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[381] Aufgetan wurde indes der Palast des Olympus, wo Allmacht
waltet. Zur Ratssitzung lud der Vater der Götter und Menschen
hoch zu dem Sternenthron, wo er die Welt überschaut und zur Stunde
auch das dardanische Lager erblickte und Latiums Völker.
Nunmehr begann er im beiderseits offenen Saale zu sprechen:
»Warum, ihr mächtigen Himmelsbewohner, wurdet ihr wieder
anderen Sinnes und streitet euch derart erbittert? Ich wünschte,
daß ihr am Kriege Italiens gegen die Troer nicht teilnehmt!
Warum jetzt Zwietracht entgegen der Weisung? Welche Befürchtung
riet euch, Partei zu ergreifen und blutige Kämpfe zu schüren?
Kämpfen schon wird man zur richtigen Zeit – ihr bleibt aus dem Spiele!
Wenn einst Karthago den römischen Burgen in wütendem Grolle
tödliches Unheil bringt und über die Alpen sie angreift,
gilt es, zu streiten voll Haß und in glühendem Eifer zu kämpfen.
Heute beruhigt euch, schließt zu eurer Freude das Bündnis!«
Jupiters knapper Erklärung entgegnete wortreich die goldne Venus:
»Vater, in Ewigkeit Herrscher der Welt und des Menschengeschlechtes –
keine Gewalt sonst gäbe es, die wir noch anflehen könnten! –,
siehst du die Rutuler höhnisch sich tummeln und Turnus inmitten
seiner Gefährten auf stolzem Gespann voranpreschen, voller
Übermut durch den Erfolg? Kein Festungsbau schützt mehr die Teukrer,
sondern im Innern des Lagers sogar und zwischen den Schanzen
toben die Kämpfe, die Gräben triefen vom Blute. Aeneas
weilt in der Ferne, er ahnt nichts. Gönnst du den Troern denn niemals
Ruhe vor harter Belagerung? Wieder bedrohen schon Feinde
Mauern des künftigen Troja, ein Heer umringt sie schon wieder.
Wiederum rückt, vom ätolischen Arpi, der Held Diomedes[381]
gegen die Teukrer. Vielleicht verwundet er mich noch zum zweiten
Male, ich soll wohl, dein Kind, die Waffen von Menschen verspüren!
Zogen die Troer ohne dein Wohlwollen, gegen dein Streben
bis nach Italien, sollen sie büßen dafür, du verweigre
ihnen die Hilfe. Doch folgten sie derart vielen Orakeln
seitens der Götter und Manen – weswegen dürfte dann einer
deine Befehle jetzt umstoßen, neue Geschicke verhängen?
Soll ich die Schiffe erwähnen, die damals am Strande des Eryx
brannten? Den König der Winde, die aus Äolien gescheuchten
rasenden Stürme? Die hoch aus den Wolken entbotene Iris?
Setzt sie doch jetzt schon die Unterwelt ein – die blieb ihr als letzter
Helfer im Weltall noch übrig –, hetzte Allekto zur Erde
aufwärts und ließ sie rasend die Städte Italiens durchfliegen.
Nicht mehr von Weltherrschaft rede ich, hoffte darauf nur, solange
Glück uns noch lächelte. Siege verteile nach deinem Ermessen!
Gibt es kein Land, das deine gefühllose Gattin den Teukrern
gönnt, so beschwöre ich dich bei den rauchenden Trümmern von Troja,
Vater: Lasse Ascanius wohlbehalten den schweren
Krieg überstehen, lasse doch meinen Enkel am Leben!
Mag auch Aeneas auf fremden Meeren umhertreiben, Bahnen
folgen, die immer Fortuna ihm vorschreibt: Erlaube mir, meinen
Enkel zu schützen und ihn dem furchtbaren Krieg zu entziehen!
Mir gehören Amathus, das stolze Paphos, die hohe
Insel Kythera, Idalion auch. Hier möge mein Enkel
waffenlos, ruhmlos sein Leben verbringen. Lasse Karthago
über Ausonien gewaltsam herrschen, es droht ja von dorther
tyrischen Städten kein Widerstand. Wozu entrannen die Teukrer
feindlichen Schwertern, entgingen dem Brand, den die Griechen gestiftet,
mußten zu Wasser, zu Lande auch weithin so viele Gefahren
ausstehen auf der Suche nach Latium, einem ganz neuen
Pergamon? Sollten sie lieber nicht über der Asche der Heimat
siedeln, im alten Troja? Gib doch Simoeis und Xanthos,[382]
bitte, den Elenden wieder und laß sie den Untergang Trojas
nochmals erleben, Vater!«
Da rief die Herrscherin Juno,
rasend vor Wut: »Du zwingst mich, mein tiefes Schweigen zu brechen,
kaum erst vernarbte Wunden aufs neue bluten zu lassen!
Nötigte wirklich ein Sterblicher oder ein Gott den Aeneas,
Kriege zu führen und feindlich zu handeln an König Latinus?
›Doch nach Italien zog er auf Weisung des Schicksals‹ – natürlich,
fügsam dem Wahnsinnsgeschwätz der Kassandra! Veranlaßte etwa
ich ihn, sich ferne dem Lager den Sturmwinden anzuvertrauen?
Einen Knaben zum Feldherrn zu machen, zum Führer der Festung?
Dann die Tyrrhener zum Bündnis zu locken, den Frieden zu stören?
Jagte ein Gott ihn, gar ich, mit harter Gewalt in den Irrtum?
Was unternahmen denn Juno, was Iris, die Botin des Himmels?
Ohne Berechtigung kreisten Italer das künftige Troja
ein mit den Flammen, beträte Turnus den heimischen Boden,
er, des Pilumnus Enkel, der Göttin Venilia Sprößling;
doch die Trojaner sollen mit düsteren Fackeln Latiner
ausräuchern, fremdes Land unterwerfen und ausplündern dürfen?
Schwäger sich aussuchen, Mädchen, verlobte!, dem Manne entführen?
Heuchlerisch Frieden erflehen, doch Schiffe mit Waffen bestücken?
Du kannst deinen Aeneas den Händen der Griechen entreißen,
kannst den Bedrohten durch Nebel und leere Lüfte ersetzen,
Schiffe sogar, genau nach der Anzahl, in Nymphen verwandeln:
Helfe ich aber den Rutulern etwas, dann heißt das Verbrechen!
›Ferne Aeneas, nichtsahnend‹ – sei er nichtsahnend doch ferne!
Paphos besitzt du, Idalion und das hohe Kythera:
Laß dann doch kampfstarke Städte und trotzige Helden in Ruhe!
Suchte ich etwa die wankende Macht des Phrygers zu stürzen?
Ich? Nicht jener vielmehr, der die elenden Troer den Griechen
treulos verriet? Weswegen erhoben Europa und Asien
sich mit bewaffneter Faust und brach ein Schurke das Gastrecht?[383]
Führte ich etwa den Troer nach Sparta, die Ehe zu schänden,
lieferte Waffen und schürte den Kampf durch Einsatz Cupidos?
Hättest du dich doch damals gesorgt um die Deinen – zu Unrecht
führst du jetzt Klage, nichts richtest du aus mit deinem Gezeter!«
Derart verteidigte Juno ihr Handeln. Die Himmlischen alle
äußerten teilweise Beifall, teils Ablehnung, so wie ein Windhauch
anfangs in Bäumen sich fängt und zu rauschen beginnt, dann zu dumpfem
Grollen sich steigert, für Seeleute Anzeichen nahenden Sturmes.
Doch der allmächtige Vater, der höchste Beherrscher des Weltalls,
gab die Entscheidung bekannt – da versanken in Schweigen der hohe
Götterpalast, die erschütterte Erde, hoch droben der Äther,
legte der Zephyr sich, brachte das Meer die Wogen zur Ruhe:
»Nehmt jetzt zur Kenntnis mein Wort und prägt es euch tief ins Gedächtnis!
Da sich Ausonier und Teukrer noch nicht in friedlichem Bündnis
einigen dürfen und euer erbittertes Streiten nicht aufhört,
handle heut jeder nach seinem Schicksal und seiner Erwartung,
Troer wie Rutuler, keinerlei Unterschied lasse ich gelten,
ist nun die Festung bedrängt, weil das Schicksal Italien begünstigt,
oder weil Troja zum Unglück sich irrt und Orakel mißdeutet.
Auch für die Rutuler gilt das. Schaffe ein jeder sich Kummer
oder Erfolg auch. Jupiter herrscht gleichmäßig für alle.
Bahne das Schicksal die Wege!« Beim Strome des stygischen Bruders,
der mit pechschwarzen Wirbeln zwischen den Ufern dahinbraust,
leistete nickend den Schwur er und ließ den Olympus erzittern.
