|
[183] »Millionen ... Millionen sind es, die dieser angebliche Leichenwagen enthält!«
Dieser unvorsichtige Satz kommt mir unwillkürlich über die Lippen, so daß das Geheimniß bezüglich des kaiserlichen Schatzes bald allen Bahnhofbeamten und Reisenden bekannt ist. Zur größeren Sicherheit hat die persische Regierung in Uebereinstimmung mit der chinesischen – den Glauben an den Transport eines todten Mandarinen zu verbreiten gesucht, wo es sich um die Ueberführung eines fünfzehn Millionen Francs betragenden Schatzes nach Peking handelte ....
Gott verzeihe mir, welche Albernheit – und wenn sie auch entschuldbar erscheint – hab' ich da begangen! Warum sollte ich doch an dem, was mir Popof sagte gezweifelt haben, und wie hätte Popof gegen die Versicherungen der persischen Beamten betreffend den Mandarin Yen-Lou Verdacht schöpfen können?
Deshalb bin ich jedoch in meiner Eigenliebe als Reporter nicht minder tief gekränkt und wahrlich recht verstimmt über den Ordnungsruf, den jene Dummheit mir zugezogen hat. Natürlich hüte ich mich weislich, von meinem Mißgeschick gegen Jemand – nicht einmal gegen den Major – etwas verlauten zu lassen. Sollte man's glauben? In Paris ist das »XX. Jahrhundert« über das, was auf der Groß-Transasiatischen Bahn vorgeht, besser unterrichtet als ich, der ich auf derselben Bahn dahinfahre? Das Blatt weiß schon lange, daß wir einen kaiserlichen Schatz am Ende des Zugs mitschleppen, und ich, der ich[183] auf demselben Zuge sitze, weiß kein Sterbenswörtchen davon! O, diese vermaledeite Berichterstattung! Jetzt ist das Geheimniß preisgegeben und wir erfahren auch bald, daß jener aus Gold und Edelsteinen bestehende Schatz einstweilen beim Schah von Persien in Sicherheit gebracht wurde und jetzt seinem Eigenthümer, dem Sohne des Himmels, zugestellt werden soll.
Deshalb hat der Seigneur Farusklar, der in seiner Eigenschaft als Bahnverwalter ja von der Sache unterrichtet sein mußte, in Duchak jedenfalls den Zug bestiegen, um den Schatz bis zum Bestimmungsort zu begleiten. Deshalb haben Ghangir und er, sowie die drei Mongolen, ihre Untergebnen – den kostbaren Wagen so streng überwacht deshalb sich so beunruhigt gezeigt als dieser durch den Bruch der Kuppelung verloren gegangen war, und deshalb drängten sie so sehr, wieder zurückzufahren. Ja, jetzt erklärt sich Alles!
Aus demselben Grunde erschien auch die Abtheilung chinesischer Soldaten, um den Wagen aus den Händen der Perser auf der Station Kaschgar zu übernehmen, und Pan-Chao hatte natürlich von keinem Mandarinen Yen-Lou reden hören können, da es eine hohe Persönlichkeit dieses Namens in China überhaupt nicht gegeben hat.
Wir sind zur vorschriftsmäßigen Stunde abgefahren, und man kann sich vorstellen, wie unsre Reisegefährten kaum von etwas anderm als von den Millionen reden, die ja hinreichen würden, Alle auf dem Zug zu reichen Leuten zu machen.
»Dieser vorgebliche Leichenwagen ist mir immer verdächtig vorgekommen, sagt der Major Noltitz, und aus diesem Grunde befragte ich schon Pan-Chao über den seligen Mandarinen.
– Ja, ich erinnere mich dessen, hab' ich geantwortet, ich verstand nicht recht, warum Sie diese Frage stellten. Nun wissen wir also bestimmt, daß wir mit einem großen Schatze im Schlepptau dahinfahren ....
– Und, fällt der Major ein, daß die chinesische Regierung sehr wohl daran gethan hat, für diesen eine wohlbewaffnete Wache zu schicken. Von Khotan bis Lan-Tcheu durchfährt der Zug zweitausend Kilometer weit eine reine Wüste, und durch dieses Gobi dürfte die Sicherheit der Bahn so Manches zu wünschen übrig lassen.
– Umsomehr, Herr Major, als der furchtbare Ki-Tsang – nach dem, was Sie mir selbst gesagt haben – wieder in den nördlichen Provinzen Chinas aufgetaucht sein soll.
– Ganz recht, Herr Bombarnae, und so ein Fang von fünfzehn Millionen wäre auch für einen großen Straßenräuber ein guter Schlag.
– Wie hätte der Kerl aber von der Ueberführung des kaiserlichen Schatzes etwas erfahren können ...
– Leute wie er wissen Alles, was sie zu wissen[184] wünschen!«
Ja freilich, dachte ich, und die lesen noch nicht einmal das »XX. Jahrhundert«!
Und wieder bin ich bei dem Gedanken an meinen Schwabenstreich, der mir noch ein hübsches Donnerwetter von Chincholle einbringen wird.[185]
Inzwischen sprach man auf den Plattformen über die Sache das und jenes.
Der Eine zog es vor, mit Millionen als mit einer Leiche zu reisen, und wenn's auch die eines Mandarinen erster Classe wäre. Der Andre meinte wieder, daß der Transport einer Anzahl von Millionen für die Sicherheit der Reisenden nicht ohne einige Gefahr sei.
Dieser Ansicht schließt sich auch der Baron Weißschnitzerdörser an, der gegen Popof seinem Unmuthe freie Luft gemacht hat.
»Das mußte bekannt gegeben werden, mein Herr! rief er immer wieder. Jetzt ist es verrathen, daß mit diesem Zuge Millionen befördert werden, und deshalb könnte er leicht einem Ueberfalle ausgesetzt sein .... Ein Ueberfall aber, selbst wenn er zurückgeschlagen wird, veranlaßt Verzögerungen, und Verzögerungen kann ich mir nicht gefallen lassen! ... Nein, Herr Zugführer, das kann ich unmöglich!
– Es wird uns Niemand anfallen, Herr Baron, versichert Popof, es denkt ja Keiner daran!
– Wissen Sie das, mein Herr, wissen Sie das so genau?
– O bitte, regen Sie sich nicht auf!
– Das sag' ich Ihnen, wenn durch irgend etwas der Verkehr hier unterbrochen wird, mach' ich die Gesellschaft dafür verantwortlich!«
Das versteht sich, hunderttausend Gulden Schadenersatz an den Herrn Baron »Weltreisenden«!
Kehren wir zu den andern Mitfahrenden zurück.
Fulk Ephrjuell hat den ganzen Zwischenfall selbstverständlich nur vom praktischen Gesichtspunkte aus betrachtet.
»Ohne Zweifel, sagt er, ist unser Risico durch Anfügung dieses Wagens mit dem Schatze sehr vergrößert, und im Fall in Folge dessen ein Unglück einträte, würde die Life Travellers Society, bei der ich versichert bin, sich gewiß weigern, für den Schaden einzustehen, für den ja die Groß-Transasiatische Bahn allein verantwortlich ist.
– Ganz richtig, bemerkt Miß Horatia Bluett, doch ihre Lage gegenüber dem Himmlischen Reiche wäre noch weit schwieriger geworden, wenn die Wagen nicht wieder aufgefunden wurden. Meinen Sie nicht auch, Fulk?
– Ja freilich, Horatia!«
Horatia und Fulk – ganz kurz.[186]
Das anglo-amerikanische Paar hatte ganz recht, jener ungeheure Verlust wäre auf Rechnung der Groß- Transasiatischen Bahn gekommen, denn der Gesellschaft konnte es nicht unbekannt sein, daß es sich um eine Sendung Gold und kostbarer Edelsteine, und nicht um die todte Hülle des Mandarinen Yen-Lou handelte – und damit hatte sie auch die Haftbarkeit für Alles übernommen.
Das Ehepaar Caterna schienen die mit uns rollenden Millionen nicht besonders zu erregen. Sie bringen den Comödianten nur zu dem Ausrufe:
»Alle Wetter, Caroline, welch' schönes Theater könnte man mit diesem Geld erbauen!«
Das Schlagwort in unsern Verhältnissen hat jedoch der amerikanische Geistliche, der Reverend Nathaniel Morse, der in Kaschgar eingestiegen war, ausgesprochen:
»Es ist stets beunruhigend, eine Pulverkammer mit sich zu führen!«
Das ist ganz treffend gesagt, denn jener Wagen mit dem kaiserlichen Schatze ist eine Pulverkammer, die uns gelegentlich in die Luft sprengen kann.
Die erste, 1877 in China eröffnete Eisenbahn verband Shangaï mit Fu-Tcheu. Die Groß-Transasiatische Bahn folgt ziemlich der 1874 von Rußland vorgeschlagenen Linie über Taschkend, Kuldja, Kami, Lan-Tchen, Singan und Shangaï. Diese Bahn führt aber nicht durch die volkreichen Provinzen des Innern, die man wohl mit ungeheuren, summenden Bienenstöcken vergleichen kann, welche sich immer weiter vermehren. So viel wie möglich hält sie bis Su-Tcheu eine gerade Linie ein und biegt erst dann nach Lan-Tcheu ab.1 Die Verbindung mit einigen Städten ist nur durch Zweiglinien hergestellt, die sie nach Süden und Südosten entsendet. Unter andern wird eine solche Nebenstrecke, die von Taï-Yunau nach Nanking, diese beiden Städte der Provinzen Chan-sin und Chan-Toong mit einander verknüpfen. Zur Zeit hat aber ein noch nicht vollendeter großer Viaduct die Eröffnung dieser Strecke noch verhindert.
Gänzlich vollendet und den Verkehr durch Centralasien vermittelnd ist nur die Hauptlinie der Groß-Transasiatischen Bahn. Die Ingenieure haben hier nicht mehr Schwierigkeiten gehabt, als der General Annenkof bei der Erbauung der Transcaspischen, die Strecken von Kara-Korum und von Gobi sind sich ganz[187] ähnlich; sie weisen dieselbe Horizontalität des Erdbodens, die von keinen Erhöhungen oder Senkungen unterbrochen wird, auf und bieten sich damit gleichmäßig leicht für die Legung der Schwellen und der Schienen. Hätte man freilich die gewaltige Bergkette von Kuen-Luen, Nan-Chan, Amir, Gangar-Oola, die sich an der Grenze von Tibet aufthürmt, durchbrechen müssen, so würde wohl kaum ein Jahrhundert hingereicht haben, alle Schwierigkeiten zu überwinden. Auf flachem oder sandigem Terrain aber konnte der Eisenbahnbau bis Lan-Tcheu fast so schnell fortschreiten, wie der einer Decauville'schen Feldbahn.
Erst in der Umgebung dieser Stadt hatte die Ingenieurkunst einen harten Kampf mit der Natur zu bestehen. Hier beginnt der kostspielige und schwierige Durchbruch durch die Provinzen Kan-Su, Chan-Si und Petchili.
Auf dem nächsten weiteren Wege werd' ich mich darauf beschränken, einige der wichtigsten Stationen anzuführen, an denen der Zug zur Einnahme von Wasser und Heizmaterial Halt macht. Rechts von der Straße wird der Blick fortwährend von einem hohen Berghorizonte gefesselt, jenen malerischen Höhenzügen, die das Plateau von Tibet im Norden einrahmen. Links dagegen verliert er sich weit hinaus über die endlosen Steppen von Gobi. Das ist der Hauptcharakter der Länder, die das chinesische Reich, wenn auch nicht das eigentliche China, bilden, denn Letzteres werden wir erst mit der Annäherung an Lan-Tcheu zu Gesicht bekommen.
Alles vereinigt sich also, um diesen zweiten Theil der Reise recht wenig interessant zu machen – wenn der Gott der Chronisten uns nicht an Zwischenfällen ersetzt, was die Natur an Eindrücken mangeln läßt. Es scheint mir zwar, als besäßen wir hier drin verschiedene Elemente, aus denen ich mit etwas Glück und Phantasie schon eine pikante Schilderung zusammen dichten könnte.
Um elf Uhr verläßt der Zug den Bahnhof von Khotan, und es ist fast zwei Uhr Nachmittags, als er in Kerim – nachdem er die Stationen Urany, Lengar, Pola und Tschieria durchfahren hat – eintrifft.
In den Jahren 1889 bis 1890 durchwanderte genau diese Strecke Pevtzoff von Khotan aus bis zum Lob Nor am Fuße des Kuen-Lun, der Chinesisch-Turkestan von Tibet trennt. Der russische Reisende kam dabei über Keria, Nia und Tcherichen, was wir jetzt mit solcher Leichtigkeit abmachen, während seine Karawane mit so vielen Gefahren und Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Das verhinderte ihn aber nicht, zehntausend Kilometer Wegstrecke kartographisch aufzunehmen,[188] woneben er noch die Lage vieler Orte nach geographischer Länge und Breite bestimmte. Es macht der russischen Regierung alle Ehre, das Werk Prjevalsky's in dieser Weise fortgesetzt zu haben.
Vom Bahnhof Keria aus erblickt man im Südwesten noch die Höhen des Karakorum und die Dapsany-Spitze, der manche Kartographen eine Höhe von über achttausend Metern beimessen. Ihr zu Füßen dehnt sich die Provinz Kaschmir aus. Hier entspringt der Indus aus bescheidenen Quellen, die einen der größten Ströme der Halbinsel nähren. Hier sondert sich vom Hochlande von Pamir die gewaltige Himalaya-Kette ab, deren Gipfel auf der ganzen Erde am höchsten emporsteigen.
Von Khotan aus haben wir hundertfünfzig Kilometer binnen vier Stunden zurückgelegt. Das ist ja nicht viel, doch darf man auf diesen Theile der Transasiatischen Bahn nicht die Geschwindigkeit der Transcaspischen erwarten wollen. Entweder eignen sich die chinesischen Locomotiven an sich nicht dazu, oder deren von Natur etwas indolente Führer meinen die Zurücklegung von dreißig bis vierzig Kilometern in der Stunde sei das Maximum, was auf Bahnen des Himmlischen Reiches geleistet werden könne.
Um fünf Uhr Nachmittags berühren wir eine andre Station, Nia, wo der General Pevtzoff ein meteorologisches Observatorium eingerichtet hatte. Hier ist nur fünf Minuten Aufenthalt. Ich habe nur Zeit, im Bahnhofe einige Lebensmittel zu erkaufen. Für wen sie bestimmt sind, weiß ja der freundliche Leser.
Die von unserm Zug weiter aufgenommenen Reisenden sind nun ausschließlich Chinesen, Männer oder Frauen .... Nur selten fahren diese in erster Classe und begleiten uns meist nur auf kurze Strecken.
Wir waren kaum eine Viertelstunde abgefahren, als sich Falk Ephrjuell mit dem ernsten Gesicht, als wolle er ein wichtiges Handelsgeschäft abschließen, auf der Plattform zu mir gesellt.
»Herr Bombarnae, beginnt er, ich hätte eine Bitte an Sie.«
Aha, denk' ich, der weiß Dich ja recht gut zu finden, wenn er Dich braucht.
»Höchst erfreut, Ihnen zu Diensten sein zu können, Herr Ephrjuell, geb' ich zur Antwort. Um was handelt es sich?
– Ich komme Sie zu bitten, mir als Zeuge zu dienen.
– Ein Ehrenhandel? – Und mit wem, bitte? ...[189]
– Mit Miß Horatia Bluett.
– Sie wollen sich mit Miß Horatia Bluett schlagen? platze ich lachend heraus.
– Noch nicht ... Ich heirate sie.
– Sie heiraten sie?
– Ja! Eine kostbare Frau, höchst bewandert in allen Handelsangelegenheiten, eine Buchhalterin ohne Gleichen ....
– Meinen Gückwunsch, Herr Ephrjuell; Sie können auf mich zählen ...
– Und doch wohl auch auf Herrn Caterna? ...
– Er wird mit Vergnügen bereit sein, und wenn's einen Hochzeitsschmaus giebt, dann singt er auch zum Nachtisch ...
– So viel er will, unterbricht mich der Amerikaner. Doch sprechen wir jetzt von den Zeugen der Miß Horatia Bluett.
– Ganz recht.
– Glauben Sie, daß sich der Major Noltitz bereit finden lassen wird? ...
– Ein Russe ist viel zu höflich, so etwas abzuschlagen. Ich werde ihn darum ersuchen, wenn Ihnen das recht ist ...
– Ich danke Ihnen im Voraus. Wegen des zweiten Zeugen bin ich etwas mehr in Verlegenheit .... Jener Engländer, Sir Francis Trevellyan ...
– Er würde nur den Kopf schütteln, weiter brächten Sie aus dem nichts heraus.
– Der Baron Weißschnitzerdörser? ...
– Sie wollen darum einen Mann angehen, der eben auf der Fahrt um die Erde begriffen ist und der gar nicht fertig würde, seinen langen Namen zu unterzeichnen! ...
– Da seh' ich nur noch den jungen Pan-Chao ... und im schlimmsten Fall unseren Zugführer Popos ...
– Sie würden sich Beide ein Vergnügen daraus machen ... doch die Sache eilt ja nicht so sehr; sind wir erst in Peking, so wird sich der vierte Zeuge schon austreiben lassen ....
– Wie ... in Peking? ... Ach, in Peking denk' ich Miß Bluett nicht zu heiraten!
– Nun, etwa in Su-Tcheu oder in Lan-Tcheu ... so während eines mehrstündigen Aufenthalts? ...[190]
– Wait a bit, Herr Bombarnae! Hat ein Yankee wohl Zeit zu warten?
– Ja, wo soll es denn geschehen?
– Hier auf der Stelle!
– Im Zuge?
– Natürlich im Zuge.
– Dann muß ich Ihnen einmal zurufen: Wait a bit!
– Keine vierundzwanzig Stunden.
– Nun, zu einer Trauung braucht man doch einen Geistlichen ...
– Und zwar einen amerikanischen, und als solchen haben wir ja den Reverend Nathaniel Morse.
– Er ist dazu bereit? ...
– Natürlich! ... O, der traute gleich den ganzen Zug, wenn das von ihm verlangt würde.
– Bravo, Herr Ephrjuell! ... Eine Heirat in der Eisenbahn, das verspricht eine seltne Abwechslung ...
– Herr Bombarnae, man soll nie auf den nächsten Tag verschieben, was man am heutigen abmachen kann.
– Ja, ich weiß ... Time is money ...
– Nein, Time is time, nichts weiter, und von ihr soll man niemals auch nur eine Minute verlieren.«
Fulk Ephrjuell drückt mir die Hand, und meiner Zusage nach thue ich sofort die nöthigen Schritte bezüglich der Zeugen, die für die Trauungsfeierlichkeit nöthig sind.
Es versteht sich von selbst, daß der Handelsreisende und die Händlerin beide frei sind, daß sie über ihre Personen verfügen, die Ehe vor einem Clergyman ein gehen können, wie das in Amerika geschieht, und ohne die umständlichen Vorbedingungen, deren Erfüllung man in Frankreich und andern Ländern verlangt. Ist das gut oder nicht? Die Amerikaner behaupten, daß das sogar »besser« sei, und wie Cooper gesagt hat: »Das Bessere bei ihnen ist überall schon das Beste.«
Ich wende mich zuerst an den Major Noltitz, der sich gern bereit erklärt, der Miß Horatia Bluett als Zeuge zu dienen.
»Diese Yankees sind doch wunderbare Leute, sagt er.
– Vorzüglich, weil sie sich selbst über gar nichts wundern, Major.«
Denselben Vorschlag mache ich nun dem jungen Pan-Chao.[191]
»Ganz entzückt, Herr Bombarnae! erwidert er mir. Ich werde der Zeuge dieser anbetungswürdigen und angebeteten Miß Horatia Bluett sein! Wenn eine Heirat zwischen einer Engländerin und einem Amerikaner, wo Franzosen, Russen und Chinesen als Trauzeugen dienen, nicht alle Garantien künftigen Glückes hat, wo könnte man dieses sonst finden?«
Nun kommt Herr Caterna an die Reihe.
Ob der es annimmt, der lustige Comödiant ... Lieber zweimal als einmal!
»He, das wäre Stoff für ein Vaudeville oder eine Operette! ruft er. Wir haben jetzt die ›Heirat auf dem Vorsaal‹, die ›Heirat unter dem Oelbaum‹, die ›Hochzeit bei der Laterne‹ ... dazu käme nun die ›Hochzeit auf der Eisenbahn‹ oder die ›Hochzeit mit Dampf‹! Hübsche Theatertitel, Herr Bombarnae! Ihr Yankee kann auf mich rechnen. Junger oder alter Zeuge, in der Rolle eines Vaters oder eines jungen Liebhabers, in der eines Marquis oder eines Bauern – ganz wie er's wünscht – ich stelle überall meinen Mann ....
– Bleiben Sie nur, wer Sie sind, Herr Caterna, hab' ich geantwortet. Sie werden auch so eine gute Rolle spielen.
– Und mein Frauchen ist doch auch dabei?
– Das versteht sich ... als Ehrendame!«
Bezüglich aller Nebensachen – Beglückwünschungen und dergleichen – darf man sich während der Fahrt der Groß-Transasiatischen Bahn nicht so peinlich zeigen.
Die Ceremonie selbst sollte am folgenden Morgen vor sich gehen; für heute war es doch schon etwas spät. Fulk Ephrjuell ist hoch erfreut, daß Alles in gewünschter Ordnung ist, und er hat nur noch einige Maßnahmen zu treffen. Alle Reisenden werden eingeladen, der Trauung wenigstens beizuwohnen, und auch der Seigneur Farusklar hat huldvollst zugesagt, diese mit seiner Gegenwart zu beehren.
Während der Tafel war nur von der Trauung die Rede. Nach kurzer Beglückwünschung der späteren Ehegatten, die mit echt angelsächsischer Grazie dankten, versprach Jeder, den Contract zu unterzeichnen.
»Und wir werden Ihre Unterschriften gebührend ehren!« fügt Fulk Ephrjuell fast in dem Tone des Kaufmanns, der eine Tratte acceptirt, hinzu.
Als die Nacht herankam, ging Alles schlafen, um von der bevorstehenden Festlichkeit zu träumen. Ich unternahm noch den gewohnten Spaziergang bis nach[192] dem Waggon mit den chinesischen Gendarmen und überzeuge mich, daß der Schatz des Sohnes des Himmels sorgsam überwacht ist. Die Hälfte der Begleitmannschaft ist wach, während die andre Hälfte schlummert.
Um ein Uhr Morgens hab' ich Kinko aufsuchen und ihm die in Nia erworbenen Lebensmittel zustecken können. Der junge Rumäne ist wieder ganz lustig und vertrauensselig. Er sieht keine Hindernisse mehr vor sich und wird glücklich in den Hafen einlaufen.
»Ich werde in diesem Kasten ordentlich dick und fett, sagt er.[193]
– Nehmen Sie sich in Acht, antworte ich lächelnd, Sie können dann vielleicht gar nicht mehr heraus!«
Ich erzähle ihm nun von der Heirat Fulk Ephrjuell-Bluett, und wie die Vereinigung morgen unter großem Pompe vor sich gehen soll.
»Ach, ruft er mit einem Seufzer, die sind wenigstens nicht gezwungen, damit bis Peking zu warten!
– Gewiß, Kinko, mir scheint nur, daß eine unter solchen Umständen geschlossene Ehe keinen rechten Halt haben könne. Jedenfalls sieht die Geschichte den beiden Originalen ganz ähnlich.«
Um drei Uhr Morgens gab es auf dem Bahnhofe Tcherichen, fast am Fuße der Ausläufer des Kuen-Lun, einen Aufenthalt von fünfundvierzig Minuten. Keiner von uns hat das traurige, öde Land hier gesehen, dem es an Bäumen und Büschen gänzlich fehlt und das die Bahn nach Nordosten zu durchschneidet.
Bei Tagesanbruch befindet sich der Zug bereits auf der vierhundert Kilometer langen Strecke zwischen Tcherichen und der Station Tcharkalyk, während die Sonne die unendlichen Ebenen mit ihren blendenden Efflorescenzen überglänzt.
1 Die Endung »fu« bezeichnet immer die Hauptstädte der Provinzen oder doch eine Stadt erster Ordnung; die Endung »tcheu« erhalten die Städte zweiten Ranges.
Buchempfehlung
Die ältesten Texte der indischen Literatur aus dem zweiten bis siebten vorchristlichen Jahrhundert erregten großes Aufsehen als sie 1879 von Paul Deussen ins Deutsche übersetzt erschienen.
158 Seiten, 7.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro