[196] Der große Tag war angebrochen – der letzte der sich aneinander reihenden Festlichkeiten der Taufe, der Abendmahlsfeier und der Hochzeit, welche die Gäste von Chipogan erfreut hatten. Die Trauung Rose Harcher's und Bernard Miquelon's sollte, nachdem sie am frühen Morgen durch den Standesbeamten geschlossen war, sofort in der Kirche eingesegnet werden. Am Nachmittage sollte dann das Hochzeitsmahl alle Gäste vereinen, deren Anzahl unter den uns bekannten Verhältnissen so ansehnlich zugenommen hatte. Es war auch hohe Zeit, daß das ein Ende nahm, denn sonst hätte die Grafschaft Laprairie oder gar der ganze Bezirk von Montreal an der gastlichen Tafel Thomas Harcher's Platz genommen.[196]
Am nächsten Tage sollten sich Alle trennen; Herr und Fräulein de Vaudreuil wollten nach der Villa Montcalm zurückkehren. Johann gedachte die Farm zu verlassen, nach der er erst an dem Tage wieder einkehren würde, an dem er sich an die Spitze der reformistischen Partei stellte. Seine Gefährten vom »Champlain« setzten inzwischen ihr Geschäft als Waldläufer und Jäger fort, dem sie gewöhnlich während der Winterzeit oblagen und in Erwartung der Stunde, wo sie ihren Adoptivbruder wiedersehen würden, während die Familie sich den gewohnten Arbeiten in der Farm hingab. Die Huronen wollten nach der Ansiedlung von Walhatta zurückwandern, wo der Stamm sich dann anschickte, Nicolas Sagamore einen festlichen Empfang zu bereiten, wenn er erst eintraf, um am Herde seiner Ahnen die erste Friedenspfeife mit ihnen zu rauchen.
Der freundliche Leser weiß, daß Meister Nick von den ihm bereiteten Huldigungen ganz und gar nicht erfreut war. Schon entschlossen, seine Schreibstube bestimmt nicht gegen den Titel eines Häuptlings des Stammes zu vertauschen, hatte er darüber mit Herrn de Vaudreuil und Thomas Harcher gesprochen. Seine Befangenheit war eine solche, daß es schwierig war, nicht ein wenig über sein Abenteuer zu lachen.
»Sie scherzen, sagte er dann. Nun ja, man sieht eben, daß Ihnen kein Thron seine Stufen öffnet, um denselben zu besteigen.
– Mein lieber Nick, die ganze Angelegenheit dürfen Sie nicht zu ernst nehmen, antwortete dann Herr de Vaudreuil.
– Und wie soll ich sie anders aufnehmen?
– Die guten Leute werden auf ihrem Verlangen nicht bestehen, wenn sie einsehen, daß Sie sich gar nicht beeilen, sich nach dem Wigwam der Mahogannis zu begeben.
– O, da kennen Sie sie schlecht, rief Meister Nick. Sie und nicht darauf bestehen!... Die stöbern mich auch in Montreal auf! Sie werden mir zusetzen, daß ich Ihnen nicht entgehen kann. Sie belagern meine Thür!... Und was wird meine alte gute Dolly sagen?... Es ist gar nicht unmöglich, daß ich schließlich mit Mocassins an den Füßen und mit Federn auf dem Kopfe umherlaufe!«
Und der vortreffliche Mann, der eigentlich gar keine Lust zu lachen hatte, stimmte doch zuletzt in die Heiterkeit der Zuhörer ein.
Am schlimmsten war er aber doch bei seinem Schreiber daran. Aus schalkhafter Bosheit behandelte ihn dieser bereits, als habe er die Nachfolge[197] des verstorbenen Huronen-Häuptlings schon angenommen. Er nannte ihn nicht mehr Meister Nick – Pfui! Er redete ihn nur noch in der dritten Person an, indem er sich der feierlichen Sprachweise der Indianer bediente. Und so wie es jedem Krieger in den Prairien zukommt, hatte er ihm die Wahl zwischen zwei Beinamen freigelassen, nämlich zwischen »Original-Horn« oder »Zarte Eidechse« – was doch mindestens den Namen »Falken-Auge« und »Lange Flinte« gleichkam.
Gegen elf Uhr trat im Hofe der Farm der Zug zusammen, der das Brautpaar begleiten sollte. Dieser wäre wahrlich werth gewesen, einen jungen Dichter zu begeistern, wenn Lionels Muse sich nicht eben mit mehr hochtrabenden Entwürfen beschäftigt hätte.
