|
[324] Trotz der Schwierigkeiten des Weges bedurfte es nicht mehr als zwei kleiner Stunden, daß Ben Raddle und seine Gefährten die Entfernung zurücklegten, die sie noch vom Golden Mount trennte. Ohne ein Wort zu sprechen, ganz versunken in den Anblick des Zieles, das sie endlich erreichen sollten, marschierten alle so schnell, wie es die Natur des Terrains erlaubte. Es war, als würden sie von dem Berge wie von einem Riesenmagneten angezogen.
Schon vor drei Uhr machte die Karawane Halt am Fuße des Vulkans, um den sich an der Ostseite der Rio Rubber hinzog, während im Norden das Eismeer seine letzten Ausläufer bespülte.
Alles ringsumher war wüst und leer. Weder jenseits des Berges im Westen noch an der Seite der Mündungen des Mackensie gewahrte man ein Dorf von Eingebornen oder eine Gruppe von Indianern, die auf dem Küstengebiete sonst so vielfach umherstreiften. Draußen war kein Boot, kein Segel eines Walfängers, kein Rauch eines Dampfers sichtbar. Und doch war gerade jetzt die Jahreszeit, wo die Walfischfänger und die Robbenjäger die nördlichen Meere in großer Zahl zu besuchen pflegen. Fast hätte man daraus schließen können, daß vor Ben Raddle und seinen Gefährten kaum jemand hierhergekommen und Jacques Ledun der einzige gewesen wäre, der seine Nachforschungen bis zur Mündung des Mackensie fortgesetzt, der einzige also, der das Vorhandensein des Goldvulkans konstatiert hätte.
Wenn das Goldlager überhaupt existierte, gehörte es auf jeden Fall Ben Raddle auf Grund des Rechts als erster Besitzergreifer des Golden Mount. Da auch kein Grenzpfahl auf eine bereits erteilte Lizenz zur Ausbeutung hinwies, konnte von keiner Seite ein Einspruch erhoben werden und selbst die kanadische Verwaltung konnte keinen Zins verlangen.
Am Fuße des vom Rio Rubber durch Birken- und Eschengehölz getrennten östlichen Abhangs des Berges schlug der Scout, etwa eine halbe Lieue von der Küste, sein Lager auf. An Süßwasser und an Holz konnte es hier niemals mangeln.[324]
Nach Westen und nach Süden hin lagen ausgedehnte grüne Ebenen mit einzelnen Baumgruppen, die nach Summy Skims Ansicht sehr wildreich sein mußten.
Unter der Leitung Bill Stells kam alles bald in Ordnung. Die Zelte wurden am Saume des Gehölzes aufgeschlagen; der Wagen und die Lastkarren fanden auf einer Lichtung Platz und die angefeilten Maultiere ließ man auf den benachbarten Wiesengründen weiden. An passend ausgewählten Stellen wurden eine Art Feldwachen errichtet, denn vorsichtigerweise mußte die Umgebung des Lagers Tag und Nacht sorgsam im Auge behalten werden, obgleich für dieses kaum eine Gefahr zu befürchten war... höchstens eine solche durch Bären, die in den Gebieten der Dominion überall vorkommen.
Übrigens waren alle der Überzeugung, daß die Ausbeutung des Golden Mount nicht lange dauern werde, es sollten ja nur die im Krater angehäuften Schätze zusammengerafft und damit die Wagen beladen, dann aber die Rückreise sofort angetreten werden. Hier brauchte man voraussichtlich weder Axt noch Spitzhaue, hier war auch kein Auswaschen nötig. Nach Jacques Leduns Aussage fand sich das Gold hier als loses Pulver oder in Form von Pepiten... alle Vorarbeiten waren schon sozusagen von den »Prospektoren Plutos« erledigt.
Über diese Verhältnisse konnte sich Ben Raddle natürlich erst zuverlässig klar werden, nachdem er den Berg erstiegen und sich über die Anordnung des Kraters unterrichtet hatte, in den man nach Leduns Mitteilungen leicht sollte hinuntersteigen können.
Bill Stell machte eine in dieser Hinsicht recht verständige Bemerkung.
»Herr Ben, sagte er, als der Franzose Ihnen von dem Vorhandensein des Golden Mount sprach, hat er da nicht gesagt, daß es sich hier um einen erloschnen Vulkan handle?
– Jawohl, Bill.
– Er hatte ihn, wie ich glaube, doch wohl auch bis zum Gipfel erstiegen?
– Ja freilich; er ist sogar in den Krater selbst eingedrungen. Seit jener Zeit könnten freilich die eruptiven Kräfte wieder erwacht sein.
– Daran ist desto weniger zu zweifeln, antwortete der Scout, als jetzt Rauchwolken aus dem Berge aufsteigen. Unter diesen Verhältnissen dürfte es sich wohl verbieten, zum Krater hinunterzusteigen.«
Ben Raddle hatte hieran schon selbst gedacht. Es handelte sich offenbar nicht mehr um einen erloschnen, sondern um einen vielleicht zeitweise schlummernden Vulkan, der gelegentlich auch wieder tätig wurde.[325]
»Das kann wohl sein, antwortete er, doch dieser Strich durch unsre Rechnung könnte auch sein Gutes haben. Könnte eine Eruption uns nicht alle Arbeit ersparen, indem sie die im Golden Mount enthaltenen Pepiten herauswürfe? Dann hätten wir diese nur am Fuße des Berges einzusammeln. Doch wir werden den Umständen gemäß handeln, wenn wir morgen den Gipfel erstiegen haben.«
Die Bewachung wurde nun vom Scout geordnet, die Nacht verlief jedoch ohne Störung, abgesehen von dem entfernten Brummen einiger Bären, die aber nicht bis zum Golden Mount herankamen.
Um fünf Uhr früh waren alle wieder auf den Füßen.
Summy Skim betrachtete jetzt den berühmten Golden Mount doch nicht ohne ein gewisses Interesse.
»Weißt du, woran ich denke, Ben? fragte er seinen Vetter.
– Nein, Summy, erwiderte Ben Raddle. Ich werde es aber wissen, nachdem du's mir gesagt hast.
– Ja... wahrscheinlich, Ben. Nun also, ich denke, wenn unser Onkel Josias eine solche Entdeckung gemacht hätte, würde er wohl nach seiner Heimstätte zurückgekehrt sein und sich den Kreisen der Milliardäre der Neuen Welt angeschlossen haben statt in Klondike zu sterben... und dann, dann hätten wir nicht erst hierherzukommen brauchen.
– Das hat das Schicksal nicht gewollt, lieber Summy, das ist seinen Neffen vorbehalten geblieben.
– Von denen wenigstens einer seinen Ehrgeiz niemals so weit getrieben hätte.. nein, nicht einmal im Traum!
– Zugegeben, Summy. Doch da wir nun einmal bis zur Küste des Eismeers vorgedrungen sind, wirst du es nicht schlecht finden, daß wir davon mit prallgefüllten Hosentaschen zurückzukehren trachten, und unter Hosentaschen verstehe ich hier unsre bis zum Brechen mit Gold beladnen Wagen und Frachtkarren.
– Möge es sich erfüllen! antwortete Summy. Doch... soll ich dir's gestehen? Wenn ich mir diesen Berg von unten bis oben ansehe und mir dann sagen soll, daß der allein Australien, Kalifornien und Afrika in den Schatten stellen soll, dann regt sich in mir doch einiger Zweifel. Mir scheint er gar nicht das Aussehen eines Geldschrankes zu haben.
– Um dich zufriedenzustellen, Summy, sollte der Golden Mount wohl ganz und gar den Panzertresors der Banken gleichen?[326]
– Ja, warum denn nicht, Ben? Vorzüglich wenn der Kassierer gleich bei der Hand wäre, uns die Tür dazu zu öffnen.
– Wir werden auch ohne den fertig werden, versicherte Ben Raddle, und werden das Schloß dazu schon zu sprengen wissen.
– Hm... wenn's nur gelingt!« sagte Summy halb für sich, als er den rauchgekrönten Vulkan mit zweifelndem Blicke betrachtete.
