Einundzwanzigstes Capitel.
Auf dem Lande. – Ein Gespräch zwischen Fritz und dem Obersteuermann. – Ruhige Nacht. – Das Aussehen der Küste. – Entmuthigender Eindruck. – Ein Ausflug. – Die Höhlen. – Der Bach. – Das Vorgebirge. – Häusliche Einrichtung.

[307] Endlich hatten die Verlassenen festen Boden unter den Füßen. Während der so beschwerlichen und mit Gefahr verknüpften zweiwöchigen Seefahrt war keiner von ihnen der Erschöpfung oder den Entbehrungen unterlegen, wofür sie dem Himmel von Herzen dankbar waren. Nur der vom Fieber befallene Kapitän Gould hatte grausam zu leiden Trotz seiner Kraftlosigkeit schien sein Leben jedoch nicht bedroht zu sein, und vielleicht genügten einige Tage wirklicher Ruhe, ihn vollkommen wieder herzustellen.

Jetzt, wo Fritz und seine Gefährten glücklich gelandet, wo sie Sturm und Wetter nicht mehr ausgesetzt waren und nicht mehr ins Ungewisse hineinfuhren, drängte sich zunächst die Frage auf, welches Land sie eigentlich erreicht hätten.

Welches es jedoch auch sein mochte, die Neue Schweiz – wo die »Flag« ohne die Meuterei Robert Borupt's und der Mannschaft zur berechneten Zeit jedenfalls eingetroffen wäre – die ersehnte Neue Schweiz war es leider nicht. Was mochte nun dieses unbekannte Ufer an Stelle der Annehmlichkeiten Felsenheims zu bieten haben?

Augenblicklich war es nicht an der Zeit, sich darüber Betrachtungen und Vermuthungen hinzugeben. Bei dem herrschenden nächtlichen Dunkel ließ sich ja nichts genauer erkennen, außer dem Strande mit einem hohen Steilufer dahinter und einer Art Felsenmauer an den Seiten. Unter diesen Verhältnissen beschloß man, bis zum Sonnenaufgang doch noch einmal in der Schaluppe zu übernachten. Fritz und der Obersteuermann übernahmen bis zum Morgen die Wache; es war ja möglich, daß die Küste hier von Eingeborenen besucht wurde, und deshalb galt es, streng auf der Hut zu sein. Ob das Land dem australischen Continent oder einer pacifischen Insel angehörte, jedenfalls verlangte die Klugheit größte Vorsicht, um im Fall eines Angriffes draußen auf dem Meere Rettung suchen zu können.

Jenny, Doll und Suzan nahmen also ihren Platz neben dem Kapitän Gould wieder ein. Dieser wußte übrigens davon, daß die Schaluppe an ein[307] Land gelangt war. – Franz und James streckten sich zwischen den Bänken aus, bereit, beim ersten Alarmruf des Obersteuermannes aufzuspringen. Bei ihrer Erschöpfung fielen sie zunächst aber schnell in tiefen Schlummer.

Fritz und John Block setzten sich im Hintertheile nieder und unterhielten sich mit gedämpfter Stimme.

»Da wären wir ja im Hafen, Herr Fritz, begann der alte Seemann, ich wußte ja, daß uns das schließlich gelingen werde. Wenn's auch eigentlich kein Hafen ist, werden Sie doch zugeben, daß wir hier besser liegen, als wenn wir weiter draußen inmitten der Risse ankerten. Für die Nacht ist unser Fahrzeug in Sicherheit; morgen werden wir ja sehen...

– Ich beneide Sie um Ihre Zuversicht, lieber Block, antwortete Fritz. Die ganze Gegend flößt mir wenig Vertrauen ein, und unsere Lage an einer völlig unbekannten Küste ist doch keineswegs eine befriedigende.

– Diese Küste ist aber doch immer eine Küste, Herr Zermatt. Sie hat Buchten, Strandflächen und Felsen, gleicht darin den meisten anderen und wird, denk' ich, unter unseren Füßen nicht versinken. Ob wir sie wieder verlassen oder uns hier zu längerem Verweilen einrichten, das mag später entschieden werden.

