Achtes Kapitel.
Wo Ben Raddle einen Entschluß kundgibt.

[335] Als Ben Raddle diesen neuen Zug unternommen hatte, war er nach den, übrigens so glaubhaften Aussagen Jacques Leduns überzeugt gewesen, daß es hier genügen würde, die Pepiten im Krater des Golden Mount zusammenzuraffen, damit die Wagen zu beladen und den Weg nach Dawson City wieder einzuschlagen. Zu dieser leichten Aufgabe sollte – seiner Meinung nach – eine Woche genügen und die Her- und Rückreise dann in weniger als drei Monaten abgemacht sein. Seinem Vetter hatte er auch in ehrlichem Ernste versichert, daß die Karawane in Dawson City in den ersten Tagen des August, also zeitig genug wieder eintreffen würde, Skagway noch vor Eintritt der strengen Kälte, von da Vancouver zu erreichen und dann auf der Bahn nach Montreal heimzukehren.

»Welch unendlich langen Zug werden wir da brauchen, hatte Summy scherzend geantwortet, uns und die Millionen des Golden Mount zu befördern. Und die Überfracht, die wir zu bezahlen haben werden!«

Wenn diese Millionen an der angegebenen Stelle im Krater auch wirklich vorhanden waren, so ließen sie sich daraus jetzt doch nicht holen.

Dieses unerwartete Hindernis nötigte nun dazu, das Lager wenigstens für einen mehrwöchigen Aufenthalt einzurichten. Der Scout traf deshalb die geeigneten Maßregeln, den Lebensunterhalt der Gesellschaft und die Ernährung der Zugtiere bis zu dem Tage zu sichern, wo es sich nicht mehr werde aufschieben[335] lassen, nach Süden zurückzukehren. Den Winter unter einfachen Zelten aushalten zu wollen, wäre ja die reinste Tollheit gewesen. Wie es auch kommen, ob die Reise hierher einen Erfolg haben mochte oder nicht, jedenfalls mußte der Polarkreis spätestens Mitte August wieder überschritten sein. Nach diesem Zeitpunkte wurde der Weg völlig ungangbar in einer Gegend, die von Stürmen und furchtbarem Schneetreiben gar so oft heimgesucht wird.

Vorläufig galt es also abzuwarten und dazu war eine reichliche Portion Geduld nicht überflüssig. Der Zustand des Vulkans und die Weiterentwicklungder Eruption verlangte auch unausgesetzte Aufmerksamkeit; ebenso wurden gewiß weitre Bergbesteigungen nötig. Weder Ben Raddle noch der Scout und am wenigsten Jane Edgerton schreckte vor der damit verbundenen Anstrengung zurück und der Verlauf der Naturerscheinung wurde von Tag zu Tag sorgsam im Auge behalten.


Jane Edgerton blieb mit gefurchter Stirn am Kraterrande stehen. (S. 334.)
Jane Edgerton blieb mit gefurchter Stirn am Kraterrande stehen. (S. 334.)

Weder Summy Skim noch Neluto kam in Verlegenheit, die langen Stunden auszufüllen. Sie jagten entweder auf den Ebenen im Süden und im Westen oder auf dem Sumpflande des Mackensiedeltas. Wild gab es in Überfluß und den beiden eifrigen Jägern erschienen die Tage nicht im mindesten endlos. Der Scout empfahl ihnen vom ersten Tage an, sich nicht zu weit zu entfernen. In der schönen Jahreszeit wird das Küstengebiet des Polarmeeres von Indianerhorden durchstreift, denen man am besten nicht begegnet.


Summy konnte nicht lebend bis zum Fuße des Berges hinunterstürzen. (S. 340.)
Summy konnte nicht lebend bis zum Fuße des Berges hinunterstürzen. (S. 340.)

Das Personal der Karawane konnte sich dem Vergnügen des Fischfanges hingeben. An Fischen fehlte es in dem Labyrinth von Rios nicht und schon diese Quelle genügte, die Ernährung aller bis zur Bildung des ersten Eises zu sichern.

Mehrere Tage vergingen ohne Veränderung der Sachlage. Die Eruption zeigte keine Neigung, zuzunehmen. Wie Ben Raddle vorausgesetzt hatte, als er sah, an welcher Stelle des Gipfels der Krater sich öffnete, verlief der Kamin des Vulkans näher seiner nördlichen Wand, wodurch sich auch der sanftere Abfall der Westseite erklärte, längs der eine Ersteigung allein möglich war. In dem fast am Fuße des Golden Mount errichteten Lager, dem dessen Ostseite zugewendet war, vernahm man deutlich das dumpfe Toben der plutonischen Arbeit. Der Ingenieur schloß daraus, daß die Dicke der sehr steilen Bergflanke nicht beträchtlich sein könne, und der Scout stimmte ihm darin bei.

Jane Edgerton, Ben Raddle und der Scout unternahmen fast täglich eine Besteigung des Vulkans, während Neluto in Gesellschaft des unermüdlichen Summy der Jagd oblag. Eines Tages aber wollte sich dieser dem Trio der Bergsteiger anschließen, das damit zu einem Quartett wurde. Das sollte für ihn aber nicht gerade gut ablaufen, ja diese Anwandlung hätte dem eifrigen Nimrod leicht sehr teuer zu stehen kommen können.