Der Golden Mount war aber, trotz Summy Skim, ein Berg wie alle andern. Mit tausend Fuß Höhe überragte er das Ufergelände und von seinem Grunde, der der Schätzung nach zwei Kilometer im Umfang haben mochte, stiegen seine Seiten ziemlich steil bis zu einem Plateau am Gipfel an. Er erschien also in der Gestalt eines Kegels, genauer, eines abgestumpften Kegels.
Die Steilheit der Abhänge mußte den Aufstieg wohl recht beschwerlich machen, unmöglich konnte dieser aber nicht sein, da es Jacques Ledun ja gelungen war, bis zum Krater vorzudringen.
Die lotrechteste Seite war die dem Meere zugewendete und es verbot sich von selbst, den Vulkan über seinen nördlichen Abhang, der vom Meere unmittelbar bespült wurde, erklimmen zu wollen. Am Fuße des Berges ragte keine Felswand auf, deren vertikale Wand den Namen eines Steilufers verdient hätte, wenn sie aus kreidigem oder weißlichem Material und nicht aus schwarzen Eruptivmassen aufgebaut gewesen wäre. Zuerst mußte also entschieden werden, von welcher Seite aus die Ersteigung des Gipfels des Golden Mount unternommen werden sollte. Da Jacques Ledun hierüber keinen Hinweis gegeben hatte, verließen Ben Raddle und Bill Stell den Lagerplatz an der vom Rubber und vom östlichen Bergabhange gebildeten Ecke und wanderten am Fuße des Vulkans hin, um sich vorläufig über die Sachlage zu unterrichten.
Die Bergflanken zeigten sich mit kurzem Grase und einzelnem holzigen Gebüsch bedeckt, an dem man sich beim Aufstieg anhalten konnte. Weiter oben trat aber an Stelle des Grases eine Art dunkler Humus, vielleicht eine Lage Asche und Schlacken. Spuren einer neuerlichen Eruption waren jedoch nirgends zu entdecken.
Ins Lager zurückgekehrt, machten Ben Raddle und der Scout den andern Mitteilung von dem, was sie gesehen hatten. Ein Aufstieg war demnach nur an der sanfter abfallenden Westseite zu unternehmen.
Nach einem schnell verzehrten Frühstück machte sich die Gesellschaft zum Aufbruche bereit. Auf Bill Stells Rat hin wurden auch einige Lebensmittel und[327] ein paar Feldflaschen mit Gin und Whisky – in passender Menge mit Wasser vermischt – auf den Weg mitgenommen. Jeder hatte sich mit einer Spitzhaue und mit Seilen versehen, die an gar zu steilen Stellen vielleicht gebraucht werden konnten.
Die Witterung war dem Vorhaben günstig, der Tag versprach schön zu werden. Leichte Wolken, die vor schwachem Nordwind am Himmel hinzogen, milderten die Hitze der Sonnenstrahlen.
Neluto folgte den Bergsteigern nicht; er bewachte mit dem übrigen Personal das Lager, das er gewiß unter keinem Vorwande verließ. Obgleich das Land umher gänzlich verlassen erschien, empfahl es sich doch, eine strenge Überwachung beizubehalten.
Ben Raddle, Summy Skim und der Scout brachen gegen acht Uhr auf, begleitet von Jane Edgerton, die auf jeden Fall an der Expedition teilnehmen wollte, und alle vier wanderten am südlichen Rande des Bergfußes hin, um nach dessen westlichem Ausläufer zu kommen.
Von dem letzten Vulkanausbrüche – wieviel Zeit mochte seit diesem verflossen sein? – fand man am Fuße des Berges kein Anzeichen, nicht die geringste Spur von Eruptivstoffen und vor allem nicht von Goldstaub, den dieser nach Jacques Leduns Aussage doch in so großer Menge enthalten sollte. Vielleicht war daran zu denken, daß die Auswurfmassen des Vulkans nach dem Meere zu geschleudert worden waren und nun unter dem tiefen, an das Ufer brandenden Wasser begraben lagen.
»Was tut uns das? meinte Ben Raddle auf eine diesbezügliche Bemerkung Bill Stells. Es ist doch höchstens ein Beweis dafür, daß seit der Anwesenheit Jacques Leduns kein neuer Ausbruch stattgefunden hat. Nur darauf kommt es doch an. Die Pepiten, die er gesehen hat, werden auch wir bald sehen.«
Es war neun Uhr geworden, als die vier Bergsteiger an der Westseite des Berges anlangten.
