Achtes Capitel.
Die Farm von Kerwan.

[91] Daß dem kleinen Burschen in der Provinz Ulster kein Glücksstern geschienen hatte, war leicht genug zu erkennen, obgleich niemand wußte, wie er seine erste Kindheit in irgend einem Dorfe der Grafschaft zugebracht haben mochte.

Die Provinz Connaught war ihm auch nicht gnädig gewesen, weder als er über die Landstraßen der Grafschaft Mayo unter der Fuchtel des Puppenschaustellers hinwanderte, noch die Grafschaft Galway während der zwei Jahre in der Ragged-School.

Nun hätte man wenigstens hoffen können, daß sein Elend in der Provinz Munster, Dank der Laune einer Schauspielerin, ein Ende genommen hätte. Nein... er war wieder verlassen worden, und jetzt sollte ihn der Zufall tief nach Kerry hinein, an das Südwestende Irlands verschlagen. Diesmal nahmen sich sehr wackre Leute seiner an... möchte er bei ihnen bleiben können!

Im Nordosten der Grafschaft Kerry und nahe dem Flusse Cashen liegt die Farm von Kerwan. In der Entfernung von einem Dutzend (englischen) Meilen liegt Tralee, der Hauptort, von wo, alter Ueberlieferung nach, im sechsten Jahrhundert Saint-Brandon abgesegelt sein soll, um Amerika lange vor Columbus zu entdecken. Hier laufen die verschiedenen Schienenwege des mittleren Irland zusammen.

Das sehr unebene Gebiet enthält die höchsten Berge der Insel, wie die Clanaraderry- und die Stacksberge. Zahlreiche Wasserläufe verbinden sich mit dem Cashen und bedingen, im Verein mit vielen Sumpfstrecken, auch eine große Unebenheit der Landstraßen. Dreißig Meilen gegen Westen trifft man auf die tiefeingeschnittene Küste, wo sich die Flußmündung des Shannon und die lange Bai von Kerry ausbreiten, deren vielgestaltige Felswände von der Kohlensäure des Meerwassers benagt werden.

Jeder erinnert sich der Worte O'Connell's: »Irland den Irländern!« Im folgenden wird sich zeigen, wie weit das wahr geworden ist.

Man zählt hier dreihunderttausend Farmen, die fremden Besitzern gehören. Unter dieser Zahl umfassen fünfzigtausend mehr als vierundzwanzig Acres (etwa[91] zehn Hektar) und achttausend haben nur acht bis zwölf Acres. Die übrigen sind alle kleiner. Daraus darf man aber nicht auf eine weitgehende Zerstückelung des Eigenthums schließen. Im Gegentheil. Drei dortige Großbesitze übersteigen hunderttausend Acres, z. B. der von Richard Borridge, der hundertsechzigtausend Acres mißt.

Doch was sind diese Complexe gegen die der Landlords von Schottland, eines Grafen von Breadalbane, der vierhundertfünfunddreißigtausend Acres sein eigen nennt, eines J. Matheson, der vierhundertsechstausend, eines Herzogs von Sutherland, der gar zwölfhunderttausend Acres – das Areal eines ganzen Herzogthums – besitzt!

Seit der Eroberung durch die Anglo-Normannen im Jahre 1100 ist die »Schwesterinsel« streng feudal regiert worden und ist ihr Boden Feudaleigenthum geblieben.

Der Herzog von Rockingham war jener Zeit einer der großen Landlords der Grafschaft Kerry. Sein Besitzthum von hundertfünfzigtausend Acres enthielt Getreideland, Wiesen, Wald und Teiche mit fünfzehnhundert darüber verstreuten Farmen. Er war ein Fremder, einer derer, die die Irländer mit Recht des Absentismus wegen anklagen. Die Folge dieses Fernbleibens aber ist, daß das durch irischen Fleiß erworbene Geld zum Nachtheil Irlands nach auswärts geht.

