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[176] Wir fahren nun, gezogen von einer Himmlischen Locomotive, geleitet von Maschinenführern der gelben Rasse, auf eingleisiger chinesischer Bahn dahin .... Hoffentlich werden unsre Wagen nicht wie ein Fernrohr »in einander geschoben,« da der Zug ja einen der höchsten Beamten der Gesellschaft, den Seigneur Farusklar, mit sich führt.
Und doch, wenn sich ein Unfall ereignete, so unterbräche das die Eintönigkeit der Reise und lieferte mir Stoff zu dankbaren Berichten. Leider muß ich bekennen, daß meine Personen bisher noch nicht besonders dazu beigetragen haben. Es kommt im Stücke keine Verwickelung vor ... es wird allmählich langweilig. Jetzt wäre ein Theatercoup nöthig, der Alles auf die Bühne brächte – so was Herr Caterna »einen schönen vierten Act« nennt.
Fulk Ephrinell und Miß Horatia Bluett sitzen nach wie vor in handelspolitischer Vertraulichkeit bei einander. Pan-Chao und der Doctor haben mich ein Weilchen amüsirt, jetzt aber »liefern« sie nichts mehr. Der Komiker und die Soubrette sind am Ende auch nur gewöhnliche Thespisjünger, die sich nicht besonders entfalten können. Kinko, selbst Kinko, auf den ich so große Hoffnungen setzte, ist ohne Schwierigkeit über die Grenze gekommen, wird ohne Mühe in Peking entwischen und seine Zinca Klork ohne Beschwerden heiraten. Nein, die Geschichte kommt nicht vorwärts!
Mit dem todten Mandarin Yen-Lou weiß ich auch nichts anzufangen, und nun die Leser des »XX. Jahr hundert«, die von mir nervenerschütternde, aufsehenerregende Berichte erwarten![176]
Da soll ich mich schließlich gar auf den deutschen Baron beschränken? – Nein, der gute Mann spielt nur eine lächerliche Rolle, und die kann auf die Dauer auch nicht interessiren.
Ich komme doch immer wieder darauf zurück, ich brauche einen Helden, und bisher habe ich zwischen den Coulissen noch keinen entdecken können.
Entschieden ist nun der Augenblick gekommen, mit dem Seigneur Faruskiar in nähere Verbindung zu treten. Vielleicht ist er jetzt, wo er nicht mehr incognito reist, weniger zugeknöpft. Wir sind ja seine Unterthanen, wenn man so sagen[177] darf. Er spielt gewissermaßen den Gemeindevorstand unsers rollenden Dorfes, und ein solcher muß für die von ihm Regierten wohl zugänglich sein.
Sollte übrigens Kinko's Betrug doch noch entdeckt werden, so möcht' ich mich der Unterstützung dieses hohen Beamten versichern.
Nachdem unser Zug Kaschgar verlassen, hält er nur mäßige Geschwindigkeit ein. Am rückwärtigen Horizonte zeigen sich noch die Bergmassen von Pamir, nach Südwesten zu umrahmt das Land der Bolo, das heißt der Gürtel Kaschgariens, aus dem der Tagharma-Gipfel sich in den Wolken verliert.
Ich weiß nicht recht, wie ich die Zeit hinbringen soll. Der Major Noltitz hat die Gebiete, durch die unsre Bahnstrecke führt, noch nicht besucht und ich kann mir also auch nicht nach seinen Dictaten Anmerkungen machen. Der Doctor Tio-King hebt die Nase gar nicht mehr aus seinem Cornaro auf und Pan-Chao scheint mir auch mehr von Paris und von Frankreich als von Peking und China Kenntniß zu haben. Bei seiner Reise nach Europa hat er übrigens den Weg über Suez benutzt und kennt das östliche Turkestan ebensowenig wie Kamtschatka. Immerhin plaudern wir gern mit einander. Er ist ein liebenswürdiger Gefährte, und doch würd' ich etwas weniger Liebenswürdigkeit und etwas mehr Originalität an ihm weit höher schätzen.
Ich sehe mich also darauf angewiesen, von einem Waggon zum andern zu spazieren, auf den Plattformen zu verweilen, den Himmel zu fragen, der übrigens nie Antwort giebt, und da und dorthin zu horchen ....
Sieh' da! Der Komiker und die Soubrette scheinen in lebhafter Unterhaltung zu sein. Ich trete näher ... sie singen mit gedämpfter Stimme. Ich lausche ...
»Ich liebe meine Hühner so sehr ... sehr ... sehr ...
ertönt es von Frau Caterna,
Und ich meine Schafe noch mehr ... mehr ... mehr«
antwortet Herr Caterna, der in allen Sätteln gerecht ist und nöthigenfalls auch Bariton singt.
Das ist das ewige Duett Pipos und Bettinas, das sie bei den späteren Vorstellungen in Shangai recht oft vorzuführen hoffen. Die glücklichen Shangaier! Sie kennen noch nicht einmal die »Mascotte«!
Hier verhandeln auch Fulk Ephrjuell und Miß Horatia mit einem gewissen Eifer und ich erhasche noch das Ende ihres Zwiegespräches.
»Ich fürchte, sagt die Händlerin, in Peking steigen die Haare jetzt im Preise ...[178]
– Und ich, erwidert der Handelsreisende, die Zähne möchten billiger geworden sein. Ah, wenn so ein fröhlicher Krieg ausbräche, wo die Russen den Söhnen des Himmels die Kinnladen zerschlügen ...«
Da seh' nur Einer! Die Leute sollen sich schlagen, nur um dem Hause Strong Bulbul and Co. aus New-York Gelegenheit zu geben, seine Erzeugnisse abzusetzen!
Wahrlich, ich weiß nicht, was ich erfinden soll, und wir haben noch sechs Reisetage vor uns. Der Kukuk hole die ganze Groß-Transasiatische Bahn mit ihrer langweiligen Fahrt! Da geht es doch auf der Pacific-Bahn von New-York nach San Francisco ganz anders her! Mindestens überfallen Rothhäute dann und wann einen Schnellzug, und die Aussicht scalpirt zu werden kann ja nur zu den Annehmlichkeiten der Reise beitragen.
Ei, was hör' ich denn da im Hintergrunde unsers Waggons vortragen oder vielmehr ableiern?
»Es giebt keinen Menschen, von welcher Farbe er auch sei, der sich nicht hüten müßte, zu viel zu essen, um sich gegen die Uebel zu schützen, die aus der Magenüberfüllung hervorgehen. Diejenigen welche mit der Ordnung der öffentlichen Angelegenheiten vertraut sind, sollten darauf sogar noch mehr achten als die andern ...«
Es ist der Doctor Tio-King, der aus seinem Cornaro mit lauter Stimme eine Stelle abliest, um sie sich besser einzuprägen. Das Princip, das der edle Venetianer da aufstellt und den politischen Persönlichkeiten besonders empfiehlt, ist am Ende gar nicht zu verachten. Wenn ich es nun telegraphisch dem französischen Ministerrathe übermittelte? Vielleicht banquetlirten die Herren dann etwas weniger vor allen Leuten ....
Während dieses Nachmittags haben wir, meinem Coursbuche nach, auf einer Holzbrücke den Yamanyar überschritten. Dieser Wasserlauf fällt von den Bergen in Westen aus einer Höhe von mindestens fünfundzwanzigtausend englischen Fuß herab. Und jetzt ist sein Stromgebiet noch durch das Schmelzen des Schnees vergrößert. Zuweilen schlängelt sich der Zug durch dichte Dschungeln, in denen sich, wie Popof behauptet, sehr viele Tiger aufhalten sollen. Sehr viele? ... Mag sein, gesehen hab ich aber keinen. Und doch könnten uns statt der »Rothhäute« die »getigerten Häute« einige Abwechslung verschaffen! Wie viel »Vermischtes« gäbe das für ein Journal! Welches Glück für einen Journalisten! ...[179]
Telegramm:
»Entsetzliches Unglück ... Zug der Groß-Transasiatischen von Tigern überfallen ... Wuthgeheule und Flintenschüsse ... fünfzig Opfer ... ein Kind vor den Augen seiner Mutter zerfleischt« – das Ganze mit den nöthigen Gedankenstrichen colorirt!
Doch nein, die wilden Katzen Turkestans haben mir diese Genugthuung nicht gewährt! Ich behandle sie also – und ich glaube ein Recht darauf zu haben – als unschuldige Hauskater!
Die bisher wichtigsten Stationen waren Yanghi-Hissar, mit zehn Minuten Aufenthalt, und Kizil, wo der Zug eine Viertelstunde verweilte. Hier arbeiten einige Hochöfen, da das Land eisenführend ist, was schon das Wort »Kizil«, das ist »roth«, andeutet.
Das recht fruchtbare Land erscheint mit Getreide, Mais, Reis, Gerste und Leinsaat recht sorgsam angebaut. Ueberall kräftige Haine von Weiden, Maulbeerbäumen und Pappeln. Auf Sehweite hinaus kunstgerecht besäete Felder, die von Canälen bewässert werden, saftige grüne Wiesen mit Heerden von Schafen – kurz, das Ganze halb Normandie und halb Provence, wenn am Horizonte nicht die Bergriesen von Pamir aufragten. Dieser Theil Kaschgariens hat nun ganz entsetzlich durch den Krieg gelitten, zur Zeit, als das Volk um seine Unabhängigkeit kämpfte. Hier ist Blut in Strömen geflossen, und längs der Bahnstrecke zeigen kleine Hügel die Stelle, wo so viele Opfer ihrer Vaterlandsliebe begraben worden sind.
Doch ich bin nicht nach Centralasien gekommen, um auf französischem Boden zu reisen! Etwas Neues, zum Teufel! Etwas Neues, Ueberraschendes, Packendes will ich wissen!
Ohne den Schatten eines Unfalls und bei einem herrlichen Tage fuhr unsre Locomotive um vier Uhr Nachmittags in den Bahnhof von Yarkand ein.
Wenn Yarkand nicht der Regierungssitz des östlichen Turkestan ist, so bildet es doch den wichtigsten Handelsplatz der Provinz.
»Noch einmal zwei verbundene Städte, sag' ich zum Major Noltitz. Ich erfuhr es von Popos ....
– Und diesmal, antwortet der Major, sind es keine Russen gewesen die die neue Sadt erbaut haben.
– Alt oder neu, ruf' ich, ich fürchte, beide gleichen sich wie ein Ei dem andern, denn was wir bereits gesehen haben – eine Mauer aus Lehm mit so[180] und so viel Thoröffnungen, weder Denkmäler der Vorzeit, noch bemerkenswerthe Gebäude – und höchstens die ewigen Bazare des Orients!«
Ich täuschte mich nicht, denn vier Stunden waren viel zu viel für einen Besuch der beiden Yarkands, von denen das neue Yanji-Shar genannt wird. Zum Glück ist es den Einwohnern nicht untersagt, auf den Straßen zu erscheinen, die nur von elenden Lehmhütten eingefaßt sind, so wie ein solches Verbot zur Zeit der »Dadkwahs«, der ehemaligen Gouverneure der Provinz, wirklich bestand.
Sie dürfen sich jetzt das Vergnügen gönnen, zu sehen und gesehen zu werden, und dieses Vergnügen wird auch getheilt von den »Faranguis« – wie die Fremden aus allen Nationen hier genannt werden. Diese Asiaten sind recht hübsche Erscheinungen. Sie tragen alle lange Zöpfe; eine Art Weste überziehen glänzende Streifen, die Unterkleider zeigen helle Farben und bestehen aus Seide von Khotan; die hochschaftigen Stiefeln sind bestickt, und unter einer Art kokett getragenen Turbans quellen schwarze Haare hervor, während die Augenbrauen in der Mitte zusammenstoßen.
Eine Anzahl chinesischer Reisender, die in Yarkand ausgestiegen sind, werden von Fahrgästen gleichen Stammes ersetzt – darunter etwa zwanzig Kulis – und wir fahren um acht Uhr Abends weiter.
Die Nacht geht darüber hin, die dreihundert Kilometer von Yarkand nach Khotan zurückzulegen. Ein kurzer Besuch des ersten Packwagens hat mich überzeugt, daß der Kasten noch an derselben Stelle steht. Ein leichtes Schnarchen verräth, daß Kinko, wie gewöhnlich darin eingeschlossen, ganz ruhig schläft. Ich hab' ihn nicht wecken wollen, und lasse den Burschen von seiner angebeteten Rumänin träumen.
Am nächsten Tage belehrt mich Popof, daß der Zug mit der Geschwindigkeit eines Omnibuszuges durch Kargalik, den Knotenpunkt der Straßen von Kilian und Tong gekommen ist. Die Nacht war frisch, denn wir befinden uns noch in einer Höhe von zwölfhundert Metern. Von der Station Guna aus verläuft die Bahn genau von Westen nach Osten ziemlich dicht am siebenunddreißigsten Breitengrade, der in Europa Sevilla, Syracus und Athen durchschneidet.
Ich habe nur einen einzigen bedeutenden Wasserlauf gesehen, den Karakasch, auf dem sich einige hinabgleitende Flöße zeigen, und lange Reihen von Pferden und Mauleseln, die an seichten Stellen durch das Wasser waten. Dieses kreuzt die[181] Eisenbahn gegen hundert Kilometer von Khotan, wo wir um acht Uhr Morgens ankommen.
Zwei Stunden Aufenthalt, und da diese Stadt einen Vorgeschmack der Himmlischen Städte geben soll, habe ich einen flüchtigen Blick auf sie werfen wollen.
Man könnte hier von einer turkmenischen, aber von Chinesen erbauten, oder von einer chinesischen, aber von Turkmenen erbauten Stadt reden. Gebäude und Bewohner verrathen den doppelten Ursprung. Die Pagoden erscheinen wie verpfuschte Moscheen, und die Moscheen wieder wie verpfuschte Pagoden.
So verwundert es mich auch gar nicht, daß Herr und Frau Caterna, die die Gelegenheit, den Fuß auf chinesischen Boden zu setzen, nicht vorübergehen lassen wollten, etwas enttäuscht aussehen.
»Herr Claudius, redet mich der Comödiant an, hier findet sich keine Decoration, mit der man ›die Einnahme von Peking‹ aufführen könnte.
– Wir sind auch nicht in Peking, lieber Caterna.
– Das ist ja richtig; man muß sich auch mit Wenigem begnügen lernen ....
– Sogar mit dem Allerwenigsten, wie die Italiener sagen.
– Na, und wenn sie das sagen, sind sie gar nicht so dumm!«
Eben als wir in den Wagen steigen wollen, kommt Popof auf mich zugelaufen und ruft:
»Herr Bombarnae ...
– Was giebt es, Popof?
– Ein Telegraphenbote hat mich gefragt, ob sich im Zuge wohl ein Berichterstatter des ›XX. Jahrhundert‹ befände.
– Ein Telegraphenbote? ...
– Ja, und als ich das bestätigte, übergab er mir diese Depesche für Sie.
– Schnell, geben Sie her!«
Ich nehme die Depesche, die mich hier schon einige Tage erwartete. Enthält sie eine Antwort auf mein von Merv aus gesandtes Telegramm bezüglich des Mandarinen Yen-Lou?
Ich reiße die Depesche auf ... durchfliege sie ... und sie sinkt mir aus der Hand.
Sie lautet folgendermaßen:
[182]
Claudius Bombarnac, Reporter XX. Jahrhundert.
Khotan, Chinesisch-Turkestan.
»Ist keine Mandarinenleiche, die Zug nach Peking befördert; ist kaiserlicher Schatz, Werth fünfzehn Millionen, gesendet von Persien nach China, in Pariser Blättern schon seit acht Tagen gemeldet; sich in Zukunft besser unterrichten.«
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