Zwölftes Kapitel.
Belagert.

[389] Die Gefährten Ben Raddles und Summy Skims wußten noch nichts davon, daß das Lager entdeckt war. Von der Stelle aus, wo sie sich nahe am Fuße des Golden Mount befanden, konnten sie den Rand des Plateaus nicht sehen. Sie wußten noch nicht einmal, daß Hunter und einige seiner Leute den Berg erstiegen hatten, und konnten also auch nicht ahnen, daß diese das davongelaufne Pferd bemerkt hätten, dessen Verfolgung Neluto aufgenommen und das er auch leicht wieder eingefangen hatte.

Sobald die beiden Vettern zur übrigen Gesellschaft zurückgekommen waren, unterrichteten sie diese über die Lage der Dinge, und keiner zweifelte nun ferner daran, daß sie bald gezwungen sein würden, einen Angriff abzuwehren.

»Wir werden uns zu verteidigen wissen, erklärte der Scout; nein, vor diesen amerikanischen Schurken räumen wir den Platz nicht!«

Ein einstimmiges Hurra begrüßte seine Worte.[389]

Ob der Angriff wohl noch an demselben Tage erfolgte?... Wahrscheinlich. Hunter hatte Interesse daran, die Sache zu beschleunigen. Da ihm aber die Stärke der Gegner unbekannt war, würde er jedenfalls etwas vorsichtig zuwerke gehen und die Verhältnisse auszukundschaften suchen, ehe er es auf einen Zusammenstoß ankommen ließ. Vielleicht versuchte er, nachdem er sich überzeugt hatte, daß die Überlegenheit an Zahl auf seiner Seite war, erst zu verhandeln und ohne Kampf zu erreichen, was er wünschte. Immerhin durfte man nicht vergessen, daß er noch nicht wußte, es hier mit den frühern Nachbarn vom Forty Miles Creek zu tun zu haben. Sah er sich dann seinem alten Feinde gegenüber, so konnte das eine friedliche Ordnung der Dinge natürlich nicht erleichtern.

Die gegebnen Führer der Karawane traten jetzt ohne Zögern zu einer Beratung zusammen, um die letzten zur Verteidigung geeigneten Maßnahmen zu bestimmen.

Ben Raddle ergriff zuerst das Wort.

»Unser Lager, sagt er, ist vorzüglich gut gedeckt, einerseits durch den Golden Mount und anderseits durch den Rio Rubber, den Hunter und die Seinen nicht überschreiten können, ohne sich unserm Gewehrfeuer auszusetzen...

– Ganz richtig, Herr Raddle, äußerte dazu der Scout, leider sind wir nach vorn zu aber nur durch den Kanal zwischen dem Rio und dem Berge geschützt und ein sieben bis acht Fuß breiter Graben wird für die Angreifer kein Hindernis sein.

– Nein, solange er trocken liegt, das gebe ich zu, antwortete der Ingenieur, ihn zu überschreiten wird aber weit schwieriger sein, wenn er bis zum Rande mit Wasser gefüllt ist.

– Dann schnell, schnell! Wir wollen die letzte Wand am Flußufer durchbrechen! rief Jane Edgerton.

– Das ist auch mein Rat, stimmte Ben Raddle ein.

– Gut, Herr Raddle, sagte der Scout, das muß geschehen, und zwar augenblicklich. Wir haben noch einige Stunden vor uns, ehe die Bande vom Berge heruntergestiegen sein und vor unserm Lager erscheinen kann. Ans Werk also!«

Bill Stell rief seine Leute zusammen. Mit dem nötigen Werkzeug versehen, eilten diese dem Ufer zu, das sie am Ende des Kanals abzugraben begannen. Schon nach wenigen Minuten strömte das Wasser heftig bis zu dem am Galerieeingang aufgeworfenen Damm.[390]

Jetzt war jede Verbindung mit der Ebene unterbrochen.

Während diese Arbeit ausgeführt wurde, beschäftigten sich Summy Skim, Jane Edgerton und Neluto damit, die Waffen in Bereitschaft zu setzen, Flinten, Büchsen und Revolver ebenso wie die Jagdmesser für den Fall, daß es zu einem Handgemenge käme. Von Pulver und Kugeln war neben einer Menge fertiger Patronen noch ein reichlicher Vorrat vorhanden.

