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[208] Der Chef des Hauses Rip & Cie. hatte diesmal nicht sein eigenes Personal bei sich. Draußen gingen etwa zehn Beamte Gilbert Argall's auf und ab, und außer diesen hielten noch vierzig Freiwillige den Haupteingang zum Hofe besetzt. Sehr wahrscheinlich war das Haus gänzlich eingeschlossen.[208]
Handelte es sich nur um eine einfache Haussuchung oder um eine Verhaftung, welche dem Haupte der Familie Harcher drohte?
Jedenfalls mußte ein außergewöhnlich wichtiger Grund vorliegen, daß der Polizeiminister es für nöthig gehalten hatte, eine so zahlreiche Mannschaft nach der Farm von Chipogan zu entsenden.
Bei Nennung des Namens Rip von Seiten des Notars fühlten sich Herr und Fräulein de Vaudreuil wie versteinert; sie wußten ja, daß Johann ohne Namen sich im Saale befand. Sie wußten auch, daß gerade Rip den Auftrag[209] erhalten hatte, die Nachforschungen nach ihm in die Hand zu nehmen. Und was konnten sie jetzt anderes denken, als daß Rip nach endlicher Entdeckung seiner Spur zu dessen Verhaftung vorschreiten wolle? Fiel Johann aber in die Hände Gilbert Argall's, so war er rettungslos verloren.
Seine größte Willenskraft zusammenraffend, hatte Johann nicht mit einer Wimper gezuckt; kaum flog eine leichte Blässe über das Gesicht des jungen Mannes, und keine Bewegung, nicht einmal eine unwillkürliche, hätte ihn verrathen können. Und doch erkannte er Rip recht gut wieder, mit dem er ja schon an dem Tage zusammengetroffen war, wo der Wagen ihn mit Meister Nick und Lionel von Montreal nach der Insel Jesus beförderte. Rip, den Geheimagenten, der schon seit zwei Monaten seine Fährte aufzuspüren sich bemühte! Rip, den Verführer, dem seine Familie die auf ihr lastende Schande verdankte, indem er seinen Vater Simon Morgaz zu jener Verrätherei verleitete!
Trotz alledem bewahrte er seine Kaltblütigkeit und ließ er nichts von dem tödtlichen Hasse merken, der in ihm kochte, während Herr und Fräulein de Vaudreuil an seiner Seite zitterten.
Wenn Johann indeß Rip kannte, so kannte Rip ihn doch nicht. Er wußte nicht, daß der Fahrgast, den er einen Augenblick auf der Landstraße von Montreal gesehen, der Patriot war, auf dessen Kopf die Regierung einen Preis gesetzt hatte. Er wußte nur, daß Johann ohne Namen sich in der Farm von Chipogan befinden mußte, und zwar hatte er seine Spur folgendermaßen entdeckt:
Wenige Tage vorher war der junge Proscribirte fünf oder sechs Meilen von St. Charles gesehen worden, nachdem er das geschlossene Haus in St. Charles verlassen, und gleichzeitig lief bei der Behörde eine Meldung ein, welche ihn als einen verdächtigen Fremden, der eben der Grafschaft Verchères den Rücken gewendet habe, bezeichnete. Da er bemerkte, daß man auf ihn aufmerksam geworden war, hatte er mehr ins Innere der Grafschaft flüchten müssen, wäre auch dabei mehrmals der Polizei fast in die Hände gelaufen, und nur mit Mühe vermochte er sich bis zur Farm Thomas Harcher's durchzuschlagen.
Die Agenten des Hauses Rip hatten jedoch seine Fährte nicht mehr, »wie er glaubte«, verloren, vielmehr die fast gewisse Ueberzeugung gewonnen, daß die Farm von Chipogan ihm Unterkunft gewähren müsse. Rip erhielt hiervon sofort Nachricht. Da dieser nicht allein wußte, daß diese Farm Eigenthum des Herrn de Vaudreuil war, sondern auch, daß dieser selbst sich zur Zeit dort[210] befand, so zweifelte er gar nicht mehr daran, daß der Fremde, der eben daselbst verweilte, Johann ohne Namen sein müsse. Nachdem er einige seiner Leute beauftragt, sich unter die zahlreichen Eingeladenen Thomas Harcher's zu mischen, erstattete er Bericht an Gilbert Argall, der ihm eine Anzahl Polizisten und eine Abtheilung Freiwilliger von Montreal zur Verfügung stellte.