Der Scout setzte sich sofort an die Spitze und der Aufstieg begann. Anfangs stieg der Boden nur allmählich an und die Grasdecke bot dem Fuße einen sichern Halt.
Spitzhaue und Seil waren hier also entbehrlich. Bill Stell hatte jedoch Erfahrung im Bergsteigen. Ihn führte ein sichrer Instinkt und er war so kraftvoll, so geübt in solchen Dingen, daß seine Begleiter ihm nur mit Mühe folgen konnten.
»Nun ja, da sieht man's, sagte Summy Skim etwas atemlos, so zwanzigmal den Chilkootpaß überschritten zu haben: das gibt einem die Beine von Gemsen und Knöchel aus Stahl.«
Nach dem ersten Drittel des Aufstiegs wäre jedoch wohl auch eine Gemse in Verlegenheit gekommen und die Flügel eines Geiers oder Adlers wären hier recht erwünscht gewesen.
Der Neigungswinkel des Bodens war jetzt so groß, daß man zum Vorwärtskommen Knie, Füße und Hände benützen und sich an dem magern Buschwerk anhalten mußte. Bald ging es auch nicht mehr ohne Spitzhaue und Seil weiter. Der Scout kletterte immer voraus, schlug seine Spitzhaue ein, wo das möglich war, und ließ das Seil abrollen, woran sich die andern bis zu ihm hinauszogen. Immer war die größte Vorsicht nötig, denn ein Absturz wäre hier sicher tödlich gewesen.
Gegen elf Uhr waren die Bergsteiger bis zur Mitte der Bergflanke gekommen. Hier wurde einmal Halt gemacht, um Atem zu schöpfen. Gleichzeitig stärkten sich alle durch einen Schluck aus den Feldflaschen und dann wurde der Marsch weiter hinauf fortgesetzt.
Obgleich die unterirdischen Kräfte in Tätigkeit waren, was ja die Rauchwolken am Gipfel des Berges bezeugten, so wurde doch keine Erschütterung seiner Wände, kein Dröhnen in seinem Innern bemerkt. An dieser Seite war die Bergwand wahrscheinlich besonders dick und das ließ darauf schließen, daß sich die Kratermündung mehr an der Nordseite in der Nähe der Meeresküste befinden würde.
Der Aufstieg ging weiter; er wurde zwar, je höher man kam, immer beschwerlicher, doch nirgends geradezu unmöglich. Und was Jacques Ledun gelungen war, sollten das der Scout und seine Gefährten nicht auch ausführen können?
Ben Raddles Uhr zeigte genau dreizehn Minuten nach zwölf, als die Bergsteiger den Teil des Kegels erreicht hatten, der das Plateau des Berges bildete.
Mehr oder weniger erschöpft, setzten sie sich auf die Quarzblöcke, die die im Umkreise drei- bis vierhundert Fuß messende Hochfläche einrahmten. Ungefähr in deren Mitte öffnete sich der Kraterschlund, aus dem schwarze Dämpfe und gelbliche Fumarolen hervorquollen.
Ehe sie sich dahin begaben, betrachteten Ben Raddle und seine Gefährten, während sie frisch Atem schöpften, das weite, vor ihren Augen ausgebreitete Panorama.[331]
Gegen Süden hin flog der Blick über die grünenden Ebenen, durch die die Karawane eben gezogen war, und reichte bis zu den entfernten Bodenwellen, hinter denen das Fort Macpherson die Umgebung beherrschte.
Gegen Westen sah man die sandige Küste des Arktischen Ozeans und nach dem Innern des Landes zu, etwa in der Entfernung von anderthalb Lieues, die düstre Masse eines ausgedehnten Waldes.
Im Osten neben dem Fuße des Golden Mount verästelte sich das hydrographische Netz des Mackensiedeltas, dessen zahlreiche Arme in eine weite, von nackten Inselgruppen und schwärzlichen Klippen geschützte Bucht mündeten. Weiter draußen verlief die Küste mehr nach Norden und endigte in einem Vorgebirge, einer Art von großem Hügel, der den Horizont an dieser Seite verdeckte.
Nördlich vom Golden Mount, von der lotrechten Steilwand, die ins Wasser eintauchte, hatte das Meer keine andre Grenze als die Kreislinie des Himmels.
Die durch die leichte Brise gereinigte Atmosphäre war völlig klar und das Meer glitzerte von den goldnen Sonnenstrahlen.
Die Küste war öde und leer, kein fremder oder einheimischer Fischer zu sehen, obgleich die Mündungen des Mackensie an Seesäugetieren und Amphibien verschiedner Art so erstaunlich reich sind.
Auf der offnen See war das anders. Mit Hilfe des Fernrohrs entdeckte der Scout einige Segler und mehrere Rauchfahnen, die am nördlichen Horizonte schwebten.
»Das sind Walfänger, erklärte er, die aus der Behringsstraße kommen. In drei Monaten werden sie den umgekehrten Kurs einhalten. Die einen laufen dann bei St. Michel in die Mündung des Yukon ein, die andern suchen Petropawlowsk in Kamtschatka an der Küste Asiens auf und endlich verkaufen sie ihren Fang in den Häfen des Pazifischen Ozeans.
– Kommen denn keine von ihnen nach Vancouver? fragte Summy Skim.
– O doch; aber sie tun unrecht, sehr unrecht daran, denn es ist dort zu schwierig, die Mannschaft beisammenzuhalten. Die meisten Matrosen laufen davon und begeben sich nach Klondike.«
So war es in der Tat. Die Nähe der Goldminen verdreht diesen Matrosen, die eine gewöhnlich recht beschwerliche Fahrt hinter sich haben, gar zu leicht den Kopf. Um sie davor zu bewahren, halten sich die Walfängerkapitäne, wenn möglich, von den Häfen Britisch-Kolumbiens fern und suchen lieber die an der Küste Asiens auf.[332]
Nach halbstündiger Rast, die sie sehr notwendig gebraucht hatten, begannen Ben Raddle und seine Gefährten die nähere Besichtigung des Plateaus des Golden Mount. Wie vorausgesetzt, befand sich die fünfundsiebzig bis achtzig Fuß im Umkreis messende Mündung des Kraters nicht genau in dessen Mitte, sondern etwas nordöstlich davon. Sich vorsichtig unter dem Winde haltend, um nicht von den daraus hervorwirbelnden, beißenden Rauchwolken getroffen zu werden, konnten sie bis an den Rand herantreten und in das Innere des Schlundes hinuntersehen.
Alles traf hier zusammen, die Angaben des armen Jacques Ledun zu bestätigen. Die Kraterwand senkte sich in schwacher Neigung hinab und ohne die unatembaren Gase, die augenblicklich jedes Eindringen verhinderten, mußte der Abstieg ins Innere ziemlich leicht sein.
Das den Grund bedeckende Goldpulver bestätigte noch weiter die Aussagen des Franzosen. Dieses außerordentlich seine und mit Erde und Schlacken vermischte Pulver konnte freilich nur eine lächerlich geringe Ausbeute liefern gegenüber der großen Anhäufung von Pepiten, die zu suchen die Gesellschaft den weiten Weg hierher unternommen hatte.
»Offenbar, sagte Ben Raddle, hat sich Jacques Ledun durch das Hindernis, das uns jetzt in den Weg tritt, nicht abschrecken lassen. Bei seinem Hiersein war der Vulkan wahrscheinlich auch völlig untätig und Ledun hatte ohne Gefahr bis zum Kratergrunde hinabsteigen können. Warten wir also, bis der Ausbruch sich beruhigt, bis die Rauchmassen sich zerstreuen, und dann gehen auch wir hinunter und sammeln Schätze mit vollen Händen, wie er sie gesammelt hatte.
– Und wenn das Aufwirbeln des Rauches nun nicht aufhört, fragte Summy Skim, wenn nun jeder Abstieg unmöglich wird?
– Dann warten wir einfach noch länger, Summy.
– Noch warten?... Worauf denn?