»Wir haben für die Spitzbuben, sagte Summy Skim, so viel Hiebe bereit, wie sie verdienen, und damit wollen wir nicht geizen.

– Ich denke, fiel Neluto ein, wir empfangen sie mit einem wohlgezielten Gewehrfeuer, so daß sie davonziehen, wie sie gekommen waren.

– Möglich wäre das ja, doch ohne Kampf wird's nicht abgehen, und da wir durch die Bäume Deckung haben, sie aber ganz ohne Schutz sind, wird das ihren Vorteil der Zahl ausgleichen. Ha, wenn es je eine Gelegenheit gegeben hat, gut zu zielen, hier ist sie! Vergiß das nicht, Neluto!

– Rechnen Sie auf mich,« versprach der Indianer.

Nach schneller Beendigung der Vorbereitungen zur Verteidigung galt es nur noch, die Nachbarschaft des Lagers zu überwachen. Dazu wurden einige Männer vor den Kanal so postiert, daß sie die ganze Südseite des Golden Mount übersehen konnten.

Jedermann erkannte die Vorteile der Lage. Der trapezförmige Platz, worauf die Karawane lagerte, hatte keinen andern Ausgang mehr als über den vor dem Galerieeingange liegenden Damm, der eben auch für die Wagen gerade noch breit genug war. Mußte der Rückzug angetreten und der Platz den Texanern überlassen werden, so konnte man auf diesem schmalen Wege die Ebene erreichen und zum linken Ufer des Rio Rubber gelangen. Wollte man dagegen das Wasser aus dem Rio weiter einströmen lassen, um den Ausbruch des Vulkans herbeizuführen, so war es ganz leicht, den Damm augenblicklich durch fünf oder sechs Sprengpatronen zu zerstören, die in seine Masse eingesetzt und durch eine und dieselbe Lunte mit den andern verbunden waren, die man schon früher im Hintergrunde der Galerie ausgelegt hatte. In Erwartung einer solchen Möglichkeit sorgte man dafür, diesen Ausgang zu verbarrikadieren, wobei vorläufig noch eine ganz schmale Öffnung ausgespart blieb, die nur im Augenblick des Angriffs geschlossen werden sollte.

Während die wachthabenden Leute draußen standen, frühstückten die andern unter den Bäumen. Ben Raddle, Summy Skim und Jane Edgerton aßen zusammen.[391] Der Fischfang war in den letzten Tagen sehr ergiebig gewesen und die Konserven hatte man bisher kaum angegriffen.

Man zündete ein Feuer an, was jetzt, nach der Entdeckung des Lagers, ja nichts mehr zu bedeuten hatte, und der Rauch wirbelte frei durch das Gezweig in die Höhe.

Die Mahlzeit verlief ohne Störung. Als die Zeit zur Ablösung der Wachtposten gekommen war, hatten auch diese noch nichts von der Annäherung der Bande bemerkt.[392]

»Vielleicht, meinte Summy Skim, ziehen die Schurken es vor, uns in der Nacht zu überfallen.


Die Öffnung der Barrikade wurde verschlossen (S. 395.)
Die Öffnung der Barrikade wurde verschlossen (S. 395.)

– O, die Nacht dauert ja nur zwei Stunden, antwortete Ben Raddle; sie können also kaum hoffen, uns zu überraschen.

– Warum nicht, Ben? Sie wissen doch nicht, daß wir auf der Hut sind und uns ihre Anwesenheit am Golden Mount bekannt ist. Sie haben keine Ahnung, daß wir sie bemerkt haben, als sie am Rande des Plateaus standen.


Jetzt folgten einige Augenblicke gespannten Stillschweigens (S. 398.)
Jetzt folgten einige Augenblicke gespannten Stillschweigens (S. 398.)

– Das ist möglich, gab der Scout zu, sie haben aber das scheu gewordne Pferd davonlaufen gesehen. Erst der Hund im Walde, dann das Pferd auf der Ebene, das ist für sie mehr als genug, sicher zu sein, daß eine[393] Karawane an dieser Stelle lagert. Wir müssen also darauf vorbereitet sein, sie im Laufe des Nachmittags oder der kommenden Nacht zu sehen.«

Gegen ein Uhr begab sich der Scout über den Damm zu den Leuten, die die Umgebung beobachteten.

Während seiner Abwesenheit kehrten Ben Raddle und Summy nach der Baumgruppe zurück, von der aus sie Hunter und Malone am Plateaurande gesehen hatten. Von hier aus war auch der Rauch des Vulkans sichtbar. Der stieg etwa fünfzig Fuß über den Krater empor und wälzte sich, von den aufschießenden Flammen durchbrochen, heftig hin und her. Die Gewalt der vulkanischen Kräfte war offenbar im Zunehmen. Da drängte sich der Gedanke auf, daß der Ausbruch vielleicht sehr bald stattfinden könnte.

Das wäre für die Pläne des Ingenieurs sehr ungünstig gewesen. Der Vulkan hätte neben Asche und Lava dann goldhaltige Massen ausgeworfen, die die Texaner nur einzusammeln brauchten. Ben Raddle hätte ihnen deren Besitznahme ja nicht streitig machen können. Im Lager hatte die Karawane zwar Aussicht auf einen siegreichen Kampf, im freien Felde mußte es ihr aber unmöglich sein, einen Erfolg zu erringen. Wenn die Eruption jetzt erfolgte, so geschah das zum Nutzen Hunters und die Partie wäre unrettbar verloren gewesen.

Den Ingenieur beunruhigte das um so mehr, als er gegen diese Gefahr nichts tun konnte, und er kehrte besorgter ins Lager zurück, als er fortgegangen war.

Als er hier ankam, wies Summy Skim auf den Scout hin, der sich eiligen Laufes näherte.

»Sie kommen! rief Bill Stell schon von weitem.

– Sind sie noch fern von hier? fragte der Ingenieur.

– Etwa noch eine halbe Lieue, antwortete der Scout.

– Hätten wir wohl noch Zeit, uns nach ihnen umzusehen?

– Jawohl,« sagte Bill Stell.

Alle drei überschritten den Kanal und erreichten schnell die Stelle, wo einige Männer auf Wache standen.

Es war hier leicht, die Ebene zu übersehen, ohne selbst bemerkt zu werden. Längs des Fußes des Vulkans zog ein geschlossener Trupp heran. Es mochte[394] die gesamte Bande sein. Die Läufe von Gewehren blinkten daraus hervor. Pferde und Wagen waren nicht dabei; diese und alles sonstige Material hatten sie zurückgelassen.

Hunter, Malone und der Werkführer marschierten an der Spitze. Sie bewegten sich nur vorsichtig weiter, hielten zuweilen still oder gingen auch einige hundert Schritte seitwärts auf die Ebene, um den Gipfel des Golden Mount sehen zu können.

»Die sind vor Ablauf einer Stunde hier, sagte Ben Raddle.

– Und offenbar ist ihnen unser Lager bekannt, fügte Summy Skim hinzu.

– Sie mögen nur einen Angriff wagen! platzte der Scout heraus.

– Wenn ich hier wartete, bis Hunter in Schußweite käme, rief Summy Skim, würde ich ihn mit einer blauen Bohne begrüßen, und den brächte ich zur Strecke, so sicher wie jede Wildente!

– Wozu sollte das dienen? erwiderte Ben Raddle. Nein, wir ziehen uns ins Lager zurück und lassen die Schuld einer Gewalttat auf andern Schultern ruhen.«

Das war wohl das Klügere. Der Tod des Texaners hätte einen Angriff, der ja auch so noch nicht ganz sicher war, doch nicht verhindert.

Ben Raddle, Summy Skim und der Scout gingen also zum Kanale zurück. Nachdem sie diesen einer hinter dem andern überschritten hatten, verschlossen sie die Öffnung der Barrikade mit dazu bereit gelegten Steinen. Nun war zwischen den Kanalufern keine Verbindung mehr vorhanden.

Alle zogen sich darauf noch um sechzig Schritt weiter zurück, wo sie unter den ersten Bäumen Deckung fanden, wenn es, wie wahrscheinlich, zu einem Feuergefecht kam.

Dann warteten sie, die geladnen Gewehre in der Hand.

In der Tat erschien es besser, sich bis zum Äußersten zu gedulden, die Gegner ruhig herankommen zu lassen und erst dann die Abwehr zu beginnen, wenn diese versuchen würden, den Kanal zu überschreiten.

Eine halbe Stunde später erschienen Hunter, Malone und ihre Genossen an der Ecke des Berges. Langsam schritten sie an dessen Fuße hin und einige von ihnen wendeten sich dem Rio zu, an dessen linkem Ufer sie hinaufzogen.

Die Hälfte der Leute waren Goldgräber, die Ben Raddle, Summy Skim und Neluto auf dem hunderteinunddreißigsten Claim am Forty Miles Creek hatten arbeiten gesehen. Die andre Hälfte bestand aus zwanzig Indianern, die[395] Hunter in Circle City und im Fort Yukon für diesen Zug an die Küste des Polarmeeres angeworben hatte.

Die ganze Bande vereinigte sich wieder, als der Kanal erreicht war, an dessen Ufer Hunter und Malone stehen blieben.

Beide begannen mit dem Werkführer ein Gespräch, das ihren Bewegungen nach ein sehr lebhaftes sein mußte. Daß unter dem Schutz der Bäume ein Lager errichtet war, daran konnten sie nicht zweifeln. Was ihnen aber eine starke Enttäuschung bereitete, war der Kanal, der ein nur schwer überwindliches Hindernis bildete, wenn von sechzig Schritt hinter ihm her Feuer gegeben wurde.

Auf den ersten Blick hatten sie erkannt, daß der Kanal erst in jüngster Zeit ausgehoben worden war. Zu welchem Zwecke, konnten sie freilich nicht erraten, da der Eingang zur Galerie durch ein Gewirr von Zweigen verdeckt ward. Wie hätten sie übrigens auch auf den Gedanken kommen können, daß er dazu dienen sollte, das Wasser des Rios in die Eingeweide des Golden Mount zu leiten?

Hunter und Malone gingen inzwischen, offenbar nach einem Mittel zum Übergange suchend, am Kanalufer auf und ab. Sie mußten auf alle Fälle bis zu dem kleinen Gehölz vorzudringen suchen, entweder um auf die, die sich darin verbargen, zu treffen oder sich zu überzeugen, daß diese den Platz schon aufgegeben hätten, was ja immerhin möglich war.

Nach wenigen Minuten gesellte sich der Werkführer wieder zu ihnen und wies mit der Hand nach dem Damme, über den allein man trocknen Fußes den Kanal überschreiten konnte.

Alle drei begaben sich nach dieser Seite hin. Als sie die völlig verrammelte Barrikade erblickten, mußten sie sich sagen, daß das Gehölz nicht verlassen wäre und daß sie jenseits dieses Hindernisses ein Lager finden würden.

Hinter den Bäumen verborgen, verfolgten Ben Raddle und seine Gefährten alle Bewegungen der Bande. Sie begriffen, daß Hunter sich durch Beseitigung der auf dem Damme aufgetürmten Steine einen Durchgang freilegen wollte. Jetzt war der Augenblick zum Handeln gekommen.

»Ich weiß nicht, sagte Summy leise, was mich abhält, ihm den Schädel zu zerschmettern? Ich habe ihn ja so bequem vor der Flinte...

– Nein, schieße noch nicht, Summy, wehrte ihn Ben Raddle, indem er die Waffe seines Vetters niederdrückte. Wäre auch der Führer getötet, die Soldaten wären doch noch da. Vielleicht ist es ratsamer, sich mit den Leuten auseinanderzusetzen[396] als sogleich auf sie loszuknallen. Was meinen Sie dazu, Scout?

– Nun ja, wir können ja eine Verhandlung versuchen, antwortete Bill Stell, obgleich ich mir davon kaum etwas verspreche. Doch wenn sie zu nichts Gutem führt, kann sie wenigstens nichts schlimmer machen.

– Jedenfalls, fiel hier Jane Edgerton ein, wollen wir uns nicht gleich alle zeigen.

– Das ist richtig, stimmte ihr der Ingenieur zu. Ich allein...

