Serenade

[19] Wie ein Toter, der längst vom Leben schied,

Aus dem Grabe sänge,

Trägt Herrin zu dir mein klagendes Lied

Seine zitternden Klänge.


O öffne Seele und Ohr, den Klang

Meiner Laute hörend.

Für dich ertönt, für dich mein Gesang,

So hold, so zerstörend.


Ich singe dein Auge voll goldenen Glücks,

Das schattenlos klare,

Dann den Lethe deiner Brust, dann den Styx

Deiner dunklen Haare.


Wie ein Toter, der längst vom Leben schied,

Aus dem Grabe sänge,

Trägt Herrin zu dir mein klagendes Lied

Seine zitternden Klänge.


Und das Lob meines Sanges preist und erhebt

Den Leib, den geweihten,

Dessen süsser Duft zur Nacht mich umwebt

In schlaflosen Zeiten.


Und ich singe die Küsse von rotem Mund,

Dass dein Preis ohne Mängel,

Deine Süsse, die mich gerichtet zugrund,

Meine Dirne, mein Engel!
[20]

O öffne Seele und Ohr, auf den Klang

Meiner Laute hörend.

Für dich ertönt, für dich mein Gesang,

So hold, so zerstörend.

Quelle:
Verlaine, Paul: Ausgewählte Gedichte. Leipzig 1983, S. 19-21.
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