– Auf jeden Fall, Freund Block, hoffe auch ich, daß wir uns zur Weiterfahrt nicht eher genöthigt sehen werden, als bis unser Kapitän sich durch längeres Ausruhen gründlich erholt hat. Ist das Land hier unbewohnt, bietet es uns nur die nothwendigsten Hilfsmittel und sind wir sicher, nicht eingeborenen Wilden in die Hände zu fallen, dann können wir ja eine Zeitlang hier verweilen.

– Unbewohnt, so scheint es ja bisher, erwiderte der Obersteuermann, und meiner Ansicht nach ist das für uns das wünschenwertheste...

– Ja, ja, das meine ich auch, Block, und ich denke, der Fischfang wird, abgesehen von der Jagd, uns doch die Möglichkeit gewähren, unseren Proviant zu erneuern.

– Gewiß, Herr Zermatt. Da sich das Wild hier auf kaum eßbare Seevögel beschränkt, wird die Jagd in den Wäldern und auf den Ebenen des Landesinnern den Ertrag aus der Fischerei vervollständigen können... ohne Gewehre freilich...

– O jene Schurken, Block, die uns keine einzige Feuerwaffe gelassen haben!

– Daran haben sie, ich meine, in ihrem Interesse, wohlgethan, erklärte der Obersteuermann. Als wir abstießen, hätt' ich's doch nicht überwinden können,[308] dem Hallunken Borupt, diesem elenden Verbrecher, eine Kugel durch den Kopf zu jagen!

– Und Verbrecher, setzte Franz hinzu, sind auch seine Spießgesellen alle!

– Eine Schandthat, die sie früher oder später noch zu büßen haben werden, sagte John Block.

– Halt... haben Sie soeben nicht etwas gehört? fragte plötzlich Fritz gespannt lauschend.

– Nein... was ich höre, ist nur das Anschlagen der Wellen aus Ufer. Bisher hat sich nichts verdächtiges gezeigt, und obwohl es pechdunkel ist... ich habe zu gute Augen...

– Schließen Sie sie keinen Augenblick, lieber Block, und halten wir uns zu allem bereit.

– Unser Haltetau kann sofort losgeworfen werden, antwortete der Obersteuermann. Im Nothfalle brauchen wir nur die Ruder zu ergreifen, und ich verpflichte mich, die Schaluppe mit dem Bootshaken augenblicklich auf zwanzig Schritt weit von den Felsen abzustoßen.«

Noch mehrmals wurde inzwischen die Aufmerksamkeit der beiden Männer erregt. Es schien ihnen, als ob sie auf dem Ufersande etwas hinkrichen hörten, doch machte ihnen das keine ernstliche Unruhe.

Ringsum herrschte sonst tiefes Schweigen. Der Wind hatte sich gelegt. das Meer sich geglättet. Nur am Fuße der Felsen stand eine leichte Brandung. Einzelne Möven und Seeschwalben schwebten von der offenen See her den Nestern am Steilufer zu. Im übrigen störte gar nichts diese erste Nacht am Ufer der Insel. Am nächsten Morgen waren alle schon bei Tagesanbruch auf den Füßen; wie krampfte sich ihnen aber das Herz zusammen beim Anblick der Küste, an der sie Zuflucht gefunden hatten!

Schon am vergangenen Tage und als sie etwa noch eine halbe Lieue von ihm lag, hatte Fritz sie zum Theil überblicken können. Von dieser Entfernung aus gesehen. schien sie sich zwischen Osten und Westen vier bis fünf Lieues weit zu erstrecken. Jetzt überblickte man von dem Vorberge, an dessen Fuße die Schaluppe verankert lag, kaum ein Fünftel davon zwischen zwei Winkeln, über die hinaus sich das zur Rechten klare, zur Linken noch düstere Meer ausdehnte. Der acht- bis neunhundert Toisen lange Strand war an den Seiten von hohen Felsvorsprüngen eingerahmt und im Hintergrunde schloß ihn ein Steilufer mit fast schwarzer Wand auf seine ganze Länge ab.[309]

Diese Uferwand mochte sich acht- bis neunhundert Fuß über den Strand erheben, der übrigens nach ihrem Fuße zu merkbar anstieg. Ob sie weiter rückwärts noch mehr emporragte, ließ sich nur erkennen, wenn man den Gipfel eines der felsigen Ausläufer erkletterte, von denen der im Osten infolge seiner weit ins Meer hinausreichenden Fortsetzung ein weniger steiles Profil zeigte. Immerhin schien von dieser Seite dessen Ersteigung sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich zu sein.