– Und ich mit dir!« fiel Summy Skim ein, der es nie über sich gebracht hätte, sich vor Hunter zu verstecken.

Eben als jetzt einige Leute des Texaners auf dessen Geheiß herankamen, die Barrikade abzutragen, er schienen Ben Raddle und Summy Skim vor dem Gehölze.

Sobald Hunter ihrer ansichtig wurde, befahl er seinen Leuten, sich zurückzuziehen, und vorläufig hielt sich die ganze Rotte etwa zehn Schritt hinter dem jenseitigen Kanalufer in der Defensive.

Nur Hunter und Malone kamen, das Gewehr in der Hand, näher heran.

Ben Raddle und Summy Skim hatten ihre Flinten ebenfalls bei sich, ließen deren Kolben aber auf der Erde ruhen. Die beiden Texaner taten das gleiche.

»He, rief Hunter höchst überrascht, das sind – hol' mich der Teufel! – ja Sie, die Herren von Hundertneunundzwanzig!

– Jawohl, wir selbst, gab Summy Skim zur Antwort.

– Ich hätte kaum erwartet, Ihnen an der Mündung des Mackensie zu begegnen, fuhr der Texaner fort.

– So wenig wie wir, Sie hierherkommen zu sehen, erwiderte Summy Skim.

– Ein Beweis, daß Ihr Gedächtnis nicht so gut ist wie das meinige. Haben wir nicht seit langer Zeit miteinander noch ein Hühnchen zu rupfen?

– Das kann hier ebensogut geschehen wie auf den Claims am Forty Miles Creek, entgegnete Summy trotzig.

– Na, wie es Ihnen beliebt!«

Hunter, bei dem der Zorn jetzt das Erstaunen ablöste, erhob sofort das Gewehr und Summy Skim tat dasselbe.

Unter der Bande entstand eine plötzliche Bewegung, die Hunter aber durch ein gebieterisches Zeichen unterdrückte. Ehe er sich auf weiteres einließ, erschien es ihm besser, sich über die Zahl der Gegner zu unterrichten; er musterte aber[397] das kleine Gehölz zu diesem Zwecke vergeblich, da sich keiner von den Leuten der Karawane zwischen den Bäumen sehen ließ.

Ben Raddle hielt den Augenblick für sein Dazwischentreten für gekommen. Er ging bis zum Rande des Kanals vor. Durch diesen getrennt, standen nun Hunter und er einander gegenüber, Malone und Summy waren mehr zurückgeblieben.

»Was wünschen Sie? fragte der Ingenieur ganz ruhig.

– Wir verlangen Auskunft darüber, was Sie hier am Golden Mount vorhaben.

– Mit welchem Rechte?

– Mein Recht ist das hier! antwortete Hunter roh, indem er den Kolben seines Gewehres auf die Erde stieß.

– Und hier das meinige!« erwiderte Ben Raddle, der dasselbe tat.

Jetzt folgten einige Augenblicke gespannten Stillschweigens.

»Noch einmal also, begann der Texaner wieder, was haben Sie am Golden Mount vor?

– Das, was Sie wohl selbst hier beabsichtigen, erklärte Ben Raddle.

– Sie wollen also dessen Goldlager ausbeuten?

– Ja, die Ablagerung, die uns gehört.

– Der Golden Mount ist niemandes Eigentum, protestierte Hunter, er gehört jedermann.

– Nein, widersprach ihm Ben Raddle. Er gehört dem, der ihn zuerst in Besitz nahm.

– Es handelt sich gar nicht darum, ihn zuerst in Besitz genommen zu haben oder nicht, schrie Hunter.

– So?... Um was denn?

– Ihn verteidigen zu können.

– Nun, wir sind dazu bereit, erklärte seelenruhig der Ingenieur.

– Zum letzten Male, rief Hunter, der mehr und mehr in Hitze geriet, wollen Sie uns den Platz jetzt überlassen?

– Nehmen Sie sich ihn doch,« antwortete Ben Raddle.

