X.

[216] In diesem Augenblicke erhob sich eine lange Gestalt, die vorher im Grase gelegen hatte. Mit Schreck erkannte ich die blauen Beinkleider mit schwarzen Seitenstreifen, den dunklen Waffenrock mit silbernen Knöpfen, den gelben Gürtel und das gelbe Bandelier des Pandorus, welchen mein unglücklicher Flintenschuß erweckt hatte.

»Wer zum Teufel heißt Sie auf Gendarmenhüte schießen? fragte er mich in einem Tone, aus dem der Staatsbeamte sprach.

– Gendarm... ich glaubte... es wäre ein Hase!... Eine Augentäuschung! Uebrigens bin ich gern zu Schadenersatz bereit.

– Wirklich! Nun, ein Gendarmenhut ist ziemlich theuer... vorzüglich wenn man ihn ohne Jagdschein erlegt!«

Ich wurde blaß. Alles Blut drängte sich mir zum Herzen. Das war der kitzlichste Punkt.

»Sie sind doch im Besitz eines Jagdscheines? fragte mich der Pandorus.

– Eines Jagdscheines?...

– Ja, eines Jagdscheins. Sie wissen doch hoffentlich, was ein Jagdschein ist?«

Leider hatte ich keinen Schein. Für einen einzigen Jagdtag glaubte ich davon absehen zu dürfen, einen solchen zu lösen. Aber ich glaubte dem Manne[216] des Gesetzes versichern zu müssen, was man bei derartiger Gelegenheit stets versichert, daß ich meinen Jagdschein nur vergessen habe.


10. Capitel

Ein Lächeln überlegener Ungläubigkeit verbreitete sich auf dem Gesicht des Gendarmen.

»So bin ich eben genöthigt, ein Protokoll aufzunehmen, sagte er zu mir in dem sanfteren Tone eines Mannes, der schon eine Prämie für sich winken sieht.

– Warum? Morgen werde ich Ihnen denselben schicken, den Jagdschein, mein wackerer Gendarm, und...

– Ja, ja, weiß schon, erwiderte Pandorus, aber ein Protokoll ist nicht zu umgehen.


10. Capitel

– Nun gut, so protokolliren Sie, wenn Sie denn einmal gegen die Bitte eines Debütanten unempfindlich sind.«

Ein Gendarm, der dafür empfindlich wäre, wäre ja kein Gendarm mehr. Der meinige zog denn ein in gelbliches Pergament gebundenes Notizbuch aus der Tasche.

»Wie heißen Sie?« begann er.

Ah, ich wußte, daß es Gebrauch ist, in solch' schwerer Verlegenheit der Behörde den Namen eines Freundes zu nennen. Wenn ich jetzt gerade Mitglied der Akademie von Amiens gewesen wäre, wahrlich, ich hätte nicht gezögert, den Namen eines gelehrten Collegen anzugeben. Ich begnügte mich jedoch damit, den eines alten Kameraden, eines bekannten Pariser Pianisten, zu nennen. Der brave Junge saß


10. Capitel

augenblicklich gewiß zu Hause und übte den vierten Finger, ohne eine Ahnung, daß man ihn wegen eines Jagdvergehens in ein Protokoll aufnahm.

Pandorus verzeichnete ernsthaft den Namen seines Opfers, dessen Beruf, Alter und Adresse. Dann bat er mich ganz höflich, ihm meine Flinte auszuantworten –[217] wozu ich eiligst bereit war. Ich hatte ja weniger zu tragen; ich bat ihn auch, mir die Jagdtasche, den Schrotbeutel und das Pulverhorn gleichzeitig


10. Capitel

mit abzunehmen. Das lehnte er aber mit einer für mich beklagenswerthen Uninteressirtheit ab.

Nun war noch die Frage wegen des Hutes zu ordnen. Diese fand zur Zufriedenheit beider Theile durch die Aushändigung eines Goldstückes die gewünschte Lösung.

»Es ist sehr schade, meinte ich, der Hut war so vor trefflich erhalten.

– 's war noch ein fast


10. Capitel

neuer Hut, entgegnete Pandorus, ich hab' ihn erst vor sechs Jahren von einem Brigadier gekauft, der in den Ruhestand trat.«

Nachdem er das Möbel wieder reglementmäßig auf den Kopf gestülpt hatte, ging der Gendarm, sich in den Hüften wiegend, nach seiner, ich aber nach meiner Seite davon.

Eine Stunde später hatte ich den Gasthof erreicht, verheimlichte so gut wie möglich das Verschwinden der Flinte und erwähnte von meinem Abenteuer kein Sterbenswörtchen.


10. Capitel

Es soll aber nicht verschwiegen bleiben, daß meine Jagdgenossen als ganze Beute eine Wachtel und zwei Rebhühner für sieben Mann heimbrachten. Wegen eines Hasens, der noch jetzt fröhlich draußen umherlief, war es zwischen Maximon und Duvauchelle sogar zu Thätlichkeiten gekommen, und Pontcloué und Matifat hatten sich auf den Tod verfeindet.[218]

Quelle:
Jules Verne: Zehn Stunden auf der Jagd. In: Der grüne Strahl. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XLII, Wien, Pest, Leipzig 1887, S. 193–219, S. 216-219.
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