An der Spitze gingen Bernard Miquelon und Rose Harcher, einander an den kleinen Fingern führend und Beide bezaubernd und strahlend vor Freude; dann folgten Herr und Fräulein de Vaudreuil an der Seite Johanns; nach ihnen die Väter, Mütter, Brüder und Schwestern des jungen Ehepaares; endlich Meister Nick mit seinem Schreiber, geleitet von der Abordnung der Huronen. Der Notar hatte diese Ehre nicht abweisen können. Zum größten Leidwesen Lionels fehlte seinem Herrn nur das Costüm der Eingebornen, die Tätowirung des Körpers und die Bemalung des Gesichtes, um den Stamm der Sagamores würdig zu repräsentiren.
Die Feierlichkeit verlief mit dem ganzen Pomp, der die Stellung der Familie Harcher im Lande erheischte. Da gab es volltönendes Glockengeläute, Festgesang und Gebet, aber auch tüchtiges Knallen der Gewehre. Und gerade bei diesem geräuschvollen Flintenconcert betheiligten sich die Huronen mit einem Eifer und einer Uebereinstimmung, daß Nathaniel Bumpoo, der berühmte Freund der Mohikaner, ihnen seine Anerkennung nicht hätte versagen können.
Nachher kehrte der Zug wieder zur Farm zurück. Dieses Mal führte der junge Ehemann Rose Miquelon aber am Arm. Kein Zwischenfall hatte die Festlichkeiten des Vormittags gestört.
Jeder belustigte sich nun nach Belieben. Vielleicht hatte nur Meister Nick einige Mühe, seine Mahoganni-Brüder zu verlassen, wenn er in Gesellschaft seiner canadischen Freunde ein wenig Luft schöpfen wollte, und kleinlauter als je wiederholte er gegen Herrn de Vaudreuil ohne Unterlaß:
»Ich weiß wahrhaftig nicht, wie ich mich von diesen Wilden losmachen soll!«[198]
Wenn inzwischen Einer viel beschäftigt, überlastet war und von Mittag bis um drei Uhr, die Stunde, wo nach altem Herkommen das Hochzeitsmahl bereit stehen mußte, mit nicht immer zarten Worten noch mehr aufgemuntert wurde, so war das Thomas Harcher. Wohl bemühten sich Catherine sowie ihre Söhne und Töchter, ihm zu helfen; die mancherlei Sorgen, welche eine Festtafel von solcher Ausdehnung ihm auferlegte, ließen ihm aber doch keine Minute Ruhe.
In der That waren es nicht allein sehr viele begehrliche Magen, die es hier zu befriedigen galt, sondern man mußte auch dem verschiedensten Geschmacke Genüge zu thun suchen. Der Speisezettel enthielt in Folge dessen die ganze Sammlung gewöhnlicher und außergewöhnlicher Gerichte, welche die canadische Küche ausmachen.
Auf der ungeheuren Tischreihe – an der hundertfünfzig Gäste Platz nehmen sollten – lagen ebenso viele Löffel und Gabeln in weiße Servietten gewickelt, und stand vor jedem Teller ein metallener Becher. Messer gab es nicht, da sich Jeder mit dem zu bedienen hatte, welches er in der Tasche führte; Brot auch nicht, da bei Hochzeitsschmäusen nur eine Art Ahornzuckerkuchen zulässig ist. Zahlreiche Schüsseln, welche wir noch eingehender anführen werden, standen schon mit kalten Speisen bereit, während die anderen, die warmen Gerichte, nach und nach aufgetragen werden sollten. Diese letzteren bildeten große Terrinen mit sehr heißer Suppe, aus der ein wohlriechender Dampf aufstieg, verschiedene gebackene und gekochte Fische aus dem Süßwasser des St. Lorenzo oder der Landseen, Forellen, Lachse, Aale, Hechte, Weißfische, Alsen, Touradis und Maskinongis; ganze Ketten von kleinen Vögeln, ferner Tauben, Wachteln, Waldschnepfen und Wasserschnepfen und fricassirte Eichhörnchen; nachher als Hauptstücke Truthahn, Gänse, junge Trappen, die im Federviehhofe der Familie gemästet waren, die einen goldig gebräunt im hellen Feuer der Bratöfen, die anderen in einem Meere von Kräutersauce schwimmend; außerdem warme Austernpastete, Pasteten aus feingehacktem Fleisch, Gemüse von großen Zwiebeln, Schöpsenkeulen, gebratene Wildschweinsrücken, einheimische Sagamiten, auf dem Rost gebratene Coteletten von Hirsch- und Damwild; endlich die beiden Wunderdinge des geschätztesten Wildes, welches die Feinschmecker beider Welten nach Canada verlocken könnte, die von den Jägern in den Prairien so gesuchte Bisonzunge und der Höcker genannten Wiederkäuers, der letztere in der natürlichen Haut gedämpft und verziert mit wohlriechenden Blättern. Hierzu
füge man noch das Namensverzeichniß der Sauce[199] schüsseln, in denen »Relishszwanzigerlei Art enthalten waren, die Berge von Gemüsen, das in den letzten Tagen des Indianersommers gereist war, das Backwerk jeder Sorte, darunter vorzüglich den sogenannten Krachkuchen und die Pfannkuchen, in deren Zubereitung die Töchter der Catherine Harcher eines wohlverdienten Ruhmes genossen, die verschiedenen Früchte, welche aus dem eigenen Garten geerntet waren, und endlich in hunderten von mannigfach geformten Flaschen den Obstwein, das Bier und daneben den Wein, Rum, Genèver und was sonst für den Nachtisch[200] bestimmt war – so hat man eine kleine Vorstellung von dem Festmahle, welches diesen Ehrentag feiern helfen sollte.
Der geräumige Saal war zu Ehren Bernards und Roses Miquelon sehr künstlerisch ausgeschmückt. Frische Blätterguirlanden zogen sich an den Wänden hin, einige Sträuche schienen wirklich in den Ecken gewachsen zu sein. Hunderte von Sträußen wohlriechender Blumen zierten die Fensteröffnungen. Gleichzeitig bildeten Flinten. Pistolen, Karabiner – alle Waffen einer Familie, unter der sich so viel Jäger befanden – da und dort ein glänzendes Ornament.[201]
Das junge Ehepaar nahm die Mitte der Tafel ein, welche hufeisenförmig aufgestellt war. Hufeisenförmig wie die Niagarafälle, welche hundertfünfzig Meilen im Südwesten ihre Katarakten tosend in den Abgrund stürzen. Und wahre Katarakten waren es auch, die hier in dem Abgrund franco-canadischer Magen verschwinden sollten.
Zu den Seiten der Neuvermählten hatten Herr und Fräulein de Vaudreuil, nebst Johann und seinen Gefährten vom »Champlain« Platz genommen. Ihnen gegenüber, zwischen Thomas und Catherine Harcher, thronte Meister Nick mit den ersten Kriegern seines Stammes, welch' Letztere ohne Zweifel beobachten wollten, wie ihr neuer Häuptling sich halten würde, und in dieser Beziehung gelobte sich Nicolas Sagamore, einen seines Stammbaumes würdigen Appetit zu zeigen. Es versteht sich von selbst, daß heute, entgegen der sonst herrschenden Gewohnheit und nur für diese außergewöhnliche Gelegenheit, auch die Kinder einen Platz an der Tafel, zwischen ihren Eltern und deren Freunden erhalten hatten. Um alle Tischgäste schwärmte endlich eine speciell für diese Dienstleistung gemiethete Schwadron von Negern.
Um fünf Uhr verschritt man zu dem ersten Sturm. Um sechs Uhr trat ein Waffenstillstand ein, nicht um die Todten aufzulesen, sondern um den Lebenden Zeit zu geben, einmal wieder Athem zu schöpfen. Dann begannen die Toaste auf die jungen Eheleute, die »Speechs« zu Ehren der Familie Harcher.
Nachher folgten die lustigen Hochzeitsgesänge, denn nach althergebrachter Gewohnheit pflegen bei jeder Gesellschaft, beim Mittag- wie beim Abendessen, Damen und Herren abwechselnd vorzüglich alte französische Lieder zu singen.
Endlich trug Lionel ein recht nettes Gedicht vor, welches er speciell für diese Gelegenheit gemacht hatte.
»Bravo, Lionel, bravo!« rief Meister Nick, der den Mißmuth über seine spätere Souveränität im Glase ertränkt hatte.
Im Grunde war der gute Mann ziemlich stolz auf die Erfolge seines jungen Poeten, und er schlug sogar vor, einmal auf die Gesundheit des »liebenswürdigen Laureaten der Freundes-Lyra« zu trinken.
Auf diesen Vorschlag hin erklangen die nach Lionel zu erhobenen Gläser, der glücklich und verlegen zu gleicher Zeit erschien, auch glaubte er nicht besser antworten zu können, als mit dem unmittelbar darauf ausgebrachten Toast:
»Auf das Wohlsein Nicolas Sagamore's, des letzten Zweiges jenes edlen Stammes, an den der Große Geist das Geschick des Huronenvolkes knüpfen wollte!«[202]
Donnerndes Bravo. Die Mahogannis hatten sich an der Tafel erhoben und schwangen ihre Tomahawks so wüthend, als wären sie bereit, über die Irokesen, die Mungos oder einen anderen feindlichen Stamm des Fernen Westens herzufallen. Meister Nick mit seinem gutmüthigen Gesicht machte inmitten seiner kriegerischen Stammverwandten allerdings einen sehr friedfertigen Eindruck. Wahrlich, dieser naseweise Lionel hätte auch besser den Mund gehalten.
Als die Aufregung sich gelegt, griff man den nächstfolgenden Gang mit erneuten Kräften an.
Inmitten dieser geräuschvollen Ehrenbezeugung konnten Johann, Clary de Vaudreuil und deren Vater sich mit gedämpfter Stimme bequem unterhalten. Am Abend dieses Tages sollten sie sich ja trennen. Wenn auch Herr und Fräulein de Vaudreuil erst am nächsten Morgen sich von ihren freundlichen Wirthen zu verabschieden gedachten, so war doch Johann entschlossen, schon in der Nacht aufzubrechen, um außerhalb der Farm von Chipogan ein sicheres Obdach zu suchen.
»Und doch, bemerkte Herr de Vaudreuil, wie sollte die Polizei auf den Gedanken kommen, Johann ohne Namen unter den Mitgliedern der Familie Harcher zu vermuthen?
– Wer weiß, ob deren Spione mir nicht auf den Fersen sind, antwortete Johann, als hätte er eine gewisse Vorahnung. Und wenn es sich so verhielte, wenn der Farmer und seine Söhne hörten, daß ich der bin...
– So würden dieselben Sie vertheidigen, fiel Clary lebhaft ein, sie würden sich für Sie tödten lassen!
– Ich weiß es, sagte Johann, und damit ließe ich als Dank für gewährte Gastfreundschaft hier Elend und Ruinen zurück! Thomas Harcher und seine Kinder müßten fliehen, weil sie mich vertheidigt hätten... Und wie weit würden die Repressalien der Behörde nicht gehen!... Nein, nein, ich darf nicht säumen, die Farm zu verlassen!
– Warum wollen Sie nicht im Geheimen nach der Villa Montcalm zurückkehren? fragte da Herr de Vaudreuil. Ist es nicht geradezu meine Pflicht, die Gefahren, welche Sie Thomas Harcher vielleicht mit Recht ersparen wollen, auf mich zu nehmen? – Und diese Pflicht bin ich bereit zu erfüllen. In meiner Wohnung wird das Geheimniß Ihrer Anwesenheit gut bewahrt bleiben.
– Denselben Vorschlag, Herr de Vaudreuil, hat mir Ihr Fräulein Tochter schon in ihrem Namen gemacht, doch ich mußte denselben ablehnen.[203]
– Und doch, fuhr Herr de Vaudreuil, der sich nicht gleich abweisen ließ, fort, es würde sehr nützlich bezüglich der letzten Maßregeln sein, die Sie noch zu treffen haben. Sie könnten sich jeden Tag mit den Mitgliedern des Comités in Verbindung setzen. Zur Stunde der Erhebung werden Farran, Clerc Vincent Hodge und ich bei der Hand sein, Ihnen zu folgen. Ist es nicht wahrscheinlich, daß die erste Bewegung in Montreal ausbrechen wird?
– Das ist in der That wahrscheinlich, erklärte Johann, oder mindestens in den benachbarten Grafschaften, je nach den Stellungen, welche von den königlichen Truppen besetzt gehalten werden.
– Nun also, meinte Clary, warum wollen Sie denn da das Angebot meines Vaters nicht annehmen? Oder haben Sie die Absicht, immer noch durch die Kirchspiele des Districts zu wandern? Ist Ihr Zug zur Erregung der Gemüther noch nicht vollendet?
– Er ist vollendet, erklärte Johann; ich brauche nur noch das Zeichen zu geben...
– Und wann gedenken Sie das zu thun? fragte Herr de Vaudreuil.
