Siebzehntes Capitel.

[196] Nach dem Inhalte des Gesprächs zwischen dem Baron und Orfanik sollte die Explosion das Schloß erst zerstören, nachdem Rudolph von Gortz daraus entflohen wäre. Zu der Zeit aber, wo diese erfolgte, schien es ganz unmöglich, daß er Frist genug gewonnen hätte, den nach dem Vulcanrücken führenden Tunnel zu erreichen. Hingerissen von seinem Schmerze und im Wahnsinn der Verzweiflung nicht mehr wissend, was er that, hatte Rudolph von Gortz eine sofortige Katastrophe herbeigeführt, zu deren ersten Opfern er höchst wahrscheinlich zählte. Nach den unverständlichen Worten, die ihm entfuhren, als Rotzko den Kasten in seinen Armen zerschmettert hatte, mochte er sich wohl freiwillig unter den Ruinen der Burg begraben haben.[196]

Jedenfalls war es ein Glück zu nennen, daß die durch den Gewehrschuß Rotzko's überraschten Polizeisoldaten sich noch in gewisser Entfernung befanden, als die Explosion die ganze Bergmasse erschütterte. Nur wenige wurden von den Trümmern verletzt, die bis zum Rande des Plateaus des Orgall niederfielen. Rotzko und der Forstwächter befanden sich dabei allein nahe der Verbindungsmauer, und es war ein Wunder zu nennen, daß sie nicht unter diesem Regen von Steinen zermalmt wurden.

Die Explosion hatte also schon die Zerstörung vollbracht, als es Rotzko, Nic Deck und den Polizisten jetzt ohne große Mühe gelang, die Umwallung von dem, durch die geborstenen Mauern halb ausgefüllten Graben aus zu ersteigen.

Fünfzig Schritte hinter der Verbindungsmauer wurde inmitten der Trümmer am Fuße des Wartthurms zuerst ein todter Körper gefunden.

Es war der Rudolphs von Gortz. Einige ältere Bewohner der Nachbarschaft, darunter Meister Koltz, erkannten ihn sofort wieder.

Rotzko und Nic Deck bemühten sich freilich in erster Linie, den jungen Grafen zu entdecken. Da Franz nach der mit seinem Diener verabredeten Frist nicht erschienen war, mußte er aus dem Schlosse nicht wieder haben entkommen können.

Rotzko wagte jedoch nicht zu hoffen, daß er noch lebe, daß er nicht ein Opfer dieser Katastrophe geworden sei; schwere Thränen rollten über seine Wangen herab, und Nic Deck vermochte ihn nicht zu beruhigen.

Nach halbstündigem Suchen wurde der junge Graf jedoch im ersten Stockwerk des Thurmes unter einem Deckenbogen gefunden, der ihn davor geschützt hatte, erdrückt zu werden.

»Mein Herr... mein armer Herr!

– Herr Graf!...«

Das waren die ersten Worte, die Rotzko und Nic Deck ausstießen, als sie sich über Franz neigten. Sie mußten ihn für todt halten, während er nur bewußtlos war.

Nic Deck, der den jungen Grafen aufgehoben hatte, sprach noch auf ihn, erhielt aber keine Antwort.

Nur die letzten Worte der Sängerin entschlüpften den bleichen Lippen des so wunderbar Geretteten, die Worte:


Innamorata... Voglio morire...


Franz von Telek war dem Wahnsinn verfallen.[197]

Quelle:
Jules Verne: Das Karpathenschloß. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXI, Wien, Pest, Leipzig 1894, S. 196-198.
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