Der Kapitän Gould und seine Gefährten hatten zunächst ein Gefühl der Entmuthigung beim Anblick dieses trostlosen, stellenweise von Felsenblöcken unterbrochenen Strandes. Kein Baum, kein Strauch, keine Spur von Pflanzenleben... nichts als die traurigste, schrecklichste Dürre. Als einziges Grün magere Flechten, jenes unvollkommene Naturerzeugniß ohne Wurzel, Stengel und ohne Blätter und Blüthen, das nur wie ein Fleck auf der Felswand erscheint und neben dem Grün hier schon eine gelbliche, dort noch eine lebhaft rothe Farbe zeigte. Daneben ein wenig zähklebriger Schimmel, eine Folge des hier vorherrschenden feuchten Südwindes. Am Rande des Steilufers sproßte kein Grashalm, an seinen Granitwänden keine der sonst zwischen Steinen wurzelnden Pflanzen, die sich mit der geringsten Menge Humus begnügen. War daraus zu schließen, daß auch in der Höhe jeder Humus fehlte? War die Schaluppe nur an einer der wüsten, kleinen Inseln gelandet, die man nicht einmal eines Namens gewürdigt hat?

»Na, hübsch ist es hier gerade nicht, flüsterte der Obersteuermann Fritz ins Ohr.

– Vielleicht hätten wir es besser getroffen, wenn wir an der Ost- oder der Westseite ans Land gegangen wären.

– Vielleicht... ja, vielleicht, erwiderte John Block; hier sind wir aber wenigstens vor Wilden sicher«

Thatsächlich hätte hier kein menschliches Wesen, selbst keines, das auf der untersten Stufe der Menschheit stand, dauernd leben können.

Jenny, Franz und Doll, James und seine Gattin ließen den Blick über die Umgebung schweifen, die sich so unvortheilhaft von dem üppigen Gestade des Gelobten Landes, der Mündung des Schakalbaches, der Rettungsbucht und des Ufers bei Falkenhorst unterschied. Selbst das Eiland des Rauchenden Felsen hatte trotz seines traurigen Anblickes Jenny Montrose doch noch Naturproducte, in seinem Bache klares Wasser und im Wald und auf der Ebene[310] mancherlei Wild geliefert. Hier dagegen fand sich nichts als Stein und Sand, nach links hin eine Muschelbank und an der Grenze, bis zu der die Wellen hinausrollten, eine lange Linie von Meerpflanzen... kurz. ein trostlos öder Landstrich!

Das Thierreich, beschränkte sich auf einige Seevögel, wie Trauerenten, Möven und Seeschwalben, die das Erscheinen von Menschen aus ihrer Ruhe aufscheuchte und die mit betäubendem Geschrei umherflatterten. In größerer Höhe schwebten langsamen Flügelschlages einzelne Fregatt- und Eisvögel neben Albatrossen dahin.

»Kommt der Strand hier, begann da der Obersteuermann, auch dem Ufer der Neuen Schweiz nicht gleich, so ist das doch kein Grund, ihn nicht anzulaufen.

– Ans Land also, rief Fritz, ich hoffe, wir finden am Fuße des Steilufers wenigstens einen Unterschlupf.

– Ja, wir wollen aussteigen, sagte Jenny.

– Liebes Kind, erwiderte Fritz, ich rathe Dir, mit Frau Wolston und ihrer Schwester zunächst noch an Bord zu bleiben, während wir uns erst weiter auf dem Lande umsehen. Eine Gefahr ist hier nicht zu vermuthen, Ihr habt also nichts zu fürchten.

– Uebrigens, meinte der Obersteuermann, werden wir einander kaum aus dem Gesicht verlieren.«

Fritz sprang auf den Sand hinaus, und ihm folgten die anderen Männer. Doll rief ihnen noch nach:

»Vergeßt nicht, uns etwas zum Frühstück mitzubringen, Franz, wir verlassen uns auf Euch.

– Nein, entgegnete Franz, wir müssen vielmehr auf Euch rechnen, Doll. Werft zwischen Steinen die Angeln aus. Du bist ja so geschickt, so geduldig...

– Ja ja, erklärte Frau Wolston, es ist besser, wir bleiben vorläufig zurück. Jenny, Doll und ich, wir werden während Eurer Abwesenheit unser möglichstes thun!

– Vor allem, mahnte Fritz, kommt es darauf an, den noch vorhandenen Rest an Schiffszwieback zu schonen, für den Fall, daß wir gezwungen wären, noch weiter zu fahren.

– Eh, Frau Zermatt, rief John Block, machen Sie nur immer den Ofen zurecht. Wir sind nicht die Leute dazu, uns mit einer Flechtensuppe[311] oder mit Kieseln in der Schale zu begnügen. Wir versprechen Ihnen, etwas ordentliches zum Essen mitzubringen.«

Das Wetter war recht schön geworden; dann und wann huschte ein Sonnenstrahl durch das Gewölk im Osten.

Fritz, Franz und James und der Obersteuermann gingen am Rande des Ufers auf dem von der letzten Fluth noch feuchten Sande dahin.

Etwa zehn Fuß weiter oben lag die Zickzacklinie der vom Meere ausgeworfenen Pflanzen auf dem ziemlich stark abfallenden Uferlande. Diese Pflanzen gehörten zur Familie der Seegräser und des Varecs und waren vielfach vermischt mit an der Spitze rothschimmerndem Tang und vielfach mit Fadentang, der die beerenartigen Auswüchse zeigt, die unter dem Fußtritte geräuschvoll zerplatzen.

Einige dieser Fucus- (Tang-)Arten enthalten etwas genießbaren Nährstoff.

»Da giebt's ja schon etwas Eßbares, rief deshalb John Block, wenigstens wenn man nichts besseres hat. Bei mir zu Hause, in den Häfen des irischen Meeres, macht man das Zeug auf Vorrath ein.«

Nach drei- bis vierhundert Schritten in der gleichen Richtung erreichten Fritz und seine Begleiter den Fuß des Vorberges. Er bestand aus mächtigen, glatten und senkrecht abgeschnittenen Blöcken und fiel ganz steil in das klare, kaum von einer leichten Brandung bewegte Wasser ab, das auf sieben bis acht Toisen Tiefe bis zum Fuße der Felsmasse durchsichtig war.

Da diese übrigens völlig lothrecht aufragte, war es unmöglich, sie zu ersteigen... ein bedauerlicher Umstand, da nur von der Höhe des Steilufers aus zu beurtheilen war, ob hinter diesem nicht weniger unfruchtbares Land läge. Mußte man also auf eine Besteigung des Vorberges verzichten, so erkannte man auch, daß man diesen ohne Benützung der Schaluppe nicht einmal umgehen konnte. Vor der Hand erschien es jedoch die Hauptsache, am unteren Theile des Steilufers eine Aushöhlung zu suchen, die für den Aufenthalt an dieser Küste einigen Schutz zu bieten versprach.

Alle kehrten also längs des Vorberges nach dem hinteren Theile des Strandes zurück.

Da flog eine zahlreiche Vogelschaar auf, die nach dem Meere zu hinauseilte und übrigens erst spät am Abend wiederkam.

An dem Winkel, den das Steilufer mit dem Vorberge bildete, angelangt, fanden Fritz, Franz, James und der Obersteuermann dicke Schichten völlig[312] trockenen Seegrases. Da der äußerste Auswurf von der Fluth über hundert Toisen weiter südwärts abgelagert war, konnten diese Pflanzenreste, bei der Steigung des Strandes, nicht durch die Fluthwellen, sondern mußten jedenfalls durch die in dieser Gegend sehr heftigen Südwinde hierher geworfen sein.

»Sollten wir kein Holz finden, bemerkte Fritz, so würde uns, wären wir hier zum Ueberwintern genöthigt, dieses Seegras für lange Zeit Heizmaterial liefern...


Noch mehrmals wurde inzwischen die Aufmerksamkeit der beiden Männer erregt. (S. 309.)
Noch mehrmals wurde inzwischen die Aufmerksamkeit der beiden Männer erregt. (S. 309.)