So war es gekommen, daß Rip letzt auf der Schwelle des Saales mit der Ueberzeugung erschien, daß Johann ohne Namen sich unter den Gästen des Farmers von Chipogan befinden müsse.
Es war fast um fünf Uhr Nachmittags. Obwohl man die Lampen noch nicht angezündet hatte, war es im Innern doch ziemlich hell. Mit einem Blick hatte Rip schnell die ganze Gesellschaft überflogen, ohne daß Johann seine Aufmerksamkeit mehr als die anderen im Saale anwesenden Tischgenossen erregt hätte.
Thomas Harcher, der seinen Hof von einer Anzahl Männer besetzt sah, hatte sich inzwischen erhoben und wandte sich an Rip:
»Wer sind Sie? fragte er.
– Ein Agent, beauftragt mit einer Mission seitens des Polizeiministers, antwortete Rip.
– Was führt Sie hierher?
– Das werden Sie sofort erfahren. – Sind Sie nicht Thomas Harcher von Chipogan, Pächter des Herrn de Vaudreuil?
– Ja, und ich frage Sie, mit welchem Rechte Sie in mein Haus eingedrungen sind?
– Gemäß dem mir gewordenen Auftrage will ich eine Verhaftung vornehmen.
– Eine Verhaftung! rief der Farmer, eine Verhaftung in meinen vier Wänden!... Und wen beabsichtigen Sie zu verhaften?
– Einen Mann, auf dessen Kopf laut Bekanntmachung des General-Gouverneurs ein Preis ausgesetzt ist und der sich hier befindet.
– Und der nennt sich?....
– Er nennt sich, antwortete Rip mit lauter Stimme, Johann ohne Namen, oder richtiger, er läßt sich so nennen!«
Auf diese Erklärung folgte ein lang dauerndes Gemurmel. Wie? Johann ohne Namen war es, den Rip verhaften wollte, und er behauptete, daß dieser in der Farm von Chipogan weile?[211]
Das Aussehen des Farmers, seiner Frau, seiner Kinder und aller seiner Gäste verrieth natürlicher Weise eine so tiefe Verblüffung, daß Rip fast glauben konnte, seine Leute hätten sich geirrt und ihn wieder auf eine falsche Fährte geführt. Nichtsdestoweniger wiederholte er sein Verlangen, und diesmal womöglich in noch mehr befehlerischem Tone.
»Thomas Harcher, fuhr er fort, der Mann, den ich suche, ist hier, und ich fordere Sie auf, ihn auszuliefern!«
Bei diesen Worten sah Thomas Harcher seine Gattin an; diese aber packte ihn am Arm und rief:
»So antworte doch auf das, was man Dich fragt!
– Ja, Thomas, geben Sie Antwort! setzte Meister Nick hinzu. Es scheint mir, dieselbe kann Ihnen nicht schwer werden.
– In der That, nicht im Geringsten!« sagte der Farmer.
Dann wendete er sich an Rip:
»Johann ohne Namen, den Sie suchen, erklärte er, ist nicht in der Farm von Chipogan.
– Und ich wiederhole Ihnen, daß er hier ist, Thomas Harcher, versetzte Rip kühl.
– Nein, sag' ich Ihnen, er ist nicht hier... ist niemals hier erschienen!... Ich kenne ihn nicht einmal. Doch ich erkläre auch, daß wenn er mich um Obdach angesprochen hätte, so würde ich's ihm gewährt haben; und wenn er sich bei mir aufhielte, würde ich ihn nicht ausliefern!
Ueber die deutlichen Zeichen der Zustimmung, mit denen diese Erklärungen des Farmers aufgenommen wurden, konnte Rip sich nicht täuschen. Thomas Harcher hatte sich offenbar zum Dolmetsch der Gefühle der gesammten Gesellschaft gemacht. Angenommen, Johann ohne Namen hätte doch auf der Farm Zuflucht gesucht, so durfte er hier von Keinem erwarten, daß er feige genug sein würde, ihn Jenen zu verrathen.
Johann hörte dem Allen noch immer mit Gelassenheit zu. Herr de Vaudreuil und Clary wagten gar nicht, ihn anzublicken, aus Furcht, Rip's Aufmerksamkeit auf ihn zu lenken.
»Thomas Harcher, nahm dieser das Wort, es wird Ihnen wahrscheinlich nicht entgangen sein, daß eine am 3. September 1837 erlassene Bekanntmachung einen Preis von sechstausend Piastern Jedem zusichert, der Johann ohne Namen verhaftet oder seinen Zufluchtsort angibt.[212]
– Natürlich weiß ich davon, bestätigte der Farmer, und wer in ganz Canada wüßte es nicht? Bisher hat sich aber noch kein Canadier gefunden, der erbärmlich genug wäre, einen so elenden Verrath zu begehen... es wird sich auch nie einer finden!
– Gut gesagt, Thomas!« rief Catherine, der ihre Kinder und Freunde sich anschlossen.
Rip ließ sich nicht in Verlegenheit bringen.
»Thomas Harcher, fuhr er fort, wenn Sie die Proclamation vom 3. September 1837 auch kennen, so ist Ihnen doch vielleicht die neue Verordnung des General-Gouverneurs vom 6. October dieses Jahres noch unbekannt?
– Richtig, die kenne ich nicht, antwortete der Farmer, doch wenn sie von demselben Schlage wie die erste ist, wenn sie nur zu erbärmlicher Angeberei verführen soll, so können Sie sich der Mühe entheben, sie uns mitzutheilen.
– Hören müssen Sie dieselbe doch!« entgegnete Rip.
Damit entfaltete er ein von Gilbert Argall unterzeichnetes Blatt und las wie folgt:
»Jedem Bewohner der Städte und des platten Landes wird hiermit aufgegeben, dem proscribirten Johann ohne Namen niemals Hilfe und Schutz zu gewähren. Jeder, der ihm Obdach gibt, verfällt der Strafe des Galgens.
Für den General-Gouverneur
Der Polizeiminister
Gilbert Argall.«
Die englische Regierung hatte es also gewagt, zu derartigen Schreckensmitteln zu greifen! Nachdem sie einen Preis auf den Kopf Johanns ohne Namen ausgesetzt, bedrohte sie jetzt noch mit dem Tode Jeden, der ihm Obdach gegeben hatte oder noch geben würde!
Dieser unerhörte Gewaltstreich rief die lebhaftesten Proteste aller Anwesenden hervor. Thomas Harcher, seine Söhne und seine Gäste sprangen schon von ihren Plätzen empor, um sich auf Rip zu stürzen und diesen sammt seinem Gefolge von Beamten und Freiwilligen aus der Farm zu verjagen, als Nick sie mit einem Winke noch zurückhielt.
Das Gesicht des Notars war sehr ernst geworden. Gleichwie alle in diesem Saale versammelten Patrioten, empfand auch er den so natürlichen Abscheu, welche die eben von Rip verlesene Verordnung des Lord Gosford wachrufen mußte.[213]
»Herr Rip, wendete er sich an diesen, der, den Sie suchen, befindet sich nicht in der Farm von Chipogan. Thomas Harcher hat Ihnen das schon versichert und ich wiederhole es Ihnen hiermit ausdrücklich. Sie haben also hier nichts zu suchen und hätten besser gethan, jenes bedauerliche Schriftstück in der Tasche zu behalten. Glauben Sie mir, Herr Rip, Sie würden das beste Theil wählen, wenn Sie uns Ihre Anwesenheit nicht länger aufdrängten.
– Sehr gut, Nicolas Sagamore! rief Lionel.
– Ja!... Ziehen Sie sich zurück!... Sogleich! erscholl es von dem Farmer, dessen Stimme schon vor Zorn bebte. Johann ohne Namen ist nicht hier! Doch wenn er käme und von mir Obdach verlangte, so würde ich ihn, trotz der Drohungen des Gouverneurs, bei mir aufnehmen... Jetzt hinaus aus meinem Hause... Hinaus!