Das »Grüne Erin« bildet bekanntlich keinen Bestandtheil Großbritanniens, das nur aus England und Schottland besteht. Der Herzog von Rockingham war ein englischer Lord. Wie so viele andre, die neun Zehntel der Insel besitzen. hatte er es noch nicht für der Mühe werth gehalten, sein Landeigenthum zu besuchen, und so kannten ihn auch seine Pächter nicht. Für eine gewisse jährliche Summe überließ er die Ausbeutung seines Grundbesitzes einigen Generalpächtern oder »Middlemen«, die diesen in kleinen Parcellen an die eigentlichen Landbauern weiter verpachteten. So gehörte die Farm von Kerwan mit vielen andern eigentlich einem gewissen John Eldon, einem Agenten des Herzogs von Rockingham.

Diese Farm von mittlerem Umfang enthält nur hundert Acres und dazu besteht sie aus minderwerthigem, vom Oberlauf des Cashen benetztem Culturlande, dem der Bauer nur mit emsiger Arbeit so viel entlocken kann, wie er zur Zahlung des Pachtzinses braucht, vorzüglich, wenn dieser sehr hoch, mit einem Pfund Sterling jährlich für den Acre, angesetzt ist.[92]

Das war der Fall bei der Farm von Kerwan, die der Landmann Mac Carthy bearbeitete.

Es giebt wohl auch gute Grundherren in Irland; die Pächter haben es aber nur mit den Middlemen, meist harten, unerbittlichen Leuten, zu thun. Die Aristokratie, die sich in England und Schottland so liberal zeigt, tritt in Irland dagegen sehr herrisch auf. Statt die Hand zu reichen, zerrt sie an den Zügeln. Eine Katastrophe liegt immer in der Luft. Wer den Haß säet, wird die Empörung ernten.

Martin Mac Carthy, einer der besten Farmer der ganzen Domäne, stand in dem kräftigen Mannesalter von zweiundfünfzig Jahren. Fleißig, gewandt, im Landbau wohlerfahren und unterstützt durch seine streng erzogenen Kinder, hatte er trotz aller Steuern und Abgaben, die das Budget eines irischen Bauern belasten, doch noch eine kleine Summe zurücklegen können.

Seine Frau hieß Martine, wie er Martin. Dieses überaus thätige Weib besaß alle Eigenschaften einer guten Haushälterin. Sie arbeitete mit ihren fünfzig Jahren noch, als ob sie deren erst zwanzig zählte. Im Winter aber, wenn die Feldarbeit ruhte, sah man sie beim schnurrenden Spinnrade vor dem Kamin sitzen, wenn keine häusliche Arbeit sie in Anspruch nahm.

Die in guter Luft lebende, durch Thätigkeit im Freien abgehärtete Familie Mac Carthy erfreute sich vortrefflicher Gesundheit und ruinierte sich weder durch Arzneien noch durch Aerzte. Sie gehörte zu der kräftigen Rasse irischer Landleute, die sich ebenso leicht in den Prairien des amerikanischen Far-West acclimatisiert, wie in den Gebieten Australiens oder Neuseelands.

Als Haupt der Familie galt, von allen geliebt und geehrt, die Mutter Martins, eine Greisin von fünfundsiebzig Jahren, deren Mann früher die Farm innehatte.

»Großmutter« – anders nannte man sie nicht – hatte keine andere Beschäftigung, als mit ihrer Schwiegertochter zu spinnen, da sie, so weit dies an ihr lag, ihren Kindern möglichst wenig zur Last fallen wollte.

Der älteste der Söhne, der siebenundzwanzigjährige, aber besser als sein Vater unterrichtete Murdock, nahm lebhaftesten Antheil an den Fragen, die ganz Irland unablässig bewegten, und alle fürchteten sehr, daß er sich einmal in eine schlimme Geschichte einlassen könne. Er gehörte zu den eifrigsten Anhängern des home rule, d. h. der Erkämpfung der Autonomie des Landes, ohne freilich zu bedenken, daß das home rule weit mehr auf politische, als auf sociale[93] Reformen abzielt. Gerade der letzteren bedarf aber Irland, da es noch unter der schweren Last der Feudalherrschaft seufzt.