– Daß der Ausbruch für uns vollbringt, was wir nicht selbst tun konnten, das heißt, daß er das edle Erz auswirft, das in den Eingeweiden des Golden Mount aufgespeichert ist.«
Das war in der Tat das einzige, was man hier tun konnte, wenn damit auch manche Unannehmlichkeiten verknüpft waren. Für Leute, die nicht mit der Zeit zu rechnen brauchten, die der kalten Jahreszeit an der Mackensiemündung ebenso wie in Dawson City zu trotzen gewohnt waren, hätte das ja nicht so viel zu bedeuten gehabt. Wenn die Sache sich hier aber in die Länge zog, wenn der[333] Vulkan sich vor Ablauf von dritthalb Monaten nicht völlig beruhigt oder nicht selbst seinen Reichtum an. Pepiten ausgeworfen hatte, dann war die Gesellschaft jedenfalls gezwungen, ihr Lager aufzuheben und nach Süden abzuziehen, wo sie gerade noch rechtzeitig eintreffen würde, für einen zweiten Winter festgehalten zu werden.
Dieser Gedanke beschäftigte gleichmäßig die vier Prospektoren, jeder erwog ihn aber nach eignem Temperamente.
Bill Stell lächelte etwas spöttisch in den Bart. Das war für ihn eine gar treffliche Lektion. Nach langjährigem Widerstande gegen das so ansteckende Goldfieber hatte er sich jetzt doch einmal davon packen lassen und nun – wie man im Volke zu sagen pflegt – hatte er die Bescherung. Er war mit einem Schlage kuriert und mit Hilfe seiner gewöhnlichen Philosophie nahm er seinen Mißerfolg noch mit Heiterkeit auf, indem er sich sagte, daß das bei einem Prospektor ja nicht anders sein könne.
Jane Edgerton blieb mit gefurchter Stirn am Kraterrande stehen und richtete den Blick auf die durcheinanderwirbelnden Rauchwolken, die vor ihr aufstiegen. Sie sah ein, daß es Fälle gibt, gegen die Energie und Entschlossenheit nicht ausreichen, und es erregte sie nicht wenig, hier durch Naturkräfte, gegen die ihr Wille ohnmächtig war, aufgehalten zu sein.
Summy Skim war der unglücklichste von allen. Noch einen Winter in der Hauptstadt von Klondike zuzubringen! Er zitterte und bebte schon bei dem Gedanken daran.
So antwortete er denn seinem Vetter auf dessen letzte Worte:
»Ja, das wäre ja ganz gut und schön, Ben, vorausgesetzt, daß es zu einem solchen Ausbruch kommt. Wird denn ein solcher erfolgen? Findest du nicht, daß der Vulkan schon jetzt sehr zahm ist? Er wirst kein Kieselsteinchen, nicht einmal eine Handvoll Asche aus. Man hört nichts von einer Detonation. Er raucht zwar, nun ja, doch in aller Ruhe, das brächt' ich, auf mein Wort, auch noch fertig!... Sage mir, gibt dir das nicht zu denken?«
Ben Raddle machte eine abweisende Bewegung.
»Das wird sich ja zeigen,« sagte er.
Nach zweistündigem Verweilen auf dem Plateau begannen die vier den Abstieg über die Seite des Golden Mount, der binnen einer Stunde vollendet war. Vor drei Uhr nachmittags befanden sich Ben Raddle und seine Begleiter, zwar etwas ermüdet, doch heil und gesund, wieder im gemeinschaftlichen Lager.[334]
Sobald sie allein waren, trat Summy Skim, von seiner fixen Idee getrieben, an seinen Vetter heran und erneuerte seinen Angriff.
»Höre, Ben, begann er, ich spreche in vollem Ernste. Wenn jene Eruption nun ausbleibt, wenn sie nicht vor dem Anfange des Winters erfolgt?«
Ohne zu antworten, wandte Ben Raddle den Kopf ab und Summy hatte nicht den Mut, noch weiter in ihn zu dringen.
Buchempfehlung
Vor dem Hintergrund einer romantisch idyllischen Fabel zeichnet der Autor individuell realistische Figuren, die einerseits Bestandteil jahrhundertealter Tradition und andererseits feinfühlige Persönlichkeiten sind. Die 1857 erschienene Bauernerzählung um die schöne Synnöve und den hitzköpfigen Thorbjörn machte Bjørnson praktisch mit Erscheinen weltberühmt.
70 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro