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[112] Wir dürfen jetzt nicht unerwähnt lassen, daß dem Farmer Mac Carthy der Gedanke gekommen war, wegen des Civilverhältnisses seines Adoptivkindes Nachforschungen anzustellen. Bekannt war dessen Lebensgeschichte ja nur seit dem Tage, wo gute Menschen den Knaben der schlechten Behandlung des Puppenschaustellers entzogen. Bezüglich seiner früheren Existenz hatte der Kleine,wie wir wissen, eine unklare Erinnerung davon bewahrt, daß er bei einer recht bösen Frau, zugleich mit einem oder auch zwei Mädchen, in einem Dörfchen des inneren Donegal gewohnt hatte. Nach dieser Seite hin mußte Martin seine Nachforschungen also richten.
Dadurch erhielt er aber nur folgende Aufschlüsse: Im Armenhause von Donegal fand sich die Spur eines achtzehnmonatlichen Kindes, das unter der Bezeichnung »Der Findling« aufgenommen und später in ein Dorf der Grafschaft an eine Frau abgegeben worden war, die sich mit dem Aufziehen kleiner Kinder gegen Entgelt befaßte.
Wir wollen diese Nachricht durch weitere uns zugegangene Aufklärungen vervollständigen. Diese ergeben freilich nur die ganz gewöhnliche Geschichte kleiner, unglücklicher Wesen, die der öffentlichen Fürsorge anheimgefallen sind.
Donegal, mit einer Bevölkerung von zweimalhunderttausend Seelen, ist vielleicht die allerärmste Grafschaft in der Provinz Ulster, ja in ganz Irland. Vor einigen Jahren gab es dort kaum zwei Matratzen und acht Strohsäcke auf je viertausend Einwohner. In jenen unfruchtbaren nördlichen Gebieten der Insel fehlt es nicht an willigen Armen für den Landbau, wohl aber an anbaufähigem Boden. Der ausdauerndste Arbeiter erschöpft sich dort vergebens. Im Innern sieht man nichts als dürre Thalmulden, öde Schluchten, hügeliges Land, Steinwüsten, sandige Dünen, gähnende Torfmoore, wie sumpfige Strecken, überragt von steilen Höhen, wie den Glendowan- und den Derryveaghbergen, kurz ein »zerbrochenes Land«, wie die Engländer sagen. An der Küste finden sich Baien und Fjorde, Buchten und Einschnitte, die ebenso viele Aushöhlungen bilden, worin die Winde vom hohen Meere sich fangen.... riesige Granitorgeln, die der Ocean mit vollen Lungen anbläst. Gerade Donegal ist den von Amerika herüberbrausenden Stürmen, die unterwegs noch locale Wirbel mit sich fort reißen, in erster Linie ausgesetzt. Es ist wirklich eine Eisenküste nothwendig, um dem Anprall der wüthenden Nordwestwinde zu widerstehen.
Vorzüglich die Bai von Donegal, an der der Fischerhafen gleichen Namens liegt und die gleich einem Haifischrachen aus dem Lande geschnitten ist, leidet unter diesen von Seenebeln geschwängerten Luftströmungen. Durch das im Hintergrunde der Bai gelegene Städtchen fegt immer eine scharfe Brise. Die umliegende Hügelwand vermag die Schneestürme nicht zu brechen, und diese haben noch nichts von ihrer Wuth verloren, wenn sie das Dorf Rindok, sieben Meilen von Donegal, erreichen.[115]
Ein Dorf?... Nein. Kaum zehn längs einer engen Thalschlucht verstreute Hütten, zwischen diesen ein Wasserlauf, der im Sommer ein dürftiger Wasserfaden, im Winter oft ein brausender Strom ist. Von Donegal nach Rindok giebt es keinen gebahnten Weg, nur einige Pfade, die kaum für die landesüblichen Karren benutzbar sind, welche man mit den klugen, sicher auftretenden irländischen Pferden bespannt. Auch ein Jaunting-car rollt wohl zuweilen mühsam darüber. Trotz den in Irland schon vorhandenen Eisenbahnen scheint der Tag noch sehr fern zu sein, wo das Dampfroß regelmäßig das Gebiet von Ulster durcheilt. Flecken und Dörfer sind ja auch zu selten, das Ziel der meisten Reisenden sind nur einfache Pachthöfe.
