[238] Nachdem Ludwig Cornbutte fortgegangen war, verschloß Penellan vorsichtig die Thüre des Logis (dieselbe mündete unter der Treppe zum Verdeck), und übernahm die Sorge für den Ofen, während seine Gefährten sich wieder in ihre Betten zurückzogen, um einigermaßen warm zu werden.
So war die sechste Abendstunde herangekommen, und Penellan schickte sich an, das Abendessen zu bereiten. Er hatte bereits Wasser siedend gemacht und war in die Kombüse hinab gegangen, um gesalzenes Fleisch, das er darin kochen wollte, zu holen, als er bei seiner Rückkehr zum Ofen seine Stelle von André Vasling eingenommen fand. Er saß vor dem Kessel und kochte große Fettstücke darin ab.
»Ich war vor Ihnen hier, André Vasling, redete er mit raschem Wort den Obersteuermann an; warum nehmen Sie mir meinen Platz fort?
– Wahrscheinlich aus demselben Grunde, als aus dem Sie ihn wieder haben wollen; ich will mir mein Abendbrod kochen, antwortete Vasling.[238]
– Lassen Sie mich jetzt an den Kessel, oder Sie werden sehen, daß unser Streit ein schlimmes Ende nimmt, rief Penellan.
– Wir werden nichts sehen, erwiderte höhnisch André Vasling, und ich gedenke hier mein Abendessen fertig zu kochen, ob es Ihnen nun recht ist oder nicht.
– Und ich sage, Sie werden Ihr Abendessen hier nicht bereiten«, rief Penellan und stürzte wüthend auf André Vasling zu, der sofort nach seinem langen Messer griff und mit lautem Geschrei die Norweger und Aupic zu Hilfe rief.
Die Kerle waren in einer Minute, und zwar mit Dolchen und Pistolen bewaffnet, zur Stelle; Penellan sah jetzt, daß der Streich abgekartet war. André Vasling mußte es wohl als seine Aufgabe übernommen haben, ihn selbst unschädlich zu machen, denn die andern Kerle eilten nach den Betten der Kranken, Misonne, Turquiette und Pierre Nouquet. Dieser Letztere war so elend, daß er kaum noch eine Bewegung machen konnte, und war dem wilden Herming in die Hände gefallen, während der Zimmermann Misonne sich mit einem Beil gegen Aupic vertheidigte, und Turquiette erbittert mit dem Norweger Jocki rang. Gervique und Gradlin litten so furchtbar unter ihren Schmerzen, daß sie kaum zu bemerken schienen, was um sie her vorging.
Pierre Nouquet bekam einen Dolchstich in die Seite, Herming hielt nun seine Aufgabe für erledigt, wandte sich zu Vasling, der seinen Gegner um den Leib gepackt hatte, und wollte ihm in seinem Kampfe beistehen.
Aber gleich bei Beginn des Ringens war der Kessel auf dem Ofen umgestürzt, so daß das Fett auf die glühenden Kohlen floß und die Luft mit einem widerlichen Geruch verpestete. Marie erhob sich laut weinend von ihrem Lager und eilte auf Johann Cornbutte zu, der auf seinem Bette lag und furchtbar röchelte.
André Vasling konnte es an Kraft mit Penellan nicht aufnehmen und merkte bald, daß er unterliegen würde; da sah er, daß Herming auf ihn zukam, und rief laut:
»Zu Hilfe, Herming! zu Hilfe!
– Zu Hilfe, Misonne!« schrie Penellan.
Aber Misonne lag auf dem Boden und rang mit Aupic, der ihn mit einem Messer zu durchbohren suchte. Das Zimmermannsbeil war eine für[239] diesen Kampf schlecht geeignete Waffe; er konnte sie nicht handhaben und mußte die Dolchstiche pariren, die der wüthende Aupic ihm beizubringen suchte.
Das Blut floß in Strömen; der Kampf wurde von Minute zu Minute erbitterter. Turquiette war von dem ungewöhnlich starken Jocki niedergeworfen, hatte einen Dolchstich in die Schulter erhalten und suchte sich vergebens der Pistole zu bemächtigen, die in dem Gürtel des Norwegers steckte. Dieser preßte[240] ihn zusammen wie in einem Schraubstock, so daß ihm jede Bewegung unmöglich wurde.