Damit schloß die Beratung. Der Vater erhob sich vom goldnen
Thron, ihn umringten die Götter und gaben Geleit ihm zum Ausgang.
Weiterhin blieben die Rutuler rings um die Tore im Angriff,
töteten Troer, umgaben die Wälle mit lodernden Flammen;
hinter den Schanzen sah sich die Schar des Aeneas umschlossen,
hoffte nicht mehr auf Entrinnen. Die Armen standen auf hohen[384]
Türmen, in dünnem Verteidigungsring auf den Wällen, doch ohne
Aussicht auf Sieg: Der Sprößling des Imbrasos, Asios; Thymoites,
Sohn Hiketaons; die beiden Assarakos; Thymbris, der Alte,
Kastor daneben, in vorderster Front; die Brüder Sarpedons,
Klaros, Thaemon, Bundesgenossen aus Lykiens Bergen.
Einen gewaltigen Felsblock, ein mächtiges Stück vom Gebirge,
schleppte aus Leibeskräften Akmon herbei aus Lyrnessos,
stark wie sein Vater Klytios und sein Bruder Menestheus.
Wurfspieße hier, dort Steine dienten den Männern zur Abwehr,
Brandsätze wurden geschleudert, man schnellte von Sehnen die Pfeile.
Mitten im Kreise der Seinen, mit Recht ein Liebling der Venus,
glänzte der Dardanerjüngling, entblößt das anmutig- edle
Haupt, wie ein Edelstein prachtvoll aus rötlicher Goldfassung funkelt,
Schmuck für den Nacken, den Kopf; wie Elfenbein leuchtet, von Buchsbaum
oder orikischem Holz der Pistazie kunstreich umschlossen.
Über den milchig schimmernden Nacken wallten die Haare,
wurden gehalten von einem Stirnreif aus biegsamem Golde.
Dich auch, Held Ismaros, sahen die mutigen Kämpfer mit Pfeilen
Gegner verwunden, Geschosse benetzen mit Gift auch, dich Sprößling
edlen Geschlechts aus Mäonien, wo man die fruchtbaren Fluren
eifrig bebaut, der Paktolos sie noch mit Gold überflutet.
Mnestheus auch kämpfte, der gestern den Turnus aus der Umwallung
drängte und deshalb in herrlichem Ruhmesglanz strahlte, und Kapys,
er, dem die Hauptstadt Kampaniens ihren Namen entlehnte.
Während die Teukrer und Rutuler gnadenlos gegeneinander
fochten, durchfurchte Aeneas um Mitternacht eilig die Wogen.
Hatte er doch, von Euander gelangt ins etruskische Lager,
dort sich dem Fürsten vorgestellt gleich mit Namen und Abkunft,
nannte sein Anliegen dann und die eigenen Mittel, im Anschluß[385]
auch des Mezentius Bundesgenossen, endlich des Turnus
Ungestüm; warnte vor mangelnder Sicherheit menschlichen Strebens,
bat um Verständnis für sich auch. So stimmte denn, ohne zu zögern,
Tarchon dem Kampfbündnis zu, dem Zusammenschluß sämtlicher Kräfte.
Frei von dem Schicksalszwang, folgsam den Göttern, so gingen die Lyder
unter dem fremden Feldherrn an Bord. Das Schiff des Aeneas
fuhr an der Spitze, am Bug zwei phrygische Löwen; darüber
ragte der Ida: die Wappen, die innigste Freude der Teukrer.
Hier saß sinnend Aeneas und grübelte über den offnen
Ausgang des Krieges. Pallas, zur Linken ihm, fragte ihn über
Sternbilder, über die Orientierung im nächtlichen Dunkel,
wollte auch wissen, was er zu Land und zu Wasser erlebte.
Öffnet, ihr Musen, den Helikon jetzt und preist im Gesange,
was für ein Heer dem Aeneas sich anschloß vom tuskischen Strande,
wimmelnd die Schiffe bemannte und mit ihm den Wogenschwall kreuzte!
Massicus fuhr als erster, an Bord des ehernen Tigers.
Ihm unterstanden tausend Gefolgsleute, Männer der Festung
Clusium und aus Cosae; sie trugen als Waffen geschultert
Pfeile und leichte Köcher, daneben die tödlichen Bogen.
Abas, der grimmige, folgte mit trefflich bewaffneter Heerschar,
prächtig erglänzte am Heck ein vergoldetes Bildnis Apollos.
Sechshundert kriegserfahrene Männer verdankte er seiner
Mutterstadt Populonia; dreihundert sandte die Insel
Ilva, berühmt durch des Chalyberstahls unerschöpfliche Lager.
Anschließend fuhr der Erklärer göttlicher Sprüche, Asilas,
der in der Tierleber las, in den Sternen des Himmelsgewölbes
wie in den Stimmen der Vögel, dem Glanz auch prophetischer Blitze.
Tausend Mann führte er, lanzenstarrend in dichter Kolonne;[386]
seinem Kommando vertraute sie Pisae, alpheischer Herkunft,
doch auf etruskischem Boden. Ihm folgte der stattliche Astur,
tüchtig zu Pferde, gerüstet mit vielfarbig leuchtenden Waffen;
dreihundert Mitkämpfer, einig in treuer Gefolgschaft, entsandten
Caere mit ihm, die Stadt am Minioufer, das alte
Pyrgi und das am Sumpf ungünstig gelegne Graviscae.
Nicht übergehe ich dich, du tapferster Lígurerfeldherr,
Cinyrus, dich auch, Cupavo, den nur ein Häuflein begleitet.
Über dein Haupt erhebt sich ein Helmbusch aus Federn des Schwanes,
Anklage einer Liebe, ein Sinnbild vom Schicksal des Vaters.
Denn als Cycnus den Tod des geliebten Phaëthon beweinte
und in dem Laubschatten der in Pappeln verwandelten Schwestern
traurig sein Klagelied sang, im Schmerz um den Freund sich zu trösten,
stieg er, rasch alternd, als Schwan in weichem, weißgrauem Gefieder,
singend vom Erdboden auf zu den Sternen; so lautet die Sage.
Aber sein Sohn, an Bord als Hauptmann von Altersgenossen,
ruderte vorwärts den Riesenzentauren; der Unhold, als Wappen
aufragend, drohte einen Felsblock ins Wasser zu schleudern,
furchte mit seinem mächtigen Kiel die Wogen des Meeres.
Ocnus auch hatte ein Heer aus heimischen Fluren entboten,
Sohn der Prophetin Manto sowie des etruskischen Stromes.
Mauern verschaffte er, Mantua, dir, auch den Namen der Mutter.
Zahlreiche Ahnen besitzt du, nicht ein Stamm nährte sie freilich,
vielmehr drei, und jeder gabelte sich in vier Völker.
Alle vereinst du in dir, doch dein Kern besteht aus Etruskern.
Fünfhundert Kämpfer führte der Haß auf Mezentius dorther.
Mincius, Sproß des Benacus, umkränzt von blaugrünem Schilfrohr,
trug sie auf kampfbereit-kraftvollen Planken dem Meere entgegen.
Wuchtig auch peitschte Aulestes zu höherem Schwunge mit hundert
Rudern die Flut, hoch schäumte die aufgewirbelte Fläche.
Triton, der Riese, trug ihn und schreckte die graublauen Fluten[387]
weit mit dem Dröhnen der Muschel; er sah wie ein Mensch aus beim Schwimmen,
vorn bis zur Hüfte zottig behaart, doch bauchwärts ein Walfisch.
Unter der Brust des Halbtiers rauschten gischtsprühend die Wellen.
Soviel erwählte Feldherren kamen den Troern zu Hilfe,
furchten mit dreißig ehern beschlagenen Schiffen die Salzflut.
Lange schon war die Sonne vom Himmel gewichen, es rollte
segensreich Phöbe auf nächtlichem Wagen hoch über die Wölbung.
Aber Aeneas, dem quälende Sorge kein Ruhen vergönnte,
lenkte als Steuermann selber das Schiff mit Ruder und Segel.
Siehe, da zog ihm beim Fahren ein Reigen von Nymphen entgegen,
seine getreuen Schiffe, die vormals gnädig Kybeles
Weisung verwandelt hatte in Meeresgöttinnen: Nunmehr
schwammen sie alle zusammen heran durch die Wogen, genauso
viele, wie einstmals mit ehernem Bug am Küstenstreif lagen.
Ferner erkannten den Fürsten sie schon und umkreisten ihn tanzend.
Kymodokeia – sie konnte am besten reden von allen –
schwamm an das Hinterschiff, hielt sich daran mit der Rechten und tauchte
halb aus dem Wasser, das sie mit der Linken lässig bewegte,
redete den Überraschten jetzt an: »Du wachst noch, Aeneas,
Göttersproß? Wache nur weiter, lockre die Taue der Segel!
Wir, die wir Fichten einst waren vom heiligen Gipfel des Ida,
deine Flotte, wir sind heut Nymphen der See. Der Verräter
Turnus gedachte uns jäh zu vernichten durch Eisen und Flammen,
aber wir sprengten, der Not gehorchend, dein haltendes Tauwerk,
suchen dich jetzt auf den Wogen. Die Mutter erbarmte sich unser,
ließ uns in dieser Gestalt als Göttinnen leben im Meere.
Höre: Dein Sohn Ascanius wird in der Festung belagert,
ringsum von Waffen bedrängt, dem erbitterten Heer der Latiner.
Schon, wie befohlen, zur Stelle, vereint mit den tapfren Etruskern,
sind die arkadischen Reiter. Turnus hat sich entschlossen,
ihnen durch eigene Reiter den Weg zum Lager zu sperren.[388]
Auf denn, beim Dämmern des Tages laß die Gefährten sich wappnen,
greife auch selbst zu dem Schild, den als Bürgen des Sieges der starke
Meister des Feuers mit kunstreich vergoldetem Rande dir schenkte!
Soll doch der morgige Tag, wenn du meine Weisung beherzigst,
mächtige Haufen von Leichen gefallener Rutuler sehen.«
Darauf versetzte sie, ehe sie fortschwamm, geschickt mit der Rechten
einen Stoß dem ragenden Heck. Gleich kreuzte der Schiffskiel
schneller die Wogen, ein Speer, ja ein Pfeil, der windgleich dahinschießt.
Schneller auch fuhren die übrigen Schiffe. Der Sohn des Anchises
staunte, verdutzt; doch er nahm's, ermutigt, als günstiges Omen,
richtete kurz die Blicke empor zum Himmel und flehte:
»Gnädige Göttermutter vom Ida, Dindymons Herrin,
Freundin umtürmter Städte, Lenkerin ziehender Löwen,
schreite zum Kampf mir voran jetzt, gewähre dem Zeichen Erfüllung,
wie es die Satzung erfordert, glückbringend nahe den Phrygern!«
Derart betete er. Inzwischen hatte der neue
Tag schon entfaltet den Glanz und verscheucht das nächtliche Dunkel.
Gleich befahl Aeneas den Seinen, auf Weisung zu achten,
mutig zur Waffe zu greifen, bereit sich zu halten zum Einsatz.
Hoch auf dem Hinterdeck stehend, konnte bereits er die Teukrer
in der Umwallung erblicken und hob mit der Linken den golden
funkelnden Schutzschild. Da brachen die Troer hinter den Schanzen
aus in ein Jubelgeschrei, das himmelwärts dröhnte, die Hoffnung
spornte den Kampfeifer, kraftvoller schleuderten sie die Geschosse.
Ebenso schreien die thrakischen Kraniche unter den düstren
Wolken, nach Norden den Äther durchschwirrend, voll herzlicher Freude.[389]
Turnus jedoch und die andern ausonischen Feldherren staunten
über den Umschwung. Dann sahen sie aber dem Strande die Schiffe
rückwärts sich nähern, das ganze Meer schon bedeckt von der Flotte.
Über dem Haupt des Aeneas glühte die Helmspitze, Flammen
sprühte der Buschen, der goldene Schildbuckel funkelte feurig.
Ebenso glühen zuweilen in klaren Nächten Kometen
blutrot, unheilverkündend, oder erhebt sich der helle
Sirius, bringt den geplagten Sterblichen Dürre und Seuchen,
zieht mit Unglückslicht düstere Schleier über den Himmel.
Doch der verwegene Turnus bewahrte die Zuversicht, wollte
gleich das Gestade besetzen, die Landung der Feinde vereiteln,
suchte den Mut zu beleben und schalt Unschlüssige heftig:
»Was ihr euch wünschtet, das dürft ihr: Offen zerschmettern die Feinde!
Männer bergen Mars selbst in den Fäusten. Denkt jetzt an eure
Frauen und Häuser, vollbringt jetzt aufs neue so glänzende Taten,
wie sie den Ruhm der Ahnen begründeten. Vorwärts, ans Ufer,
packen den Feind wir von uns aus, er zagt bei der Landung und schwankt noch!
Hilft doch Fortuna dem Furchtlosen!«
Gleichzeitig faßte er noch die Entscheidung, mit wem er den Angriff
führen und wem er die weitre Belagerung auftragen solle.
Aber Aeneas setzte vom ragenden Hinterdeck über
Laufstege seine Gefährten ans Land. Den Rücklauf des Wassers
warteten viele auch ab und wagten den Sprung in das Flache,
mancher benutzte die Ruder zum Aufstemmen. Tarchon erspähte
einen Küstenpunkt ohne schäumende Untiefe, ohne
donnernde Brandung, wo Wellen sanft steigend zum Strande nur rollten.
Dorthin wandte er plötzlich den Bug und beschwor die Gefährten:
»Los, ihr Erwählten, legt euch mit aller Gewalt in die Riemen,
hebt und beschwingt die Schiffe! Hinein in das Feindesland schneidet[390]
tief mit den Schnäbeln, es furche der Kiel sich selber den Zugang!
Schiffbruch nehme ich gerne in Kauf bei solcher Art Landung,
wenn ich den festen Boden nur packte!« So spornte Fürst Tarchon
seine Gefährten. Die stemmten sofort sich gegen die Ruder,
jagten die schaumumwirbelten Buge auf Latiums Boden,
bis sich die Schnäbel ins Trockene bohrten und sämtliche Schiffe
ohne Beschädigung festsaßen – außer dem deinigen, Tarchon.
Blieb es auf einer unebenen Sandbank doch hängen und schwankte,
hoch in der Schwebe, noch etwas länger, ein Spielball der Wogen,
brach dann in Stücke und ließ die Besatzung den Weg nur ins Wasser.
Splitternde Ruder und schwimmende Planken hemmten die Männer,
rückwärts auch zog sie die jeweils zur See hin entrollende Welle.
Turnus auch blieb nicht untätig, warf die verfügbare Mannschaft
tatkräftig gegen die Teukrer und stellte sie auf am Gestade.
Angriffssignale schmetterten. Gegen Latiums Landvolk
stürmte Aeneas und zwang es zum Weichen, ein günstiges Omen,
durch die Erlegung Therons, der, riesig sein Heer überragend,
trotzig dem Troer sich stellte. Der stieß durch die Nähte des Panzers
und den goldglänzenden Leibrock ihm seitlich das Schwert in den Brustkorb.
Darauf erschlug er den Lichas, der, einst aus dem Leibe der toten
Mutter geschnitten und dir, Apollo, geweiht, nur als Säugling
tödlichem Eisen entging. Gleich anschließend traf er den rauhen
Kisseus, den schrecklichen Gyas auch tödlich, die beide mit Keulen
feindliche Scharen zerschlugen. Die Herkuleswaffen, die starken
Fäuste beschützten sie nicht, nicht der Vater Melampus, der einstmals
treu dem Alkiden folgte, solange noch dieser auf Erden
emsig sich mühte. Dann jagte Aeneas dem prahlenden Pharus
tief in den aufgerissenen Schlund den tödlichen Wurfspieß.
Du auch, Kydon, der du dem Klytios folgtest, dem neuen
Freunde, dem blond der Bartflaum erst keimte, du wärest gefallen[391]
unter der Dardanerfaust und hättest vergessen die Liebe,
die dich zu Jungen stets hinzog, ein kläglicher Leichnam. Die sieben
Söhne des Phorkos jedoch, die zum Gegenstoß kühn sich vereinten,
schleuderten gleichzeitig ihre Geschosse gegen Aeneas.
Einige prallten wirkungslos ab vom Helm und vom Schutzschild,
einige lenkte Venus gnädig zur Seite, sie streiften
leicht nur den Helden. Da bat Aeneas den treuen Achates:
»Reich mir die Speere, die einstmals in Leibern von Griechen auf Trojas
Schlachtfeldern steckten – keinen dürfte die Rechte vergeblich
gegen die Rutuler senden.« Dann griff er und schleuderte eine
mächtige Lanze; sie fuhr durch den bronzenen Schildrand des Maion,
bohrte in einem gewaltigen Schwung sich durch Panzer und Brustkorb.
Maion stürzte. Sein Bruder Alkanor wollte ihm helfen,
stützte ihn mit der Rechten. Da schoß durch den Arm ihm ein Wurfspeer,
glitt in dem Schwunge gleich weiter und hielt, bluttriefend, die Richtung,
ließ von der Schulter baumeln den Arm, die Muskeln erschlaffen.
Numitor aber entriß dem Leichnam des Bruders die Lanze,
warf sie dann gleich auf Aeneas. Doch konnte er ihn nicht durchbohren,
streifte nur leichthin den Oberschenkel des Helden Achates.