Nicht mehr weit vom Gipfel angelangt, kletterten, durch ein Seil verbunden, alle vier wie das erste Mal im Gänsemarsch in die Höhe, der Scout an der Spitze, Ben Raddle am Schlusse und zwischen ihnen Summy Skim vor Jane Edgerton. So klommen sie an dem Kegel aus mürber, von den letzten Eruptionen auf den[339] nächstuntern Stufen des Vulkans abgelagerter Asche empor, als das Seil dicht an der Spitzhaue zerriß, die der Scout eben in den Boden eingeschlagen hatte. Summy, der sich gerade daran emporhißte, verlor das Gleichgewicht, stürzte nieder und rollte den Abhang mit der zunehmenden Schnelligkeit hinunter, die den bekannten Gesetzen der Schwere entspricht. Vergebens sachte er sich irgendwo festzuhalten. Der Erdboden »floh« sozusagen unter seinen Händen.

Seine Gefährten stießen einen Schreckensschrei aus. Summy konnte nicht lebend bis zum Fuße des Berges hinunterstürzen und er drohte auch die, die mit ihm durch das Seil verbunden waren, Ben Raddle und vor diesem Jane Edgerton, mit in seinen Unfall zu verwickeln.

Zum Glück hatte gerade das junge Mädchen all ihre Kaltblütigkeit bewahrt. Ein glücklicher Zufall fügte es, daß sie, als der Unfall sich ereignete, in ihrer Nähe einen holzigen Busch fand, woran sie sich fest anhalten konnte. Als nun Summy unter dem gebieterischen Zwange der Schwerkraft eben dicht bei ihr vorüberrollte, gelang es ihr, ihn an der Kleidung zu fassen und vor dem weitern Hinabstürzen zu bewahren.

Summy war sofort wieder auf den Füßen, zwar halb betäubt, doch mit heilen Gliedern.

»Hast doch nichts gebrochen? fragte Ben Raddle von unten her.

– Nichts, antwortete Summy. Ein Paar Beulen, vielleicht einige Hautabschürfungen, die der Hilfe des Doktor Pilcox nicht bedürfen werden.

– Dann also vorwärts!« rief Ben Raddle beruhigt.

Summy erhob Einspruch.

»Laß mir wenigstens Zeit, Fräulein Jane zu danken. Sie hat mir doch – wenn's weiter nichts ist – das Leben gerettet.«

Jane Edgerton machte ein etwas schnippisches Gesicht.

»O, das ist nicht nötig, sagte sie. Wir sind einfach quitt. Sie werden mir aber wohl erlauben, Ihnen zu bemerken, daß Frauen, wenn das auch Ihren Anschauungen widersprechen sollte, gelegentlich doch zu etwas gut sein können.«

Summy hätte das wohl kaum bestreiten können. So erkannte er es denn mit warmer Überzeugung an und dann wurde der Aufstieg ohne weitern Unfall vollendet.

Die ferneren Tage verliefen, ohne daß irgendwelche Veränderung eintrat. Aus der Mündung des Golden Mount züngelte keine Flamme hervor und kam kein eigentlicher Auswurf zum Vorschein.[340]

Schon schrieb man den 20. Juni.

Die Ungeduld Ben Raddles und seiner Gefährten wird sich der Leser leicht vorstellen können. Diese Unmöglichkeit, etwas zu unternehmen, die aufgezwungene Tatenlosigkeit fing allmählich an, alle zu entnerven. Nach Beendigung der zeitweiligen Niederlassung hatten die Prospektoren nichts mehr zu tun und alle litten unter der erdrückenden Langweile.

Die beschäftigtste Person war jedenfalls noch Jane Edgerton, die sich selbstherrlich der Besorgung der Küche angenommen hatte. Die Nahrung für einundzwanzig Personen zu bereiten, das ist wahrlich keine Sinekure und kann schon die Existenz eines Einzelnen ausfüllen.

Der getreuen Verwalterin widerfuhr es aber doch einmal, ihren Pflichten nicht nachkommen zu können. An einem Tage, wo sie mit Ben Raddle und dem Scout die gewohnte Besteigung des Golden Mount vornahm, entstand ein dichter Nebel, der den rechtzeitigen Abstieg unmöglich machte. Stundenlang mußten die drei warten, zum größten Mißvergnügen Janes, die sich um das Essen ihrer Gefährten sorgte.

Hätte sie sehen können, was inzwischen unten im Lager vorging, so wäre sie wohl weniger beunruhigt gewesen. Hier hatte sich für sie ein Stellvertreter gefunden und das war kein andrer als Summy. Dieselbe Ursache, die die drei Ausflügler auf dem Berggipfel zurückhielt, hatte auch ihn von der Jagd zurückgehalten und um die unfreiwilligen Mußestunden nützlich auszufüllen, hatte er es ausnahmsweise übernommen, für die abwesende Küchenregentin einzutreten. Mit einer langen Schürze, über die er manchmal stolperte, umgürtet und mit Messer und Gabel fechtend, bemühte er sich, eine Mahlzeit herzustellen, die köstlich schmecken mußte, wenn er dazu ebensoviel Geschick hatte, wie er Eifer entwickelte.

Als der Nebel sich verzogen hatte, konnten die Bergsteiger ins Lager zurückkehren. Jane war nicht wenig erstaunt, die Tafel schon hergerichtet und das Essen fix und fertig bereitet zu finden. Es wurde ihr nicht schwer, den, der das besorgt hatte, herauszufinden. Summy verbarg sich nicht im geringsten. Er ließ sich vielmehr, nicht ohne eine gewisse Eitelkeit, sehen, immer noch angetan mit der Schürze und mit Küchengeräten hantierend, während er von der Hitze des Feuers im Gesicht puterrot geworden war.

»Zu Tische!« rief er lustig, als Jane mit ihren zwei Begleitern auf Hörweite herangekommen war.[341]

Als sich alle gesetzt hatten, wollte er seine junge Reisegefährtin auch eigenhändig bedienen. Mit der Korrektheit eines wohlgeübten Dieners bot er ihr eine Schüssel an, von der diese ohne Zieren reichlich zulangte.

»Scheuen Sie sich nur nicht, davon zu nehmen, mein Fräulein, sagte er dabei, Sie werden mir's schon wieder sagen, wie es geschmeckt hat.«

In dem Augenblicke aber, wo sie die Erzeugnisse des improvisierten Kochs kosten wollte, setzte er, sie davon zurückhaltend, noch hinzu:

»Vorher noch ein Wort, Fräulein Jane, um Ihnen zu bemerken, daß die Männer – wenn es auch Ihren Anschauungen widerspricht – gelegentlich doch zu etwas gut sind.«

Ohne zu antworten, kostete Jane von dem Gericht.

»Das ist meine Anschauung gar nicht,« äußerte sie darauf frostig.

Das Ragout war tatsächlich abscheulich und sehr gedemütigt mußte Summy das selbst einräumen, als er es gekostet hatte.

Gut oder schlecht, die Mahlzeit kam den hungrigen Magen doch gelegen. Die Zähne feierten nicht und die Zungen ebensowenig.

Und wovon hätte man da gesprochen, wenn nicht von dem, was allen so sehr am Herzen lag? Man plauderte vom Golden Mount, von den Schätzen, die er in seinem Innern barg, und von der Unmöglichkeit, sich diese anzueignen.

Im Laufe des Gesprächs schlug einer der Prospektoren vor, den Berg – als ob das die einfachste Sache von der Welt wäre – gleich in die Luft zu sprengen.

»Dazu würde unser gesamter Pulvervorrat nicht ausreichen, wendete Bill Stell dagegen ein, und wenn es uns wirklich gelänge, in die Wand eine Bresche zu legen, was würde dann dabei herauskommen?

– Vielleicht ein Strom von Pepiten, sagte der Kanadier.

– Nein, erwiderte der Scout, nichts als Dampf und Rauch. Sie würden durch die neue Öffnung herausströmen wie jetzt durch den Kamin und wir wären damit um kein Haar weiter.

– Was sollen wir dann tun?

– Warten... einfach warten!

– Warten, immer warten! protestierte einer der frühern Arbeiter vom Claim 129. Das werden wir bald nicht mehr können. Spätestens nach zwei Monaten müssen wir fort von hier, wenn uns der Winter nicht überraschen soll.[342]

– Nun gut, wir werden fortgehen, erklärte Ben Raddle, der jetzt das Wort ergriff. Wir werden nach Dawson zurückkehren und mit den ersten schönen Tagen wieder hierherziehen.

– Was? rief Summy Skim entsetzt aufspringend, noch einen zweiten Winter in Klondike erleben!

– Jawohl, erklärte Ben Raddle rundweg. Dir steht es ja frei, nach Montreal zurückzufahren. Ich, ich bleibe in Dawson. Die Eruption muß doch früher oder später eintreten, und da will ich bei der Hand sein.«

Jane Edgerton griff nun in das Gespräch ein, das eine garstige Wendung zu nehmen drohte.

»Gibt es denn kein Mittel, diese Eruption hervorzurufen?

– Keines, erklärte Ben Raddle. Wir können unmöglich...«

Wie von einem plötzlichen Gedanken gepackt, unterbrach der Ingenieur, der Jane Edgerton scharf ansah, den angefangenen Satz. Vergeblich forderte diese ihn auf, fortzufahren, er schüttelte nur den Kopf, verweigerte es aber, seine Gedanken zu offenbaren.

Die folgenden Tage herrschte recht schlechtes Wetter. Von Süden her zogen schwere Wolken heraus. Die atmosphärische Depression schien die Tätigkeit des Vulkans zu steigern, wenigstens mischten sich den aus dem Krater aufsteigenden Rauchmassen dann und wann auflodernde Flammen bei.

Einigen schnell vorübergehenden Gewittern folgten tüchtige Platzregen, die teilweise eine Überschwemmung des Mackensiedeltas herbeiführten, so daß sich die Fluten der beiden Hauptarme des Stromes vermischten.

Es ist wohl unnötig zu sagen, daß Summy Skim in dieser Zeit seine Jagdausflüge unterbrechen und sich im Lager aufhalten mußte, wo ihm die Stunden recht lang erschienen.

Bei dieser Lage der Dinge ereignete sich doch etwas von besondrer Wichtigkeit.

Am Nachmittage des 23. Juni forderte Ben Raddle seinen Vetter, Jane Edgerton und den Scout auf, ihm in sein Zelt zu folgen.

»Ich habe mit euch zu sprechen, liebe Freunde, begann er, als alle sich gesetzt hatten, und ich bitte euch, genau auf den Vorschlag zu achten, den ich zu machen habe.«

Sein Gesicht war dabei sehr ernst. Die Furchen seiner Stirn verrieten, daß ihn irgend etwas tief bewegte, und bei der aufrichtigen Freundschaft, die[343] Summy Skim für ihn hegte, fühlte sich dieser darüber recht beunruhigt. Hatte sich Ben Raddle vielleicht entschlossen, den bisherigen Plan aufzugeben, auf den Kampf gegen die ihm offenbar feindliche Natur zu verzichten? Wollte er endgültig nach Montreal zurückkehren, wenn sich die Lage der Dinge vor Eintritt der rauhen Jahreszeit nicht änderte? Selbstverständlich hätte Summy Skim diesen Entschluß am freudigsten begrüßt.

»Meine lieben Freunde, sagte jetzt Ben Raddle, es besteht kein Zweifel, daß der Golden Mount existiert, ebensowenig darüber, daß er reiche Schätze birgt. Jacques Ledun hat sich nicht getäuscht, wir haben uns davon mit eignen Augen, überzeugen können. Die ersten Vorläufer eines Ausbruchs haben uns leider gehindert und hindern uns noch heute, in den Krater einzudringen. Wäre das möglich gewesen, so wäre auch unsre Aufgabe hier vollendet und wir befänden uns schon wieder auf dem Wege nach Klondike.

– »Die erwartete Eruption wird aber nicht ausbleiben, schaltete der Scout ein.

– Dann muß sie aber vor Ablauf von sechs Wochen eintreten,« brummte Summy zwischen den Zähnen.

Ein kurzes Stillschweigen. Jeder beschäftigte sich mit den eignen Gedanken. Nach reiflicher Überlegung, als wolle er alle möglichen Folgen eines lange bedachten Vorhabens erwägen, fuhr Ben Raddle fort:

»Vor einigen Tagen habe ich eine gelegentliche Äußerung Miß Edgertons unbeantwortet gelassen. Vielleicht waren jene Worte ihr durch den Unwillen darüber eingegeben, daß wir hier bezüglich der Durchführung unsres Unternehmens zu so beschämender Ohnmacht verurteilt sind, und vielleicht legte sie ihnen gar keine besondre Bedeutung bei. Mich frappierte aber der hingeworfne Gedanke, ich habe ihn reiflich erwogen, habe nach den Mitteln gesucht, ihn zu verwirklichen, und ich glaube, sie gefunden zu haben. Könnte man nicht die zögernde Eruption hervorrufen? Ich antworte hierauf: Warum denn nicht?«

Jane Edgerton heftete ihre Augen auf die des Ingenieurs. Das waren Worte, die ihr gefielen. Handeln, Wesen und Dinge beherrschen, selbst die Natur unter seinen Willen beugen... ja, das hieß: leben! Ihre Lippen zitterten, ihre Nasenflügel bewegten sich, ihre ganze Haltung verriet ihre Ungeduld, die Einzelheiten des so interessanten Planes kennen zu lernen.

Summy Skim und der Scout sahen einander an und schienen zu fragen, ob der Ingenieur wirklich noch völlig bei Verstande wäre, ob so viele Enttäuschungen[344] und Sorgen seinen Geist nicht etwas verwirrt hätten. Ob Ben Raddle wohl ihren Gedanken erriet? Jedenfalls fuhr er mit der Klarheit eines Mannes, der seiner vollständig Herr ist, folgendermaßen in seiner Rede fort:

»Die Vulkane liegen, wie Sie ja wissen, alle an der Küste des Meeres: der Vesuv, der Ätna, der Hekla, der Chimborasso und noch viele andre in der Alten und der Neuen Welt. Man schließt daraus natürlich, daß das Wasser zu ihrer Entstehung notwendig ist, und neuerdings gibt auch die Theorie zu, daß die Vulkane in unterirdischer Verbindung mit dem Ozean stehen müssen. Das Wasser dringt in sie ein, schnell oder langsam, je nach der Art des Erdbodens, es findet seinen Weg bis zum innern Feuerherde und verwandelt sich hier zu Dämpfen. Wenn die in den Eingeweiden der Erde eingeschlossenen Dämpfe dann eine hohe Spannung erreicht haben, bringen sie im Innern Umwälzungen hervor und suchen nach außen durchzubrechen, wobei sie unter Rauch- und Flammenerscheinung Schlacken, Asche und Steinbrocken durch den Kamin hinausschleudern. Das ist unzweifelhaft die Ursache der Eruptionen und auch der Erdbeben, wenigstens gewisser unter diesen. Nun frage ich: Was die Natur tut, warum sollten das die Menschen nicht auch versuchen können?«

Jetzt verschlangen alle sozusagen den Ingenieur mit den Blicken. Wenn die Theorie der Eruptionserscheinungen auch noch nicht unangefochten feststeht, so wird doch die Erklärung, die er eben entwickelte, gewöhnlich als die wahrscheinlichste betrachtet.

Was nun den Golden Mount speziell betraf, sprach nichts dagegen, daß er Zufluß vom Arktischen Ozean erhielt. Mehr oder weniger lange Zeit sozusagen verstopft, war das gegenwärtig nicht der Fall, denn unter dem Drucke des erhitzten Wassers begann der Vulkan ja Dämpfe auszustoßen. War es nun möglich, dem Zentralherde Wasser aus dem Meere stromweise zuzuführen? Hatte der Ingenieur die Kühnheit so weit getrieben, etwas derartiges überhaupt für ausführbar zu halten?

»Sie haben – so lauteten seine Worte weiter – als wir auf dem Gipfel des Golden Mount standen, ebenso wie ich bemerkt, daß dessen Krater an der Nordostseite des Berges mündet. Das Rollen und Dröhnen der plutonischen Tätigkeit ist auch von jener Seite her zu hören und selbst in diesem Augenblicke ist der Aufruhr im Innern deutlich zu vernehmen.«

Wie zur Bestätigung der Worte des Ingenieurs drang jetzt das Geräusch von innen besonders deutlich nach außen.[345]

»Wir können als sicher annehmen, fuhr Ben Raddle fort, daß der Kamin des Vulkans mehr in der Nähe unsres Lagers verläuft. Wir brauchen also nur diese Seite des Berges zu durchbohren und einen Kanal dahin herzustellen, durch den das Wasser in unbegrenzter Menge einströmen kann.

– Welches Wasser? fragte Bill Stell. Das aus dem Meere?

– Nein, erwiderte der Ingenieur, so weit brauchen wir nach Wasser nicht zu suchen. Haben wir denn nicht den Rio Rubber? Von einem der Arme des Mackensie abgeleitet, wird er wieder die unerschöpfliche Wassermenge des Deltas in den Golden Mount ergießen.«

Ben Raddle hatte »wieder... ergießen« gesagt, als wenn der schon ausgehobne und durch die Bergwand weiter geführte Kanal das Wasser des Rio Rubber bereits einströmen ließe. Je mehr er seinen Plan erläuterte, desto ausführbarer erschien ihm die Sache, und jetzt war er zu dem kühnen Unternehmen unwiderruflich entschlossen.

Wie gewagt dieses auch erschien, so kam doch keinem der Anwesenden, nicht einmal Summy Skim, der Gedanke, dagegen Einspruch zu erheben. Mißlang es Ben Raddle, so war die Sache abgetan und man konnte einfach zurückreisen, gelang aber der Plan, lieferte der Vulkan seine Schätze selbst aus, so war der Aufenthalt hier ja auch zu Ende und Wagen und Karren rollten, nur schwerer beladen, Klondike wieder entgegen.

Die Einleitung großer Wassermengen in den Vulkan war freilich auch mit großen Gefahren verbunden. Ihre Verwandlung in Dampf konnte so gewaltsam vor sich gehen, daß man die Herrschaft darüber verlor. Und wenn man hier an Stelle der Natur trat, konnte das ja auch eine Katastrophe herbeiführen. Setzte man sich nicht dem aus, neben der beabsichtigten Eruption auch ein Erdbeben hervorzurufen, das die ganze Umgegend verwüstete und das Lager mit allen Insassen und Tieren vernichtete?

Solche Gefahren wollte jedoch niemand hier sehen, und schon am Morgen des 24. wurde die Arbeit angefangen.

Auf das Geheiß des Ingenieurs begann man damit zuerst an der Wand des Golden Mount.

Traf die Spitzhaue hier auf gar zu hartes Gestein und konnte man keine Galerie bis zum Kamin des Kraters anlegen, so wurde es ja auch nutzlos, zur Ableitung des Rios einen Kanal auszuheben, der dann keine Ausmündung gehabt hätte.[346]

Den Anfang der Galerie verlegte man etwa zwanzig Fuß unter den mittleren Wasserstand des Rios, um einen schnellen Abfluß aus diesem zu ermöglichen. Zum Glück erwies sich die Bergwand, wenigstens in der ersten Hälfte der Galerie, nicht besonders hart. Zu Anfang bestand sie aus lockerm Erdreich, dann folgten eine Schicht Geröll und vereinzelte Lavamassen, die hier jedenfalls seit sehr langer Zeit eingebettet lagen, und endlich Quarzblöcke mit Rissen und Spalten, jedenfalls die Folgen früherer heftiger Erdstöße.