Auf ein Zeichen Malones krachten jetzt mehrere Flintenschüsse, doch ohne Ben Raddle oder Summy Skim, die jetzt nach dem Gehölz zurückeilten, zu treffen. Ehe sie noch unter den Bäumen verschwanden, drehte sich Summy Skim noch einmal um, schlug eiligst das Gewehr an und feuerte auf Hunter.[398]

Der Texaner konnte, da er sich sofort seitwärts beugte, der für ihn bestimmten Kugel entgehen, die an seiner Stelle einen seiner Leute niederstreckte.

Jetzt knatterte das Gewehrfeuer auf beiden Seiten. Die durch die Bäume gedeckten Gefährten Ben Raddles litten dadurch aber bei weitem nicht so viel wie die Angreifer. Die ersten hatten nur einige Verwundete, die zweiten schon mehrere Tote.

Hunter sah bald ein, daß seine Rotte dezimiert werden würde, wenn es ihm nicht gelang, den Kanal zu überschreiten. Er befahl jetzt seinen Leuten, sich zu Boden zu werfen. Die neben den Ufern aufgehäufte Erde bildete eine Art Brustwehr, die recht guten Schutz verlieh, wenn man dahinter ausgestreckt lag. Damit war es möglich, ungestraft ein Feuer gegen das Gehölz zu unterhalten, aus dem sich niemand ungefährdet hinauswagen konnte.

Malone und zwei der Leute krochen auf Hunters Befehl nach dem Damm hin, den sie unbeschädigt erreichten, und unter dem Schutze der Felsblöcke der Barrikade begannen sie die Verschlußsteine des schmalen Durchgangs zu beseitigen und in den Kanal fallen zu lassen.

Diesem Punkte wendete sich nun die Aufmerksamkeit der Verteidiger zu. Wenn der Übergang erzwungen war, wenn es der Bande gelang, bis zu dem kleinen Gehölz vorzudringen und das Lager zu umzingeln, dann war jede Hoffnung auf Widerstand verloren und der Überzahl mußte der Sieg verbleiben.

Keine der Kugeln aus dem Gehölz traf Malone oder seine beiden Leute. Bill Stell, der sie um jeden Preis verhindern wollte, über den Damm zu kommen, sprach schon davon, einen Ausfall zu machen und Mann gegen Mann zu kämpfen.

Ben Raddle hielt ihn zurück. Es wäre zu gefährlich gewesen, über den freien Platz hinzustürmen, der zwischen Gehölz und Kanal lag. Dieser Gefahr sollten lieber Hunter und seine Spießgesellen ausgesetzt sein, wenn sie nach Beseitigung des Barrikadenverschlusses das Lager zu stürmen unternahmen. Bis dahin war es besser, das Feuer ununterbrochen auf den Damm zu richten, doch auch auf die Schüsse zu antworten, die von dem Erdschutz am Kanal her fielen.

Zehn Minuten verliefen unter diesen Umständen. Keiner von denen, die an der Barrikade beschäftigt waren, hatte eine Verletzung erlitten. Erst als die Öffnung größer wurde, bot sich den Schützen ein bequemeres Ziel.

Einer der Indianer wurde hingestreckt. Sofort trat an seine Stelle ein andrer, der dasselbe Schicksal erfuhr. Gleich darauf traf eine von Neluto herrührende[399] Kugel Malone mitten in die Brust. Der Texaner stürzte zu Boden und sein Fall rief einen schrecklichen Aufschrei der ganzen Bande hervor.

»Brav gemacht, Neluto! sagte der neben diesem stehende Summy Skim, das war ein Meisterschuß! Den Kerl, den Hunter aber, den überlasse mir!«

Nachdem Malone gefallen war, schien dieser aber auf einen Angriff zu verzichten, der in der bisherigen Weise keinen Erfolg versprach, denn wenn es so fortging, ließen sich die Angreifer nur einer nach dem andern über den Haufen schießen. Hunter, der seine Leute nicht weiter gefährdet sehen wollte, gab deshalb ein Zeichen zum Rückzuge und ihre Verwundeten mitschleppend, schlug er, auf der Flucht von Gewehrfeuer begleitet, wieder den Weg nach der Ebene ein und verschwand um die Ecke des Golden Mount.

Quelle:
Jules Verne: Der Goldvulkan. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXXIX–XC, Wien, Pest, Leipzig 1907, S. 389-400.
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