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[406] Am Morgen des 22. December lagen die beiden Piroguen bereit, den Strom wieder hinunter zu fahren.
Zu dieser Zeit des Jahres war der Wasserstand des Orinoco noch nicht besonders gestiegen. Die »Gallinetta« und die »Moriche« hatten deshalb gegen fünf Kilometer stromabwärts bis zur Mündung eines kleinen Rios des rechten Ufers, wo sich hinreichende Wassertiefe vorfand, mühsam geschleppt werden müssen. Von hier aus liefen sie höchstens noch Gefahr, einige Stunden lang da und dort den Grund zu streifen, nicht aber bis zum Eintritt der Regenzeit etwa gar auf dem Trocknen sitzen zu bleiben.
Der Pater Esperante wollte seine Kinder bis zu dem neuen Halteplatze der Falcas geleiten. Der jetzt wieder ganz hergestellte Sergeant Martial schloß sich ihm ebenso an, wie der junge Indianer, der inzwischen zum richtigen Adoptivkinde der Mission von Santa-Juana geworden war.
Etwa fünfzig Guaharibos bildeten die weitere Begleitung, und Alle langten glücklich an der Einmündung des Rios an.
Als die Stunde zur Abfahrt schlug, nahm Valdez seinen Platz auf der »Gallinetta« ein, auf der Jacques Helloch und seine Gattin sich einschiffen sollten. Parchal begab sich auf die »Moriche«, deren Deckhaus die kostbaren Sammlungen Germain Paterne's und seine nicht minder kostbare Person aufzunehmen hatte.
Da die beiden Falcas beisammen bleiben und häufig dicht Bord an Bord segeln sollten, würde Germain Paterne nicht auf seine eigene Gesellschaft beschränkt sein, sondern, so viel er wollte, mit dem jungen Ehepaare in Berührung bleiben können. Außerdem sollten, wie sich das ja von selbst versteht, die Mahlzeiten gemeinschaftlich an Bord der »Gallinetta« eingenommen werden, wenn Jacques und Jeanne Helloch nicht ausnahmsweise einer Einladung Germain Paterne's nach der »Moriche« folgten.
Die Witterung war günstig, das heißt, es wehte ein mäßig frischer Wind aus Osten, und da die Sonnenstrahlen durch einen leichten Wolkenschleier gemildert wurden, herrschte auch eine recht erträgliche Temperatur.[406]
Der Oberst von Kermor und der Sergeant Martial gingen bis zum Rande des Wassers hinab, um ihre Kinder noch einmal zu umarmen. Weder die einen, noch die andern suchten ihre natürliche Erregung zu verbergen. Jeanne, die ja sonst so energisch war, weinte still in den Armen ihres Vaters.
»Ich führe Dich zu ihm zurück, meine geliebte Jeanne, flüsterte ihr Jacques Helloch tröstend zu. In einigen Monaten werden wir Beide wieder in Santa-Juana sein!...
– Nein, wir alle Drei, schaltete Germain Paterne ein, denn ich habe übersehen, einige von den seltenen Pflanzen zu sammeln, die nur in der Umgebung der Mission vorkommen, und ich denke dem Minister für öffentliche Aufklärung zu beweisen...
– Gott mit Dir, mein guter Martial, Gott sei mit Dir! sagte die junge Frau, die den alten Soldaten zum Abschied umarmte.
– Ach, Jeanne... gedenke Du auch Deines Onkels, der Dich keinen Augenblick vergessen wird!«
Dann kam die Reihe an Gomo, von dem Jeanne auch noch mit einer Umarmung Abschied nahm.
»Leb wohl, mein Vater, sagte Jacques Helloch, indem er die Hand des Missionärs warm drückte, und auf Wiedersehen... auf Wiedersehen!«
Jacques Helloch, seine Gattin und Germain Paterne bestiegen die »Gallinetta«.
Die Segel wurden gehißt, die Haltetaue losgeworfen und die beiden Piroguen schwenkten nach der Strömung in dem Augenblicke ab, wo der Pater Esperante die Arme ausstreckte, um ihnen einen letzten Segen zu ertheilen.
Dann schlugen der Sergeant Martial, der junge Indianer und er, in Begleitung der Guaharibos, den Weg nach der Mission wieder ein.
