Fünftes Kapitel.
Karl Dragoch.

[60] Sobald er seine Quittung in der Tasche hatte, begann Jäger sich häuslich einzurichten. Nachdem er sich wegen des ihm einzuräumenden Lagers erkundigt hatte, verschwand er in der beschränkten Kajüte, wohin er den Ledersack mitnahm. Zehn Minuten später trat er wieder, vom Kopf bis zu den Füßen verwandelt, daraus hervor. Er war jetzt ein richtiger Fischer – mit grober Wolljacke, schweren Stiefeln und Otterfellmütze bekleidet – und erschien als das vollkommene Abbild Ilia Bruschs.

Jäger verwunderte sich ein wenig, als er bemerkte, daß sein Wirt während seiner kurzen Abwesenheit die Jolle verlassen hatte. Seiner übernommenen Verpflichtung gemäß erlaubte er sich jedoch keine Frage, als jener in einer halben Stunde zurückkam. Ohne ihn dazu aufgefordert zu haben, hörte er jedoch, daß Ilia Brusch geglaubt hatte, den Zeitungen einige Mitteilungen zugehen lassen zu sollen mit der Meldung, daß er übermorgen Abend in Neustadt und am nächsten Tage in Regensburg einzutreffen hoffe. Jetzt, wo auch die Interessen Jägers mit ins Spiel kamen, lag ihm daran, nicht wieder so unerwartet und unbeobachtet zu erscheinen, wie hier in Ulm. Ilia Brusch äußerte sogar sein Bedauern, nicht in den vor Neustadt gelegenen Städten anhalten zu können, vorzüglich in Neuburg und in Ingolstadt, die beide ziemlich wichtige Orte sind. Solche Unterbrechungen paßten nun einmal nicht in den seine Etappen betreffenden Plan, er mußte also darauf verzichten.

Jäger war sehr erfreut über die Reklame, die um seinetwillen gemacht wurde, und zeigte sich gar nicht verdrossen darüber, Neuburg und Ingolstadt nicht besuchen zu können. Er stimmte seinem Wirte vielmehr bei und versicherte ihm wiederholt, daß er, wie beide übereingekommen wären, in keiner Weise beabsichtige, ihn in seiner Freiheit zu beeinträchtigen.

Die beiden Genossen aßen dann, auf einer der Bänke rittlings und einander gegenübersitzend, ihre Abendmahlzeit. Als Willkomm bereicherte[60] Jäger sogar noch die Speisekarte mit einem vorzüglichen Schinken, den er aus seinem unerschöpflichen Reisesack geholt hatte, und dieses Erzeugnis der Stadt Mainz fand den größten Beifall Ilia Bruschs, der an seinem Begleiter schon recht gute Eigenschaften zu entdecken anfing.

In Ulm, wo die Fahrt durch Württemberg ihr Ende fand und die durch Bayern begann, ist die Donau erst noch ein bescheidner Fluß.

Sie hat noch nicht die großen Nebenarme aufgenommen, durch die sie sich stromabwärts so ansehnlich verbreitert, und nichts könnte hier zu der Vorhersage verleiten, daß sie sich noch zu einem der mächtigsten Ströme Europas entwickelte. Die schon etwas gemäßigte Strömung erreichte jetzt nahezu eine Schnelligkeit von vierundeinhalb Kilometer in der Stunde. Fahrzeuge von allen Größen, darunter schon schwere, zur Talfahrt belastete Schiffe glitten darauf hinunter, zuweilen unterstützt durch ein großes Segel, das sich unter einer Nordwestbrise blähte. Das Wetter versprach gut zu bleiben, jedenfalls drohte vorläufig kein Regen.

Mitten in der Strömung angelangt, ergriff Ilia Brusch seine Riemen und trieb das Boot noch schneller vorwärts. Einige Stunden später fand ihn Jäger noch in gleicher Weise tätig, und das ging so bis zum Abend ohne Unterbrechung weiter, bis auf eine kurze Rast in der Frühstücksstunde, in der das Boot aber auch weiter hinabglitt. Der Passagier machte dazu keine Bemerkung, und wenn er sich darüber wunderte, behielt er das doch für sich.

Im Laufe dieses Tages wurden nur wenige Worte gewechselt. Ilia Brusch ruderte eifrig weiter. Jäger beobachtete mit einer Aufmerksamkeit, die dem andern, wenn er weniger geschäftig gewesen wäre, hätte auffallen müssen, die auf der Donau vorüberziehenden Schiffe oder ließ den Blick abwechselnd über die beiden Ufer schweifen, die jetzt wesentlich niedriger waren. Der Strom zeigte schon die Neigung, sich auf Kosten des anliegenden Geländes zu verbreitern. Das linke, da und dort etwas überschwemmte Ufer war nicht immer scharf zu erkennen, während auf dem rechten, durch einen Bahndamm künstlich erhöhten Ufer die Züge dahinrollten, die Lokomotiven keuchten und ihren Rauch mit dem der Dampfboote vermischten, deren Schaufelräder das Wasser geräuschvoll aufwühlten.

In Offingen, woran man am Nachmittage vorüberkam, bog die vom Strome verdrängte Bahnlinie nach Süden ab, und nun wurde auch das[61] rechte Ufer zu einem ausgedehnten Sumpfe, dessen Ende nicht zu erblicken war. Am Abend hielt das Boot dann für die Nacht vor Dillingen an.

Nach Zurücklegung einer ebenso anstrengenden Wegstrecke wie der gestrigen wurde der kleine Anker einige Kilometer oberhalb Neuburgs an einem verlassenen Punkte ausgeworfen, und aufs neue stieg am 15. August das Morgenrot erst am Himmel empor, als die Jolle schon wieder in der Strömung schwankte.

Für diesen Abend hatte Ilia Brusch seine Ankunft in Neustadt angemeldet. Es wäre beschämend gewesen, hier mit leeren Händen einzutreffen. Da der Zustand der Atmosphäre günstig und die zurückzulegende Strecke wesentlich kürzer war als die frühern, entschloß sich Ilia Brusch, einmal zu angeln.

Von den ersten Tagesstunden an sah er seine Geräte sorgsam nach. Sein auf dem Hinterteile sitzender Begleiter schien sich, wie es einem richtigen Sportliebhaber zukommt, für diese Vorbereitungen eifrig zu interessieren.

Bei diesen unterließ es Ilia Brusch jedoch nicht, ein wenig zu plaudern.

»Heute, Herr Jäger, will ich, wie Sie sehen, einmal fischen; die Vorbereitungen dazu dauern freilich etwas lange. Die Fische sind ziemlich mißtrauischer Natur, und man kann nicht vorsichtig genug sein, sie anzulocken. Einige darunter, z. B. die Schleie, sind geradezu intelligent zu nennen. Man muß sie zu überlisten verstehen, ihr Maul ist aber so hart, daß es zuweilen die Schnur zerreißt.

– So viel ich weiß, meinte Jäger, wird die Schleie nicht gerade hoch geschätzt.

– Nein; sie liebt schlammiges Wasser, das ihrem Fleische oft einen unangenehmen Beigeschmack verleiht.

– Und der Hecht?

– O, das ist ein vortrefflicher Fisch, erklärte Ilia Brusch, vorausgesetzt, daß er seine fünf bis sechs Pfund wiegt; die kleinen sind weiter nichts als Gräten. Jedenfalls kann der Hecht aber nicht den intelligenten und listigen Fischen zugezählt werden.

– Wirklich, Herr Brusch?... Der Haifisch des Süßwassers, wie man ihn nennt, ist also...[62]

–... ebenso dumm, wie der im Salzwasser, Herr Jäger. Beide stehen in dieser Hinsicht nicht höher als der Barsch und der Aal. Ihr Fang ist nutzbringend, rühmlich aber nicht. Es sind, wie ein Kenner sagt, Fische, die sich selbst fangen und die nicht der Angler fängt.«

Jäger mußte unwillkürlich die ansteckende Überzeugung Ilia Bruschs bewundern, und das nicht weniger, als die peinliche Sorgfalt, womit er seine Geräte zurechtmachte.

Zuerst hatte er seine elastische und leichte Angelrute vorgenommen, die vorher am äußern Ende fast zum Brechen gebogen, bald wieder so gerade war, wie vorher. Die Rute bestand aus zwei Teilen, der eine am untern Ende fast vier Zentimeter dick und verjüngt bis zu einem Zentimeter am obern Ende, wo sich der zweite Teil daran anschloß, der aus seinem, besonders haltbarem Holze bestand. Der aus einem Zweige der Haselstaude angefertigte zweite Teil war fast vier Meter lang, was es dem Fischer ermöglichte, auch den ein Stück vom Ufer am Grunde stehenden Fischen, wie den Brachsen und den Rotzungen, nachzustellen.

Ilia Brusch zeigte Herrn Jäger auch die Haken, die er an dem Florentiner Haar befestigte.

»Sie sehen, Herr Jäger, sagte er dazu, das sind sehr dünne Haken, solche von Nummer elf. Als Köder gibt es für das Rotauge nichts besseres als aufgequellte Getreidekörner, die an einer Seite aufgeplatzt und durchweg hübsch weich sind. Na, das wäre ja fertig, und nun will ich mein Glück versuchen.«


Einander gegenübersitzend, aßen die beiden Genossen ihre Abendmahlzeit. (S. 60.)
Einander gegenübersitzend, aßen die beiden Genossen ihre Abendmahlzeit. (S. 60.)

Während Jäger sich jetzt an das niedrige Kojendach lehnte, setzte er sich, seinen kleinen Hamen zur Hand, auf eine der Bänke, und warf unter gebührendem, einer gewissen Grazie nicht entbehrendem Balancieren die Schnur weit hinaus. Die Haken versanken in dem gelblichen Wasser und die Bleistücke darüber sicherten ihnen eine lotrechte Lage, die nach der Ansicht aller Fischer von Beruf, vorzuziehen sein soll. Über ihnen schaukelte der Schwimmer, der, aus einer Schwanenfederspule und Kork hergestellt, kein Wasser ansaugt und vor allem nicht untersinken kann.

Natürlich herrschte im Boote von jetzt an tiefes Schweigen. Stimmengeräusch erschreckt die Fische gar zu leicht, und ein ernstlicher Fischer hat andres zu tun, als bei seiner Arbeit zu schwätzen. Er muß den Schwimmer aufmerksam beobachten und darf den richtigen Augenblick, die Beute mit[63] dem Haken zu fesseln, nicht vergessen. Mit dem heutigen Vormittage konnte Ilia Brusch zufrieden sein. Er hatte gegen zwanzig Rotaugen und daneben noch ein Dutzend Alante und noch andre Fische gefangen.

Wenn Jäger wirklich ein so leidenschaftlicher Angelliebhaber war, wie er sich dessen rühmte, mußte er jedenfalls die Sicherheit bewundern, womit sein Wirt den Haken etwas aufschnellen ließ, wie es bei den Fischen dieser Art nötig ist. Sobald er fühlte, daß »etwas anbiß«, hütete er sich jedoch, den Fang sofort an die Wasseroberfläche herauszuziehen,[64] sondern ließ den Fisch, bei dessen Bemühungen, vom Haken wie der loszukommen, sich erst ermüden, und er zeigte dabei das unerschütterlich kalte Blut, das eine der Haupteigenschaften des seines Namens würdigen Fischers ist.


Die Liebhaber überboten einander... (S. 66.)
Die Liebhaber überboten einander... (S. 66.)

Der Fischfang wurde um elf Uhr beendigt. In der schönen Jahreszeit beißt der Fisch in den Stunden nicht an, wo die Sonne in ihrem Hochstande das Wasser zum Glitzern bringt. Übrigens war die Ausbeute ja für heute[65] schon genügend. Ilia Brusch hielt sie gegenüber dem ziemlich unbedeutenden Neustadt wo er um fünf Uhr Halt machte, sogar für etwas zu groß.

Damit täuschte er sich freilich. Fünfundzwanzig bis dreißig Personen harrten hier schon seiner Ankunft und begrüßten ihn, sobald das Boot angelegt war, mit lautem Beifall. Bald wußte er nicht mehr, auf welches Gebot er hören sollte, und in kürzester Zeit waren die Fische gegen siebenundzwanzig Gulden vertauscht, die Ilia Brusch als erste Dividende seinem Begleiter auf der Stelle aushändigte.

Im Bewußtsein, an der Bewunderung der Leute keinen Anteil zu hab en, hatte der sich bescheiden unter das Kojendach zurückgezogen, wo Ilia Brusch ihn aufsuchte, sobald er seiner enthusiastischen Bewunderer quitt geworden war. Es galt jetzt keine Zeit zu verlieren, um zu schlafen, da die Nachtruhe nur kurz sein sollte. Da Ilia Brusch daran gelegen war, in dem volle sechzig Kilometer entfernten Regensburg beizeiten einzutreffen, hatte er sich vorgenommen, in sehr früher Morgenstunde weiterzufahren, weil er dann trotz der langen Strecke noch Zeit gewann, auch morgen zu fischen.

Gegen dreißig Pfund Fische hatte Ilia Brusch denn auch schon am Vormittag erbeutet, und die Neugierigen, die sich auf dem Kai in Regensburg drängten, hatten es nicht zu bereuen, sich seinetwegen hierherbegeben zu haben. Der Enthusiasmus der Menge nahm sichtlich zu. Die Liebhaber überboten einander, und die dreißig Pfund Fische brachten dem Preisträger des Donaubundes nicht weniger als einundvierzig Gulden ein.

Dieser selbst hätte sich einen solchen Erfolg niemals träumen lassen und er kam schon auf den Gedanken, daß Jäger schließlich ein vorzügliches Geschäft machen werde. Jetzt fühlte er sich natürlich verpflichtet, die einundvierzig Gulden ihrem rechtmäßigen Eigentümer zu überliefern, sah sich augenblicklich dazu aber außerstande. Jäger hatte sich unbemerkt von der Jolle entfernt und an seinen Begleiter nur die kurze Mitteilung hinterlassen, daß dieser mit dem Abendessen nicht auf ihn warten möge, da er erst spät am Abend zurückkehren würde.

Ilia Brusch fand es ganz natürlich, daß Jäger die Gelegenheit benützen wollte, eine Stadt zu besuchen, die einst fünfzig Jahre lang kaiserliche Residenz gewesen war. Vielleicht wäre er darüber weniger zufrieden als erstaunt gewesen, wenn er gewußt hätte, was sein Passagier hier vorhatte, und wenn ihm dessen Person richtig bekannt gewesen wäre.[66]

»Herr Jäger, Wien, Leipziger Straße 43« hatte Ilia Brusch gelehrig nach dem Diktat des neuen Ankömmlings geschrieben. Der wäre aber in arge Verlegenheit gekommen, wenn der Fischer neugieriger gewesen wäre und vielleicht, indem er selbst eine Befragung vornahm, deren Unannehmlichkeit er am eigenen Leibe gespürt hatte, von Jäger verlangt hätte, ihm seine Papiere vorzuzeigen.

Ilia Brusch vernachlässigte diese Vorsicht, deren Rechtmäßigkeit ihm ja deutlich demonstriert worden war, und diese Vernachlässigung sollte für ihn die schlimmsten Folgen haben.

Welchen Namen der Gendarm auf dem ihm von Jäger vorgewiesenen Passe gelesen hatte, wußte niemand; wenn das aber der des wirklichen Eigentümers gewesen war, konnte es nur der Name Karl Dragoch sein.

Der leidenschaftliche Angelfreund und der Chef der neuen Donaupolizei waren tatsächlich ein und dieselbe Person. Entschlossen, in Ilia Bruschs Boot um jeden Preis Aufnahme zu finden, hatte Karl Dragoch, in Voraussicht der Möglichkeit eines kaum zu überwindenden Widerstandes, seine Maßregeln danach getroffen. Das Eingreifen des Gendarmen war eine abgekartete Sache und der Auftritt ebenso wie einer auf der Bühne vorbereitet gewesen.

Der Erfolg zeigte, daß Karl Dragoch richtig gerechnet hatte, denn Ilia Brusch betrachtete es jetzt, gegenüber ähnlichen, ihm vielleicht drohenden Gefahren, für ein Glück, einen Beschützer zu haben, an dessen mächtigem Einflusse er nicht zweifeln konnte.

Dieser Erfolg war sogar so groß gewesen, daß Dragoch sich darüber wunderte. Warum hatte sich Ilia Brusch dem Auftreten des Gendarmen gegenüber so auffallend ängstlich gezeigt? Warum hatte er eine solche Furcht, nochmals einem Abenteuer dieser Art zu begegnen, daß er dieser Furcht sogar die – übrigens auch etwas übertriebene – Vorliebe für das Alleinsein opferte? Ein ehrlicher Mann hat doch – zum Kuckuck! – das Erscheinen vor einem Polizeikommissar nicht zu fürchten. Die schlimmste Folge davon konnte doch nur eine Verzögerung von einigen Stunden, höchstens einigen Tagen sein, und wenn man keine besondre Eile hat... Doch, Ilia Brusch schien es ja sehr eilig zu haben, und das gab wiederum zu denken.[67]

Von Natur mißtrauisch, wie jeder gute Polizist, dachte Karl Dragoch darüber nach. Er hatte aber zuviel gefunden Menschenverstand, sich durch flüchtige Einzelheiten irreführen zu lassen, die später vielleicht eine ganz einfache Erklärung fanden. Er prägte seinem Gedächtnis also nur kleine Beobachtungen ein und verwendete seine geistigen Anlagen auf die Lösung des ihm am Herzen liegenden Problems, das ja wichtiger war, als jener unbedeutende Zwischenfall.

Der Plan, den Karl Dragoch verfolgte, als er sich Ilia Brusch als Passagier aufdrängte, war keineswegs in seinem Gehirn entsprungen. Dessen wahrhafter Urheber war vielmehr Michael Michaelowitsch gewesen, der davon freilich nichts ahnte. Als der lustige Serbe scherzweise geäußert hatte, der Preisträger des Donaubundes könnte ja – je nach Belieben – entweder der verfolgte Verbrecher oder der verfolgende Polizist sein, da hatte Dragoch diesen leicht hingeworfenen Worten eine ernste Aufmerksamkeit geschenkt. Natürlich hatte er sie nicht wörtlich genommen. Er wußte ja recht gut, daß der Fischer und der Polizist nichts miteinander gemein hatten, und er betrachtete es deshalb als höchstwahrscheinlich, daß der Fischer auch nicht mehr Beziehung zu dem Verbrecher haben werde. Daraus aber, daß eine Tat nicht begangen worden ist, folgt ja nicht, daß dies nicht noch geschehen könnte, und Karl Dragoch dachte sogleich, daß der lustige Serbe damit recht haben könne, daß ein Detektiv, der die Donau zu überwachen wünschte, nichts besseres tun könnte, als sich als Fischer zu verkleiden, damit niemand in ihm seinen wahren Beruf vermutete.

So verlockend diese Kombination auch erschien, mußte er sie doch außer acht lassen. Der Wettstreit von Sigmaringen hatte stattgefunden, und Ilia Brusch, der Sieger im Turnier, hatte öffentlich seine Absicht angekündigt, und gewiß würde er nicht zu haben sein, dabei einen andern an seine Stelle treten zu lassen. Übrigens wäre das auch ein sehr gewagter Personenwechsel gewesen, da die Züge des Preisträgers viel zu vielen seiner Kollegen bekannt waren.

Wenn er sich aber nun sagen mußte, daß Ilia Brusch nicht zustimmen würde, die angekündigte Reise unter seinem Namen von einem andern unternehmen zu lassen, konnte er seinen Zweck doch vielleicht auf Umwegen erreichen. Bei der Unmöglichkeit, selbst als Ilia Brusch aufzutreten, konnte sich Karl Dragoch ja damit begnügen, diesen auf der Fahrt in seinem[68] Boote zu begleiten. Wer würde da auf den Begleiter eines Mannes achten, der fast berühmt geworden war und der folglich das öffentliche Interesse auf sich konzentrierte? Und selbst wenn einer einen flüchtigen Blick auf den unbekannten Begleiter warf, würde er doch niemals auf den Gedanken kommen, in diesem den Polizisten zu sehen, der hier im Schutze eines Inkognitos seinen Auftrag erledigte.

Nach langer Prüfung dieses Planes erschien er Karl Dragoch ganz vortrefflich, so daß er beschloß, ihn auszuführen. Der Leser weiß, wie ungemein geschickt er die erste Szene beim Zusammentreffen zu gestalten wußte, dieser wären, wenn nötig, aber auch noch andre ähnliche gefolgt. Wenn es nicht anders ging, wäre Ilia Brusch dem Polizeikommissar zugeführt, sogar unter irgendwelchem Vorwande in Hast genommen und auf hunderterlei Weise in Angst gesetzt worden. Karl Dragoch hätte jedenfalls ohne Gewissens bisse ganz nach Willkür gehandelt, bis der erschreckte Fischer in dem erst abgewiesenen Passagier nichts andres als seinen Retter aus der Not erblickt hätte.

Der Detektiv schätzte sich jetzt aber immerhin glücklich, ohne moralischen Zwang gesiegt zu haben und diese Komödie nur bis zum ersten Akte haben spielen zu brauchen.

Jetzt saß er an dem gewünschten Platze, überzeugt, daß sein Wirt, wenn er diesen Platz verlassen wollte, dem ebenso bestimmt, wie früher seiner Aufnahme in das Boot, widersprochen haben würde. Nun galt es, die günstige Lage auszunützen.

Dazu brauchte sich Karl Dragoch ja nur von der Strömung mit hinabtragen zu lassen. Während sein Begleiter angelte oder ruderte, konnte er den Strom im Auge behalten, wo seinem geübten Blicke nichts Auffallendes entgehen würde. Unterwegs aber konnte er sich mit seinen längs der Ufer verstreuten Untergebenen besprechen. Auf die erste Meldung einer Untat oder eines Verbrechens wollte er sich von Ilia Brusch trennen, um den Übeltätern nachzuspüren, und dasselbe beabsichtigte er auch, wenn ein verdächtiges Vorkommnis, ohne daß es noch zur Ausführung eines Verbrechens gekommen war, seine Aufmerksamkeit erweckte.

Alles das war klug und weise ausgedacht, und je mehr er sich's überlegte, desto mehr beglückwünschte sich Karl Dragoch wegen seiner Idee, die seine Aussichten auf Erfolg vervielfältigte, während sie sein Inkognito[69] auf der ganzen Donaustrecke sicherte. Bei diesem Gedankengange hatte Karl Dragoch aber leider den Zufall außer Rechnung gelassen. Es kam ihm gar nicht in den Sinn, daß eine Reihe seltsamer Ereignisse seine Nachforschungen nach einer ganz andern Richtung ablenken und seiner Aufgabe unerwartet weitere Grenzen stecken würde.

Quelle:
Jules Verne: Der Pilot von der Donau. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band XCIV, Wien, Pest, Leipzig 1909, S. 60-70.
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