Murdock, ein kräftiger junger Mann von schweigsamem Charakter, hatte unlängst die Tochter eines benachbarten Farmers geheiratet. Die von der Familie Mac Carthy geliebte, vortreffliche junge Frau besaß jene regelmäßige, stolze und ruhige Schönheit und die vornehme Haltung, die man bei Irländerinnen der unteren Classen so häufig findet. Ihr Gesicht wurde von großen blauen Augen belebt und lockig quoll das reiche blonde Haar unter den Kopfbändern hervor. Kitty liebte ihren Gatten herzlich, und Mardock, der sonst niemals lächelte, vergaß sich hierin zuweilen doch, wenn er sie ansah, denn auch er bewahrte ihr die innigste Zuneigung. Sie benützte ihren Einfluß auch, ihn zu mäßigen und zurückzuhalten, wenn ein Sendbote der Nationalisten Propaganda im Lande zu machen und die Leute zu überzeugen sachte, daß von einer Versöhnung zwischen Landlords und Pächtern nie die Rede sein könne.

Selbstverständlich waren die Mac Carthy's gute Katholiken, es kann also nicht auffallen, daß sie die Protestanten als ihre Feinde betrachteten.1

Murdock besuchte eifrig alle solche Versammlungen, und Kittys Herz klopfte immer recht ängstlich, wenn sie ihn so nach Tralee oder einem andern Orte in der Nachbarschaft gehen sah. Bei diesen Gelegenheiten sprach er auch öffentlich mit der den Irländern angebornen Beredtsamkeit, und Kitty mußte ihn bei der Heimkehr immer erst zu beruhigen suchen, wenn sie die Erregung noch in seinen Zügen las und er unter einem gemurmelten Aufrufe zur agrarischen Erhebung wohl gar noch mit dem Fuße stampfte.

»Mein guter Murdock, sagte sie dann bittend, wir müssen Geduld haben... uns vorläufig ins Unabänderliche fügen...

– Geduld! unterbrach er sie grollend, wenn Jahre dahingehen und nichts sich bessert! Ergebung, wenn man thätige Leute wie unsre Großmutter nach langem Leben voller Arbeit noch immer im Elend schmachten sieht! Geduldig sein und sich fügen, arme Kitty, bedeutet, alles ruhig hinnehmen, das Gefühl eignen Rechtes verlieren, sich unters Joch ducken und das.. das thu' ich niemals... niemals!«[94]

Martin Mac Carthy hatte noch zwei andre Söhne, Pat oder Patrick, und Sim oder Simeon, im Alter von fünfundzwanzig und von neunzehn Jahren.

Pat segelte meist als Matrose auf einem Handelsschiffe des angesehenen Hauses Marcuart in Liverpool. Sim hatte, wie Murdock, die Farm niemals verlassen, und ihr Vater fand an beiden wichtige Helfer für die Feldarbeit und die Pflege der Thiere. Sim gehorchte ohne Widerspruch seinem älteren Bruder, dessen Ueberlegenheit er neidlos anerkannte. Er bezeugte ihm so viel Achtung, als ob jener das Haupt der Familie wäre. Als letzter Sohn, als »Nesthäkchen«, mit besondrer Liebe aufgezogen, neigte er zu der harmlosen Lustigkeit, die allgemein im Charakter des Irländers liegt. Er liebte es, zu scherzen, zu lachen und verbreitete Sonnenschein in dem sonst etwas düstern Hause. Sehr muthwilliger Natur, unterschied er sich auffallend von dem gesetzten, ernsthaften Wesen seines Bruders Murdock.

Das war also die fleißige Familie, in deren Mitte der Findling durch Zufall gekommen war. Seinem lebhaften Geiste konnte der Unterschied zwischen dem erbärmlichen Leben in der Lumpenschule und dem gesunden Aufenthalt in einer irländischen Farm nicht unbemerkt bleiben. Wohl hatte unser Held mehrere Wochen behaglichen Wohlbefindens bei der launenhaften Miß Anna Walston verlebt, dort aber nicht die wahre herzliche Zuneigung gefunden, die das Leben am Theater überhaupt mehr oder weniger am Aufkeimen zu hindern pflegt.

Die gesammten Baulichkeiten des Mac Carthy'schen Pachtgutes beschränkten sich nur auf das unbedingt nothwendige. Viele Güter in den reichen Grafschaften des Vereinigten Königreichs sind in ganz andrer und luxuriöserer Weise ausgestattet. Uebrigens verleiht ja der Farmer erst der Farm den Werth, und deren Umfang ist nicht von so entscheidender Bedeutung, wenn sie nur einsichtig bewirthschaftet wird. Martin Mac Carthy gehörte also nicht zu der begünstigteren Classe der »Yeomen«, die kleine Bodeneigenthümer sind, sondern nur zu den zahlreichen Pächtern des Herzogs von Rockingham, so zu sagen: zu den Hunderten von landwirthschaftlichen Maschinen, die auf dem ausgedehnten Grundbesitz der reichen Landlords in Thätigkeit sind.

Das Hauptgebäude, das aus Mauerwerk mit Strohdach bestand, enthielt nur ein Erdgeschoß, worin die Großmutter, Martin und Martine Mac Carthy und Murdock mit seiner Frau je ein Zimmerchen bewohnten. Dazu kam ein größerer Raum mit weitem Kamin, der die Insassen des Hauses bei den Mahlzeiten vereinigte. Darüber lag, zwischen Kornböden, eine von zwei Fensterchen erhellte Mansarde, wo Sim und auch Pat, wenn dieser einmal da war, Unterkunft fanden.


In der Mitte glänzte eine Wasserfläche. (S. 97.)
In der Mitte glänzte eine Wasserfläche. (S. 97.)

An der einen Seite der Rückwand des Wohnhauses folgten die Tenne. die Scheuern und Schuppen zur Unterbringung der Acker- und Wirthschaftsgeräthe; an der andern der Kuh- und der Schafstall, die Milchkammer, der Schweinestall und der Geflügelhof.
[95]

Nachdem die Farmersleute abgestiegen waren. (S. 102.)
Nachdem die Farmersleute abgestiegen waren. (S. 102.)

Infolge nicht rechtzeitig vorgenommener Verbesserungen zeigte freilich alles ein recht klägliches Aussehen. Da und dort verdeckten einzelne Bretter verschiedener[96] Herkunft, Thürflügel, überflüssige Fensterläden, Planken von alten Schiffen, von deren Abbruch herrührende kleine Balken oder Zinkblechstücke die Lücken und Löcher der Mauern, und auf dem Strohdache lagen schwere Feldsteine. um dieses gegen den Anprall der Stürme zu sichern.

Zwischen den drei Gebäudecomplexen dehnte sich der Hof mit zweiflügligem Thorweg aus. Eine lebende, reich mit leuchtenden Fuchsien geschmückte Hecke bildete dessen Abschluß. Im Innern des Hofes grünte ein Rasenplatz mit üppigen Gräsern auf dem sich die Hühner tummelten, und in dessen Mitte glänzte eine[97] kleine Wasserfläche, deren Rand Azaleen, goldgelbe Margueriten und halb verwilderte Asphodelen zierten.

Auf den Strohdächern grünte und blühte es übrigens rings um die Feldsteine nicht weniger als auf dem Rasen und der Hecke, vorzüglich gediehen hier unzählige Fuchsien mit ihren vom Winde immer bewegten Glöckchen. Selbst die zersprungenen Mauern des Wohnhauses entbehrten des Pflanzenschmuckes nicht, denn diese verhüllte ein so starkstämmiges Epheugerank, daß letzteres das Dach desselben allein getragen hätte.

Zwischen dem eigentlichen Ackerland und dem Pachthofe lag noch ein Küchengarten, worin Martin den Hausbedarf an Gemüsen anbaute, vorzüglich Kohl, Rüben und Kartoffeln, und das Gartenland umsäumte wieder ein Kranz von Bäumen und Buschwerk aller Art.

Hier wucherten kräftige Stechpalmen mit ihren stachligen, leuchtend grünen Blättern, die seltsam geformten Muscheln ähneln; dort erhoben sich wild wachsende Taxusbäume, denen keine unnütze Scheere die Gestalt von Weinflaschen oder Lampenträgern gegeben hatte. In Flintenschußweite zur Linken stand ein Wald von Eschen, und die Esche bildet einen der schönsten Bäume dieser Gegenden. Weiterhin mischen sich tiefgrüne Buchen ein, stellenweise unterbrochen von der Purpurfarbe hoher Büsche, der Ebereschen, die von ferne Weinstöcken gleichen, an deren Reben korallene Trauben hingen. Kaum drei Meilen von hier erhebt sich schon der Erdboden unter den letzten Ausläufern der Clanaraderrykette, mit harzreichem Fichtenbestand, dessen Zapfen an den Gaisblattranken zu hängen scheinen, die sich überall durch das Geäst der Bäume schlingen.

Der Betrieb der Farm von Kerwan erfordert ziemlich verschiedene Culturen, giebt im ganzen aber nur einen mittelmäßigen Ertrag. Die Weizenfrucht, die in der Hauptsache zu Grütze vermahlen wird, zeichnet sich weder durch Länge der Halme, noch durch Ergiebigkeit der Aehren aus. Der Hafer ist mager und schwächlich, was hier um so schlimmer erscheint, als das Hafermehl fortwährend verwendet wird. Besser gedeihen noch Gerste und Roggen, welch letzterer den größten Theil des Brodes liefert. Bei der Rauhigkeit des Klimas können aber auch diese Feldfrüchte vor October oder November selten geerntet werden.

Unter den im Großen angebauten Gemüsen, wie den Rüben und dem starkhäuptigen Kohl, nehmen die Kartoffeln den ersten Rang ein, die, vorzüglich in den minder begünstigten Theilen Irlands, die eigentliche Volksnahrung ausmachen. Man fragt sich wirklich, wovon die Landleute wohl gelebt haben mögen[98] ehe Parmentier die werthvolle Knollenfrucht auf der Insel einführte. Vielleicht hat die Kartoffel freilich die Bauern etwas sorgloser gemacht, da diese auf die Ausbeute an solchen rechnen, wodurch sie vor Hungersnoth geschützt bleiben, so lange nicht gar zu ungünstige Verhältnisse eintreten.

Wenn die Erde die Thiere ernährt, so tragen diese auch wieder zur Ernährung der Erde bei. Ohne sie ist kein Anbau möglich. Die einen dienen zur Arbeit mit Pflug und Egge, die andern liefern Eier, Fleisch und Milch, alle aber die nöthige Düngung für den Acker. Zur Farm von Kerwan gehörten auch sechs Pferde, und doch reichten sie, als Zwei- oder Dreigespann verwendet, kaum aus, die Pflugschaar durch den steinigen Boden zu ziehen. Standen sie auch nicht verzeichnet im »Stud-book«, der Adelsrolle der Pferdefamilien, so leisteten sie doch die besten Dienste und begnügten sich mit trocknem Heidekraut, wenn's einmal an besserem Futter mangelte. Ein Esel leistete ihnen Gesellschaft, und diesem konnte es nimmer an Disteln fehlen, deren es hier in solchen Mengen giebt, daß alle dahin zielenden Verordnungen die Vertilgung dieser wuchernden Pflanze nicht erzwingen werden.

Unter dem Stallvieh gab es ein halbes Dutzend schöne, rothhaarige Milchkühe und gegen hundert schwarzköpfige Schafe mit sehr weißer Wolle, deren Unterhaltung im Winter, wo fußtiefer Schnee die Fluren bedeckt, mit vielen Schwierigkeiten verknüpft ist. Weniger gilt das von den zwanzig Ziegen, die der Farmer besaß und denen man es mehr selbst überlassen konnte, sich Nahrung zu suchen. Gab es kein Gras, so fanden sie noch immer Blätter, die auch der strengsten Kälte widerstanden.

Ein Dutzend Schweine barg ein besondrer Stall an der rechten Hofseite; diese wurden für den eignen Bedarf gemästet. Der Farmer betrieb nämlich die Aufzucht solcher nicht, obgleich von Limerick sehr viele Schinken versendet werden, die denen von York an Güte gleichkommen und auch unter dieser Marke im Handel sind.

Hühner, Gänse und Enten gab es so viel, daß noch Eier nach dem Markte von Tralee geliefert werden konnten, Truthühner und Haustauben aber nicht, und diese findet man in den Bauernhöfen Irlands überhaupt nur selten.

Auch eines Hundes müssen wir gedenken, eines schottischen Terriers, der zur Bewachung der Schafheerde diente. Einen Jagdhund gab es hier nicht, trotz des Wildreichthums der Gegend. Die Jagd ist ja nur ein Vergnügen der Landlords. Der sehr hohe Preis für den Jagdschein, der der britischen Staatscasse[99] zufällt, und die Taxe für Berechtigung zum Halten eines Jagdhundes, verbieten sie dem kleinen Manne schon allein.

Das war das Pachtgut von Kerwan, das ziemlich isoliert innerhalb einer Schleife des Cashenflusses und fünf Meilen von der Parochie Silton entfernt lag. In der Grafschaft gab es gewiß noch schlechteren Boden, leichtes, kieselreiches Land, das keine Düngung festhält und wo der Pachtschilling nicht einmal eine Krone (noch nicht fünf Mark) für den Acre beträgt; der Grund und Boden Martin Mac Carthy's war aber auch höchstens von mittlerer Güte.

Jenseits des angebauten Gebietes dehnten sich unfruchtbare, sumpfige Ebenen aus, da und dort bedeckt mit Stechginster oder mit wilden Rosen, zwischen denen wucherndes Haidekraut blühte. Ueber den Fluren flatterten in dichten Schwärmen Krähen umher, die nach den eingesäeten Körnern suchten, oder Völker von großschnäbligen Sperlingen, die die neugebildeten Getreidekörner, zum argen Schaden für die Pächter auspicken.

Noch weiter hinaus stiegen stille Wälder von Birken und Lärchenbäumen auf, die in den steilen Abhängen der Berge wurzelten und die von den Winterstürmen, welche durch das schmale Thal des Cashen jagen, oft mit unheimlicher Gewalt geschüttelt und zerzaust werden.

Im Ganzen bildet diese Grafschaft Kerry ein merkwürdiges Land, das die Aufmerksamkeit der Touristen mit seinen Amphitheatern bewaldeter Höhen, seinen überraschenden Fernsichten, die durch die hyperboräischen Nebeldünste eher verfeinert erscheinen, entschieden mehr verdiente, als bisher.

Ein hartes, schlimmes Land ist es nur für die, die es bewohnen, eine knauferische Stiefmutter für die, die es bebauen.

Doch wenn nur die Ernte an Kartoffeln, der wirklichen Brodfrucht der Insel, in Kerry und den andern Grafschaften nicht versagt. Wenn das aber auf der Million dem Knollenbau eingeräumten Acres eintrifft, dann bedeutet es den Hunger mit allen seinen Schrecken.2

Wenn der fromme irische Bauer sein God save the Queen gesungen hat, dann sollte er es wirklich vervollständigen durch ein:


»God save the potatoes!«

Fußnoten

1 Das ist die allgemeine Anschauung bei den Irländern, die indeß mit Parnell eine »Ausnahme machten, als dieser »nicht gekrönte König Irlands« – wie man ihn nannte – einige Jahre später (1879) die zum Zwecke der agrarischen Reform gegründete »National Land Leage« leitete.


2 Eine solche Hungersnoth herrschte 1740 bis 1741 und tödtete 400.000 Irländer, weiter 1847, wo eine halbe Million Bewohner aus Entbehrung umkam und eine gleiche Zahl aus Verzweiflung den schmerzlichen Entschluß faßte, nach der Neuen Welt überzusiedeln.


Quelle:
Jules Verne: Der Findling. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXIII–LXIV, Wien, Pest, Leipzig 1895, S. 101.
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