Auf den Ruf André Vasling's, der von Penellan gegen die Eingangsthür gedrängt war, eilte Herming herbei; aber in demselben Augenblick, als er dem Untersteuermann einen Messerstich in den Rücken versetzen wollte, streckte dieser ihn mit einem kräftigen Fußtritt zu Boden.
Durch diese Bewegung Penellan's[241] gelang es André Vasling, seinen rechten Arm frei zu machen; die Eingangsthür jedoch, auf der die beiden Männer mit ihrem ganzen Gewicht lasteten, gab plötzlich nach, und André Vasling fiel rücklings über.
Da erdröhnte ein furchtbares Gebrüll, und ein ungeheurer Bär, der zuerst von André Vasling bemerkt wurde, erschien auf der Treppe; er war höchstens noch vier Fuß entfernt. Aber im nämlichen Augenblick hörte man auch einen Flintenschuß, der Bär machte plötzlich kehrt, und André Vasling, der sich wieder erhoben hatte und nicht weiter auf Penellan achtete, setzte ihm nach.
Der Untersteuermann richtete nun die eingeschlagene Thür wieder ein und blickte umher. Misonne und Turquiette lagen, von ihren Feinden geknebelt, in einer Ecke und suchten vergebens ihre Bande zu zerreißen; Penellan eilte ihnen zu Hilfe, wurde jedoch von den beiden Norwegern und Aupic zurück gestoßen. Seine Kraft war so erschöpft, daß er diesen drei Männern keinen Widerstand mehr leisten konnte und binnen wenigen Minuten regungslos gefesselt war. Dann eilten seine Peiniger auf das Geschrei des Obersteuermanns nach dem Verdeck; denn sie glaubten nicht anders, als daß er dort mit Ludwig Cornbutte kämpfte. André Vasling rang hier mit einem Bären, dem er bereits zwei Dolchstiche beigebracht hatte, das Thier schlug mit den fürchterlichen Tatzen nach seinem Gegner, suchte ihn zu treffen und drängte ihm immer weiter nach den Verschanzungen.
Es blieben ihm nur noch wenige Schritte Raum zum Zurückweichen, dann war er unrettbar verloren; da wurde plötzlich ein zweiter Schuß abgefeuert, und der Bär rollte zu Boden. André Vasling schaute auf und sah, daß Ludwig Cornbutte, der in den Wewelings des Fockmastes saß, ihn gerettet hatte. Die Kugel war dem Bären in's Herz gedrungen und hatte ihn augenblicklich getödtet.
Aber der Haß gegen Ludwig Cornbutte war zu groß in André Vasling, als daß die Dankbarkeit eine Rolle bei ihm finden konnte; er blickte um sich und sah, daß Aupic todt auf dem Verdeck ausgestreckt lag, der Bär hatte ihm mit einem Schlag seiner ungeheuren Tatze den Kopf zerschellt. Jocki wehrte sich mit einem Beil in der Hand verzweifelt gegen denselben Bären, der soeben seinen Kameraden niedergeschlagen. Das Thier blutete bereits aus mehreren Wunden, kämpfte aber nur um so erbitterter weiter. Ein dritter Bär trottete auf das Vorderdeck des Schiffes zu.[242]
André Vasling bekümmerte sich nicht um ihn und vereinigte sich mit Herming, um Jocki von der Umarmung des Bären zu befreien. Beide feuerten ihre Pistolen auf das Thier ab; aber als es zum Tode getroffen niedersank, hielt es nur noch einen Leichnam in seinen Tatzen.
»Es sind unserer nur noch zwei, sprach André Vasling wild grollend; sollen wir jedoch unterliegen, so will ich mich zuvor noch rächen!«
Herming lud, ohne hierauf zu antworten, seine Pistole nochmals; man mußte den dritten Bären unschädlich zu machen suchen.
Vasling blickte nach dem Vorderdeck hinüber und sah, daß die Bestie die Verschanzungen erklettert hatte und in den Wewelings empor klomm, um Ludwig Cornbutte zu erreichen. Der Obersteuermann ließ seine Flinte sinken; eine teuflische Freude spiegelte sich in seinen Augen.
»So kann ich mich noch an Dir rächen!« rief er.
Inzwischen hatte sich Ludwig Cornbutte auf den Fockmast geflüchtet, aber der Bär stieg ihm auch dorthin nach und war jetzt nur noch sechs Fuß von ihm entfernt. Da legte Ludwig seine Flinte an und zielte auf das Thier.
Auch André Vasling machte sich schußfertig; wenn der Bär fiel, wollte er Ludwig Cornbutte tödten.
Der junge Kapitän feuerte auf die Bestie, aber es schien, als sei sie nicht getroffen; mit einem Sprunge schwang sie sich auf den Fockmars, so daß der ganze Mast erbebte.
André Vasling stieß einen Freudenschrei aus.
»Herming, hole mir Marie, hole mir meine Braut!« rief er dem norwegischen Matrosen zu, und dieser stieg eilends in das Logis hinab.
Das wüthende Thier war auf Ludwig Cornbutte zugestürzt, der auf der entgegengesetzten Seite des Mastes Schutz suchte; in dem Augenblick aber, als es die kolossale Tatze auf ihn herabsenken wollte, um seinen Kopf zu zerschmettern, ergriff der gewandte Seemann eine der Pardunen und ließ sich an ihr hinunter gleiten. Auf halbem Wege jedoch pfiff eine Kugel dicht an seinem Ohr vorüber; André Basling hatte auf ihn geschossen und ihn verfehlt. Nun standen die beiden Gegner mit den Messern in der Hand einander gegenüber.
Dieser Kampf mußte entscheidend werden; um seinen Rachedurst vollständig zu kühlen, hatte André Vasling die Gegenwart des jungen Mädchens[243] beim Tode ihres Geliebten verlangt und sich hierdurch der Hilfe Herming's beraubt. Er war in Folge dessen nur noch auf sich selbst angewiesen.
Die beiden Feinde packten sich so fest, daß Keiner zurückweichen konnte; einer von ihnen mußte sterben. Schon floß das Blut bei Beiden; André Vasling suchte mit seinem Arm den Hals des Gegners zu umschlingen und ihn zu Boden zu werfen, aber Ludwig Cornbutte wußte sehr wohl, daß wer zuerst fiel, auch verloren war, und hielt seinen Feind fest umklammert; hierbei glitt ihm jedoch sein Dolch aus der Hand.
In diesem Moment erhob sich ein herzzerreißendes Geschrei: der norwegische Matrose schleppte Marie herbei. Ludwig Cornbutte fühlte, wie ihn die Wuth übermannte; er wollte André Vasling loslassen, da wurden beide Gegner von einer kräftigen Umarmung zusammengepreßt.
Der Bär war vom Fockmast herabgeklettert und suchte jetzt die beiden Männer zu erdrücken.
André Vasling stand gegen den Körper des Thieres gelehnt, und Ludwig Cornbutte fühlte, wie die Tatzen des Ungeheuers ihm in's Fleisch drangen.
»Zu Hilfe, zu Hilfe, Herming! schrie der Obersteuermann.
– Zu Hilfe, Penellan!« rief Cornbutte.
Gleich darauf ließen sich Schritte auf der Treppe hören, Penellan erschien, und in der nächsten Minute entlud sich seine Pistole in das Ohr der Bestie. Ein entsetzliches Gebrüll ertönte, das Thier lockerte, von Schmerz überwältigt, seine Tatzen, und Cornbutte glitt in diesem Augenblick halb todt vor Erschöpfung auf's Verdeck nieder, dann aber drückte der Bär in wüthendem Todeskampf sein Opfer, den elenden Vasling, zusammen, riß den Leichnam im Falle mit sich und zermalmte ihn unter seinem Gewicht.
Penellan eilte nun Ludwig Cornbutte zu Hilfe und fand zu seiner großen Freude, daß keine schwere Verletzung das Leben des Freundes gefährdete; er hatte nur momentan das Bewußtsein verloren.
»Marie!... war sein erstes Wort, als er wieder zum Leben erwachte.
– Gerettet! frohlockte der Untersteuermann; dort liegt Herming mit einem Dolchstoß durch den Leib.
– Und die Bären...?[244]
– Todt, Ludwig, todt wie unsere Feinde! Ohne die Dazwischenkunft dieser Thiere wären wir verloren gewesen. Laß uns Gott danken für seine Gnade!«
Ludwig Cornbutte und Penellan gingen in das Logis hinab und führten das halb ohnmächtige Mädchen mit sich.
Buchempfehlung
Autobiografisches aus dem besonderen Verhältnis der Autorin zu Franz Grillparzer, der sie vor ihrem großen Erfolg immerwieder zum weiteren Schreiben ermutigt hatte.
40 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro