[45] Es war jetzt fast Mitternacht; noch sechs Stunden herrschte vollkommene Finsterniß. Sechs Stunden der Furcht und der Gefahr! Wohl befanden sich Khamis und seine Begleiter hier hinter der sturmfreien Wand der Waldriesen verhältnißmäßig in Sicherheit, doch drohte ihnen ja noch immer eine andere Gefahr. Fast an derselben Stelle hatten ja vorher die vielfachen Feuerpunkte geleuchtet, die später auch noch aus dem hohen Gezweig der Bäume herausschimmerten. Da nun gar nicht zu bezweifeln war, daß eine Rotte Eingeborner hier gelagert hatte, blieb auch jetzt noch ein Ueberfall zu befürchten, gegen den jede Abwehr unmöglich schien.
»Achtung nun!... Scharf aufpassen! sagte der Foreloper, als er nach dem erschöpfenden Wettrennen wieder zu Athem gekommen war und die anderen sich soweit erholt hatten, daß sie ihm antworten konnten.[45]
– Ja, wir wollen wachsam sein, antwortete John Cort, und uns bereit halten, einen Angriff abzuschlagen. Die Nomaden können nicht fern von hier sein. An dieser Stelle des Waldsaumes hatten sie gerastet, hier sind auch noch die Ueberreste eines Feuers, worin noch einzelne Funken glimmen.«
Wirklich zeigte sich in der Entfernung von fünf bis sechs Schritten ein Häuschen mattglühender Asche, aus der ein rother Schein hervorleuchtete.
Max Huber erhob sich, das Gewehr schußfertig haltend, und drang in das Dickicht unter den Bäumen ein.
Khamis und John Cort standen bereit, ihm im Nothfalle Hilfe zu bringen.
Max Huber blieb jedoch nur drei oder vier Minuten aus. Er hatte nichts Verdächtiges bemerkt, nichts erlauscht, was auf die Gefahr eines unmittelbar drohenden Angriffs hingedeutet hätte.
»Dieser Theil des Waldes ist thatsächlich verlassen, erklärte er. Die Eingebornen haben ihn sicherlich geräumt.
– Vielleicht sind sie selbst entflohen, als sie die heranstürmenden Elefanten wahrgenommen hatten, bemerkte John Cort.
– Vielleicht, denn die Feuer, die wir, Herr Huber und ich, gesehen haben, sagte Khamis, verloschen in dem Augenblicke, wo im Norden das Getöse von der Dickhäuterherde zuerst erschallte. Wer weiß, ob sie es aus Klugheit oder nur aus Furcht gethan haben. Die Leute mußten doch wohl aus Erfahrung wissen, daß sie hinter den Bäumen in Sicherheit waren. Ich kann mir kaum erklären...
– Was überhaupt unerklärlich ist, fiel ihm Max Huber in's Wort, und übrigens ist die Nacht auch nicht die rechte Zeit für langathmige Erklärungen. Wir wollen dazu den Tag abwarten, ich muß aber gestehen, daß es mich die größte Mühe kosten wird, wach zu bleiben... die Augen fallen mir jetzt schon von selbst zu.
– Es ist jedoch ein schlecht gewählter Augenblick zum Schlafen, lieber Max, hielt ihm John Cort entgegen.
– So schlecht wie möglich, lieber John, doch der Schlaf gehorcht nicht, er befiehlt. Gute Nacht also und auf morgen!«
In der nächsten Minute war Max Huber, der sich am Fuße eines Baumes ausgestreckt hatte, in tiefen Schlaf versunken.
»Leg Du Dich neben ihn, Llanga, sagte John Cort. Khamis und ich, wir werden schon bis zum Morgen wachen.[46]
– Dazu bin ich allein genügend, Herr Cort, antwortete der Foreloper. Ich bin an so etwas gewöhnt, und empfehle Ihnen, es Ihrem Freunde gleichzuthun.«
Auf Khamis konnte man sich ja verlassen: er würde keine Minute unaufmerksam sein.