Da und dort lugen jedoch einige Schlösser aus üppigem Grün hervor und ergötzen das Auge durch den phantastischen Schmuck ihrer angelsächsischen Bauart. So, mehr im Nordwesten und nach Milford zu, der Herrschaftssitz Carrikhart inmitten einer ausgedehnten Domäne von neunzigtausend Acres (36.000 Hektar), das Besitzthum des Grafen von Leitrim.
Die Häuschen oder Hütten des Dorfes Rindok – gewöhnlich nennt man sie nur »Cabinen« – haben alle Strohdächer, die zwar gegen die Winterregen nicht besonders schützen, im Sommer aber mit blühenden Levkojen und mit wucherndem Hauslaub bedeckt sind. Ein solches Strohdach liegt auf Wänden aus getrocknetem Lehm, der nothdürftig mit Kieselschichten verstärkt ist, und die meist so viele Risse zeigen, daß sie kaum mit der Ajoupa der Wilden oder der Isba der Kamtschadalen einen Vergleich aushalten. Man würde nicht glauben, daß solche Eulennester menschlichen Wesen zur Wohnung dienen, ohne den bläulichen Rauch, der aus der Blumendecke hervorwirbelt. Holz oder Steinkohle erzeugen diesen Rauch freilich nicht, nur Torf aus den benachbarten Sümpfen, der »Bog« von rostbrauner Farbe, den sich die Bewohner von Rindok nach Bedarf aus der nassen Erde schneiden.1
Durch Kälte umzukommen, brauchte in diesem rauhen Lande niemand zu fürchten, leider aber weit eher durch Hunger. Der Boden liefert hier kaum einige Gemüse und wenige Früchte; nichts will recht gedeihen, mit einziger Ausnahme der Kartoffeln.[116]
Als Zulage zu der dürftigen Nahrung hat der Bauer von Donegal höchstens gelegentlich eine Gans oder eine Ente, und auch davon nur die wild vorkommenden, da sie weniger gezüchtet werden. Das Wild, Hafen, wilde Kaninchen u. dergl., gehört allemal dem Landlord. Weiter giebt es, in den Schluchten zerstreut, einige Ziegen, die etwas Milch liefern, und schwarzborstige Schweine, die sich mühsam ihr Futter suchen müssen. Das Schwein ist hier der wirkliche Hausfreund, ganz wie der Hund in mehr begünstigten Ländern. Es ist »der Herr, der die Rente bezahlt«. wie der bezeichnende Ausspruch lautet.
Eine der erbärmlichsten Hütten von Rindok enthielt folgendes: einen einzigen Wohnraum, den eine wurmzerfressene, windschiefe Thür abschließt; zwei Löcher zur Rechten und zur Linken, die durch eine Lage dürres Stroh etwas Licht und Luft eindringen lassen; auf dem Fußboden eine Decke von Schmutz; an den Dachsparren Fetzen von Spinngewebe; im Hintergrunde einen Herd, dessen Rauchfang bis zum Strohdach hinausreicht; ein elendes Lager in einem Winkel, eine Streu im andern. An Mobiliar fand sich eine bucklige Bank, ein wackliger Tisch, ein alter Kübel mit grünlichen Schimmelstreifen, ein Spinnrad mit knarrender Kurbel. Als Geräthe ferner ein Kochtopf, eine kleine Pfanne, einige wohl kaum jemals gereinigte Näpfe und zwei oder drei Flaschen, die mit Wasser aus dem Bache gefüllt wurden, nachdem sie von dem vorher darin enthaltenen Whisky oder Gin geleert waren. Da und dort hingen oder lagen Fetzen und Lumpen umher, die kaum noch die Form von Kleidungsstücken verriethen, und etwas schmutzige Wäsche, die entweder im Kübel eingeweicht war oder draußen auf einer Stange zum Trocknen hing. Auf dem Tische aber lag fortwährend eine vom vielen Gebrauch abgenutzte Ruthe. Das war das Elend im schlimmsten Grade... das Elend, wie es in den ärmsten Stadttheilen Dublins oder Londons, in Glerkenwell, Marylebone und in Whitechapel herrscht, das irische Elend, das schlimmste von allen, das Gespenst, das in den Ghettos des Ostends spukt. Die Luft freilich ist in den Spelunken von Donegal nicht in gleicher Weise verpestet; hier athmet man die belebende Luft der Berge und die Lunge füllt sich nicht mit gefährlichen Miasmen, den gesundheitsschädlichen Ausdünstungen der großen Städte.
Natürlich war in dieser Hütte das Lager der Hard vorbehalten, die Streu aber für die Kinder bestimmt und ... die Ruthe ebenfalls.
