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[408] Entschieden verfolgte das Glück geradezu Findling, seit er Trelingar-castle den Rücken gekehrt hatte, das Glück, Bob gerettet und zu sich genommen, Grip und Sissy wiedergefunden und sie miteinander vermählt zu haben, ohne von den erfolgreichen Geschäften zu reden, die der junge Chef des »Kleinen Geldbeutels« machte. Er ging mit Sicherheit in Folge seiner Intelligenz, sagen wir auch, seines Muthes, der Gewinnung eines beträchtlichen Vermögens entgegen. Sein Verhalten auf der »Doris« legte von seinem Muthe gewiß ein rühmliches Zeugniß ab.
Nur eines fehlte ihm, ohne das er nicht vollkommen glücklich sein konnte: der Familie Mac Carthy die Wohlthaten, die er von ihr genossen hatte, nicht haben vergelten zu können.
Jetzt erwartete er die Ankunft des »Queensland« mit größter Ungeduld, wenn er sich auch sagte, daß von Wind und Wetter abhängige Segler ja sehr häufig Verspätungen in ihrer Fahrt erleiden. Uebrigens hatte Findling nicht versäumt, nach Queenstown zu schreiben, damit die Rheder des »Queeasland« ihn sofort benachrichtigten, wenn das Schiff gemeldet wurde.
[408]
Inzwischen legte man im Bazar »Zum kleinen Geldbeutel« die Hände nicht in den Schoß. Durch sein Abenteuer und sein muthiges Aushalten auf der »Doris« war Findling zu einem Helden geworden – einem Helden von fünfzehn Jahren, was ihm das Interesse der ganzen Stadt nur noch mehr sicherte. Die mit eigner Lebensgefahr vertheidigte Waarenladung brachte ihm über die maßen Glück. Der Zulauf im Laden wurde immer größer, denn[409] jedermann wollte Thee aus der »Doris«, Zucker aus der »Doris«, Gewürze und Wein... immer aus der »Doris« haben. Jetzt trat das Spielwaarengeschäft etwas zurück. Bob mußte deshalb Findling, Grip und noch zwei eingestellten Verkäufern helfen, während Sissy kaum mit dem Schreiben der Rechnungen fertig wurde. Nach O'Brien's Ansicht mußte sich das in jene Speculation gewagte Capital binnen wenigen Monaten vervierfacht, wenn nicht verfünffacht haben. Aus den dreitausend Pfund wurden voraussichtlich fünfzehntausend Pfund Sterling. Der Exkaufmann gab Findling bezüglich dieses Unternehmens gern allein die Ehre. Dabei zugeredet hatte er ihm wohl, den ersten Gedanken daran hatte aber Findling gehabt, als er die Anzeige in der »Shipping-Gazette« las, und der Leser weiß, mit welcher Energie er sein Vorhaben durchgeführt hatte.
So erscheint es als kein Wunder, daß der Bazar von Little Boy nicht allein der reichlichst ausgestattete, sondern auch der schönste in der Bedford-Street, ja im ganzen Stadtviertel wurde. Daß hier die Hand einer Frau eingriff, erkannte man an tausend Kleinigkeiten. Grip, der redlich half, fing auch allmählich an zu glauben, daß er deren Ehemann sei, vorzüglich als ihm die Ahnung kam, daß die Reihe seiner Vorfahren nicht mit ihm abschließen würde.
Alle fühlten sich glücklich und dankbar verpflichtet dem Knaben, der ihnen ein so schönes Los zu bereiten verstanden hatte – das heißt alle, die sich jetzt im Bazar »Zum kleinen Geldbeutel« um Findling vereinigt fanden.
Was aus den andern, die in seinem Leben eine mehr vorübergehende Rolle spielten, geworden wäre oder werden würde, darüber wollte sich Findling nicht den Kopf zerbrechen. Thornpipe zog wahrscheinlich noch im Lande umher und stellte seine etwas alt gewordenen Königspuppen zur Schau; O'Bodkins wurmte gewiß noch die freche Zerstörung seiner musterhaften Bücher; der Marquis und die Marquise Piborne lebten in der hochvornehmen Geistesbeschränktheit weiter, die ihr Sohn unverändert geerbt hatte; Scarlett verwaltete ohne Zweifel Trelingar-castle und was dazu gehörte zu seinem Vortheil weiter, und Miß Anna Walston.... starb jedenfalls fast Abend für Abend im fünften Acte. Von keinem der genannten war je etwas zu hören gewesen, außer daß sich – nach der Times – Lord Piborne doch einmal entschlossen hatte, im Oberhause eine Rede zu halten, welch löbliche Absicht nur deshalb nicht zur Ausführung kam, weil, als er das Wort ergreifen wollte, das künstliche Gebiß des hochedlen Herrn nicht nach Wunsch fungierte. Carker war zum Erstaunen Grips noch immer nicht gehenkt worden; er näherte sich dem Galgen aber jedenfalls mehr[410] und mehr, nachdem er unlängst in London bei einer polizeilichen Razzia mit einer ganzen Rotte seines Schlags hinter Schloß und Riegel gebracht worden war.
Nun blieben nur die Mac Carthy's übrig, an die Findling unausgesetzt dachte und deren Heimkehr er ungeduldig erwartete. In den Seenachrichten fand sich noch nichts vom »Queensland«. Erschien er binnen einigen Wochen noch nicht, so mußte man für ihn fürchten, denn in der letzten Zeit war der Atlantische Ocean von sehr heftigen Stürmen heimgesucht worden. Und noch immer traf keine Depesche von den Rhedern in Queenstown ein!
Am 5. April brachte diese endlich ein Telegraphenbote. Bob hatte sie in Empfang genommen und sofort ertönte seine Stimme:
»Eine Depesche aus Queenstown!... Ein Telegramm aus Queenstown!«
Endlich eine Nachricht über die Adoptiveltern Findlings, die also jedenfalls in Irland zurück waren... die erste, einzigste Nachricht über sie!
Alle liefen erwartungsvoll zusammen.
Die Depesche hatte folgenden Inhalt:
»Queeastown, 5. April 9,25,20.
»Findling, Little Boy and Co., Bedford-Street,
Dublin.
»Queensland« diesen Morgen eingelaufen. Familie Mac Carthy an Bord. Erwarten Ihre Ordres.
Benett«.
Findling war es, als ob er ersticken sollte. Sein Herz hatte einen Augenblick still gestanden. Reichliche Thränen brachten ihm Erleichterung und er begnügte sich, als er die Depesche in die Tasche steckte, zu sagen:
»Es ist gut.«
Weiterhin sprach er gar nicht mehr von den Mac Carthy's, was Herrn und Frau Grip, Bob, die Kat und O'Brien nicht wenig verwunderte. Er widmete sich vielmehr seiner Thätigkeit wie gewöhnlich. Balfour erhielt nur Auftrag, ihm einen Check von hundert Pfund auszufertigen, über dessen Verwendung der junge Chef sich nicht äußerte.
Vier Tage verstrichen, die letzten vier Tage der Charwoche, denn jenes Jahr fiel Ostern auf den 10. April.
Am Sonnabend Morgen rief Findling sein gesammtes Personal zusammen und verkündete:[411]
»Der Bazar bleibt bis nächsten Dienstag Abend geschlossen.«
Damit erhielten Balfour und die beiden Verkäufer Urlaub. Bob, Grip und Sissy beabsichtigten, die freie Zeit nach eignem Belieben auszunützen, als sie Findling fragte, ob sie nicht geneigt wären, während der drei Tage eine Reise zu machen.
»Eine Reise? rief Bob. Ich bin dabei. Wohin soll's denn gehen?
– Nach der Grafschaft Kerry, die ich einmal wiedersehen möchte,« erklärte Findling.
Sissy sah ihn fragend an.
»Und wir sollen Dich dahin begleiten?
– Es würde mir ein großes Vergnügen machen.
– Ich soll also auch dabei sein? fragte Grip.
– Selbstverständlich.
– Und Birk? setzte Bob hinzu.
– Birk ebenfalls.«
Das war also abgemacht. Der Bazar sollte unter Obhut der Kat bleiben und man beschäftigte sich mit den Vorbereitungen, die eine dreitägige Abwesenheit erheischt. Nachmittag um vier Uhr wollte man den Expreßzug benutzen, um elf Uhr würde die Gesellschaft in Tralee eintreffen, dort übernachten, und am nächsten Tage... nun, am nächsten Tage würde Findling das weitere Programm kund geben.