Llanga legte sich neben Max Huber nieder. John Cort wollte seiner Müdigkeit trotzen. Eine Viertelstunde unterhielt er sich noch mit dem Foreloper. Beide sprachen von dem unglücklichen Portugiesen, mit dem Khamis schon lange in Verbindung gestanden hatte, und dessen vortreffliche Eigenschaften auch im Laufe des letzten Zuges häufig genug hervorgetreten waren.
»Der Unglückliche, meinte Khamis, hatte den Kopf verloren, sobald er sich von den schurkischen, feigen Trägern verlassen und beraubt sah.
– Der arme Mann!« murmelte John Cort.
Das waren aber die letzten Worte, die er sprach. Von der Müdigkeit überwältigt, sank er auf das Gras nieder und schlief auch sofort ein.
Khamis wachte bis zum Tagesanbruch. Er allein hielt die Augen offen, lauschte gespannten Ohres auf das leiseste Geräusch, während er immer das Gewehr bei der Hand hatte. Sein Blick suchte die finstere Umgebung zu erkennen, zuweilen erhob sich der Mann, um da und dort sich zu überzeugen, wie es unter den Bäumen der nächsten Umgebung aussah, und immer blieb er bereit, seine Gefährten rasch zu wecken, wenn es nöthig werden sollte, sich zu vertheidigen.
Aus einzelnen Zügen hat der Leser bereits erkennen können, welcher Unterschied im Charakter der beiden Freunde, des Franzosen und des Amerikaners, herrschte.
John Cort war sehr ernster und praktischer Natur, was man ja gewöhnlich an den eingebornen Bewohnern Neuenglands beobachtet. Ein in Boston geborner Yankee, hatte er von einem solchen doch nur die rühmenswerthen Eigenschaften an sich. Mit Vorliebe beschäftigte er sich mit Fragen der Geographie und Anthropologie, und das Studium der verschiedenen Menschenrassen interessierte ihn im höchsten Grade. Mit diesen Vorzügen vereinigte er einen großen Muth und wäre für die, die er seine Freunde nannte, gewiß der äußersten Aufopferung fähig gewesen.
Max Huber, ein Pariser Kind, und ein solches noch immer auch in den fernen Ländern, wohin ihn der Zufall im Leben verschlagen hatte, stand an Kopf und Herz gegen John Cort nicht zurück. Er war dagegen weniger praktischen[47] Sinnes, man hätte sagen können, er »lebte in Versen,« während John Cort »in der Prosa« lebte. Sein Temperament verlockte ihn zu den außergewöhnlichsten Dingen. Wie sich schon gezeigt hat, hätte er sich gern zu den bedauerlichsten Unbesonnenheiten verleiten lassen, sobald seine Phantasie ihm ein merkwürdiges Ziel vorgaukelte, wenn sein klug abwägender Begleiter ihn nicht davon zurückgehalten hätte. Seit der Abreise aus Libreville war dazu schon wiederholt Gelegenheit gewesen.
Libreville ist die Hauptstadt des französischen Congogebiets. Am linken Ufer der Gabonmündungen 1849 gegründet, zählt es jetzt zwischen fünfzehn- und sechszehnhundert Einwohner. Es ist der Sitz des Gouverneurs der Colonie, andere eigentliche Gebäude als das Wohnhaus des hohen Beamten darf man hier freilich nicht suchen. Höchstens wäre noch das Krankenhaus und die Niederlassung der Missionäre zu nennen; im übrigen besteht die Stadt dann aber, in ihren dem Handel und der Industrie dienenden Theilen, aus Kohlenschuppen, Magazinen und aus den Werftanlagen.
Drei Kilometer von der Hauptstadt liegt jedoch eine Art Vorort, das Dorf Glaß, wo sich blühende deutsche, englische und amerikanische Factoreien befinden.