– Ja!... Ja!... Hinaus! wiederholte Lionel, dessen Aufgeregtheit Meister Nick vergeblich zu dämpfen versucht hatte.
– Nehmen Sie sich in Acht, Thomas Harcher! erwiderte Rip. Sie werden den Kürzeren ziehen gegen das Gesetz und gegen die aufgebotene Macht, welche zu dessen Unterstützung bestimmt ist. An Polizisten und Kronfreiwilligen hab' ich fünfzig Mann bei mir!... Ihr Haus ist eingeschlossen...
– Hinaus!... Hinaus!...«
Wie aus einem Munde kamen diese Zurufe gleichzeitig mit directen Bedrohungen der Person Rip's.
»Ich werde nicht eher von der Stelle weichen, antwortete dieser, als bis die Identität aller hier anwesenden Personen nachgewiesen ist!«
Auf ein Zeichen von seiner Seite näherten sich die noch im Hofe stehenden Beamten der Thür, um sofort in den Saal eindringen zu können. Durch dessen Fenster blickend, überzeugten sich Herr und Fräulein de Vaudreuil auch, daß die Kronfreiwilligen rings um das Haus verstreut waren.
In Voraussicht eines drohenden Zusammenstoßes hatten sich die Frauen und die Kinder, mit Ausnahme des Fräulein de Vaudreuil, in die angrenzenden Zimmer zurückgezogen. Pierre Harcher, seine Brüder und seine Freunde holten schon die an den Wänden hängenden Waffen herunter. Und doch, wie konnten sie bei ihrer so weit unterlegenen Zahl Rip ernstlich hindern, seines Amtes zu walten?
Herr de Vaudreuil, der von Fenster zu Fenster ging, suchte noch zu erkennen, ob Johann die Möglichkeit geboten sei, auf der Rückseite der Farm und durch[214] den Garten zu entkommen. Doch nach dieser Seite ebenso wie nach der anderen schien eine Flucht ganz unmöglich. Inmitten des herrschenden Aufruhrs stand Johann noch regungslos neben Clary, welche nicht hatte von der Stelle weichen wollen.
Meister Nick versuchte noch eine letzte Anstrengung, Frieden zu stiften, als die Polizisten schon in den Saal eindrangen.
»Herr Rip! Herr Rip! rief er, Sie werden ein Blutvergießen, und ich sage Ihnen, ein ganz unnützes anrichten!... Ich wiederhole Ihnen, ich gebe mein Wort darauf... Johann ohne Namen, den Sie zu verhaften beauftragt sind, befindet sich nicht auf der Farm.
– Und wenn er hier wäre, fiel Thomas Harcher ein, so wiederhole ich Ihnen, daß wir ihn bis aufs Aeußerste vertheidigen würden.
– Gut!... Sehr gut!... rief Catherine, entzückt von dem mannhaften Auftreten ihres Gatten.
– Mischen Sie sich nicht in diese Angelegenheit, Herr Nick, antwortete Rip. Sie geht Sie nichts an und Sie dürften es später bereuen... Ich werde meine Pflicht thun, was auch daraus werden möge!... Jetzt Platz!... Platz!...«
Ein Dutzend Beamte stürzten in den Saal, während Thomas Harcher und seine Söhne sich ihnen entgegenwarfen, um sie zurückzudrängen und die Thür zu verschließen.
Und hin und her laufend wiederholte Meister Nick immerfort, ohne sich vernehmbar machen zu können:
»Johann ohne Namen ist nicht hier, Herr Rip; ich versichere Ihnen, daß er nicht da ist!...
– Er ist doch hier!« rief da eine laute Stimme, welche den Tumult übertönte.
Alle hielten ein.
Regungslos, mit gekreuzten Armen und Rip scharf ansehend, wiederholte der junge Mann gelassen:
»Johann ohne Namen ist hier – und ich, ich bin es selbst!«
Herr de Vaudreuil hatte den Arm des jungen Patrioten erfaßt, während Thomas Harcher und die Anderen riefen
»Er!... Er!... Johann ohne Namen!«
Johann bedeutete durch eine Handbewegung, daß er sprechen wollte. Sofort entstand allgemeine Stille.