– Ich erwarte ein Ereigniß, welches den Ingrimm der Patrioten gegen die angel-sächsischen Unterdrücker zum Ueberlaufen bringen muß, erwiderte Johann, und dieses Ereigniß wird in allernächster Zeit eintreten. In einigen Tagen werden die zur Opposition gehörenden Abgeordneten dem General-Gouverneur das Recht verkümmern, das er bezüglich der Staatseinkünfte, ohne Vollmacht der Kammer, zu haben behauptete... Außerdem weiß ich aus verläßlichen Quellen, daß das englische Parlament die Absicht hat, ein Gesetz anzunehmen, welches Lord Gosford ermächtigen soll, die Constitution von 1791 aufzuheben. Dann würden die französischen Canadier gar keine Sicherheit bezüglich der Repräsentativ-Verfassung, welche der Colonie zukommt und die ihr doch sonst schon nur so geringe Freiheiten läßt, mehr haben. Unsere Freunde und die liberalen Abgeordneten mit ihnen werden versuchen, sich dieser Ueberhebung der Staatsgewalt zu widersetzen. Wahrscheinlich wird Lord Gosford, um den Ansprüchen der Reformisten einen Damm entgegenzusetzen, zu einer Auflösung der Kammer oder mindestens zu einer Vertagung derselben schreiten. An eben diesem Tage wird das Land sich erheben, und wir werden dasselbe nur noch zu führen haben.
– Sie haben Recht, antwortete Herr de Vaudreuil, es ist nicht zweifelhaft, daß eine derartige Herausforderung seitens der Loyalisten die allgemeine Revolution heraufbeschwören muß. Wird das englische Parlament aber wagen,[204] so weit zu gehen? Doch wenn es zu diesem Ansturme gegen die Rechte der französischen Canadier wirklich kommt, sind Sie überzeugt, daß das bald geschehen wird?
– In einigen Tagen, versicherte Johann. Sebastian Grammont hat mich darüber unterrichtet.
– Und wie werden Sie sich bis dahin allen Nachforschungen entziehen? fragte Clary.
– Ich führe die Beamten auf eine falsche Fährte.
– Haben Sie denn einen Zufluchtsort?
– Ja, ich habe einen.
– Werden Sie da ganz in Sicherheit sein?
– Mehr als irgendwo anders.
– Fern von hier?
– In St. Charles, in der Grafschaft Verchères.
– Zugegeben, bemerkte Herr de Vaudreuil, Niemand kann besser als Sie selbst darüber urtheilen, was die Umstände erheischen. Glauben Sie den Ort, wo Sie sich zu verbergen gedenken, unbedingt geheim halten zu müssen, so werden wir uns bescheiden. Doch vergessen Sie nicht, daß die Villa Montcalm Tag und Nacht für Sie geöffnet ist.
– Ich weiß es, Herr de Vaudreuil, antwortete Johann, und ich danke Ihnen dafür.«
Selbstverständlich hatte bei den unaufhörlichen lauten Ausrufen der Tischgenossen, bei dem immer mehr zunehmenden Tumult im Saale, von dieser mit gedämpfter Stimme geführten Unterhaltung kein Anderer etwas hören können. Zuweilen war dieselbe nur durch einen geräuschvoll ausgebrachten Toast, durch eine lustige Erwiderung oder durch eine angepaßte Anrede an das junge Ehepaar unterbrochen worden. Jetzt schien sie nach den letzten zwischen Herrn de Vaudreuil und Johann gewechselten Worten ein Ende nehmen zu wollen, als eine Frage Clarys eine Antwort seitens des jungen Mannes veranlaßte, die ihre und ihres Vaters Verwunderung erregen mußte.
Es ist nicht leicht zu sagen, welcher Eingebung das junge Mädchen folgte, als sie diese Frage stellte. Vielleicht war es ein Verdacht, oder wenigstens das Bedauern darüber, daß Johann entschlossen schien, ihnen gegenüber noch immer eine gewisse Zurückhaltung zu bewahren. Das mußte wohl der Fall sein, und so sagte sie zu ihm:[205]
»Also gibt es doch noch ein Haus, welches Ihnen Obdach und mehr Gastfreundschaft bietet als das unsrige?
– Mehr Gastfreundschaft?... Nein, doch ebensoviel, antwortete Johann gerührt.
– Und welches?