Um vier Uhr befanden sich alle auf dem Bahnhofe, Grip und Bob höchst vergnügt, Sissy aber etwas nachsinnend, da ihr Findling gar so unergründlich vorkam.
»Tralee, sagte sich die junge Frau, das ist doch ganz in der Nähe von Kerwan... Will er denn etwa in die Farm zurückkehren?«
Birk hätte ihr darauf vielleicht antworten können; dessen bekannte Discretion hielt sie aber ab, eine bezügliche Frage zu stellen.
Der Hund wurde im Packwagen untergebracht und von Bob der Sorgfalt des Packmeisters unter Hinzufügung eines vollwichtigen Schillings besonders empfohlen. Dann nahmen Findling und seine Begleiter ein Coupé erster Classe ein.
Die siebzig Meilen zwischen Dublin und Tralee wurden in sieben Stunden zurückgelegt. Von den durch den Zugführer ausgerufenen Stationsnamen machte besonders einer auf Findling einen eigenthümlichen Eindruck. Das war der Name Limerick. Er erinnerte ihn an sein Debut auf dem dortigen Theater in dem[412] Drama »Die Reue einer Mutter« und an die Scene, wo er sich so krampfhaft an die Herzogin von Kendall in der Person der Miß Anna Walston anklammerte.... Es war das aber nur eine Erinnerung, welche wie die flüchtigen Bilder eines Traumes wieder verschwand.
Findling führte seine Freunde in Tralee nach dem ersten Hôtel, wo sie gut zu Abend aßen und eine ruhige Nacht verbrachten.
Am nächsten Tage, dem Ostersonntage, stand Findling frühzeitig auf. Während Sissy noch Toilette machte, Grip bei seiner Frau blieb und Bob sich streckend erst die Augen öffnete, wanderte er durch die Straßen des Ortes. Leicht fand er den Gasthof wieder, wo Martin und Martine mit ihm einzukehren pflegten, den Marktplatz, wo er zuerst am Handel Geschmack gewonnen hatte, und auch die Apotheke, in der er einen Theil von seiner Guinee für die Großmutter hingegeben hatte, die er nicht wieder sehen sollte.
Um sieben Uhr hielt vor der Thür des Hotels ein Jaunting-car mit tüchtigem Pferde und gutem Kutscher, wofür der Wirth gutsagte. Dann wurde gewissenhaft der Preis festgestellt: so viel für den Wagen, so viel für das Zugthier, für den Kutscher, für Trinkgelder u. s. w., wie das in Irland üblich ist.
Nach frugalem Frühstück wurde die Fahrt um halb acht Uhr angetreten. Ein Sonntag ohne Regen – und heute schien die Sonne und wehte ein angenehmer Wind – gehört auf der Smaragdnen Insel zu den Ausnahmen. Dieses Jahr schien der Frühling zeitig einsetzen und die Bäume zum knospen bringen zu wollen.
Ein Dutzend Meilen trennt Tralee von dem Kirchspiele Silton. Wie oft hatte Findling diese Strecke im Wagen Mac Carthy's zurückgelegt! Das letzte Mal war er hier freilich allein gewesen... auf dem Heimwege von Tralee nach der Farm... er hatte sich hinter einem beschneiten Busch versteckt, als die Polizei- und Gerichtsdienerabtheilung vorüber kam. Das trat ihm jetzt lebhaft vor die Angen. Der Weg selbst sah ja noch ganz so aus wie damals. Da und dort lag ein Gasthof daran und begrenzten ihn Brachfelder. Paddy ist ein Feind der Veränderung; in Irland bleibt ja alles im Gleichen, selbst das Elend!...
Um zehn Uhr hielt der Wagen im Dorfe Silton. Es war die Stunde der Messe. Die Glocke ertönte. Da stand sie noch immer, die alte, bescheidne, windschiefe, englische Kirche, in der die Doppeltaufe Findlings und des Töchterchens[413] Murdochs stattgefunden hatte. Er trat mit den andern hinein. Weder der Geistliche, noch seine Assistenten oder ein andrer Kirchenbesucher erkannte ihn wieder. Während der Messe fragten sich die Leute, wer die Familie sei, von der kein Mitglied dem andern ähnelte.
Und während Findling seine Erinnerungen aus glücklicher und unglücklicher Zeit auffrischte, beteten Sissy, Grip und Bob dankbaren Herzens für den, dem sie so viel Lebensglück verdankten.