Die »Hard«, so bezeichnete man die Bewohnerin, d. h. »die Harte«, und diesen Namen verdiente sie in der That. Es war die abstoßendste Megäre, die[117] man sich nur vorstellen kann, zwischen vierzig und fünfzig Jahre alt, lang und stark, mit dünnem, wirr herabhängendem Haar, von rothen Brauen überschatteten Augen, mit Hakenzähnen, schnabelförmiger Nase, knochigen Händen – mehr Tatzen als Händen – mit Krallen als Fingern, nach Alkohol riechendem Athem und bedeckt mit einem zerschlitzten Hemd und zerrissenen Rocke, während sie stets barfuß ging und auch eine so derbe Haut an den Fußsohlen hatte, daß diese nicht einmal durch das Gehen über lose Kieselsteine belästigt wurden.
Dieser weibliche Drache beschäftigte sich mit dem Spinnen von Leinen, das in Irland, vorzüglich aber von den Bäuerinnen in Ulster, gewöhnlich betrieben wird. Die Leinencultur liefert auch wirklich noch einige Ausbeute, obwohl sie an die der Ackerfruchternten eines besseren Bodens nicht heranreicht.
Mit dieser Arbeit, die ihr täglich einige Pence einbrachte, verband die Hard noch eine andre – für sie ganz unpassende – Erwerbsquelle: sie zog kleine Kinder auf, die ihr von öffentlichen Anstalten überwiesen wurden.
Bei Ueberfüllung der Armenhäuser der Städte oder bei drohenden Seuchen schickt man diese zu bejahrteren Frauen, die ihre mütterliche Sorge ebenso verkaufen, wie sie jede andre Waare verkaufen würden, und zwar zu einem Jahrespreise von zwei oder drei Pfund Sterling (40 oder 60 Mark). Erreicht das Kind ein Alter von fünf bis sechs Jahren, so wird es an das Armenhaus zurückgegeben. Die Pflegemutter kann bei jener geringen Entlohnung für sich kaum etwas erübrigen. Und wenn solch ein Baby unglücklicher Weise in die Hände eines Geschöpfes ohne Herz und Gemüth fällt – was gar so häufig zutrifft – so ist es nicht selten, daß es an der schlechten Behandlung und dem Mangel an Nahrung zu Grunde geht. Wie viele solcher schwachen Menschenkinder gelangen in das Armenhaus nicht wieder zurück! – Das war wenigstens der Fall vor dem Kinderschutz-Gesetz von 1889, das in Folge strenger Ueberwachung der »Engelmacherinnen« die Sterblichkeit der aus der Stadt weggegebenen Kinder wesenlich vermindert hat.
Zur Zeit, von der wir berichten, bestand nur eine leichte oder gar keine Beaufsichtigung. In Rindok hatte die Hard weder den Besuch eines Inspectors, noch auch eine Anklage seitens der im eignen Unglück verhärteten Nachbarn zu fürchten.
Vom Armenhause in Donegal waren ihr drei Kinder anvertraut worden, zwei kleine Mädchen von vier und von sechseinhalb Jahren, und ein Knäblein von zwei Jahren und neun Monaten.[118]
Natürlich waren es verlassene Kinder oder gar auf der Straße gefundene Waisen. Jedenfalls kannte man ihre Eltern nicht und würde man diese auch nie kennen lernen. Mit der Rückkehr nach Donegal stand ihnen blos das Work-House (Arbeitsanstalt) offen, das Work-House, das sich in allen Städten und selbst in vielen Dörfern Großbritanniens wiederfindet.
Im Armenhause erhielten die eingelieferten Pfleglinge den ersten besten Namen. Der des jüngsten der kleinen Mädchen interessiert uns nicht, denn sie steht nahe vor ihrem Ende. Die größere hieß Sissy, eine Abkürzung von Cecily. Ein hübsches, blondhaariges Kind, das sich bei besserer Pflege gewiß vorzüglich entwickelt hätte, war es, mit großen blauen, intelligenten, guten Augen, deren Klarheit durch Thränen freilich schon gelitten hatte. Jetzt erschienen, bei der schlechten Behandlung, ihre Züge dagegen matt und traurig, der Teint erblaßt, die Glieder abgemagert, die Brust eingesunken, und weit sprangen unter ihren Lumpen die eckigen Hüften hervor. Bei ihrem geduldigen fügsamen Charakter nahm sie jedoch das Leben hin, wie es eben war, ohne nur daran zu denken, daß es auch anders sein könnte. Mutterliebe und häusliche Pflege hatte sie ja nie gekannt, und im Armenhause wurden die Kinder auch nicht viel anders behandelt, denn als kleine Thiere.
Der Knabe bei der Hard hatte gar keinen Namen. Er war im Alter von sechs Monaten an einer Straßenecke in Donegal gefunden worden, wo er, blau im Gesicht und fast athemlos, in ein Stück grobes Leinen gewickelt gelegen hatte. Im Armenhause war er zu den übrigen Kindern gesteckt worden, ohne daß es jemand einfiel, ihm einen Namen zu geben. Aus Gewohnheit nannte man ihn einfach »Little-Boy«, Kleiner Junge oder »Findling«, und diese Bezeichnung war ihm bekanntlich geblieben. Offenbar war er einer reichen Familie nicht etwa gestohlen worden; so etwas ist nur in Romanen beliebt.
Von den »drei Stücken« jener Sendung war der Findling der jüngste, nur zwei Jahre neun Monate alt. Brünett, mit leuchtenden Augen, die auf erwachende Energie schließen ließen, wenn sie der Tod nicht vorzeitig schloß, zeigte er eine kräftige Constitution, wenn die Pestluft dieser Hütte, die unzureichende Nahrung diese nicht erschütterten und ihm dafür eine Rhachitis zuführten. Jedenfalls sollte dieser Kleine, der eine ungewöhnliche Lebenskraft besaß, allen Schädlichkeiten einen merkwürdigen Widerstand entgegensetzen. Immer hungrig, wog er freilich nur halb so viel, wie sonst Kinder dieses Alters. Während der langen Winter Irlands immer vor Kälte zitternd, trug er über[119] seinem zerrissenen Hemd nur ein Stück alten gerippten Sammet, in das für die Arme einfach zwei Löcher geschnitten waren. Trotz der bloßen Füße trabte er ruhig seines Weges. Schon die geringste Sorgfalt hätte dieser Natur gewiß schnell Kräfte gegeben, die sie später in Intelligenz umgesetzt hätte. Doch wo sollte er diese Sorgfalt finden?
Das jüngste der kleinen Mädchen lag an einem schleichenden Fieber darnieder. Das Leben entwich aus ihr, wie das Wasser aus einem gesprungenen Gefäße sickert. Sie hätte Arzneien gebraucht, doch diese sind theuer; hätte[120] einen Arzt haben müssen, doch wo wäre ein solcher bereit gewesen, von Donegal aus so ein armes gottverlassenes Geschöpfchen zu besuchen? Die Hard machte sich hierüber also keine Sorge. Starb die Kleine, so »lieferte« ihr das Armenhaus einen Ersatz und sie büßte nichts von den wenigen Schillingen ein, die für sie vielleicht noch abfielen.
Da im Rindoker Bache aber kein Gin, kein Whisky oder Porter floß, nahm die Befriedigung der Leidenschaft dieser Trunksüchtigen freilich den größten Theil des erhaltenen Pensionsgeldes in Anspruch. Augenblicklich besaß sie von der[121] Januarzahlung im Betrag von fünfzig Schillingen für jedes Kind und für das ganze Jahr nur noch zehn bis zwölf. Womit sollte sie nun die Bedürfnisse ihrer Pfleglinge decken? Lief sie auch nicht Gefahr, vor Durst zu sterben, da sich in einem Winkel der Hütte noch einige Flaschen versteckt fanden, so drohte doch dafür der Hungertod den Kleinen.
Zuweilen dachte die Hard wohl auch hieran, soweit es ihr von Alkohol vergiftetes Gehirn zuließ. Ein Gesuch um Zuschuß zu dem Pensionsbetrage wäre bestimmt nutzlos gewesen. Es waren zu viel Kinder vorhanden, für die die öffentliche Mildthätigkeit eintreten mußte. War sie gezwungen, ihre Pfleglinge zurückzuschicken, so verlor sie ihren Broderwerb und mußte sie dem guten Gin Valet sagen. Das schnitt ihr ins Herz, nicht aber der Gedanke, daß das arme, kranke Würmchen seit gestern keinen Bissen genossen hatte.
Das Ergebniß solcher Betrachtungen lief immer darauf hinaus, daß sie von neuem zu trinken anfing. Jammerten die Mädchen und der kleine Knabe, so gab es Schläge. Verlangten sie nach Brod, so erhielten sie einen Stoß, daß sie zurücktaumelten. Natürlich konnte das nicht für immer so fortgehen. Für die wenigen Schillinge, die noch in ihrer Tasche klimperten, hätte sie wohl oder übel einige Nahrungsmittel erkaufen müssen, denn Credit hätte ihr niemand mehr gewährt.
»Nein... nein... nein! polterte sie. Die Bettelkinder mögen lieber ins Gras beißen!«
Es war jetzt Mitte October.
In der kaum verschlossenen Hütte wurde es schon recht kalt und durch das da und dort mangelhafte Strohdach sickerte der Regen. Der Wind pfiff durch das morsche Gebälk. Das dürftige Torffeuer vermochte keine erträgliche Temperatur zu erhalten. Sissy und Findling drängten sich dicht aneinander, um sich nur etwas zu erwärmen.
Während das Fieber die kleine Kranke auf dem Strohlager schüttelte schwankte die Megäre trunken hin und her, und vorsichtig wich ihr das Knäblein aus, den sie sonst gewiß umgestoßen hätte. Sissy kniete neben der Leidenden und netzte deren trockene Lippen mit kaltem Wasser. Von Zeit zu Zeit warf sie einen Blick in den Kamin, worin die schwache Torfgluth zu erlöschen drohte. Auch der Topf stand nicht auf dem Dreifuß. Wozu auch? Es war ja nichts hineinzuthun im Hause.
Die Hard aber knurrte für sich:[122]
»Fünfzig Schillinge!... Dafür soll unsereins ein Kind erhalten! Und wenn ich von den Steinklötzen im Armenhause einen Zuschuß verlangte, da würden sie mich schön heimschicken!«
Das war freilich richtig. Doch selbst bei höherer Entschädigung hätten die beklagenswerthen Pflegekinder der Hard auch kein Stückchen Brod mehr bekommen.
Am letzten Tage war der letzte »Stirabout«, ein dickes, mit Wasser gekochtes Hafermehlmus, aufgegessen worden, und seitdem hatte in der Hütte niemand, auch die Hard nicht, einen Bissen über die Lippen gebracht. Die Frau selbst hielt sich mit Gin aufrecht, hütete sich aber wohl, für Nahrungsmittel auch nur einen Penny ihres letzten Geldes auszugeben. So blieb ihr nichts andres übrig, als von einem Felde einige Kartoffeln für das Abendbrod zu holen....
Da machte sich von draußen ein tiefes Grunzen hörbar. Die Thür wurde aufgestoßen. Ein Schwein, das durch die kothige Dorfstraße trabte, drang in die Hütte ein.
Das hungrige Thier durchsuchte laut schnüffelnd alle Ecken und Winkel. Die Hard schloß die Thür wieder, bemühte sich aber gar nicht, den Eindringling wieder zu entfernen, sondern sah das Thier nur mit den unstäten Blicken eines Trunkenboldes an.
Sissy und Findling sprangen auf, um dem Borstenvieh aus dem Wege zu gehen. Während dieses mit dem Rüssel den Schmutz des Fußbodens durchwühlte, leitete es sein Instinct hinter den erloschenen Kamin, wo es eine dahin verlorene Kartoffel fand. Sofort packte es diese mit den Zähnen.
Findling bemerkte es. Diese Knollenfrucht konnte er selbst gebrauchen. So stürzte er sich auf das Thier auf die Gefahr hin, getreten und gebissen zu werden. Dann rief er Sissy, und beide verzehrten die Kartoffel mit gierigen Lippen.
Das Thier blieb einen Augenblick stehen, dann stürzte es auf das Kind zu.
Der Findling suchte, noch mit einem Stück Kartoffel in der Hand, zu entfliehen; ohne das Dazwischentreten der Hard wäre er aber, weil er hingefallen war, gewiß arg gebissen worden, obgleich ihm Sissy schon zu Hilfe gekommen war.
Die betrunkne Frau begriff endlich, was hier vorging. Mit einem Stocke schlug sie jetzt auf das Schwein los, das nicht sobald nachgeben zu wollen schien.[123]
Ihre schlecht gezielten Streiche hätten Findling beinahe den Kopf zerschmettert, und der Ausgang dieses Zwischenfalles wäre sehr unsicher geworden, als sich an der Thür ein leichtes Geräusch vernehmen ließ.
1 Die Torfgruben Irlands mit rothem oder schwarzem »Bog« umfassen über zwölftausend Quadratkilometer oder den siebenten Theil der Insel und enthalten bei einer durchschnittlichen Mächtigkeit von acht Metern gegen sechsundneunzigtausend Millionen Cubikmeter Brennmaterial.
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