Die Arbeit wurde Tag und Nacht fortgesetzt; es war ja auch keine Stunde zu verlieren. Wie dick mochte die Wand wohl sein? Ben Raddle konnte das kaum schätzungsweise angeben, und vielleicht wurde die Galerie oder der Tunnel weit länger, als er vorausgesetzt hatte. Mit dem Fortschreiten der Arbeit wurde das Geräusch im Innern immer lauter hörbar. Doch wenn man sich dem Kamin offenbar näherte, war damit noch keineswegs gesagt, daß man ihn in der nächsten Zeit erreichte.

Summy Skim und Neluto hatten die Jagd letzt aufgegeben. Sie beteiligten sich ebenso wie der Ingenieur an der Arbeit und täglich schritt der Durchbruch um fünf bis sechs Fuß fort.

Nach fünf Tagen traf man unglücklicherweise auf den Quarz, an dem Axt und Spitzhaue schnell stumpf wurden. Wie langer Zeit würde es nun bedürfen, den außerordentlich harten Teil der Wand, offenbar die innre Auskleidung des Berges, zu durchbrechen? Ben Raddle beschloß, sich hier mit Sprengungen zu helfen und einen Teil des vorhandnen Pulvervorrats – wenn Summy Skim auch darunter leiden mußte – zu Sprengpatronen zu verwenden. Das Pulver war freilich nicht allein zu Jagdmunition bestimmt; gegebenen Falles konnte es auch zu Verteidigungszwecken sehr wertvoll werden. Immerhin hatte es jedoch den Anschein, daß die Karawane hier von keinerlei Gefahr bedroht wäre. Die Gegend war verlassen wie immer und in der Nähe des Lagers war niemals eine Indianerhorde bemerkt worden.

Die Sprengarbeit hatte recht günstige Erfolge. Wenn der durchschnittliche Fortschritt der Galerie auch etwas verkleinert wurde, so erlitt er doch wenigstens keine Unterbrechung.

Am 8. Juli, also nach vierzehntägiger Arbeit, schien die Länge der Galerie hinreichend zu sein. Sie betrug nun vierzehn Toisen bei dreißig Quadratfuß Lichtenweite, war also jedenfalls groß genug, eine mächtige Menge Wasser hindurchströmen zu lassen. Das Dröhnen und Poltern des Vulkans war jetzt so[347] stark vernehmbar, daß die noch übrige Wand nur noch einen bis zwei Fuß dick sein konnte. Es bedurfte also höchstens noch einer Sprengung, sie zu beseitigen und damit die Galerie zu vollenden.

Jetzt war es sicher, daß Ben Raddles Plan durch kein unüberwindliches Hindernis vereitelt würde. Der Kanal im offnen Lande, durch den das Wasser des Rio Rubber abfließen sollte, war in dem aus Erde und Sand bestehenden Boden ohne Mühe auszuheben und wenn der auch etwa dreihundert Fuß lang werden sollte, rechnete der Ingenieur doch darauf, ihn binnen zehn Tagen hergestellt zu sehen.

»Der schwierigste Teil der Arbeit ist ja erledigt, sagte Bill Stell.

– Und auch der längste, antwortete Ben Raddle. Morgen beginnen wir, sechs Fuß vom linken Ufer des Rio Rubber, mit der Ausgrabung des Kanals.

– Da wir nun für einen Nachmittag Ruhe haben, ließ sich jetzt Summy Skim vernehmen, so möcht' ich vorschlagen, wir benützen ihn...

– Etwa zu einer Jagd, Herr Skim? fragte Jane schelmisch lachend.

– Nein, Fräulein Jane, erwiderte Summy, sondern zu einer letzten Besteigung des Golden Mount, um zu sehen, wie es da oben aussieht.

– Ein guter Gedanke, Vetter, erklärte Ben Raddle, denn es hat den Anschein, als ob die Eruption stärker würde, und da ist es doch geraten, sich davon mit eignen Augen zu überzeugen.«

Der Vorschlag fand allseitigen Beifall und man brach deshalb ohne Zögern auf. Durch die Wiederholung derselben Übung gewandter geworden, brauchten die Bergsteiger, denen sich auch Neluto angeschlossen hatte, heute nur anderthalb Stunden, den Krater zu erreichen.

Es war ihnen aber unmöglich, sich diesem ebensoweit wie früher zu nähern. Durch die höher und dichter aufsteigenden Rauchwolken züngelten lange Flammen und die Hitze in der Nähe des Kraters war ganz unerträglich. Der Vulkan warf aber auch jetzt weder Schlacken noch Asche aus.

»Offenbar, bemerkte Summy Skim, ist er nicht gerade freigebig, dieser Golden Mount, und wenn er Pepiten birgt, so scheint er sie behalten zu wollen.

– Wir werden sie ihm mit Gewalt abnehmen, da er sie nicht freiwillig herausgibt,« meinte Jane Edgerton.

Jedenfalls traten die Eruptionserscheinungen jetzt mit verstärkten Kräften auf. Das innere Grollen und Brausen erinnerte an einen unter hohem Dampfdruck stehenden Kessel, dessen Platten unter der Wirkung des Feuers erzitterten.[348]

Offenbar war jetzt ein Ausbruch im Anzuge. Vielleicht konnten aber doch noch Wochen und Monate vergehen, ehe der Vulkan seinen glühend flüssigen Inhalt in die Luft schleuderte.

Ben Raddle dachte also, nach Beobachtung des gegenwärtigen Zustandes des Kraters, keineswegs daran, die angefangnen Arbeiten unterbrechen zu lassen, im Gegenteil wollte er sie womöglich mit noch größerm Eifer gefördert sehen.

Vor dem Abstieg ließen die Ausflügler die Blicke über die ganze Umgebung hinschweifen. Die Gegend erschien öde wie immer. Nirgends, weder auf dem Lande noch auf dem Meere, zeigte sich etwas Ungewöhnliches und in dieser Hinsicht konnten Ben Raddle und seine Gefährten also recht zufrieden sein. Das Geheimnis des Golden Mount war offenbar noch niemand bekannt.

Den Rücken gegen den Krater gewendet, verloren sich Ben Raddle und seine Begleiter völlig in der Betrachtung des weiten Horizontes. Vorzüglich schien sich Summy einem innern Traume hinzugeben. Starr nach Südosten hinausblickend, rührte er sich gar nicht mehr und schien ganz vergessen zu haben, was ihn umgab.

»Was sehen Sie denn so Interessantes auf dieser Seite?« fragte Jane.

Und mit halberstickter Stimme antwortete Summy:

»Montreal, Fräulein Jane! Montreal und Green Valley!

– Green Valley! wiederholte das junge Mädchen. Ja, das ist ein Erdenfleckchen, woran Sie mit ganzem Herzen hängen, Herr Skim.

– Wie könnte das auch anders sein? antwortete Skim, ohne die Augen aus der Richtung abzulenken, die ihn wie der Pol die Kompaßnadel anzog. Habe ich denn nicht dort gelebt? In Green Valley habe ich die einen und haben andre mich geboren werden sehen. Allbekannt und überall, vom Großvater wie vom jüngsten Kinde, freundlich bewillkommt, bin ich überall zu Hause und, wenn ich meinen lieben Ben ausnehme, leider mehr geschaffen, Liebe zu empfangen als Liebe zu geben; nur dort finde ich etwas wie eine Familie. Ich liebe Green Valley, weil Green Valley mich liebt, Fräulein Jane.«

Summy schwieg und Jane ehrte dieses Schweigen; auch sie schien jetzt nachdenklicher zu werden. Erweckten vielleicht die von dem Gefährten dieses Abenteuers geäußerten wenigen Worte in ihr vorher schlummernde Gefühle? Sagte sie sich etwa, daß Mut, Tatkraft und Streben, selbst wenn sie siegreich sind, nicht genügen, ein Leben auszufüllen, daß es, wenn die freie Ausübung eines klugen und redlichen Willens unser Gehirn durch einen gewissen Stolz[349] berauschen kann, doch noch andre Instinkte gibt, die solche äußre Freuden nicht zu befriedigen vermögen?

Gewann sie unter dem Einfluß der eben vernommenen Worte vielleicht eine klarere Einsicht in die besondre Lebenslage dieses Mannes? Hatte sie sich schwach und einsam gesehen, auf dem Gipfel des an den Grenzen der bewohnten Welt verlornen Berges umgeben von zum Teil gefühlsarmen Menschen, für die sie jedenfalls bald als eine Eintagserscheinung vergessen sein würde? Sagte sie sich, daß auch sie keine Familie habe und daß sie, weniger begünstigt als Summy Skim, kein Green Valley voll offner Hände und liebender Herzen ihr eigen nenne?

»Achtung! rief da plötzlich Neluto, der von allen das schärfste Gesicht hatte.

– Was gibt es denn? fragte Ben Raddle.

– Ach, nichts, antwortete Neluto. Und mir war's doch, als sähe ich...

– Nun heraus mit der Sprache! Was denn? drang Ben Raddle in ihn.

– Ja... ich weiß nicht recht, sagte der Indianer zögernd Ich glaubte... hm ja... vielleicht einen Rauch zu sehen.

– Einen Rauch? rief der Ingenieur. In welcher Richtung?

– Dort, erklärte Neluto, indem er nach einem etwa drei Meilen vom Vulkan entfernten Walde hinwies.

– Im Walde... an dessen Saume?

– Nein.

– Also in dessen Innern, unter den Bäumen?

– Ja.

– In welcher Entfernung?

– Hm... so zwei bis drei Meilen vom Rande... vielleicht auch weniger...

– Oder auch mehr, setzte Ben Raddle ungeduldig hinzu. Ich kenne ja den Refrain, Neluto. Ich sehe jedenfalls aber nichts.

– Ich jetzt auch nicht mehr, sagte Neluto. Übrigens bin ich gar nicht sicher, etwas gesehen zu haben; es war ja so wenig, so daß ich mich wohl täuschen konnte.«

Das war, seit die Gesellschaft an der Küste des Eismeers lagerte, das erste Mal, daß sich in diesem hyperboräischen Lande Spuren von Menschen gezeigt hatten. Ein über die Bäume aufsteigender Rauch verriet doch, daß solche augenblicklich[350] im Schutze des Waldes lagerten, und wer diese auch sein mochten, etwas Guten hatte man sich von ihnen nicht zu versehen.

Wer waren die Leute wohl? Vielleicht Jäger oder nicht vielmehr Prospektoren, die den Goldvulkan suchten, von dessen Vorhandensein sie gehört hatten?

Es konnte ja recht wohl der Fall sein, daß die Neulinge den ihnen von den riesigen Laubmassen verdeckten Golden Mount noch nicht erblickt hatten, sehen würden sie ihn, wenn sie aus dem Walde herauskamen, aber doch und niemand konnte voraussagen, was die letzte Folge davon sein werde.

Jedenfalls war das ein ernster Zwischenfall, der Ben Raddle und seine Gefährten stark beunruhigte.

Mit Ausnahme der ihren Gedanken nachhängenden Jane richteten alle den Blick nach Westen, obgleich hier nichts Ungewöhnliches zu sehen war. Über das Waldesdickicht, das bis über den Horizont hinausreichte, schwebte jetzt keine Rauchwolke hin.

Von einem Irrtum Nelutos überzeugt, forderte Ben Raddle zum Rückweg auf.

Da trat Jane plötzlich an Summy heran.

»Ach, ich bin so ermüdet, Herr Skim,« sagte sie kläglichen Tones.

Summy erstaunte darüber aufs höchste; hier lag etwas Besondres vor. Noch niemals hatte Jane zugegeben, ermüdet zu sein. Mit ihr mußte eine Veränderung vor sich gegangen sein.

Ja, das war mit Jane Edgerton wirklich der Fall. Die Spannkraft, die sie aufrechterhielt, wenn sie unermüdlich auch über ihre Kräfte gehende Arbeiten erledigte, war zwar nicht ganz erschlafft, aber doch recht vermindert. Einen Augenblick sah sie im Leben doch noch etwas andres als eine Reihe von Kämpfen, von ununterbrochnen Anstrengungen; sie empfand etwas von der Süßigkeit, geliebt zu sein, sich geschützt zu wissen; ihr ging eine Ahnung auf von dem häuslichen Herde, wo man von zärtlicher Fürsorge umgeben ist, und jetzt litt sie wirklich körperlich unter der Vereinsamung ihres Herzens. O, wie ermüdet war Jane Edgerton, Herr Skim!

Er sann nicht lange nach, der gute Summy, er verlor sich nicht in eine ähnliche, verwickelte Analyse. Jetzt sah er nur Jane an und verwundert über ihre Aussage und den wehleidigen Ton, in dem sie erfolgt war, erkannte er plötzlich, was er früher nie gesehen hatte, wie zart, wie hübsch – nein, wie schön – das junge Mädchen war, deren sich vom Himmel abhebende Silhouette[351] so verschwindend erschien in der grenzenlosen Umgebung. Welch ein Unglück, daß sie sich jetzt hier in dem weltfremden Lande befand, allen Mühseligkeiten, allen Gefahren preisgegeben. Da wallte es in dem guten Summy auf wie ein warmes, brüderliches Mitgefühl.

»Haben Sie nur keine Furcht, Fräulein Jane, sagte er, seine Erregung unter einem erzwungenen Lächeln verbergend, ich bin ja bei Ihnen. Stützen Sie sich auf mich. Mein Arm ist noch stark und mein Fuß ist sicher.«

Beide begannen hinunterzusteigen. Summy wählte den Weg aus und unterstützte seine schlanke Begleiterin aufmerksam wie ein älterer Bruder und sorgsam wie ein Liebhaber, der ein zerbrechliches und kostbares kleines Kunstwerk unversehrt mit heimbringen möchte.

Halb ohne rechtes Bewußtsein ließ Jane ihn gewähren. Sie schritt wie träumend weiter und ziellos irrten ihre Blicke in die blaue Ferne. Was sie sah, hätte sie nicht sagen können. Da unten, jenseits des Horizontes, das Unbekannte oder vielleicht das noch schwerer zu enträtselnde Geheimnis ihres bewegten Herzens?

Quelle:
Jules Verne: Der Goldvulkan. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXXXIX–XC, Wien, Pest, Leipzig 1907, S. 335-337,339-352.
Lizenz:

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Die Hermannsschlacht. Ein Drama

Nach der Niederlage gegen Frankreich rückt Kleist seine 1808 entstandene Bearbeitung des Hermann-Mythos in den Zusammenhang der damals aktuellen politischen Lage. Seine Version der Varusschlacht, die durchaus als Aufforderung zum Widerstand gegen Frankreich verstanden werden konnte, erschien erst 1821, 10 Jahre nach Kleists Tod.

112 Seiten, 5.80 Euro

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Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

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Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

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