Nach einem Frühstück im besten Gasthofe von Silton rollte der Jauntingcar nach der drei Meilen entfernten Farm von Kerwan weiter.
Findling wurden die Augen feucht auf diesem Wege, den er des Sonntags so oft mit Martine und Kitty und auch mit der Großmutter, wenn diese es konnte, gegangen war. Welch traurigen Anblick bot das verlassene Land! Ueberall Ruinen... mit Gewalt hergestellte Ruinen, die den vertriebenen Insassen das letzte Obdach vereiteln sollten. Da und dort fanden sich Maueranschläge mit der Bekanntmachung, daß diese Farm, jene Hütte oder ein Feld zu verpachten oder zu verkaufen sei. Doch wer hätte hier kaufen oder pachten sollen, wo er sich nur das Unglück einhandeln konnte!
Endlich, gegen eineinhalb Uhr, wurde die Farm von Kerwan sichtbar. Findlings Brust entrang sich ein Seufzer.
»Hier stand sie!« murmelte er.
Doch welch entsetzlicher Anblick bot sich hier jetzt! Die Hecken niedergerissen, die Thür eingerammt, die Wirthschaftsgebäude in Trümmern, der Hof furchtbar verwildert – kurz, ein Bild trostlosester Zerstörung. Seit fünf Jahren hatten Regen, Schnee, Wind und Sonne ihr Werk gethan. Wie traurig sahen die kahlen Wände der Zimmer aus, und erst das, wo Findling in der Nähe der Großmutter geschlafen hatte.
»Ja, das ist Kerwan!« wiederholte er öfter, doch es sah aus, als wagte er gar nicht einzutreten.
Bob, Grip und Sissy hielten sich schweigend hinter ihm. Nur Birk lief unruhig hin und her und schnüffelte am Boden hin... in ihm erwachten gewiß auch Erinnerungen an vergangene Zeiten....
Plötzlich bleibt der Hund stehen und erhebt den Kopf, seine Augen leuchten und er wedelt mit dem Schweife.
Vor dem Thore steht eine Gruppe von Menschen – vier Männer, zwei Frauen und ein kleines Mädchen, alle in ärmlicher Kleidung. Der älteste tritt[414] heraus und nähert sich Grip, der seinem Alter nach die Hauptperson der Fremden zu sein scheint.
»Wir sind hierher, beginnt er, zu einem Zusammentreffen bestellt worden. Ohne Zweifel... waren Sie es...
– Ich? fällt Grip ein, der den Mann gar nicht kennt und ihn verwundert anstarrt.
– Ja. Als wir in Queenstown ans Land kamen, wurde uns eine Summe von hundert Pfund von der Rhederei ausgehändigt, die den Auftrag hatte, uns nach Tralee zu befördern....«
In diesem Augenblick schlug Birk mit lautem Freudengebell an und stürmte unter tausend Freundschaftsbezeugungen auf die ältere der Frauen zu.
»Ach, ruft diese, das ist ja Birk... unser Hund Birk! Ich erkenne ihn wieder....
– Und mich erkennen Sie nicht, meine liebste Mutter Martine, sagt Findling, mich erkennen Sie nicht mehr?
– Er!... Ach, unser Kind!«
Die Feder vermag die Scene nicht zu schildern, die sich nun abspielte. Martin, Murdock, Pat und Sim pressen Findling in ihre Arme und er bedeckt Martine und Kitty mit heißen Küssen. Dann hebt er das kleine Mädchen in die Höhe... er verzehrt sie fast mit seinen Küssen und stellt sie Bob, Sissy und Grip vor mit den Worten:
»Meine Jenny!... Mein Töchterchen!«
Nachher setzen sich alle auf die umherliegenden Trümmer. Die Mac Carthy's mußten ihre beklagenswerthe Geschichte erzählen. Nach der Austreibung hatte man sie nach Limerick gebracht, wo Murdock zu einigen Monaten Gefängniß verurtheilt wurde. Nach Ablauf seiner Strafzeit hatte sich Martin mit den Seinigen nach Belfast begeben, von wo sie ein Auswandrerschiff nach Australien beförderte. Pat, der seinen Beruf aufgab, war ihnen bald nachgekommen. Doch was hatten sie dann zu leiden gehabt, um schließlich... nichts zu erreichen! Nur zuweilen fanden sie, vereint oder auch einzeln, auf einer Farm, doch unter den schlechtesten Bedingungen, etwas Arbeit. Endlich, nach fünf Jahren, hatten sie jenes Land verlassen können, das gegen sie ebenso grausam gewesen war, wie der heimatliche Boden.