Hier hatten sich Max Huber und John Cort vor fünf oder sechs Jahren kennen gelernt und bald mit einander Freundschaft geschlossen. Ihre Familien waren an der amerikanischen Factorei in Glaß ziemlich stark betheiligt, und an dieser nahmen beide jungen Männer mehr hervorragende Stellungen ein. Das Etablissement stand in voller Blüthe; es war dem Handel mit Elfenbein, Arachidenöl, Palmenwein und sonstigen Erzeugnissen des Landes gewidmet, z. B. dem mit der lösend und belebend wirkenden Gurunuß, mit der Kaffabeere, die ein durchdringendes Aroma und stärkende Eigenschaften hat, u. s. w. Alle diese Erzeugnisse wurden in großer Menge nach den Märkten Europas und Amerikas ausgeführt.
Vor drei Monaten hatten nun Max Huber und John Cort den Plan entworfen, die östlich vom französischen Congo und von Kamerun gelegenen Gebiete zu besuchen. Bei ihrer ausgesprochenen Jagdlust zögerten sie keinen Augenblick, sich einer Karawane anzuschließen, die eben im Begriffe war, von Libreville aufzubrechen, um nach diesen Landestheilen zu ziehen, wo es, vorzüglich jenseit des Bahar-el-Abiad bis zu den Grenzen von Baghirmi und Darfur, noch sehr viele Elefanten giebt. Beide kannten den Leiter dieser Karawane, den Portugiesen[48] Urdax, der aus Loango gebürtig war und allgemein für einen erfahrenen Händler galt.
Urdax hatte seiner Zeit zu der Gesellschaft von Elfenbeinjägern gehört, der Stanley, als sie eben aus dem nördlichen Congogebiete zurückkehrte, zwischen 1887 und 1889 bei Ipoto begegnet war. Der Portugiese stand aber nicht in dem schlechten Rufe seiner Genossen, die – wenigstens die meisten – unter dem Vorwande, Elefanten zu jagen, die Eingebornen niedermetzeln, um sie zu berauben, so daß, wie der unerschrockene Erforscher Aequatorial-Afrikas sich[49] ausdrückt, das Elfenbein, das sie heimbrachten, gewöhnlich mit Menschenblut besudelt war.
Nein, ein Franzose und ein Amerikaner konnten, ohne sich etwas zu vergeben, der Gesellschaft Urdaxens und auch des Forelopers beitreten, des Führers der Karawane, den wir unter dem Namen Khamis kennen gelernt haben und auf dessen Ergebenheit und Eifer man sich unter allen Umständen verlassen konnte.
Der Jagdzug war, wie der Leser weiß, bisher recht erfolgreich gewesen. Des Klimas schon gewöhnt, hatten John Cort und Max Huber die Mühsal und die Anstrengungen der Reise ganz vorzüglich ausgehalten. Wenn auch etwas abgemagert, waren sie auf dem Rückwege völlig wohlauf, als der unglückliche Zwischenfall ihren weiteren Zug so grauenvoll unterbrach. Jetzt, wo sie noch bis Libreville eine Strecke von reichlich zweitausend Kilometern zurückzulegen hatten, fehlte ihnen sogar der Leiter der ganzen Karawane.
Den »Großen Wald« hatte Urdax den Wald von Ubanghi, dessen Grenzen sie eben überschritten hatten, genannt, und seine Ausdehnung rechtfertigte auch diesen Namen.
In den bekannten Theilen der Erde giebt es mehrfach solche mit Millionen von Bäumen bedeckte und so große Flächen, daß die meisten Staaten Europas darauf bequem Platz fänden.
Unter den ausgedehntesten Waldgebieten der Welt nennt man vor allem vier, die in Nordamerika, in Südamerika, in Sibirien und in Centralafrika zu suchen sind.
Der erste erstreckt sich in nördlicher Richtung bis zur Hudsonbai und zur Halbinsel Labrador hinauf, und bedeckt, in den Provinzen Quebec und Ontario, nördlich vom Lorenzostrome, ein Gebiet von zweitausendsiebenhundertfünfzig Kilometer Länge und sechzehnhundert Kilometer Breite.
Der zweite findet sich im nordwestlichen Brasilien im Thale des Amazonenstromes in einer Ausdehnung von dreitausenddreihundert Kilometer Länge bei zweitausend Kilometer Breite.
Der dritte, mit den Seitenlängen von viertausendachthundert und zweitausendsiebenhundert Kilometern, ragt mit seinen ungeheueren, bis hundertfünfzig Fuß hohen Coniferen (Nadelhölzern) im mittleren Theile von Sibirien empor, und zwar vom Becken des Obi im Westen an bis zum Thale des Indighiska im Osten, einer Gegend, die vom Jenissei, vom Olamk und von der Lena und Yana bewässert wird.[50]
Der vierte endlich reicht vom Congothale bis zu den Quellen des Nils und des Sambesi; er umfaßt eine fast unbegrenzte Fläche, wahrscheinlich eine größere, als einer der anderen Riesenwälder. Hier dehnt sich die ungeheuere, noch fast unbekannte Landmasse aus, der mittlere zu beiden Seiten des Aequators liegende Theil Afrikas, der im Norden des Congo und des Oguë wohl eine Million Quadratkilometer – zweimal die Oberfläche Frankreichs – einnimmt.
Wie früher erwähnt, hatte der Portugiese Urdax niemals beabsichtigt, durch diesen Wald zu ziehen, sondern er wollte ihn nach Westen zu, umgehen. Wie hätten auch der Wagen und das Ochsengespann inmitten dieses Labyrinths vorwärts kommen können! Eine Verlängerung ihres Marsches um einige Tage in den Kauf nehmend, sollte die Karawane an dessen Saume hin einem bequemen Wege folgen, der nach dem rechten Ufer des Ubanghi führte, von dem aus dann die Factoreien von Libreville ohne Schwierigkeit zu erreichen waren.
Jetzt hatte sich die Sachlage freilich geändert. Das Hinderniß eines zahlreichen Personals und eines umfänglichen Gepäcks war plötzlich weggefallen... jetzt war von keinem Wagen, keinem Ochsen, von keinem Lagermaterial mehr die Rede... nur drei Männer und ein Knabe – ein halbes Kind – waren noch übrig, und diesen fehlte es für die fünfhundert Lieues bis zur Küste des Atlantischen Oceans an jedem Transportmittel.
Was sollte nun geschehen? Sollten sie dem von Urdax vorgeschlagenen Wege nachgehen, oder etwa, wenn auch unter ungünstigen Verhältnissen, als Fußgänger versuchen, schräg durch den Wald zu dringen, wo Begegnungen mit Nomaden weniger zu fürchten waren und wodurch der Weg nach dem französischen Congogebiet nicht unbeträchtlich abgekürzt wurde?
Das war die nächstliegende wichtigste Frage, die am folgenden Morgen, wenn Max Huber und John Cort erwacht wären, erwogen und entschieden werden mußte.
Khamis hatte die langen Stunden über redlich Wacht gehalten. Kein Zwischenfall hatte die Ruhe der Schläfer gestört oder einen nächtlichen Ueberfall befürchten lassen. Wiederholt war der Foreloper, den Revolver in der Hand, ein Stück weit hineingegangen und hatte sich durch das Buschwerk geschlichen, sobald er in der Umgebung ein verdächtiges Geräusch vernahm. Immer war es nur das Abbrechen eines abgestorbenen Zweiges gewesen, der Flügelschlag eines großen Vogels, der sich in den Baumkronen bewegte, das Stapfen eines Wiederkäuers in der Nähe des Halteplatzes, oder es hatte von dem unbestimmbaren[51] Waldesraunen hergerührt, wenn der Nachtwind das obere Laubdach bewegte.
Sobald die beiden Freunde die Augen aufschlugen, waren sie auch schon auf den Füßen.
»Wie steht es mit den Eingebornen? lautete John Cort's erste Frage.
– Sie sind nicht wieder sichtbar geworden, erwiderte Khamis.
– Finden sich denn keine Spuren von ihrem Wegzuge?
– Das wäre wohl möglich, Herr Cort, wahrscheinlich näher am Rande...
– Wir wollen uns gleich davon überzeugen, Khamis.«
Alle drei, und mit ihnen Llanga, gingen nach der Seite der Ebene hin. Dreißig Schritte weiter fehlte es nicht an den vermutheten Merkzeichen: vielfache Fußabdrücke, am Fuße der Bäume niedergetretenes Gras, halb verbrannte harzige Zweige, Aschenhausen, worin noch immer einzelne Funken glitzerten, Dorngestrüpp, aus dem da und dort noch ein leichter Rauch aufwirbelte. Im übrigen aber fand sich kein menschliches Wesen unter den Bäumen oder an den Stellen, wo sich fünf bis sechs Stunden vorher die schwankenden Flammen gezeigt hatten.
»Davongezogen... sagte Max Huber.
– Oder sie haben sich wenigstens von hier entfernt, meinte Khamis, und ich glaube, wir haben hier nichts mehr zu befürchten...
– Na, wenn die Eingebornen sich auch entfernt haben, bemerkte John Cort, so sind die Elefanten wenigstens ihrem Beispiele nicht gefolgt.«
In der That tummelten sich die mächtigen Pachydermen noch immer in der Nähe des Waldes umher. Manche davon bemühten sich hartnäckig, die Bäume am Rande durch Anprallen daran umzustürzen. Was die Tamarindengruppe anging, konnten Khamis und seine Leidensgefährten erkennen, daß sie völlig umgelegt war. Der seiner Baumzierde beraubte Hügel bildete nur noch eine leichte Erhebung über der Fläche der Ebene.
Auf den Rath des Forelopers hin vermieden es John Cort und Max Huber, sich zu zeigen, in der Hoffnung, daß sich auch die Elefanten davontrollen würden.
»Das würde uns gestatten, noch einmal nach dem Lager zurückzukehren, sagte Max Huber, und dort die Ueberreste unserer Habseligkeiten zu sammeln, vielleicht einige Kistchen mit Conserven, Munition...
– Und dazu, fiel John Cort ein, könnten wir dem unglücklichen Urdax ein ehrliches Begräbniß bereiten.[52]
– An alles das ist nicht zu denken, so lange die Elefanten sich noch am Saume des Waldes tummeln, erklärte Khamis. Was übrigens das Material aller Art betrifft, so dürfte das wohl in formlose Trümmer verwandelt sein.«
Der Foreloper sollte recht behalten, und da die Elefanten keine Anstalt machten, abzuziehen, handelte es sich nun darum, zu entscheiden, was begonnen werden sollte. Khamis, John Cort und Max Huber kehrten also nach dem Ruheplatze zurück.
Dabei gelang es Max Huber noch, ein hübsches Stück Wild zu erlegen, das die Ernährung der kleinen Gesellchaft für zwei bis drei Tage zu sichern versprach.
Es war ein Inyala, eine Art Antilope mit grauem, von braunen Haaren durchsetztem Fell, ein ziemlich großes Exemplar männlichen Geschlechts, mit gewundenen Hörnern und mit einer Art Mähne an der Brust und der Unterseite des Leibes. Die Kugel hatte das Thier getroffen, als dieses gerade den Kopf durch das Gesträuch vorstreckte.
Der Inyala mochte zweihundertfünfzig bis dreihundert Pfund wiegen. Als er ihn zusammenbrechen sah, war Llanga wie ein Jagdhund darauf zugelaufen. Natürlich konnte er ein so schweres Stück Wild nicht allein tragen und man mußte ihm dabei zu Hilfe kommen.
Der in solchen Dingen geübte Foreloper zerlegte das Thier und behielt davon nur die brauchbaren Stücke zurück, die nach einem schnell zurecht gemachten Feuerherd geschafft wurden. John Cort schüttete einen Armvoll dürres Holz auf, das in wenigen Minuten hell aufflackerte. Nachdem sich dann eine Schicht glühender Kohlen gebildet hatte, legte Khamis mehrere Schnitte des leckeren Fleisches darauf.
Auf Conserven und Zwieback, wovon die Karawane viele Büchsen und Kisten mit sich geführt hatte, mußte man freilich verzichten; jedenfalls hatten die entflohenen Träger sich auch diese Vorräthe angeeignet. Zum Glück ist in den wildreichen Wäldern Centralafrikas ein Jäger immer in der Lage, die nöthige Nahrung zu erbeuten, wenn er sich nur mit gebratenem oder geröstetem Fleisch begnügt.
Dazu gehört natürlich, daß ihm die Munition nicht ausgeht. John Cort, Max Huber und Khamis waren nun jeder mit einem Präcisionsgewehr und einem Revolver ausgerüstet. Diese Feuerwaffen konnten ihnen bei geschickter Benutzung große Dienste leisten, nur machte es sich nöthig, die Patronentaschen ordentlich zu füllen. Alles in allem verfügten sie aber, obwohl sie vor dem[53] Verlassen des Wohnwagens ihre Taschen gehörig vollgestopft hatten, doch nicht über mehr als fünfzig Schuß. Das war, wie man zugeben wird, ein dürftiger Vorrath, vorzüglich wenn die Wanderer auf dem sechshundert Kilometer langen Wege bis zum rechten Ubanghiufer auch noch in die Nothlage kamen, sich gegen Raubthiere oder nomadisierende Eingeborne zu vertheidigen. Von dem genannten Flusse aus konnten sich Khamis und seine Begleiter entweder in den Dorfschaften und den Niederlassungen der Missionäre, oder auch an Bord von Flottillen, die den großen Nebenfluß des Congo befahren, leicht mit allem nöthigen versorgen.
Nachdem sie sich an dem Fleische des Inyala tüchtig gesättigt und sich mit dem klaren Wasser eines zwischen den Bäumen verlaufenden Baches erquickt hatten, traten alle drei zur Berathschlagung ihrer weiteren Schritte zusammen.
John Cort begann die Verhandlung mit folgenden Worten:
»Bisher, Khamis, ist Urdax unser Leiter und Chef gewesen. Er hat uns stets bereit gefunden, seinen Rathschlägen zu folgen, denn wir hatten auf ihn ein unbedingtes Vertrauen. Dasselbe Vertrauen flößen Sie uns durch Ihren Charakter und Ihre Erfahrung ein. Erklären Sie, was Sie, in der Lage, worin wir uns befinden, zu thun für richtig halten, und Sie dürfen unserer Zustimmung sicher sein.
– Gewiß, bekräftigte Max Huber die Worte seines Freundes, darüber wird zwischen uns niemals ein Zwiespalt aufkommen.
– Ihnen, Khamis, ist das Land hier bekannt, fuhr John Cort fort. Seit einer Reihe von Jahren haben Sie Karawanen durch diese Gebiete, und zwar mit einer Ergebenheit geführt, die wir selbst an Ihnen schätzen zu lernen Gelegenheit hatten. An diese Ergebenheit, diese Treue appellieren auch wir, und ich weiß, daß wir damit keine Fehlbitte thun.
– Herr Cort und Herr Huber, Sie können auf mich rechnen«, erwiderte der Foreloper einfach.
Er drückte die ihm entgegengestreckten Hände der jungen Männer und reichte auch Llanga noch die Hand.
»Was ist nun Ihre Ansicht? nahm John Cort wieder das Wort. Sollen wir, wie Urdax es wollte, den Wald an der Westseite umwandern oder nicht?
– Wir müssen vielmehr durch diesen ziehen, erklärte der Foreloper ohne Zögern. Dabei werden wir vor unliebsamen Begegnungen mehr geschützt sein. Auf wilde Thiere könnten wir ja treffen, auf Eingeborne aber nicht. Weder Pahuins oder Denkas, noch Funds oder Bughos haben sich jemals in dessen[54] Inneres gewagt, so wenig wie überhaupt eine Völkerschaft aus Ubanghi. Auf der Ebene sind wir, vorzüglich durch Nomaden, weit mehr Gefahren ausgesetzt. Durch den Wald hier, in dem eine Karawane mit ihren Zugthieren niemals vorwärts käme, können sich Fußgänger schon einen Weg bahnen. Ich wiederhole also: brechen wir nach Südwesten hin auf, und ich habe die beste Hoffnung, daß wir damit die Fälle des Congo glücklich erreichen.«
Diese Stromschnellen unterbrechen den Lauf des Ubanghi an dem Winkel, den der Strom da beschreibt, wo er sich von Westen nach Süden zu wendet. Bis dahin soll sich den Berichten von Reisenden nach auch der große Wald ausdehnen. Weiterhin braucht man nur den Ebenen unter der Parallele des Aequators zu folgen, und da ist es, dank den zahlreichen, diese durchziehenden Karawanen, immer leicht, Proviant und sogar Transportmittel zu erhalten.
Der Rathschlag Khamises war gewiß klug zu nennen. Der Weg, den er empfahl, mußte auch die Wanderung bis zum Ubanghi wesentlich abkürzen. Die ganze Frage hing nur an den Hindernissen, die dieser tiefe Wald etwa bieten könnte. Daß ein gangbarer Pfad hindurch vorhanden wäre, darauf war gar nicht zu rechnen... vielleicht enthielt er nur einzelne Fährten von wilden Thieren, wie von Büffeln, Rhinocerossen und andern plumpen Säugethieren. Der Erdboden war gewiß vielfach mit Gesträuch bedeckt, was die Anwendung einer Axt verlangte, während der Foreloper nur ein kleines Beil bei sich trug und die anderen nur mit ihren Waidmessern ausgerüstet waren. Lange Verzögerungen würde der Marsch trotzdem aber wohl nicht erfahren.
Als diese Einwürfe abgethan waren, wollte John Cort keinen Augenblick mehr zögern. Was die Schwierigkeit betraf, unter den Bäumen, die kaum ein Sonnenstrahl durchdrang, die nöthige Richtung einzuhalten, darüber brauchte man sich keine große Sorge zu machen.
Eine Art Instinkt, der mit dem der Thiere verwandt sein muß – eine unerklärliche Naturgabe, die man auch bei manchen Menschenrassen beobachtet – ermöglicht es unter anderen den Chinesen, doch auch verschiedenen wilden Völkerschaften des »Fernen Westens« (in Nordamerika), sich mehr mit Hilfe des Gehörs und Geruchs, als mit der der Augen, zurecht zu finden und die einzuschlagende Richtung an mancherlei unscheinbaren Zeichen zu erkennen. Khamis besaß nun diese Orientierungsgabe in hervorragendem Maße und hatte davon wiederholt schon entscheidende Beweise abgelegt. Einigermaßen konnten sich der Franzose und der Amerikaner auf diese mehr physische als intellectuelle Befähigung verlassen,[55] die nur selten fehlgeht, auch wenn es nicht möglich ist, den Stand der Sonne zu beobachten.
Bezüglich der sonstigen Schwierigkeiten, die der Wald bieten könnte, bemerkte der Foreloper:
»Ich weiß, Herr John, daß wir nirgends einen Pfad, sondern nur einen von Gestrüpp, dürrem Holz und vor Alter umgestürzten Bäumen bedeckten Erdboden finden werden... das sind aber leicht überwindliche Hindernisse. Meinen Sie aber nicht, daß ein so ausgedehnter Wald nicht auch von manchen[56] Flüssen bewässert sein müsse, die dann nur Zuflüsse des Ubanghi sein könnten?
– Fände sich darin nur der Wasserlauf, der östlich vom Hügel verlief, bemerkte Max Huber. Er hatte die Richtung nach dem Walde, und warum sollte er da nicht zu einem wirklichen Flusse werden?... Dann erbauten wir uns ein Floß... aus einigen, mit einander verbundenen Baumstämmen...
– Halt, halt, bester Freund, unterbrach ihn John Cort, laß Dich nur von Deiner Phantasie nicht gleich auf dem Flusse dahintragen, den wir nur vermuthen...[57]
– Herr Huber hat schon recht, erklärte Khamis. Weiter im Westen werden wir auf einen Wasserlauf treffen, der sich in den Ubanghi ergießen muß.
– Das mag ja sein, erwiderte John Cort, doch wir kennen sie schon, diese Art afrikanischer Flüsse, die meist nicht schiffbar sind.
– Du erblickst immer und überall nur Schwierigkeiten, lieber John...
– Besser, man erkennt solche zu früh, als zu spät, Freund Max!«
John Cort's Erwiderung war ganz zutreffend. Die Ströme und Flüsse Afrikas bieten keinesweges dieselben Vortheile, wie so viele in Amerika, Asien und Europa. Man zählt an Hauptströmen vier: den Nil, den Sambesi, den Congo und den Niger. Diese werden von sehr vielen, ein dichtes Netz bildenden Nebenflüssen gespeist. Trotz dieser scheinbar günstigen Anordnung erleichtern sie die Züge ins Innere des Schwarzen Erdtheils doch nur in recht beschränktem Maße. Nach den Berichten aller Reisenden, die ihr Forschereiser durch diese grenzenlosen Gebiete geführt hat, lassen sich die afrikanischen Ströme mit dem Mississippi, dem St. Lorenzo, der Wolga, dem Irauaddy, dem Brahmaputra, dem Ganges und dem Indus keineswegs vergleichen. Ist ihr Stromlauf auch eben so lang, wie der der genannten, so ist ihr Wasserreichthum doch weit geringer, und schon in kurzer Entfernung von ihrer Mündung können sie nur noch Schiffe von sehr mäßigem Tonnengehalt tragen. Außerdem werden sie von Untiefen, von Stromschnellen und Fällen unterbrochen, die von einem Ufer bis zum anderen reichen, und an den Stromschnellen fließen sie oft so reißend dahin, daß kein Fahrzeug dagegen aufzukommen vermag. Hierin ist eine der Ursachen zu suchen, die größere Erfolge bezüglich der Erforschung des Innern von Afrika bisher vereitelt haben.
Khamis konnte nicht bestreiten, daß der Einwurf John Cort's berechtigt sei. Alles in allem war er aber doch nicht gewichtig genug, den Vorschlag des Forelopers, der ja auf anderen Seiten greifbare Vortheile bot, etwa gar abzulehnen.
»Treffen wir auf einen Wasserlauf, meinte er, so fahren wir darauf hinunter, so weit das eben möglich ist. Lassen sich etwaige Hindernisse umgehen, so thun wir es. Anderenfalls nehmen wir unsere Wanderung wieder auf...
– O, ich habe gegen Ihren Vorschlag selbst auch gar nichts einzuwenden, Khamis, antwortete John Cort, ich denke vielmehr, es wird weitaus das beste sein, nach dem Ubanghi längs eines seiner Nebenflüsse oder vielmehr auf einem solchen zu gelangen, wenn das irgend ausführbar ist.«[58]
Als die Behandlung der Frage bis zu diesem Punkte gekommen war ließen sich ihr nur noch zwei Worte anschließen:
»Vorwärts also!« rief Max Huber.
Seine Gefährten wiederholten alle den Aufruf.
Gerade Max Huber paßte der angenommene Plan ja vortrefflich, sich in den ungeheueren Wald zu begeben, den noch keiner durchmessen haben sollte oder der vielleicht gar undurchdringlich war. Vielleicht erlebte er dabei das ganz »Außerordentliche«, worauf er in den Gebieten des oberen Ubanghi vergeblich gehofft hatte.
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