– Ein Heizmaterial, das leider sehr schnell verbrennt, setzte der Obersteuermann hinzu. Freilich, ehe wir so große Massen aufgehäuft haben... Na,[313] mindestens haben wir für heute etwas, den Kochtopf zu erhitzen, wenn wir nur auch schon etwas darin hätten!

– So wollen wir danach suchen,« antwortete Franz.

Das Steilufer bestand aus verschieden dicken Schichten, deren Längsspalten nach Osten zu abfielen. Leicht erkannte man die krystallinische Natur des Gesteines, in dem eine Mischung von Feldspath und Gneis eine ungeheuere Masse einer Granitart vulcanischen Ursprunges von außerordentlicher Härte bildete.

Diese Felsmasse erinnerte also Fritz und Franz in keiner Weise an das Gestade ihrer Insel von der Rettungsbucht bis zum Cap der Getäuschten Hoffnung, wo sich nur mit Hammer und Meißel leicht zu bearbeitender Kalkstein vorfand, in dem auch die Grotte von Felsenheim ausgearbeitet worden war. In dem Granit hier wäre eine solche Arbeit unausführbar gewesen.

Zum Glück war auch keine Veranlassung gegeben, sie nur zu versuchen. Etwa hundert Schritt weit vom Vorberge aus und hinter dem Seegrashaufen fanden sich mehrere Oeffnungen in der hohen Wand. Den Zellen einer ungeheueren Honigwabe ähnlich, boten sie vielleicht einen Zugang nach dem Inneren des Steilufers.

Thatsächlich fanden sich nicht eine, sondern mehrere Aushöhlungen an dessen Fuße. Erwiesen sich die einen auch nur als sehr enge Schlupfwinkel, so waren die anderen doch geräumig und tief, freilich wegen des vorgelagerten Seegrases recht dunkel. Wahrscheinlich gab es aber auch weiterhin nach Osten eine, den Seewinden weniger ausgesetzte Höhle, in der das Material von der Schaluppe untergebracht werden konnte.

Um sich dem Ankerplatze möglichst zu nähern, begab sich Fritz mit den übrigen jetzt nach dem Vorberge der Ostseite. Dank seinem, am unteren Theile sich verlängernden Profile war dieser vielleicht eher zu besteigen oder im Nothfalle zu umgehen. Fiel er auch von oben her senkrecht ab, so neigte er sich doch schon von der Mitte aus weniger stark und lief am Meere mit einer Spitze aus.

Was Fritz erwartet hatte, sollte sich bewahrheiten. Genau im Winkel, den der Vorberg bildete, öffnete sich eine leicht zugängliche Höhle. Ihrer Lage nach gegen die Winde aus Osten, Norden und Süden geschützt, konnte sie nur von den hier seltenen Westwinden getroffen werden.

Fritz, Franz, James und John Block drangen ins Innere dieser Höhle ein, wo es hell genug war, sie vollkommen übersehen zu können. Elf bis zwölf Fuß hoch, gegen zwanzig breit und fünfzig bis sechzig Fuß tief, enthielt sie[314] noch verschiedene, ungleich große Nischen, die ebenso vielen, um einen gemeinschaftlichen Saal gelegenen Einzelzimmern glichen. Ein seiner Sand ohne jede Spur von Feuchtigkeit bedeckte den Boden. In die Höhle gelangte man durch eine Oeffnung, die leicht verschlossen werden konnte.

»Auf Steuermannsehre, rief John Block, etwas besseres hätten wir gar nicht finden können!

– Ganz meine Ansicht, antwortete Fritz. Mich beunruhigt nur, daß dieses Gestade so völlig öde und unfruchtbar ist, und wahrscheinlich sieht es auf der Höhe auch nicht anders aus.

– Jetzt nehmen wir erst Besitz von der Höhle, das weitere wird sich ja finden.

– Ach, klagte Franz, unsere Wohnung in Felsenheim ist das leider nicht, und ich entdecke nicht einmal einen Bach mit Süßwasser, wie unseren Shakalbach!

– Geduld, Geduld! ermahnte der Obersteuermann. Wir werden zwischen den Felsen schon noch einen Quell finden, oder gar ein Flüßchen, das vom Kamme des Steilufers herabrauscht.