»Ich bin der, den Sie suchen, sagte er, sich an Rip wendend. Ich bin Johann ohne Namen.«
Dann kehrte er sich nach dem Farmer und dessen Söhnen um.
»Verzeihung, Thomas Harcher, Verzeihung, meine wackeren Gefährten, fuhr er fort, daß ich Euch bisher[215] verhehlte, wer ich sei, und meinen Herzensdank für die Gastfreundschaft, die ich während fünf voller Jahre in der Farm zu Chipogan genossen. Auf diese Freundschaft, welche ich so lange annahm, muß ich jetzt verzichten, weil es jedem, der mir Obdach gewährt, das Leben kosten kann!...
Ja, empfangt den innigen Dank desjenigen, der hier weiter nichts als Euer angenommener Sohn und Bruder war, der für seine Heimat aber Johann ohne Namen ist!«
Diese Antwort erweckte eine unbeschreibliche Begeisterung.
»Hoch Johann ohne Namen!... Hoch lebe Johann ohne Namen!« erscholl es von allen Seiten.
Als diese Worte endlich verstummten, nahm Thomas Harcher das Wort:
»Wohlan denn, da ich es ausgesprochen habe, daß wir Johann ohne Namen vertheidigen würden, so wollen wir auch zu seinem Schutze eintreten, meine Söhne!... Vertheidigen wir uns bis zum Tode!«
Vergeblich bemühte sich Johann dazwischenzutreten, um einen so ungleichen Kampf zu verhüten. Niemand hörte jetzt auf ihn. Pierre und die älteren Söhne des Hauses stürzten sich auf die Beamten, welche den Eingang verstopften, und trieben sie mit Hilfe ihrer Freunde zurück. Sofort wurde die Thür verschlossen und mit allerlei Möbelstücken verbarrikadirt. Um jetzt in den Saal, ja auch nur in das Haus zu gelangen, gab es nur den Weg durch die Fenster, welche mindestens zehn Fuß hoch über dem Erdboden lagen.
Nun galt es also einen Sturm – und zwar in der Dunkelheit, denn inzwischen war es ziemlich Nacht geworden. Rip, der nicht der Mann dazu war, feig zurückzuweichen, und der übrigens den Vortheil der Zahl bei sich hatte, traf seine Maßnahmen zur Vollführung des ihm ertheilten Auftrags, indem er die Freiwilligen gegen das Haus vorgehen ließ.
Pierre Harcher, seine Brüder und Freunde nahmen an den Fenstern Stellung, um Feuer zu geben.
»Wir vertheidigen Dich, auch gegen Deinen Willen, wenn es sein muß!« sagten sie zu Johann, der ihnen nicht mehr Einhalt zu thun vermochte.
Im letzten Augenblicke erst hatte der Farmer Clary de Vaudreuil und Catherine dazu gebracht, sich zu den Frauen und Kindern in einem der Seitenzimmer zu begeben, wo sie vor den Kugeln sicheren Schutz fanden. Im Saale verblieben nur noch die zum Kampfe bereiten Männer – vorläufig etwa dreißig.
Auf die Mahogannis durfte man als Vertheidiger der Farm nämlich nicht rechnen. Unbetheiligt an diesem Vorfalle, waren die Indianer aus ihrer gewohnten Zurückhaltung in keiner Weise herausgetreten. Die Sache ging sie nichts an – ebenso wenig wie Meister Nick und seinen Schreiber, welche weder für noch[219] gegen die Obrigkeit Partei zu ergreifen hatten. Der Notar gedachte auch bei dem entstehenden Handgemenge die strengste Neutralität zu bewahren. Trotz aller Vorsicht, keinen Schuß wegzubekommen, da er auch keinen solchen abzugeben willens war, hörte er doch nicht auf, Lionel, der ganz Feuer und Flamme war, zu ermahnen und zu warnen. Bah! der junge Schreiber achtete gar nicht auf ihn, so brannte er darauf, in Johann ohne Namen nicht nur den volksthümlichen Helden, sondern auch den wohlwollenden Zuhörer, der seine dichterischen Versuche so freundlich beurtheilt hatte, nach besten Kräften zu vertheidigen.
»Zum letzten Male verbiete ich Dir, Dich in die Sache zu mischen, wiederholte Meister Nick.
– Und zum letzten Male, entgegnete Lionel, gebe ich meine Verwunderung zu erkennen, daß ein Nachkomme der Sagamores sich weigert, mir auf dem Kriegspfade zu folgen!
– Ich folge gar keinem Pfade, als dem des Friedens, verdammter Schlingel, und Du wirst mir das Vergnügen machen, diesen Saal zu verlassen, wo Dir nur die Aussicht winkt, eine Kugel in den Kopf zu bekommen.
– Niemals!... Niemals!« rief der kriegslustige Dichter.
Und auf einen Mahoganni zueilend, ergriff er die Axt, welche in dessen Gürtel hing.
Sobald er sah, daß die Anderen entschlossen waren, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben, machte Johann sich's zur Aufgabe, den Widerstand zu organisiren. Während des Scharmützels gelang es ihm vielleicht zu entkommen, denn später würden, was auch geschehen mochte, der Farmer und seine Söhne, die sich schon in offenem Widerstand gegen die Staatsgewalt befanden, dadurch auch nicht mehr compromittirt sein, als sie es schon waren. Zunächst kam es also darauf an, Rip und seine Begleiter zurückzudrängen, dann würde sich zeigen, was weiter zu beginnen sei. Wenn die Belagerer versuchten, die Thüren des Hauses zu sprengen, so kostete das immer einige Zeit. Und ehe jene von Laprairie oder Montreal Verstärkung erhielten, konnten Polizisten und Freiwillige schon aus dem Hofe vertrieben sein.
Zu diesem Zwecke entschloß sich Johann, einen Ausfall zu wagen, der die Umgebung der Farm von den Feinden befreien sollte.
Hiernach traf er seine Maßregeln. Zunächst krachten gegen fünfzig Flintenschüsse zu den Fenstern hinaus, was Rip und seine Leute zwang, sich mehr nach der Umzäunung zurückzuziehen. Dann wurde die Thür schnell aufgerissen[220] und Johann stürzte sich, gefolgt von Herrn de Vaudreuil, Thomas Harcher, Pierre, dessen Brüdern und ihren Freunden, in den Hof hinaus.
Hier lagen schon einzelne Freiwillige auf dem Boden. Bald gab es natürlich auch Verwundete unter den Vertheidigern, welche sich im Halbdunkel auf die Belagerer geworfen hatten. Mann gegen Mann entbrannte der Kampf, an dem sich Rip übrigens ehrenvoll betheiligte. Immerhin singen seine Leute schon an, Terrain zu verlieren. Gelang es, sie aus dem Hofe zu verjagen und das große Thor zu schließen, so konnten sie die hohe Plankenumschließung der Farm nur weit schwieriger wieder stürmen.
Dahin richteten sich also die Bemühungen Johanns, den seine Gefährten todesmuthig unterstützten. Vielleicht wurde es ihm, wenn die nächste Umgebung von Chipogan gesäubert war, möglich, ins Land und, wenn es sein mußte, bis über die Grenze Canadas hinaus zu entfliehen, um die Stunde abzuwarten, in der er sich an die Spitze der Aufständischen zu stellen beabsichtigte.
Es versteht sich von selbst, daß auch Lionel unerschrocken in den Reihen der Kämpfer stand; Meister Nick aber hatte den Saal nicht verlassen wollen. Fest entschlossen, die stricteste Neutralität nicht aufzugeben, begleiteten seine besten Wünsche Johann ohne Namen und alle Beschützer desselben, unter denen er ja so viele persönliche Freunde zählte.
Leider konnten sich die Bewohner und Gäste der Farm trotz ihres Muthes gegen die Ueberzahl der Beamten und Kronfreiwilligen, welche schon wieder Vortheil erlangten, nicht behaupten. Nach und nach mußten sie nach dem Hause zurückweichen, um sich endlich in dieses selbst zu flüchten. Der Saal mußte jetzt bald gestürmt werden. Damit war jeder Ausweg verlegt, und Johann ohne Namen blieb nichts übrig, als sich zu ergeben.
