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[379] Die Gefahr war einstweilen vermindert, beseitigt aber nicht. Nach der Durchsuchung des Waldes wurde die der Küste jedenfalls wieder aufgenommen.
Es sei hier nochmals darauf hingewiesen, daß Entweichungen aus Port-Arthur immer nur gelungen waren, wenn sie auf dem Wasserwege ausgeführt werden konnten. Entweder hatten sich die Sträflinge dazu eines Bootes bemächtigen können oder selbst ein solches notdürftig zusammengezimmert, wenn es nur ausreichte, sie nach einer anderen Stelle der Storm-Bai zu tragen. Jeder Versuch, über die Landenge hinweg zu entkommen, mußte von vornherein als verfehlt gelten. So wurden denn auch alle Flüchtlinge, die sich in den Wäldern verborgen hielten, stets – wenn auch zuweilen erst nach einigen Wochen –[379] wieder eingefangen. Der Kapitän-Kommandant wußte das recht gut, und die Nachforschungen nach Entsprungenen wurden deshalb stets im Walde vorgenommen, wenn die Witterungsverhältnisse ein Entkommen auf dem Wege des Meeres auszuschließen schienen.
Da jetzt der Wind immer mehr abflaute und eine Landung an der Küste leichter möglich wurde, war mit Sicherheit zu erwarten, daß Aufseher und Polizeisoldaten schon morgen alle Buchten daran besichtigen würden.
Das sagten sich O'Brien, Macarthy und Farnham natürlich auch selbst, und es erfüllte sie mit begreiflicher, großer Besorgnis. Wie endlos erschienen ihnen die Stunden des heutigen Nachmittags, wo sie, ohne daß ein weiterer Zwischenfall eingetreten wäre, auf jedes Geräusch von außen lauschten, wo sie manchmal Schritte auf dem. Strande oder das Bellen der wilden Doggen zu hören vermeinten und jeden Augenblick fürchteten, die Hunde auftauchen und sich auf sie stürzen zu sehen.
Zuweilen wuchs auch wieder ihre Hoffnung. Ohne sich aus der Höhle zu wagen, konnten sie die Bai in großem Umfange übersehen und die Schiffe beobachten, die draußen auf offener See vorüberzogen. Da tauchten einzelne Segler auf, bald nachdem der als schwache Brise wehende Wind nach Norden umgeschlagen war. Andere liefen, nach Umschiffung des Kap Pillar, gegen den Wind aufkreuzend ein. Von der ersten Mitteilung Walters her wußte Farnham, daß das für die Flüchtlinge auf der Reede von Hobart-Town eingetroffene amerikanische Schiff der Dampfer »Illinois« war. Er und seine Gefährten suchten also nach einer Rauchsäule am Horizont, einer Rauchsäule, die sich in südlicher Richtung zurückwand und die das Nahen des unter so unendlichen Gefahren erwarteten Schiffes ankündigte.
Und doch war das noch zu zeitig. Von Hobart-Town bis zur Saint-Jamesspitze sind es ungefähr zwanzig englische Meilen (32 km). Es genügte, wenn die »Illinois« die Reede gegen sechs Uhr abends verließ. Man konnte ja auf dem Schiffe nicht so unklug sein, sich der Landspitze eher zu nähern, als die Dunkelheit gestattete, das Boot zur Aufnahme der Flüchtlinge abzusenden.
»Ja, weiß man denn überhaupt an Bord, daß wir haben entweichen können? fragte Macarthy.
– Daran ist nicht zu zweifeln, antwortete Farnham. Schon sind wir sechsundzwanzig Stunden an der bestimmten Stelle, und seit diesem Morgen muß sich die Nachricht von unserer Flucht in Hobart-Town verbreitet haben. Der[380] Gouverneur erhielt sie jedenfalls durch eine Depesche, und Walter wird sich, wie ich annehme, beeilt haben, auf die »Illinois« zu kommen. Hat der Dampfer auch gestern wegen schlechten Wetters nicht auslaufen können, so wird er doch jetzt nicht zögern, nach der Halbinsel zu kommen.
– Es ist bereits fünf Uhr, bemerkte O'Brien, und binnen anderthalb Stunden wird es die Dunkelheit sehr erschweren, die Saint-Jamesspitze zu erkennen. Wie könnte der Kapitän der »Illinois« dann ein Boot dahin abgehen lassen?
– Ich setze mit Bestimmtheit voraus, erwiderte Farnham, daß er seine Maßregeln schon mit Rücksicht darauf getroffen haben wird. Er oder irgend ein Matrose an Bord kennt jedenfalls die ganze Küste der Halbinsel, selbst die Nacht wird ihn nicht in Verlegenheit setzen...
– Eine Rauchwolke!« rief da Macarthy.
Über dem Horizonte, dessen purpurgesäumte Wolken die Sonne verschleierten, stiegen eben die höchsten Wirbel einer Rauchsäule auf.
»Ist es der Dampfer?... Ist es die »Illinois«?« rief O'Brien, der schon nach dem Strande hinausgestürmt wäre, wenn Farnham ihn nicht zurückgehalten hätte.
Die Storm-Bai wird gewöhnlich von vielen Schiffen, meist von Dampfern, befahren. Ob nun der, der jetzt in Sicht kommen sollte, nicht nach Südosten steuern würde, um auf die offene See zu gelangen, das ließ sich ebenso wenig entscheiden, wie man schon sagen konnte, ob er hier auf die Küste zuhalten werde.
Noch nie war die Erregung der Flüchtlinge so lebhaft gewesen wie jetzt, nicht einmal als die Verfolger den Pfad nach dem Vorlande herunterkletterten und die Hunde sich darauf zu zerstreuen drohten, niemals aber waren sie anderseits von so froher Hoffnung erfüllt gewesen. Die Rauchwolke zog sichtlich nach Südosten hin. Vor Verlauf einer halben Stunde, also noch bei genügendem Tageslichte, mußten sie den Dampfer über der Linie zwischen Himmel und Wasser auftauchen sehen. Bei dem schwachen Rauche, der von ihm ausging schien es nicht, als ob er mit voller Kraft führe. Wenn es die »Illinois« war, warum hätte sie auch Volldampf nehmen sollen?? Bei Anbruch der Nacht mußte das Schiff ja dennoch bis auf wenige Kabellängen an die Saint-Jamesspitze herangekommen sein. Dann konnte das Boot abstoßen ohne die Gefahr, bemerkt zu werden.[381]
Plötzlich stieß O'Brien einen verzweifelten Schrei aus:
»Es ist es nicht!... Das ist nicht die ›Illinois!‹
– Und warum nicht? fragte Farnham.
– Da... seht nur hier!«
Der Dampfer hatte eben seine Richtung geändert und kam nicht weiter auf die Küste zu. Er manövrierte wie die Schiffe, die das Kap Pillar peilen und aufs hohe Meer zu steuern suchen.
Und nach diesem tödlichen Ausharren einen ganzen Tag lang, kam jetzt die Nacht heran!... Erloschen war die Hoffnung, daß die Stunde der Rettung nahe sei, daß jenes Schiff sie an Bord nehmen werde! Es entfernte sich von der Halbinsel und dampfte aufs hohe Meer hinaus.
Es war also nicht die von Walter angemeldete »Illinois«, deren Rauch die Flüchtlinge beobachteten. Der Dampfer lag noch immer auf der Reede von Hobart-Town. Immerhin war es noch Zeit. Vielleicht erschien er erst mitten in der Nacht.
Nun gut, sie wollten warten, wollten nach ihm ausspähen. Sobald es dunkel genug war, gedachten O'Brien, Macarthy und Farnham sich über das Vorland bis zum äußersten Ende der Saint-Jamesspitze zu begeben und sich hinter den letzten Felsblöcken zu verbergen. Näherte sich dann ein Dampfer, so hörten sie das Keuchen seiner Maschine und den Wasserwirbel von seiner Schraube. Und wenn er endlich ein Boot abschickte, wollten sie es anrufen, um es durch die Klippen der Bucht zu leiten. Verhinderte es schließlich die Brandung, unmittelbar am Lande anzulegen, so wollten sie selbst ins Meer gehen... dann würden sie aufgenommen und nach der »Illinois« gebracht werden. Ja, wie O'Brien gesagt hatte: sollte es ihnen auch das Leben kosten... nur nicht zurück in den Bagno!
Eben verschwand die Sonne unter dem Horizonte. Zur jetzigen Jahreszeit konnte der Himmel durch die Dämmerung nicht mehr lange erhellt bleiben. Die Bai und das Ufer mußten bald in der Dunkelheit der Nacht zusammenfließen. Der das letzte Viertel zeigende Mond konnte nicht vor drei Uhr morgens aufgehen. Unter dem sternenlosen, von einer Wolkendecke verhüllten Himmel mußte die Finsternis eine sehr tiefe werden.
Draußen war alles still und stumm. Der schwache Wind, der sich gegen Abend fast ganz gelegt hatte, wurde nur zeitweilig durch einen Hauch bemerkbar. Von der Seite der Bai her hätten die Flüchtlinge das Rauschen von einem[382] auf die Küste zu steuernden Dampfer selbst auf zwei bis drei Seemeilen Entfernung gehört, und mindestens auf fünf bis sechs Kabellängen das Geräusch von einem durch Ruder bewegten Boote.
O'Brien konnte sich gar nicht mehr zügeln und wollte trotz des Widerspruchs seiner Gefährten nach dem Ende der Saint-Jamesspitze hinauseilen.
Das war unklug, denn bei dem noch vorhandenen schwachen Lichte hätte er vom Rande des Steilufers her doch von Verfolgern bemerkt werden können. Immerhin schien es, als ob sich keine lebende Seele auf diesem Teile der Küste befände. Auf dem Sande hinkriechend, erreichte O'Brien die Stelle, wo die Saint-Jamesspitze an der äußersten Strandlinie ausläuft. Hier erhoben sich noch mächtige Felsblöcke, die mit Tang überkleidet waren und deren bei Tiefebbe sichtbare Fortsetzung zwei- bis dreihundert Schritt weit hinausreichte und sich dann mehr nach Norden zu krümmte.
Da ertönte die Stimme O'Briens bis zu Farnham, der mit Macarthy in der Höhle zurückgeblieben war.
»Hierher... vorn nach der Spitze!« rief er.
Hatte O'Brien ein Boot entdeckt oder wenigstens das Plätschern von Ruderschlägen gehört? Jedenfalls durften die beiden anderen nicht zögern, ihm nachzueilen. Farnham und Macarthy begaben sich also schnellen Schrittes über das Vorland hin.
Als alle drei am Fuße der letzten Felsen standen, sagte O'Brien:
»Ich glaube... ja, ich glaube noch, es nähert sich ein Boot...
– Von welcher Seite?
– Von dieser hier.«
O'Brien wies nach Nordwesten.
Das war genau die Richtung, die ein Boot hätte einhalten müssen, das von draußen durch die Risse steuern wollte.
Macarthy und Farnham lauschten. Auch sie vernahmen taktmäßige Ruderschläge. Kein Zweifel: von draußen kam ein Boot, das, weil es des Weges nicht ganz sicher war, nur langsam weitergetrieben wurde.
»Ja ja, bestätigte Farnham, man hört das Anschlagen der Ruder an die Bordrandpflöcke... da draußen bewegt sich ein Boot...
– Ist es aber auch das von der ›Illinois‹?« bemerkte O'Brien.
Es konnte ja kaum ein anderes sein als das, das vom Dampfer nach der verabredeten Stelle abgeschickt worden war. Bei der zunehmenden Dunkelheit[383] war es den Flüchtlingen freilich unmöglich, etwas von dem Schiffe zu entdecken. Vielleicht hielt es eine gute Meile weit draußen, teils um von der Küste aus bestimmt nicht bemerkt zu werden, und teils, um sich dieser und ihren gefährlichen Rissen nicht zu sehr zu nähern.
Es galt nun also, so weit wie möglich vorzudringen, um das Boot im Auge zu behalten, es nötigenfalls anzurufen, um ihm den Weg durch die Klippen zu bezeichnen, und endlich hineinzuspringen, wenn es die äußersten Felsblöcke erreicht hatte.
Da erscholl aber plötzlich oben auf dem Steilufer ein lautes Bellen, dem verschiedene Rufe nachfolgten.
Am Rande hielt eine Abteilung Aufseher, die ein Dutzend Hunde bei sich hatten. Nach Durchsuchung des Waldsaumes waren sie wieder an die Küste gekommen.
Nicht weit davon rüsteten sich die Rotten, die an der Lichtung arbeiteten, zum Rückwege nach Port-Arthur.
Bei den Ausrufen der Verfolger sagten sich O'Brien, Macarthy und Farnham, daß sie entdeckt wären. Sie mochten wohl bemerkt worden sein, als sie über das Vorland hinschritten, oder vielleicht hatte der erste Ruf O'Briens sie schon verraten.
Jetzt beruhte ihre Rettung nur noch darauf, daß das Boot zeitig genug herankam, und ihnen war es doch unmöglich, dessen Fahrt zu beschleunigen. Und wenn sie sich nicht getäuscht hatten, wenn das Boot sich näherte, würde es sie aufnehmen können, ehe die Verfolger auch am Wasserrande anlangten?
Kam wohl von Matrosen eine genügende Zahl, die Aufseher und Polizeisoldaten anzugreifen, wenn jene überhaupt auf einen Kampf eingerichtet waren?... Würde es ihnen möglich sein, den Verfolgern die Gefangenen wieder zu entreißen und sie an Bord der »Illinois« in Sicherheit zu bringen?
»Die Hunde... die Hunde!« rief in diesem Augenblicke Macarthy.
Den Pfad von der Uferwand herunter stürmend, sprangen die Doggen sogleich über das Vorland hin... vier oder fünf dieser zur Verfolgung von Sträflingen abgerichteten Tiere, die ein wütendes Gebell ausstießen.
Fast gleichzeitig tauchten ein Dutzend mit Revolvern bewaffnete Aufseher und Polizeisoldaten auf.
»Hierher!... Hierher! rief einer dem anderen zu.
– Dort sind sie... alle Drei![384]
– Vorwärts nach der Landspitze!
– Da kommt schon ein Boot heran!«
O'Brien hatte sich nicht getäuscht: ein Boot war im Begriff, in die kleine Bucht einzulaufen. Daß seine Gefährten und er es vorher nicht hatten sehen können, lag daran, daß gerade zwischen dem Fuße des Steilufers und dem kleinen Fahrzeuge mehrere Klippen aufragten.
Dagegen war durch das Boot die Aufmerksamkeit der oben am Felsrande hinschreitenden Verfolger erweckt worden, denn diese bemerkten, daß es erst längs der Küste hinsteuerte und[385] dann durch den Klippengürtel zu gleiten suchte. Natürlich vermuteten sie, daß es nur hierher komme, um die Irländer aufzunehmen. Ein Blick auf das Meer hinaus zeigte ihnen auch, daß dort, der Bai gegenüber, ein unter diesen Umständen Verdacht erweckender Dampfer lag.
Das hatten auch zwei andere Sträflinge bemerkt, die, erst an der Waldlichtung beschäftigt, ebenfalls nach dem Rande des Steilufers gekommen waren.
Diese beiden waren Karl und Pieter Kip.
Von welch quälender Angst die beiden Brüder den ganzen Tag gefoltert worden waren, kann man sich wohl leicht vorstellen. Sie wußten ja recht gut, daß das amerikanische Schiff gestern des stürmischen Wetters wegen sich der Halbinsel nicht hatte nähern können, und sagten sich auch, daß die drei Flüchtlinge sich nahe der Saint-Jamesspitze die vergangene Nacht und heute den ganzen Tag in irgendeiner Felsenhöhle versteckt haben würden. Wie hatten sie sich aber die nötige Nahrung verschaffen können?
Der Sturm hatte sich freilich schon seit fünfzehn Stunden gelegt und die Bai war wieder gefahrlos zu befahren. Was nun am gestrigen Abend nicht möglich gewesen war, das konnte unter dem Schutze der Dunkelheit vielleicht heute Abend versucht werden.
Wie gewöhnlich hatten die Gebrüder Kip die Strafanstalt schon seit dem frühen Morgen verlassen und sich nach ihrer Arbeit am Walde begeben. Und als sie dabei in die Nähe des Steilufers kamen, suchten sie voller Besorgnis im Westen längs der Küste nach Rauchwolken, die die Annäherung eines Dampfers verrieten.
Der Tag verstrich aber, und erst zehn Minuten vor der Zeit, wo der Rückweg angetreten werden sollte, ertönten von der Uferseite her die Unglück verkündenden Rufe.
»Sie sind entdeckt... die Ärmsten!« stieß Karl Kip hervor.
Sofort liefen zehn bis zwölf Mann, die die Obhut über ihre Rotten einigen Kameraden überließen, nach dem Uferrande hin, und die Gebrüder Kip konnten ihnen unbemerkt folgen.
Am Rande angelangt, warfen sie sich platt zur Erde und lugten unter sich hinaus.
Richtig, da kam ein Boot längs der Küste auf die Saint-Jamesspitze zu.
»Es wird zu spät sein! sagte Karl Kip.
– Ja, die Armen werden wieder gefangen werden, setzte sein Bruder hinzu.[386]
– Und wir können ihnen keine Hilfe bringen!«
Kaum waren diese Worte gefallen, als Karl Kip seines Bruders Arm ergriff.
»Komm, folge mir!« raunte er ihm zu.
Eine Minute später kletterten beide den Pfad an der Ufermauer hinunter und schlichen sich über das Vorland hin.
Das Boot von der »Illinois« bog eben um die Felsenblöcke vor der Bucht ein. Obwohl die amerikanischen Matrosen die Aufseher hatten herzulaufen sehen, dachten sie und ihr Offizier doch gar nicht daran, anzuhalten, da sie voraussetzten, daß sich die Flüchtlinge hier schon seit dem vorigen Tage aufhielten. Auf die Gefahr hin, bei der Dunkelheit gegen einen Felsblock zu rennen, ruderten sie nur noch kräftiger, um die Spitze womöglich eher als die Verfolger zu erreichen.
Als das Boot aber anlegte, war es schon zu spät: O'Brien, Macarthy und Farnham waren bereits nach dem Steilufer zu weggeschleppt worden.
»Nun vorwärts... vorwärts!« rief der Offizier.
Mit Seitengewehren und Revolvern bewaffnet, sprangen die Matrosen ihm nach aufs Land und stürmten darüber hin, die Gefangenen zu befreien.
Da entspann sich ein hitziger Kampf. Die Amerikaner waren nur ihrer acht: der Offizier, der Steuermann und sechs Ruderer. Selbst Farnham, Macarthy und O'Brien mitgerechnet, ergab das nur elf gegen einige zwanzig Aufseher und andere, die auf den Lärm hin ihren Kameraden auf dem Vorlande nachgeeilt waren. Außerdem waren die Doggen als nicht minder gefährliche Gegner zu betrachten.
Auf die Hunde gaben die Matrosen auch die ersten Revolverschüsse ab. Schnell blitzte es aus den Läufen auf. Von mehreren Kugeln getroffen, wurden zwei von den Tieren getötet und die anderen entflohen unter gräßlichem Geheul.
In der Dunkelheit drangen die Gegner wütend auf einander ein. Macarthy und Farnham, die sich nicht hatten losreißen können, sollten eben weiter zurückgeschleppt werden, als zwei Männer den Aufsehern den Weg versperrten.
Karl Kip und seinem Bruder, die sich auf die Häscher stürzten, gelang es, die Gefangenen wieder zu befreien.
Immer krachten noch weitere Schüsse und auf beiden Seiten wurden mehrere Kämpfer ernstlich verwundet. Auf der schmalen Landspitze konnte der Kampf mit Vorteil für die Amerikaner freilich nicht lange fortgeführt werden. Mußten ihn der Offizier und die Matrosen von der »Illinois« aufgeben, so[387] konnten sie die Flüchtlinge nicht mitnehmen, und wer weiß, ob sie nicht ihr edelmütiges Wagestück zu Gunsten der Irländer im Gefängnisse von Hobart-Town gar noch mit dem Verluste der eigenen Freiheit bezahlen mußten.
Waren die Schüsse, die Rufe und das Gebell bis nach der Lichtung hin hörbar gewesen, so wurden sie glücklicherweise auch draußen auf dem Meere vernommen. An Bord der »Illinois« erkannte man, daß ein hitziges Gefecht zwischen den Matrosen und den Leuten aus der Strafanstalt entbrannt sei, ein Gefecht, das ein kräftiges Eingreifen von seiten des Schiffes verlangte.
Der Kommandant fuhr deshalb bis auf zwei Kabellängen an den Kampfplatz heran und ließ dann schnellstens ein zweites Boot mit einem Dutzend Matrosen aufs Meer setzen.
Binnen wenigen Augenblicken landete die Verstärkung an der Landspitze, und damit änderte sich sofort die Sachlage. Die Aufseher, die jetzt nicht mehr in der Überzahl waren, mußten die Gefangenen loslassen und sich unter Mitnahme ihrer Verwundeten zurückziehen. Der Offizier und die Matrosen hatten nur noch mit den drei Flüchtlingen die Boote zu besteigen, nachdem noch einige Schüsse zwischen den beiden Parteien gewechselt waren.
Da näherten sich noch Karl und Pieter Kip schnell O'Brien und sagten:
»Gerettet... ihr seid gerettet!
– Und ihr ebenfalls!« rief der Irländer.
Ehe sie recht wußten, was mit ihnen geschah, wurden die beiden Brüder auf ein Zeichen O'Briens von Matrosen in eines der Boote gehoben, die nach der »Illinois« zurückfuhren.
Der Dampfer wendete sich sofort nach dem Eingange der Storm-Bai, umschiffte das Kap Pillar, und als es völlig Nacht war, schaukelte er schon weit draußen auf dem Großen Ozean.[388]
Ausgewählte Ausgaben von
Die Gebrüder Kip
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