– Das mag ja sein, meinte Fritz, doch uns an dieser Küste für längere Zeit einzurichten, daran ist nicht zu denken. Können wir um den Faß des Vorberges nicht herumkommen, so müssen wir das mit Hilfe der Schaluppe ausführen. Zeigt es sich dann, daß wir uns nur auf einer kleinen Insel befinden, so bleiben wir nur bis zur Wiedergenesung des Kapitäns Gould hier. Ich denke, vierzehn Tage werden dazu genügen.

– Na, vorläufig haben wir doch das Haus, erklärte John Block. Wer sagt uns, daß der zugehörige Garten nicht dicht dabei, vielleicht an der anderen Seite des Vorberges liege?«

Alle gingen nun wieder hinaus und schräg über den Strand hinweg. um den Vorberg womöglich zu umgehen.

Von dem einspringenden Winkel aus, in dem die Höhle lag, zählte man gegen hundert Toisen bis zu den vordersten, ins Meer auch bei halber Ebbe noch eintauchenden Felsen. An dieser Seite fand sich keine Anhäufung von Wasserpflanzen, wie an dem linken Theile des Strandes. Mächtige Steinmassen, offenbar vom Kamme des Steilufers herabgestürzt, bildeten allein diesen Vorberg. In der Nähe der Grotte konnte man ihn nicht überklettern, neben der Stelle, wo die Schaluppe lag, sank er dagegen weit genug herunter, um für Fußgänger passirbar zu sein.[315]

Es wurde nicht einmal nöthig, bis an sein Ende zu gehen, und vorher schon wurde die Aufmerksamkeit des Obersteuermannes durch das Geräusch fließenden Wassers erregt.

Hundert Schritte von der Grotte aus murmelte zwischen den Felsblöcken ein Bach, der in mehreren Wasserfäden herabfiel.

Ein Spalt im Gestein gestattete auch, bis zum Bette des kleinen, von einer darüber liegenden Cascade gespeisten Rio hinaufzusteigen, der schließlich ins Meer einmündete.

»Da... da haben wir's ja, das beste Süßwasser! rief John Block, der mit der Hand aus dem Rio eine Probe geschöpft und gekostet hatte.

– Frisch und klar, bestätigte Franz, als er sich damit die Lippen netzte.

– Und warum sollte es oben hinter dem Steilufer kein Pflanzenleben geben, bemerkte John Block, wenn sich da auch nichts mehr als ein Bach hinschlängelt?

– Heute ein Bach, sagte Fritz, der in der heißen Jahreszeit jedenfalls versiegt, in der Regenzeit aber zum wilden Bergstrome anschwillt.

– Na, wenn er nur noch einige Tage aushält, meinte der Obersteuermann nachdenklich, mehr verlangen wir von ihm ja nicht.«

Fritz und seine Gefährten verfügten nun also über eine wohnlich leicht einzurichtende Höhle und über einen Bach, der es ihnen ermöglichte, die Wassertonnen ihres Fahrzeuges frisch aufzufüllen. Jetzt galt es noch in erster Linie, die tägliche Nahrung aus den Erzeugnissen des Erdbodens, entweder auf der Höhe des Plateaus oder jenseits des Vorberges, zu beschaffen.

Das machte jedoch unerwünschte Schwierigkeiten. Nach Ueberschreitung des Baches erlebten die Wanderer eine recht bittere Enttäuschung.

Auf der anderen Seite des Vorberges erblickten sie eine etwa dreiviertel Lieue lange rundliche Bucht, vorne mit sandigem Strande und nach hinten wiederum von einem Steilufer begrenzt. An ihrem Ende erhob sich ein steil abfallender Hügel, dessen Fuß ins Meer tauchte.

Der Strand hier erwies sich ebenso unfruchtbar, wie der andere. Das Pflanzenreich beschränkte sich auf vereinzelte Stellen mit Flechten und auf verschiedene Seepflanzen, die von der Fluth angespült worden waren. War die Schaluppe also wirklich nur auf ein felsiges, einsames und unbewohnbares Eiland im Indischen Ocean gestoßen? Das war leider anzunehmen, leider zu fürchten.[316]

Es erschien nutzlos, noch über den, die Bucht abschließenden Hügel hinauszugehen. Schon drehten sich alle um, um nach dem Ankerplatze zurückzukehren, da rief James, die Hand nach dem Strande zu ausstreckend, plötzlich:

»Was sehe ich denn da... da, nicht weit vom Ufer?... Seht doch einmal hier... bewegliche Punkte... man könnte dabei an Ratten denken...«

Aus der Entfernung gesehen, schien es wirklich so, als ob ein Volk Ratten nach dem Meere zu liefe.

»Ratten? antwortete Fritz. Die Ratte ist aber eßbar, wenn sie zur Sippe der Ondatras gehört. Erinnerst Du Dich, Fritz, nicht mehr an die Hunderte, die wir einst, bei der Suche nach der Boa, getödtet haben?

– Gewiß, Franz, erwiderte Fritz, ich erinnere mich aber auch, daß uns deren Fleisch wegen seines widrigen Sumpfgeschmackes sehr wenig behagte.

– Mag sein, ließ sich der Obersteuermann vernehmen, richtig zubereitet, kann man das Viehzeug aber recht gut essen. Uebrigens... nein, das unterliegt keinem Zweifel... jene schwarzen Punkte sind gar keine Ratten...

– Und wofür halten Sie sie denn? fragte Fritz.

– Für Schildkröten...

– O, wenn Sie damit doch recht hätten!«

Der Obersteuermann irrte sich wohl nicht; man konnte sich auf seine scharfen Augen getrost verlassen. Thatsächlich war es eine Anzahl Schildkröten, die auf dem Ufersande hinkrochen.

Während nun Fritz und James, gleichsam als Wachposten, auf dem Vorberge zurückblieben, ließen sich John Block und Franz an dessen anderer Seite hinabgleiten, um der Schar der Chelidonier womöglich den Rückweg abzuschneiden.

Die kleinen Schildkröten – sie maßen nur zwölf bis fünfzehn Zoll – hatten einen langen Schwanz und gehörten einer Art an, die sich hauptsächlich von Insecten nährt. Es mochten ihrer fünfzig sein; sie waren aber nicht auf dem Wege nach dem Meere, sondern auf dem nach der Bachmündung, wo von der Ebbe her ein wenig schleimiger Bandtang liegen geblieben war.

Nach dieser Seite hin zeigte der Boden kleine Erhebungen, Anhäufungen von Sand, deren Natur Franz auf den ersten Blick erkannte.

»Darunter liegen Schildkröteneier! rief er erfreut.

– So graben Sie die Eier aus, Herr Franz, erwiderte John Block, ich werde die zugehörigen Hühner abfangen. Sapperment, das giebt doch ein besseres[317] Gericht, als meine gedämpften Strandkiesel, und wenn die kleine Doll nun noch nicht zufrieden ist...

– Keine Sorge, Block, fiel ihm Franz ins Wort, die Eier werden hochwillkommen sein.

– Und die Schildkröten nicht minder, das sind gar leckere Thiere und geben eine vortreffliche Bouillon... das kenne ich!«

Bald nachher hatten der Obersteuermann und Franz gegen zwanzig Stück auf den Rücken gewendet, die in dieser, für Chelidonier besonders unbequemen Lage vorläufig ausharren mußten. Dann rafften sie ein halbes Dutzend davon nebst den Eiern zusammen und begaben sich nach der Schaluppe zurück.

Der Kapitän Gould hörte den Bericht John Block's mit gespannter Aufmerksamkeit an. Seit er nicht mehr auf dem Meere hin und her geschüttelt wurde, hatte er von seiner Verletzung weniger zu leiden, das Fieber verminderte sich auch allmählich und voraussichtlich reichte eine Woche hin, ihm seine Kräfte wiederzugeben. Bekanntlich heilen gerade Kopfwunden, wenn sie nicht gar zu schwerer Art sind, besonders leicht und in kurzer Zeit. Die Kugel hatte damals, nach Zerreißung eines Theiles der Wange, nur die Seitenwand des Schädels gestreift; viel hatte freilich nicht mehr gefehlt, daß sie das Schläfenbein zertrümmerte. Dank der Ruhe und der sorgsamen Pflege, war wohl eine schnelle Besserung im Zustande des Verwundeten zu erwarten.

Harry Gould vernahm mit großer Befriedigung, daß viele Schildkröten an jener Bucht vorkamen, die deshalb auch die Schildkrötenbucht genannt wurde. Damit war für alle eine bekömmliche und reichliche Nahrung, sogar für lange Zeit gesichert. Außerdem konnte man davon einen Vorrath einsalzen, aufbewahren und damit die Schaluppe beladen, wenn diese einmal weiterfahren sollte.

Jedenfalls mußte man sich ja entschließen, im Norden ein gastlicheres Land aufzusuchen, wenn sich das Hochland des Steilufers ebenso unfruchtbar erwies, wie die Schildkrötenbucht, wenn sie weder Wälder noch Ebenen hatte, und das Land, das den Passagieren der »Flag« jetzt Zuflucht bot, sich nur als eine Anhäufung von Felsmassen erwies.

»Nun, Doll, und auch Sie, Jenny, fragte Franz, als er zurückgekehrt war, seid Ihr nun zufrieden? Hat in unserer Abwesenheit auch der Fischfang etwas ergeben?

– Ja... ein wenig, antwortete Jenny und zeigte dabei nach einigen Fischen, die auf dem kleinen Deck am Buge lagen.[318]

– O, rief Doll lustig, wir haben Euch auch noch etwas besseres zu bieten...

– Was denn? fragte Fritz.

– Ei, Miesmuscheln, die sich am Fuße des Vorberges in Menge finden. Da im Kessel werden sie schon abgesotten...

– Unseren Glückwunsch... in Erwartung des Deinigen, Jenny, sagte Franz, denn wir kommen auch nicht mit leeren Händen; hier... einige Eier...

– Hühnereier? rief der kleine Bob.

– Schildkröteneier, erklärte Franz.

– Schildkröteneier? wiederholte Doll. Ihr habt Schildkröten entdeckt?

– O, eine ganze Gesellschaft, sagte der Obersteuermann; es sind noch mehr da drüben, jedenfalls genug für die Zeit, wo wir in dieser Bucht liegen bleiben.

– Ich meine doch, flocht der Kapitän Gould ein, vorher müßte einmal eine weitere Küstenstrecke besichtigt und auch das Steilufer erstiegen werden.

– Das werden wir versuchen, Herr Kapitän, antwortete John Block. Allzusehr brauchen wir uns damit aber nicht zu beeilen, denn hier haben wir genug zu leben. ohne unseren Rest von Schiffszwieback anzugreifen.

– Ja ja, das meine ich auch, Block.

– Wir, Herr Kapitän, wünschen vor allem, daß Sie durch die Ruhe Ihre Gesundheit wieder erlangen, daß Ihre Wunde gut verheilt und Sie wieder ganz zu Kräften kommen. Eine bis zwei Wochen können wir hier recht gut aushalten. Sind Sie erst wieder auf den Füßen, so werden Sie ja selbst sehen, wie die Dinge hier liegen, und werden entscheiden können, was weiter zu thun sei.«

Im Laufe des Vormittags schaffte man noch den Inhalt der Schaluppe ans Land, die Zwiebacksäcke, die Wassertonnen, das Brennmaterial, die Werkzeuge und die Kleidungsstücke, und legte alles in der Höhle nieder. Der kleine Kochofen, der in dem Winkel am Vorberge Aufstellung fand, sollte zur Bereitung der Schildkrötenbouillon dienen.

Auf Fritzens und des Obersteuermanns Arm gestützt, begab sich der Kapitän Gould nach der Grotte, wo für ihn ein von Jenny und Doll aus trockenem Seegras hergestelltes Lager bereit stand, auf dem er sich, um einige Stunden zu schlummern, bequem ausstreckte.[319]

Quelle:
Jules Verne: Das zweite Vaterland. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXVII–LXXVIII, Wien, Pest, Leipzig 1901, S. 307-320.
Lizenz:

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Lotti, die Uhrmacherin

Lotti, die Uhrmacherin

1880 erzielt Marie von Ebner-Eschenbach mit »Lotti, die Uhrmacherin« ihren literarischen Durchbruch. Die Erzählung entsteht während die Autorin sich in Wien selbst zur Uhrmacherin ausbilden lässt.

84 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon