kehre zu meinen Bekenntnissen zurück. Das Schauspiel fesselte mich so, daß ich gleichsam in eine idealische Welt versetzt war. Meine Phantasie hatte einen so lebhaften Schwung bekommen, daß mir die kältern Verhältnisse meines Hausstandes zum Ekel wurden. Der ruhige, bloß freundschaftliche Umgang mit meinem Manne schien mir träge Abspannung zu seyn; mich grauete vor aller häuslichen Beschäftigung; ich verrichtete sie obenhin und mit Widerwillen. Das Leben im Hause war mir ein bloßer Mittelstand, welchen ich ertrug, in so fern et Zubereitung zu der bessern Existenz im Schauspielhause war.
Anfänglich lächelte mein Mann, wenn er meine Extase über alles, was auf Schauspiel Bezug hatte, bemerkte. Ach, möchten[93] ihm doch diese Anzeigen, wie leidenschaftlich ich jede Zerstreuung ergriff, für die mein lebhafter Sinn so empfänglich war, nicht entgangen seyn! Und dennoch drängten sich mir mitten im Rausch der Freude an meinen Lieblingszeitvertreib unwillkührliche Erinnerungen an solche Abende stillen häuslichen Glückes auf, wo, wenn ich fleißig und flink gearbeitet hatte, die Mutter zum Vater sprach: »Sieh', Väterchen, wie unsere Minna wacker und schmuck ist! Sie wird einst eine brave Hausfrau seyn. Sie macht uns Freude, und soll auch Freude durch uns haben.« Diese Erinnerungen peinigten mich, besserten aber nichts. Zerstreuung und Zeitvertreib gehörten nun schon zu meinen Daseyn; ich wollte nur amüsirt seyn. Dies war die Losung aller Weiber meiner Bekanntschaft! Ich ließ nicht ab, bis die Geburt meines Sohnes mich zwang, meine Residenz[94] im Hause zu nehmen, wobei ich zugleich zu einer Thätigkeit gezwungen war, die Bezug auf meinen Zustand hatte.
Ein Gewitter, das sich durch schreckliche Blitze verkündigte, unterbrach die Freundinnen; sie kamen erst nach vielen Abenden wieder auf ihrem schönen heimlichen Plätzchen zusammen.
»Wir verließen Sie neulich im Kindbett. – Wie vermochten Sie damals diese Einsamkeit zu ertragen?« – fragte Ida.
Die Leiden meines neuen Standes – fuhr Minna fort, – wirkten allerdings einige Rückkehr zu mir selbst. Nach meinen, in dem Städtchen, oder vielmehr vom Stiefvater mir eingebläueten, Begriffen nahm ich mir vor: den strengen Herrn wieder gut zu machen, und geistliche Bücher zu lesen.[95] Deshalb nahm ich meine Zuflucht zu meines Mannes Bibliothek. Was mir geistliche Bücher zu seyn schienen, waren grade solche, worin eben alles, was ich glaubte, bestritten wurde. Nie hatte ich auch nur die Möglichkeit geahnet, daß gewisse Sätze, und was mir Wahrheit war, einigem Zweifel unterworfen sei. Und hier waren es nicht bescheidene Zweifel, die der wahrheitsuchende Forscher aufwarf, sondern frecher Spott und beißender Witz. Bei dem ersten Blick darauf dachte ich, die Erde müsse mich verschlingen, oder Feuerregen auf mich fallen; aber die Neugier brannte lichterloh, ich las, und nährte mich unglücklicher Weise mit einem Gifte, das nachher meine besten Lebenssäfte aufzehrte. Dann bemächtigte ich mich des Systeme de la nature; mein armer, schwacher Kopf hatte keine Widerlegung zur Hand, ich nahm blindlings an, was ich mit[96] so wahrscheinlichen Gründen behauptet fand, und was man mir als Religion mitgegeben hatte, hielt auch nicht einen Augenblick dagegen Stand. Mein Mann schalt, als er meine Lesereien untersuchte; aber er that nichts, dem Gifte entgegenzuwirken. Und hiermit war's denn ausgemacht, was künftig aus mir werden konnte, wie ich immer tiefer sinken sollte, da der Grund untergraben war. Zum Unglück war der Arzt, der mich besuchte, ein äußerst freidenkender Mann; er sah was ich las, widerlegte zwar in einzelnen Stellen das verruchte Natursystem: was er aber billigte und noch hinzusetzte, wirkte stärker auf mich, als was ich gelesen hatte. Den Arzt verehrte ich gränzenlos; seine Äußerungen wurden mir gefährlich. – Er, der mir nachher wohl that, ahnete nicht, wie viel seine freigeisterischen Meinungen zu meinem Falle beigetragen hatten.[97]
Als die Wochenstube von überflüssigen Wärterinnen und Besuchen gereiniget war, und ich dem ruhigern Nachdenken überlassen blieb, dachte ich ernstlich über den Beruf nach, den mir jetzt die Natur angewiesen hatte. Ich sollte ein Wesen zum Menschen, zum nützlichen Mitgliede der Gesellschaft bilden! Wie sollt' ich das anfangen? – den Weg einschlagen, den meine braven Eltern gegangen waren? Ganz gut: meine Brüder waren liebe, gute und viel versprechende Knaben; aber diese Erziehungsmethode war zu altmodisch, ich setzte mich dadurch der Nachrede und dem Verdachte der Unwissenheit aus: also etwas Neues und Auffallendes. Ich durchblätterte alles, was ich von pädagogischen Schriften auftreiben konnte, und das System, welches ich zuletzt gelesen hatte, schien mir immer das anwendbarste zu seyn. Mit meinem graden Menschensinn[98] sah ich wohl ein, daß die meisten neuern Pädagogen die Unarten der Kinder in Schutz nehmen; daß an die Stelle der alten Pedanterie Ungezogenheit und Grobheit getreten ist; daß, bei dem unmerklichsten Mißgriffe, die bezweckte Freimüthigkeit in Ungebundenheit und Insolenz ausartet, bei der die Mütter unaufhörlich in Verlegenheit gerathen; daß, um die Kinder früh zu Menschen zu machen, sie zu zeitig aufhören, das, wozu sie ihr physischer und moralischer Zustand bestimmt, Kinder zu bleiben; daß die unverständige Wichtigkeit, die jetzt den Kindern gegeben wird, eine Generation von unausstehlichen Egoisten bildet, die, weil ihre Eltern alles auf sie Beziehung nehmen ließen, sich dann einbilden, das Sonnensystem sei ihretwegen da, und die Welt müsse sich nach ihnen bequemen, wie Mama und die Kindermuhme thaten; daß es unrecht sei,[99] den Kindern immer merken zu lassen, wie in der Eltern Hause alles ihretwegen so und nicht anders sei. Ihretwegen, ja, nur ihretwegen wird mancher Aufwand gemacht, ihretwegen werden die Wohnungen so oder anders geordnet, ihre kindischen Reden werden ganzen Gesellschaften wie Orakelsprüche wiederholt; und das alles, weil der alte Bürger von Genf einst gesagt hat: die Mütter sollen Mütter seyn. – Ja, hätte er den Müttern seine Hände auflegen und seinen Geist mittheilen können! Was fruchtet es, daß die Mütter ihre kleinen Äffchen unaufhörlich verhätscheln? Lieben etwa jetzt Kinder die Eltern mehr als ehedem? Ach! die öffentlichen Blätter beweisen es nicht, worin oft trostlose Eltern die ungezähmten, entlaufnen Söhne flehentlich einladen, nur wiederzukehren, und in rührenden Ausdrücken dem Flüchtlinge die erwartete Nachsicht und Verzeihung betheuren![100]
Die Pädagogik machte mich unsinnig; denn ich wollte durchaus nicht dem schlichten, graden Menschensinne, sondern einem erdachten System folgen. Bevor ich mich aber zu irgend einem bestimmt hatte, war auch der Grund zum Verziehen des Kindes schon unabänderlich gelegt; denn, statt auszuüben was ich wußte, las ich, um zu lernen was ich nicht wußte. Fragte ich meinen Mann um Rath, so hieß es: »Thu', was Du willst!« Er gestand seine Unkunde in dem Fache, und war mit meinem guten Willen so befriedigt, daß er zu fragen vergaß, ob sich meine Erziehungskunst über die Gränzen des guten Willens erstrecke?
Die ungewohnte Regelmäßigkeit, die sich während dieser Ereignisse gleichsam von selbst im Hauswesen eingefunden hatte, machte meinem Manne Langeweile, und scheuchte ihn fort. Er besuchte täglich eine Gesellschaft,[101] in welcher ihn der l'Hombretisch bis um Mitternacht festhielt. So fand ich mich, da seine Gesellschaft mir am unentbehrlichsten war, allein gelassen, und vernachlässigt, wie ich es nannte. »Habe ich das um Dich verdient?« sagte ich einst im Unmuthe, als ich ihn bis gegen den Morgen erwartet hatte. »Ich kann mich nicht so einschränken!« antwortete er unwillig; »warum gehst Du nicht mit? Meinst Du, es sei etwas Verdienstliches, ewig im Hause zu hocken? oder erwartest Du, ich werde Dir diese Trägheit, die hier gern im Gewande der weisen Zurückgezogenheit erschiene, als Tugend anrechnen? Du bist eine Grillenfängerin; kein Mensch steht Dir an. Wer so delikat seyn wollte, müßte in eine Einöde fliehen. Man erträgt die Schlechten der Guten wegen; und wo lebt der Mensch, der nicht eine Seite hätte, von der er mißfallen würde, wenn[102] man diese zuerst an ihm erblickte? Minna, laß uns ertragen, damit wir wieder ertragen werden!« Diese weisen Sprüche überzeugten mich in so weit, daß ich nur noch einwendete das Kind könne nicht ohne mich seyn. »O, das dreivierteljährige Kind,« – antwortete er, – »bedarf Deiner noch nicht. Es ist ein kleines Thier, das Deiner nicht achtet, wenn ein Andrer seine physischen Bedürfnisse befriedigt.« Er hat recht! dacht' ich wider beßres Wissen und Gewissen, entwöhnte mein Kind, überließ es einem jungen wollüstigen Kindermädchen, und begleitete meinen Mann Tag für Tag in seine Gesellschaft. Anfangs sagte sie mir wenig zu; denn da Alle spielten, so war ich ihnen sehr unbedeutend. Die Langeweile, welche mir das machte, brachte mich dahin, daß ich einige der gangbarsten Spiele lernte; ich begriff sie leicht, und der lebhafte Geschmack,[103] den ich dieser neuerworbenen Geschicklichkeit abgewann, wurde bald zur unbesiegbaren Leidenschaft.
In meinem Hause ging es während dieser täglichen Auswanderungen kraus und bunt durch einander. Die Domestiken, welche es sehr gut wußten, daß ihre Frau zu gewissen Stunden abwesend war, machten ebenfalls ihre Parthieen in und außer dem Hause, spannen Liebeshändel an, und belogen und betrogen mich an allen Ecken. – Meinem Kinde wurde ich fremd, der Knabe war mir abgeneigt; denn wenn das arme verwahrlosete Geschöpf weinte, wurde es mit der Mama bedroht. »Sie kömmt, sie soll Dich schon strafen!« hieß es; und dadurch war ihm Mama so sehr zum Popanz geworden, daß es sich ängstlich verbarg, sobald es nur meine Stimme hörte.
Das rührte mich aber nicht, wie es wohl[104] gesollt hätte. Die neue interessante Leidenschaft besaß mich ganz, und es schmeichelte meiner Eitelkeit, daß ich nun mit so leichter Mühe die scharmante Frau aller derer war, die so gefällig waren, mir mein Geld abzugewinnen; denn vermuthlich spielte ich schlecht, weil ich überall, wo ich spielte, baares Geld war. Eine Zeitlang nahm mein Mann dies ganz gut auf; hatte er aber selbst namhafte Summen verloren, so hieß es: Du solltest Dich doch etwas mehr in Acht nehmen. Ich that es nicht, weil ich dachte, er, der größre Summen aufs Spiel setzt, sollte sich noch mehr in Acht nehmen. Durch diesen Widerstand wurde meine Spiellust bald Spielwuth. Mein Nadelgeld, wofür ich mir Putz und Kleider anschaffen sollte, reichte nicht mehr aus, und ich borgte von dem zur Haushaltung bestimmten Gelde. Anfangs ersetzte ich's gewissenhaft; dann nahm ich's weniger[105] genau, ob ich gleich noch vor mir selbst erröthete, wenn ich für manchen Einkauf größere Summen in das Wirthschaftsbuch eintrug, als sie gekostet hatten. Da aber alle diese geringen Behelfe nicht mehr hinreichten, sprach ich unsern Hausarzt um eine Summe an, und gab einen edlen Gebrauch derselben vor. Der Blick, mit welchem der edle Mann mir das Geld hinreichte, drang mir tief in die Seele. »Er hat in Deinem Herzen gelesen,« sagt' ich mir; »er kennt Dich, sieht Dich so schlecht, als Du Dir selbst erscheinst.« So, meine Ida, lag das bessere Ich mit dem hingerissenen, vom Strudel ergriffenen in stetem, erschöpfenden Kampfe. Aber das Bessere siegte so selten, daß ich vielmehr, immer muthloser zum vergeblich unternommenen Kampf, von einer Stufe der Verderbtheit zur andern herabsank. Zu den Zügen, die mir noch heiß auf der Seele[106] brennen, gehört einer, bei dessen Erinnerung ich noch erschrocken zurückfahre, weil er das Verderben eines Menschen nach sich zog.
Das schöne baare blanke Geld, welches mir mein Mann gab, um den Domestiken ihren Lohn auszuzahlen, jammerte mich, und ich hatte von ganz gut renommirten Frauen gehört, daß sie ihren Mädchen, statt der versprochnen Münze, alte abgelegte Kleider gaben. Das schien mir nachahmungswürdig; ich sichtete meinen Kleidervorrath, fand viel Veraltetes, legte es in bester Gestalt auf Stühlen aus, machte unmäßige Preise, und rief meine Mädchen herein. Die jüngste, ein eitles, thörichtes Ding, haschte gierig nach dem modischen Plunder, ließ sich jeden Preis gefallen, und die Frau Räthin strich richtig die blanken Thaler ein. Bald nachher strotzte sie in dem zusammengestoppelten Flitterstaate, und ich beging nun noch die[107] zweite unverzeihliche Schwachheit, es ihr nachzugeben, daß sie unter dem Vorwande, den Schneiderlohn zu ersparen, die Kleider in dem Schnitte trug, wie ich sie getragen hatte. Das nicht übel aussehende Mädchen fing an, von den Männern bemerkt zu werden, und ein rosaseidenes Jäckchen trug ihr manches reichliche Trinkgeld, und manchen verstohlnen Kuß beim Hinausleuchten ein. So durch Liebkosungen gereizt, ergab sie sich bald den gröbern sinnlichen Ausschweifungen. Ich schaffte sie ab, ein Bekannter meines Mannes unterhielt sie; aber bald überschritt ihre Lüderlichkeit alle Gränzen, und nach nicht gar langer Zeit beschloß sie ihr Leben im öffentlichen Krankenhause.
Ein zweites Wochenbett, worin ich meine Tochter gebahr, war mir eine unangenehme Unterbrechung meiner Lebensweise. Ich nahm eine Amme, um geschwinder loszukommen.[108] Diese war von einem heimlichen Übel angegriffen; sie theilte es meinem armen Wurme so sehr mit, daß das unschuldige Kind unheilbar schlimme Augen und einen Fehler am Nasenbeine bekam, wodurch es die schnüffelnde widrige Sprache erhalten hat, deren Laute mich oft aus meiner süßesten Ruhe aufschrecken, und mir meine Verbrechen vorrücken.
Noch war es nicht zu spät umzukehren, hätte mein Mann nur ein Fünkchen Glauben an stille häusliche Zufriedenheit gehabt. Kam die gewohnte Stunde zur Abendgesellschaft, so war's als würden wir mit einem Schlage beide elektrisirt. War zu dieser Zeit jemand bei uns, so wurde es auffallend und lächerlich, unsre Zerstreuung zu bemerken, zu sehn, wie wir einander winkten, und die Sprache nur dann erst wiederfanden, wenn der Gast Miene machte, gehn zu wollen.[109]
Wenn Sie, meine Ida, mich zu fragen scheinen: »Wie konnte ein liebendes, herzliches Mädchen so schnell ein kopf- und herzloses Weib werden?« – so kann ich Ihnen nur antworten: »ich weiß es selbst nicht!« Wie wahr ist es doch, was ein bekannter Schriftsteller von uns sagt: »Das Mädchen hat keinen Karakter; das Weib entwickelt ihn mit schneller Fertigkeit!« Sollte es aber nicht ein Fehler der gewöhnlichen Mädchenerziehung seyn, daß man den Begriff von Tugend uns zu sehr vereinzelt, und beinahe die Keuschheit ausschließend darunter versteht? Diese an sich so schöne, so göttliche Tugend muß dann oft bei wahren Hausdämonen für den Mangel aller übrigen schadlos halten. Mich dünkt, es war Anna von Bretagne, die böse und geizig, aber sehr keusch war, von welcher ihr Gemahl sagte: »ich wollte, sie wäre etwas weniger keusch!«[110]
Und, – was soll ich's bergen? – mein Ideal von einer glücklichen Ehe war unerfüllt geblieben. Die Basis aller meiner guten Anlagen war immer Liebe gewesen; zwar kindliche, aber dennoch immer Liebe! Auch meinem Gatten hätte ich gern aus vollem Herzen Liebe gegeben, wäre sie nur seinem Herzen werth gewesen. Ach! Liebe will Gegenliebe; sie will empfunden, gewürdigt, erwiedert seyn! Ihm war aber die Liebe, – an welcher sein Herz nicht Theil nahm, – zur Gewohnheit, zu einem Zeremoniel geworden, wobei er kalt blieb, und womit er mein heißes Gefühl zur kalten Gefühllosigkeit herabstimmte. In meinem Herzen blieb eine Leere, welche auszufüllen ich mich dunkel sehnte. Noch erlaubte ich mir auch nicht das fernste Hindrängen zum andern Geschlecht; allein Erfahrung hat mich beinahe überzeugt, daß die unzählichen Gelegenheiten[111] des Beieinanderseyns beider Geschlechter, und der vertrauliche Ton, der daraus entsteht, das Band der Ehen locker machen. Auf alle Temperamente wirkt es freilich nicht gleich stark; aber mich dünkt, Mann und Weib gewöhnen sich gegenseitig leicht einander als entbehrlich betrachten. Die süße Gewohnheit, sich alles zu seyn, wird geschwächt; der Reiz des häuslichen Lebens verliert unmerklich gegen die gesellschaftliche Mannichfaltigkeit. Warum wäre sonst in den vornehmern Klassen eine glückliche Ehe eine so seltene Erscheinung? Bei dem ganz gemeinen Manne ist thierische Roheit ein Hinderniß.
Allein man sehe nur, mit welchen Prätensionen die Modefrauen in Gesellschaften erscheinen! Jede zeigt sich so liebenswürdig, so sonntagsmäßig! Die schönsten Seiten werden im schönsten Lichte producirt! Dagegen[112] erscheint die Hausfrau mürrisch; sie muß sich mit den Leuten ärgern; sie läßt waschen, oder die Köchin hat das Essen verdorben; oder – noch schlimmer – die Frau fordert Geld; die Kinder brauchen Kleider; welches Gesicht wird nun dem Manne besser behagen, das Sonntags- oder Alltagsgesicht? Eben so die Frau. Die fremden Männer bemerken ihre Schwächen nicht, weil sie nicht interessirt sind, sie aufzusuchen. Alle Weiber sind ihnen scharmant, und keiner wird es je an Eicisbeen fehlen, sobald sie bestimmt merken läßt, sie sei nicht abgeneigt, Aufwartung anzunehmen.
Aber Ida, der Vollmond steht hoch über uns; es muß über Mitternacht seyn! Ich sehe, es ist Ihnen jetzt Bedürfniß zu ruhen, und nicht zu hören.[113]
Ida hatte sich diesen Abend zuerst unter dem lieben traulichen Baume eingefunden; sie sang zur Mandoline in sanften zärtlichen Accenten das rührende Mathisonsche Lied: »Wenn bei des Vollmond's Dämmerlichte,« etc. Ihr Blick hing bethränt an dem Monde. Es war sichtbar, daß schwerer Kummer, Erinnerung oder ahnendes Vorgefühl an ihrem Herzen nagten. Minna hatte der schönen Stimme gelauscht; küßte dann freundlich die Thränen von ihrer Wange, nahm die Mandoline, und sang ihrer Lieben die Abendempfindungen von Schlegel: »Hinaus, mein Blick, hinaus in's Thal!« etc. – Ida horchte auf die beruhigenden Töne; ihre Stimmung ging in sanfte Heiterkeit über, und die Unterredung wurde bald auf den eigentlichen Gegenstand ihrer Zusammenkunft geführt.
»Sie haben mir,« fing Ida an, »etwas[114] zu denken gegeben, als Sie sagten: die Folge der häufigen geselligen Zerstreuungen sei Lockerwerden, oder vielleicht gar Auflösung ehelicher Bande. Wenn dem so ist, so möchte man den Erfinder des Kartenspiels segnen; denn meines Bedünkens trennt es wenigstens die Herzen, und macht sie den zärtlichen Gefühlen unzugänglich. Habe ich recht, Minna?«
Was soll ich sagen? Vielleicht gedeiht ächte, hingebende Liebe nie im Geräusch der großen Welt, und eine Liebe, wie der Mann und das Weib der Zerstreuung sie fühlen, ist bloßes Bedürfniß der Langenweile. Eine solche findet auch am Spieltische statt. Ein von ganzer Seele liebender Mann würde der jetzigen Mode zu leben ein seltnes Schauspiel gewähren, und sich in den Augen der persiflirenden Menge zum Narrenhause qualificiren; kaum duldet man ihn ja noch in[115] Romanen oder auf der Bühne. Geßners Hirtenwelt ist uns vorübergegangen, und die Manier des Empfindens mit der Zeit verschwunden, da jeder Jüngling sich durch einen blauen Frak und gelbe Weste zum Werther zu stempeln glaubte. Das Kind ist mit dem Bade ausgeschüttet; Wir Deutschen lieben die grellen Abstiche.
Es wird alles gut gehn, sagte Ida; sehn Sie nur unverwandt auf die größere Masse des Guten und Besseren hin. Wir sind fortgerückt. Ungern ließe ich mir die herzerhebende Vorstellung von Menschenglück durch fortschreitende Vervollkommnung rauben. – Diese Betrachtungen haben uns aber himmelweit von Ihrer Erzählung abgebracht; ich bitte um die Fortsetzung.
Ich gehe willig Ihren Bemerkungen nach, – entgegnete Minna, – weil ich Sie gern so lange als möglich von dem Zeitpunkte[116] meines Lebens zurückhalte, der mich so unaussprechlich erniedrigt darstellt. Der Schluß unserer gestrigen Unterredung hat Sie vermuthlich auf das vorbereitet, was ich zu sagen habe.
Unsre fortwährende zerstreute Lebensart erforderte einen Aufwand, der vermuthlich meines Mannes Einkünfte übersteigen mochte. Er fuhr gleichwohl fort, täglich zu spielen, und verlor Summen, deren Größe ich selten erfuhr. Das veranlaßte Einschränkungen im Hauswesen, die mir lästig fielen, weil sie mich zu mehrerer Thätigkeit aufforderten. Wenn mir mein Mann, nach zehnmal vergeblichem Fordern, das Geld, seine elend versorgten Kinder zu kleiden, mürrisch hinwarf, so mußten mir wohl die schönen Dukaten einfallen, die das l'Hombre hinwegraffte. Wurde ich unmuthig genug, eine solche Bemerkung laut werden zu lassen, so bekam ich den Vorwurf[117] zehnfach zurück. Durch solche Auftritte entstand Kälte, dann Abneigung, und zuletzt etwas, das dem Hasse ganz nahe kam. – Wehe, wehe dem Weibe, das Abneigung gegen den Gefährten seines Lebens einzugestehen wagt! Sie hat den ersten Schritt auf dem Irrwege gethan.
Jungen Weibern fehlt es nie an spähenden Beobachtern, deren Scharfblicke das eheliche Verhältniß nicht entgeht. Sobald Kälte eintritt, fangen die galanten Kaper an zu kreuzen, und mehrentheils ist ihnen ein solches Weib eine gute Prise.
Schon längst war mir's heimlich aufgefallen, daß meine sehr artige Figur und jugendliche Frischheit so wenig Sensation erregte, indeß Weiber von ganz gemeinem Ansehn es durch die Kunstgriffe der Toilette dahin brachten, für schön zu gelten, und Liebhaber an sich zu ziehn. Bei der jetzigen Lage[118] meines Herzens verdroß es mich, und ohne daß ich mir's gestand, erlaubte ich mir nach und nach einen freiern, ins Auge fallendern Anzug. Es wirkte; man fand mich anziehend, und wunderte sich, es so spät bemerkt zu haben. Der gute Erfolg gab mir Muth und Erfindungskraft, meine Außenseite durch alle Modebehelfe zu heben. Ich glaubte indeß bloß mein unschuldiges Spiel mit den Männern zu haben; aber sie hatten ihr Spiel mit mir, und ich lief ins Netz, als ich es noch kaum ahnete.
Ein junger Mann, von schönem Äußern und schwarzer Seele, war mir auf allen meinen Irrwegen unbemerkt nachgeschlichen. – Ihm, dem Weiberkenner, war die Revolution in meinem Putze nicht entgangen, und er hatte ihre Bedeutung richtig zu entzieffern verstanden. Nicht auf einmal, sondern wie der Tyger sich seinem Raube nähert, näherte[119] er sich mir. Der Listige! Zuerst schien er nur aus Freundschaft für meinen Mann sich für mich mehr als für Andere zu interessiren. Beim Spiel war er immer mit von meiner Parthie. Er schmeichelte meinem Hunde, und fand die Unarten meiner Kinder allerliebst witzig. Durch hundert kleine Aufmerksamkeiten kam er mir näher, und immer näher. Im Scherz, aber nur ganz im Scherz, gab er mir zu verstehn: mein Mann mache einer gewissen Dame die Cour; doch gab er sich das Ansehn, es zurücknehmen zu wollen, sobald er sah, daß ein Funken Eifersucht in meinem Herzen gefangen hatte. Dadurch wäre ihm aber um ein Haar sein ganzer Plan vereitelt worden; denn es schien sich in meinem Herzen die eingeschläferte Liebe zum Manne wieder zu regen, der Wunsch, mir aufs neue seine Zuneigung zu gewinnen, glomm noch einmal auf, und hätte dieser[120] pflichtvolle Gedanke gerade einen freundlichen Punkt seines Betragens gegen mich getroffen, so war alles gut, und ich gerettet. Aber er war unfreundlich, ließ mich hart an, und der unselige Gedanke fiel mir aufs Herz: »Er entläßt Dich Deiner Pflicht; Du darfst, Du mußt Dich rächen!« Ich machte es mir von nun an zum Geschäft, ihn genau zu beobachten, und es schien mir wirklich, als ob er einer hübschen Frau, die eben nicht im Rufe der Frömmigkeit stand, nicht abgeneigt sei. Wenn er sie anredete, hatte sein Ton etwas weiches durchdrungenes, welches mir die wahren Accente der Liebe zu seyn schienen; in seinen Reden gegen mich war er hart, trocken und herrisch. Diese Entdeckung wirkte sehr unglücklich auf mich. Ich gab ihn auf, und erniedrigte mich zu der verächtlichen Klasse solcher Weiber, die sich Liebhaber erlauben. –[121] Die Räthin Brennfeld hatte einst in einem Anfalle munterer Laune den Spruch hingeworfen: eine Frau könne einen Liebhaber haben, das müßten die Mädchen sich aber nicht herausnehmen wollen. – So wenig mir ihre Sentenzen sonst des Aufbehaltens werth geschienen, hatte doch diese, wie mit schwarzer Schrift, unvertilgbar in mir gehaftet. Es gab noch Augenblicke, wo ich zusammenschreckte, wenn ich mir's lebhaft dachte, in welchen Orden ich eingetreten war. Mein demüthigendes Selbstgefühl wies mir nun einen sehr niedrigen Platz in der Gesellschaft an; und meine stolzen Anmaßungen würden in Selbstverachtung zusammengesunken seyn, hätte mich nicht unverdiente Achtung, die man mir jetzt, eben jetzt bewies, ja selbst die tausend kleinen Aufmerksamkeiten, mit denen man mir entgegenkam, und die zu sagen schienen: »jetzt ist sie worden wie unser[122] eine!« aus meinem Versinken wieder heraufgezogen. Nachher habe ich diese Menschen selbst bitter verachtet, und es für einen Raub an der besseren Menschheit gehalten, wenn verächtliche Personen gleich den achtbaren aufgenommen werden. Es ist höchst unrecht, zweierlei Genuß an sich reißen zu wollen; die geheime verbotne Frucht, und die öffentliche gute Meinung.
Aber der Zustand der innern Selbstverachtung peinigte mich doch oft aufs schmerzlichste. Ein liebkosendes Wort, selbst die Benennung Mutter von meinen Kindern, ein Brief von meiner nun sehr kränklichen Mutter, erschütterten mich gewaltsam. Dann hätte ich mich in meines Herzens Beklommenheit gern an ein höheres Wesen gewendet, die brennende Unruhe durch Gebet und Hingebung gelindert; aber der Bösewicht, der meine Ehre zu Schanden machte, hatte mich[123] nach und nach durch atheistische Meinungen vollends um allen Glauben und Hoffnung gebracht. Auch der Glaube an mich selbst war dahingegeben; die Rückkehr war mir beinahe moralisch unmöglich gemacht.
Ein schwacher Überrest von Ehrgefühl oder Stolz hatte mich abgehalten, meine Domestiken zu Vertrauten meines Liebeshandels zu machen. Der hereinbrechende Winter erschwerte unsre Zusammenkünfte. Mein Verderber gab darüber viel Traurens vor. Als ich in ihn drang, mir seine Meinung über unsre Zusammenkunft zu sagen, gab er zu verstehn: uns sei geholfen, wenn ich ihn hinreichend liebe, mich über einige kleine Vorurtheile hinwegzusetzen. Ich machte mich anheischig, ihn jeden Beweis meiner Zuneigung zu geben, den er nur fordern würde; und so geschah es, daß ich mich zu Zusammenkünften in einer abgelegenen Straße bei[124] einem, solchem Unwesen gewidmeten, Weibe bereden ließ.
Die Elende, die sich für Geld zu einem so niedrigen Gewerbe hergab, bediente ihre Gäste mit theuren Leckerbissen, die nicht abgelehnt werden durften, wenn das Siegel ihrer Verschwiegenheit halten sollte. Diesen Aufwand zu bestreiten, reichte der Finanzbestand meines – ach, daß ich ihn Verführer nennen dürfte! – nicht zu. Er ließ es, mit gewissen Winken begleitet, merken, die ich nur zu geschwind verstand. Ach Ida! auch hier muß ich es wiederholen: der Mensch sinkt von einer Stufe des Verderbens zur andern, sobald er seine Moralität nicht an ein religiöses Interesse knüpft, oder die Ahnung der bürgerlichen Gesetze zu fürchten hat! Die Tugend, die sich durch sich selbst belohnt, mag starken, denkenden Köpfen, oder kalten, leidenschaftlosen Temperamenten[125] gelingen; aber den Menschen, die so zu Tausenden auf der breiten Heerstraße des Daseyns dahertreten, die dem Eindrucke des Augenblicks nachgeben, ist sie nicht gewährt. Ich hatte eine lohnende sowohl als eine strafende Zukunft bespötteln und bezweifeln hören; jetzt war mir's bequem, sie wenigstens für ungewiß zu halten. Niemand sah mich, niemand konnte es erfahren; ich wurde, – ach, Gott erbarme sich! – da ich auf der imfamirenden Bahn nun schon nicht mehr, ohne mich der Schande auszusetzen, umkehren konnte, eine Diebin! ich bestahl meines Mannes Kasse! – Sie werden blaß, Ida! die Dämmrung hindert mich nicht, es zu bemerken. – Ida antwortete mit Thränen: »Ich bedaure Sie von ganzer Seele! Es hat einst jemand gesagt: ›man erkennt die Geliebte in dem Liebhaber.‹ Ein tugendhafter Mann hätte Sie zum Engel erhoben.[126] Wir sind so wachsartig, daß wir unvermerkt die Gestalt des Geliebten annehmen.«
Sie setzen das Unmögliche, Ida; erwiederte Minna. Ein besserer Mann würde nicht sein strafbares Auge auf seines Freundes Weib geworfen haben. Aber lassen Sie mich leise über diese noch immer schmerzhafte Narbe meines Gewissens wegeilen. – Wir lebten von diesem Blutgelde – es war aus einer Depositenkasse von Kindergeldern, – herrlich, aber wahrlich! nicht in Freuden; denn so oft ich die unselige Schwelle betrat, bemächtigte sich ein entschiedner Trübsinn meiner Seele, der beinahe Verzweiflung wurde, als ich einst bemerkte, daß ich nicht die einzige Frauensperson sei, welche dieses Haus in verbotener Absicht besuchte. Eine Figur, verhüllt in einen Florschleier, schlüpfte bei einer Glasthür vorüber. Das Kleid, die Leibbinde und den farbigen Handschuh[127] hatte ich gestern noch in einer Gesellschaft gesehn; es war die einzige Tochter eines angesehenen Mannes, die hier mit einem Figuranten aus der Oper zusammenkam. Tief, ungemessen tief beugte mich die Vorstellung, daß ich mich in einem öffentlichen, dem Laster geweiheten Hause befand! Aber die schreckliche Entwicklung lag mir nicht mehr fern.
Einst ging ich, um kein Aufsehn zu machen, in einem schlichten Anzuge früher in das unselige Haus. Die Domina führte mich in ein unteres, mir unbekanntes Zimmer, weil, wie es hieß, das gewöhnliche vom Reinigen naß sei. Mit klopfendem Herzen ging ich, im Vorgefühl der mir bevorstehenden Katastrophe, auf und nieder. Ich blieb lange allein, bis sich hörbar ein männlicher Tritt der Thür nahete. »Hier in diesem Zimmer find' ich sie?« hört' ich die, mir nur zu gut bekannte, Stimme meines Mannes[128] fragen. Schrecken, Angst und Schaam trieben mich wie ein Blitz in den entlegensten Winkel der Stube. Die Thür flog – wie es mir vorkam wurde sie wüthend aufgerissen – hastig auf, und ich hörte meinen Mann das ihn hereinlassende Mädchen zehnmal in einem Athem fragen: »aber wo, wo ist sie denn?« Da ich nicht einen Augenblick zweifelte daß ich gemeint sei, so stürzte ich aus dem mich übel verbergenden Winkel hervor, stieß ein kläglich-wimmerndes Geschrei aus, und fiel über einen mitten im Zimmer stehenden Stuhl mit ihm zugleich zur Erde. Durch das Poltern meines Falles herbeigezogen, kam die Wirthin mit Licht herein. Wer vermag wohl den jetzigen Auftritt zu schildern? Bei mehr Besonnenheit, oder weniger scheuem Gewissen, hätten wir uns gegenseitig täuschen und vorgeben können: einer suche den andern; aber so entdeckte[129] sich's bald, daß auch mein Mann in der unrühmlichen Absicht hier war, seine Dame zu sehen, dieselbe, auf die mein Liebhaber mir Argwohn beigebracht hatte. Die Verwechslung der Zimmer war Zufall, und war durch des kleinen Dienstmädchens Unwissenheit geschehen, wodurch ganz natürlich diese Entwicklung herbeigeführt wurde.
Mein Mann stand vor mir, in ungewisser Haltung und mit Verlegenheit im Gesicht. »So ganz ohne Muth? Sie sind eine erbärmliche Sünderin, Madame!« sagte er bitter; »was werden Sie jetzt beschließen?« – So übel ihm, dem nicht minder Strafbaren, dieser Ton auch anstand, drang er doch tief in mein zermalmtes Herz. Weit von allem Trotze entfernt, rief ich, weinend und vor ihm hinknieend: »Ich beschließe, hier nicht eher aufzustehen, bis ich Deine Vergebung erflehet habe, bis Du mein[130] reuiges Herz wieder aufnimmst.« – Darauf war er nicht gefaßt gewesen. Ich küßte seine mir dargereichten Hände, benetzte sie mit Thränen, und rief, glaub' ich: »Verstößest Du mich jetzt nicht, so soll mein, ganzes künftiges Leben Dir ein fortwährender Beweis meiner Liebe und Treue seyn.« – Er war erschüttert aber nicht erweicht, doch sagte er ziemlich milde: »Komm, Minna, keine Szenen an diesem Orte; vor solchen Zeugen müssen wir nicht handeln.« Er sagte der Wirthin einige Worte, und schleppte mich mit sich fort, denn gehen konnte ich im buchstäblichen Sinne des Worts nicht.
Dieses Bekenntniß ist mir über alle Beschreibung schwer geworden. Ich fühle mich nicht im Stande, heute mehr zu sagen; meine Kräfte sind alle von dieser entsetzlichen Erzählung erschöpft. Ach Ida, möcht' ich jetzt einen Blick in Ihr Herz wagen dürfen! –[131] Mußte denn ich, ich selbst die schöne Täuschung, die Sie an mich band, zerstören?
»Die Minna, welche ich liebe, ist nicht mehr die Gefallene; nein, das schöne Antlitz der edelsten Menschheit ist ganz wieder in ihr hergestellt! Diesen Glauben an Ihre wieder in die alten Rechte eingetretene Würde sollen Sie selbst mir nicht rauben können!« sagte Ida schwärmerisch. »Doch, kein Wort weiter; Sie bedürfen Schonung und Ruhe.«
Das tête-à-tête, – fing Minna am folgenden Abend ihre Erzählung an, – welches mir mit meinem an seiner Ehre gekränkten Manne bevorstand, erforderte einen Muth, zu dem meine gebeugten Kräfte sich nicht erheben konnten, obgleich seine eigene unrühmliche Absicht mich hätte aufrecht halten[132] können. Als ich in sein Zimmer trat, war ich einer Ohnmacht nahe: er aber schien seine Fassung in meiner Ohnmacht zu finden, behandelte mich vor den Domestiken wie eine Kranke, ließ mich auskleiden, mir Thee geben, und schien so sanft und verzeihend, daß mir endlich wieder ein Fünkchen Muth aufging, und ich seine Hand an meine Lippen zu drücken wagte. Er entzog sie mir nicht; als ich aber über den bewußten Vorfall sprechen wollte, rief er: »Still! keine Sylbe vom Vergangenen! wir bedürfen beide besonderer Nachsicht, und haben viel, sehr viel gut zu machen. Verhalt' Dich ruhig, die Zeit verwischt viel.«
Das, wodurch die brennende Wunde meines Gewissens Linderung erhalten sollte, wäre mir zur andern Zeit ein entsetzliches Übel gewesen. Ich verfiel nämlich in ein hitziges Fieber, welches lange anhielt, und[133] wogegen meine ganze Jugendkraft kaum das Gegengewicht halten konnte. Ich besserte mich sehr langsam, und erst nach einigen gefährlichen Rückfällen. Da wurde ich mit Vergnügen gewahr, daß mein Mann nur dann von meinem Lager wich, wenn dringende Geschäfte ihn abriefen. Daher vergaß ich leicht, daß auch er gefehlt hatte, und nun sah ich nur noch die Größe meines Vergehens. Doch, Dank sei es der zerrüttenden Gewalt des Fiebers, es erschien mir jetzt schon mehr in einer matten Dämmrung; mein Entschluß war aber fest und unwandelbar, daß, sobald meine Kräfte mich hielten, ich meinem Manne die abscheuliche Größe meines Verbrechens ganz gestehn wollte. Durch Worte, die mir während der Fieberhitze entfuhren, hatte er es schon zum Theil argwöhnen können. An einem heitern Morgen, wo ich zuerst außer dem Bette war, nahm er meine Hand, und[134] fragte mich in einem, gar keine Erwartung erregenden Tone: ob ich wohl je aus Versehn Geld aus seiner Kasse genommen habe? er wäre vielleicht nicht sorgfältig genug gewesen, diese Gelder von seiner Privatkasse abzusondern; da sei es möglich, daß, wenn ich von dem meinigen zu nehmen geglaubt habe, aus Versehn – – Ich hüllte voll Entsetzen mein Gesicht in ein Tuch; glühende Scham überzog das kranke, bleiche Gesicht. »Du weißt es also? – Auch diese Schmach!« – Ja, ich Elende! ja – – »Wie viel? wie oft?« fragte er. Ich nannte die nicht kleine Summe. Er entfärbte sich. »Großer Gott!« seufzte er, »Minna, bist Du stark genug, es zu hören? doch, erfahren mußt Du es ohnehin bald. Wir haben auch hier beide gesündigt; wir haben aus einem unrechtmäßigen Fond den Aufwand unsrer unerlaubten Freuden bestritten. Das trügliche[135] Lotto sollte mich retten, hofft' ich, und es beförderte meinen Sturz. Ich gebe mich, ich bin verloren! Rette Deine Mitgift.« – Keinen Heller! nicht einen, so weit es nur immer zum Ersatz zureichen mag: rief ich standhaft zusammengenommen. In diesem kritischen Moment zeigte sich mir in der Ferne ein großes Mittel, mich wieder zu einiger Würde und einigem Verdienste um meinen Mann zu erheben; ich fühlte Muth und Entschlossenheit, mit zu tragen und mit zu leiden. Was steht uns bevor? was müssen wir thun? rief ich stark und entschieden. – »Dieses Haus räumen, Minna, und es mit allem was es enthält, den Defekt zu decken, hingeben. Mich wird man, bis zur ausgemachten Sache, festsetzen und kassiren. Dann werden wir uns klein, sehr in's Kleine zusammenziehen müssen, und ich werde, wenn mir besondere Gnade widerfährt, vielleicht[136] einen kleinen Dienst bekommen, vielleicht auch nicht.« – Und ich, fiel ich ein, werde arbeiten, und werde Dich, den ich zu Grunde richten half, und unsre Kinder nicht im Unglücke vergehen lassen. War ich doch, ehe ich Dein Weib wurde, der Arbeit gewohnt. Es giebt eine Vorsehung. Sie wollte mich mit Milde führen; ich achtete ihrer nicht, und nun kommen mir die Heerlinge, von denen die Bibel spricht, welche mir die Zähne stumpfen werden. – Mein Mann erstaunte über die Kraft, die er mir gar nicht zugetraut hatte; aber ich fühlte, daß der Beifall meines eignen Herzens mir noch mehr werth war, denn nur ich wußte genau, daß ich nicht thatenleere Worte hinprunkte.
Es traf alles genau so ein, wie mein Mann gesagt hatte. Uns widerfuhr das strengste Recht. Auf Mitleiden durften wir nicht rechnen; denn er hatte die Schwachheit[137] gehabt, seine Revisoren und viele Adelige oft zu bewirthen. Eben diese waren es, die das Schwert mit Schärfe über uns schwangen. »Es konnte nicht anders kommen,« hieß es; »auf des Mannes Tisch kam Rheinwein, wie der König ihn kaum hat. Das Kleine wurde vergrößert, und das Mittelmäßige zum Übermäßigen erhoben. Die Frau war ebenfalls eine Närrin; sie trug Federputz und Brillanten, wie eine Adliche. Solche krasse Bürgerliche wollen es dadurch der vornehmern Klasse gleichthun, und es hat doch weder Art noch Geschick. Es geschieht ihnen ganz recht.« – So sprachen die, welche wahrlich nicht scheel sahen, als der edle Rheinwein ihnen in unsern Gläsern zublinkte. Wie liebkosend hatten jene Herren oft die Hand geküßt, an welcher der beneidete Brillant einst schimmerte! und nun waren. sie emsig, die Sinkenden noch tiefer[138] in den Staub zu drücken. Doch, glücklicher Weise war unser noch übriggebliebenes Vermögen zur Erstattung hinreichend; mein Mann kam mit Kassation, ohne Verhaftung, durch. Wir lebten nun in einer Beschränkung, die nahe an Dürftigkeit gränzte. Er schrieb Noten, und las Korrekturen für einen Buchdrucker. Ich nähete, wusch Flor, Putz und seidene Strümpfe, wobei mir manches Kleid unter die Hände kam, das ich ehedem zu verdunkeln mich bestrebt hatte.
Jetzt wurde ich auch mit Entsetzen gewahr, wie sehr meine armen Kinder durch meinen Leichtsinn verwahrloset waren, und dies war's eigentlich, was mich bei unsrer Armuth tief in den Staub beugte. Die Folgen dieser Verwahrlosung konnte ich gar nicht berechnen. Meinen Sohn hatte ich, ehe er noch ein Jahr alt war, einem jungen, und, wie es sich zeigte, liederlichem[139] Mädchen überlassen. Dieses Geschöpf hatte den Hang zum Naschen in ihm erregt, um diese Untugend zu ihren Absichten zu benuzzen; sie war auch bald ganz sicher, daß Fritz nichts verrieth, wenn sie ihn mit einem Törtchen oder Äpfelchen den Mund versiegelt hatte. Als er größer und fähiger wurde, gebrauchten ihn die Mägde, mich auszuspähen, und zu erfahren, wenn ich ausgehen und wie lange ich wegbleiben würde. Mein Fritz hatte das Gewerbe des Spionirens so gut inne, daß er mir immer gegen seine Gönnerinnen, welches die Mädchen zu seyn schienen, mit dem treuherzigsten Gesicht allerlei vorbrachte, um ihnen meine Beschlüsse über sie hinterbringen zu können. Schrecklicher aber noch als diese Falschheit war der Hang zur gröbsten Sinnlichkeit, womit die wollüstigen Dirnen ihn angesteckt hatten. Die weibliche Bescheidenheit verbietet[140] mir, umständlicher davon zu sprechen. Er wurde bläulich, bleich, schwankend, Hals und Rücken krümmten sich unangenehm vorwärts hin, die Stimme ward heiser und unrein. Ein guter Arzt hielt diesen Zustand für nicht natürlich; er forschte, und entdeckte zu spät, daß dies Symptome heimlicher Ausschweifungen waren. – Der Knabe wurde schwachsichtig, die Gedächtnißkraft war ganz erloschen; er zehrte sich allmählig ab, und sein Tod befreite mich zwar von einem redenden Beweise meiner Strafwürdigkeit, allein hier im Innern ist der Wurm, der nicht stirbt, und das Feuer, das nicht erlischt.
Nach dem Tode meines unglücklichen Kindes fiel ich in einen Zustand von Gemüthsschwäche, die mich für jeden Eindruck äußerst empfänglich machte. Unter so großen Leiden hatte meine Seele eine gewisse Schwungkraft erhalten, durch welche sie über sich[141] selbst erhoben wurde; aber sie wollte unter den täglich sich wiederholenden Neckereien des Schicksals erliegen. Was mir sonst Religion gewesen war, das schwankende, unzureichende Gefühl, das Christenthum des weichen weiblichen Herzens war im Winde des Modelebens zerflattert; was ich mir an dessen Stelle anvernünfteln wollte, hatte keine Lebenskraft. Ich haschte nach allem, was mir eine Art von Trost gewähren sollte, und verfiel oft auf unwürdige, abergläubische Kindereien.
So ließ ich mich einst von dem kleinen Dienstmädchen (denn nun hielt ich keine stattliche Jungfern mehr) bereden, eine Wahrsagerin kommen zu lassen, die aus Karten und Kaffee die Zukunft in bunten lustigen Bildern zu sehen vorgiebt. Das Weib, welches ich in meines Mannes Abwesenheit zu mir kommen ließ, war eine der listigsten und[142] gewandtesten ihrer Gattung; und ich schämte mich schon weniger dieser Schwäche, als ich hörte, daß ich sie mit vielen vornehmen Frauen gemein hatte, welche sie heimlich bei sich einführen ließen. Wie sehr irren doch diejenigen, welche über zu viele Aufklärung schreien, und immer besorgen, sie werde im großen Haufen zu weit um sich greifen! So lange dieser noch so wenig von den ihn umgebenden Naturkräften kennt, kann die abergläubische Trägheit und Dummheit nur ganz unbekümmert auf ihrem weichen Polster schlummern. Mitten in einer, wegen ihrer Aufklärung beinahe berüchtigten, Stadt treibt diese Betrügerin ihr Gewerbe so öffentlich und mit solchem Erfolg, daß sie bei Veränderung ihrer Wohnung ihre Adressen umherschickt. In ihrer Wohnung wird sie so von der leichtgläubigen Dummheit belagert, daß sie nur immer sechs Personen auf einmal[143] vorlassen kann. Mir weißagte sie viel Gutes in einer hellen Zukunft; ich glaubte es freilich nicht, hörte aber doch gern von einer frohen Aussicht sprechen, und fing an auf diese Phantasieen Luftschlösser zu gründen, wodurch ich mir einige trübe Stunden erhellte.
Eines Abends kam mein Mann ungewöhnlich heiter von dem Buchdrucker, dem er Korrekturen gebracht hatte, zurück. Ich sah ihn forschend an. »Liebes Weib,« – rief er mir so munter, wie er lange nicht gewesen war, zu, – »es hat sich ein helles Wölkchen an unserm Horizonte gezeigt. In der Buchdruckerei traf ich den Sekretär des *** von ****; er sagte mir: es sei eine Stelle bei dem **schen Departemente offen, die sein Herr vielleicht nicht abgeneigt seyn würde mir zu geben, nur müßte ich schriftlich deswegen einkommen.« Daß bei diesen[144] Worten ein Sonnenblick sich in meine verdüsterte Seele stahl, ist begreiflich. Dieser Abend wurde uns ein Fest, desgleichen wir lange nicht gehabt hatten, und wogegen die üppigen Freuden unsrer vorigen Lebensweise nur Trauertage waren. Ich bereitete ein Lieblingsessen meines Mannes, und er war eben reich genug, dem kleinen Mahle eine Flasche Wein beifügen zu können. Der nun schon ungewohnt gewordene Trank erhöhte unsre Lebensgeister so, daß wir ordentlich wetteiferten, wer von uns die beste Zukunft ausmahlen würde. Auch gelobten wir uns heilig, daß, wenn uns wirklich einst noch das Glück wieder lächeln sollte, wir es mäßig und in nüchterner Häuslichkeit, in einem kleinen Kreise geprüfter Freunde genießen wollten. Ach, unser geträumtes Glück bestand nur in diesem einzigen frohen Abend![145]
In der ersten langentbehrten freudigen Aufwallung unsrer Herzen hatten wir es freilich nicht bedacht, daß dem alles vermögenden großen Manne nur durch seine rechte Hand, den Rath ***, beizukommen war, und daß dessen Vermittlung und Vorwort nur durch Aufopferungen zu erhalten war, zu welchen unsre Armuth nichts herzugeben hatte. Sehr niedergeschlagen kam mein Mann von dem Versuche, den er auf des Mannes kieselhartes Herz gemacht hatte, zurück. »Minna,« – sagte er, – »wir werden nicht durchkommen; dem Menschen ist nur durch Bestechung beizukommen; so unrühmlich wollen wir den Bissen, den wir uns mit unsern Händen noch erarbeiten können, nicht erlangen.« – Ich war seiner Meinung, so ungern ich die geliebte Hoffnung aufgab. Über die Niederträchtigkeit der Menschen wagte ich nicht zu klagen,[146] weil wir uns unsern Fall wahrlich! nicht durch unsre Rechtlichkeit zugezogen hatten.
Still und bekümmert verstrich uns dieser Tag. »Eine mühselige Korrektur!« – seufzte mein Mann einigemale bei seiner Arbeit. »Der Nähnadelverdienst ist's nicht minder!« – antwortete ich, mit ebenfalls beklemmtem Herzen. – »Denke daran, daß wir unser Gutes genossen haben, Minna.« – »Ach freilich, freilich, mein Lieber! wiewohl nur eine kurze Zeit.« – »Wir haben unsren guten Tagen selbst ein Ende gemacht, Minna.« – »O, das ist die tief einschneidende Seite meines Grams; und dann: daß ich ihn nicht mit dem kindlichen, hingebenden Zutrauen auf Vorsicht und Menschheit tragen kann! Den Glauben raubte mir frecher Witz. Die spottende, leichtsinnige Welt spielte mir tändelnd einen festen, haltbaren Stab aus der Hand, und gab mir[147] dagegen ein dünnes, zerbrechliches Röhrchen, das nun, da die Stürme des Lebens über mich gehen, zerknickt. Ich schämte mich meiner Katechismusreligion wie eines kleinstädtischen Kleidungsstückes, wußte aber nichts an ihre Stelle zu setzen; denn die kühnen Äußerungen, welchen man in den mehrsten Gesellschaften ausgesetzt ist, hatten zwar bei mir eingerissen, aber Bonmots sind kein Ersatz. Ich blieb einer düstern, unbestimmten Zweifelsucht preisgegeben, die mich in einzelnen Augenblicken, gleich einem plötzlichen Schreck, angriff. Dies war aber zu vorübergehend, als daß es hätte bis zur Unruhe steigen können. Und, wie denn bei dem gewöhnlichen Menschenschlage die Religion ein isolirtes, mit dem Thun und Wesen derselben in keiner Verbindung stehendes, Ding ist, so kamen auch mir diese ernstern Stunden, so lange wir im Wohlstande waren,[148] ziemlich selten; aber da der Sonnenschein der guten Tage vorübergegangen war, empfand ich mit Schrecken, wie viel ich an dem eingebüßt hatte, was mir in frühern Tagen die Religion galt.«
Still für mich stellte ich diese Betrachtungen an, und brach dann noch einmal in die Worte aus: »O, daß ich diese Stadt und diese Menschen nie mit Augen gesehen hätte!« – »Minna,« sagte mein Gatte, »laß uns nicht ungerecht seyn! Laß uns nicht diese gute Stadt anklagen, weil wir sie mißbrauchten! Vielleicht giebt es wenig große Städte, die so viele öffentliche und Privattugenden aufzuweisen haben; aber sie zu finden, muß man freilich nicht den Weg einschlagen, den wir wählten. Die Trefflichen und Guten lauern nicht am breiten Wege der üppigen Freuden, daß der Vorübertaumelnde sie wild an sich reiße. Im[149] stillen Kreise geräuschloser Freuden wirken sie im Verborgenen, und nehmen den Suchenden mit entgegenkommender Güte auf. Wir rangen nach Betäubung, nicht nach Glück. Jene wurde uns eine Zeitlang gewährt, und dieses, – mein Herz sagt mir's, – werden wir noch finden, sobald wir ernstlich wollen. Mein Rausch ist auf immer vorüber. Die Jahre und die Veranlassung zum ernsten Nachdenken sind da; überlege auch Du, meine arme Minna, mit Nüchternheit. Es wird noch wieder gut; das ahne ich sehr deutlich.« – Er legte die Feder hin, kleidete sich an, und verließ mich, ohne weiter zu sprechen.
Dieser Tag war einer der bittersten meines Lebens. Ob schon unsre Lage sich im Wesentlichen um nichts verschlimmert hatte, so war ich doch um eine Hoffnung ärmer geworden, und damit war jede, schon mehr[150] als halb verharschte, Wunde aufs schmerzlichste wieder bei mir aufgerissen. Ich legte unmuthig meine Arbeit zur Seite, die mich ungewöhnlich anekelte, und überließ mich einem unmäßigen Schmerze, der in Thränenströme überfloß, so daß ich, ganz in mich versenkt, es kaum bemerkte, als mein Dienstmädchen sehr angelegentlich einen Herrn anmeldete, der mich sogleich zu sprechen wünsche. Wer er war? wußte sie nicht; aber ein recht hübscher und freigebiger Herr wäre es: denn er hatte dem jungen Mädchen einen harten Thaler geschenkt, daß sie ihn nur recht schnell melden sollte. Unerwarteter als dieser Vorfall konnte mir nichts begegnen; denn mit unserm Wohlstande waren Herren und Damen verschwunden, welche ehedem die fröhliche Lockpfeife der Tischfreuden herbeigeflötet hatte. Noch ehe ich Zeit gewann, mein ärmliches Zimmer ein wenig in Ordnung[151] zu bringen, trat ein ältlicher, wohlbeleibter Mann, in einen Überrock gehüllt, zu mir herein. Sein hellfarbiges, breites Gesicht verkündigte den Vollgenuß der Tischfreuden; die starren, unbiegsamen Gesichtsmuskeln, und der offene Mund, der nicht mehr in sein Charnier schließen wollte, den häufigen Genuß starker Weine. Dieser lebendige Kommentar zum Begriff von Fleischeslust und hoffärtigem Leben stellte sich mir als den Rath *** vor, als den, von welchem meines Mannes Anstellung abhing. Er trat so dicht, mit etwas mehr als Freundlichkeit, an mich heran, daß ich einige Schritte zurücktreten mußte; und als ich zu einiger Fassung gekommen war, nahm er vertraulich meine Hand, und führte mich zu einem Sitz, nahm aber den seinigen so dicht neben mir, daß wir unbequem saßen. – »Ihr Herr Gemahl ist bei mir gewesen,« – hob er in einem, von Fett schnarchenden,[152] Tone an; – »er bewirbt sich um einen Posten, zu dessen Ertheilung ich in der That mitwirken kann. Jetzt will ich mich durch diesen Besuch, den ich mir die Ehre gebe Ihnen zu machen, überzeugen, ob seine Lage in der That so dringend ist, und ob seine schöne Frau ihn und sich genug liebt, um zu seiner Beförderung mit beitragen zu wollen.« Und wie kann ich das? mein Herr Rath! (fragt' ich). Ich bin bereit, so schwer es auch seyn möchte. – »O, gar nichts Schweres, schönstes Weibchen! Es kommt nur darauf an, daß Sie einem Manne, auf den Ihre Reize einen unauslöschlichen Eindruck gemacht haben, etwas gütig begegnen.« – Mit diesen Worten legte er beinahe die ganze Last seines Körpers auf meinen Schooß, um meine Hand, so wie sie da lag, zu küssen. Ich sprang unwillig auf. Er wollte mich mit Gewalt auf meinem Sitze festhalten.[153] – »Nicht so zornig, meine Allerliebste! (fuhr er fort) Sind Sie nur ein wenig gütig, ein wenig ertragend, – so erhält Ihr Mann weit mehr, als er zu bitten sich je unterfangen wird.«
Bei einem solchen Vorfalle mich gehörig zu betragen, fehlte es mir an Gegenwart des Geistes. Ich drückte mich in aller Stärke meines Verdrusses aus. Zuerst kroch er wie ein gemißhandelter Pudel; zuletzt aber wurde auch er aufgebracht, und spielte auf meine unglückliche Begebenheit an, die, wie er sagte, ihm Muth gemacht hatte, auf ähnliche Gefälligkeit gegen ihn zu rechnen.
Diese Äußerung erregte mir den bittersten Schmerz. Ich hatte gehofft ich sei vergessen, und jetzt sah ich deutlich, daß meine Vergehen noch in regem Andenken standen. O, nie, nie wird des Guten so lange und lebhaft. gedacht! – Indeß gelang es mir[154] doch, den frechen Menschen durch mein festes Benehmen zu überzeugen, er habe sich in meinem Karakter geirrt. Nach langem verdrießlichen Wortwechsel ließ er sich herab, mich um Stillschweigen auch gegen meinen Mann zu ersuchen; er fühlte nicht, der Undelikate, wie viel mir selbst daran lag, daß mein Mann durch nichts an diese kränkenden Umstände erinnert werden möchte! Zuletzt, als er mich einigermaßen gefaßt sah, ließ er noch verlauten: entgegen wolle er meinem Manne nicht wirken; aber der Sekretär bei dem großen Manne, auf den es doch am eigentlichsten ankomme, befördere keine Bittschrift, die mit leerer Hand überreicht würde. – Ich nahm diese Weisung ziemlich mürrisch an. Nachdem er noch viel Unwesentliches zur Sache gesagt hatte, empfahl sich der Herr Rath, der mir von seiner Niedrigkeit so redende Beweise gegeben,[155] obschon er in der Welt unter der allgemeinen Benennung eines rechtschaffenen Mannes bekannt war.
Bald nachher kam mein Mann in sehr düsterer Stimmung nach Hause. Ich sagte ihm, wer bei mir gewesen war, und erwähnte, als Zweck dieses Besuches, der Nachricht, die den Sekretär betraf. »Also auch ein Schurke!« sagte mein Mann bitter. »Und wir sollen darum, daß sie's überall sind, kummervoll darben? Mein Freund, der Buchhändler, sagte mir eben: nehmen Sie doch, als ein erfahrner Mann, die Welt, wie sie ist; wir werden sie nicht reformiren, wohl aber untergehen, wenn wir nicht mit dem Strome schwimmen. – So sei es, Minna! Laß uns, was wir aus dem verschuldeten Schiffbruche retteten, was wir für den Nothfall hinlegten, laß es uns einpacken. Dies sei der Nothfall, für den wir's aufbewahrten![156] Der Elende, der für Geld hilft, mag's auf seine Lumpenseele nehmen.«
Ein Ring, eine Dose, nebst einigem Silbergeschirr, die Pathengeschenke meiner Tochter, wurden in eine modische Tabatière, mit 30 Dukaten gefüllt, umgeschaffen. Meine Hände zitterten beim Einpacken, nicht darum, weil es das Allerletzte war, was wir aufzubringen vermochten, und einem Raube an meiner Tochter glich, sondern, weil ich mir dachte: das ist Bestechung! O pfui, des schändlichen Weges! Wie? wenn der Mann nicht ganz so schlecht ist, und schleudert's uns verächtlich zurück! Ist der nicht auch schlecht, der die Frechheit hat, Bestechung anzubieten? – Diese meine Besorgniß war vergebens. Die Antwort auf die Bittschrift erfolgte sehr schnell, ohne jedoch des beigefügten Opfers zu erwähnen. »Die Sache,« hieß es, »solle nächstens zum Vortrage[157] kommen. Ihro Excellenz wären ganz geneigt, einer würdigen Familie wieder aufzuhelfen,« u.s.w.
Nun wiegten wir uns aufs neue in Träumen süßer Hoffnung; die hellere Zukunft schien uns näher gerückt; wir waren wie neu belebt. Die Arbeit ging rasch und flink von statten, und wir sprachen viel und oft von dem sehnlichst erwarteten Ausgange der Bittschrift, welcher bald genug erfolgte. Mein Mann wurde durch einige Zeilen zum Sekretär gefordert. Lesen, ankleiden und wegeilen war das Werk einiger Minuten. Ich blieb, bebend vor Furcht und Hoffnung, zurück, und lief unthätig umher; denn um die Welt hätte ich keine Arbeit anrühren können. Ich wankte bald zum Fenster, bald zur Treppe, dem Manne die Nachricht, noch ehe er spräche, aus dem Gesichte zu lesen. Er kam, und ich las sie wirklich von Weitem[158] schon auf seinem blassen, Unglück weißagenden Gesichte. Mit Worten wagte ich es nicht, ihn zu fragen; auch hatte meine Brust nicht Athem genug zu reden. Endlich, nach bangem, minutenlangen Schweigen, in welchen er noch immer nach Fassung strebte, fing er mit mattem, erschöpften Tone an: »Minna, nun ist wohl alles vorbei! Der Minister wollte helfen; nachdem aber der Rath ***, eben der, welcher uns diesen Weg angerathen hat, bei ihm gewesen war, ließ er den Sekretär hereinrufen, und überhäufte ihn mit Vorwürfen, daß er ein solches Subjekt zu empfehlen gewagt habe; einen Menschen, der Kindergelder angegriffen, und sich durch seine und seines liederlichen Weibes Tollheiten zu Grunde gerichtet habe. ›Dergleichen unterstehn Sie sich in Zukunft nicht mehr!‹ hat er höchst entrüstet hinzugesetzt. Mit diesem Bescheid ist unser Schicksal auf immer entschieden, arme Minna!«[159]
Auch dieses war einer von den entscheidenden Momenten des Lebens, wo zuweilen die Seele durch einen raschen Entschluß sich aus dem Abgrunde emporschwingt. Ich umarmte meinen Mann leidenschaftlich, indem ich zu ihm sagte: »Ich folge Dir bis in den Tod; Dein Loos sei das meinige! – nur laß uns diese Welt, die uns ausstößt, nachdem sie unsern Lebenssaft mit aufzehrte, laß uns diese elenden Menschen meiden! – Ihre Nähe ist Schmach!« – »Aber wohin? wohin wenden wir uns, armes Weib, das ich mit in mein Schicksal verwickelte?« – »Aufs Land, zu einfachen Menschen, zur einfachsten Lebensart; in ihr liegt ganz gewiß das Glück, welches wir unsinniger Weise im Strudel der Üppigkeit suchten.« Ich gedachte in diesem Augenblicke eines Gartens, den ich mit meiner Tochter und einem Dienstmädchen bearbeiten wollte. Es waren wahrscheinlich[160] Ideen meiner ersten Jugend, die in mir auflebten. Der Einfall war im Grunde unreif, aber die Stimmung des Augenblicks rechtfertigte ihn. Auch das möge ihn entschuldigen, daß mein Mann ohne Bedenken zustimmte, und sogleich alle Anstalten machte, ihn ins Werk zu richten.
Allein ein Herzleid sollte uns doch noch widerfahren, ehe wir von dannen schieden. Ich war gegen Abend ausgegangen, um einige Kleinigkeiten anzuschaffen, und war nicht lange ausgeblieben. Bei meiner Zurückkunft fand ich meinen Mann in ausnehmender Bewegung; er fuhr ungestüm auf mich los, einen Brief in der Hand haltend. »Weißt Du davon? Minna!« (fragte er); »weißt Du um diese Schandthat?« – »Wie? was hast Du? Ich begreife Dich nicht!« – »Nicht? so lies!« – Er reichte mir ein Billet hin; es war vom Rath ***,[161] der mir erklärte, daß er, zu meinem Besten, die Sache wegen meines Mannes Versorgung habe hintertreiben müssen; er könne das nicht der Feder anvertrauen, bäte mich aber, beikommende Kleinigkeit als einen geringen Ersatz vor der Hand anzunehmen, bis ich ihm erlaube, in wesentlichern Dingen seine achtungsvolle Werthschätzung an den Tag zu legen. – Diese Kleinigkeit waren 50 Dukaten. Ich vertheidigte mich gar nicht bei meinem Manne; er mußte sehn und fühlen, daß ich unschuldig war. Jetzt gestand ich ihm auch die Anträge des Raths, die ich ihm, aus Schonung für uns beide, verschwiegen hatte. Allerdings war es unrecht, hier zu schweigen; denn ich würde durch die Entdeckung der ehrlosen Absichten jenes Herrn den Versuch verhütet haben, welcher meinem Gatten eine so schimpfliche Zurückweisung zuzog. Jetzt war's offenbar: der Rath wollte daß[162] wir das letzte aufopfern sollten, um nachher durch Dürftigkeit gezwungen zu seyn, seinen beleidigenden Anträgen Gehör zu geben. – Das Päckchen und den Brief hatte er meinem Dienstmädchen selbst gegeben, und diese hatte es aus Bosheit oder Dummheit, ich hielt's für das erste, meinem Manne eingehändigt.
Da der Mann sich in seinem Billet genannt hatte, so schickten wir Brief und Päckchen mit einem, der Sache angemessenen, Schreiben an ihn zurück. Wir haben nachher nie wieder seinen Namen gehört, als da sein, im sechs und vierzigsten Lebensjahre an Entkräftung erfolgter, Tod in den öffentlichen Blättern bekannt gemacht wurde.
Nun waren wir endlich frei, und leicht genug, unsern Weg nach der neuerwählten Heimat anzutreten. Unser Gepäck war klein, unser Geldvorrath gering; aber freudiger[163] konnten wir uns nicht auf den Weg machen, wäre für uns auch das größte Gut zu erwarten gewesen. So wohl thut dem Herzen das Selbsterwählte! Unsre gute Stimmung wankte selbst nicht bei dem niederschlagenden Anblicke des verfallenen Wohnhäuschens und der schmutzigen Ärmlichkeit des Ganzen; denn die Überzeugung, daß hier Zufriedenheit bei uns wohnen würde, war aus uns selbst geschöpft.
Wir legten frisch die Hände ans Werk. Ich miethete ein Mädchen aus dem Dorfe. Mein Mann pflückte und schüttelte das Obst, ich und meine kleine Tochter lasen es auf, und suchten es aus; mein Dienstmädchen trug es zu Markte. Dies wechselte mit Arbeiten, die unsrer Weichlichkeit freilich etwas härter fielen; aber der gute Wille half, und es ging. Jetzt kamen mir meine, in der frühen Jugend erworbenen, wirthschaftlichen[164] Geschicklichkeiten zu statten; ich war unermüdet, sie auszuüben, und das Gedeihen unsres Fleißes war so sichtlich, daß unser Muth dadurch immer mehr wuchs. Das harmlose, gute Landvolk um uns her, das, wie es sich ausdrückt, seinem Gotte in der Einfalt seines Herzens dient, belebte die Erinnerung jener Zeit, wo auch ich kindlich an meinen Schöpfer gedacht hatte, aufs neue; aber aus eignen Kräften vermocht' ich nicht, mich in die Gefühle meiner zarten Jugend zurückzusetzen. Die Vorsehung wollte indeß, daß ich es sollte; sie veranstaltete die Dazwischenkunft eines Mannes, dessen Andenken mir ewig gesegnet bleiben wird.
An unsre kleine Besitzung, die wir in Pacht genommen hatten, gränzte die eines Mannes, eines Weisen, für den meine Dankbarkeit noch keine bezeichnende Benennung gefunden hat. Auch er hatte sich von den[165] Stürmen des Lebens, aber mit unverwundetem Gewissen und unvergeudetem Vermögen hieher zurückgezogen. Der Tod seiner eben so trefflichen Gattin hatte ihm die Einsamkeit zum Bedürfniß gemacht. Er durfte sich auf seine eigne Gesellschaft verlassen; denn er brachte einen reichen Schatz in seinem Innern mit. Sein gesunder Kopf war mit Kenntnissen aller Art bereichert. Mit seinem schönen Herzen stand er sich eben so gut. Sein Umgang wurde für jeden, den er damit beehrte, eine Wohlthat. Die Landleute, die nicht recht wußten wer er war, nannten ihn den klugen Herrn; die Frauen aber sagten immer von ihm: der gute Herr. Die Kinder standen, wenn er sich zeigte, ehrfurchtsvoll, und nahmen ihre Mützen ab; er beschenkte sie, und erlaubte daß sein alter Bedienter, Gottfried, ihnen etwas erzählen, und sie belehren durfte, wobei sie stricken[166] oder spinnen mußten. Der Unthätige war von dieser Unterhaltung ausgeschlossen, und das achteten sie für eine entsetzliche Schande. Doch ich will ja nur gedenken, was der kluge und gute Herr uns wurde. Er hatte von uns gehört; unser Entschluß, uns auf uns selbst zu verlassen, hatte ihn für uns eingenommen; er sah uns; wir waren so glücklich, ihm zu gefallen; auch unsre Einrichtungen hatten seinen Beifall. Er kam nun öfterer zu uns, arbeitete mit uns, und nie ging er, ohne uns irgend einen guten anwendbaren Rath oder eine ausführbare Angabe hinterlassen zu haben; immer fühlten wir unsern Muth gestärkt, und der Wunsch, ihn recht bald wieder zu sehen, blieb beständig bei uns rege.
Sein scharfer Blick hatte leicht meine schwankenden Begriffe von dem, was mir das Wichtigste seyn mußte, erspäht. Ich[167] jammerte ihn; er gab sich die Mühe, meine Kenntnisse und das zu prüfen, was mich hinderte, mich einer freudigen Gottesverehrung hinzugeben. Sein Tadel war ohne Bitterkeit, und sein Mitleiden beleidigte nicht. Er räumte mit ausharrender Geduld in meinem Kopfe auf; fegte alles hinaus, was schlechte Früchte tragen konnte; lehrte mich einen Gott kennen, der eben der war, den meine frommen Eltern so treu und freudig verehrten. Mit meinem Manne ließ er sich in gelehrte Untersuchungen ein, welchen ich indeß auch die Freiheit hatte beizuwohnen. Der einfachere Unterricht war für mich, und auch bei meiner Tochter gründete er eine Kenntniß von Gott, die tausendmal mehr als Katechismusunterricht werth war. Ich will Sie, meine Ida, nicht mit dem Detail seiner Unterredungen ermüden; aber das Resultat war: daß er uns zu glücklichen Menschen[168] umbildete, die mit heitrem Auge in die Zukunft blicken durften. Auch im Anfange unsrer Haushaltung unterstützte er unsre Dürftigkeit doch jederzeit so schonend, daß wir nur den Wohlthäter erriethen, und ihm nie mit Worten danken konnten.
Die strenge Arbeitsamkeit, zu der unsre Armuth uns verpflichtete, befestigte meine Gesundheit. Ich blühete, so zu sagen, von Neuem wieder auf; denn das ewigbewährte Rezept gegen die Üppigkeit, Armuth, hatte auch bei uns seine Dienste gethan. Auch mein Mann und meine Tochter genossen einer Stärke der Gesundheit, von der sie bis dahin durch sich selbst keinen Begriff gehabt hatten. In unsern Mußestunden, deren wir aber nur wenige hatten, lasen wir aus dem Büchervorrathe unseres Freundes; da ich mich aber in allem Ernst vor dem Bücherlesen fürchtete, so schränkte[169] ich mich größtentheils auf Spaldings schätzbare Schriften ein. Der sanfte Geist, der darin athmet, that meinem Herzen unendlich wohl. Doch las ich auch wirthschaftliche Schriften, Naturhistorie, Physik, etc. und unser Freund brachte mir einige praktische botanische Kenntnisse bei.
Unser kleines Hauswesen gedieh so gut, daß wir uns in kurzer Zeit schon nach Erweiterung des Raumes, den wir inne hatten, umsahen. Uns war so wohl, wir dachten so wenig an die Welt, die wir, oder vielmehr die uns verlassen hatte, zurück, daß es uns beinahe eine schmerzliche Nachricht war, als meines Mannes Tante starb, und uns eine gute Erbschaft hinterließ. Die Eingeschränktheit hatte uns in steter Spannung und Thätigkeit erhalten; ich fürchtete jetzt den Wohlstand wie eine Hyäne. Allein wohl mir! meines Mannes Gefühl war gereinigt,[170] wie das meinige. Er hob die Erbschaft, brachte nur so viel Zeit, als eben zu diesem Geschäfte erforderlich war, außer dem kleinen Bezirke unsrer Zufriedenheit zu, baute uns nachher unsre Hütte bequemer und anständiger auf, kaufte das Land, das wir nur in Pacht gehabt hatten, und das ist nun eben das Häuschen, in welchem Sie, meine Ida, Ihrer Freundin so einfach und so überaus glücklich ihre Tage verrinnen sehen! – Der kluge, gute Herr, dem wir unsre bessere Existenz verdanken, ruht dort unter den beiden Linden, über welchen die vergoldete Kirchthurmfahne hervorragt. Ich gehe den Hügel, der seine theure Asche deckt, nie vorüber, ohne meine Tochter dabei verweilen zu lassen, das Andenken dieses unsres Heiligen zu segnen, und mir den Spruch zu wiederholen, den ich oft von seinen werthen Lippen gehört habe: »Wo Tugend und[171] Arbeitsamkeit herrschen, da wohnt auch das Glück.«
Minna schwieg als sie ihre Erzählung geendigt hatte, und Ida saß tief in sich versenkt, mit zurückgelehntem Kopfe. – Also Armuth und strenge Arbeitsamkeit wurde Ihnen der Weg zum Glücke! Gut, das braucht man ja nur zu wollen! Arbeiten, o ja, arbeiten ist sehr gut! Nüchternheit reinigt die Seele, sagt man. – So redete sie in abgebrochnen Sätzen, als wenn sie allein wäre. Minna erschrak, und schlug ihren Arm liebend um der Freundin Nacken. – Was bewegt Sie so sonderbar, meine Liebe? meine Erzählung hat Sie empört. Nicht wahr? Sie sinnen, wie Sie nur ein Herz von sich entfernen wollen, das Ihrer Liebe nicht immer werth war. – O nein, nein! rief Ida, und[172] brach in Thränen aus; ich sann, ich gestehe es Ihnen, ich sann, wie ich dem Versprechen, Sie mit mir bekannt zu machen, wenigstens noch auf einige Zeit ausweichen könnte, und da erschrak ich, daß das Ende Ihrer Begebenheiten mich ereilt hatte, ohne daß ich vorbereitet war. Und nun, Minna, hat mich der Schluß derselben, Ihr Edelmuth, die Größe Ihrer Beharrlichkeit, Ihre Entschlüsse, das alles hat mich vernichtet; ich habe Ihnen größere Fehler, und weniger Muth, sie gut zu machen, mitzutheilen. O, erlassen Sie mir die bittere Aufgabe! nur noch auf einige Zeit erlassen Sie sie mir! Sie sollen alles hören; aber mich sogleich neben Sie, die Gute und Edlere, zu stellen, das vermag meine Eigenliebe nicht. Ich bin klein, sehr klein, wie Sie sehen; aber ich war nicht immer so arm, so muthlos. Einst, – ach, es war eine schöne Zeit! – durft' ich mit freiem[173] Blick um mich schauen; doch das ist lange her, und seitdem – – – Hier trat der Verwalter des Edelhofes, den Ida seit einiger Zeit bewohnte, zu ihnen. Er redete Ida an: »Madame, es thut mir recht leid, daß ich Ihnen etwas sagen muß, das Ihnen unangenehm seyn wird; Sie sind ohnehin immer so traurig. Ich gehe schon seit gestern mit dem Gedanken um, wie ich's Ihnen vorbringen soll. Nun, da eben die Madame bei Ihnen ist, kann die Sie trösten; die ist ja immer so lustig wie ein Finkenmännchen.« – Diese Einleitung machte einen sichtbar unangenehmen Eindruck auf die Frauen. Ida hatte nicht den Muth, zu fragen, was das für eine Nachricht sei. Minna drängte den Mann, daß er damit herausrücken mußte. »Ja,« fing er langsam stammelnd an, »als der gnädige Herr nach Mecklenburg ging, ließ er mich kommen, und[174] sagte: ›Hör' Er mal, Schulz, ich reise zu meinem Bruder, der ist krank, und werde bis zum Oktober wegbleiben. Da steht nun das Haus und alle die Wirthschaft allein. Es ist Schade, daß kein Mensch in der Blumenzeit hier seyn soll. Findet sich jemand, nämlich ordentliche, rechtliche Menschen, so kann Er die Zimmer da unten zum Sommerplaisir vermiethen thun, und das Geld soll Seine seyn. Weil Er mir immer ordentlich gedient hat, so ist's billig, daß ich mich bei allen Gelegenheiten dankbar gegen Ihn beweisen thue. Ich hab's Ihm nicht vergessen, Alter, wie Er mich bei Torgau aus dem Getümmel trug.‹ – Denn sehen Sie nur, unser Herr war damals Kornet, und das Pferd wurde ihm unter'm Leibe todtgeschossen, und er bekam eine Wunde, sehen Sie nur, justement hier ging sie ihm vorbei, die Kugel.« – – Gut, gut! fiel ihm Minna ungeduldig[175] ins Wort; die Nachricht, lieber Herr Schulz, die Nachricht! – »Ja, daß ich Sie nicht zu lange aufhalte. Der Abend ist ein wenig frisch; um diese Zeit ist es immer so, ich weiß, als ich noch ein kleiner Junge war« – – War Er ein lieber, munterer Knabe, nicht wahr? und wurde leicht ungeduldig, nicht wahr? – rief Minna noch ungeduldiger. – »Herr Jemine, unser einer kann ja nicht so fix mit der Sprache heraus!« fuhr der Alte langsam fort. »Nu, was ich sagen wollte, da sagte ich denn: wenn der gnädige Herr es erlauben thut, so wüßt' ich wohl jemand, dem mit dem Sommerplaisirchen gedient wäre. Da hat mir mein Schwager geschrieben, wenn sich hier herum so etwas fände, bei ihm in Orte hielte sich – that er mir schreiben – eine Dame auf, von der kein Mensch wüßte, wo sie her gestoben und geflogen wäre. Es müßte wohl so eine Mätresse[176] seyn. Er für sein Theil früge nicht darnach; sie wäre hübsch und fein, und bezahlte auch gut: bei ihm lebte sie still und ordentlich; nur daß sie manchmal so rappelköpfisch wäre, daß sie stundenlang weinen thäte, und über Papieren säße. – Weiter, mein Freund: ich höre, er meint mich, – sagte Ida; – ja, geweint habe ich viel, mich drückt ein schwerer Kummer, das ist wahr. – Na, darum jammerte es mich auch; und ich dachte, ich wollt's Ihnen zuwenden, weil der Schwager doch schrieb, Sie bezahlten auch ordentlich. Meine Alte brummte auch wohl, und sagte, ich würde wohl allerlei in's Haus schleppen, ich könne die alten Soldatenstückchen noch immer nicht vergessen. Aber, mein Seel'! noch hat's mich nicht gereut, Sie sind eine gute liebe Madame. Nur schade, daß die Freude so bald ein Ende nehmen soll; da schreibt nun der gnädige Herr:[177] – er las den Brief: ›Mein lieber Schulz, wenn das Heu herein ist, so sorge er doch – nun das dient Ihnen nicht zu wissen. – Und – ja wo ist es denn nun? – Von wegen der Wohnung, sorge er, daß sie geräumt wird. Es sei denn, daß die fremde Dame sich mit dem kleinen Gartenhause, auf dem Berge behelfen wolle. Denn ich bringe einen alten Freund mit, den ich in der untern grünen Stube gern einquartieren möchte.‹ – Da war's heraus, Madamchen. Nun thun Sie, was Sie wollen. Morgen oder Übermorgen kommt die Herrschaft. – Das Gartenhäuschen ist wohl hübsch. Eine, zwei – ja warten Sie mal; ein, zwei Stuben und zwei Kammern. Der Kamin ist geräumig genug zum kochen. Und ne Aussicht, potz tausend! man sieht bis in andrer Herren Land.«
Ida, welche etwas schreckliches besorgt[178] hatte, sagte mit erleichtertem Herzen: ich nehme es an, lieber Schulz; mir liegt daran, noch eine Weile in dieser Gegend zu bleiben, wo ich eine so liebe Freundinn gefunden habe, und wo ich den Ausgang meiner Angelegenheiten abwarten will. – Sein Herr ist also wohl ein recht braver Herr? ist er verheirathet? – O er ist ein scharmanter lieber recht gemeiner Herr; ob schon ein großer Generals Sohn, und so alt von Adel, daß es bald gar nicht mehr wahr ist; so ist er doch gar nicht großmüthig, wie die andern Herren vom Adel, die da immer denken, unser einer wäre von andern Koth zusammengesezt. Denn sieht er wohl, lieber Schulz, – sagt' er oft, – ich bin aus der Mutter Schooß gekommen, wie mein Knecht, und muß meine alten Knochen dahinlegen, wie er; was sollt' ich mich denn überheben, wenn meine Vorfahren brave Kerls waren?[179] Und seine Dame, ob schon sie nicht von Adel ist, so thut sie auch nicht so dicke thun, wie wohl andre, die in der Welt zu was kommen. Sie ist eine fromme demüthige Dame, die nicht hoch 'raus will, und man immer sich mit der Armuth abgeben thut: da thut sie die Kinder dies und das lehren; o unsre Mädchen sind auch weit und breit berühmt, daß sie sich so gut können mit Kindern behelfen; das lehrt sie alles die gnädige Frau. Die Madame Nachbarn wird wohl schon davon wissen.
Sie hat einen ungemeinen Ruf, sagte Minna; ich kenne sie selbst noch nicht, aber meine Auguste hat ihre Bekanntschaft schon gemacht, und erhebt sie bis in den Himmel, wegen ihrer Güte. Allein, damit wir doch endlich etwas beschließen, liebe Ida, Sie müssen also das grüne Zimmer, des alten Hausfreundes wegen, der mit kommt, räumen.[180] Schade! das Zimmer ist so traulich, und die Rosen und Weinreben, die in's Fenster kucken. – Wollen Sie das Berghäuschen nicht beziehen, so habe ich noch zwei Gaststuben. Einen liebern Gast dürften Sie schwerlich je aufzunehmen haben. Nun, Ida? schlagen Sie ein? – Nein, Minna, das Berghäuschen soll's seyn. Ich bin Ihnen dann näher, ohne Ihnen lästig zu seyn. Herr Schulz, morgen früh beziehe ich es. Dann mag Ihr Herr kommen, ich werde mich freuen, den braven Mann kennen zu lernen. – Gut, sagte Minna; mein Mann verreiset vor Tages Anbruch: ich werde bei Ihnen seyn, und Ihnen beim Umziehen helfen. Die erste Mahlzeit auf dem Berge bereite ich, und verzehre sie in ihrer lieben Gesellschaft. Für heute ist's Zeit aufzubrechen. Herr Schulz, Sie bringen mich durch den Küchen Garten, so komme ich um zehn Minuten[181] früher an. Auf diese Weise befreiete sie Ida von dem redseligen Alten. Und so schieden sie für diesesmal.
Ida bezog die kleine freundliche Wohnung auf dem Berge, und genoß in Gesellschaft der treuen Freundin, der schönen weiten Aussicht, als sie eine Reise Equipage in dem Edelhofe ankommen sahen. Ida schauerte zusammen, ohne sich Rechenschaft geben zu können, was die ankommende Familie des Herrn von Auerfelde auf ihr Gefühl zu wirken habe. Die Entfernung war zu groß, als daß sie etwas anders, als zwei Herren und zwei Frauenzimmer, welche ausstiegen, hätte bemerken können. Bald erschien einer der Herren im Hofe, besah die Wirthschafts Gebäude, und kam den Garten hinab, bis auf[182] eine kleine Strecke von dem Orte, wo die Frauen saßen, die den Fremden nun ganz deutlich erkannten. – Allmächtiger Gott! was ist das? rief Ida erblassend, und mit den Augen auf die Stelle hinstarrend, wo der Fremde stund, der sie aber nicht zu bemerken schien. Minna, so lebhaft sie auch der Freundin zu Hülfe eilte, kam doch zu spät, um sie aufzufassen; sie war schon ohnmächtig von dem Stuhl herabgesunken. Indeß hatte der Fremde sich von der andern Seite entfernt, und wir eilen die Veranlassung dieses Vorfalles in einem Briefe mitzutheilen, welchen Madame Thalheim an ihren abwesenden Mann schrieb.
Liebster Mann!
»Du wünschtest, ich möchte Dir schreiben. Ich würde Dir gar nichts zu sagen haben, als daß die große englische Henne ihre Küchelchen[183] glücklich ausgebracht, und der Wind Deine Nelken abgeschlagen, und noch sonst manches, das wir mit eigner Hand zogen, verwüstet hat, hätten sich hier in Kleedorf auf dem Edelhofe, nicht wunderliche Dinge zugetragen; recht so wie in den Romanen, oder Komödien, wo die Väter und Onkel, eben so zur rechten Zeit aufzutreten pflegen. Die Ida hat – doch ich muß Dir das in der Ordnung erzählen. Als Du abgereiset warst, mein Lieber, übergab ich Augusten die Aussicht des Hauses, und ging zu Ida, die nun nicht Ida mehr ist. Ich fand sie schon in ihrer neuen Wohnung eingerichtet; und wir überließen uns dem Vergnügen, das jede neue Situation uns Weibern zu gewähren pflegt. Wir schauten in die weite
Aussicht umher, und stritten um die Lage der Örter. Nein: das ist Ruheim, nein: das ist nicht Ruheim, das ist Vogelfelde[184] u.s.w., als eine schnell anfahrende Reisekutsche unsre Aufmerksamkeit auf sich zog. Das ist der Edelmann, sagt' ich so zufällig hastig, daß Ida zusammenfuhr, und die üble Gewohnheit, sie durch meinen vorlauten Ton zu erschrecken, schalt. Er war wirklich der Gutsherr, sie stiegen im Edelhofe ab; der Herr, der alte Freund, die Dame, und ein untergeordnetes Frauenzimmer, wie ich an den schmieg- und biegsamen Wesen bemerkte. Das war gut, und wir sprachen von etwas anderm. Nach einer Weile erschien im Hofe der Herr, der nicht der Gutsherr war; er sah, und ging, und kam endlich den Gang herunter, bis nahe zu uns hin. Ich erkannte einen hübsch aussehenden, nicht jungen Mann, der mir weiter nicht bemerkenswerth schien. Aber Ida sah mehr, sie that einen kläglichen Schrei, faltete die Hände vorwärts hingegestreckt,[185] und sank zu Boden. Der Vorfall entsetzte mich um so mehr, da Niemand zur Hülfe in der Nähe war, und der Fremde, der uns gar nicht bemerkt hatte, schon in einen Seitenweg eingelenkt hatte. Diesmal that mir die Gewohnheit, mein Wasserglas überall neben mir zu haben, gut; ich besprengte die Ohnmächtige, und nach einigen heftigen Zuckungen der Brust, erholte sie sich. Ida, meine Ida, wie war Ihnen? Ach ach! die Erscheinung dort unten. O! der Fremde! ach Minna, Minna, verbergen sie mich; Lassen Sie uns von hier eilen: er muß mich jezt noch nicht sehen. – Wer? wer soll Sie nicht sehen? – Sie bückte sich an mich heran, und sagte mit verstörtem Blick: – der Fremde war mein Vater, der Amtmann Grünthal: er wars gewiß. Kommen sie nur geschwind, kommen Sie, daß er mich nicht sieht. Sie[186] ergriff mich, und schwankte nach dem Hause hin. Meine Bestürzung machte, daß ich ihr stillschweigend folgte. Sie sank erschöpft in einen Stuhl, und rang nach Luft; ich half so gut ich konnte, ohne sie mit Fragen zu quälen, so sehr mich selbst die Neugier quälte.
Nachdem wir über eine Stunde so zugebracht hatten, erlangte sie etwas mehr Fassung. Ich äußerte, sie könne auch wohl irren; es gebe täuschende Ähnlichkeiten. O nein! nein! er ist's, erwiederte sie: ich habe es nicht aus dem Herzen gelassen, das liebe redliche Gesicht, das so freundlich war, und ach! jezt mir so schrecklich ist! Ich suche ihn, aber so plözlich, so überraschend, wollt' ich ihn nicht finden. Erst wollt' ich sein Herz erforschen. Ach! er wird es mir auf immer verschlossen haben. Und doch, war er nicht selbst da noch Vater, als die[187] Unglückliche, pflichtvergessene vor ihm floh? – Sie erzählte mir in wenig Worten ihre Geschichte, daß sie vom Lande, in die Kostschule der Räthin Brennfeld gekommen, dort von einer adlichen Kostgängerin zum Leichtsinn verführt worden, dann vom aufgebrachten Vater zu einer Verwandtin gethan, deren Mann sie von derselben abwendig machte, so daß er sich von ihr schied, und sie heirathete. Drauf sei die romanhafte Liebe bald erkaltet; der Mann habe bankrott gemacht, sei mit einem Mädchen durchgegangen, und sie die Unglückliche, habe der Schmeichelei eines russischen Fürsten Gehör gegeben, und sei diesem nach Rußland gefolgt. Nach mancherlei Schicksalen sei sie wieder nach Deutschland verschlagen, und hier in die Gegend gekommen, um sich dem Vater nach und nach zu nähern. Aber so schnell, so unversöhnt,[188] ohne alle Vermittlung, wage sie es nicht, vor ihm zu erscheinen.
Was nun erfolgte, wirst Du Dir, mein Lieber, leicht denken. Eine Bitte, um meine Vermittlung. Nach einigem Bedenken übernahm ich's; denn sie jammerte mich von Herzen; und wir mischen uns ja für unser Leben gern in fremde Händel. Je intrikater, je lieber!
Das erste was ich in der Sache that, war daß ich mich bei dem Verwalter erkundigte, wer der mitgekommene Fremde sei? Es war richtig der Amtmann Grünthal. Nun ging ich einigemal in dem Garten umher, mich zu dem nicht leichten Geschäfte zu sammeln. Als ich mich hinlänglich vorbereitet glaubte, schickte ich den alten Freund Schulz ab, mich bei Herrn Grünthal zu melden. Ich wurde angenommen, und in das untere Zimmer geführt, das Ida, nun[189] Julchen, bis dahin bewohnt hatte. Mir schlug das Herz wie damals, als ich vor meinem Stiefvater, nach einer gewissen Begebenheit, die ich in meinem Ehrendenkmal nicht angesührt zu haben wünschte, erscheinen mußte. Herr Grünthal kam mir entgegen, freundlich, doch so wie man jemanden aufnimmt, von dem man nicht weiß, wie er uns stimmen wird. Er ist ein Mann, in den ersten der funfzig, von gradem deutschen Anstande, mehr hager als fett; auf sein regelmäßiges Gesicht hat der Gram, wie es scheint, tiefe Falten eingefurcht; eine ähnliche Bildung habe ich, denk' ich, schon auf mancher Gemme gesehen. Sein Ernst hatte nichts abschreckendes, und ich athmete wieder freier, als er mich mit einer reinen Tenor Stimme um mein Gewerbe fragte. Sie sind eine von den Damen des Hügels? fragte er freundlich. Ich bin[190] keine Bewohnerin desselben, sondern gehöre auf dem nahe Vorwerk zu Hause, wo ich schlechtweg eine Bäurin bin. Aber die Bewohnerin des Hügels, welche Sie aus diesem Zimmer vertrieben haben, schickt mich an Sie ab; – o, unterbrach er mich galant, dann ist's ja an mir, an sie abzuschicken, oder wenn sie's erlaubt, ihr aufzuwarten, daß ich ihr meine Entschuldigung mache. – Ach Herr Grünthal, was die Entschuldigungen betrift, so fürcht' ich, Sie haben viel bei ihr zu entschuldigen. Es ist die Absicht meiner Sendung. – Er stuzte. Wie käme ich dazu? ich habe nicht die Ehre sie zu kennen. – Sie hat Sie ehedem sehr wohl gekannt. Sie haben in zärtlichem Verhältnisse mit ihr gestanden, sie hat sich schwer an Ihnen versündigt, und sehnt sich jezt, Ihnen ein reuiges Herz zu Füßen zu legen. – Wie, wie, stammelte er außer[191] Fassung. Versündigt hat sich an mir Niemand, als, – o nein! nein! das ist nicht, das kann nicht sein! Madame Sie halten mich auf der Folter: wenn Sie nicht meine unglückliche Tochter meinen, – er brach in eine Fluth von Thränen aus; wenn Sie die nicht meinen, so kann Ihr Gewerbe nicht an mich gerichtet sein. – Und wenn sie es nun wäre? was dürfte sie hoffen? – O hüten Sie sich, Madame, in einer so schrecklich angreifenden Sache, meiner zu spotten, reden Sie, ohne Umstände. – Es ist Ihre Tochter. – O Gott, o Gott! schrie er, und stürzte zur Thüre: wo, wo haben Sie sie? – Sie ist nicht hier; – aber ganz nahe – Sie müssen Sie mir nicht vorenthalten, – rief er, indem er mich ungestüm nach sich zog, und an sein Herz drückte, daß ich es merklich fühlte. Dann ließ er mich plözlich loß, – und[192] sagte: – nein, nein! ich darf sie nicht sehen. Sie würde meiner Schwäche nur spotten. Konnte sie doch so manches Jahr hindurch, den Vater trostlos sich härmen lassen; was kümmert's sie, ob er verzeiht, oder nicht? Sie hat ja vornehme Beschützer, die ihr den Vater ersetzen. – O Herr Grünthal, werden Sie nicht bitter; Ihre Tochter ist allein, ist hülf- und schutzlos. Der Gram, die Sehnsucht reibt ihre Lebenskräfte auf. Sie müssen, Sie werden verzeihen. – Kennen auch Sie mich schon so gut? – Hat sie Ihnen denn schon gesagt? – Sie hat mir nichts gesagt, als daß sie Ursach hat zu verzweifeln; und doch ohne Sie versöhnt zu haben, nicht leben kann. – Er stand still in sich gekehrt, unentschlossen und wiederholte für sich: nein, nein, verzweifeln soll sie nicht. Dann war er wieder still. – Herr Grünthal, fing[193] ich wieder an, was soll ich meiner Freundin für eine Antwort bringen? Er schreckte auf, faßte hastig meine Hand, und sagte: – nun so kommen Sie, kommen Sie denn, ich bin von Herzen bereit. Doch! sollte die Verzeihung suchende nicht zum Vater kommen? – O pfui pfui, Herz an Herz, und wenn's Liebe seyn soll, dann ohne Rückhalt! Kommen Sie. – Er riß mich fort. Ich hatte Mühe, seinen von der feurigsten Bewegung angetriebenen Schritten zu folgen.
Er flog voran, indem ich mir fast die Lunge zersprengte ihm zuzurufen, mit dieser Hast, und diesem Überraschen könne er seiner Tochter den Tod bringen. Die Eil war ohnedem vergeblich; denn es hatte sich indeß etwas ereignet, das uns beide gleich unvermuthet und schreckhaft überraschte. – Ida, nicht doch, – Julchen, hatte, von banger Erwartung gefoltert, meine Zurückkunft[194] nicht ruhig in ihrem Zimmer erwarten können. Sie war mir gefolgt, und hatte mich wahrscheinlich in einer Laube des Gartens erwarten wollen. Dort fanden wir sie zu den Füßen der Frau von Auerfeld ohnmächtig, und diese Frau zitternd und in Thränen gebadet. Ich verzage, lieber Wilhelm, Dir ein anschauliches Bild von dieser, in ihrer Art, einzigen Szene entwerfen zu können. Grünthal schoß an mir vorbei, indem er unartikulirte Töne ausstieß, die mir durch Mark und Bein drangen. Mir war um des Mannes Verstand bange. Er riß die ohnmächtige Tochter auf, nahm sie wie ein Kind in den Arm, küßte und überströmte sie mit seinen Thränen ohne zu sprechen, oder Notiz von uns Umstehenden zu nehmen. Julchen öffnete die Augen, schrie auf, als sie sich in ihres Vaters Armen fand, und umklammerte ihn konvulsivisch.[195] Lieber Onkel, sagte die Frau von Auerfelde mit lieblicher Stimme, Sie werden beide der Gewalt dieser Eindrücke unterliegen. Still, Karoline! weißt Du, wie dem Vater war, als er den verlohrnen, den reuigen Sohn wieder umarmte? – Als nach einer Weile die Tochter zu sich kam, rief sie noch immer, den Vater fest umklammernd: Vater, Vater, auch Karoline nimmt mich wieder an; sie vergiebt mir, – Liebstes Mühmchen, antwortete die herzige Frau, laß das Vergangne uns vergangen seyn. Mein heißester Wunsch war, dich wieder zu finden; nur der alten Liebe wollen wir uns erinnern. Julchen riß sich vom Vater los, und stürzte zu den Füßen der liebreichen Frau hin, und legte angetrieben, man sah's deutlich, angetrieben von tiefer zerknirschender Demuth, ihr Gesicht in den Staub hin. – Frau von Auerfeld[196] vermochte den Anblick kaum zu ertragen, sie winkte dem Vater, daß er die Tochter aufheben möchte; der es dann mit einer Bewegung that, die ich nie vergessen werde. Julchen, mein Kind, mein armes Kind, hast Du so vor deinem Schöpfer in den Staub dich gebückt, so ist die Schuld bei dem Barmherzigen getilgt, und wir müssen Dir die Hände zur herzlichen Versöhnung reichen. Sieh nur, Julchen, wie Du der armen Karoline das Herz brichst. Liebe Nichte, Ihnen ist ohne dies schon nicht wohl. Schonen Sie sich. Lassen Sie mich, ja lassen Sie mich die Freude allein tragen. In diesem Augenblick beneide ich jeden, mit dem ich Julchen theilen muß. Karoline, gehen Sie jezt zu Ihrem Gemahl, und bereiten ihn vor, wen er zu erwarten hat. Die arme Karoline war für diese angreifende Szene zu schwach geworden; ihr war[197] so übel, daß ich ihr meine Unterstützung anbot, sie nach ihrer Wohnung zu führen Als wir uns entfernten, hörte ich, daß Julchen wieder Worte gewann, und in liebkosenden Tönen mit dem Vater sprach.
Da mein Brief zu einer solchen Länge herangewachsen ist, breche ich hier ab; künftig lernst Du den Gutsherrn kennen. – Auguste küßt Dir kindlich die Hände; ich umarme Dich zärtlichst und bin ewig die Deine.
Wilhelmine.«
Minna zur Fortsetzung.
»Deine Abwesenheit, mein Lieber, macht mich zur gewaltigen Schreiberin. Verzögert sich Deine Zurückkunft, so fürcht' ich gar ein Buch zur Welt zu bringen. Ich stelle mir vor, daß Dich die Geschichten, die hier zu Lande vorgehen, sehr interessiren,[198] und da Du Ida immer gern leiden mochtest, wirst Du gern hören, was weiter aus ihr wird. Ich gehe also frisch an's Werk.
Ich bin, wenn Du Dich erinnerst, noch mit der Dame auf dem Wege nach ihrer Wohnung. Sie fragte beim Eintritt in das Haus, wo ihr Mann wäre? Der Herr Oberst sind in ihrem Zimmer und schreiben, sagte der Jäger. Sie war so matt, daß sie ein Glas Wasser foderte. Sie sehen mich in einiger Verlegenheit, fing sie an, als sie sich etwas erholt hatte: – mein Mann ist groß und gut, aber er hat seine eigne Arten. Von dem armen verirrten Julchen wollt' er nie hören, weil er meinem Onkel so sehr gut ist; er wird ihr den Kummer schwerlich verzeihen können, den sie seinem Freunde gemacht hat. – Ich gestehe, daß mir selber bange wurde, wie[199] das gehen würde. Jezt erschien der Oberst; ein Baumgroßer Mann, von Kraft und Wesen ein ächter alter Deutscher. Du willst mich sprechen, liebe Frau? Er ward mich gewahr, und machte mir, als er meinen Namen hörte, ein verbindliches Kompliment. Aber – es giebt hier etwas, Liebchen? Dir ist nicht wohl? ich bitte Madame, ich bitte um eine Erklärung. – Karoline faßte seine Hände, und drückte sie innig an ihre Brust. Lieber, lieber Mann! jezt muß ich Deine ganze Liebe und Nachsicht in Anspruch nehmen. – Er umfaßte die kleine zart geformte Frau so kraftvoll, daß mir bange wurde. Allerliebste Karoline, wie kannst Du Nachsicht brauchen? ich will ja was Du willst. Bist Du doch die Beste von der Welt. Aber – was ist geschehen? – Lieber Mann, wir haben einen Gast bekommen. – Ist er Dein Gast,[200] Liebe, so soll er mir von Herzen lieb seyn. – Mein Gast, eigentlich aber meines Onkels Besuch. – Je nun, was des Oheims ist, ist unser, und unseres ist des Oheims, das ist Eins. – Ach lieber Mann! was sollen die Umschweife bei einem Herzen, wie das Deinige? Des Onkels Tochter, die arme Verlohrne ist wieder da. – Was! rief er mehr erstaunt als erfreut; Die ist es? hat der Dame beliebt, einmal wieder aufzutauchen? Hm hm? – O sprich nicht so lieber Auerfelde. Dein Herz sagt anders. – Nein, beim Teufel, in meinem Herzen steht sie auf dem schwarzen Register. So einem Vater, wie der Grünthal ist, zu entlaufen. Ich vergeb's der Landstreicherin in meinem Leben nicht: hol mich der Teufel, wo ich's ihr vergebe. – Liebster Mann, sagte nun Karoline ihm sanft schmeichelnd, der Onkel hat ihr aber schon verziehen. –[201] Hat er, die alte Nachtmütze? so soll ich auch wohl? nicht wahr? – Du würdest mich unaussprechlich glücklich machen. Sieh nur, Lieber, die Vorsehung hat ja alles so zum Besten gelenkt. – Ja, da hat die Vorsehung freilich ein sauber Stück Arbeit gehabt, die dummen Streiche wieder gut zu machen. – Lieber Auerfelde, ich wäre nicht Deine glückliche Gattin. – Ah Frau! Weib! willst Du mich so bestechen? Darum brauchte sie aber nicht in alle Welt zu gehen. Nein! nein! mit der Vorsehung, die mit zum schlechten gewirkt haben soll, kommt ihr mir nicht durch. – So sieh die Arme doch nur erst. – Ah! Du denkst das nette Gesichtchen, und die Thränen in den blanken Augen, werden bei dem Alten das Beste thun. Kann seyn. Dagegen hat's hier (er berührte sein Herz) immer nicht so recht Stich gehalten. Nun so mag sie kommen.[202] – Aber lieber Mann, versprich mir, sie gütig aufzunehmen. – Ich werde thun, was ich kann; heucheln kann ich nicht. Schlecht bleibt schlecht; und wenn's auch in der Familie geschieht. – So sieh Sie doch nur erst! – Ach! und wenn sie so schön wäre, wie unsere Kronprinzessin, und wäre nicht so edel, rechtschaffen und liebenswürdig wie diese, so sollt ihr mir nichts einreden. –
Während dieser Debatten hatte Grünthal sich dem Hause mit der Tochter genähert, er stekte den Kopf zur Thür hinein, und fragte mit freundlichem Gesicht, welchem etwas eingemischt war, was ich Blödigkeit nennen möchte: nun wie stehts? darf ich sie Ihnen bringen, Neffe? Des Obersten Antwort fing mit einem bedenklichen, je nun! an, welches seine Frau mit einem Kuß, und einem, ich bitte, mein[203] Lieber! unterbrach. Indem trat Grünthal mit Julchen in's Zimmer, Ihre Haltung mußte durchaus Mitleiden erregen, sie stuzte, als sie den Obersten sahe, dessen kolossalische Gestalt mit beitragen mochte, sie, in ihrem Zustande von Schwäche zu erschüttern. Als sie einige Schritte im Zimmer gemacht hatte, blieb sie ungewiß stehen; in flehender etwas vorwärts geneigter Stellung, den Kopf nach der linken Schulter mit abwärts gewendetem Gesicht, gelehnt. Das gewaltsam unterdrückte Weinen brach in lautes Schluchsen aus. Die Oberstin eilte ihr entgegen, faßte schmeichelnd ihre Hand, und führte sie vor dem Obersten hin, der nun nicht ferner widerstrebend sie umfaßte, und mit der edelsten Gutmüthigkeit sagte: Da widerstehe ein Andrer! Von Herzen willkommen in der Freundschaft. Von nun an Vetter und Mühmchen! Da Sie von[204] selbst wiederkommen, müssen Sie doch auch gut seyn wollen: nicht wahr? Sie ergrif seine Hand und wollte sie küssen; er aber umarmte sie noch einmal. Grünthal sah schweigend dem Auftritte zu, und wischte sich die Augen.
Als die erste lärmende Bewillkommung überstanden war, gelangten alle wieder zu ruhiger Fassung. Wir sezten uns im Kreise, Grünthal hatte die Hand seiner Tochter in der Seinigen liegen, als ob sie ihn noch einmal wieder genommen werden könnte. Nicht wahr? sagte er einmal – heut darf ich nach nichts fragen? Wir sind noch alle zu voll, zu froh! – Sie sollen alles erfahren, liebster Vater, antwortete Julchen: so weh es thut, sich selbst anzuklagen, fügte sie leise hinzu, so haben Sie doch ein zu entschiedenes Recht, alles zu wissen. – Einmal entwischte es mir, sie Ida zu nennen:[205] Wie? was war das? nicht Julchen? nicht mehr Julchen? ach, sagte sie erröthend, als ich unglücklich, und weit von Ihnen war, konnte ich die Laute eines Namens nicht ertragen, den mein Vater oft so zärtlich ausgesprochen hatte. Ich war eifersüchtig auf den Namen, der mich an glücklichere, unschuldsvolle Tage erinnerte. Ich legte ihn zurück, bis ein Tag wie dieser ihn mir wiedergeben konnte. Grünthal lauschte mit Wohlgefallen auf Ihre Stimme, als ob er den Tönen einer entfernten Musik horchte. Der ehrliche Mann that so schmuk und festlich, als wenn sein Hochzeitstag wäre.
Die Frau von Auerfelde war so erschöpft und angegriffen, daß der Oberste auf frühen Abschied und Trennung drang. Uns, mit den starken Nerven, sagte er, wird's freilich nichts anhaben; aber da die Armen,[206] mit den zarten seidenen Fäserchen; – entlaß sie, Grünthal. Oheim, Ihr übertreibts. Die Frauen werden uns erkranken. Sieh nur meine arme Lina; sie schwebt nur noch. Diese Rede des biedern Obersten wirkte. Eine Stunde nach dem Abendessen begab sich ein jeder zur Ruh. Julchen für diesmal noch nach dem Hügel, und ich verlangte nach unsrer kleinen Heimath entlassen zu werden, wo ich jezt nach Mitternacht noch sitze, Dir diese Ereignisse mitzutheilen. Morgen früh bin ich wieder hinbeschieden. Da Auguste sich so thätig der Wirthschaft annimmt, so kann ich einige kurze Abwesenheiten wagen. Leb' wohl, Du Lieber, und gedenke Deiner
Wilhelmine T.«
Fortsetzung.
»Wir versammelten uns zum Frühstück in der Jasmin Laube, in der ich so manche[207] glückliche Stunde mit Ida zubrachte Ach wie so lieb und werth die ersten Eindrücke sind, nie, nie werd' ich den theuren Namen Ida, unter welchem sie mir zuerst bekannt wurde, ohne freudige Schauer aussprechen! Die Gesellschaft fand sich bald zusammen. Julchen war durch die Ruhe der Nacht zu einer bessern Fassung gelangt. Grünthal sah ihr recht scharf in die Augen, und sagte dann, mit dem Finger auf die Augen zeigend: Da sizt Gott Lob! noch recht viel vom ehemaligen Julchen aus Lindenau. – Die Augen schwollen ihr bei dieser Anrede; sie drückte seine Hand an ihr Herz und antwortete: auch hier, lieber Vater! Ihr Julchen wird aus dem gereinigten Sinn und Willen wieder hervorgehen. Bei dieser Gelegenheit machte sie eine Bewegung mit der Hand, wodurch ihm ein prächtiger Brilliant in die Augen[208] fiel, den sie zu tragen pflegte. Sein Blick wurde wie mit einer düstern Wolke bezogen, und mit Unwillen in Ton und Gebärde fragte er: hattest Du das schon, als Du noch – als Du noch – er wußte sich nicht auszudrücken. Sie verstand ihn vollkommen, und indem sie tief beschämt den Ring abzog, stammelte sie ein: Nein! Er faßte sich, und erwiederte schnell, gut; das gehört den armen abgebrannten Nachbarn. – Und auch dieses, sezte sie hinzu, indem sie noch ein Kleinod, welches sie am Halse trug, hinzufügte. – Julchen, thu mir den Gefallen, wenn Du wieder unter uns leben willst, – dies sagte er ihr halb leise, – bringe nichts fremdes mit, Du verstehst mich. Du sollst mit allem, was Dir fehlt, reichlich versorgt werden. Sie bückte sich auf seine Hand und küßte sie dankbar.
Mühmchen, fing der Oberst an, daß[209] wir nicht wieder in den gestrigen Ton fallen, hätte ich große Lust, Ihnen zu erzählen, wie meine würdige Lina zu dem alten Degenknopf gekommen ist, den sie mit ihrer Hand beehrt hat. Lina soll ich? Karoline sagte, sie wollten sich in die Erzählung theilen, wenn's ihm beliebe. Gut, – sagte er, – so mache ich den Anfang.
Ich war Kommandeur des Regimentes, welches in in Garnison liegt. Meine Lebensart war die eines Garçon, der gutes Leben und wenig zu thun hat, ich schlief, ging auf die Parade, nahm einen Schnaps in der Apotheke, wenn die Wachparade abgeführt war, ging in mein Quartier, blätterte in Büchern und Landkarten, aß mit den Offizieren meiner Eskadron, schlief dann wieder, ließ den Braunen satteln, ging mit meinem Tiras auf die Jagd, aß wieder und ging zu Bette. Diese Lebensweise[210] war bis auf die Exercierzeit, die etwas mehr Strapaze, und weniger Schlaf gewährte, so unabänderlich einförmig, wie der Küchenzettel im Kloster. Man wird derselben so gewohnt, daß eine Abänderung zur Anstrengung ungeübter Kräfte wird; denn endlich wird einem der buntgefiederte Hahn des Nachbars, und die weiße Kuh der Frau Gevatterin, das, was in der großen Welt ein Stutzer, und eine neue Maitresse ist.
Einst erscholl im Örtchen plözlich die Nachricht, es sei eine fremde Dame angekommen. Sie beziehe ein Haus und Garten in der Vorstadt, und so reich sie auch sei, würde sie doch aus wohlthätigem Hange, eine Erziehungsanstalt errichten. Da war nun mit einem Male eine neue Erscheinung, auf die nicht nur alle Augen des Örtchens, sondern der umliegenden Gegend[211] gerichtet waren. Wer ist sie? von wo ist sie? wie sieht sie aus? ist sie alt oder jung? und die Antworten lauteten immer nur, sie soll so oder so seyn; denn noch hatte Niemand die liebe Lina gesehen. Als dies so eine Zeitlang gewährt hatte, erkaltete die thätige Neugier, und es war nur noch die Rede von ihr, wie etwa von der weißen Frau: sie soll umgehen, aber keiner hat sie gesehen. Indeß wirkte die Gute doch schon wohlthätig im Stillen. Sie hatte Mädchen, das heißt, junge Bürgertöchter zu sich genommen, welche sie unentgeldlich in Arbeiten unterrichtete; und zu Kindermädchen bildete. Man fand die Sache lächerlich, – nimm mir's nicht übel, Lina, – sie lachten Dich aus, als ob einen das gelehrt zu werden brauchte. Zum Spaße versuchte die Gräfin von P. nach einem Jahr, ein Mädchen aus dieser Anstalt zu nehmen, und[212] schrie nun über Wunder. Das Mädchen hatte die Qualitäten einer Gouvernante. Jezt wurde übertrieben, und alles wollte von diesen Mädchen haben. Indes hatte sich meine gute Lina die Wittwe des Rektors, und die verwittwete Stadtschreiberin beigesellt, welche sie so reichlich unterstützte, daß auch diese unentgeltlich mitarbeiteten, das heißt: daß die Bürgerschaft nichts bezahlte; und nun nahm alt und jung Theil an diesem Unterricht, der die wohlthätige Absicht hatte, Erzieherinnen für die erste Kindheit zu bilden. Die Sache fing an so viel Aufsehen zu machen, daß ein jeder die wundersame Frau kennen zu lernen wünschte. Da sie sehr eingezogen lebte, und außer ihren Zöglingen niemanden sah, war es nicht leicht, diesen Vorzug zu erlangen; der mir aber einst unverhoft zu Theil wurde. Ich kam von der Jagd, und eben vor dem Gartenhause,[213] das ich so oft vergebens umgangen und umritten war, wurde mein Pferd vor einem Karren mit Kraut scheu, und drängte mich so heftig gegen die Mauer des Hauses, daß ich durch eine starke Quetschung genöthigt wurde, abzusitzen, und durch meinen Jäger um Erlaubniß bat, mich in ein unteres Zimmer führen lassen zu dürfen, bis er mir einen Wagen bringen würde. Dies war nicht abzuschlagen. Ich wurde in ein niedlich aufgeputztes Zimmer geführt, wo ich eine junge Frau in das reinste Weiß gekleidet fand, die mich mit allem Anstande einer feinen Weltfrau bewillkommte. Die Schmerzen meiner Quetschung hinderten mich, den reinen und unbefangenen Blick, aus dem heitersten blauen Auge, und den edlen, wohlwollenden Zug des Mundes zu bemerken. Das kann die Frau des Hauses nicht sein, dacht' ich, denn dem Begriffe von[214] Erzieherin hatte sich bei mir immer eine dunkle Vorstellung von Strenge beigemischt, welche ich nicht davon trennen konnte. Ihre Unterhaltung gewährte mir eine Erquickung, bei der ich völlig vergaß, weswegen ich eigentlich hereingekommen war, und ich hätte den Jäger prügeln können, der mit dem Wagen so bald ankam. Beim Weggehen warf ich einen Blick in den Garten, stellte mich, als ob er mir besonders gefiele, und nahm daher Gelegenheit um Erlaubniß zu bitten, zuweilen darin ansprechen zu dürfen. Meine gute Lina erlaubte es sehr verbindlich, doch mit dem nicht ganz in mein Krämchen paßenden Nachsatz, wenn sie gleich nicht immer die Ehre haben würde mich willkommen zu heißen, so stehe doch der Garten zu meinem Befehl.
Mein Kopf, und wie mirs beinahe vorkam, mein Herz war voll von dem, was[215] ich gesehen und gehört hatte. Die fremde Dame schwebte mir unaufhörlich auf der Zunge; aber wenn sie herunter wollte, schickte ich sie immer wieder in mein Herz zurück; denn kein Unheiliger, kein Adjutant oder Subaltern, sollte ihren Namen hören. Am andern Morgen sobald es der Wohlstand erlaubte, schickte ich meinen Jäger, mit einem Danksagungs-Komplimente an sie ab; denn so viel Galanterie hatte ich noch von meinem Pagenstande ronservirt, obschon sie diesesmal grade aus dem Herzen kam. Der Jäger brachte mir mit dem artigsten Gegengruß, einen schönen, blühenden Rosenstock mit, welchen sie dem Kranken schenkte. Seit meinem Lieutenantsstande war ich nicht eigentlich wieder verliebt gewesen: und jetzt wunderte ich mich nicht wenig, daß dem alten Knaben mit einem Mal das Herz wieder aufging. Ich fragte[216] dem Jäger rück- und vorwärts ab, was er gesehn und gehört hatte, und immer blieb noch ein Umstand, den ich nicht recht begreifen konnte. Es kostete mir Zwang, abzubrechen, aber wie gut ich nun dem Kerl war, kann ich nicht beschreiben; auch hatte ich den ganzen Tag seine Dienste nöthig, und behielt ihn um mich. Ob ich nicht mit dem Rosenstocke geheime Unterredungen gehalten habe, kann ich nicht gewiß sagen. Das liebe Geschenk zog ein Gegengeschenk, einen kleinen Rehbock für die Küche, nach sich. Auf diesen folgten die ersten grünen Erbsen, die eine liebe Hand selbst gelegt hatte, und die dem noch immer Leidenden wohl thun würden. Gegen den Balsam, der für mich in diesen Erbsen lag, ist Hirschels Wundersalz mit allen Goldtinkturen der Alchymisten nur Kindertand. Die Tischgänger hätte ich erwürgt, wenn sie's gewagt[217] hätten, nur eine davon anzurühren. Das ging volle sechs Wochen so seinen Gang. Unser Regimentschirurgus hatte die glückliche Gabe, aus kleinen unbedeutenden Übeln große zu machen; auch bei mir war's ihm gelungen. Mein erster Ausgang verzögerte sich bis zum Herbst. Wohin er gerichtet war? versteht sich von selbst. Ich ließ mich melden, wurde angenommen, und fand nun die allerliebste häusliche Frau in einem leichten weißen Röckchen mit ihren Zöglingen beim Obsteinsammeln. Ich hatte noch von meiner Mutter her eine Freude an häuslichen, besonders an ländlichen Frauen. Diese Tugend an der Dame meines Herzens zu entdecken, war eine ungemeine Erhöhung der Achtung, die mir ihr gebildeter und grader Verstand eingeflößt hatte. Ihre Kenntnisse, ihre solide Belesenheit, waren mir nicht entgangen;[218] ich hatte Respekt ohne jene besondre Furcht und Abneigung, die ich immer vor den Drätensionen belesener Weiber empfunden hatte. Dies alles, was ich so lange gesucht, und noch nie in dem Grade bei einer Person vereinigt gefunden hatte, bei einem allerliebsten guten Gesicht, das gerade nach meinem Geschmack schön war, wirkte gar wunderlich auf das alte Soldatenherz. Ich kam und ging, kam wieder, und dachte doch dabei. Du kommst zu oft, oder Du gehst zu bald. Das Ding brachte mich aus meiner Tramontane, und ich merkte bald. daß es so nicht bleiben konnte. Heirathen? hm! da werden Dich die jungen Lassen, die geschniegelten Offizierchen, auslachen. – Aber wie denn? Abschied nehmen? da ist aber wieder das Vaterland! Und kann dem Vaterlande denn nur mit dem Degen in der Faust gedient werden? Ist der Nährstand[219] nicht so wohl, und mehr noch Stütze des Staats, als der Wehrstand? Habe ich als Gutsbesitzer nicht Pflichten auf mir? Ich werde im Militär vielleicht einem Fähigern Platz machen. So lange es einen so zahlreichen unbegüterten Adel giebt, wird's dem Staate nie an Offizieren fehlen. Der Landadel kann vielen und bleibenden Nutzen stiften; er kann auf Generationen wirken. Eine Landedelfrau, wie meine Herzensdame! Ei, das geht, das muß gehn! Georg, meine neue Uniform! die neue Feder auf den Hut! Der alte Oberste machte sich blank und schmuck; die braune Blesse mit der Revüeschabracke wurde vorgeführt, bestiegen, und so im anständigen Schritt in die Vorstadt. Angemeldet. Madame sei nicht recht wohl; sie bäte sich die Ehre auf ein andermal aus. O weh! eine so wohl geordnete Anrede steht einem[220] nicht alle Tage zu Gebote; die soll so für nichts und wieder nichts ausgedacht seyn? – Noch einmal hinein, Georg! nur um fünf Minuten Gehör! Es wurde gewährt, und nun klopfte dem alten Narren das Herz. Was nun folgt, solltest Du, liebe Line, erzählen; wie ich mich benahm, wie ich sprach; nur würdest. Du zu bescheiden seyn, und den alten Reuter zu gut durchkommen lassen.
Kurz, die Audienz nahm ihren Anfang mit Komplimenten, und endigte mit einer förmlichen Erklärung. – Linchen saß da, ganz überrascht, aber doch nicht, wie ich gefürchtet hatte, unwillig. Und nun die Antwort auf meine Anfrage! Das zarte Stimmchen räusperte und stockte, fing an, und brach ab. Ich saß wie am Bratenfeuer. Endlich kam es heraus: gegen meine Person und Karakter könne sie vernünftiger[221] Weise nichts einwenden, (ich muß hier bemerken, daß Karoline sich unbemerkt entfernt hatte, als der Oberste an diese Stelle seiner Erzählung kam); allein mir sei es vielleicht unbekannt, daß sie eine geschiedne Frau sei, (hier wurde Julchen blaß, und zitterte). Zwar könne diese Scheidung ihren Karakter nicht beflecken; die Welt sei aber immer geneigt, geschiedne Frauen ungünstig zu beurtheilen, (man sah, daß Julchen gern entschlüpft wäre), und diese Urtheile könnten dem Herrn Obersten nachtheilig für die Ehre seines Hauses, und die Ruhe seines Lebens werden. Überdem sei die Familie von Auerfelde von altem stiftsmäßigen Adel, und sie fühle sich nicht stark genug, die Geringschätzung dieser Familie auszuhalten, der sie zuverlässig von irgend einem Theil derselben ausgesetzt seyn würde. Sie gestände freimüthig: sie liebe den Adel[222] nicht, und nach jetzigen Verhältnissen der bürgerlichen Gesellschaft halte sie ihn für eine Herabwürdigung der Menschheit, und für einen Eingriff in ihre bessern Rechte. Diese Äußerung meiner Lieben hätte mich schier verdrossen, wenn ihre Erklärung nicht gleich hinterher gefolgt wäre: es thäte ihr jederzeit in der Seele des vernünftigen und bessern Edelmannes wehe, wenn ihm alle seine natürlichen und erworbenen Fähigkeiten die Achtung nicht verschaffen könnten, in der ihn der große Haufen wegen der Zufälligkeit der Geburt halte. Dem wackern und klugen Manne müsse dann sein Adel und die Konvenienzen zur Last fallen. Nun fand ich wieder, daß sie recht, und ich im Herzen schon lange eben so gedacht hatte, nur daß ich's nicht in so netter Ordnung entwickeln konnte. Überlegen Sie, Herr Oberst, was ich Ihnen in Absicht meiner[223] Meinung über den Adel gesagt habe, und ich werde es Ihnen gar nicht übel nehmen, wenn ich Sie, wenigstens in diesem Gewerbe, nicht wiedersehe. Ich habe, setzte sie noch hinzu, Verwandte, deren Urtheil mir nicht gleichgültig ist, und die hierin völlig meiner Meinung sind; noch mehr: ich lasse mein ganzes Schicksal von der Meinung meines Oheims abhängen. Damit meinte sie hier den alten Freund Grünthal. Ja, Du Alter! (indem er ihn beim Kopf nahm, und auf altdeutsche Art küßte, daß es wiederhallte); Du hast mir schöne Sprünge gemacht! Ich muß es nur sagen, er hatte eine ganz andre Mariage für seine Nichte im Kopfe. He? war's nicht so? Sie sollte die Frau eines Pfarrers werden; aber der geistliche Herr laborirte glücklicher Weise noch an einer fehlgeschlagenen Liebe, und hatte noch einen mächtigen Korb zu[224] verdauen. War's nicht so? Alter! so rede doch! Grünthal sah seine Tochter bekümmert an, und sagte dann: ja, ja, es war so was daran; aber erzählen Sie nur fort, Neffe. Ich hab's wahrhaftig nicht böse gemeint! – Nun, das weiß ich, das weiß ich! – Auf die Einwürfe gegen meinen Adel war ich nicht gefaßt gewesen; denn ich hatte es schier vergessen, daß mir so etwas anhing. Wenn man in der Welt eine Weile mitgelaufen ist, und in allen Ständen so viel Gutes und Edles gewahrt wird, und dann auch wieder Edelleute findet, die wie das liebe Vieh sind: so muß man's ja wohl endlich vergessen, daß es leider! solche Unterscheidungsprivilegien giebt, die an einer bloßen Zufälligkeit kleben. Indeß that mir das, was die liebe Line gesagt hatte, im Herzen weh. Ich empfahl mich auf ihr eignes Begehren für diesesmal, und[225] nahm mir vor, die Sache ordentlicher durchzuarbeiten, mehr ihret- als meinetwegen. Ich läugne nicht, daß mir manches aufs Herz fiel; unter andern mein Vetter, der verstorbene Minister in Gotha, der sich's noch auf seinem Krankenlager berühmte, daß in seinem langen Leben kein Bürgerlicher über seine Schwelle gekommen sei; ferner: daß es ein Kind aus meiner Familie war, welches einem großen Arzt die Hand zu geben sich weigerte, und als der Arzt nach der Ursache dieses Eigensinns forschte, zur Antwort gab: Mama hat mir's verboten, ich soll keinem Bürgerlichen die Hand geben; vom Arzt aber zur Antwort erhielt: sag Deiner Mutter, sie wäre nicht recht klug. So rührt leider! auch aus meiner Familie die Anekdote eines Fräulein von B... her, die auf einem Ball mit einem Hrn Schmidt, dem Hofmeister des jungen Grafen von L..,[226] tanzte. Mitten im Tanz fällt's ihr ein, ihren Mittänzer um Namen und Stand zu fragen. Als er sich nennt, läßt sie ihn stehen, mit dem Bedeuten, sie habe ihrer Mutter versprochen, mit keinem Bürgerlichen zu tanzen. Aber, mein Cousinchen wurde übel bezahlt. Herr Schmidt, der Hofmeister, klagt es seinem jungen Grafen, der es über sich nimmt, seinen Freund zu rächen. Er fordert das Fräulein auf, das sich denn neben der gräflichen Moitie gar gütlich that. Mitten im Tanz fragt der Graf: wen er die Ehre habe zum Tanz aufzuführen. Das Putchen nennt sich, und wirft sich in die Brust. Ja, da muß ich tausendmal um Verzeihung bitten, erwiedert Graf L.., ich habe meinem Vater versprochen, mit keiner andern als mit einer Gräfin zu tanzen, und das Fräulein sah sich plantirt, wie sie dem Bürgerlichen gethan[227] hatte. Endlich, so war's ja meine liebe Großtante, die Gräfin S.., gewesen, welche, als einst einer ihrer Enkel einer Bäurin, die ihn bediente, mit der Gabel nach den Augen stach, und diese sich zurückzog, meinte: es sei wenig daran gelegen, ob solch' eine Kanaille Augen hätte, oder nicht; solch' Pack müsse es sich für Ehre halten, wenn vornehme Kinder mit ihm scherzten. – Diese und noch mehr ähnliche Züge meiner ahnenstolzen Familie fielen mir schwer aufs Herz, da ich in noch langsamern Schritte, als ich gekommen war, heimritt. Ich kam gar unfreundlich bei mir an, kramte in meinen Papieren, fand mein Wappen, meinen Stammbaum, besah mir die Quartiere: – bei Dir hat's ein Ende! – dacht' ich. Mag's! es muß doch einmal ein Ende nehmen! Und was hilft's allen denen, die da ruhen, daß ihre Quartiere[228] voll waren? und wenn Du so weit bist wie diese, was wird's dann seyn, ob neben Dir unter'm Leichensteine eine Hochgebohrne, Hochwohl- oder Hochedelgebohrne ruht? – Ein andres mag's gewesen seyn, zur Zeit des Faustrechts, da es noch keinen gebildeten und wohlhabenden Mittelstand gab; ja, da war es vielleicht der Verfassung des Adels angemessen, keine Leibeigne oder auch nur Freigelaßne zu heirathen; aber wo liegt jetzt etwas Wesentliches in der Sache, seitdem Erziehung die bemittelten Stände gleich gemacht hat? – Die Unterscheidungslinie der beiden Stände liegt jetzt in den Vorurtheilen, welche die Abneigung nur unterhalten und fortpflanzen. Und bin ich nicht Mannes genug, diesen Vorurtheilen Trotz zu bieten? Habe ich kein Verdienst um mein Vaterland, als meine Geburt? Soll ich diesem Wahne[229] das Glück und die Freude meiner alten Tage opfern? – Nein, daraus wird nichts! Frau Line muß aber auch nicht eigensinnig das Glück eines nicht unwürdigen Mannes einer Abneigung aufopfern, die in einzelnen Fällen auch zum Vorurtheile herabsinkt. Ich schreibe gradezu an den Onkel; wenn er ein Mann ist, wird er auch Vorurtheile zu besiegen wissen. Onkel, sprich! wie gefiel Dir mein Brief? – Er enthielt Äußerungen eines Mannes, von dem mir mein Herz sagte, daß ich ihn sehr liebgewinnen würde; und daß die Liebe in dem Herzen eines Obersten, – die in unserem Dienste keine junge Lecker zu seyn pflegen, – kein vorübergehendes Flämmchen seyn werde, konnte ich mir auch vernünftiger Weise sagen. Und, Kinder, war's denn nicht für den Karakter des Mannes ein entschiedner guter Zug, daß er so stilles Verdienst aufzufinden[230] und zu würdigen Sinn und Gefühl genug hatte? – Freilich, der Adel wollte mir nicht recht zu Sinn; aber wenn der Mann sonst so gut ist, wie er zu seyn scheint, wer wollte ihm das zurechnen, woran er nicht Schuld hat! Das schrieb ich Ihnen, Neffe, und schrieb's auch der Nichte; denn mein Projekt, sie mit einem gewissen Eiche zu verplempern, war mir schon an des Mannes festem Sinne gescheitert. – Nun denn, fuhr der Oberste fort, sobald ich des Onkels Brief mit der Einlage an Linen in Händen hatte, zog ich damit triumphirend in die Vorstadt. Die gute, liebe Frau wurde gar verlegen und roth, als ich ihr mein Kreditiv überreichte; sie hatte nicht bedacht, daß ein alter preußischer Soldat eine Belagerung nicht so leicht aufhebt. Sie las, und schien ihren Augen kaum zu trauen, als sie des Oheims förmliche[231] Einwilligung, oder vielmehr Billigung, sah. Das Köpfchen sank in die kleine Patschhand. – Lieber Herr Oberst, Sie sind nicht edel, wenn Sie mich so in die Enge treiben! Ich muß von Herzen mit Ihnen sprechen: ich war verheirathet, ich liebte den Mann wie meine Seele; und sollte es nicht in mir gelegen haben, daß ich mir seine Liebe nicht erhalten konnte? Wie? wenn die Fehler, die Schwächen, welche damals meinem Glücke im Wege standen, die Sie noch nicht an mir kennen, wenn die auch jetzt Ihrem Glücke, Ihrem Karakter und Temperamente entgegenständen? Und dann so müsse sie es mir gestehen, daß ihr das Schicksal eines Mannes, mit dem sie so lange im freundlichen Wahn gegenseitiger Liebe gelebt habe, nie gleichgültig werden könne; sie würde nie einen Schritt thun, ihrem Schicksale eine bestimmte[232] Wendung zu geben, bis sie von seiner gegenwärtigen Lage unterrichtet sei. Ich mußte dieses ihr Zartgefühl billigen, und die Bürgschaft meines eignen Glücks in diesen liebenden Eigenschaften ihrer Seele finden. – Aber dann, wenn ich diesen Forderungen Ihres schönen Herzens werde Genüge geleistet haben, was darf ich dann hoffen? Werden die Jahre, die ich vor Ihnen voraus habe, kein Hinderniß seyn? – Lieber Oberst, altern denn die Seelen auch? Ihr Gleichmuth, Ihr fleckenloses Gewissen – gestatten Sie mir den altväterischen Ausdruck – Ihre feste Gesundheit, der Sie nicht durch eine Lebensart Trotz bieten, die in Ihrem Stande keine Seltenheit ist; alles dieses läßt mich mit Zuversicht voraussetzen, daß Ihnen kein mürrisches, abschreckendes Alter bevorsteht. Ich bin zwar jung, aber durch Schicksale und Beschäftigung[233] vor der Zeit zum Ernst der mittlern Jahre gediehen. Von der Seite hätten sich unsre Karaktere genähert. Sie lieben muntern Scherz, ich hasse ihn nicht; und wenn mir vielleicht das Talent fehlt, selbst anziehend zu scherzen, so bin ich doch gern bei Personen, die es besitzen. Es bleibt mir weiter keine Einwendung, als Ihre Geburt und Ihre Familie. – Während dieser Unterhaltung hatte sich die Liebe, bei aller ihrer Bedächtlichkeit, doch in so fern verschnappt, daß sie sich so ein ganz klein wenig nach meinen Sitten und Karakter erkundigt hatte. Das gab mir einen Muth, den alles, was sie sagte, mir nicht hatte geben können, und ich beantwortete ihre Einwürfe mit einer Forçe und Gründlichkeit, die mir wohl der liebe Gott eingeben mußte; denn das liebste Weib gab nach, und nun blieb nur noch die Auskunft wegen[234] ihres Ungetreuen. (Grünthal sah Julchen sehr unruhig werden; er faßte ihre Hand mit Rührung, und sagte zum Obersten: lieber Neffe, diesen Theil Ihrer Erzählung erlassen wir Ihnen für jetzt; sagen Sie uns nur, wie es kam, als Sie mit Allem in's Reine waren). Der Oberste schlug sich drollig an die Stirn, und rief: alter Dummkopf, daß Du auch auf nichts merkst! Seyn Sie außer Sorgen, Mühmchen! Julchen erröthete, daß ihr die Augen übergingen; sie neigte sich auf ihres Vaters Hände, und blieb einige Minuten in dieser Stellung. – Indeß war auch Karoline wieder hereingekommen. Als sie vernahm, wie weit ihr Mann in seiner Erzählung gekommen war, sagte sie: ›nun ist's an mir, Heinrich; was jetzt folgt, gehört in mein Departement, denn beim Brautwesen und Hochzeitfeiern gehören wir zu Hause.‹[235]
Als der liebe Mann hier mich aus allen meinen Verschanzungen herausgetrieben hatte, und seine persönliche Trefflichkeit (hier wurde der alte Herr ordentlich ein wenig roth, und verneigte sich recht galant gegen seine Line) mich über den Übelstand ungleicher Heirathen weggehoben hatte, willigte ich mit dankbarem Herzen ein. Mein großmüthiger Bräutigam überschüttete mich nicht nur mit Geschenken, sondern erlaubte auch, daß ich einen beträchtlichen Theil meines Vermögens der, nun ohne mich bestehenden, Einrichtung einer Bildungsschule für Erzieherinnen kleiner Kinder und junger Dienstmädchen geben durfte. Überhaupt gab er mir Anlaß, seinen Karakter täglich inniger zu schätzen, und ich ergreife gern diese Gelegenheit, im Angesicht mehrerer Personen, deren Urtheil mir etwas gilt, zu erklären, daß mein zweiter[236] Brautstand reicher an ächten Freuden war, als der erste. Anfänglich dachte ich es nicht ohne Schmerz, daß ein wackerer Krieger meinetwegen eine Laufbahn verließ, die er mit Auszeichnung und Ehre gegangen war; aber seine Gründe für das Landleben leuchteten mir ein, denn durch den Tod seines ältern Bruders, dessen Güter an ihn gefallen waren, hatten die Pflichten gegen seine neuen Unterthanen einen größern Wirkungskreis erhalten. Er forderte und erhielt einen ehrenvollen Abschied. Es hat meinem Glücke keinen geringen Zusatz gegeben, daß sein edler Bruder und seine verdienstvolle Schwester seine Wahl gebilligt haben. – Nun mag die Schwester Else in ihrem Stifte die Nase rümpfen, liebe Line, uns thut's nichts! nicht wahr?« – fiel der Oberste seiner Gemahlin ins Wort. »Es würde mir angenehm gewesen[237] seyn, antwortete sie, wenn von keinem Mitgliede Mißbilligung statt gefunden hätte. Unsre Heirath feierten wir so still, als es unsrer beiderseitigen Abneigung gegen öffentliches Gepränge angemessen war. Unsäglich froh machte es uns, daß hier mein lieber, guter Oheim Vaterstelle bei mir vertrat, und nicht nur Hochzeitkleider, sondern auch Hochzeitlaune mit zu uns brachte. – Und ich darf sagen, daß es immer einer der schönsten Tage meines Lebens war, als ich diese zwei edelsten und theuersten Herzen einen schönen dauernden Bund schließen sah, der sich auf Anerkennung ähnlicher Redlichkeit und deutscher Treue gründete. Seitdem ist mein Leben eine Kette von ungestörtem, freudigen Lebensgenuß gewesen, der nun durch die Ankunft einer so lieben Verwandtin um ein Beträchtliches erhöhet ist; denn ich setze voraus, daß uns[238] von nun an nichts mehr trennen wird, daß der Onkel, Julchen und alles was mir werth ist, hier die Dame (sie meinte meine Wenigkeit) mit eingeschlossen, nur eine Familie ausmachen wird, und daß die junge Muhme das Häuschen auf dem Hügel von ihren Verwandten wird annehmen wollen,« – »die sich eine Freude daraus machen, es ihr zum Eigenthum auf ewige Zeiten zu überlassen,« – fiel der Oberste treuherzig ein. Julchen verneigte sich schweigend, und sagte nach einer Weile: »über meinem Verhängnisse ruht noch eine düstre Wolke; ich fühle, daß ich Ihnen jetzt die Erzählung meiner Verirrungen schuldig bin. Ich habe von Zeit zu Zeit daran gearbeitet, sie schriftlich aufzusetzen, um mir, auf den heißersehnten Fall der Wiedervereinigung, die Angst des mündlichen Selbstbekenntnisses zu ersparen. Sie sollen es erhalten, und es alsdann dieser[239] edlen Freundin, meiner Minna, der ich es schuldig bin, mittheilen, oder, wenn Sie wollen, mit ihr durchgehen; nur vermag ich nicht zu ertragen, daß es in meiner Gegenwart geschehe. – Sie wurde von Allen herzlich umarmt, und mit Nachsicht getröstet. Lieber Wilhelm, wenn alle Reuigen so aufgenommen würden, wäre es ein ordentliches Verdienst um die Menschen, zu fehlen, damit ihr Edelmuth ans Licht käme. Doch, ich habe meine Probe überstanden, und ich hoffe auch bestanden. Unsre Liebe ist befestigt, meine Auguste wird gut, was bleibt mir noch für ein Glück zu wünschen? Ich erwarte jetzt mit Sehnsucht Deine gesunde Rückkehr, um Dich in die ehrenwerthe Gesellschaft einzuführen. Lebe wohl! Ewig Deine
Wilhelmine.«[240]
Der Amtmann Grünthal an den Prediger Eiche.
»Ja, liebster Freund, Sie haben wohl recht, wenn Sie voraussetzen, daß die Freude meinem alten, von Gram geschwächten Kopfe zu stark seyn dürfte! Die erste Freude war groß, übergroß, und ich glaube, daß ich mich dabei nicht ganz so benommen habe, wie es ein gescheuter Mann und ein tief gekränkter Vater gesollt hätte; aber es ist mir mein ganzes Leben hindurch nicht gegeben gewesen, in solchen Momenten abzuwägen, und meine Empfindungen unter Zucht und Scheere zu halten. Ich habe es freilich der Wiederkehrenden leicht, wohl gar zu leicht gemacht; aber die andern haben's ja auch um nichts gescheuter angefangen. Hat nicht Karoline, die am schwersten beleidigt ist, ihr gleich beim ersten Anblick[241] verziehen, und sie geherzt und geküßt, als wäre gar nichts von der Art vorgefallen? Der alte Oberste, der so streng auf Pflicht und Ehre hält, hat er sie nicht auch wie eine Tochter vom Hause aufgenommen? Aber Sie hätten sie auch sehen sollen! Schön wie ein Engel, und gebeugt von Reue und Schaam. Wie sie ihr Engelsgesichtchen vor Karolinen in den Staub legte, und kein Auge zu ihr aufzuheben vermochte! – Könnten Sie es doch über sich erhalten, sie zu sehen! – Was sie zu werden versprach, ist nichts, gegen das, was sie geworden ist. Es ist für mich ein ordentliches Glück, daß sie gefallen ist, ich würde sonst am Ende wahrhaftig! zu viel Respekt vor ihr haben; aber, wenn mir denn wieder einfällt, daß ich ihr keinen Namen zu geben weiß, o dann, dann seh' ich sie wehmüthig an, und fühle mich geneigt,[242] mir, allein mir alle Schuld beizumessen! Meine schwache Nachgiebigkeit bereitete ihr den Fall; und wenn es mir denn einfällt, was jetzt aus ihr werden soll? – wie in diesem irdischen Zustande nun weiter an kein wahres inneres Glück mehr für sie zu denken ist; wie das zerstörende Bewußtseyn sie noch am liebevollen Herzen der Ihrigen verfolgt; wie sie, im Schooße der Liebe und Freundschaft selbst, am meisten verzagen muß; wie jede Liebkosung sie martert; wie jeder noch so unbefangene Rückblick ihrer Lieben ihr Thränen ablockt; – lieber Eiche, die Freude des Wiedersehens, glauben Sie mir, hat alle Bitterkeit des Kummers, wenn nicht etwa Zeit und Gewohnheit ihren wohlthätigen Einfluß auf uns beweisen. Wir könnten hier ein paradiesisches Leben führen, in einer solchen Gegend, unter diesen[243] Menschen, in so günstiger Glückslage! – Karoline ist alles, was eine Frau seyn muß; und es scheint mir oft, als habe es so seyn müssen, wie alles gewesen ist, damit jede ihrer schönen Anlagen sich entwickeln konnte. Der Oberste betet sie, ihrer Tugenden wegen, an; kein Fürstenstamm, sagt er mir oft, hätte ihm eine solche Gattin zu geben vermocht. Die Gutsbewohner nennen sie Mutter, und sie verdient es. Sie hat sich die Geschichte des Dörfchens Traubenheim zum Muster genommen, und führt aus, was hier zu Lande ausführbar und anwendbar ist. Wahrlich, wen Gott lieb hat, dem giebt er solch' ein Weib! – – Sie schafft mit Kopf und Händen; ihr Mann geht ihr treu zur Seite, und spart keinen Aufwand, ihre edle Thätigkeit zu unterstützen. Wie der elende Mensch, den Falk mein' ich, wie der dieses Kleinod verkannt[244] hat! Seinen Namen nur zu nennen, ist mir fatal; und doch muß ich zu der traurigen Nothwendigkeit schreiten, ihn in öffentlichen Blättern zitiren zu lassen, damit die Unglückliche an dieser unseligen Fessel nicht durch's ganze Leben zu schleppen habe. Den letztern Nachrichten zufolge, ist er von Hamburg, wo er eine Zeitlang, auf Kosten eines angesehenen Handelshauses, figurirt hat, nach Amerika, dem letzten Freihaven aller Taugnichtse, gegangen, und ist nun Schulmeister in German Town. – Er hat Karolinen in einem zurückgelaßnen Briefe gebeten, ihn wie einen Gestorbenen anzusehen. Wegen der armen Verirrten sagt er: alle Schuld läge auf ihm; er habe sich in sie, beim ersten Anblick, verliebt, und gleich den Vorsatz gefaßt, sie zu verstricken; sie habe seinen Lockungen nicht widerstehen können; man müsse in der Familie[245] es ihrer Unerfahrenheit nicht zu hoch anrechnen. Was nachher erfolgt sei, käme ebenfalls auf Rechnung seines Leichtsinnes, und des bösen Beispieles, welches sie an ihm gehabt. Er selbst habe dem Russen Anleitung gegeben, sich ihrer Eitelkeit zu ihrem Fall zu bedienen; das habe ihm die Reisekosten und den ersten Aufwand in Hamburg bestreiten helfen. O, der Verruchte! er hat sein eignes Weib verkuppelt! meine Tochter! und doch bittet er: ich solle ihm meinen Fluch nicht über's Meer nachschicken! Ach freilich, freilich wär's unrecht! und dann so heißt es ja: ›Vergieb uns unsre Schuld, so wie wir vergeben unsern Schuldnern.‹ O, du allergesegnetste Religion, wie veredelst Du unsre arme gebrechliche Menschennatur! Denn, sagen Sie, Eiche, liegt es nicht klar in unsrer Menschennatur, diesen Menschen zu hassen, und bis an's Ende der Welt zu verfolgen?[246]
Bereiten Sie sich, mein Freund, nächstens meiner armen Tochter Begebenheiten und Bekenntnisse zu erhalten. Sie hat in verschiedenen Absätzen daran geschrieben. Nahe wird es Ihnen gehen, mein Lieber, diese Glorie der Unschuld ihrem Bilde entnommen zu sehn. Für diese Welt ist sie dahin; aber das Unglück, die Angst der bittersten Reue, hat ihren Sinn und Willen gereinigt. Sie soll fortschreiten auf dem Wege der Rechtschaffenheit, und so weiß werden, wie sie gewesen ist. Ach, Lieber, sie ist sehr weich und demüthig! wo man sie nur anrührt schmerzt es ihr; jede Erwähnung einer bessern Tugend, als die ihrige gewesen ist, betrübt sie aufs empfindlichste. Da werden Sie sich vorstellen, daß an Vorwürfe nicht zu denken ist. Ich gedenke mir den Apostel Paulus, wie er vor dem Festus und der Drusilla von der Gerechtigkeit[247] und Keuschheit redete, und da durch schwerer ihre Herzen traf, als wenn er gesagt hätte: Du bist der Ungerechte! Du bist die Unkeusche! Indem er ihr Selbstgefühl beleidigte, hätte er sie aufgebracht, aber der kluge Mann sprach von den entgegengesetzten Tugenden. Das soll mir ein Vorbild seyn. Aber meine arme Juliane ist doch bei weitem keine Drusilla!
Ich gehe jetzt zu ihr, sie wird mir ihre wehmüthigen Aufsätze geben, und ich werde in Schmerz versenkt werden. Leben Sie wohl, und gedenken Ihres jammernden Freundes
Grünthal.«
Julchen an ihren Vater.
»Mein Herz wird schwach, und mein Muth verläßt mich, wenn ich an diese traurige Arbeit gehe. Wer vermag sein Innerstes[248] mit festem Blick zu beschauen, wenn er so fehlte wie ich? Ich schaudre bei jedem neuen Beginnen, und verzage an meinen Kräften. Ja, wahrlich! wenn ich's beschaue, so ist meine beste Tugend wie ein beflecktes Gewand, wie die Schrift sich ausdrückt. Ich weiß keine Worte für meine Thorheit; Thorheit? o, wär' es die nur! es war gottloser Hochverrath an meiner bessern Überzeugung. Das weiß, das fühl' ich im Innersten. Wenn gleich selbstgefällige Eigenliebe mir heimlich zuflüsterte: Dein Vater legte den Grund durch seine Nachgiebigkeit, Karoline riß Dich durch ihre romanhafte Aufopferung in den Abgrund; – so kann ich es mir doch nicht läugnen, daß bei jedem Schritte, denn ich im Labyrinthe meiner Verirrungen forttaumelte, eine innere Stimme, – mag sie das Gewissen oder anders heißen, – daß diese[249] Stimme mir unablässig zurief: steh' still! geh' nicht weiter! auf Deinem Wege lauern Sünde und Verderben; aber die übertäubende Eitelkeit fand den Sieg der Schönheit größer und lockender, als das stille Bewußtseyn der Selbstüberwindung. Ach Bewußtseyn, wie hast Du Dich gerächt! wie in jeder Minute mir Trost und Beruhigung geraubt! wie jede erheiternde Aussicht in Dunkel gehüllt! wie jede neuaufkeimende Blüthe meines Herzens zerknickt! O, Du starker Rächer, wie hast Du die Quellen auch meiner besseren Freuden getrübt, wenn Du mir den Spiegel vorhieltest, und mir zuriefst: Du verdienst das nicht! Du bist eine Ehe – – – O nein, mein Vater, wenn Sie je dies Blatt in die theuren Hände nehmen, wenn die Flüchtige Sie nicht mordete, so sprechen Sie das harte, entehrende Wort nicht aus! Karoline,[250] die Sanfte, die Fromme, die Christin, hat mir verziehen; ihr holdseliger Mund wird die Unglückliche nicht mit dieser entsetzlichen Benennung brandmarken! Ach, und doch – – –
Ich wollte die Begebenheiten der Unglücklichen, nicht ihre Gefühle, die Martern ihrer Seele, erzählen. Diese folgten jenen mit entsetzlicher Eile auf dem Fuße nach. Jene habe ich, wie mir's vorkommt, nicht erlebt, sondern ich bin von einer fremden unwiderstehlichen Gewalt durch ein Labyrinth durchgerissen; meine Besinnung ist übertäubt; ich kann nicht sagen, wie mir in jedem einzelnen Falle zu Muthe gewesen ist. Von dem Augenblicke an, da der unselige Knoten unwiderruflich zusammengezogen war, da ich von dem Herzen des gütigsten Vaters mich losgerissen hatte, ergriff mich ein Taumel, dessen Betäubung[251] mir wohl that; denn die Rückkehr auf mich selbst machte mich halb unsinnig. Die romanhafte idealische Liebe zerflatterte, wie sie entstanden war; wir sahen uns gegenseitig in unsrer wahren Gestalt, und heimliche Verachtung trat an die Stelle dessen, was wir Liebe genannt hatten. Mein innerer Friede war zerstört; in meinem Hause war die Hölle, ich floh es, und suchte das Glück da, wo kein Vernünftiger es gefunden hat. Meine häufigen Abwesenheiten veranlaßten, daß ich nur spät erst die Bemerkung machte, wie der, dessen Namen ich nun führte, seine Liebe einer Nebenbuhlerin zuwandte, und daß mein Kammermädchen diese Nebenbuhlerin war. – Ich fühlte mich gedemüthigt, ohne die Beleidigung so zu empfinden, wie ich in jedem andern Verhältnisse gethan haben würde. So hatte ich ihn geraubt, so wurde er[252] mir wieder geraubt. Nur die Arroganz des Mädchens, welches mir vorgezogen wurde, that mir weh; doch wagt' ich nicht, mich zu beklagen, weil ich eine vorwurfsvolle Antwort besorgte. Diesem häuslichen Verdrusse gesellte sich noch der Geldmangel bei, der mich zu Einschränkungen nöthigte, auf die ich nicht gerechnet hatte, indeß Babet (so hieß das Mädchen) im Überflusse strotzte. Ich machte bald, auf Anrathen einer meiner Bekanntinnen, Versuche, meine Finanzumstände durch das Lotto zu verbessern, und gerieth dadurch in ein Labyrinth von Geldverlegenheiten, aus welchem mich nur neue Vergehungen erretten konnten.
In eben diesem, für mich so kritischen Zeitpunkte wurde in der Gesellschaft, die ich am häufigsten besuchte, weil sie, die Wahrheit zu sagen, aus jungen Weibern[253] meines Gelichters bestand, ein junger russischer Kavalier, der Fürst Demetrius , eingeführt. Er zeichnete mich bald vor den andern aus, und es entstand ein Wettstreit unter den Weibern um seine Eroberung. Ich that damals in Wahrheit keinen Schritt, ihn für mich zu gewinnen; doch wage ich nicht, diese Unthätigkeit Pflichtgefühl zu nennen, weil der, welchem ich Pflichten schuldig war, sie mir, wie ich glaubte, durch seine Untreue erlassen hatte. Der Fürst war von dem Tage seiner ersten Erscheinung an meine Parthie beim Spieltische; er spielte galant, und machte den Zerstreuten. Der tägliche Gewinnst im Spiel machte meine häusliche Lage bequemer; ich bezahlte Schulden, und war nun um so leidenschaftlicher eine Spielerin. – Dem Fürsten entging dies nicht. Er verlor beständig; anfangs kleidete er diese[254] Freigebigkeit mit äußerster Delikatesse ein, allein vielleicht glaubte er in der Folge, sich dieser Schonung überheben zu können, als er fand, daß ich um zu gewinnen spielte. In meinem Hause veranlaßten die Summen, durch welche ich einen beträchtlichen Aufwand bestritt, auch nie die entfernteste Neugier, und – o, des elenden Behelfs' – damit entschuldigte ich meinen entehrenden Eigennutz gegen mich selbst.
Aufgemuntert durch diese entferntern Versuche, bemühte sich der Fürst, nach und nach seinen Absichten näher zu kommen. Auf einer Redoute war er mein Führer; dies erregte Neid, und ich fand mich geschmeichelt. Unter dem Schutz der Maske wurde er kühner, und ich nachgiebiger. Er sprach von Liebe, und ich setzte ihm nur Zweifel daran entgegen. Er betheuerte, und ich hörte ihn an. Er schlug[255] eine Entfernung von der Gesellschaft vor, nach seinem oder einem andern Hause, das weiß ich nicht. Diesesmal noch stand mir mein guter Genius zur Seite; ich verwarf den Vorschlag mit Abscheu, und der Fürst zog sich in die Gränzen der Ehrerbietung zurück, weil er die Zeit mit Zuverlässigkeit berechnen konnte, wo ich mich ihm selbst überliefern würde.
Meine häusliche Verfassung wurde von da an sichtlich immer mißlicher; man spielte in Gesellschaften darauf an, und gab mir Winke, die ich damals mir nicht erklären konnte. Meinen Hausgenossen sah ich zu selten, um Unruhe an ihm zu bemerken; doch fand ich eines Tages, daß er sehr thätig seine Schreibereien durchsuchte, und große Pakete im Kamin verbrannte. Ich fragte um die Ursache, und erhielt zur Antwort: es sind alte Scharteken, für die man, wenn[256] sie sich anhäuften, endlich einen zu großen Raum haben müßte. Das war mir genug; ich forschte nicht weiter, kleidete mich an, und ging zum Thee. Meine Erscheinung erregte Verwunderung; man fragte mit bedeutenden Winken und Flüstern: wie mein Mann sich befinde? ob er zu Hause, ob er allein sei? Meine Bejahung schien zu befremden; Einiger Blicke ruhten schadenfroh, andrer mitleidig auf mir, dessen erinnerte ich mich nachher. Ich setzte mich zum Spiel; der Fürst war, wie gewöhnlich, von meiner Parthie. Er begleitete mich in seiner Equipage zu Hause, und es fiel mir auf, das er meinem Bedienten etwas Heimliches sagte, welches mir dieser aber abläugnete, als ich mich darnach erkundigte. – In dem Arbeitszimmer des Hausherrn war noch Licht; ich ging zu Bette, wie ich das immer that, und schlief[257] auch wie gewöhnlich ein, ohne die Anwesenheit meines Stubengefährten abzuwarten. Ich stellte an diesem Abend, wider meine Gewohnheit, einige Betrachtungen über meine seltsame Lage an, und weil sie mich auf sehr traurige führen mußte, brach ich ab, und bemühte mich, einzuschlafen. – Es gelang mir sehr schnell; aber durch die ungewohnte Anstrengung des ernsthaften Denkens war mein Blut erhitzt, und meine Phantasie sonderbar rege geworden. Im Traum sah ich ein bedeutendes Bild der Schicksale, welchen ich mich entgegenstürzte. In einem dunklen Kerker erschien mir eine häßliche aber glänzende Gestalt, mit abentheuerlichen Verzierungen behangen; sie reichte mir die Hand, ich ergriff sie begierig, und plötzlich erhob sie sich mit mir zu einer steilen Anhöhe, welche mit einer spiegelglatten Fläche umgeben war. Uber derselben[258] schwebten Gestalten, worunter ich meinen theuren Vater und meine Brüder am deutlichsten erkannte. Wie mein Blick sich auf sie heftete, verloren sie sich in einen matten Schimmer weit und immer weiter hin; die glänzende Gestalt neben mir hatte sich indeß in einen häßlichen braunen gestaltlosen Klumpen verwandelt, auf welchem von dem, was er zuvor gewesen, nur noch die bunten Verzierungen sichtbar geblieben waren. Im äußersten Schrecken griff ich darnach; da fühlt' ich mich von einer entsetzlichen Faust ergriffen, und von der Höhe herab auf die schlüpfrige Fläche hingeworfen. Aus der hellen Dämmrung ging meines Vaters Gestalt wieder hervor; aber ich vermochte es nicht, ihr näher zu kommen, weil meine Füße auf der ungewohnten Glätte ausgleiteten. Ich warf mich trostlos auf den Boden,[259] die väterliche Gestalt war mir ganz nahe, ergriff mich, und plötzlich saß ich neben ihr in einer duftenden Laube. Nun umflatterten mich bunte Traumgestalten, der feste Schlaf ging in leisen Morgenschlummer über, und dieser wurde durch das Rufen meines Namens abgebrochen. Ich erschrak, eine alte Frau, die im Hinterhause wohnte, in meinem Zimmer zu sehen. – Nehmen Sie mir's nicht übel, daß ich mich so dreist zudränge, – fing sie an; – die Zimmer stehen alle offen, es möchte ein Fremder hereinkommen. – Wo sind denn meine Leute? – Seit 4 Uhr, da der Herr abreisete, habe ich keine Seele wieder gesehn. – Voll Entsetzen sprang ich auf; eine Ahnung flog durch meine Seele; ich warf in möglichster Eile Kleider über, indem trat Fürst Demetrius G ins Zimmer. Er sah bekümmert aus; und[260] da er mich eben in der größten Bestürzung fand, so fragte er: Sie wissen also schon? – – Ich weiß nichts, gar nichts. – Der Kassendefekt ist heraus; heute sollte er arretirt werden. Er hat sich mir entdeckt. Durch einen angemessenen Vorschuß habe ich ihn in den Stand gesetzt, für seine Sicherheit zu sorgen, und habe ihm mein Ehrenwort gegeben, es auch für die Ihrige zu thun. Es ist ausgemacht, daß, wenn Sie nicht schnelle Maßregeln ergreifen, man sich Ihrer statt seiner bemächtigen wird. – In der entsetzlichsten Betäubung stürzte ich ihm zu Füßen; ich glaube, daß ich seine Hände geküßt habe, denn er wurde mächtig ergriffen, sank bei mir nieder, umfaßte mich mit den heiligsten Betheurungen, und schwur, mein Schicksal sei an seine Seele gebunden; er übernehme es, mein Loos zum allerglücklichsten zu machen; seine[261] überschwengliche Liebe setze ihn über jede andre Betrachtung hinweg; ich verdiene nicht nur eine Fürstin zu seyn, sondern auf einen Thron erhoben zu werden. – Soll ich es sagen, daß ich mit Wohlgefallen auf seine Reden achtete? daß mir der Gedanke auch nicht einfiel, mich in der Noth zum natürlichsten Asyl, zu meinem Vater zu flüchten? – Ach, die lockenden Töne der Verführung schlichen sich so süß in mein Herz, und es war gewonnen, ehe die Vernunft aus ihrem langen Schlummer erwachte! – Aber wohin? mein Fürst! – Wohin? meine Göttliche! Wo Ihr Demetrius ist, da ist Ihr Asyl; kann es für die Geliebteste ein andres geben? Aber lassen Sie uns die Zeit benutzen! Ich bestelle Pferde. Nehmen Sie nur die ersten Nothwendigkeiten mit, bei meiner Mutter sollen Sie mit allem versorgt werden.[262]
Ich würde unrecht thun, wenn ich sagte ich hätte überlegt. Nein, ich überlegte, ich dachte mir nichts deutlich; auch kann ich nicht sagen, daß mich die Liebe verführte. Der Fürst ist jung und liebenswürdig; aber nie sah ich in ihm den Mann, dem mein Herz sich hätte ergeben mögen, nur meine Eitelkeit flüsterte mir zu: er zieht Dich den andern vor, er ist ein Fürst, und kann Dich zu sich hinaufziehen. Die Noth des Augenblicks, Gefängniß, Armuth und Verachtung standen in gräßlichen Gestalten vor mir. An der Hand des Fürsten winkten mir Reichthum und Wohlleben, und der Müssiggang, dem ich mich besonders im letzten Abschnitte meines Lebens geweihet hatte, stand in der Perspektive. Auch keinen einzigen Augenblick stand ich an, das Anerbieten des Fürsten anzunehmen. Auf die Einwendung, die der Wohlstand, doch nur[263] ganz leise, machte, antwortete ich: er bringt Dich ja zu seiner Mutter! unter welcher Gestalt? untersuchte ich nicht.
Mir blieb auch wenig Zeit zur Unentschlüssigkeit und Untersuchung übrig. Ein junger Mensch, dem ich einiges Gute erwiesen hatte, schickte mir einen Zettel, worin es hieß: Retten Sie sich sobald Sie können. Diesen Abend werden Sie an der Stelle Ihres Mannes, für den Sie mit Ihrer Habe haften sollen, arretirt. Ich nutzte den Wink, und spornte meine Thätigkeit zur Eile. – Nun erst vermißte ich Jungfer Babette, meine besten Kleider, und einige Juweelen; ich war aber bei diesem Verlust ganz gleichgültig, bei der Mutter des Fürsten sollte ich ja mit allem versorgt werden. Um 4 Uhr Nachmittags erwartete ich, zur Reise gerüstet, meinen Begleiter. Um 5 Uhr erschien sein Kammerdiener[264] in einer Miethkutsche, und brachte mich an den Ort, wo sein Herr mit den Postpferden auf mich wartete. Fühllos verließ ich das Haus, worin ich durch ein schweres Vergehen Frau geworden, und mein innerer Zustand eine aneinanderhängende Marter gewesen war. Mit einem andern Herzen wandte ich der Stadt den Rücken, worin sich eine zweite Periode meines Lebens angesponnen, und nun so über alle Erwartung schrecklich entwickelt hatte. Als ich, an der Seite des Fürsten, mich im Freien fühlte, ergriff mich der Gedanke: was hast Du vor? wie ein gieriges Raubthier. Ich verbarg mein Gesicht, und konnte dem Manne nicht ins Auge blicken, dessen Willkühr ich nun so unbedingt mich übergeben hatte. Wir fuhren durch das nämliche Thor, in welches meine brave Mutter mich hereingebracht hatte. Mein Elend zu verstärken,[265] erkannte ich jeden Baum, jeden Feldweg wieder, wie ich ihn mir beim ersten lebhaften Anschauen gemerkt hatte. Stumm, und in den tiefsten Schmerz versenkt, saß ich da; mein Reisegefährte bot seinen ganzen Witz auf, mich aus mir selbst herauszuziehen, aber er erhielt nichts, als endlich die dringende Bitte, mich zurückzubringen. Wie? wohin wollen Sie? fragte er besorgt; soll ich Sie ihren Verfolgern ausliefern? trauen Sie meinem Ehrenworte nicht? sollt' ich die, die meine ganze Seele liebt, nicht ehrenwerth halten? – Die Frage: was werd' ich Ihnen, was Ihrer Mutter seyn? schwebte mir auf den Lippen, aber die Furcht, jetzt schon aus meinem Wahne gerissen zu werden, hielt sie zurück. Und dann: er sah so gut, so ehrlich aus; seine Bedienten bezeigten mir Ehrfurcht bis zur Demuth; ich hoffte, die Äußerung,[266] daß ich seine Gemahlin werden wurde, sollte ihm entwischen; aber noch immer hatte er sich nicht bestimmt erklärt. Ich war nicht schlau genug, die Veranlassung herbeizuführen; doch als er in mich drang, ihm die Ursache meiner Betrübniß zu entdecken, sagt' ich listig genug: aber, Fürst, ich bin die Frau eines andern, wie kann ich bei Ihnen mit Anstand seyn? – Wenn dieser Andre mir seine Rechte gegen ein Equivalent abtritt, sind Sie dann nicht die meinige? Die Gesetze meiner Kirche achten die Verpflichtungen, welche Ihnen die Ihrige auflegt, für ungültig. Unsrer Liebe steht nichts im Wege, meine Ida! (denn von nun an war ich Ida. Juliane, Julchen! – o, der theure Mund, der dies sprach! – der Name soll unentweiht bis auf bessere Tage ruhen). Da ich diese unbestimmte Äußerung des Fürsten für eine[267] Art von Erklärung gelten ließ, so beruhigte ich mich; ich wurde erträglich, bis es Nacht wurde, und die Dunkelheit mir Gelegenheit gab, von den äußern Gegenständen ab-, und in mich selbst hereinzugehen. Der Traum der vorigen Nacht ruhete, gleich einer schweren Last, auf mir, und ein Theil desselben ging schon in buchstäbliche Erfüllung. Die glänzende Gestalt, mit Ehrenzeichen behangen, reichte mir die Hand, mich aus dem Kerker zu befreien. Auch sie wird's seyn, die mich mit eiserner Kraft in den Abgrund schleudert. Im Hintergrunde stand der Vater, aber ein schwer beleidigter zürnender Vater, und Brüder, die mich verachten mußten. Wie übermüthig hatte ich oft auf den Bruder, der jetzt ein Handwerksgenosse war, herabgesehn! Wie konnte nun er, der Fleißige, der Rechtliche, auf seine Schwester herabblicken? Wie mußte[268] es ihm bei seinen Genossen zum Vorwurf gereichen, wenn es hieß: sie ist mit einen Russen durchgegangen! – Als dessen Frau? – Nein, als seine – – – O, mein Gott, wie erniedrigend war einem jeden von uns das Wort Mätresse! Des redlichen, aller Orten geachteten Amtmanns Tochter ist nun zur Mätresse eines Fremden herabgesunken! Diese und ähnliche nagende Betrachtungen zerrütteten meine Gesundheit, und ich sah mit thränenschwerem Auge, blaß und erschöpft, den Morgen anbrechen. Der Fürst war mir nun zuwider; ich sah ihn im Nachtkleide, von allen Orden und Ehrenzeichen entblößt, im schlichten Reiserock, mit ungeordnetem Haarputz; er erschien mir wie ein gemeiner Mensch, der sich mit seinen Bedienten verwechseln ließ. Es ist ein Jammer, daß wir oft unsre Ehre und das Glück der Unsrigen von[269] einem Stückchen Bande, einem Sterne oder Kreuze abhängen lassen! Wäre mir der Fürst früher in so unscheinbarer Gestalt genaht, ich wäre schwerlich in seine Hände gerathen; daß es wirklich so war, wird nachher deutlicher werden.
Wir fuhren drei Tage Tag und Nacht, und rasteten endlich in einem Dorfe in Hinterpommern. Es war an einem Sonntage. Die Gemeinde stand in ihrem festlichen Anzuge, und erwartete den Prediger. Der Gottesdienst begann, und, angetrieben von einem unwiderstehlichen Gefühl, mischt' ich mich unter den Haufen, der zum Gotteshause wallte, und ging mit hinein. Der Gesang erschütterte mich; lange schon hatte ich keiner öffentlichen Versammlung beigewohnt, und nun unter diesen Umständen! Ich zerfloß in Wehmuth. Der bejahrte, ehrwürdige Prediger sprach mit Kraft und[270] Nachdruck über den Text: ›Es wird mehr Freude im Himmel seyn über einen Sünder, der Buße thut, als über neun und neunzig Gerechte.‹ Mancher gute Entschluß stieg in meiner Seele auf, und einmal flüsterte mein guter Engel mir zu: ›Kehre um, noch bist Du unentweiht!‹ – Aber wer wird's glauben? und zu wem soll ich gehn? – Jetzt trat der Fürst, der mich gesucht hatte, in die Kirche, von seinen Bedienten umgeben, in Anstand und Miene den vornehmen Mann, wenigstens mit dem angethan, was diesen Leuten das Bewußtseyn ihrer Überlegenheit giebt, und meine eitle Seele wurde wieder ganz leer von guten Gedanken. Seine Zärtlichkeit wirkte allmählig auf mein Herz, und – o, der Schande! – ich wurde von da an ruhig, und immer ruhiger, bis wir hinter Riga kamen, wo ich erfuhr, daß mein unglücklicher[271] Vater mir auf der Spur sei. Hier warf ich mich dem Fürsten zu Füßen, und flehte, mich in die Arme meines Vaters zurückzugeben. Ich sprach mit dem Ungestüm einer Wahnsinnigen. Der Fürst schloß mich in seine Arme; meine Ida, – sagte er, – meine Einzige, womit verdiene ich ein so unzerstörbares Mißtrauen? Noch lange sind wir nicht am Ziel unsrer Reise; nur wenige Zeit werde ich meinen Freunden in Petersburg schenken, dann aber erwartet uns in einer entfernteren Gegend meine Mutter, bei der meine Ida schon durch die empfehlende Eigenschaft, eine Deutsche zu seyn, eine freundliche Aufnahme finden wird. – Als was? Fürst! fragt' ich unruhig. Er stand einen Augenblick an. – Ida findet gewiß eine mütterliche Aufnahme, fuhr er fort; sie wird geliebt werden, wo sie nur aufgenommen seyn will.[272] – Prinz, schicken Sie mich zu meinem Vater, noch ist nicht alles verloren; da er mich sucht, will er mich nicht verstoßen! – Der Fürst sagte galante Gemeinplätze, und befahl heimlich seinen Leuten, mich streng zu beobachten. Sie thaten es so sehr, daß ich keinen Schritt nach einem Glase Wasser thun durfte, ohne von einigen um mein Geschäft befragt zu werden.
Der Jäger, ein Stockrusse, sah mich weinen. Was weinst Du? sagte er in gebrochenem Deutsch; Du wirst hoch, sehr hoch kommen! Wenn Du Fürstin bist, da weinst Du nicht mehr. – Diese einfachen, herzlich gesprochnen Worte beruhigten mich in so weit, daß ich einen Brief an meinen unglücklichen Vater schrieb, der in Riga im Posthause abgegeben wurde. Mein Schmerz beim letzten Abschied, den ich ihm bot, gränzte nahe an Stumpfheit; er hatte die Höhe,[273] welche das Herz zu fassen und zu tragen vermag, überstiegen, und nun war alles öde und abgestorben in meiner Seele. Ich gab mich, ich gab alles verloren, und achtete es nun nicht mehr der Mühe werth, durch Selbstthätigkeit eine Änderung meines Schicksals zu bewirken. Sobald ich das ewige Lebewohl an den würdigsten der Väter versiegelt hatte, sah ich mich als eine Gestorbene an, die nun der Vergeltung entgegeneilt. Das Andenken an meinen Vater hatte die Bilder meiner ersten unbefangnen Jugendjahre aufs lebhafteste in mir erneuert. Wenn ich die Grade der Verschlechterung betrachtete, die ich – einst Julchen aus Lindenau, nun die erlogne Ida eines russischen Fürsten – durchlaufen war, schien ich mir nicht mehr dasselbe Wesen; am wenigsten schien mir Rückkehr möglich, seitdem ich mich unter einen fremden Himmel,[274] und unter ein so sehr fremdes Volk versetzt sah. Ich überließ mich nun dem waltenden Verhängnisse, wie ich es nannte, und folgte dem Fürsten still und ergeben, als wir die Reise fortsetzten.
Von Riga bis Petersburg unterließ er nichts, was die feurigste Liebe zur Beruhigung der Geliebten zu ersinnen vermag; nur auf positive Erklärung ließ er sich nie ein, so vielen Muth ich auch nachher bekam, sie herbeizuführen. Endlich erklärte er sich, daß er in Petersburg meinem Schicksale eine günstige Wendung zu geben gedenke; ich solle mich auf seine Ehre, mehr aber noch auf seine Liebe verlassen.
Die unendliche Mannichfaltigkeit der Gegenstände zerstreute mich wider Willen. Mehr als alles zog mich der unaussprechliche Reiz der russischen Sommernächte an. Der sanfte Schimmer der kaum untergetauchten[275] Sonne röthet den Horizont, und verschönert die Gegenstände. Die Erwartung der kommenden Nacht täuscht sich selbst, und man sieht sich durch eine angenehme Überraschung um den Schlaf gebracht, wenn die ersten Strahlen der Sonne schon wieder die Gipfel der Bäume vergolden. Alle Erscheinungen um mich her erregten meine Neugier und Erwartung. Gestalten, wie ich sie noch nie sah, wandelten um mich her, eine fremde Sprache, ein fremder Boden; fast überlief mich ein Grausen, wenn ich die fremdartigen Gesichter sah, aber allenthalben stießen wir auf frohe, singende Menschen, die in Stellung und Gebehrde Demuth äußerten, ohne von harten Sklavensinn niedergedrückt zu scheinen. Mein Reisegefährte machte mich auf alles aufmerksam und erklärte es mir, aber wie viel er mich auch von Petersburg's Pracht hatte[276] erwarten lassen, wurde ich doch zum höchsten Erstaunen hingerissen, als ich die Größe und Pracht dieser bewundernswürdigen Stadt sah. Der Pallast des Fürsten lag im Admiralitätstheile, und sein Inneres entsprach der ungemeinen Pracht seiner Außenseite. Allein ein unbekanntes Grausen befiel mich, als ich, die ich immer jemand von meinem Geschlechte um nich gehabt hatte, mich unter ein ganzes volles Haus von Männern versetzt sah. Unter dem zahlreichen Hausgesinde hatte ich nur zwei Mädchen bemerkt, eine dicke geschminkte Russin, und eine Kalmuckin zur gröbsten Hausarbeit. Mir wies der Haushofmeister prächtige Zimmer an, und ich begriff aus seiner Pantomime, daß die Fürstin sie bewohne, wenn sie sich in Petersburg aufhalte.
Es war mir unmöglich, mich in dieser Pracht einheimisch zu fühlen; ich starrte[277] darauf hin, ohne sie mir anzueignen. Der Gedanke: was bin ich in diesem Pallaste? fiel mir abermals zentnerschwer aufs Herz. Der Fürst besuchte mich in meinem Zimmer; er bemerkte meinen Mißmuth, und weil er mich errieth, ließ er mich nicht zu Worte kommen. – Ich verstehe die Thränen in diesen lieblichen Augen, sie sollen mir nicht lange mehr Vorwürfe machen. Aber Ida, darf ich auf keinen, nicht einen Beweis Ihrer Zuneigung rechnen? hält dieses schöne Herz auch nicht einmal mich einer Täuschung werth? – Mein Prinz, wenn Sie zu der Wohlthat, mich aus den Händen der Gläubiger meines Mannes gerettet zu haben, auch die noch hinzufügen: mir eine, meinem Stande angemeßne, Bestimmung festzusetzen, so rechnen Sie auf das dankbarste aller Herzen. – Ida, wenn Sie mich lieben, so ist Ihr Loos auf immer[278] festgesetzt. – Ich war schwach genug, eine hoffnungerregende Antwort zu geben, und nun – o der Angst! – konnte nur mein noch wacher Schutzgeist mich von seiner Zudringlichkeit und meiner erregten Sinnlichkeit erretten. Ich wage es nicht, irgend etwas zu meiner Enschuldigung anzuführen. Ich rang gegen die Wuth seiner Umarmungen; aber sein Arm umschlang mich mit einer Kraft, der ich nicht widerstehen konnte. Ich sank vom Widerstreben matt zu Boden, und fiel gegen die Ecke des Sopha's so hart, daß im Augenblicke mein Kleid und der Fußteppich mit Blut überströmt waren. Der Prinz hob mich auf, jammerte, und rief nach Hülfe; mein Kopf war gefährlich verwundet; ich fiel in Ohnmacht, und als ich wieder zu mich kam, sah ich mich mit fremden Gesichtern umgeben. Ganz besonders fiel mir ein altes[279] ehrwürdiges, mit weißem Barte, auf. Der Mann sah mich freundlich an, sprach aber kein Wort. Als ich ihn um etwas fragen wollte, legte er mir den Finger auf den Mund, und sagte gebrochen Deutsch: ›Fieber haben, nicht reden.‹ – Diese alte Gestalt war mir zum besondern Trost, weil ich keine Person meines Geschlechts zu meiner Bedienung um mich sah. Der Fürst trat herein, und sagte zu dem Alten freundlich: bist Du da, Michael Popoff? Ich vernahm nun, daß es ein russischer Priester sei, der bei den Hausoffizianten einen Kapellan abgab. Michael verließ mein Bette nicht; und als er mir erlaubte zu sprechen, fragte er freundlich: wer bist Du? Mädchen oder Frau? – Frau! – sagt' ich beherzt; fühlte aber meine Wange sich röthen. – Warst Du gut, ehe Du in dieses Haus kamst? (er sprach alles gebrochen[280] Deutsch), Was willst Du hier werden? Frau! – Ich antwortete nicht; mein Blick sank beschämt von dem ehrwürdigen Gesicht auf meine Decke, – Wird die Fürstin Dich sehen? – Die Fürstin? die Mutter des Fürsten? – Nicht Mutter! Frau, Gemahlin! – Er stand auf, und zeigte auf ein schönes weibliches Bild, welches ich für ein Ideal gehalten hatte. Verstört, aufgeschreckt rief ich aus: wie? ist der Fürst vermählt? – Ja, mit Eudoxia, aus dem Hause P... – Gott, Gott! darum die Ungewißheit, das Zögern, sich zu erklären! Was bin ich nun? o, gräßlich! gräßlich! – Weib, hast Du einen Vater? – fragte Michael. – O schweig', alter ehrwürdiger Mann, mein Fall in diesen Abgrund wird ihn umgebracht haben! – Ich fiel in eine Raserei, die Wunde fing aufs neue an zu bluten, und Michael bat mich um sein Leben[281] willen, ihn nicht zu verrathen. Ich wurde etwas ruhiger, als er mir versprach, mein Vermittler zu werden, und mich in eine anständigere Lage zu bringen.
Bald nachher erschien der Prinz. Ich zwang mich, wenigstens still zu seyn. Nachdem ich eine Zeitlang geschwiegen hatte, zeigte ich auf das Portrait, und fragte: wer ist dies himmlische Gesicht? – Ein Ideal, Ida; was geht das Sie an? Sie sind tausendmal schöner. – Geht das Bild auch Sie nicht an? Prinz! – Er wurde roth. Ida, – stammelte er nach einigem Schweigen, ich sehe, ich bin verrathen; meine Verwandten haben mir eine Gemahlin aufgedrungen, die mich unglücklicher Weise bis zur höchsten Leidenschaft liebt. Dieser zu entgehn, verließ ich mein Vaterland, und gab alle Ansprüche auf Ehrenstellen auf, zu welchen mein Rang und Vermögen mich[282] berechtigten; ich durchreisete die südlichen Länder, kein Weib zog mich an sich, bis ich in Ihrem Berlin fand, wonach sich mein Herz so lange gesehnt hatte. Ida, nun opfern Sie mein Glück nicht einem Hirngespinnste auf! Was ist das nun, daß Eudoxia für diese Welt mein Weib ist? Mag sie immer die Theilhaberin meines Ranges und Vermögens seyn, mein Herz habe ich nur für die reizende Ida! – Ich überschüttete ihn mit Vorwürfen, die er endlich, hofmännisch freundlich, damit beantwortete, daß er mich daran erinnerte, wie er kein Zwangsmittel und sehr wenig Überredung angewandt habe, mich zur Reise zu bewegen. Tief beschämt und erschüttert, wie ich es seyn mußte, verließ er mich, und der alte Priester trat an seine Stelle. Mein Zustand, meine bittern Thränen gingen ihm zu Herzen; er fragte zutraulich: ist es Dein[283] Ernst, daß Du nicht werden willst eine – – – O ja, ja, ehrwürdiger Mann, wie Du mich auch retten willst, ich gehe alles ein. – Gut, so warte noch drei Tage; Deine Krankheit wird Deine Rettung eyn. Aber vor allen Dingen danke Gott, danke ihm, wie Du gelernt hast mit ihm zu sprechen; er und der heilige Nikolas werden Dich beschirmen.
Der Wink des Alten fiel brennend in meine Seele. – Ach, wenn ich beten könnte! aber wie kalt, wie durchaus entfremdet ist mein Herz diesen frommen Empfindungen! – Als ich allein war, falteten sich meine Hände von selbst, die beklemmte Brust arbeitete heiße Seufzer hervor, mein bethräntes Auge richtete sich zum Himmel, und ich wünschte mit unbeschreiblicher Angst, daß Gott mich hören, und mich erretten möchte. War dies Gebet, so ist nie ein brünstigeres emporgestiegen.[284]
Mein Herz war erleichtert, als der Prinz ins Zimmer trat. Er bemerkte meine ruhigere Stimmung mit Zufriedenheit, und wartete nicht, bis ich die vorhin abgebrochne Materie wieder aufnahm, sondern fing selbst an davon zu sprechen. – Ida, ein rasches Wort hat Sie vorhin beleidigt. Ich wollte das nicht; da wir aber in der Entwicklung so weit gekommen sind, muß ich als ein Mann von Ehre sprechen. Ich liebe Sie unaussprechlich, Ihre Schönheit, Ihre Anmuth muß Ihnen das sagen; aber ich will Sie nicht verderben. Ob es immer in meiner Gewalt stehn würde, dem raschen jugendlichen Feuer zu gebieten, wenn so viele anziehende Reize mich umgaukeln, darf ich nicht versprechen. Ida, ich darf Ihnen nicht verschweigen, daß Michael Popoff nachdrücklich für Sie gesprochen hat; er hat meinem schlummernden Sinne für[285] Güte und Rechtschaffenheit eine neue scharfe Richtung gegeben. Ich schlage Ihnen das Haus der Fürstin Eudoxia zum Asyl vor. Sie ist eine gutes, ein tugendhaftes Weib; Sie sollen vor ihr, als die verlaßne Frau eines unglücklichen Mannes, erscheinen, der Sie mir empfohlen hat. Sie dürfen nicht erröthen, Ida; Sie kommen rein und unentweiht aus meinen Händen. Ich werde Sie immer noch anbeten, aber nur selten sehen; in diesen Augen ist zu viel Gefahr für mich. –
Mit ganzem Herzen stimmte ich in den Vorschlag des Prinzen. Sein Edelmuth überwältigte mich; nie war er in meinen Augen so liebenswürdig erschienen, und – daß ich alles sage, – in der tiefsten Falte meines Herzens regte sich etwas, das einem Unmuthe über diese freiwillige Entsagung glich. Mein Dank war so feurig,[286] daß er dem Prinzen beinahe den edlen Sieg über sich selbst aus den Händen gerissen hätte. Popoff erschien, und die Unterredung nahm eine ruhigere Wendung.
Nach drei Tagen, in welchen ich den Prinzen nur auf kurze Augenblicke, Popoff aber beständig um mich hatte, verkündigte mir ein Getöse und Pferdetritte im Hofe des Pallastes die Ankunft der Fürstin. Ich kleidete mich anständig, und erwartete jeden Augenblick, daß sich etwas ereignen werden; allein es blieb diesen Tag und Abend still, selbst der alte Priester ließ sich nicht sehen. Erst spät nach Mitternacht wurde es ruhig im Pallaste. Ich blieb auf, und brachte den übrigen kurzen Theil der Nacht am Fenster zu. In diesen wollüstig-angenehmen Nächten verliert sich zwar in den Petersburger Straßen die geräuschvolle Thätigkeit, wird aber nicht, wie in Berlin, zur[287] todten, bangen Stille. Überall hört man den Fußtritt von Spaziergängern, die sich häufig von Musik begleiten lassen. Auf der Newa und auf allen Kanälen schwimmen Schaluppen, von welchen der einfache melodische Gesang der Matrosen ertönt. Ich überließ mich, zum erstenmal seit langer Zeit, einer freundlich-winkenden Hoffnung besserer, unschuldvoller Tage. Die Fürstin dachte ich mir unter mannichfaltigen, lieblichen Gestalten; aber ach! wohin ich den Blick wendete, war Anstrengung und Arbeitsamkeit die unerläßliche Bedingung besserer Zeiten! Was konnte ich für Talente aufweisen? was für Geschicklichkeiten hatte ich mir erworben? Keine einzige, die mich über den Troß gemeiner Bedienten erheben konnte! O, weh mir, wie habe ich die goldnen Tage der Muße mit Armseligkeiten verschleudert! Ich fühlte es[288] tief in der Seele, daß ich nur in die niedrigere Region einer kleinen Haushaltung gehörte; daß es etwas Leichtes gewesen war, unter den lustigen Weibern, mit welchen ich meine Zeit vertändelt hatte, einen Platz zu behaupten, die sich außer dem Whisttische und Putzladen in armer Unbedeutsamkeit verlieren. Diese Betrachtungen waren eben nicht geschickt, mich zu einer Zusammenkunft mit meiner künftigen Beschützerin gehörig vorzubereiten. Indeß war es Tag geworden; der Kammerdiener brachte mir Frühstück; ich wagte keine Frage an ihn. Bald nach ihm erschien Popoff. Sein freundliches Auge verkündigte mir lauter Gutes. Du wirst es gut haben, wenn Du willst, sprach er; Eudoxia will Dich haben, wenn Du ihr gefällst. – Ach Gott! wie muß ich seyn, wenn ich ihr gefallen soll? – Sie ist den Deutschen[289] gut. Aber, meine Tochter, etwas muß ich Dir sagen: bei ihr lebt ein Weib, das ihre Erzieherin war; sie ist eine jähzornige Französin; bitte den heiligen Christ, daß er Dir's eingiebt, wie Du das Herz dieses Weibes gewinnen mögest. – Mir sank der Muth, die Tage der Unbefangenheit waren dahin, und die Last des entkräftenden Bewußtseyns lag schwer auf mir. – Was Dir auch begegnen möge, jede Erniedrigung wirst Du verdient haben! – Ich wies mir den niedrigsten Platz an, und wagte keine Klage, kein Murren. Der redliche Popoff verwies mir meine Niedergeschlagenheit. – Du bist nicht gut und dankbar, meine Tochter, sagte er; hat Gott nicht Wunder zu Deiner Errettung gethan? Willst Du darum verzagen, weil er so gütig ist? Sammle Dich! in kurzem wirst Du vorgelassen; ich bleibe Dir zur Seite.[290] Es war gut, daß er das sagte, sonst wäre ich umgesunken, als der Kammerdiener der Prinzessin erschien, um mich abzuholen.
Popoff begleitete mich. Ich wurde durch eine lange Reihe Gemächer geführt, deren Pracht mir imponirte. In einem der letztern fand ich die Prinzessin auf einem Sopha; eine ältliche, in Braun gehüllte, Gestalt vor ihr, bediente sie mit Chokolade. Die Fürstin sah ihrem idealischen Bilde vollkommen ähnlich. Eine schöne Spitzenhaube beschattete zum Theil das reizende Gesicht; ein großes, flatterndes, hinten aufgestecktes, buntseidenes Tuch gab ihr ein fremdes, höchst reizendes Ansehn, wozu ein, im orientalischen Geschmack gesticktes und geschnittenes, weites Gewand noch mehr beitrug. Am Eingang verneigte ich mich ehrerbietig, wie ich es auf dem Theater gesehn hatte. Popoff hielt mich, und führte[291] mich ihr näher. Sie streckte eine wunderschöne Hand nach mir aus, und hieß mich in angenehmen Französisch näher kommen. Meine Haltung mochte unter diesen Umständen noch weniger Festigkeit als gewöhnlich haben; denn die braune Französin am Tisch merkte an, daß sie wetten wolle, ich sei nur eine Deutsche. Cet air, ce maintien, cette timidité, – sagte sie leise zur Fürstin, – zeigten sehr deutlich, zu welcher Nation ich gehöre. Was die Gebieterin antwortete, verstand ich nicht ganz; aber ich unterschied, zu meinem Trost, die beruhigenden Worte: très-aimable, und diese gaben mir Muth, mich gegen ihr Gewand hinzuneigen; sie reichte mir aber gütig die Hand zum Kuß. Ich ergriff sie, und küßte sie mit einer Innigkeit, die, so wie sie aus meinem Herzen kam, in das ihrige drang. Sie sah mich mit Wohlgefallen an, und[292] sagte etwas auf russisch zu Popoff, der es mit dem Lächeln der Zuneigung anhörte.
Allein jetzt wurde der Auftritt bänglicher für mein Herz. Die schöne Frau erkundigte sich nach meinem Vaterlande, meinen Eltern, meinen Verbindungen, und endlich – was ich mit großer Herzensbeklemmung erwartet hatte – um mein Verhältniß zum Fürsten. Ich entfernte mich in meinen Antworten, so wenig es sich thun ließ ohne anstößig zu werden, von der reinen Wahrheit. Als ich auf die Frage: ob ich noch Eltern habe? wehmüthig meinen Vater nannte, hieß sie mich mitleidig: arme Kleine; als ich aber auf die Erkundigung, ob ich mit dem Fürsten zusammen in einer Kutsche gereiset sei, Ja antwortete, umwölkte sich das schöne Auge, und sie sagte mit kleinmüthigem Tone zur Lebrün etwas, wovon ich nur das trop belle verstand.[293] Das röthete meine Wangen, und eine bittre Thräne des Bewußtseyns stieg in mein Auge. Ich sah traurig auf meinen ehrlichen alten Begleiter, und gab schon alles verloren. Er sprach russisch, und die Prinzessin sah mich wieder an. Was kann ich, was muß ich für Sie thun, mein Kind, (sagte sie) wenn Ihnen geholfen seyn soll? Ich begreife, daß Ihre Schönheit und Jugend nicht schutzlos bleiben kann. – Mein guter Genius, oder vielmehr das dringende Bedürfniß meines Herzens, gab mir ein, vor ihr hinzuknieen, und mit Inbrunst um Aufnahme unter ihre Frauen, und Schutz von ihr, zu flehen. Popoff nickte mir freundlich seine Billigung zu, und ich hatte zur glücklichen Stunde gesprochen; die edle Frau küßte mich liebreich auf die Stirn, und gewährte warum ich bat. Jetzt entrunzelte auch die saueräugige Gouvernante[294] ihre gelbe Stirn, und fragte mich mit offenbar neidischem Tone, was ich denn arbeiten könne? meine Landsmänninnen hätten gewöhnlich gar wenig aufzuweisen; ein wenig Stricken? ein wenig caquet? n'est ce pas? setzte sie in einer mehr boshaften als scherzenden Manier hinzu. Sie hatte leider! recht. Das gütevolle Herz der Fürstin sah meine Verlegenheit, und sagte schnell einfallend: Sie werden doch lesen können, mein Kind? Sie werden mir bei meinen kleinen Arbeiten vorlesen; meine arme Lebrün leidet ohnehin an den Augen. Freilich, erwiederte diese, werde ich nachgrade eine unnütze Dienerin meiner gnädigen Fürstin. – O, das nicht, liebe Lebrün, Du wirst meinem dankbaren Herzen nie entbehrlich seyn! Diese junge Person wird in ihren Funktionen von Dir abhängen; Deine Zurechtweisungen werden ihr nützlich seyn. –[295] Madame Lebrün ließ sich nach diesem Beruhigungsmittel herab, mich zu umarmen, und meiner Wange von dem überflüssigen Taback, der an ihrer Hakennase hing, mitzutheilen, und – nun war ich angenommen. Von diesem Augenblicke an nannte mich die Fürstin Du; mir wurde ein Gemach neben der Lebrün angewiesen, welches ich sogleich in Besitz nahm.
Popoff, der ehrwürdige Priester, weinte Freudenthränen, als ihm sein schönes Werk gelungen war. Er segnete und küßte mich beim Abschiede, und ermahnte mich, dem heiligen Christ und meinem Schöpfer für mein Glück zu danken. Als er von mir ging, schenkte er mir ein schönes Kreuz, und befestigte es an meinem Halse, indem er sagte: gedenke Deines Erlösers, meine Tochter; aber bedenke auch, daß nicht immer Wunder zu Deiner Errettung geschehen werden. Damit verließ er mich.[296]
Die Prinzessin hatte eine schätzbare Sammlung deutscher Klassiker aus allen Fächern. Es war mein Amt, ihr daraus vorzulesen. Sie liebte unsre Sprache, und drückte sich gut darin aus. Ihre Mutter war eine Liefländerin gewesen. Sobald das erste deutsche Wort gelesen wurde, pflegte die Lebrün mit solchen Zeichen des Widerwillens und Ekels das Zimmer zu verlassen, als ob eine, Grausen und Abscheu erregende, Operation vorgenommen würde. Die gute Fürstin bemerkte es zu ihrer Belustigung, und fand es drollig, wenn die übelgelaunte Französin ce fichu allemand! sagte.
Ich hatte nun schon eine ganze Woche mein Amt versehen, und täglich mehrere Stunden vorgelesen, aber noch immer hatte ich nicht bemerkt, daß der Fürst auch nur ein einzigesmal seine Gemahlin gesehn hätte.[297] Sie fing an, merklich zerstreut zu werden; ich mußte oft eine Stelle mehrere male lesen. Wenn ich kam, fand ich sie weinend; ihr schönes Herz erlag unter irgend einem geheimen Kummer. Einst fand ich sie schreibend; indem sie siegelte, fielen Thränen auf den Brief herab; sie wollte sie trocknen, besann sich aber, und sagte: er soll sie sehn! Der traurige Brief war an den kaltsinnigen Gemahl gerichtet. Der Kammerdiener, der ihn überbracht hatte, brachte zur Antwort: Se Erlaucht würden noch diesen Vormittag aufwarten. – Die arme Dame gerieth in eine seltsame Bewegung, die sich erst in Thränenströmen Luft machte, und dann in eine wehmüthige, rührende Freude überging. Arme Eudoxia! rief sie einigemal wie aus der Tiefe ihres Grams. Sie wollte Toilette machen, unterließ es aber wieder, und brachte bloß etwas mehr Nachlässigkeit[298] in ihren Morgenanzug. Als ich ihre Befehle erwartete, ob ich gehen oder bleiben sollte, sagte sie: Du gehst; nein, Du sollst bleiben; doch, es ist besser Du gehst. – Dann lehnte sie ihren Kopf auf meine Schulter, und sagte daß es mir ins Herz schnitt: nicht wahr, Ida, ich jammere Dich? Als sie mich weinen sah, sagte sie gütig: Du bist eine sehr gute Seele, ich habe Dich recht lieb; aber – setzte sie zärtlich und halb scherzhaft hinzu – hier bleiben darfst Du doch nicht, wenn mein Gemahl da ist. Diese letzten Worte hörte die Lebrün, und sagte französisch: es sei besser, ich bliebe, so würde man doch sehn – – – Die Fürstin billigte den Rath, und ich blieb. Aber mit welchem Aufruhr in meinem Innern, das mußte mein verstörtes Gesicht sagen; denn die Lebrün sah mich unverwandt durch ihre Brille an, und schüttelte bedenklich den Kopf.[299]
Ich hatte nicht Zeit, mich recht zu sassen, denn in dem Augenblicke sprangen die Flügelthüren auf, und der Prinz erschien in größter Gala. Er eilte auf seine Gemahlin zu, küßte der halb Ohnmächtigen die Stirn, und dann die Hände, wobei er einige russische Worte sagte. Sie sprach keinen Laut, ihre zitternden Füße versagten die Dienste, und Demetrius führte sie mehr galant als zärtlich zum Sopha, wo er dann seinen Platz ihr gegenüber nahm. Jetzt watschelte die Französin an ihn heran, und bückte sich auf seine Hand. Sie haben uns lange verlassen, Monseigneur, – sagte sie; – aber das schöne Geschenk, was Sie uns von Ihren Reisen zurückgebracht haben, Monseigneur! – (sie deutete hämisch auf mich hin; ich versank, und wagte nicht aufzublicken). Indeß hatte sich die Fürstin wieder erholt, ihr edles Herz fühlte meine[300] Angst, und sie unterbrach den boshaften Ausfall ihrer Gouvernantin dadurch, daß sie dem Fürsten für die schöne Gabe dankte, die er ihr in mir gegeben hätte. Ich schöpfte wieder Athem. Die Worte des Fürsten machten zwar seinem Verstande und Weltklugheit Ehre; aber seine Blicke, seine Bewegungen, der Ton seiner Rede, waren so unzweideutig, so ganz der Ausdruck eines unwillkührlich hervorbrechenden Gefühls, daß der Fürstin kein Zweifel über unser Verhältniß auf der Reise bleiben konnte. Und ach, so muß ich denn mein Herz in seiner ganzen Schwäche darstellen! – ich härme mich, ich schäme mich dieses Momentes: aber es ist so; ich darf es nicht läugnen, da mein Vorsatz, gut zu werden, so unverrückt vor meiner Seele steht. Der ganze Zauber der Liebe umwand in diesem Augenblicke mein Herz. Schon beim Eintritt[301] des Fürsten waren mir die Bewegungen desselben verdächtig gewesen; jetzt fiel die ganze Gewalt meiner sonderbaren Lage auf mich. Der Zwang, unter welchem ich ihn sah, seine unverkennbare Leidenschaft, sein edler Kampf; – nie, nie hatte ich ihn so gesehen. Jetzt erschien er mir, mit allem Glanze seines Standes umgeben, leidend, und – meinetwegen! – Gesegnet sei die Vorsehung, die mich vor mir selbst rettete! denn nie war ein gefährlicherer Feind in meinem Innern gegen mich aufgetreten.
Ich wagte aufzublicken, und der Fürstin ins Auge zu sehen. Sie zwang sich sichtlich, Thränen zurückzuhalten; das Zucken ihrer niedlichen Lippe, die aufgespannte Stirn, alles zeugte davon. Sie hatte eben ihr Auge aufmerksam auf mich geheftet; aus ihrem Blicke sprach tiefe Bekümmerniß,[302] von mir wendete sie es langsam auf den Gemahl, und da vermochte sie die erleichternde Thräne nicht länger zurückzuhalten. Sie reichte im losbrechenden Gefühl eine ihrer schönen Hände ihm hin, und rief mit unbeschreiblichem Ausdruck: Prinz! Demetrius! Ihre Stimme verhallte süß: der Prinz widerstand nicht; er fiel auf ein Knie vor ihr nieder, küßte ihre Hände, und schnell, ohne ein Wort zu sprechen, verließ er das Zimmer. Unglücklicher Weise war der Fürstin der Blick nicht entgangen, mit dem er schied, und der nur für mich gewesen war. Sie wendete sich plötzlich zu mir, und auch meine unsägliche Verwirrung entging ihr nicht; denn jetzt rief sie erschöpft: es ist zu viel! nein, nein, länger trage ich das nicht! – Die Französin trat herein; als sie ihre Gebieterin so bewegt fand, errieth sie die Ursache, ergriff ziemlich unsanft[303] meine Hand, und führte mich ins Nebenzimmer, wo sie mich meinen sorgenvollen Betrachtungen überließ; sie selbst aber eilte zur Fürstin zurück, und rief noch zur Thür hinaus: daß niemand uns störe!
Ohne mich unbescheiden der Thür zu nähern, hörte ich die Gebieterin in einem wehmüthig-klagenden, und die Französin in einem heftigen, fast möcht' ich sagen gebietenden Tone sprechen. Es ahnete mich; das Resultat dieser Unterredung mußte mich betreffen; krampfhafte Angst umnebelte beinahe meine Sinnen. Wie heiß wünschte ich, diesen Pallast der Sorgen nie betreten zu haben! – Nach einer halben Stunde öffnete sich die Thür wieder; die Prinzessin befiehlt, Sie sollen zu ihr kommen! sagte Madame Lebrün gebieterisch; sie selbst ging zu einer andern Thür hinaus. Ich nahete mich langsam dem Zimmer, wo mir jetzt,[304] wie ich mir vorstellte, mein Urtheil gesprochen werden sollte. – Ich fand die schöne Frau auf dem Sopha liegend, den Kopf sorgenschwer in die Hand gestützt, mit der andern reichte sie mir einen Theil von Göthe's Schriften hin. – Da lies, mein Kind, sagte sie; ich brauche Fassung. Ich gehorchte mit ungewisser Stimme, sah aber wohl, daß sie nach Ruhe rang; denn über eine Weile sagte sie: auch das thut's nicht! – Ich hielt inne. Einigemal fing sie an: sag' mir doch, liebe Ida, – – – dann schwieg sie wieder, als schäme sie sich gleichwohl eine Schwäche zu bekennen. – Sag mir doch, – fing sie wieder an; – ich hielt mit Lesen inne. – Warst Du denn ganz allein mit dem Fürsten, als Du mit ihm reisetest? – Der menschliche Fürst erlaubte seinem Kammerdiener Françon, uns im Wagen gegenüber zu sitzen. – Immer?[305] immer? den ganzen langen Weg über? – Ja, gnädigste Fürstin. – Ich war röther, als ich sonst in meinem Leben gewesen bin; sie sah bedenklich aus. – Und Du warst so hübsch! – fuhr sie fort, wie für sich. – Ich schlug die Augen nieder. – Der Fürst kannte Deinen Gatten? – Ja, gnädigste Frau. – Und Dein Gatte verließ Dich? – Er wurde unglücklich durch Leichtsinn. – Und – als ob sie Kräfte zu dem, was sie sagen wollte, zusammennähme, – und der Fürst liebte Dich nicht? – Sie wollte mir scharf ins Auge blicken, aber ihre Stimme bebte, und ihr schönes Auge sank auf ihren Busen hin. – Des Fürsten Edelmuth war seiner würdig; er rettete meinen Mann, und hatte ihm meine Befreiung versprochen. Er hat sie großmüthig ausgeführt, da er mich der Trefflichsten aller Fürstinnen übergab. – Schmeichlerin! –[306] Aber – – – Was, aber? dacht' ich erschüttert. – Aber hat der Fürst Dir nie von Liebe vorgesagt? – Es wäre Anmaßung, diesem Worte mehr Bedeutung zu geben, als es im Weltgebrauche hat, wenn Männer von Ton und Rang es gegen Geringere aussprechen. – Du weichst mir aus, Ida! die Blicke des Fürsten redeten bestimmter. Du verkennst mich, Ida! (sie zeigte auf ihr Herz). Hier liegt etwas, das die Schwächen Anderer rechtfertiget; aber sag' mir nur, Kind, ist der Fürst nicht höchst liebenswürdig? – Er ist edel und liebenswürdig, groß und gut. – Du sprichst aus meiner Seele; zum Andenken dieses Augenblicks trage dies. – Sie zog einen schönen Ring vom Finger, und steckte ihn selbst an den meinigen. Ich bückte mich, ihre Hand zu küssen; da fiel das Kreuz von Popoff aus meinem Busen in meine[307] Hand, und mit ihm fielen mir seine Worte aufs Herz. Ich fühlte meine Errettung, und gelobte mir heilig, selbst thätig zu seyn, ohne Wunder zu erwarten.
Jetzt kamen die Frauen der Fürstin, und kleideten sie an; ich begab mich in mein Zimmer, und diesen und den folgenden Tag fiel weiter nichts vor.
Es schien mir am dritten Tage von übler Vorbedeutung zu seyn, daß Madame Lebrün mir schon früh sagen ließ, sie werde in meinem Zimmer frühstücken. Sie erschien mit einer Freundlichkeit, die ihr nicht natürlich war, und die mich auf etwas besonderes vorzubereiten schien. Nach dem Frühstücke fragte sie mich um Verschiednes aus meinem vorigen Leben, hielt sich besonders bei dem Umstande auf, daß ich eine verlaßne Frau sei, holte noch weiter aus, und dann lenkte sie plötzlich wieder mit der[308] Äußerung ein: daß die Fürstin mich gern versorgt sehn würde, wenn sich eine Parthie fände. – Gott! will denn jetzt schon die Fürstin mich los seyn? Unter ihrem Schutze habe ich mich für versorgt gehalten! – Sie würden es seyn, wenn nicht gewisse Besorgnisse – – gewisse Blicke – – – Sie verstehn mich wohl. – Sollte der Geschmack von der schönsten Rose auf eine gemeine Feldblume fallen können? – Man hat Beispiele. Denken Sie indeß auf den Vorschlag, den Ihnen die Fürstin wegen einer Heirath macht. – Ich gab zu verstehen: ich glaube, der Vorschlag komme von ihr selbst. – So? das ist also mein Dank! O, mein Kind, man fürchtet sich nicht so geschwind vor jedem Dinge, das ins Haus geschneit kommt! Alte Dienste und geprüfte Treue vergißt man nicht um jeden Fremdling, der, wer weiß woher?[309] kommt. Sagen Sie mir doch, warum ich Sie gern los seyn sollte? Hm! mich verdrängt keiner; am wenigsten certaines gens, (gewisse Leute), die Monseigneur empfiehlt. Als die Alte mich tief genug gekränkt und gedehmüthigt sah, schien ihr Stolz befriedigt zu seyn, und sie sprach gelinder. Es hätte sich wirklich eine Parthie gefunden, welche die Fürstin für mich zu machen wünsche: ein junger hübscher reicher Mann, der mein Landsmann sei. Sie müsse nur sagen, daß er mir heute Abend vorgestellt werden sollte. Ich könne ihn doch wenigstens sehen, denn sonst müsse die Fürstin meine Weigerung auf eine gewisse Rechnung setzen. – – Mir ist nicht bange ihn zu sehn, Madame; wenn er hört, daß ich verheirathet bin, wird er nicht mein zweiter Mann seyn wollen. – Verheirathet? Hoho! ein entlaufner Mann ist kein[310] Mann! Das ist plaisant! Und dafür sind die öffentlichen Blätter; zitirt und geschieden, das ist bald gemacht! Damit ich's kurz mache: auf dem jetzigen Fuße bleiben Sie nicht länger bei der Fürstin. Soll die Gute sich zu Tode härmen?
Die Französin betrieb ihr Werk so emsig, daß sie gegen Abend wirklich einen Mann bei mir einführte; (ich darf nicht übergehn, zu sagen, daß sie mich den Tag über offenbar absichtlich von dem Zimmer der Fürstin abgehalten hatte, unter dem Vorwande: diese Dame sei an den Hof gegangen). Der Mann ging strotzend, in schönen Kleidern, welche wie die abgelegte Garderobe eines Vornehmen aussahen; seine Haltung stand im auffallendsten Kontraste mit seinem Anzuge, welcher durchaus seinem Stande nicht zu entsprechen schien. Er fragte seine Führerin sogleich etwas[311] ungeschickt: ist das die Madame? Sie bejahete es, nöthigte ihn, ohne mein Zuthun, zum Sitzen, und fing an, von seiner neuen Equipage mit ihm zu sprechen; offenbar, um mir eine hohe Meinung von ihrem Schützlinge beizubringen. Während dieser Unterhaltung strickte ich; denn jene hatten sich's ebenfalls so ganz bequem gemacht. – Wie geht's im Klub? – fragte die Lebrün. Ach, antwortete er, es ist für mich jetziger Weile eine böse Zeit! Ich verlor gestern drei Robber nach einander, und da waren dreißig Rubel heidi, als wenn man sie weggepustet hätte. Nach ähnlichem, hin und wieder geredeten, Geschwätz wendete er sich an mich: Die Madame sind aus Berlin? – Wenigstens aus der Gegend. – Also wohl vom Lande? der Herr Papa war vielleicht ein Prediger? – Nein, mein Herr, ein Amtmann. – Ja, das Berlin[312] ist auch ein schöner Ort. Meine Eltern wohnten in der Fischerstraße, und hatten hernach ihr Häuschen im Vogtlande. Sie hatten ihr gutes Auskommen; aber wir Kinder richteten unsern Sinn immer aufs Ausland, und nun bin ich ein Russe geworden. Wo unser einer sein Stückchen Brod hat, da ist man zu Hause. – Sie haben wohl Recht, mein Herr, in dem schönen Petersburg und unter seinen guten Einwohnern kann man Berlin wohl vergessen. – Na, ich höre schon, die Madame verlangt auch nicht wieder zu Hause. Ja, wenn's einem vollends nicht sonderlich an 'nem Orte gegangen ist! – – Ich wurde roth, und fühlte meine Stirnader anschwellen. – Der Herr Liebste war ein königlicher Bedienter? – Er diente dem Staate bei einer Kasse. – Und ist? – Auf Reisen gegangen, sagt' ich hastig, das Folgende[313] abzuschneiden. – Ja, ja! sagte er dumm lachend, als wollte er zu verstehn geben, er wisse es besser. – Ich stand, oder sprang vielmehr auf; und als er mich beleidigt sah, bat er auf eine tölpische Art um Verzeihung, und platzte nun mit der eigentlichen Absicht seines Besuches heraus, weil ihm bange wurde, ich möchte ihm entwischen. Er stelle sich vor, daß eine Person in meinen Umständen nicht viel Wesens machen werde; er habe sein reichliches Brod, und beschäftige in der Zeit der Hoffêten über zwanzig Gesellen; er wolle eben nicht prahlen, aber er tausche mit keinem Berlinischen Kriegsrathe; – ich solle mich bedenken; – es sei doch hart, andrer Leute Brod zu essen; eigner Heerd sei Geldes werth, u.s.w. – Ich stand stumm, versteinert, voll Schmerz und Reue; war es so weit mit mir gekommen? O, ehrwürdiger Eiche,[314] wie schwer wurdest Du jetzt gerächt! – – Madame Lebrün sah mich gleichgültig an, und sagte dann störrisch: Herr Große, wir wollen der Madame Zeit zum Überlegen lassen; in zwei Tagen geht die Fürstin nach den Gütern zurück, und ich verspreche Ihnen, während dieser Intervalle soll die Sache abgethan werden. – Herr Große, der Schneider, machte einen linkischen Bückling, und ich blieb allein; allein, in einem Augenblicke der entsetzlichsten Zerrüttung aller meiner Gemüthskräfte! – Ich sah kein Mittel, mich der Fürstin zu nähern, wenn die boshafte Französin mich von ihr entfernt wissen wollte. In zwei Tagen schon verreisete sie. Dem Fürsten mich zu entdecken, war gefährlich; Michael Popoff hatte ich lange nicht gesehen. Gott, welche Verwirrung! in einem fremden Lande! In der fürchterlichsten Angst meiner Seele[315] knieete ich vor meinen Stuhl hin, und das Kreuz erinnerte mich abermals an die Worte meines ehrwürdigen Alten; ich blickte sehnsuchtsvoll zum Himmel auf, und ergriff die Feder, um einige Zeilen an Popoff zu schreiben. Ich bat ihn dringend, zu meiner Rettung herbeizueilen. Wie ich ihm dies Billet zustellen würde? wußte ich nicht. Jetzt hörte ich den Ofenheizer auf dem Gange; er war ein Kosake, mit der ehrlichsten Bildung; konnte aber kein Deutsch. ich nannte ihm den Namen Michael Popoff, er verstand mich, ich reichte ihm meinen Zettel, und zeigte ihm das Kreuz: er sollte um diesen willen mir helfen. Der ehrliche Mensch fiel demüthig auf seine Kniee, küßte die Erde, verrichtete eilig seine Arbeit, und eilte dann mit dem Zettel fort. Ich war voll Angst, wie das ablaufen würde. Nach einer Stunde kam der brave Priester selbst.[316]
Er redete mich bekümmert an, und fragte: was ist Dir, meine Tochter? Ich erzählte ihm weitläuftig den Vorgang der letzten Tage; mein Gespräch mit der Fürstin, bis auf den Abschied des Meister Große. Der Fürst darf es nicht erfahren, – sagte er; – aber die Fürstin mußt Du sehen. Sie wird von Czarskojeselo zurückerwartet. Ich werde sie erst sprechen, und Dich dann zu ihr führen. Mit diesen Worten verließ mich mein guter Engel. Beruhigter erwartete ich nun den Ausgang.
Spät, als ich nichts mehr hoffte, kam der ehrwürdige Mann zurück, und rief mir die frohe Nachricht entgegen, daß ich sogleich zur Fürstin kommen sollte. Ich folgte seiner Anweisung mit klopfendem Herzen. Die Fürstin saß halb entkleidet, und winkte mich liebreich an sich heran. – Du bist bekümmert? Tochter! O, Du mußt[317] nicht weinen! (mir waren Thränen in's Auge gestiegen); nein, nein, ich war heute so glücklich! so unbeschreiblich glücklich! meine arme Kleine, Du sollst nicht weinen. – Aber so erzähle mir doch. – Ich sah schüchtern um mich her. – Nein, nein, sagte sie lachend; sie hört Dich nicht. – Sprich, sprich wie es aus Deiner Seele kommt. – Ich knieete neben dem Sopha, und sprach ganz nach dem Eindrucke der Kränkung, die mir widerfahren war. Die Prinzessin hörte mich geduldig an, und sagte einigemal: armes Kind! Ach freilich! – brach sie endlich mit Rührung aus, – es ist schrecklich! Demetrius und der Schneider! – Ich fiel zusammen, als ich sie so sprechen hörte. – Es ist kein Vorwurf, Liebe, (fuhr sie fort); ich kann das jetzt ruhiger sagen, da mir ein schöneres Glück aufgeht. Ida, bald hab' ich gesiegt! meine[318] Liebe, meine Beharrlichkeit wird das schönste der Herzen überwinden. O, es ist ein Himmel, wenn die Liebe mir aus diesem strahlenden Auge lächelt! Ida, vollende, mach' mich ganz glücklich. – Ich? meine Fürstin! mein Leben – – Nichts vom Leben, Du sollst nicht sinken, um mich auf den Thron seines Herzens zu heben; aber sehen, sehen muß er diese himmelsüßen Reize nicht mehr! Jetzt nichts mehr. – Sie schellte, ihre Frauen erschienen, sie ließ sich ein zierliches Nachtkleid anlegen, und war nun unwiderstehlich schön.
Nach der Abendtafel befahl sie mir, ihr zu folgen. Die Lebrün war krank; ein Schälchen zu viel hatte ihr einen Krampf zugezogen. Wir bestiegen eine kleine Schaluppe auf dem Nevakanal; es begann ein Genuß für mich, dessen ich mich nie ohne Rührung erinnern werde. In dieser unbeschreiblich[319] lieblichen Dämmrung einer solchen Sommernacht hörte man das taktmäßige Plätschern der herumrudernden Schaluppen, von welchen froher Volksgesang, zuweilen auch der majestätische Ton der russischen Jagdmusik erklang. Eudoxia saß in süßem Schlummer versenkt; ich wagte es nicht, diese heitre Stille ihrer Seele zu unterbrechen. Sie winkte ihren Jägern, mit der Waldmusik zu schweigen, ließ sich die Mandoline reichen, und sang eine russische, sehr schmelzende Arie. Liebe und Bewundrung durchschauerte mein Herz gegen diese unvergleichliche Frau. Wie schön mußte diese Natur seyn, daß eine Lebrün nichts darin verderben konnte! – Nach dieser gefühlvollen Szene folgte eine Stille, während welcher ich mich ehrerbietig zurückzog; denn ich sah ihre Seele tief bewegt, und in sich beschäftigt. Wie aus einem[320] Schlummer erwacht, rief sie mich; ich mußte dicht neben ihr sitzen, und sie lispelte mir zu, indem sie ihre sanfte Hand auf meine Schulter stützte: Ida, ich sehe, Du liebst mich; Dein Herz steht in Deinen Augen. Es ist mir hohes Bedürfniß, ein fühlendes weibliches Herz an meiner Seite zu haben; aber um Dein, um mein und um noch eines Dritten willen, es kann nicht seyn! ich muß Dich aufgeben! Erschrick nicht, meine Arme; ich baue mein Glück nicht auf Deinen Untergang. Ich habe eine Jugendfreundin in Deutschland, die Herzogin von ; ihr Gemahl vernachläßigt sie; Du sollst ihr Trost seyn. Ich schicke Dich zu ihr; Popoff begleitet Dich. Ich statte Dich aus, und Du bleibst, wenn gleich fern von mir, meinem Herzen stets theuer. –[321]
Ich willigte ein; mir blieb keine Wahl. Das süße Wort Deutschland war wie der schönste Wohllaut mir in's Ohr gefallen. Ich fühlte mich erleichtert, und doch beklommen, wenn ich mir die Trennung von diesem Engel dachte. Noch verstrichen vierzehn Tage unter ausharrender Liebe und Freundlichkeit von Seiten der Prinzessin, und herzlicher, dankbarer Ergebenheit von der meinigen. Selbst die Lebrün kam mir mit Freundschaft entgegen, sobald es ihr gewiß war, daß ich reisen würde. Nur einmal noch sah ich den Fürsten. Er trat unerwartet ins Zimmer seiner Gemahlin; sie war froh bestürzt, und sah mit einiger Unruhe auf mich hin. Ich war im Begriff, mich zu entfernen: der Fürst konnte das nicht geschehen lassen, ohne etwas zu sagen; es wäre Affektation gewesen zu schweigen. Es thut mir leid, sagte er, wenn ich[322] jemand von einer so schönen Stelle vertreibe; er zeigte galant auf den Platz, den er, seiner Gemahlin gegenüber, eingenommen hatte. Die Fürstin nahm diese Gelegenheit wahr, ihm zu sagen, daß ich sie in Kurzem verlassen würde. Die Probe war stark; aber er bestand sie, und erkundigte sich mit fester Stimme, wohin ich zu gehn gedächte? und warum ich ein andres Haus dem Schutze der Fürstin vorzöge? Er hoffe allerdings, daß meine Angelegenheiten in Berlin unterdeß eine günstigere Wendung genommen haben würden. – Darauf hab' ich nicht zu rechnen, – sagte ich; das übrige beantwortete die Fürstin mit der ihr eigenthümlichen Klugheit. Der Prinz sagte, sich verneigend, einige russische Worte, worüber sie sehr vergnügt schien; und als er sie bald darauf verließ, fiel sie mir entzückt um den Hals. Ich danke Dir, – rief sie[323] freudig, – ich danke Dir, daß Du ihn mir wiedergiebst! O Ida, wie kannst Du meinen heldenmüthigen Demetrius aufgeben! – Meine theuerste, gnädigste Frau, seyn Sie nicht ungerecht gegen sich selbst; dies Gesicht neben diesem! – Dies sprach ich mit inniger Überzeugung. Ich verlor mich gegen die strahlenden Reize dieser Frau, wie ein gemeines Blümchen am Wege gegen die prachtvolle Lilie, oder die schönste Rose. Die Wolken des Kummers waren nun von der schönen Stirn verschwunden, und ihre Reize gingen mit neuer, anziehender Kraft hervor.
Dies war die letzte Zusammenkunft, welche ich mit dem Fürsten gehabt habe. Ich habe ihn nicht wieder gesehen. Die Fürstin besorgte mütterlich meine Ausstattung, wie sie es nannte, beschenkte mich mit Kostbarkeiten von hohem Werthe, worunter[324] ihr Bild mir unschätzbar ist; und damit meine künftige Existenz gesichert sei, setzte mir die Gütige zweihundert Rubel jährliche Pension aus, die ich, so lange ich lebe, unter allen Lagen, worin ich noch kommen kann, von einem Berliner Banquier hebe.
Den Abschied aus diesem Hause überhebe ich mich zu beschreiben. Ich schied wie von meinem eignen Herzen, als ich ihre Hand zum letztenmal an meinen Lippen fühlte. Da ich schon ihr Zimmer, aufgelöset in Thränen, verlassen wollte, hielt sie mich noch zurück; sie öffnete ein Kästchen, und überreichte mir ein Miniatürgemälde des Fürsten. Sie müssen ihn nicht vergessen, den Edlen, – sagte sie. Alexander war nicht tugendhafter, als er die Gemahlin des Darius zurückschickte! Sein Bild und das meinige müssen ungetrennt[325] in Ihrem Herzen leben! – Dieser Zug ihrer großen Seele überwältigte mich. Ich sank auf meine Kniee, was ich sagte, weiß ich nicht mehr; aber sie fühlte sich mächtig ergriffen, warf mir einen Kuß zu, und verschwand, innigst erschüttert, in ihr Kabinet.
Popoff, welcher diesem Auftritte beiwohnte, flossen die alten Augen über; er schob mich sanft zur Thür hinaus, und einige Stunden nachher traten wir unsere Reise an. Sie ging über Warschau, durch einen Theil von Preußen, die Neumark, u.s.w. Sobald ich mich den Gränzen meines Vaterlandes näherte, erwachte mein Herz zum Dankgefühl für so manche Rettung. O, mein Vater! ich vernahm, daß Sie lebten; daß Sie Ihre ungehorsame Tochter aufgegeben hätten; daß meine besseren Brüder die Flüchtige Ihrem Herzen tausendfach ersetzten! – O, was hört' ich[326] nicht alles, wobei ich weinte und schwieg! Seitdem ich den theuren Vater verlassen hatte, war Weinen mein Loos gewesen, und der Quell meiner Thränen war jetzt beinahe versiegt.
Wir setzten unsre Reise ununterbrochen fort, hielten uns nur auf, den Pferden die nöthige Erholung zu geben, und so kamen wir ohne merkwürdige Ereignisse in , an dem kleinen Hofe der Fürstin von an. Sie war durch Briefe der Prinzessin Eudoxia benachrichtigt, und günstig für mich eingenommen worden. Ganz das Gegentheil hatten aber diese Empfehlungen für mich bei ihrem Hofstaate bewirkt, insonderheit bei den Kammerfrauen, unter welchen mir eine Stelle angewiesen wurde. Sie haßten mich schon vorher, hatten sich vorgenommen, der Neueingetretnen das Leben sauer zu machen, und sie haben redlich[327] Wort gehalten. Ich wurde in die Garderobe geführt, und bald kamen, unter mancherlei Vorwand, hohe und niedre Hofdiener und Dienerinnen, mich zu mustern. – Was Hagedorn irgendwo sagt, daß nichts verwegner, stolzer und kühner, als großer Herren kleine Diener sind, fand ich hier sehr genau bestätigt. Noch hatte ich den ehrlichen Vater Popoff an meiner Seite. Sein befurchtes Gesicht und schneeweißer Bart machten hier einen seltsamen Kontrast gegen die flachen, nichtssagenden Physiognomieen. – Nachdem ich einige Stunden zur Schau gesessen, und manche unbescheidene Frage beantwortet hatte, wurde ich zur Fürstin abgerufen. Ich ging mit unbekümmerten Herzen, denn hier flößte mir nichts Scheu oder Ehrerbietung ein; auch fühlte ich, daß mir die Aufnahme der Gebieterin dieser leichten Menschen gleichgültig[328] seyn würde. Ich fand sie nach vollendeter Toilette im üppigsten Morgenkleide. Sie war sehr schön; aber eine auffallende Ähnlichkeit mit Marianen von Lindenfels, deren verderbender Umgang meinem Betragen eine so entschieden unglückliche Richtung gab, erschreckte mich; eben der Blick, eben das Spiel muthwilliger schwarzer Augen, nur die Stimme war weicher und weiblicher. Ihre Freundlichkeit hätte verführerisch seyn können, wäre mein Herz nicht verwöhnt gewesen, und hätte es nicht verglichen. Da verlor sich aber die Anwesende in den tiefsten Schatten, neben der strahlenden Glorie der himmlischen Eudoxia. – Ich gefiel, ohne gefallen zu wollen; denn die Fürstin gefiel sich bei einer genauen Zergliederung meiner Gestalt und Bildung, wobei ich mehr als einmal roth wurde. Mit meinen kleinen Talenten war[329] sie ebenfalls zufrieden. Von ihrer Freundin, der Fürstin Eudoxia, war ihr nichts wichtig, als ob sie noch so schön sei? ob das Feuer ihrer Augen noch unvermindert, und der weiße Busen fest und rund wäre?
Diese Audienz endigte damit, daß ich zur Vorleserin bestätigt, und auf den Hofetat unter den Kammerfrauen aufgeführt wurde. Sobald diese es erfuhren, erstickten sie mich mit Liebkosungen und Umarmungen. Die Fürstin fand den Namen Ida süß und romantisch, und alle fanden es so, und nannten mich die schöne Ida. Was mir vor Augen geschah, hätte mich vergnügen sollen, aber ich war von Herzen betrübt; denn mein väterlicher Freund, Michael Poposf, hatte mich verlassen, und es war vorauszusetzen, daß ihn meine Augen nie wiedersehen würden. Da erst ekelte mich die Freundlichkeit der mir so fremden[330] Race recht sehr an; es war nichts von dem natürlichen, liberalen und frohen Wesen der Pallastbewohner in Petersburg; selbst die herbe Natur der Lebrün war mir lieber, als das Lachen dieser, zum Lachen immer offnen, Mäuler. Die Fürstin war gütig, zu gütig gegen mich; aber dieser Güte fehlte das Herzliche und Rührende von Eudoxia's holdem Wesen. Oft las ich noch spät nach der Abendtafel, wenn die Fürstin sich schon zur Ruhe gelegt hatte; sie selbst suchte die Stücke aus, welche ich lesen mußte, und ich gestehe, daß es immer solche waren, welche die geheimsten Tiefen der Sinnlichkeit aufregten. Dann mußte ich mich ganz nahe zu ihr setzen, sie schlang ihren Arm fest um mich, und ließ ihre Finger sich so verirren, daß ich Fassung und Stimme verlor. Sie schmiegte ihr Gesicht an meinen Busen, und ließ sich[331] zu Küssen herab, welche sie erwiedert haben wollte; aber, ich weiß nicht welch' eine unüberwindliche Abneigung sich dann meiner bemächtigte, so daß ich mich zuletzt mit Angst und Schaudern dem Lesekabinette näherte.
Unter ähnlichen Beschäftigungen und dem einförmigen Wogen des Hofgeräusches vergingen sechs Monate. Die Gunst der Fürstin und der Neid der andern nahmen zu. Ich fand meine Lage so widrig, daß ich schon mehr als einmal meinen Abschied fordern wollte, als ein unerwarteter Vorfall ihn mir plötzlich verschaffte. Die Fürstin war einige Tage kränklich, oder vielmehr in einem schmachtenden Zustande gewesen, wobei sie über Krämpfe klagte. Ich durfte ihr Zimmer und ihren Sopha keinen Augenblick, auch bei Nacht nicht, verlassen. Sie ruhete in meinem Arm, und ihr Benehmen[332] wurde mir immer räthselhafter. Sie hing oft lange mit wollüstigen Küssen an meinen Lippen, welche sie Rosenlippen nannte; mein Halstuch lösete sie unter dem Vorwande auf, daß es sie drücke, wenn sie an mir ruhe, und bald war ihr dieses, bald jenes meiner Kleidungsstücke zu ihrer Bequemlichkeit im Wege. – Ich wünsche einen dichten Vorhang über die Begebenheit, und über die Schrecken des letzten Augenblicks, der mich auf ewig von ihr trennte, ziehen zu können; – ein Augenblick, wo die letzte und schwächste der Schranken durchbrach, die ihre strafbare Sinnlichkeit gehalten hatte. Sie stürmte wie ein gewaltiger Strom auf mich los; empörte Sinnlichkeit des ungestümsten Mannes kann nicht gewaltsamer seyn! Ich rang, stieß die Wahnwitzige zurück, und sank betäubt, oder vielmehr ohnmächtig, zu Boden hin.[333] Da hörte ich sie ihre Glocke anziehen, die aufwartende Kammerfrau erschien, und die aufgebrachte Dame befahl, man solle mich wegschaffen, ich habe sie im konvulsivischen Anfalle erdroßeln wollen. – Die letzten Worte vernahm ich, ungeachtet meiner Betäubung, sehr deutlich; o nein! nein! rief ich unvorsichtiger Weise, indem ich mich aufrichtete. Kaum hörte die Fürstin meine Stimme, welches sie vermuthlich besorgen ließ, ich würde mich deutlicher erklären, so schrie sie, gleich einer Wüthenden, man möchte eilen, mich fortzuschaffen, sie fürchte den Anblick des Wahnwitzes. Die dienstfertige, innerlich höchst erfreute, Kammerfrau machte mit kummervoller Miene Anstalt, mich fortbringen zu lassen; aber ich ersparte dem armen Dinge die Mühe, und ging ganz fest nach dem Entresol, wo meine Kammern waren. Bald nachher erschien[334] der Leibarzt, legte mir besondre Fragen vor, und schien verwundert, daß ich nicht irre redete. Er war so fest von der Wahrheit der fürstlichen Aussage überzeugt, daß er, als ich sagte, ich habe längst schon gewünscht, diesen Hof zu verlassen, sehr weise meinte: ach, nun merke er; ich habe mich also irre gestellt! Was für verschrobene Menschen sind diese Hofschranzen größtentheils! Ich hatte Mühe, mich ihm verständlich zu machen, ohne die Fürstin zu kompromittiren. Er verordnete mir zum Schein ein kühlendes Tränkchen, und dieser Tag, der so fatal für mich angefangen, endete mit der frohen Aussicht, nun bald im vollen Genusse der Freiheit zu seyn, mich meinem Vaterlande wieder zu nähern, und mich um die Verzeihung meines geliebten Vaters zu bewerben. Der Hofmarschall hatte schnell meinen Abschied ausgefertigt,[335] und in der kleinen winzigen Stadt und am Hofe selbst ging die Rede: ich habe im Zimmer der Fürstin ein Kind bekommen. Einige wollten sogar den derben Knaben schreien gehört haben. – Die diensthabende Kammerfrau affektirte ein geheimnißvolles Wesen darüber, und bestätigte dadurch die Sage.
Ich brachte seit langer Zeit die erste, recht ruhige und vergnügte Nacht zu. Am frühen Morgen kam der Leibarzt, und bot mir zur Abreise die Gesellschaft seiner Frau an, die ins Bad reisete. Ich bedachte mich nicht lange, packte mit frohem Sinne meine Effekten zusammen, und fuhr ab, ohne die Fürstin noch einmal zu sehn. Ihretwegen hatte ich darum angehalten, aber ihre Weigerung war mit sehr angenehm; denn ich würde mich ihr nicht ohne Schaudern und Abscheu genähert haben. Wie so ganz[336] anders verließ ich den Engel Eudoxia! nie, nie wird das Bild dieser Tugend aus meinem dankbaren Herzen weichen!
Von dem Örtchen, welches ich vorzugsweise vor der Hand zu meinem Aufenthalt wählte, erinnerte ich mich, in meiner Kindheit viel Gutes gehört zu haben. Die Vorsehung selbst hat mich in diese Gegend geführt, wo ich meine edle Verwandtin, und den über alles, alles theuren Vater so unverhofft angetroffen habe! Will er, der allerbeste und treuste, mich neben sich leben lassen, so soll jeder Augenblick meines Lebens seiner Pflege und Erheiterung geweihet seyn! Vielleicht duldet er mich! Die Großmuth der tugendhaften Russin setzt mich in die glückliche Lage, niemanden mit meiner Versorgung beschwerlich fallen zu dürfen. Wenn meine redliche Verwandte es vergessen können, daß mein Leichtsinn jede[337] Freude des Lebens ihnen raubte, daß ich strafbar wurde, um mir ein Glück auf seichtem Grunde zu bauen, daß jeder Schein wider mich war, daß ich einer strafbaren Neigung nachhing, und der beßren Frau den Mann raubte; daß ich einem fremden Manne in ferne Gegenden auf seinen leisesten Wink folgte; daß ich, am Rande des Abgrunds, dem eitlen Gedanken, er könne mich zu seiner Gemahlin erheben, nachgab; wenn dies alles vergessen werden kann; ich meine, wenn Andre dies vergessen könnten, so giebt es noch ein Glück für mich, in so fern das marternde Bewußtseyn der Fehlenden sie es genießen läßt.
Während ich dieses Heft übergeben habe, während es gelesen wird, wird mein Herz in Ungewißheit verzagen. Aber meine edle Minna wird mich vertreten; sie wird die[338] Urtheile mildern, wo sie hart über mich ergehen. Aber o mein Herz, sey still! Hast Du nicht am Herzen der verzeihenden Karoline, am Herzen des versöhnten Vaters geschlagen? Sey still, demüthig, und hoffe! –«
Grünthal an Eiche.
»Und nun, mein lieber Freund, wenn ich je in Ihrem Herzen zu lesen wünschte, so wäre es jetzt! Unwille, oder Mitleid? freilich, freilich; – – die Szene in Petersburg, mit dem Demetrius – sie ist ganz stark; aber doch, mir hat die Haut geschauert, ehe sie fiel, und sich den Kopf zerschlug. – Ich dachte wahrhaftig, sie würde ganz anders fallen. Es war ein glücklicher Fall, der sie wieder zu sich brachte. Eiche! Ich rede in der Freude meines Herzens! Wenn Sie könnten:[339] wenn Sie nichts verschworen hätten! Aber nein, nein! es geht nicht, es geht freilich nicht, Sie haben Recht; wären Sie nicht in einem Amte, wo Sie so hell und rein strahlen müssen, so ging's noch eher. Lesen Sie dies lieber nicht; ich will Sie nicht beleidigt haben. Antworten Sie mir auch darauf nicht. Ich könnt' es nicht ertragen. Die Freude hat mich toll und laut gemacht; aber wir sind alle nicht um ein Haar anders; der Oberst wie wir Verwandte, die fremde Frau da, die Minna, wie der Oberst. Hören Sie, ich bin so jung geworden, als wär' ich mein Sohn. Aber Sie sollten sie auch sehen, und hören. – Das muß man der Welt lassen, sie versteht ihre Leute zu dressiren – was wir gemein gegen sie aussehen! Und wie das Gesichtchen so ein edles Gepräge bekommen hat. Doch Sie werden sie schon[340] einmal sehen; ob ich gleich nicht glaube, daß sie Ihnen ins Gesicht wird blicken können; denn ehe man sichs versieht, weint sie, und klagt sich an. Ich glaube, wenn der Hagel meine Kornfelder zerschlagen hätte, würde sie sich dessen anklagen.
Bei dem Allen sind wir noch unentschlossen, wie wir leben wollen. Der Neffe und die Nichte wollen uns nicht lassen, und auch mir ists, als müßt ich hier bleiben, wo sie mir wiedergegeben ist. Da hat ihr der Neffe ein Haus und Garten geschenkt. Er sagt, sie sey im Grunde doch die unmittelbare Ursach, daß er seine Lina habe. – Nicht weit von uns wohnt die Frau Minna, die einen ganz gescheuten Mann haben soll. Mein Sohn, der Amtmann, ist auch nur ein vier Meilen von hier; nur dem armen Fritz, dem Tischler, kann ich nicht zumuthen, daß er Särge[341] für Bauern mache. Wer hätte gedacht, daß der Himmel mir einst so noch wieder lachen würde! Aber Sie haben mir wohl mit Recht immer gesagt: ›Wer Gott vertraut, hat wohl gebaut.‹
Die jungen Leute rufen nach dem Alten; ich verlasse Sie, weil mir so wohl ist, daß ich mich ausjauchzen muß! Gott grüße und bewahre Sie.
Ihr
Grünthal.«
Eiche an Grünthal.
»Gott Lob, daß Ihnen wohl ist, mein Freund! Ihre Freude verbreitet einen heitern Schein über meine Tage; wie Ihr Kummer auch die meinigen trübte! Ich werde Sie so bald noch nicht sehen, weil mein Kollege verreiset ist; aber sobald er zurückkehrt, komme ich zu Ihnen, um mich[342] ein Paar Tage mit Ihnen zu freuen. Doch muß ich zuvor wissen, ob meine Gegenwart auch niemanden unangenehm seyn könnte. In diesem Fall würde ich mir auch dieses schönste aller Vergnügen versagen, noch einmal mit meinem alten Freunde einige frohe Tage auf dem Lande zu verbringen; denn in Zukunft, mein Freund, werden neue Verpflichtungen mich an meinem Wohnort festhalten. Die Tochter meines Kollegen willigt ein, mein kleines Loos mit mir zu theilen. Ein gutes mildes Herz, und ein sehr gebildeter Verstand, der ihr einen zuverlässigen Karakter gab, lassen mich auf eine heitre Zukunft rechnen. Sie gönnen es mir von Herzen, mein Lieber, das weiß ich. –
Gestern hatte ich einen Vorfall, der mich sehr sonderbar bewegt hat. Mein Aufwärter meldete eine Frau mit einem[343] Kinde bei mir an, welche sich wegen Armengelder meldete. Ich ließ sie vor: mit einer Art von alter Vertraulichkeit drängte sie sich zu mir; ihr schlechter Anzug hätte sie mir unkenntlich gemacht, wenn nicht der alte Schwall von Worten mit die Madam Brennfeld verrathen hätte. Sie schalt sehr bitter die Intoleranz der Menschen, welche sie ausgestoßen hatten, nach dem Beweiß, den sie von ihrer eigenen toleranten Denkart gegeben hatte. Sie habe den Vater ihres Kindes heirathen wollen, aber da sie standhaft darauf bestanden, er müsse ein Jude bleiben, habe kein Geistlicher sie trauen wollen. Nun sey ihre Kostschule auseinander gegangen. Ihr Liebhaber habe sich mit einer jungen reichen Person seiner Nation verheirathet, und ihr Vetter, der Kandidat, sey in einer entfernten Provinz versorgt, habe die Philosophie[344] aufgegeben, und sey nun von ganzem Herzen bigotter Priester. Ihre Lage sey traurig: aber sie rechne auf Unterstützung, weil ihre Verdienste um den Staat, in Bildung einer künftigen Generation, auffallend genug wären. Man könne sie nicht abweisen, wenn sie Pension fordre; indeß wolle sie sich mit dem dürftigen Antheil, den ich ihr reichen könne, begnügen Ich hatte nichts zu vertheilen, und gab ihr aus meinen Mitteln; sie nahm es mit ihrem bekannten Übermuthe an; und that, als ob sie Wohlthat erwiese, indem sie Wohlthat empfing. – Ich hoffe nicht, daß ich diese unangenehme Erinnerung öfter sehen werde: sie ist mir ein Vorwurf meiner unbesonnenen Leichtgläubigkeit. –
Etwas Angenehmeres hoffe ich Ihnen in diesem dicken Pack von Ihrem guten Sohne Fritz zu überschicken; fällt Ihre[345] Antwort günstig, das ist bejahend, aus; so ist er nächstens bei Ihnen, und holt Sie alle zur Hochzeit ab. Wie auch alles gehe, so rechnen Sie immer auf einen Freund, der in frohen und trüben Tagen ganz Ihr eigner war und bleiben wird.
Eiche.«
Fritz Grünthal an seinen Vater.
Liebster Vater!
»Mein letzter Brief aus Neuwied benachrichtigte Sie, daß ich nächstens meine Rückreise aus Neuwied nach Berlin antreten würde. Der Abschied von einem Orte, und von Personen, bei welchen mir so mannichfaches Gute wiederfahren ist, war nicht leicht Auf meiner Heimreise wiederfuhr mir etwas Seltsames, lieber Vater. Nach einem heißen Tage zog ein Gewitter auf, und ich übernachtete auf einem Edelhofe,[346] wo ich eine Dame traf, die meiner verlornen Schwester so ähnlich sah, so ähnlich! daß ich wetten wollte, sie sey es selbst gewesen; nur, daß sie mir größer, schöner und stärker vorkam, und ihre Stimme voller und wohllautender war. Die Dame erschrak, als sie mich sah und sprechen hörte, und schaffte mich fort; so daß eine Freundin mich für die Nacht aufnahm. Ich hatte nicht das Herz, mich näher zu erkundigen; denn, war es Julchen, so schien es, als ob sie sich meiner schämte; und dann würde ich mich ihrer ebenfalls schämen. Aber, lieber Vater, das thun Sie denn doch, und erkundigen sich in der Gegend, wer die Person ist, welche diese auffallende Ähnlichkeit an sich trägt? Es ist der Mühe werth, sie zu sehen.
Hier in Berlin bin ich wieder in meine alte[347] Werkstatt gegangen. Der gute Meister ist vor einem Jahre gestorben, und ich bin bei seiner Wittwe in Arbeit. Das ist eine herzensgute liebe Frau, wie Sie gleich hören werden. Der Erziehung und des Beispiels eingedenk, welches Beides ich von meinem ehrenwerthen Vater im Herzen trage, bin ich immer still und ordentlich gewesen, habe mich guter Arbeit beflissen, und bin Sonntags, wenn ich Zeit hatte, indes die Andern schwärmten, zu unsern Herrn Eiche gegangen; der mir dann dieses oder jenes gute Buch mitgab, woraus ich Abends, beim Feierabend, dem Meister und seiner Frau vorlas. Sie sahens gern, weil ich nichts damit versäumte, und die Andern oft damit vom Saus und Trunk abhielt. Da zeichneten mich die guten Menschen aus, und hielten mich wie ihr Kind; und ich habe oft Gott gedankt, daß[348] mein Entschluß, mich diesem Gewerbe zu widmen, unter so biedre Menschen mich versetzt hat, wenn gleich ihr Gepräge ein wenig scharf und eckig ist: so weiß man dagegen auch, was man an ihnen hat.
Wie ich nun zurückkam, fand ich die Meisterin als Wittwe wieder. Sie nahm mich freundlich bei sich auf, und übergab mir, gegen erhöhten Lohn, die Besorgung ihrer Geschäfte. Ich habe sie mit Fleiß und Treue betrieben; und es schien ein Seegen auf allem, was ich unternahm, zu ruhen. Vor einigen Tagen – es war eben ein Sonntag – ließ die Frau Hermannin mich zu sich rufen, und hieß mich neben sich setzen. Ich habs sonst nie gethan, denn ich respektire sie wie eine Mutter; sie redete mich so an. Mein lieber Monsieur Grünthal, Sie werden sich nicht wenig über das wundern, was ich Ihnen[349] zu veroffenbaren habe. – Ich vermerke, daß ich verfalle. – Ich bin nun ein und sechszig Jahr alt; und der liebe Gott kann bald ein Ende mit mir machen; obschon ich mich, dem Himmel sey Dank, noch ganz gut befinde. Mein Mann seeliger, hat mir ein großes Vermögen hinterlassen, welches er durch seinen Fleiß erworben hat. Nun säh' ich gern, – und wenn ers wissen könnte, würde er es auch gern sehen, – wenn das schwere Geld wieder an einen fleißigen Mann käme. Ich habe zwar Verwandte, das ist aber alles reiches und üppiges Volk; Leute vom Handwerksstande, die alle Tage dazu schaffen. Und wieder die andern – der Herr Vetter Hofrath da, ja, lieber Gott! für den waren wir immer viel zu schlecht; über seine Schwelle durfte mein Mann seeliger nicht kommen. So wollt ich Ihnen vorschlagen,[350] Monsieur Grünthal, ob Sie mich ehelichen wollen? damit Ihnen ohne Einrede mein Vermögen zu Theil werden könnte. Verstehen Sie mich nicht unrecht, und halten mich nicht für eine alte verliebte Schwester; über solche Schwachheit ist man, in meinen Jahren, hinweg. Sie sollen mein Sohn, und ich Ihre Mutter seyn; nur bloß daß der Priester den Seegen über uns spricht. Sie können hier im Hause wohnen, wo Sie wollen, und ich bleibe in meiner Verfassung. Nur das müssen Sie mir versprechen, daß Sie meine alten Tage nicht zum Besten haben wollen, und sich vor der Welt so stellen, als ob wir wie Mann und Frau lebten. Ich werde Ihnen auch nicht im Wege stehen, wenn Sie in Zucht und Ehren nach einem jungen Mädchen sehen, auch nicht drum zanken, wie die alten Frauen wohl zu thun[351] pflegen. Nein; Sie sollen sehen, wie es bei mir gemeint ist. Sobald wir getraut sind, mach' ich mein Testament; und Sie können mit dem lieben Gut schalten und walten, wie's Ihnen gefällt. Denn da Sie so überaus feine und künstliche Werke schaffen können, wird's was großes mit Ihnen werden, wenn Sie Auslage machen, und Ihr Werk im Großen treiben können. Nun, lieber Monsieur Grünthal, habe ich Ihnen weiter nichts zu sagen; antworten Sie mir nicht gleich; sondern nehmen Sie die Sache in Überlegung, und fragen Sie die Ihrigen, und Ihren würdigen Beichtvater um Rath. Hiermit Gott befohlen auf heute!
Meine Bestürzung war groß, lieber Vater, aber auch meine Dankbarkeit. Ich kann mein Leben darauf lassen, daß die respektable Frau es so meint, wie sie es[352] sagt. So lange ich sie kenne, ist ihr Wandel still und ehrbar, fromm und wohlthätig: ich habe ihren rechtschaffnen Gang oft im Stillen bemerkt, und mich gefreut, daß noch so viel Tugend in dieser übel berufnen Stadt ist. Überhaupt möcht' ich sagen, daß, so weit ich Gelegenheit gehabt habe, Bemerkungen zu machen, in dieser Klasse des Bürgerstandes, noch viel ächte Rechtschaffenheit, und viel, oft recht erhabne Tugend, ist; freilich ist ihr Gepräge altmodisch und schwerfällig, aber sie hat eine Zuverlässigkeit, von der die feinre Welt schon gar keine Ahnung mehr hat.
Ich bitte mir also Ihren Willen aus, mein lieber Vater, nach welchem ich unbedingt handeln werde. Herr Eiche hat mir im Voraus seinen Seegen gegeben, hat sich aber, wie er mir sagt, enthalten, Ihnen umständlich darüber zu schreiben, weil[353] er Ihre gute Meinung nicht bestechen wollte. Eine schöne Aussicht gewährt es mir, wenn ich durch ein so gutes Vermögen, welches ich durch Arbeitsamkeit noch vermehren würde, im Stande wäre, meinem über alles geliebten Vater ein ruhiges sorgenloses Alter zu verschaffen, und wenn es der Himmel gäbe, daß meine arme Schwester sich wieder fände, auch dieser ein anständiges bequemes Leben zu bereiten!
Mißbilligt aber mein bester Vater den ganzen Entwurf, so bin ich gewiß, daß er die verneinende Antwort so einkleiden wird, daß ich sie der gradsinnigen Frau mittheilen kann. Es würde ihr wackres Herz tief verwunden, wenn sie glaubte, ihr Vorschlag habe irgend eine lächerliche Seite. – Nehmen Sie mirs nicht ungütig, lieber Vater, daß ich so zutraulich und ganz schlicht weg schreibe; unser einer geht grade[354] durch; und derbe Arbeit gibt derben Sinn. Ich verehre und liebe Sie von ganzem Herzen, und bin Ihr gehorsamer Sohn.
Friedrich Grünthal.«
Grünthal an seinen Fritz.
»Da! da! Hier! nimm meinen Seegen, und herzliche Einwilligung; was denkst Du, Junge? Ich sollte eine lächerliche Seite an dem Benehmen der würdigen Frau auffinden? die meinem lieben Fritz so wohl will? Nein, mein gutes Kind! ich habe noch Glauben an Menschentugend, und ehre, wie Du weißt, die erwerbende und producirende Klasse von ganzem Herzen. Bringe Deiner neuen guten Mutter mein herzliches Ja! und Liebe und Dank daneben. – So giebt's denn aller Orten für mich Fried' und Freude, nach so mancher kummervollen Stunde. Komm zu[355] uns; da sollst Du die Dame sehen, die Julchen so ähnlich ist; als ob sie's selbst wäre, Komm und sieh! – Dann ziehen wir mit Dir, und jubiliren, feiern die Hochzeit, und ich tanze mit Deiner Braut den Ehrentanz. – Hiemit gehab Dich wohl.
Dein guter Vater.
Grünthal.
Fritz ließ sich die Einladung nicht zweimal sagen, er schnürte seinen Reisebündel, und kam auf des Obersten Gute an. Der überraschende Anblick der Schwester machte einen seltsamen Eindruck auf den gutmüthigen Menschen. Erst wagte er sich nicht an sie heran. weil sie ihm zu vornehm vorkam; aber Julchen stürzte ihm um den Hals, Schwester und Bruder blieben sich nicht länger fremd, und wurden, wie in den ersten goldnen Tagen der Kindheit, wieder ein Herz und eine Seele. Grünthal blieb[356] in einem ununterbrochenem lauten Jubel; und wünschte immer ums dritte Wort, daß sein Lieschen das noch erlebt haben möchte. Die Familie war nun, bis auf den jungen Amtmann Grünthal, beieinander, und Minna und ihr Mann, der von seiner Geschäftsreise zurückkam, wurden als werthe Mitglieder derselben angesehen.
Noch vor der Erndte reisten sie alle nach Berlin, Fritzens Hochzeit beizuwohnen. Eiche war mit seiner würdigen jungen Frau dabei, und verrichtete die Trauung. Daß er verheirathet war, milderte Julchens Verlegenheit in seiner Gegenwart. Der Oberst ließ sich's nicht nehmen, mit seinen alten steifen Reiterbeinen die Braut-Menuet zu tanzen: der alte Grünthal aber hielt's mit dem Kehraus, und sang dabei nach alter Sitte, wie er's sich vorgesetzt hatte:
Als der Großvater die Großmutter nahm,
Da ward der Großvater ein Bräutigam![357]
Als die Freudentage der Hochzeit vorüber waren, reiste die ganze Familie, das neuverheirathete Paar nicht ausgeschlossen, nach dem Gute des Obersten zurück, wo der alte Herr sich so nach seiner eignen Weise eine Freude ersonnen hatte. Er hatte eine der geseegnetsten Erndten gehabt, und davon wollte er das Fest recht feierlich begehen. Seine Lina und sein alter Georg standen ihm bei der Veranstaltung treulich bei. Grünthal war wie im Himmel, daß er wieder im Kreis der Seinigen ein solches Fest begehen sollte!
Der schöne Tag brach an; ein heitrer wolkenfreier Himmel, und allenthalben heitre wolkenfreie Stirnen! Das Alter war zur Freude gestimmt, wie die Jugend. Grünthal sang von früh an, was er von Sommer- und Erndteliedern wußte: und ihm war's recht im Herzen wohl. Als die[358] Feierlichkeit beginnen sollte, führten der Oberst und Lina den alten Grünthal und seines Sohnes Frau auf eine Anhöhe, nicht weit vom Edelhofe. Von ferne tönte eine gute ländliche Musik. Grünthal schöpfte kaum Athem, um keinen der ihm so theuren Laute zu verlieren; sein Blick war erwartend nach der Gegend hin gerichtet, von wo sie kommen sollten. Der schöne ländliche Aufzug erschien; und – o der Wonne! – Julchen als Erndtekönigin, wie ehemals, in weißem Kleide mit hellgrünen Bändern, geschmückt mit Blumen, wie der ländliche Garten sie gab; sie ging zwischen ihren Brüdern wie ehemals, und trug den Kranz. Der Zug nahete sich dem Hügel; er umschloß die Alten, indem der herzerhebende Kirchengesang: Nun danket alle Gott! angestimmt wurde. Grünthals Herz erlag der Allgewalt dieser Gefühle und Erinnerungen! Er[359] brach in lautes Weinen aus; streckte die Arme, wie zu einer Umarmung, empor, und rief schluchzend: o, mein gutes Lieschen! Sieh herab, hier sind sie alle. Gott! Gott! Heiligster, Gütigster, ich danke Dir! – Seine drei Kinder flogen an sein Herz; alle Umstehenden nahmen Theil, und kein Auge blieb trocken!
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