Findling betrachtete die armen Leeute mit tiefstem Seelenschmerz. Martin war stark gealtert, Murdock noch ebenso düster wie vorher, Pat und Sim[415] herabgekommen von Anstrengungen und Entbehrungen, Martine kaum ein Schattenbild der lebensfrischen Hausfrau vor wenigen Jahren, Kitty geschwächt durch ein Fieber, das sie nicht verließ, und Jenny verkümmert durch die Leiden, die sie schon in so jungen Jahren erduldet hatte. Es war zum Herz zerbrechen!
Sissy weinte mit den Frauen und dem Mägdlein und sachte sie zu trösten.
»Ihr Unglück hat nun ein Ende, Frau Martine, wie das unsrige schon lange... und Dank Ihrem Adoptivkinde...
– Er? rief Martine verwundert. Was vermöchte er...?
– Du, mein Junge?« fragte auch Martin.
Findling war außer Stande zu antworten; ihm raubte die Erregung den Athem.
»Warum hast Du uns nach dieser Stelle verlangt,[416] die uns an die traurigste Vergangenheit mahnt? fragte Murdock. Was sollen wir hier, wo wir so lange und so schwer gelitten haben? Findling, warum erwecktest Du uns diese traurigen Erinnerungen?«[417]
Dieselbe Frage lag wohl auf aller Lippen, auch auf denen Sissys, Grips und Bobs.
»Warum? antwortete er, sich mühsam beherrschend. Kommt alle, mein Vater, meine Mutter, meine Brüder, kommt mit mir!«
Sie folgten ihm nach der Mitte des Hofes.
Hier erhob sich inmitten von wildem Gebüsch und Brombeergesträuch eine kleine grünende Tanne.
»Jenny, redete er das kleine Mädchen an, siehst Du diesen Baum?... Ihn hab' ich am Tage Deiner Geburt gepflanzt. Er ist jetzt, wie Du, acht Jahre alt.«
Kitty, die dabei an die Zeit dachte, wo sie so glücklich gewesen war und auf die Andauer dieses Glücks bauen zu können glaubte, schluchzte vor Schmerz.
»Jenny... mein liebes Kind, fuhr Findling fort, Du siehst auch dieses Messer...«
Er hatte dabei ein Messer aus seinem Gürtel gezogen.
»Das war das erste Geschenk, das mir Großmutter machte... Deine Urgroßmutter, die Du kaum gekannt hast....«
Bei Erwähnung dieses Namens hier inmitten der Trümmer wollte Martin, seiner Gattin und seinen Kindern fast das Herz zerspringen.
»Jenny, fuhr Findling fort, nun nimm dieses Messer und grabe damit die Erde am Fuße der Tanne auf.«
Ohne ihn ganz zu verstehen, kniete das Kind nieder, entfernte das Strauchwerk und höhlte ein Loch an der bezeichneten Stelle aus. Bald stieß das Messer auf einen harten Gegenstand.
Hier befand sich die Steinkruke, die unter der Erdschicht ganz gut erhalten war.
»Hebe das Gefäß heraus, Jenny, und öffne es!«
Das Mägdlein that, wie ihr geheißen, und alle sahen ihr in erwartungsvollem Schweigen zu.
Als die Kruke geöffnet war, bemerkte man darin eine Anzahl Kieselsteine, wie sie zahlreich im Bette des benachbarten Cashen lagen.
»Herr Martin, begann nun Findling, erinnern Sie sich wohl?... Jeden Abend, wenn Sie mit mir zufrieden gewesen waren, gaben Sie mir einen solchen Stein....[418]
– Ja, mein Sohn; es kam aber kein Tag, an dem Du keinen davon erhalten hättest.
– Sie geben die Zeit an, die ich in der Farm von Kerwan zugebracht habe. Jetzt zähle sie, Jenny. Du kannst doch zählen, nicht wahr?
– O, gewiß!« versicherte das kleine Mädchen.
Nach längerer Arbeit rief sie laut:
»Fünfzehnhundertundvierzig.
– Richtig, bestätigte Findling. Das ergiebt über vier Jahre, Jenny, die ich in Deiner Familie, die auch die meinige geworden war, zugebracht habe.
– Und diese Kieselsteine, ließ sich Martin, die Augen niederschlagend, vernehmen, sind der einzige Lohn, den Du je von mir erhalten hast... diese Steine, die ich einst in Schillinge umzuwechseln hoffte....
– Und die sich für Sie, mein guter Vater, in Guineen verwandeln sollen!«
Weder Martin noch einer der Seinigen konnten glauben, konnten begreifen, was sie eben hörten. Ein solches Vermögen! War Findling denn bei Sinnen?
Sissy erkannte diesen Gedanken ganz und sagte sogleich:
»Nein, liebe Freunde, sein Herz ist ebenso gesund wie sein Geist, und hier hat sein Herz gesprochen.
– Ach, mein Vater Martin, meine Mutter Martine, meine Brüder Murdock, Pat und Sim, und Du, Kitty, und Dein Töchterchen, ja, ich fühle mich hochbeglückt, Euch einen Theil des Guten, das Ihr mir erwiesen habt, zurückerstatten zu können. Dieser Grund und Boden ist zu verkaufen. Ihr werdet ihn erwerben und erbaut die Farm von neuem. An den nöthigen Mitteln soll es nicht fehlen. Später braucht Ihr keinen herzlosen Harbert mehr zu fürchten. Ihr wohnt dann auf eigner Scholle... seid Eure eignen Herren!«
Findling berichtete nun über sich selbst, seit dem Tage, wo er von der Farm von Kerwan weinend weggeschlichen war, und in welchen Verhältnissen er sich jetzt befände. Die Summe, die er der Familie Mac Carthy zur Verfügung stellte, diese Summe in Guineen – so viele wie Kieselsteine gezählt waren – belief sich auf fünfzehnhundertundvierzig Pfund Sterling – für arme Irländer ein großes Vermögen.
Vielleicht war es zum ersten Male, daß auf diesen so oft von Schmerzensthränen begossenen Erdboden warme Thränen der Freude und Dankbarkeit niederrieselten.[419]
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Die Familie Mac Carthy verweilte die drei Osterfeiertage mit Findling, Bob, Sissy und Grip in Silton und nach rührendem Abschied kehrten die letzteren nach Dublin zurück, wo sich am Morgen des 11. April der Bazar wieder aufthat.
Ein Jahr verstrich, das Jahr 1887, das als eines der glücklichsten im Leben dieser kleinen Welt gelten konnte. Der junge Kaufmann war nun sechzehn Jahre alt. Sein Glück war gemacht. Der Erfolg der Speculation mit der »Doris« hatte selbst O'Brien's Erwartungen weit übertroffen, und das Capital von Little Boy and Co. belief sich jetzt auf zwanzigtausend Pfund. Ein Theil dieses Vermögens gehörte zwar dem Ehepaar Grip und ein Theil Bob, den Gesellschaftern der Firma »Zum kleinen Geldbeutel«, alle bildeten am Ende aber nur eine einzige Familie.
Die Mac Carthy's hatten, nach vortheilhafter Erwerbung von zweihundert Acres Land, die Farm wieder aufgebaut und eingerichtet, auch den Viehbestand aufs neue angeschafft. Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, daß sie mit der Behaglichkeit und dem unerwarteten Glück auch Kräfte und Gesundheit wieder erlangt hatten. Bei Irländern, die so lange unter der Geißel des Landlordismus geseufzt hatten und die jetzt nur für sich, nicht mehr für einen unerbittlichen Herrn schafften und wirkten, ist das ja kein Wunder zu nennen.
Findling aber vergißt nicht und wird es nicht vergessen, daß er ihr Adoptivkind ist, und es könnte sich eines Tages wohl ereignen, daß er sich mit ihnen noch durch engere, zartere Bande verknüpfte. Jenny geht in ihr zehntes Jahr, sie verspricht ein sehr hübsches Mädchen zu werden.... Doch sie ist ja so gut wie seine Tochter, wird der freundliche Leser einwerfen. Nun, doch nicht im strengen Sinne des Wortes; warum also nicht?...
Ende.
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