Clausus aus Cures stürmte heran, im Vertrauen auf seine
Jugendkraft, holte weit aus und durchstieß mit der grausamen Lanze
Dryops, unter dem Kinn, mit wuchtigem Schwunge die Kehle,
raubte zugleich ihm Stimme und Leben. Jäh schmetterte Dryops
gegen den Boden die Stirn, ein Blutstrom brach aus dem Munde.
Weiter erschlug er, in wechselnder Kampfart, drei Thraker aus altem
edlen Boreasgeschlecht, auch drei Söhne des Idas; der Vater
hatte geschickt sie vom Lande des Ismaros. Gleichzeitig stürmte[392]
mit den Aurunkern Halaesus herbei, auch der Sohn des Neptunus,
glänzend auf stolzem Gespanne, Messapus. Man strengte auf beiden
Seiten sich an, den Gegner zu werfen. Das Kampfgewühl tobte
grad auf der Schwelle Ausoniens. So fechten im riesigen Äther
manchmal die Winde den Streit aus, an Mut sich und Kräften gewachsen;
keiner der Kämpfenden weicht, fest stehen das Meer und die Wolken.
Lange Zeit ringen sie ohne Entscheidung, angespannt jeder.
Ebenso kämpften zur Stunde die Heerscharen Trojas und Latiums,
stemmten gedrängt sich Fuß an Fuß und Körper an Körper.
Jenseits jedoch, wo ein reißender Bergstrom rollende Steine,
auch aus den Ufern gerissenes Buschwerk mit fortgewälzt hatte,
wurden vom rauhen Gelände bereits die arkadischen Reiter
übel gezwungen zum Absitzen, mußten jedoch, in dem Fußkampf
wenig erfahren, vor den Latinern zurückweichen. Pallas
sah es und tat, was allein er noch konnte in solcher Bedrängnis,
suchte durch Flehen, dann auch durch Schelten den Mut zu beleben:
»Wohin, ihr Freunde, flieht ihr? Bei euch, die ihr tapfer einst kämpftet,
bei des Königs Euander glanzvoll gewonnenen Kriegen,
auch bei der Hoffnung, mit der ich dem Ruhme des Vaters voll Eifer
nachstrebe: Sucht nicht das Heil in der Flucht! Es gilt mit der Waffe
quer durch den Feind sich zu schlagen. Dorthin, ins dichte Gedränge,
ruft das erhabene Vaterland euch und den Anführer Pallas.
Keinerlei Götter bedrängen uns, Sterbliche nur, wie wir selber
Sterbliche sind, an Mut und an Fäusten einander gewachsen.
Seht, wie das Meer uns umschließt mit mächtigem Wasserschwall: Festland
fehlt uns zur Flucht! Wohin jetzt – ins Wasser oder ins Lager?«
Damit stürzte er sich ins dichte Getümmel der Feinde.[393]
Lagus, gedrängt vom tödlichen Schicksal, trat ihm als erster
mutig entgegen, erraffte sich einen wuchtigen Felsblock.
Aber dabei noch durchbohrte ihn Pallas mit kraftvollem Speerwurf,
traf ihn ins Rückgrat und riß die im Wirbel haftende Waffe
mühsam heraus. Doch konnte ihn Hisbo, wider Erwarten,
nicht überrumpeln. Denn während er, über das grausige Sterben
seines Gefährten erbittert, blindlings heranstürmte, konnte
Pallas ihn auffangen, stieß ihm das Schwert in die keuchende Lunge,
tötete Sthenios dann, Anchémolos gleichfalls, des Rhoitos
Sprößling, der schamlos ein Liebesverhältnis zur Stiefmutter knüpfte.
Ihr auch, ihr Zwillingssöhne des Daucus, Larides und Thymber,
fielt auf dem Rutulerschlachtfeld. Ihr waret einander sehr ähnlich,
wurdet verwechselt sogar von den Eltern, ein köstlicher Irrtum!
Heute jedoch unterschied euch Pallas in furchtbarer Weise,
trennte dir, Thymber, das Haupt vom Rumpf mit dem Schwerte Euanders,
hieb dir, Larides, die Rechte ab – die dich, getrennt schon, noch suchte,
mit den ersterbenden Fingern noch zuckend den Schwertgriff umkrallte.
Schon durch die Mahnung entflammt, die Kühnheit des Pallas vor Augen,
stürmten zum Kampf die Arkader, von Scham und von Ärger getrieben.
Pallas durchbohrte den Rhoiteus, der zweispännig grad zu entkommen
suchte. Sein Fluchtversuch schenkte dem Ilos Aufschub vorm Tode.
Kreuzte doch Rhoiteus die Flugbahn der wuchtigen Lanze, die Pallas
fernher auf Ilos abgesandt hatte, und wurde getroffen,
fliehend, Held Teuthras, vor dir und dem Bruder Tyres. Vom Wagen
sank er, noch lebend, und schlug mit den Fersen den Rutulerboden.
[394]
Wie an verschiedenen Stellen der Waldtrift ein Hirte im Sommer,
wenn, schon ersehnt, die Winde auffrischen, Feuer entzündet,
diese dann reißend schnell um sich greifen und plötzlich in einer
schrecklichen Feuerfront weithin sich wälzen, der Hirte indessen,
froh des Erfolges, vom Hochsitz die siegreichen Flammen betrachtet,
ebenso schlossen sich jetzt die wackren Arkader zusammen,
Pallas, zu deiner Freude. Der tapfere Krieger Halaesus
drängte zum Gegenstoß vorwärts, völlig gedeckt von dem Schilde,
streckte gleich Ladon, Pheretas, Demódokos nieder. Dem Strymon,
der mit der Hand nach der Kehle ihm krallte, hieb er mit blanker
Klinge die Rechte ab, traf dann den Schädel des Thoas mit einem
Steinwurf, zermalmte die Knochen, die blutig das Hirn übersprühte.
Vorsorglich hatte der Vater im Wald einst Halaesus verborgen;
als dann die Augen des Alten im Tode erloschen, belegten
gleich die Parzen den Sohn mit Beschlag: Den Waffen Euanders
weihten sie ihn. Jetzt trat ihm Pallas entgegen und flehte:
»Vater Thybris, lasse den Spieß, den ich schwinge, mit seiner
Spitze erfolgreich die Brust des rauhen Halaesus durchstoßen –
anlegen soll dann dein Eichbaum seine erbeutete Rüstung!«
Gnädig erhörte der Gott ihn. Grad deckte Halaesus Imaon;
dabei bot er, der Arme, die Brust als Ziel dem Arkader.
Keine Entmutigung über den Fall des tapferen Helden
duldete Lausus, selbst furchtlos im Kampf, bei den Seinen: Im ersten
Treffen erlegte er Abas, der standhaft ihr Vordringen hemmte.
Schwere Verluste erlitten Arkadiens Söhne, erlitten
auch die Etrusker, auch ihr, die den Griechen ihr trotztet, Trojaner.
Schlachtreihe prallte auf Schlachtreihe, gleichstark an Führern und Kampfkraft.
Vorwärts preßten die letzten, man konnte im dichten Gedränge
kaum noch die Arme, die Waffen bewegen. Hier Pallas, dort Lausus
spornten zum Kampfe, beinahe gleichaltrig beide, auch beide
glänzend in ihrer Erscheinung. Doch hatte Fortuna auch beiden
Rückkehr zur Heimat versagt. Der Herr des hohen Olympus[395]
freilich erlaubte den zweien kein Kämpfen gegeneinander.
Ihrer harrte der Tod von der Hand noch größerer Gegner.
Jetzt an die Stelle des Lausus zu treten, ermahnte die hohe
Nymphe Juturna den Bruder Turnus. Zu Wagen durcheilte
dieser das Heer und rief beim Anblick der Freunde: »Die Stunde
fordert zur Kampfpause euch. Ich allein will fechten mit Pallas,
mir nur gehört er. Wäre sein Vater als Zeuge zugegen!«
Unverzüglich räumten die Kämpfer den Platz, wie befohlen.
Während die Rutuler wichen, wunderte Pallas sich über
jenen so herrischen Ton und faßte den riesigen Turnus
staunend ins Auge, musterte trotzig die ganze Erscheinung,
gab dann dem stolzen Gebieter Bescheid mit den Worten: »Ich ernte
Ruhm durch Gewinn der herrlichsten Beute oder durch einen
glanzvollen Tod. Mein Vater würdigt das eine wie andre.
Spar dir die Drohungen!« Damit betrat er die Mitte des Platzes.
Eiskalt strömte das Blut den Arkadern zum Herzen. Fürst Turnus
sprang von dem Wagen, er wollte den Zweikampf zu Fuße bestehen.
Ganz wie ein Löwe, der fern von der Höhe hernieder im Felde
einen zum Kampfe entschlossenen Stier erspähte und grimmig
gegen ihn stürmt, so bot sich der nahende Turnus den Blicken.
Als ihn Pallas in Wurfweite wähnte, gedachte den Anfang
kühn er zu wagen; er hoffte, als Schwächerem werde ein Zufall
Hilfe ihm bringen, und flehte innig zum mächtigen Äther:
»Enkel des Alkeus, bei meines Vaters gastlichem Tische,
den du einst aufsuchtest, hilf mir, bitte, beim schweren Beginnen!
Sähe mich Turnus, noch lebend, die blutigen Waffen ihm rauben!
Müßte er, sterbenden Auges, den Anblick des Siegers ertragen!«
Herkules hörte den Jüngling, er unterdrückte die bittre
Klage im tiefsten Herzen, vermochte nur hilflos zu weinen.
Aber da sprach sein Vater zu ihm die tröstlichen Worte:
»Jeden erwartet sein Tag, die Lebensfrist dehnt sich für alle
kurz nur und unwiederholbar. Doch rühmlich zu glänzen durch Leistung,
bleibt des Tapfren Verpflichtung. Vor Trojas ragenden Mauern[396]
fielen so zahlreiche Söhne von Göttern, mit ihnen mein eigner
Sprößling sogar, Sarpedon. Den Turnus auch wird noch sein Schicksal
rufen, auch er gelangt noch zum Schluß der verliehenen Spanne.«
Damit wandte er seine Augen vom Rutulerlande.
Pallas jedoch entsandte den Speer mit Anspannung aller
Kräfte und riß dann sogleich das funkelnde Schwert aus der Scheide.
Über der Schulter ritzte die Waffe im Fluge den Panzer,
hatte zuvor schon den oberen Schildrand durchschlagen und streifte
schließlich, gehemmt schon, nur leicht den Riesenkörper des Turnus.
Seinerseits schwang jetzt dieser den Schaft mit der schneidenden Spitze
längere Zeit, dann rief er, und schleuderte los ihn auf Pallas:
»Schau jetzt, ob unsere Waffe nicht kraftvoller durchdringt zum Ziele!«
Quer durch den Schild, durch so zahlreiche Schichten von Eisen und Bronze,
auch durch so zahlreiche Lagen von Rindsfellen bohrte im starken
Schwung sich die Lanze, genau in der Mitte, durchschlug auch den Panzer,
drang in die Brust dann des jungen stattlichen Helden. Vergeblich
riß der Getroffene noch das warme Geschoß aus der Wunde:
Gleich mit der Spitze entströmten dem Körper das Blut und das Leben.
Jäh auf die Wunde stürzte der Held, ihn umklirrten die Waffen,
schlug noch, im Sterben, ins feindliche Erdreich die blutigen Zähne.
Über ihn stellte sich Turnus und rief:
»Hört, ihr Arkader, und meldet mein Wort dem König Euander:
Wie es die Sühne erheischt, so schicke zurück ich ihm Pallas.
Ehren des Grabes und Trost der Bestattung will ich gewähren.
Teuer bezahlt er die Gastfreundschaft, die er Aeneas gewährte.«
Danach setzte er seinen linken Fuß auf den Leichnam,
zog das gewichtige Wehrgehenk ab mit dem Bild des Verbrechens,[397]
der in der Brautnacht vollzognen Ermordung der eben vermählten
Jünglinge und der mit Blut besudelten Hochzeitsgemächer,
kunstreich getrieben in Gold von dem Sohn des Eurytus, Clonus.
Dieses gewann jetzt Turnus frohlockend als Beute des Sieges.
Nichts von den künftigen Schicksalen ahnen die menschlichen Herzen,
wissen im Übermaß reichlichen Glückes das Maß nicht zu wahren.
Turnus erlebt noch die Stunde, da vieles er gäbe für einen
lebenden Pallas, da er den Sieg von heute verabscheut!
Doch die Gefährten trugen, bitterlich weinend und klagend,
Pallas zurück auf dem Schilde, dicht gedrängt um den Toten.
Kummer und herrlichen Ruhm bringt deine Rückkehr dem Vater.
Ein Tag sah dich zum ersten Mal kämpfen und gleichzeitig fallen,
Haufen von toten Rutulern läßt du jedoch auf dem Kampfplatz!
Nicht ein Gerücht mehr, nein, zuverlässige Botschaft von diesem
Unglück erreichte Aeneas: Am Rande des Abgrundes stünden
seine Gefährten; sie wichen zurück schon, die Stunde verlange
Hilfe für sie. Da bahnte er sich, vor Rachedurst glühend,
gleich mit dem Schwerte, ein Schnitter, den Weg durch die feindlichen Scharen,
suchte dich, Turnus, dich stolzen Sieger. Pallas, Euander
standen vor seinen Augen, die Tische, die erstmals ihn gastlich
aufnahmen, dann der verpflichtende Handschlag. Vier Jünglinge, Söhne
Sulmos, die gleiche Anzahl noch einmal, Söhne des Ufens,
nahm er lebendig gefangen, ein Totenopfer den Schatten,
wollte auf flammenden Holzstoß ihr Blut als Sühneguß sprengen.
Fernher schon hatte er drohend die Lanze auf Magus geschleudert.
Aber der duckte geschickt sich, der schwirrende Speer überflog ihn.
Eilend umschlang dann Magus die Knie des Aeneas und flehte:
»Bei den Manen des Vaters, bei Iulus, der hoffnungsvoll aufwächst,
bitte ich, laß mir das Leben für meinen Sohn und den Vater!
Stattlich erhebt sich mein Haus. Talente getriebenen Silbers
liegen geborgen darin. Auch besitze ich Gold, teils in Barren,[398]
teils auch in Schmuckstücken, pfundweis. Den Sieg der Teukrer entscheidet
sicher nicht mein Tod, ein einzelnes Leben gibt nicht den Ausschlag.«
Auf sein Flehen gab ihm Aeneas zur Antwort: »Die Pfunde
Silbers und Goldes, die du erwähnst, die spare für deine
Nachkommen auf! Den Loskauf vom Kriegsrecht machte als erster
Turnus zunichte bereits, indem er Pallas erlegte.
Derart entscheidet mein Vater Anchises, desgleichen Iulus.«
Damit ergriff er des Flehenden Helm mit der Linken, den Nacken
bog er zurück und senkte die Klinge hinein bis zum Griffe.
Haemons Sohn stand nahe, der Priester Apolls und Dianas,
von der geheiligten Binde die Schläfen umkränzt und am ganzen
Leibe hellstrahlend im Priestergewand und mit trefflichen Waffen.
Fortlaufen wollte er, stürzte jedoch, und über ihm stehend,
weihte Aeneas der tödlichen Nacht ihn. Die prächtigen Waffen
trug auf der Schulter Serestos zu dir, Gott Mars, als Trophäe.
Caeculus, Sohn des Vulcanus, und Umbro vom Marsergebirge
brachten die wankende Front der Latiner zum Stehen. Erbittert
stürmte der Dardaner gegen sie, hieb mit der Klinge dem Anxur
wuchtig den Rundschild mitsamt dem linken Arme vom Leibe.
Hatte doch Anxur geprahlt und gewähnt, daß den eigenen Worten
mächtige Kraft innewohne, sich gar in den Himmel erhoben,
selbst sich ergrauendes Haar und ein hohes Alter versprochen.
Aber jetzt stürmte Held Tárquitus vor mit funkelnden Waffen,
den einst die Nymphe Dryópe gebar dem Waldgotte Faunus,
bot dem erbitterten Troer die Stirn. Der heftete wuchtig
ihm mit der Lanze den mächtigen Schild und den Panzer zusammen.
Tarquitus wollte noch wortreich flehen – vergeblich; Aeneas
hieb ihm den Kopf von den Schultern zu Boden, wälzte den warmen
Rumpf vor sich her und rief überdies in rasender Rachgier:
»Bleibe dort liegen, du schrecklicher Kämpfer! Die liebreiche Mutter
wird dich nicht beisetzen, nicht dich daheim mit dem Grabmal belasten.[399]
Laß dich von Raubvögeln fressen oder von strudelnden Wellen
fortspülen, wo dann gierige Fische die Wunden dir lecken!«
Gegen Antaeus und Lucas, im vorderen Treffen des Turnus,
stürmte er, gegen Numa sodann und den rotblonden Camers,
Sprößling des mutigen Volcens, der in Ausonien den reichsten
Grundbesitz hatte, Gebieter im stillen Städtchen Amyclae.
Wie einst Aigeion, dem hundert Arme und ebensoviele
Fäuste, der Sage nach, wuchsen, aus fünfzig Rachen und Lungen
Flammen auch sprühten, in gleicher Anzahl gegen die Blitze
Jupiters Schutzschilde reckte und Schwerter zückte, genauso
wütete jetzt Aeneas umher auf dem Schlachtfeld, als Sieger,
nun ihm die Klinge erhitzt war. Sogar dem Niphaeus auf seinem
von vier Rossen gezogenen Streitwagen trat er entgegen,
und bei dem Anblick des Helden, der schnaubte vor Wut und gewaltig
ausschritt, scheuten die Rosse vor Schrecken, sie bäumten sich rückwärts,
warfen den Lenker vom Stand und zerrten das Fahrzeug zur Küste.
Lucagus jagte inzwischen, begleitet von Liger, dem Bruder,
hoch auf dem Zweigespann unter die Kämpfenden. Letzterer lenkte
zügelnd die Pferde, doch Lucagus ließ verwegen die Klinge
kreisen. Aeneas duldete nicht ihr trotziges Rasen,
wandte sich gegen sie, zeigte sich, riesig, die Lanze im Anschlag.
Liger verhöhnte ihn:
»Kein Diomedesgespann, kein Fahrzeug des Helden Achilles
siehst du, kein Schlachtfeld vor Troja. Hier wirst du das Ende des Krieges,
aber das Ende des Lebens auch finden.« So sprudelte Liger
töricht die Worte hervor. Doch würdigte ihn der Trojaner
keiner Entgegnung, auf Lucagus schleuderte jäh er die Lanze.
Dieser spornte, zum Schlage vornübergeneigt, mit dem Speerschaft
eifrig die Rosse, dann setzte den linken Fuß er nach vorne,
kampfbereit schon. Da durchschlug ihm die Lanze des Troers die untre
Kante des blanken Schildes und drang ihm links in die Hüfte.[400]
Nieder vom Fahrzeug sank er und wälzte sich sterbend am Boden.
Bitter noch traf ihn der fromme Aeneas mit kränkenden Worten:
»Lucagus, keine sich kampfesscheu bäumenden Rosse entführten
dir den Wagen, noch scheuchten vom Feind her dich täuschende Schatten.
Selber verließest im Sprung du dein Fahrzeug!« Er packte am Zügel
fest das Gespann. Da rang der Bruder des Toten die Hände,
sprang entmutigt gleichfalls vom Wagen und flehte: »Du Kämpfer
Trojas, um deinetwillen, der Eltern auch, die dich als Helden
zeugten, lasse mich leben, erbarm dich des Flehenden!« Weiter
wollte er bitten noch, aber Aeneas erwiderte: »Eben
sprachst du noch anders. Stirb nur, laß nicht im Stiche den Bruder!«
Und er durchstieß ihm die Brust, die verborgene Stätte des Lebens.
Solche Verluste fügte der Dardanerkönig den Feinden
zu auf dem Schlachtfeld, ein Sturzbach, ein Wirbelsturm, grauenhaft wütend.
Nunmehr auch brachen der junge Ascanius und die Trojaner,
von den Latinern so lange vergeblich bestürmt, aus dem Lager.
Jupiter wandte indes sich unaufgefordert an Juno:
»Liebe Schwester und ebenso liebe Gemahlin, nach deiner
Meinung – in der du dich keineswegs täuschst – erweist den Trojanern
Venus jetzt Beistand. Den Männern fehlen die kampfstarken Fäuste,
fehlen der trotzige Mut und die Ausdauer in den Gefahren.«
Juno entgegnete demütig: »Warum, du herrlichster Gatte,
quälst du mich Arme, die deine gestrengen Weisungen fürchtet?
Liebtest du mich doch so innig wie früher und wie es der Gattin
eigentlich zusteht! Dann würdest, Allmächtiger, du es mir schwerlich
abschlagen, daß ich Turnus dem Schlachtengetümmel entziehe,
Daunus, dem Vater, gesund ihn und wohlbehalten bewahre.
Mag er jetzt sterben, mit frommem Blute büßen den Troern!
Trotzdem, er führt sein edles Geschlecht zurück auf das unsre.
War doch Pilumnus sein Urahn. Auch hat er freigebig oftmals
reichliche Gaben in deinen Tempeln als Opfer gespendet.«
[401]
Kurz nur erteilte ihr Antwort der König der himmlischen Höhen:
»Wenn du für einen dem Tode verfallenen Helden nur einen
Aufschub erbittest und glaubst, ich könnte den Aufschub bewirken,
führe den Turnus vom Schlachtfeld, entzieh ihn dem nahenden Schicksal!
Soweit vermag ich Nachsicht zu üben. Verbirgt sich indessen
unter der Bitte ein größerer Wunsch und wähnst du, dem Kriege
einen ganz anderen Ausgang zu geben, so hoffst du vergeblich.«
Weinend erwiderte Juno: »Gewährtest du das mit dem Herzen,
was du dem Wortlaut nach ablehnst, bliebe mein Turnus am Leben.
Nunmehr erwartet ein bitterer Tod den Schuldlosen, sollte
ich mich nicht täuschen. Narrte mich lieber doch falsche Befürchtung,
schlügest den Weg du zum Besseren ein, da allmächtig du waltest!«
Darauf ließ sie sogleich sich vom hohen Himmel hernieder,
quer durch die Lüfte, von Sturmwind umhüllt und von Wolken umflattert,
eilte zur troischen Streitmacht sowie zum laurentischen Lager,
formte aus Wolkendunst klüglich ein kraftloses Schattengebilde,
das wie Aeneas aussah, ein kunstreiches Werk zum Erstaunen,
rüstete es mit dardanischen Waffen, ähnlichem Schutzschild,
täuschendem Helmbusch auf göttlichem Haupt, verlieh ihm auch Sprache,
Laute nur, nichtig, vernunftlos, und gab ihm die typischen Schritte;
Seelen der Sterblichen sollen, verstarb der Körper, so flattern,
oder auch Träume, die der Empfindungen Schlafender spotten.
Frohlockend eilte der Schatten vor das vordere Treffen,
reizte zum Schein mit funkelnden Waffen, lauthöhnend, den Turnus.
Dieser entsandte von ferne auf ihn die schwirrende Lanze,
stürmte dann gegen ihn. Aber da wandte zur Flucht sich der andre.
Turnus wähnte, Aeneas suche tatsächlich das Weite,
schöpfte, verwirrt durch die Täuschung, eine ganz grundlose Hoffnung:
»Wohin, Aeneas? Verschmähe nicht die dir verheißene Ehe![402]
Meine Faust verschafft dir das Land, das zu Wasser du suchtest.«
Derart prahlte er, folgte dem Fliehenden, zückte die blanke
Klinge – und sah nicht, daß Windstöße ihm sein Wunschbild entrafften.
Zufällig lag ein Schiff vor Anker am ragenden Felshang,
hatte die Leitern heruntergelassen, den Laufsteg befestigt.
Clusiums König Osinius war auf dem Fahrzeug gekommen.
Dorthin schwebte bestürzt der Schatten des fliehenden Troers,
schlüpfte hinein und verschwand. Beharrlich folgte ihm Turnus,
ließ durch kein Hemmnis sich abhalten, eilte hoch über den Laufsteg.
Kaum betrat er das Vorschiff, da kappte Juno die Leine;
forttreiben ließ sie das Schiff auf rückläufig kabbelnden Wellen.
Während Aeneas in Wirklichkeit Turnus zum Zweikampfe suchte
und die ihm zahlreich entgegentretenden Feinde erlegte,
suchte nicht länger mehr sich zu verstecken der flüchtige Schatten,
sondern entschwebte zur Höhe, zerfloß in den düsteren Wolken.
Seewärts entführten indessen wirbelnde Winde den Turnus.
Nichtsahnend, keineswegs froh der Errettung, schaute der König
rückwärts und streckte flehend die Hände empor zu den Sternen:
»Vater, Allmächtiger, hast du mich eines so schweren Verbrechens
etwa für schuldig befunden, daß du mich so grausam bestrafest?
Wohin nur soll ich? Woher? Als Flüchtling? Als was für ein Feigling?
Soll ich die Mauern Laurentums wiedersehen, das Lager?
Was unternehmen die Männer, die mir in das Schlachtgewühl folgten?
Ließ ich sie alle schmachvoll zurück zu abscheulichem Tode,
sehe sie ratlos umherirren, höre die Fallenden jammern?
Wie jetzt handeln? Wo könnte für mich ein Abgrund jetzt klaffen,
hinreichend tief? Doch lieber erbarmt euch meiner, ihr Winde!
Jagt mir das Fahrzeug an Felsen, auf Klippen – ich, Turnus, ich flehe
innig darum –, in die tückischen Untiefen wütender Syrten,
wohin die Rutuler mir und die wissende Fama nicht folgen!«
Während des Flehens schwankte er unschlüssig, fast wie von Sinnen[403]
angesichts solcher Schande: Ob er sich selbst in die Klinge
stürzen, das grausame Schwert durch den Brustkorb hindurchjagen solle
oder auch springen ins Meer und schwimmen zur buchtreichen Küste,
dort sich aufs neue ins Schlachtgewühl gegen die Teukrer begeben.
Dreimal versuchte er beides, doch hemmte die mächtige Juno
dreimal ihn auch und hielt ihn zurück aus innigem Mitleid.
Über die hohe See glitt er mit günstiger Strömung,
trieb dann ans Festland, zur uralten Hauptstadt des Daunus, des Vaters.
Aber inzwischen rückte auf Jupiters Mahnung voll Eifer
König Mezentius gegen die jubelnden Troer aufs Schlachtfeld.
Alle gedrängt von dem Haß auf den einen, stürmten geschlossen
die tyrrhenischen Reihen auf ihn mit dichtem Geschoßschwall.
Doch wie ein Felsen, der in die unendliche Weite des Meeres
vorspringt, von rasenden Stürmen umheult, von den Wellen umbrandet,
standhält den drohend geballten Kräften der Flut und des Himmels,
selbst unerschüttert, so streckte der König den Hebros zu Boden,
Sohn Dolichaons, den Látagus dann und den fliehenden Palmys.
Latagus traf er mit einem gewaltigen Block aus dem hohen
Felsengebirge auf Mund und Gesicht, durchtrennte dem Palmys
kraftvoll die Kniekehle, daß er gelähmt sich dahinwand; die Rüstung
gab er dem Lausus zur Nutzung, den Helmbusch als Hauptschmuck. Euanthes
schlug er dann nieder, den Phryger, und Mimas, den Altersgenossen,
Freund auch, des Paris. Ihn hatte Theano dem Gatten Amykos
einstmals geboren, in jener Nacht, da auch Hekabe ihre
»Fackel«, den Paris, gebar. Der ruht in der Heimatstadt, Mimas
aber erhielt als Fremdling sein Grab an der Küste Laurentums.
Wild wie der Eber, den schnappende Hunde vom hohen Gebirge
hetzten, der Riese, dem lange Jahre der fichtenbedeckte
Venulus und das laurentische Sumpfgebiet Unterschlupf boten,[404]
wo er im Röhricht sich mästete, schließlich, verstrickt in das Jagdnetz,
stehenblieb, ungestüm schnaubte, die Borsten am Vorderbug sträubte,
wie dann nicht einer der Treiber mit grimmigem Mute ihn angriff,
nein, sie aus sichrer Entfernung ihn schreiend beschossen und warfen,
er, wenn auch furchtlos, nach keiner Seite ein Vorstürmen wagte,
zähneknirschend durch Schütteln vom Rücken die Lanzen entfernte –
ebenso wagte nicht einer von denen, die völlig berechtigt
König Mezentius haßten, sich ihm zum Schwertkampf zu stellen;
fernher nur reizten sie ihn mit wildem Geschrei und Geschossen.
Aus dem uralten Kórythos war ein gebürtiger Grieche,
Akron, gekommen, kurz vor der Vermählung verbannt aus der Heimat.
Tief schon ins Heer des Mezentius war er im Angriff gedrungen,
purpurn sein Helmbusch, der Mantel auch, den die Verlobte ihm webte.
Ihn erspähte der Fürst. Wie oftmals ein hungernder Löwe,
rasend vor Gier, durch sein Jagdrevier streift, den Hochwald, und eine
flüchtige Wildziege, einen Hirsch auch mit stattlichen Stangen
sichtet, frohlockend den Rachen aufreißt, die Mähne hoch aufsträubt,
über das Opfer sich stürzt, es zerfleischt und abscheulich im Blute
badet den grausamen Schlund,
ebenso stürzte Mezentius wild in das Feindesgedränge,
streckte den elenden Akron zu Boden, der sterbend mit seinen
Hacken auf düsterem Boden trommelte und die zerbrochne
Lanze mit Blut überströmte. Grad kehrte Orodes ihm seinen
Rücken zu. Aber so wollte der Feind ihn nicht treffen, von hinten
nicht ihn erstechen. Er holte ihn ein und stellte von vorne
ihm sich entgegen, wollte durch Kampf, nicht durch Hinterlist siegen,
stieß ihn zu Boden, beugte, gestützt auf den Spieß, sich darüber:
»Nicht verächtlich, ihr Männer, erlag hier der tapfre Orodes!«
Beifällig ließen die Seinen jubelnd ein Siegeslied hören.[405]
Aber der Sterbende sprach: »Nicht lange mehr wirst du dich straflos,
wer du auch bist, des errungenen Sieges freuen. Das gleiche
Schicksal erwartet dich schon, du liegst bald genauso am Boden.«
Finster lächelnd, verärgert zugleich, gab Antwort der Sieger:
»Stirb jetzt. Mein Schicksal mag der Vater der Götter und Menschen
selber bestimmen.« Er zog den Spieß aus dem liegenden Körper.
Tiefe Erstarrung, ein eherner Schlummer, schloß des Orodes
Augen; ihr Leuchten erlosch zu ewig währendem Dunkel.
Caedicus schlug den Alkáthoos nieder, Sacrator Hydaspes,
Rapo Parthenios und den kraftvollen Orses, Messapus
Klonios und Eriketes, den Sohn des Lykaon; der letztre
kämpfte zu Fuß, der erstere war von zaumlosem Pferde
nieder zu Boden geglitten. Zu Fuß auch kämpfte der Lykier
Agis; ihn tötete Válerus, würdig des Mutes der Ahnen.
Salius traf den Thronios tödlich, doch jenen Nealkes,
weithin berühmt als Speerwerfer und als sicherer Schütze.
Gleichmäßig häufte der grausame Mars die bittren Verluste
wieder, man mordete und man stürzte, gemordet, man siegte,
wurde besiegt, und keiner der Kämpfer gedachte zu weichen.
Mitleid empfanden die Götter in Jupiters Schloß mit dem leeren
Wüten der beiden Heere, der furchtbaren Mühsal der Menschen.
Zuschauer spielten, von hier und von dort aus, Venus und Juno.
Unter den Tausenden raste Tisíphone, blaß wie ein Leichnam.
Aber Mezentius schüttelte seine gewaltige Lanze,
ungestüm tobte er über das Schlachtfeld. So schreitet Orion
riesig einher, wenn zu Fuß er die tiefsten Fluten des Nereus
zügig durchwatet, und ragt aus dem Wasser mit mächtigen Schultern,
oder er schleppt von ragenden Bergen die uralte Eiche,
stapft zwar am Boden, doch reicht mit dem Haupt hinein in die Wolken.
Gleich ihm bewegte Mezentius sich mit den furchtbaren Waffen.
[406]
Ihn erspähte im Heere Aeneas von weitem und rückte
kampfbereit gegen ihn vor. Unerschrocken verharrte der Tusker,
wartete auf den mutigen Gegner, wuchtig in seiner
Kraft und bemüht, die Wurfweite spähenden Blickes zu schätzen.
»Mögen mir göttergleich beistehen jetzt mein Arm und die Lanze,
die ich hier schwinge! Ich weihe die Waffen, die ich dem toten
Räuber Aeneas entreiße, dir, Lausus – als Zeichen des Sieges
sollst du sie tragen.« So sprach er und warf die schwirrende Lanze
kraftvoll aus großer Entfernung. Doch prallte sie ab von dem Schutzschild,
bohrte dem Helden Antores sich zwischen der Brust und dem Magen
tief in den Leib, dem Freunde des Herkules; Bote aus Argos,
blieb bei Euander er einstmals und ließ in Italien sich nieder.
Längshin streckte den Armen der Speerwurf, der ihm nicht gegolten,
himmelwärts blickte der Sterbende, dachte ans liebliche Argos.
Nunmehr entsandte der fromme Aeneas den Speer. Der durchbohrte
wuchtig die dreifachen Schichten des Schildes aus Bronze und Stierfell
samt dem leinenen Überzug, blieb dann im Unterleib stecken,
freilich schon ohne durchschlagende Kraft. Schnell zückte Aeneas,
weil er voll Freude schon sah, daß der Tusker blutete, seine
Klinge hervor aus der Scheide und stürzte sich auf den verwirrten
Gegner. Der Anblick entlockte dem Lausus, aus Liebe zum teuren
Vater, ein Stöhnen, und Tränen rollten ihm über die Wangen.
Weder dein grausames Sterben noch deine vortrefflichen Taten
noch gar dich selber, denkwürdiger Jüngling, will ich verschweigen –
schenkt überhaupt man solch ruhmreicher Leistung der Vorzeit noch Glauben!
König Mezentius zog sich, nicht kampffähig wegen des Treffers,
langsam zurück, zog mit sich am Schild den Speerschaft des Feindes.
Vorwärts stürzte jetzt Lausus, warf sich zwischen die Gegner.[407]
Eben schon holte Aeneas weit aus zum Schlag mit der Rechten.
Da unterlief der Jüngling das Schwert und parierte den starken
Hieb. Die Gefährten folgten lautschreiend dem Angriff, den Rückzug
des von dem Schilde des Sohnes geschützten Vaters zu decken,
schossen und warfen von weitem und suchten den Feind zu verdrängen.
Wutentbrannt knirschte Aeneas, er mußte in Deckung sich halten.
Wie wenn die Unwetterwolken heranfliegen und sich in Schloßen
wütend entladen, die Pflüger sämtlich die Felder verlassen,
Bauern wie Wanderer einen sicheren Unterschlupf suchen,
Höhlen am Flußufer oder auch überhängende Felsen,
für die Dauer des Regens, um gleich nach der Rückkehr der Sonne
wieder dem Tagwerk zu frönen: so mußte Aeneas im dichten
Schwall der Geschosse noch aushalten, bis sich das Dröhnen des Ansturms
ausgetobt hatte. Laut schalt er den Lausus und drohte ihm wütend:
»Weswegen suchst du den Tod, wagst mehr, als die Kräfte gestatten?
Unbedacht handeln läßt dich dein Pflichtgefühl!« Aber frohlockend
hielt der Verblendete stand. Da wuchs noch des Dardanerfeldherrn
rasender Zorn, schon spannen die Parzen dem Jüngling den letzten
Faden: Aeneas jagte kraftvoll die Klinge in seines
Gegners Körper, versenkte sie bis an den Griff. Durch den kleinen
Rundschild – zu dürftigen Schutz für eine so trotzige Drohung –
drang die Waffe, durchs Hemd, das die Mutter aus Goldfäden webte.
Blut überströmte die Brust. Die Seele entwich durch die Lüfte,
traurig, zum Reiche der Manen, verließ die sterbliche Hülle.
Als jetzt der Sohn des Anchises ins Antlitz des Sterbenden blickte
und es erbleichen sah in ergreifender Weise, da stöhnte
laut er voll Mitleid und streckte die Rechte empor; auf das tiefste
rührte ihn dieses Beispiel inniger Liebe zum Vater.
»Was, du bejammernswürdiger Junge, was kann dir für deine
Ruhmestat geben der fromme Aeneas, das deines Charakters
würdig sich zeigte? Behalte die Waffen, die einst dich beglückten!
Freut es dich, schicke ich dich zum Grab und den Manen der Väter.[408]
Tröste im Unglück dich eines noch über dein grausames Sterben:
Held Aeneas erlegte dich!« Seine noch zögernden Freunde
rief er zu Hilfe und hob den Leichnam vom Boden. Des Toten
Haare, gestrählt nach etruskischer Sitte, entstellte der Blutstrom.
Aber der Vater des Toten suchte am Ufer des Tiber
seine noch blutende Wunde mit Wasser zu stillen, den matten
Körper an einen Baumstamm gelehnt. Sein eherner Helm hing
nah im Geäst, die wuchtige Rüstung ruhte im Grase.
Ausgewählte Gefährten umringten ihn. Mühsam nur atmend,
stützte den Kopf er, tief wallte der Bart auf die Brust. Stets aufs neue
fragte nach Lausus er, schickte auch Boten, zurück ihn zu rufen,
Weisung zu geben dem Sohn vom furchtbar erschütterten Vater.
Aber als Toten nur brachten Gefährten, in Tränen, auf seinem
Schilde den Jüngling, würdiges Opfer würdigen Gegners.
Unheil schon ahnend, vernahm der Vater weither das Gejammer.
Da überstreute er trauernd sein Grauhaar mit schmutzigem Staube,
reckte die Hände zum Himmel und warf sich dann über den Leichnam:
»Klammerte ich mich, mein lieber Junge, so stark an das Leben,
daß ich, dein Vater, statt meiner dich selber die Stöße des Feindes
auffangen ließ? Gerettet bin ich durch deine, des Sohnes,
Wunden? Ich lebe dank deinem Tode? Ich Elender fühle
jetzt erst die Größe des Unglücks, jetzt erst die Tiefe der Wunde.
Ich, mein Junge, befleckte durch eignes Verschulden auch deine
Ehre, mich haßte mein Volk und vertrieb mich aus Heimat und Herrschaft.
Vaterland, Abscheu der Meinen, ihr solltet zu Recht mich bestrafen:
Hätte als Schuldiger selbst ich, wie immer, gebüßt mit dem Tode!
Heute noch lebe ich, scheide noch nicht von Sonne und Menschen.
Aber ich werde jetzt scheiden!« Zum Trotz der getroffenen Hüfte
stemmte er hoch sich. Obwohl ihn die tiefe Wunde noch schmerzte,
rief er entschlossen nach seinem Streitroß. Das galt ihm als teures
Kleinod, als Trost, es hatte ihn siegreich getragen aus allen
Kämpfen. Jetzt schien es zu teilen den Kummer des Herrn, der ihm zusprach:[409]
»Rhaebus, wir lebten schon lange – wenn ›lange‹ den Sterblichen etwas
aussagt. Heute wirst du als Sieger die blutigen Waffen
und das Haupt des Aeneas zurückbringen, mit mir das bittre
Sterben des Lausus rächen – doch wenn uns die Kräfte versagen,
fallen mit mir! Denn schwerlich wirst du, mein tapfrer Gefährte,
fremden Befehlen gehorchen, den Teukrern als Herren dich fügen.«
Damit bestieg er das Pferd zu gewohntem Sitz und beschwerte
reichlich sich beide Fäuste mit schneidenden Wurfspießen, funkelnd
hoch auf dem Haupte den Helm, überragt vom Buschen aus Roßhaar,
sprengte dann mitten zwischen die Heere. Es rangen in seinem
Herzen bittere Scham und Wut und schmerzliche Trauer,
[leidenschaftliche Liebe, Bewußtsein des eigenen Wertes.]
Dreimal rief er mit schallender Stimme Aeneas, und dieser
hörte sogleich und erkannte die Stimme und betete freudig:
»Gönnten der Vater der Götter es mir und der hohe Apollo,
daß du zum Zweikampf dich stellst!«
Darauf trat er entgegen dem Feind mit erhobener Lanze.
Aber Mezentius rief: »Nachdem du den Sohn mir entrissen,
schreckst du mich nicht mehr. Du konntest nur damit vernichtend mich treffen.
Sterben erschreckt mich durchaus nicht, ich nehme nicht Rücksicht auf Götter.
Schweig nur! Ich komme, zum Tode bereit, und bringe dir vorher
diese Geschenke noch!« Damit warf er den Spieß auf den Gegner,
einen zweiten und dritten, umkreiste zu Pferde in weitem
Ring, wie im Fluge, den Feind. Doch hielt der vergoldete Schutzschild.
Dreimal umritt der Etrusker linkshin den stehenden Troer,
ununterbrochen schleudernd, und dreimal drehte Aeneas
sich mit dem Schilde, der furchtbar von haftenden Wurfspießen starrte.[410]
Länger nicht wollte er warten, so viele Geschosse aus seinem
Schilde nicht reißen; auch wurde die ungleiche Kampfart ihm lästig.
Scharf noch erwog er die Weise des Angriffs, dann stürmte er plötzlich
vorwärts und schleuderte zwischen die Schläfen des Rosses die Lanze.
Hochauf bäumte das Tier sich, schlug mit den vorderen Hufen
zuckend die Luft, warf ab den Reiter und stürzte, nach vorne
sich überschlagend, auf ihn mit verrenktem Buge und hilflos.
Himmelan flackerte wild das Geschrei der Latiner und Troer.
Vorwärts eilte Aeneas und riß das Schwert aus der Scheide:
»Wo verweilt jetzt der tapfre Mezentius, wo sein verwegnes
Ungestüm?« Aufwärts blickte der Tusker, gewahrte den Himmel,
kam zur Besinnung wieder und gab ihm zur Antwort: »Weswegen
schreist du mich an, du verbitterter Gegner, und drohst mich zu töten?
Du erschlägst mich zu Recht, ich zog in den Kampf auch mit diesem
Vorsatz, mein Lausus vereinbarte kein Gewähren von Gnade.
Eines gewähre mir, bitte, gewährt man Besiegten noch etwas:
Laß mich bestatten. Ich weiß, daß der zornige Abscheu der Meinen
rings mich bedroht. Beschütze mich gegen die Wütenden, bitte,
gönne ein Grab mir, meinem Sohne zur Seite!« So sprach er,
bot dann mit vollem Bewußtsein die Kehle dem feindlichen Schwertstoß,
ließ mit dem Blut, das die Rüstung benetzte, sein Leben verströmen.[411]
Ausgewählte Ausgaben von
Aeneis
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Diese »Oden für das Herz« mögen erbaulich auf den Leser wirken und den »Geschmack an der Religion mehren« und die »Herzen in fromme Empfindung« versetzen, wünscht sich der Autor. Gellerts lyrisches Hauptwerk war 1757 ein beachtlicher Publikumserfolg.
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Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
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