Wir brauchen hier nicht Strecke für Strecke die Fahrt der Falcas auf dem Orinoco hinunter zu schildern. Dank der Strömung beanspruchte diese Reise gut drei bis viermal so wenig Zeit und gewiß zehnmal weniger Anstrengung und brachte zehnmal weniger Gefahr, als wenn es sich darum handelte, den Strom nach den Quellen hinauszusegeln. Nie brauchte jetzt die Espilla benutzt zu werden, um die Piroguen aufzuholen, und im schlimmsten Falle genügten die Palancas, wenn der Wind sich ganz legte oder zu widriger Richtung umschlug.
Die Passagiere sahen jetzt, wie in einem beweglichen Panorama, die Orte, woran sie früher vorbeigekommen waren – dieselben Dörfer, Ranchos, Raudals[407] und dieselben Stromschnellen. Schon machte sich ein Wachsen des Wassers bemerkbar, so daß dieses für die Piroguen überall Tiefe genug haben mußte, eine Löschung der Ladung zu vermeiden, und so ging denn die Fahrt voraussichtlich ohne Mühe und Anstrengung von statten.
Welcher Unterschied, wenn sich die junge Frau und ihr Gatte jetzt an die Beschwerden, die Unruhe und an die Gefahren der Reise erinnerten, die sie vor noch nicht so vielen Wochen vollendet hatten!
Beim Auftauchen des Sitios des Capitan Baré dachte Jeanne daran, daß sie hier ein Opfer des Sumpffiebers geworden wäre, wenn Jacques Helloch nicht die unschätzbare Coloraditorinde entdeckt hätte, die ihr einen wiederholten Anfall verhütete.
Weiterhin erkannte man, unsern dem Cerro Guararo, die Stelle, wo die den Strom überschreitende Rinderherde von den schrecklichen elektrischen Zitterrochen überfallen worden war.
In Danaco ferner stellte Jacques Helloch seine Gattin Manuel Assomption vor, dessen Gastfreundschaft sie mit Germain Paterne einen Tag lang genossen hatten. Wie erstaunten aber die guten Leute im Rancho, als sie in der reizenden jungen Frau den Neffen wiedererkannten, der mit seinem Onkel Martial in einer der Hütten des Mariquitarerdorfes Unterkommen gefunden hatte.
Am 4. Januar endlich vertauschten die »Gallinetta« und die »Moriche« das Bett des Orinoco gegen das des Atabapo und legten sich am Quai von San-Fernando fest.
Drei Monate waren vergangen, seit Jacques Helloch und seine Gefährten sich hier von den Herren Miguel, Felipe und Varinas verabschiedeten. Weilten nun die drei Collegen noch immer am nämlichen Orte? Das konnte man doch kaum annehmen. Nachdem sie die Frage bezüglich des Orinoco, des Guaviare und des Atabapo gründlich behandelt hatten, waren sie gewiß gleich nach Ciudad-Bolivar heimgekehrt.
Germain Paterne hätte nun gar zu gern erfahren, welcher der drei Flüsse den endlichen Sieg davongetragen habe. Da die Falcas nun hier einige Tage liegen bleiben sollten, um vor der Fahrt nach Caïcara ihren Proviant zu erneuern, konnte ihm die Gelegenheit, seine Neugier zu befriedigen, ja nicht fehlen.
Jacques Helloch und seine Gattin gingen also ans Land und erwählten als Wohnung das Häuschen, worin sich der Sergeant Martial schon einmal aufgehalten hatte.[408]
Noch an demselben Tage machten sie ihren Besuch bei dem Gouverneur, der mit großer Befriedigung von den Ereignissen hörte, deren Schauplatz die Mission von Santa-Juana gewesen war – einerseits von der fast vollständigen Ausrottung der Alfaniz'schen Verbrecherbande, und andrerseits von dem glücklichen Erfolge der Reise.
Was die Herren Miguel, Felipe und Varinas betraf, so hatten diese – erstaune nur niemand darüber! – die Ortschaft noch nicht verlassen, da sie über die hydrographische Streitfrage bezüglich der drei Wasserläufe jetzt ebensowenig einig waren, wie bei ihrer Abreise aus Ciudad-Bolivar.
Noch am nämlichen Abend konnten die Passagiere von der »Gallinetta« und der »Moriche« einen Händedruck mit den Insassen der »Maripare« wechseln.
Herr Miguel und seine gelehrten Freunde empfingen die alten Reisegefährten mit größter Zuvorkommenheit.
Man vergegenwärtige sich aber ihre Verblüffung, als sie Jean – »ihren lieben Jean« – am Arme Jacques Helloch's und – in Frauenkleidung wiedersahen.
»Wollen Sie uns wohl mittheilen, warum er sich so verwandelt hat? fragte Herr Varinas.
– O, sehr einfach: weil ich ihn geheiratet habe, erklärte Jacques Helloch.
– Sie... Sie haben Jean von Kermor geheiratet? rief Herr Felipe, der die Augen weit aufriß.
– Das nicht... doch Fräulein Jeanne von Kermor.
– Wie? platzte Herr Miguel heraus, Fräulein von Kermor?
– Das ist die Schwester Jeans! antwortete Germain Paterne lachend. Nicht wahr, sie sehen sich zum Verwechseln ähnlich?«
Bald folgte eine weitere Erklärung, und die jungen Gatten wurden in aufrichtigster Weise beglückwünscht, Frau Jacques Helloch aber noch einmal besonders, daß sie ihren Vater, den Oberst von Kermor, in dem Missionär von Santa-Juana wiedergefunden hätte.
»Und der Orinoco? fragte Germain Paterne. Füllt er noch immer seinen früheren Platz aus?
– Noch immer, versicherte Herr Miguel.
– Er ist es also, der unsre Piroguen bis zu seinen Quellen in der Sierra Parima getragen hat?...«
Die Gesichtszüge der Herren Varinas und Felipe bewölkten sich bei dieser Frage, aus ihren Augen sprühten Blitze, die Vorboten eines Unwetters, während[411] Herr Miguel nur mit den Schultern zuckte. Dann entwickelte sich wieder der Redekampf, dessen Stärke die Zeit nicht abzuschwächen vermocht hatte, zwischen dem Vertreter des Atabapo und dem Parteigänger des Guaviare. Nein – sie stimmten noch nicht überein, würden das niemals thun, und ehe der Eine seine Anschauung zu Gunsten der des Andern verleugnete, hätten sie gewiß weit lieber Herrn Miguel Recht gegeben und sich zu Gunsten des Orinoco ausgesprochen.
»Beantworten Sie das Eine, rief Herr Varinas, und leugnen Sie einmal, daß der Guaviare nicht schon sehr viele Male als der westliche Orinoco bezeichnet worden wäre, und zwar von den competentesten Geographen!
– Von ebenso uncompetenten wie Sie, mein Herr Varinas!« antwortete Herr Felipe, ebenso laut, wie sein Gegner gefragt hatte.
Man sieht, daß Rede und Gegenrede hier schon von den ersten Worten an in hitzigster Weise geführt wurden. Das konnte freilich niemand wundern, der etwa wußte, daß die beiden Gegner jeden Tag, vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang, über das nämliche Thema ganz ebenso in Wortwechsel geriethen. Wenn die von beiden Seiten vorgebrachten Argumente auch jetzt noch nicht bis zum Tz abgenutzt waren, konnte das nur daran liegen, daß sie von außerordentlicher Zähigkeit waren.
Herr Varinas setzte den Streit noch weiter fort.
»Seine Quelle in der Sierra Suma-Paz, östlich vom obern Magdalenenstrome im Gebiete Columbias zu haben, das ist denn doch ein ander Ding, als sich, kein Mensch weiß wo, mühsam hervorzuwinden...
– Kein Mensch weiß wo, Herr College? versetzte Herr Felipe scharf. Sie scheuen vor solchen entehrenden Ausdrücken nicht zurück, wo es sich um den Atabapo handelt, der aus den vom Rio Negro bewässerten Ilanos hervorbricht – ganz abgesehen davon, daß der mächtige Flußlauf einen Verbindungsweg mit dem Becken des Amazonenstromes bildet!
– Das Wasser Ihres Atabapo aber ist pechschwarz, und es gelingt ihm nicht einmal, sich mit dem des Orinoco zu vermischen!
– Das Ihres Guaviare dagegen ist lehmig, schmutziggelb, und Sie wären nicht im Stande, es nur wenige Kilometer stromabwärts von San-Fernando überhaupt noch nachzuweisen!
– Der Guaviare wird aber von Kaimans bewohnt. Er hat deren so viele Tausende, wie der Orinoco, während der Atabapo sich mit lächerlichen[412] Fischchen begnügen muß, die ebenso werthlos, schwarz und mager sind, wie er selbst. Schicken Sie doch einmal Schiffe auf Ihren Atabapo, Herr Felipe, und sehen Sie zu, wie weit sie, wenn man sie nicht auf Karren über Land weiter schafft, kommen werden! Auf dem Guaviare können solche Tausende von Kilometern hinaufsegeln... hinauf bis zur Einmündung des Ari-Ari und auch noch weiter!
– Ob man Schiffe einmal über seichte Stellen hinwegschaffen muß oder nicht, Herr Varinas, wir bilden doch das hydrographische Verbindungsglied zwischen den Amazonasländern und der venezuolanischen Republik!
– Und wir zwischen Venezuela und Columbia!
– Ach, ich bitte Sie!... Giebt es denn da gar keinen Apure, der einen Weg für die Schiffe bietet?
– Und auf Ihrer Seite etwa keinen Cassiquiare, wie?
– Ihr Guaviare hat weiter nichts als Schildkröten!
– Und Ihr Atabapo nichts andres als Muskitos...
– Uebrigens ergießt sich der Guaviare, wie alle Welt weiß, hier, wo wir sind, schließlich in den Atabapo...
– Fehlgeschoffen, der Atabapo verschwindet im Guaviare, wie alle Leute mit gesundem Menschenverstand zugeben, und die Wasserzufuhr des Guaviare beträgt auch nicht weniger als dreitausendzweihundert Cubikmeter...
– Und wie die Donau, fiel hier Germain Paterne, den Dichter der »Orientales« citierend, ein:
».... strömt er
Vom Abendlande zum Morgenlande.«
Das war ein Argument, dessen sich Herr Varinas noch nicht bedient hatte, das er aber sorgsam in das Actenbündel des Guaviare einheftete.
Bei diesem heftigen Wortgefecht zur Hervorhebung der Bedeutung der beiden Nebenflüsse konnte sich Herr Miguel des Lächelns nicht erwehren. Er ließ den Orinoco ruhig seine zweitausendfünfhundert Kilometer dahinströmen, von der Sierra Parima an bis zu seinem fünfzigarmigen Delta, das sich an der Küste des Atlantischen Oceans verzweigt.
Inzwischen erlitten die nöthigen Vorbereitungen keine Unterbrechung. Die Piroguen, die nun untersucht, ausgebessert, in völlig tadellosen Stand versetzt und frisch verproviantiert waren, lagen am 9. Januar zur Abfahrt bereit.
Jacques und Jeanne Helloch schrieben noch einen Brief an ihren Vater – einen Brief, in dem auch der Sergeant Martial und der junge Indianer[413] nicht vergessen waren. Dieses Schreiben gelangte nach Santa-Juana durch Händler, die mit Eintritt der Regenzeit den Strom hinauszufahren pflegen. Es sagte Alles, was zwei dankerfüllte, glückliche Herzen nur sagen können.
Am Tage vor der Abreise erhielten die Passagiere zum letzten Male eine Einladung zum Gouverneur von San-Fernando. An diesem Abend herrschte Waffenstillstand, die hydrographische Streitaxt blieb einstweilen begraben. Nicht als ob das Thema etwa erschöpft gewesen wäre, die Gegner hatten ja aber noch Monate und Jahre vor sich, jene lustig zu schwingen.
»Ihre »Maripare«, Herr Miguel, fragte die junge Frau, wird morgen also die »Gallinetta« und die »Moriche« nicht begleiten?
– Es scheint nicht so, verehrte Frau, antwortete Herr Miguel, der sich ja fügen mußte, seinen Aufenthalt am Zusammenflusse des Guaviare und des Atabapo noch zu verlängern.
– Ja, wir müssen uns noch über einige wichtige Punkte klar werden, ließ sich Herr Varinas vernehmen.
– Und haben noch einige Untersuchungen auszuführen, setzte Herr Felipe hinzu.
– Dann also, auf Wiedersehen, meine Herren! sagte Jacques Helloch.
– Auf Wiedersehen?... fragte Herr Miguel verwundert.
– Jawohl, erwiderte Germain Paterne, und zwar in San-Fernando... wenn wir wieder hier vorüberkommen... etwa nach sechs Monaten... denn es ist doch kaum wahrscheinlich, daß die hochwichtige Frage...«
Am nächsten Tage, am 9. Januar, schifften sich die Reisenden, nach herzlichem Abschied von dem Gouverneur, wie von Herrn Miguel und seinen Collegen, wieder ein, und schnell dahingetragen von der Strömung des Flusses – ob dieser sich nun Atabapo, Guaviare oder Orinoco nannte – verloren die beiden Piroguen den Flecken San-Fernando bald aus dem Gesicht.
Kaum eine Stunde später erkannte die junge Frau die Stelle wieder, wo die beiden Falcas am rechten Ufer gestrandet waren, und auch die, wo Jacques sie bei dem entsetzlichen Tosen des Chubasco mit Gefahr seines Lebens gerettet hatte.
»Ja... meine geliebte Jeanne... hier war es...
– Hier, mein Jacques, wo in Dir der Gedanke aufkam, Deinen lieben Jean nicht zu verlassen... ihn durch so viele Fährlichkeiten bis zum Ziele seiner Reise zu begleiten.[414]
– Und wer war damit nicht zufrieden? rief Germain Paterne. Das war der gute Sergeant Martial. O, der Onkel hatte seine wahre Noth mit dem Neffen, der ihm nichts zu Danke machen konnte.«
Im Laufe der folgenden Tage legten die von der Brise immer begünstigten Piroguen schnell eine große Strecke zurück. Sie überwanden ohne Schwierigkeit die Raudals von Mapure und Ature, die jetzt nur flußabwärts zu passieren waren, und kamen bald nach der Mündung des Meta und nach dem Dorfe Cariben. Die wildreichen Inseln des Stromes lieferten reichlich schmackhafte Nahrung, und auch der Fischfang blieb überall ertragreich.
Später gelangte die Gesellschaft nach dem Rancho des Herrn Mirabal in la Tigre. Nach dem Grundsatze: »Ein Mann, ein Wort« legten die Falcas hier an, und ihre Passagiere waren vierundzwanzig Stunden lang die Gäste des vortrefflichen Mannes, der sie mit inniger Freude wegen des Ausgangs ihres Unternehmens beglückwünschte, wobei er ebenso darauf hinzielte, daß der Oberst von Kermor in Santa-Juana wirklich gefunden worden war, wie er zartfühlend darauf hindeutete, »was die Folge davon gewesen wäre«.
In la Urbana mußten die Piroguen für den letzten Theil der Fahrt noch einmal mit Vorräthen versorgt werden.
»Aber die Schildkröten? rief plötzlich Germain Paterne. – Erinnerst Du Dich der Schildkröten nicht, Jacques... jener Myriaden von Schildkröten? Alle Wetter, hierher auf dem Rücken von Schildkröten gekommen zu sein...
– In diesem Dorf sind wir einander zum ersten Male begegnet, Herr Germain, sagte die junge Frau.
– Ja, dank jenen vortrefflichen Panzerthieren, denen wir doch wohl einige Anerkennung schuldig sind, erklärte Jacques.
– Die werden wir ihnen dadurch darbringen, daß wir sie verspeisen, denn sie schmeckt ausgezeichnet, die Schildkröte des Orinoco!« rief Germain Paterne, der alle Dinge immer von dem ihnen zukommenden besondern Standpunkte aus betrachtete.
Am 25. Januar erreichten die Falcas Caïcara.
In diesem Flecken trennten sich Jacques Helloch, Jeanne und Germain Paterne von den Schiffern und deren Mannschaften, nicht ohne den wackern und so ergebenen Leuten, deren Dienste sie gern anerkannten und gut belohnten, einen herzlichen Dank auszusprechen. Von Caïcara brachte ein Dampfer des Apure die Reisenden binnen zwei Tagen nach Ciudad-Bolivar, von wo die[415] Eisenbahn sie schnell nach Caracas beförderte. Zehn Tage später waren sie in Havana bei der Familie Eridia, und fünfundzwanzig Tage darauf in Europa, in Frankreich, in der Bretagne, in Sainte-Nazaire, in Nantes.
Da begann Germain Paterne einmal:
»Weißt Du wohl, Jacques, daß wir auf dem Orinoco volle fünftausend Kilometer zurückgelegt haben?... Ist Dir das nicht ein bischen lang vorgekommen?
– O, bei der Rückfahrt nicht!« antwortete Jacques Helloch, der glücklich und lächelnd seiner Jeanne ins Auge blickte.
Ende.
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