– Das Haus meiner Mutter!«
Johann sprach diese Worte mit dem Ausdrucke so warmer kindlicher Liebe, daß Fräulein de Vaudreuil sich davon tief ergriffen fühlte. Das war zum ersten Male, daß Johann, dessen Vergangenheit so geheimnißvoll vor ihr lag, eine Andeutung auf seine Familie fallen ließ. Er stand also nicht so allein in der Welt, wie sie bisher hatte annehmen müssen; er hatte noch eine Mutter, welche verborgen in dem Flecken St. Charles lebte, und diese suchte Johann ohne Zweifel bisweilen auf. Das Mutterhaus stand ihm offen, wenn es ihn nach etwas Ruhe und Rast verlangte; und jetzt wollte er offenbar ebenda die Stunde abwarten, in der der Kampf entbrennen sollte.
Clary hatte nichts erwidert, ihre Gedanken entführten sie nach jenem entfernten Hause. O, welche Freude für sie wär' es gewesen, die Mutter des jungen Proscribirten zu kennen! Sie sah in dieser eine heldenhafte Frau, gleich ihrem Sohne, eine Patriotin, die sie geliebt hätte, ja, die sie schon liebte. Gewiß würde sie dieselbe eines Tages noch sehen. Ihr Leben schien ja für alle Zukunft mit dem Johanns ohne Namen verknüpft – denn mehr als sonst empfand sie in dem Augenblicke, wo sie sich vielleicht für immer trennen sollten, die Macht des Gefühles, das sie Beide unlöslich verband.
Inzwischen näherte sich das Festmahl seinem Ende, und die durch starke Getränke des Nachtisches erhitzten Gäste machten ihrer Heiterkeit in tausenderlei Gestalt Luft. Von den verschiedensten Seiten der Tafel trank und jubelte man den Neuvermählten zu. Es war ein höchst lustiges Lärmen, aus dem zuweilen lautere Rufe hörbar wurden, wie:
»Glück und Ehre den jungen Gatten!
– Hoch Bernard und Rose Miquelon!«
Ebenso brachte man die Gesundheit des Herrn und Fräulein de Vaudreuil, natürlich auch die Thomas und Catherine Harcher's aufrichtigen Herzens aus.
Meister Nick hatte der Tafel in größtem Maße Ehre angethan. Beobachtete er dabei nicht die kalte Würde eines Mahogannis, so lag eine solche eben nicht in seiner offenen und mittheilsamen Natur; doch es muß hierzu[206] bemerkt werden, daß auch die Vertreter seines Stammes selbst etwas von ihrem altangeerbten Ernste unter dem Einflusse der guten Mahlzeit und des vortrefflichen Weines abgelegt hatten.
Sie stießen ganz nach Art anderer Leute mit den Gläsern an, um die Familie Harcher, deren Gäste sie heute waren, zu begrüßen.
Während des Nachtisches lief Lionel, der gar nicht an seinem Platze zu halten war, an der ganzen Tafel umher, um jedem daran Sitzenden einige angenehme Worte zu sagen. Als er dabei zu Meister Nick gelangte, hatte er den Einfall, diesem mit volltönender Stimme zuzurufen:
»Wird Nicolas Sagamore nicht auch einige Worte im Namen des Stammes der Sagamores sprechen?«
Bei der glücklichen Geistesverfassung, in der er sich gerade befand, nahm Meister Nick den Vorschlag seines jungen Schreibers nicht übel auf, obwohl dieser sich der emphatischen Sprechweise der Indianer bedient hatte.
»Du meinst, Lionel?... antwortete er.
– Ich meine, großer Häuptling, der Augenblick sei gekommen, um das Wort zur Beglückwünschung der jungen Eheleute zu ergreifen.
– Wenn Du denn glaubst, daß dazu die rechte Zeit ist, erwiderte Meister Nick, so will ich es versuchen.«
Der brave Mann erhob sich und bat mit einer von huronischer Würde getragenen Bewegung um einige Ruhe.
Sofort schwieg Alles still.
»Junges Ehepaar, begann er, ein alter Freund Eurer Familie kann nicht von hinnen gehen, ohne Euch seine Erkenntlichkeit auszudrücken für...«
Plötzlich unterbrach sich Meister Nick, der angefangene Satz blieb ihm auf den Lippen hängen. Seine erstaunten Blicke hatten sich nach der Thür des großen Saales gerichtet.
Auf der Schwelle derselben stand ein Mann, dessen Erscheinen Niemand bemerkt hatte.
Diesen Mann hatte Meister Nick auf den ersten Blick erkannt und er rief in einem Tone, in dem sich Ueberraschung und Unruhe gleichmäßig ausdrückten:
»Herr Rip!«
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