[84] Ein auf drei Seiten fast regelmäßiges Viereck, dessen Küste an der vierten sich abrundet, aufsteigt und nach Nordwesten zu diese Regelmäßigkeit unterbricht; an den Ecken die Howes-, Nord-Est-, Rocs- und die Rockyspitze, mehr auf einer Seite einen Pik, den Pitt-Mount, dessen Gipfel etwa in elfhundert Fuß Höhe liegt: das ist die geometrische Gestalt der Insel Norfolk, die in dieser Gegend des Großen Ozeans unter 29°2' südlicher Breite und 168° östlicher Länge von Greenwich zu suchen ist.
Die Insel hat nur einen Umfang von sechs Lieues (etwas über dreiundzwanzig Kilometer) und ist, wie alle ihresgleichen in diesem weiten Meeresteile, mit einem Korallenring umgeben, der sie ebenso wie eine Mauer eine Festung schützt. Die Wogen des Meeres werden niemals ihre aus gelblicher Kreide bestehende Unterlage abnagen, die schon eine leichte Brandung allmählich zerstören müßte, denn auch der schwerste Seegang bricht sich an den Korallenfelsen, ohne die Insel zu erreichen. Das Anlaufen Norfolks bereitet den Schiffen auch viele Schwierigkeiten, da sie sich dazu durch enge, gefährliche Wasserstraßen fast zwängen müssen, durch Zugänge, worin es an Strömungen und Wirbeln obendrein nicht fehlt. Einen eigentlichen Hafen hat Norfolk überhaupt nicht. An seiner Südseite und der Sydneybucht waren Gefangenanstalten errichtet, und durch ihre vereinsamte Lage, die Schwierigkeit, daran zu landen, und die Schwierigkeit, daraus wegzukommen, scheint die Insel wirklich von der Natur zu einem Gefängnis bestimmt zu sein.
Hier sei auch noch bemerkt, daß die erwähnten Korallenriffe sich im Süden noch sechs bis sieben Lieues von der Küste aus nach den kleinen Inseln Nepcan und Philips zu erstrecken, die noch zur Norfolkgruppe gerechnet werden.
Trotz seiner beschränkten Ausdehnung ist Norfolk ein reiches Stückchen Land unter dem britischen Kolonialbesitze. Als Cook die Insel 1774 entdeckte, erstaunte er nicht wenig über die wunderbare Vegetation, die sich hier bei dem milden und doch warmen Tropenklima entwickelt hatte. Der Anblick erinnerte an einen Blumenkorb aus den Gefilden Neuseelands, den man, mit den dortigen[84]
Am Nachmittage meldete ein Wachhabender eine Höhe, die im Nordosten von der Brigg sichtbar wurde. Es war das der Gipfel des Pitt-Mount, und gegen fünf Uhr lag das Schiff dem nordöstlichen Ausläufer der Insel Norfolk gegenüber.
Während der Fahrt hierher hatte Gibson diesen Teil des Großen Ozeans sorgfältig im Auge halten lassen. Auf dem Wege des »James-Cook« hatte sich aber keine Spur von Trümmern gezeigt, und das Schicksal der holländischen Goëlette »Wilhelmina« blieb also nach wie vor in Dunkel gehüllt.
Je tiefer die Sonne hinter den Höhen der Insel hinabsank, desto mehr legte sich der Wind. Das Meer nahm fast ein milchiges Aussehen an und kein Streifchen zeigte sich mehr auf seiner nur von einer langen Dünung bewegten Oberfläche.
Bei Anbruch des Tages befand sich die Brigg sicherlich noch in Sicht der Insel. Sie lag jetzt nur noch zwei Seemeilen von ihr entfernt und vermied vorsichtigerweise eine weitere Annäherung, da hier gefährliche Korallenbänke an manchen Stellen sehr weit hinausreichen. Der »James-Cook« lag übrigens fast ebenso still, als wenn er von seinen Ankern gehalten wäre. Keine Strömung trug ihn weiter, und in großen Falten hingen die Segel an den Raaen. Erhob sich wieder eine Brise, so brauchte man sie nur fallen zu lassen, um Fahrt zu machen.
Gibson und seine Passagiere konnten also bei völlig dunstfreiem Himmel einen außerordentlich schönen Abend genießen.
Nach dem Essen nahmen Hawkins, der Kapitän und der junge Gibson auf dem Hinterdeck Platz.
»Da sitzen wir nun in der schönsten Windstille, sagte Gibson, und ich sehe leider auch nirgends ein Zeichen, das auf zu erwartenden Wind deutete.
– Meiner Ansicht nach wird das ja nicht lange dauern, bemerkte Hawkins.
– Und warum? fragte der Kapitän.
– Weil wir jetzt nicht mitten in der warmen Jahreszeit sind, Gibson, und der Stille (oder Große) Ozean steht nicht in dem Rufe, den Namen zu rechtfertigen, den man ihm etwas eilfertig gegeben hat.
– Das ist schon richtig, lieber Freund. Immerhin werden die Schiffe auch zur jetzigen Jahreszeit meist mehrere Tage von einer solchen Windstille zurückgehalten, und dem »James-Cook« wird es nicht besser ergehen, verlaß dich darauf.[86]
– Zum Glück, erwiderte der Reeder, beherbergt die Insel Norfolk jetzt nicht, wie früher, eine Bevölkerung von Raubgesindel... sonst wäre es nicht gerade erwünscht, in deren Nachbarschaft zu liegen.
– Ja freilich, dann hieße es, scharf Wache halten.
– In meiner Kindheit, fuhr Hawkins fort, hab' ich von diesen Tollköpfen reden hören, die keine Strafe, keine noch so strenge Kerkerzucht zur Vernunft zu bringen vermochte, so daß die Regierung zu dem Entschlusse kam, sie nach der Insel Norfolk zu deportieren...
– Und da waren sie gut aufgehoben, fiel Nat Gibson ein, einerseits streng bewacht und andererseits verhindert, von einer Insel zu entfliehen, die von Schiffen kaum angelaufen werden konnte.
– Streng bewacht... ja, das waren sie, junger Freund, auch eine Flucht war sehr schwierig auszuführen. Solchen Verbrechern aber, die einmal vor nichts zurückschrecken, ist, wenn die Wiedererlangung ihrer Freiheit in Frage kommt, alles möglich, selbst das, was fast unmöglich erscheint.
– Kamen denn hier öfters Entweichungen vor, Herr Hawkins?
– Jawohl, Nat, sogar ganz unglaubliche! Entweder gelang es den Verurteilten einmal, sich eines dem Staate gehörigen Bootes zu bemächtigen, oder sie erbauten sich auch wohl selbst aus Rindenstücken ein gebrechliches Fahrzeug, wagten sich damit aufs Meer hinaus...
– Und gingen unter hundert Fällen dabei neunzigmal zu Grunde, sagte Gibson.
– Ohne Zweifel, bestätigte Hawkins die Bemerkung des Kapitäns. Wenn sie aber im Gewässer der Insel gelegentlich ein Schiff wie das unsrige trafen, dann stürmten sie an dessen Bord und vertrieben, wenn es anging, die Besatzung. Nachher segelten sie zwischen den Polynesischen Inseln, wo ihre Fährte schwer zu finden ist, als freche Seeräuber umher...
– Jetzt ist so etwas aber kaum mehr zu befürchten,« versicherte Gibson.
Alles, was Hawkins eben gesagt hatte und was auch der Wahrheit entsprach, fiel, wie man sieht, völlig mit dem Plane zusammen, den Flig Balt und Vin Mod ausgebrütet hatten. Obwohl diese nicht auf der Insel Norfolk gefangen waren, erfüllten sie doch dieselben verbrecherischen Instinkte, wie die Deportierten; sie ersehnten weiter nichts, als das zu tun, was diese an ihrer Stelle getan hätten: die ehrsame Brigg des Hauses Hawkins in Hobart-Town in ein Piratenschiff zu verwandeln und ihr Räuberhandwerk mitten auf dem[87] Großen Ozean zu betreiben, wo diesem erfahrungsgemäß so schwer beizukommen ist.
Hatte der »James-Cook« heute also von der Annäherung an die Insel Norfolk nichts mehr zu fürchten, da die Verbrecher von hier nach Port Arthur übergeführt worden waren, so drohte ihm doch keine geringere Gefahr durch die in Dunedin neu angeworbenen Leute, die entschlossen waren, die Absichten Vin Mods und des Bootsmannes zu unterstützen.
»Da also keine Gefahr mehr vorliegt, Vater, begann Nat Gibson, kann ich ja wohl unser Boot einmal benützen?
– Was hast du damit vor?
– Ich möchte da drüben am Fuße der Felsen angeln. Noch haben wir zwei Stunden Tageslicht vor uns. Das ist gerade die beste Zeit, und ich werde von der Brigg aus stets in Sicht bleiben.«
Der Erfüllung des Wunsches Nat Gibsons stand nichts entgegen. Zwei Matrosen und er mußten genug sein, die Angelschnüre am Rande des Korallenriffes auszulegen. Das Wasser hier war sehr fischreich, und sie kehrten gewiß nicht ohne eine recht ansehnliche Beute zurück.
Gibson sah sich so wie so genötigt, an dem jetzigen Platze der Brigg liegen zu bleiben, da die Strömung mehr nach Südosten zu verlief. Er ließ also den Anker mit fünfunddreißig Faden Kette auf den sandigen Grund hinuntersinken.
Als das Boot klar gemacht war, schickten Hobbes und Wickley sich an, den jungen Gibson zu begleiten, beide, wie der Leser weiß, höchst ehrbare Seeleute, denen der Kapitän volles Vertrauen schenken konnte.
»So fahre denn hinaus, Nat, sagte dieser zu seinem Sohne, doch bleib' nicht bis zur Dunkelheit aus...
– Und bring' uns eine hübsche Schüssel Backfische für das Frühstück morgen Vormittag mit, setzte Hawkins noch hinzu, und womöglich auch ein Bischen Wind, wenn sich an der Küste davon noch etwas findet.«
Das Boot stieß ab, und von kräftigen Ruderschlägen getrieben, hatte es bald die zwei Seemeilen zurückgelegt, die die Brigg von den ersten Korallenklippen trennten.
Hier wurden nun die Schnüre ausgelegt. Nat Gibson hatte nicht einmal nötig, einen Wurfanker aus bringen zu lassen, da hier keine Strömung, nicht einmal eine leichte Brandung zu bemerken war, das Boot blieb vielmehr nach dem Einziehen der Ruder ganz ruhig liegen.
Von der Insel aus reichten die Korallenbänke hier etwa eine halbe Meile weit hinaus, also weniger weit als im Süden in der Richtung nach den Philippsinseln, und obgleich die Küste nicht von der, jetzt durch den Pitt-Mount verdeckten Sonne erhellt war, konnte man an ihr doch alle Einzelheiten erkennen: schmale Strandstreifen zwischen den gelblichen Kalkfelsen, fast ganz abgeschlossene Buchten, scharfkantige Felsvorsprünge und zahlreiche Rios, die nach dem Meere herunterflossen. In den dichten Waldungen und auf den grünenden Ebenen gibt es deren übrigens eine sehr große Menge. Dagegen war keine Hütte unter den Bäumen, kein Rauch, der über das Laubdach emporstieg, und keine Pirogue zu sehen, die in einem Ufereinschnitte angelegt oder auf den Sand gezogen gewesen wäre.
An Leben fehlte es deshalb jedoch zwischen dem Kamm des Risses und dem Lande keineswegs. Das rührte aber nur von zahlreichen Wasservögeln her, die die Luft mit ihrem abscheulichen Geschrei erfüllten, von Raben mit weißlichem Flaum, Spornkuckucken mit grünem Gefieder, von Eisvögeln, deren Leib schön aquamarinfarbig aussieht, ferner von luisianischen Staren mit rubinroten Augen, Meerschwalben, Raupenfressern und Fliegenschnäppern, ohne von den Fregattvögeln zu reden, die mit mächtigem Flügelschlag vorüberzogen.
Hätte Nat Gibson sein Gewehr bei sich gehabt, so hätte er hier manches Stück Federwild erlegen können... freilich ohne jeden Nutzen, denn die genannten Vögel sind alle nicht eßbar. Mit Rücksicht auf die nächste Mahlzeit war es jedenfalls besser, das einzuheimsen, was das Meer liefern konnte, und das Meer erwies sich im allgemeinen auch recht freigebig.
Nach einstündigem Aufenthalt an der Korallenbank hatte das Boot genug erbeutet, alle Schiffsinsassen zwei volle Tage zu ernähren. In dem klaren Gewässer, auf dessen Grunde viele Wasserpflanzen wuchern, gibt es einen Überfluß von Krustentieren, Mollusken, Muscheln, Heuschreckenkrebsen, großen und kleinen Garnelen, von Eischnecken, Schüsselschnecken und anderen Arten, und der Vorrat an diesen muß rein unerschöpflich sein, da manche Amphibien, Robben und andere, davon ungeheuere Mengen verzehren.
Unter den Fischen, die sich an den Schnüren singen und einer überraschenden Zahl von Arten angehörten, die alle die lebhaftesten Farben zeigten, fielen Nat Gibson und den beiden Matrosen auch mehrere Blennies (Schleimsische) in die Hände. Der Blenny ist ein merkwürdiges Tier, dessen Augen am höchsten Punkte des Kopfes sitzen und dessen Kiefer mit Kehlflossen besetzt und[91] hellgrau gefärbt ist; dabei lebt es ebenso im Wasser, wie es sich auf dem Strande hinbewegt oder gar mit den Bewegungen der brasilianischen Beutelratte oder des Känguruhs auf Felsblöcke am Ufer springt.
Es war jetzt sieben Uhr und die Sonne schon im Untergehen; ihre letzten Strahlen umflossen nur noch goldpurpurn den Gipfel des Mount-Pitt.
»Herr Nat, begann da Wickley, wäre es nicht an der Zeit, an Bord zurückzukehren?
– Das erscheint mir auch ratsam, setzte Hobbes hinzu. Gegen Abend springt nicht selten ein Landwind auf, und wenn die Brigg sich den zunutze machen könnte, dürfen wir sie nicht warten lassen.
– So zieht die Schnüre ein, antwortete der junge Mann, wir wollen nach dem ›James-Cook‹ zurückfahren. Ich befürchte freilich, daß ich den von Herrn Hawkins gewünschten Wind noch nicht mitbringe.
– Nein, stimmte Hobbes ein, nicht so viel, eine Mütze füllen zu können.
– Und draußen am Horizonte steigt auch kein Wölkchen auf, setzte Wickley hinzu.
– Gleichviel... wir wollen zurückfahren,« wiederholte Nat Gibson.
Vor dem Abfahren von der Korallenbank erhob er sich jedoch auf dem Hinterteile des Bootes noch einmal und überflog mit dem Blick die ganze Linie des Risses, die den nordöstlichen Landvorsprung einrahmte. Eben erinnerte er sich der verschwundenen Goëlette, von der niemand wieder etwas gehört hatte. Vielleicht entdeckte er hier einzelne Trümmer von der »Wilhelmina«, eine Seetrift, die von den Strömungen nach der Insel getragen worden wäre. Es war ja möglich, daß der vielleicht nicht völlig zerstörte Rumpf des Fahrzeuges oder wenigstens dessen Wrack im Norden oder Süden der Landspitze noch sichtbar wäre.
Auch die beiden Matrosen lugten aufmerksam nach der mehrere Seemeilen weit erkennbaren Küste hinaus, doch auch sie entdeckten nichts von der Goëlette, deren Verschwinden der Dampfer ihnen gemeldet hatte.
Wickley und Hobbes wollten schon wieder zu den Rudern greifen, als Nat Gibson auf einem vom Ufer getrennt aufragenden Felsblock eine menschliche Gestalt zu erkennen glaubte. Da er sich etwa eine Meile davon entfernt befand und auch die Dämmerung schon einsetzte, fragte er sich, ob er sich nicht getäuscht hätte. War das wirklich ein Mann, den vielleicht das Erscheinen des Bootes ans Ufer gelockt hatte?... Bewegte er jetzt nicht die[92] Arme, wie um Hilfe zu bitten? Es war fast unmöglich, sich darüber sofort klar zu sein.
»Seht einmal dorthin,« sagte Nat Gibson zu den Matrosen.
Eben hatte sich ein tieferer Schatten auf den betreffenden Teil des Ufers gelegt, und die menschliche Gestalt – wenn es eine solche war – war verschwunden.
»Ich kann dort nichts sehen, erklärte Wickley.
– Und ich auch nicht, sagte Hobbes.
– Dennoch glaub' ich nicht, mich getäuscht zu haben, fuhr Nat Gibson fort; vor ganz kurzer Zeit stand ein Mann da drüben...
– Sie glauben, einen Mann gesehen zu haben? fragte Wickley.
– Ja... dort... uns gegenüber... auf einem Felsblock. Er winkte mit den Armen... er schien auch zu rufen, doch drang seine Stimme jedenfalls nicht bis hierher.
– Gegen Sonnenuntergang kommen nicht selten Robben nach dem Strande, bemerkte Hobbes, und wenn eine solche sich aufrichtet, kann man sie leicht mit einem Menschen verwechseln.
– Das ist freilich möglich, antwortete Nat Gibson, und bei dieser Entfernung könnte ich doch vielleicht falsch gesehen haben.
– Ist denn die Insel Norfolk jetzt bewohnt? fragte Hobbes.
– Nein, erwiderte der junge Mann. Eingeborne gibt es hier nicht, doch Schiffbrüchige könnten ja genötigt gewesen sein, darauf Zuflucht zu suchen.
– Und wenn sich hier Schiffbrüchige aufhielten, setzte Wickley hinzu, könnten es nicht Leute von der ›Wilhelmina‹ sein?
– Vorläufig gehen wir an Bord zurück, erklärte Nat Gibson. Voraussichtlich liegt die Brigg morgen noch an derselben Stelle, und dann suchen wir die Küste bei vollem Tageslichte mit unseren Fernrohren ab.«
Die beiden Matrosen griffen zu den Rudern. Binnen zwanzig Minuten hatte das Boot den »James-Cook« erreicht, und der Kapitän, der ja einem Teile seiner Mannschaft nicht recht traute, beeilte sich, das kleine Fahrzeug wieder auf das Deck holen zu lassen.
Die erbeuteten Fische kamen Hawkins sehr willkommen, denn jetzt konnte er, der viel Interesse für Naturgeschichte hatte, einmal mit Muße die Blennies besichtigen, von denen ihm bisher noch keiner in die Hände gekommen war.[93]
Nat Gibson erzählte seinem Vater, was er gesehen zu haben glaubte, als das Boot von der Korallenbank eben abfahren sollte.
Der Kapitän und der Reeder lauschten aufmerksam den Mitteilungen des jungen Mannes. Sie wußten ja, daß die Insel nach Aufhebung der früheren Verbrecherkolonie völlig verlassen war, und daß es auch den Eingebornen der benachbarten Archipele, sowie Australiern, Maoris und Papuas nie eingefallen war, sich hier anzusiedeln.
»Immerhin ist es möglich, daß sich gerade jetzt Fischer dort zeitweise aufhielten, fiel Flig Balt ein, der dem Berichte Nats zugehört hatte.
– Ja freilich, meinte der Reeder, und das wäre zu dieser Jahreszeit auch gar nichts so wunderbares.
– Hast du vielleicht ein Boot innerhalb des Riffkranzes gesehen? fragte der Kapitän seinen Sohn.
– Nein, Vater.
– Dann glaub' ich doch, ließ der Bootsmann sich vernehmen, daß Herr Nat sich getäuscht hat. Es war ja schon ziemlich dunkel. Ich rate Ihnen also, Kapitän, daß wir jedenfalls weitersegeln, wenn im Laufe der Nacht etwas Wind aufkäme.«
Natürlich fürchtete Flig Balt, dem schon die Anwesenheit des Herrn Hawkins und Nat Gibsons an Bord der Brigg wider den Strich ging, nichts mehr, als die Aufnahme weiterer Passagiere; in einem solchen Falle mußte er dann wohl oder übel auf seine Pläne verzichten, und das wollte er doch nicht. Seine Genossen und er waren nun einmal entschlossen, das Schiff vor dessen Ankunft in Neuirland in ihre Gewalt zu bringen.
»Und doch, fuhr der Kapitän fort, wenn Nat keinen Irrtum begangen hat, wenn auf der Insel Norfolk Schiffbrüchige schmachten, die ja recht wohl Überlebende von der ›Wilhelmina‹ sein könnten, müssen wir ihnen Hilfe bringen. Ich würde meine Menschenpflicht und meine Seemannsehre zu verletzten glauben, wenn ich davonführe, ohne über die Sachlage Gewißheit erlangt zu haben.
– Du hast recht, Gibson, stimmte ihm Hawkins bei. Doch, da fällt mir ein, ob der Mann, den Nat gesehen zu haben geglaubt hat, nicht vielleicht ein Verbrecher sein könnte, der aus der früheren Gefangenanstalt entwichen und auf der Insel zurückgeblieben wäre...
– Dann müßte der Mann wenigstens sehr alt sein, antwortete der Kapitän, denn die Auflassung der Anstalt erfolgte 1842, und wenn er sich[94] schon damals darin befand, wäre er jetzt, wo wir 1885 schreiben, gewiß schon ein hoher Siebziger!
– Das ist ja richtig, Gibson. Ich komme auch mehr und mehr auf den Gedanken, daß Schiffbrüchige von der holländischen Goëlette nach der Insel Norfolk verschlagen sein könnten, wenn sich Nat nicht überhaupt getäuscht hat.
– Nein nein... das nicht! versicherte der junge Mann.
– Dann müßten sich die armen Leute, fuhr Hawkins fort, dort etwa seit vierzehn Tagen befinden, denn wahrscheinlich hat der Schiffsunfall nicht früher stattgefunden.
– Jawohl, wenigstens nach dem, was uns der Kapitän der ›Assomption‹ mitgeteilt hat, antwortete Gibson. Morgen wollen wir auch alles versuchen, was sich hierbei tun läßt. Befindet sich, woran Nat ja nicht zweifelt, ein Mann an diesem Teile der Küste, so wird er, wenn es wieder hell wird, gewiß noch einmal Umschau halten, und mit den Fernrohren werden wir ihn trotz der Entfernung erkennen können...
– Ich muß Ihnen aber wiederholen, Herr Kapitän, fiel der Bootsmann ein, wenn sich in der Nacht noch Wind erhöbe, wär' es doch wohl ratsamer...
– Ob wir Wind bekommen oder nicht, Balt, der ›James-Cook‹ bleibt vorläufigverankert, und wir segeln nicht eher ab, ehe nicht ein Boot hinausgegangen ist, die Sachlage zu untersuchen. Ich gehe von der Insel Norfolk nicht weg, ohne die Umgebung der Nordostspitze abgesucht zu haben, wenn uns das auch vierundzwanzig Stunden kostete.
– Das ist recht, Vater; ich bin auch überzeugt, daß dieser Tag kein verlorener sein wird.
– Ist das nicht auch deine Ansicht, Hawkins? fragte der Kapitän, sich dem Reeder zuwendend.
– Vollständig,« erklärte Hawkins.
Gibson war ja wegen seines Entschlusses nicht einmal zu rühmen, denn mit dem, was er vor hatte, erfüllte er nur seine einfache Menschenpflicht.
Nach dem Vorderdeck zurückgekehrt, erhielt Vin Mod von Flig Balt Mitteilung von dem, was hier eben besprochen und beschlossen worden war. Dem Matrosen paßte das natürlich ebensowenig wie dem Bootsmanne. Immerhin konnte Nat Gibson sich dennoch getäuscht haben. Vielleicht hatte sich keiner von den Schiffbrüchigen der »Wilhelmina« auf diese Küste gerettet. Jedenfalls sollte man ja binnen zwölf Stunden darüber Klarheit haben.[95]
Die Nacht, es war eben Neumond, wurde sehr dunkel. Ein Nebelschleier in den höheren Luftschichten verdeckte alle Sterne Im Westen war jedoch das Land als eine noch etwas dunklere Masse undeutlich sichtbar.
Gegen neun Uhr brachte eine leichte Brise dann und wann ein Anklatschen des Wassers am »James- Cook« hervor, der sich um ein Viertel vor seinem Anker drehte. Mit diesem aus Südwesten kommenden Winde wär' es ja möglich gewesen, nach Norden zu zu segeln. Der Kapitän beharrte indes bei seinem Beschlusse und die Brigg blieb also vor Anker liegen.
Übrigens handelte es sich nur um einen zeitweiligen Windhauch, der den Gipfel des Mount-Pitt streifte, und das Meer glättete sich stets bald von neuem.
Hawkins saß nebst Gibson und dessen Sohne auf dem Hinterdeck. Sie waren noch nicht in ihre Kabinen gegangen, um die nach der Hitze des Tages doppelt erquickende, frische Nachtluft zu genießen.
Es mochte fünfundzwanzig Minuten nach neun Uhr sein, als Nat Gibson sich erhebend nach der Küste hinausspähte, während er sich dem Backbord näherte.
»Ein Feuer! rief er plötzlich. Da draußen lodert ein Feuer!
– Wie... ein Feuer? wiederholte der Reeder.
– Ja, Herr Hawkins.
– Und in welcher Richtung?
– In der des Felsblockes, wo ich den Mann gesehen habe...
– Ja, wirklich, bestätigte der Kapitän.
– Da wäre ja der Beweis, daß ich mich nicht getäuscht hatte!« sagte Nat Gibson mit einer gewissen Befriedigung.
An der bezeichneten Stelle flackerte ein Feuer, ein Holzfeuer, dessen hohe Flammen in einem dicken Rauchwirbel emporloderten.
»Gibson, ließ sich Hawkins vernehmen, das ist ein Zeichen, das uns gilt.
– Ohne Zweifel! bestätigte der Kapitän. Auf der Insel befinden sich Verunglückte!«
Ob nun Schiffbrüchige oder andere, jedenfalls menschliche Wesen, die Hilfe verlangten. Welche Angst mußten sie ausgestanden und welche Furcht empfunden haben, daß die Brigg schon die Anker gelichtet haben könnte!
Jetzt galt es deshalb, sie zu beruhigen, was sofort geschehen sollte.
»Nat, sagte der Kapitän, hole dein Gewehr und beantworte das Signal.«[96]
Der junge Mann begab sich nach dem Deckhause und kam mit einem Karabiner in der Hand wieder heraus.
Drei Schüsse krachten... rollend tönte das Echo vom Ufergelände zum »James-Cook« zurück.
Gleichzeitig schwenkte ein Matrose dreimal eine Fackel, die am Top des Fockmastes befestigt wurde.
Jetzt war also nur noch das Grauen des Tages abzuwarten, dann sollte sich der »James-Cook« mit dem Landvorsprünge der Insel in Verbindung setzen.
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