In der That verminderten sich die Kräfte der Belagerten zusehends. Schon waren zwei der älteren Söhne Thomas Harchers, Michel und Jacques, sowie drei oder vier ihrer Gefährten nach einem Nebenzimmer geschafft worden, wo Clary de Vaudreuil, Catherine und die anderen Frauen sich ihrer Pflege annahmen.
Die Sache schien verloren, wenn Johann und seine Genossen nicht unerwarteter Weise Hilfe bekamen, und zwar um so mehr, als ihnen schon die Munition zu mangeln anfing.
Da entstand eine neue Bewegung.
In Folge einer zum Glück nicht gefährlichen Verwundung, die seine Schulter getroffen, mit Blut bedeckt, war Lionel in den Saal gestürmt.[221]
Meister Nick bemerkte ihn.
»Lionel! Lionel! rief er. Siehst Du, Du hast auf mich nicht hören wollen!... Du unglückseliges Kind!«
Und seinen jungen Schreiber am Arme packend, wollte er ihn in das Zimmer der Verwundeten schleppen.
Lionel stemmte sich dagegen.
»Es ist nichts!... Hat nichts zu bedeuten!... sagte er. Doch Sie, Nicolas Sagamore, können Sie Ihre Freunde unterliegen lassen, wo Ihre Krieger nur des Winkes von Ihnen harren, jenen zu Hilfe zu springen?...
– Nein!... Nein! rief Meister Nick. Dazu habe ich kein Recht!... Mich gegen die von Gott verordnete Obrigkeit aufzulehnen!«
Und gleichzeitig warf er sich, um einen letzten Sühneversuch zu unternehmen, unter die Kämpfenden, die er mit seinen Beschwörungen aufzuhalten hoffte.
Es sollte ihm nicht gelingen. Er wurde sofort von den Polizisten umringt, die ihn mit Püffen und Kolbenstößen nicht verschonten und ihn dann mitten in den Hof zerrten.
Das war zu viel für die Mahogannikrieger, deren Kampfeslust ein solches Attentat nicht ertragen konnte. Ihr großer Häuptling verhaftet, mißhandelt!... Ein Sagamore in den Händen der Feinde, der Bleichgesichter!
Mehr bedurfte es nicht, und das Kriegsgeheul des Stammes erscholl in dem Durcheinander.
»Vorwärts!... Vorwärts, Huronen!« heulte Lionel, der ganz außer sich war.
Die Einmischung der Indianer verlieh der Sachlage schleunigst ein anderes Gesicht. Die Streitaxt in der Hand, stürzten sie sich auf die Angreifer. Diese, von dem schon fast eine Stunde anhaltenden Kampfe erschöpft, mußten nun ihrerseits wieder zurückweichen.
Johann ohne Namen, Thomas Harcher und ihre Freunde fühlten, daß eine letzte Anstrengung ihnen gestatten würde, Rip und seine Mannschaft aus der Umzäunung hinauszuwerfen. Sie ergriffen wieder die Offensive. Nachdem sie erst Meister Nick befreit, kamen sie den Anderen zu Hilfe. Nick selbst war nicht wenig erstaunt, daß er die Indianer jetzt selbst mit Worten, wenn auch nicht mit dem Arme, der noch unfähig war, den Tomahawk seiner Vorfahren zu schwingen, zum Kampfe aufmunterte.[222]
So kam ein Notar von Montreal, der friedfertigste der Menschen, dazu, eine Sache vertheidigt zu haben, die weder die Mahogannis noch ihren Häuptling etwas anging.
Polizisten und Freiwillige wurden nun bald gezwungen, den Hof gänzlich zu räumen, und da die Indianer sie auch draußen eine Meile weit verfolgten, waren die Umgebungen der Farm von Chipogan vom Feinde wieder vollständig befreit.
Immerhin ein schlimmes Ding, das sich auf der Verlustseite der nächsten Bilanz des Hauses Rip & Cie. bemerkbar machen mußte.
An diesem Tage war der Sieg also nicht dem Gesetze, sondern den Patrioten verblieben.
Ende des ersten Theiles.[223]
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