[148] Am Morgen des 29. August läuft das Juwel des Stillen Oceans zwischen dem Archipel der Marquisen – unter 7 Grad 55 Minuten bis 10 Grad 30 Minuten südlicher Breite und 141 Grad bis 243 Grad 6 Minuten westlicher Länge von Paris – ein. Von der Gruppe der Sandwich-Inseln aus hat es eine Strecke von dreitausendfünfhundert Kilometern zurückgelegt.
Den auch vorkommenden Namen Mendana hat diese Gruppe davon, daß ein gleichnamiger Spanier deren südlichen Theil im Jahre 1595 entdeckte. Den Namen »Inseln der Revolution« führt sie davon, daß der Kapitän Marchand 1791 ihren nordwestlichen Theil besuchte; die Bezeichnung Archipel von »Nuka-Hiva« endlich von dem Namen der größten, dazu gehörigen Insel. Mit vollem Rechte könnte sie endlich den Namen Cook's führen, denn dieser berühmte Seemann lief schon 1774 hier ein.
Frascolin, der diese Mittheilungen vom Commodore Simcoë erhält, findet sie ganz logisch richtig, fügt aber hinzu:
»Man könnte sie ebensogut den »Französischen Archipel« nennen, denn auf den Marquisen befinden wir uns auch ein wenig in Frankreich.«
Ein Franzose erscheint in der That berechtigt, die elf Inseln und Eilande als ein heimisches Geschwader, das im Stillen Ocean verankert wäre, zu betrachten. Die größten wären dann die erstclassigen Schiffe »Nuka-Hiva« und »Hiva-Oa«; die mittleren die Kreuzer verschiedenen Ranges »Hiaou«, »Uapou« und »Uauka«; die kleinsten endlich die Avisos »Motane«, »Fatou-Hiva« und »Taou-Ata«, während die Eilande und Atolls einfache Pinassen und Boote wären – nur das alle nicht beweglich sind.
Am 1. Mai 1842 nahm der Befehlshaber des Geschwaders im Großen Ocean, der Contreadmiral Dupetit-Thouars, im Namen Frankreichs von dem Archipel Besitz. Zwei bis dreitausend Meilen trennen ihn von Amerika, Neuseeland, China, den Molukken und den Philippinen. Verdiente das Vorgehen des Contreadmirals nun Lob oder Tadel? Die Opposition tadelte, die Regierungskreise[148] lobten es. Jedenfalls erhielt Frankreich dadurch eine Flottenstation, wo seine Hochseefischer Zuflucht finden und sich verproviantieren können, und die dem Panamacanal, wenn er jemals vollendet wird, eine gewisse commercielle Bedeutung verleihen dürfte. Dieses Gebiet sollte durch die Besitznahme oder Unterschutzstellung von Pomotou und der Gesellschaftsinseln, die dessen natürliche Verlängerung bilden, erweitert werden. Da sich der britische Einfluß über den Nordwesten des ungeheuern Oceans erstreckt, wäre es recht wünschenswerth, daß der französische ihm im Südwesten die Wage hielte.
»Haben wir hier denn auch hinreichende militärische Kräfte? fragt Frascolin seinen gefälligen Cicerone.
– Bis 1859, antwortet der Commodore Simcoë befand sich auf Nuka-Hiva eine Abtheilung Marinesoldaten. Seit der Zurückziehung derselben ist die Behütung der Flagge den Missionären anvertraut, die sich diese nicht rauben lassen werden, ohne sie zu vertheidigen.
– Und heutigen Tages?...
– Finden Sie nur in Taio-Haë einen Residenten und einige Gendarmen und eingeborne Soldaten unter dem Befehle eines Officiers, der gleichzeitig die Functionen eines Schiedsrichters versieht.
– Bei Streitigkeiten der Eingebornen?
– Der Eingebornen und Colonisten.
– Es giebt also auch Colonisten auf Nuka-Hiva?
– Ja... etwa zwei Dutzend.
– Nicht einmal genug, ein volles Harmonieorchester zu bilden!«
In der That zählt der Archipel der Marquisen, der bei einer Länge von hundertfünfundneunzig Meilen und einer Breite von achtundvierzig Meilen eine Oberfläche von dreizehntausend Quadratkilometern hat, nicht mehr als vierundzwanzigtausend Bewohner. Das macht also einen Colonisten auf tausend Eingeborne.
Ob die Bevölkerung zunehmen wird, wenn ein neuer Verkehrsweg Nord- und Südamerika scheidet, muß die Zukunft lehren. Was aber die Bevölkerung Standard-Islands betrifft, so hat diese seit kurzer Zeit durch die am 5. August erfolgte Rettung der Mannschaft von der Ketsch einen Zuwachs erfahren.
Es sind zehn Mann, außer dem Kapitän. Dieser, ein Mann von energischem Aussehen, zählt gegen vierzig Jahre und nennt sich Sarol. Seine Matrosen sind kräftige Burschen, die von den äußersten Inseln Melanesiens herstammen. Vor[149] drei Monaten hatte sie Sarol mit einer Ladung Koprah nach Honolulu geführt. Als sich Standard-Island in dessen Nähe zehn Tage lang aufhielt, erregte die künstliche Insel das Erstaunen der Leute ebenso, wie das überall der Fall war. Wenn sie es auch, bei der Schwierigkeit, Zutritt zu erhalten, nicht besuchten, so segelte die Ketsch doch sehr häufig aus, um es aus möglichster Nähe zu besichtigen, wobei sie kaum eine halbe Kabellänge weit von der Küste diese umkreiste. Die fortwährende Anwesenheit dieses Fahrzeugs hatte ebensowenig einen Verdacht erweckt, wie der Umstand, daß es nur wenige Stunden nach dem Commodore Simcoë ebenfalls in See ging.
Als der Nothschuß ertönte, lag die Ketsch nur zwei bis drei Meilen weit draußen, und das ihr zu Hilfe eilende Rettungsboot gelangte noch zur rechten Zeit zu ihr hin, um den Kapitän und seine Leute aufzunehmen. Diese sprechen geläufig englisch, was bei Eingebornen des westlichen Stillen Oceans nicht zu verwundern ist, da daselbst der britische Einfluß das unbestrittene Uebergewicht hat. Sie erzählen, durch welche Umstände sie in Noth gerathen und daß die elf Malayen, wenn die Schaluppe nur wenige Minuten später an Ort und Stelle anlangte, vom Ocean verschlungen worden wären.
Nach Aussage der Leute war die Ketsch vierundzwanzig Stunden vorher, in der Nacht vom 4. zum 5. August, von einem Dampfer angerannt worden. Obwohl die Positionslichter des Kapitäns Sarol in Ordnung waren, waren sie von jenem doch nicht bemerkt oder nicht beachtet worden. Die Collision mochte für den Steamer ohne jede Bedeutung gewesen sein, denn er setzte ungestört seinen Weg fort, wenn er es – was ja leider so häufig vorkommt! – nicht etwa noch vorzog, mit vollem Dampf davonzufahren, »um sich kostspieligen und unangenehmen Schadenersatzansprüchen zu entziehen«.
Dieser Anprall aber, der für ein großes Schiff mit eisernem Rumpfe, das sehr schnell dahineilt, nichts zu bedeuten hatte, wurde dem Malayenfahrzeuge zum Verderben. Vor dem Fockmaste getroffen, kann man sich kaum erklären, daß es nicht sofort versunken war. Es hielt sich jedoch längere Zeit über dem Wasser, doch so, daß sich die Besatzung an die Schanzkleidung anklammern mußte. Bei einigermaßen schlimmem Wetter hätte keiner den Wellen widerstehen können, die dann über das halbe Wrack gestürmt wären. Zum Glück verlief hier die Strömung nach Osten und führte es damit mehr in die Nähe von Standard-Island. Immerhin spricht der Commodore seine Verwunderung darüber aus, daß die halb untergesunkene Ketsch sich noch bis in die Nähe des Steuerbordhafens habe treibend erhalten können.[150]
»Ich begreife das ebensowenig, antwortet der Malaye. Ihre Insel kann binnen vierundzwanzig Stunden nicht weit von der Stelle gekommen sein.
– Das ist vielleicht die einzig annehmbare Erklärung, erwidert der Commodore Simcoë. Doch gleichviel, Sie sind noch gerettet worden, das ist ja schließlich die Hauptsache.«
Es war übrigens die höchste Zeit gewesen, denn kaum hatte sich die Schaluppe von der Ketsch wieder um eine Viertelmeile entfernt, als diese vollends in die Tiefe versank.
So lautete der Bericht des Kapitäns Sarol, erst gegenüber dem Officier, der die Rettung bewerkstelligte, und dann gegenüber dem Commodore Simcoë, sowie dem Gouverneur Bikerstaff, nachdem man den Kapitän und seine Mannschaft mit dem Nothwendigsten versorgt hatte.
Nun entstand die Frage nach der Wiederheimführung der Schiffbrüchigen. Diese segelten nach den Neuen Hebriden, als die Collision stattfand. Standard-Island, das nach Südosten steuert, kann seinen Curs unmöglich ändern und nach Westen hin umkehren. Cyrus Bikerstaff bietet den Verunglückten deshalb an, sie in Nuka-Hiva ans Land zu setzen, wo sie ein nach den Neuen Hebriden segelndes Schiff abwarten könnten.
Der Kapitän und seine Leute sehen einander an. Sie scheinen sehr niedergeschlagen zu sein. Jenes Anerbieten betrübt die armen Leute, die mit der Ketsch und ihrer Fracht all ihr Hab und Gut verloren haben. Auf den Marquisen müßten sie doch eine unbestimmt lange Zeit warten, und wovon sollten sie da ihr Leben fristen?
»Herr Gouverneur, beginnt deshalb der Kapitän bittenden Tones, Sie haben uns gerettet und wir wissen nicht, wie wir unsre Dankbarkeit dafür zu erkennen geben sollen. Dennoch aber müssen wir Sie bitten, uns die endliche Heimkehr unter günstigeren Umständen zu ermöglichen.
– Ja, wie denken Sie das? fragt Cyrus Bikerstaff.
– In Honolulu hörten wir, daß Standard-Island nach einer Fahrt nach Süden sich nach den Marquisen, dann nach Pomotou und den Gesellschaftsinseln begeben werde, um endlich nach dem westlichen Theile des Stillen Oceans zu steuern.
– Das ist richtig, bestätigt der Gouverneur, und sehr wahrscheinlich setzt es seine Fahrt auch noch bis zu den Fidschi-Inseln fort, ehe es nach der Madeleinebay zurückkehrt.
[151] – Oh, die Fidschi-Inseln, fährt der Kapitän fort, die sind englisches Besitzthum, und dort werden wir leichter Gelegenheit finden, nach den nicht mehr entfernten Neuen Hebriden zu gelangen. Wollten Sie uns also bis dorthin mitnehmen...
– Darüber kann ich nichts versprechen, unterbricht ihn der Gouverneur. Es ist uns ausdrücklich untersagt, Fremden Passage zu gewähren. Warten wir also bis zur Ankunft in Nuka-Hiva. Dort werde ich mittelst Kabels bei der Direction in der Madeleinebay anfragen, und wenn sie dem zustimmt, nehmen wir Sie bis zu den Fidschis mit.«[152]
So kam es also, daß die Malayen an Bord von Standard-Island waren, als dieses am 29. August in Sicht der Marquisen eintraf.
Dieser Archipel liegt im Bereiche der Passatwinde, ebenso wie der von Pomotou und der Gesellschaftsinseln, denen diese Winde eine milde Temperatur und ein sehr gefundes Klima sichern.
Der Commodore Simcoë trifft in den ersten Morgenstunden vor der nordwestlichen Gruppe derselben ein. Er erblickt zuerst ein sandiges Atoll, das die Karten als das Koralleneiland bezeichnen und gegen welches das Meer bei der[153] gleichmäßig anhaltenden Strömung mit ungemeiner Heftigkeit anbrandet. Dieses Atoll bleibt zur Linken liegen, und bald signalisieren die Wachen eine erste Insel, Fetouou, deren Steilküsten gegen vierhundert Meter emporsteigen. Hinter dieser erscheint das sechshundert Meter hohe Hiaou, das von dieser Seite einen trostlosen Anblick bietet, während es auf der andern, die mit üppigem Grün bedeckt ist, zwei für kleinere Fahrzeuge zugängliche Buchten aufweist.
Frascolin, Yvernes und Pinchinat haben, Sebastian Zorn mit seiner ewigen schlechten Laune sich selbst überlassend, mit Ethel Simcoë und einigen seiner Officiere auf dem Thurme Platz genommen.
Hiaou bleibt ebenfalls an der Backbordseite liegen, ohne daß hier Halt gemacht wird. Man fährt dafür nach der Hauptinsel der Gruppe, von der diese ihren Namen erhalten hat und der sich jetzt das wunderbare Standard-Island angliedern soll, unmittelbar weiter.
Am frühen Morgen des 30. August sind unsre Pariser wieder auf dem Posten. Schon am Vorabend waren die Höhen von Nuka-Hiva sichtbar gewesen. Bei klarem Wetter zeigen sich die Bergketten desselben bereits in einer Entfernung von achtzehn bis zwanzig Lieues, denn einzelne Gipfel davon übersteigen zwölfhundert Meter Meereshöhe und gleichen einem riesigen Rücken längs der ganzen Küste.
»Sie sehen hier schon, bemerkt der Commodore Simcoë, eine allgemeine Eigenthümlichkeit dieses Archipels. Seine Berggipfel zeigen eine, mindestens unter dieser Zone auffällige Kahlheit, während die Vegetation, die in zwei Drittel der Höhe der Berge beginnt, bis auf den Grund der Thäler und Schluchten hinabreicht und sich bis zu dem weißen Sande des Ufers in prächtiger Entwicklung fortsetzt.
– Und dennoch, meint Frascolin, scheint es, daß gerade Nuka-Hiva von dieser allgemeinen Regel abweicht, wenigstens bezüglich des Pflanzenreichthums der mittelhohen Lagen. Es sieht mehr unfruchtbar aus...
– Nur weil wir von Nordwesten aus hierherkommen, belehrt ihn der Commodore. Sobald wir es im Süden umschifft haben, werden Sie über den Contrast erstaunen. Ueberall grünende Flächen, Wälder und dreihundert Meter hohe Wasserfälle...
– Ah, ruft Pinchinat, Wassermassen, die von der Spitze des Eiffelthurmes herabstürzen... das wäre schon etwas! Da könnte ja der Niagara eifersüchtig werden![154]
– O nein, entgegnet Frascolin, der gleicht das durch seine Breite aus, denn sein Fall mißt volle neunhundert Meter von der amerikanischen bis zur canadischen Seite. Du mußt das doch wissen, Pinchinat, da wir ihn ja besucht haben.
– Ganz richtig, und ich bitte den Niagara hiermit um Verzeihung!« antwortet der Bratschist.
An diesem Tage gleitet Standard-Island in der Entfernung einer Meile längs der Küste hin. Ueberall zeigen sich kahle, bis zum centralen Plateau von Tovii aufsteigende Abhänge, überall eine Felsenküste, die nirgends einen Durchlaß zu bieten scheint. Nach Berichten des Seefahrers Brown soll es übrigens einige gute Ankerplätze geben, die in letzter Zeit aufgefunden worden sind.
Im Ganzen ist der Anblick von Nuka-Hiva, bei dessen Namen man an die herrlichsten Landschaftsbilder denkt, bisher ein recht trauriger. Doch – wie Dumoulin und Desgraz, die Begleiter Dumont d'Urville's bei dessen Reise nach Oceanien und dem Südpole, ganz richtig sagen, »alle Naturschönheiten drängen sich hier zusammen im Innern der Buchten und in den Thalschluchten der Verzweigungen der Bergkette, die sich im Mitteltheile der Insel erhebt«.
Nachdem Standard-Island, der öden Küste nahe, ihrem scharfen, nordwestlichen Ausläufer gefolgt ist, verändert es ein wenig seine Richtung durch Verminderung der Geschwindigkeit seiner Steuerbordschrauben, und umschifft das Cap Tchitchagoff, das von dem russischen Seefahrer Krusenstern seinen Namen erhalten hat. Die zurücktretende Küste bildet hier einen weiten Bogen, in dessen Mitte eine enge Fahrstraße Zugang nach dem Hafen von Taioa oder von Akani gewährt, von denen wenigstens der eine Schutz gegen die oft verheerenden Stürme des Großen Oceans bietet.
Der Commodore Simcoë hält sich auch hier nicht auf. Weiter südlich giebt es zwei andre Buchten, die von Anna Maria oder Taio-Haë in der Mitte und die des Comptroller oder der Taïpis an der Rückseite des Cap Martin, der äußersten Südostspitze der Insel. Hier vor Taio-Haë beabsichtigt man etwa zwölf Tage liegen zu bleiben.
Unfern von der Küste Nuka-Hivas zeigt die Sonde noch sehr große Tiefen. Am Eingange der Buchten finden sich vierzig bis fünfzig Faden Wasser. Man kann also bis sehr nahe an die Bucht von Taio-Haë herangehen, was im Laufe des Nachmittags des 31. August geschieht.
Kaum in Sicht des Hafens dröhnen Detonationen auf dessen rechter Seite und weißer Dampf wirbelt über die Steilküsten im Osten empor.[155]
»He, ruft Pinchinat, hier salutiert man unsre Ankunft mit Kanonendonner...
– O nein, antwortet Commodore Simcoë. Weder die Taïs noch die Happas, die Hauptstämme der Insel, besitzen Geschütze, womit sie nur den geringsten Salut abgeben könnten. Was Sie da hören, rührt von der Brandung des Meeres her, die in eine Höhle in halber Uferhöhe des Cap Martin einstürmt, und der dort sichtbare Dampf ist weiter nichts als Nebel von zerstäubten Wellen, die wieder nach außen schlagen.
– Das bedauere ich, sagt der Bratschist, denn ein Kanonenschuß ist dasselbe wie ein höflich abgenommener Hut.«
Die Insel Nuka-Hiva hat mehrere Namen – man könnte sagen, mehrere Taufnamen – die ihr von verschiednen, Pathen beigelegt wurden: die »Federale-Insel« durch Ingraham; die »Insel Beaux« durch Marchand; die »Insel Sir Henry Martin« durch Hergert; die »Insel Adam« durch Roberts und die »Insel Madison« durch Porter. Sie mißt siebzehn Seemeilen von Osten nach Westen, zehn von Norden nach Süden und hat einen Umfang von etwa vierundfünfzig Seemeilen. Ihr Klima ist sehr gesund. Die Temperatur daselbst ist zwar die der Tropenzonen, doch wird sie durch den Passatwind gemildert.
An diesem Halteplatze bedrohen Standard-Island weder schwere Windstöße, noch lästige Platzregen, denn in der Zeit vom April bis zum October herrschen hier die trocknen Südostwinde, die die Eingebornen Tuatuka nennen. Im October erreicht die Wärme, im November und December die Trockenheit den höchsten Grad. Von April bis October wehen die Winde nur von einer Richtung zwischen Norden und Osten her.
Was die Volkszahl des Archipels der Marquisen angeht, hat man von den Angaben der ersten Entdecker, die sie auf hunderttausend schätzten, sehr viel abziehen müssen.
Elisée Reclus nimmt, gestützt auf die besten Unterlagen, für die ganze Gruppe nur sechstausend Seelen an, wovon der größte Theil auf Nuka-Hiva allein entfällt. Zur Zeit Dumont d'Urville's zählte Nuka-Hiva zwar achttausend Bewohner; diese Zahl verminderte sich aber fortwährend. Die Ursache dazu liegt offen bar in der Vertilgung der Eingebornen – der Taïs, Happas, Taionas und Taïpis – durch lange Kriege, in der Entführung männlicher Individuen nach den Farmen in Peru, dem Mißbrauch geistiger Getränke, und – warum es verheimlichen? – in den Uebeln, die jede Eroberung mit sich bringt, selbst[156] wenn die Eroberer civilisierten Nationen angehören. – Während dieser Woche der Ruhe besuchen die Milliardeser sehr häufig Nuka-Hiva. Die vornehmsten Europäer, denen der Gouverneur von Standard-Island freien Zutritt gestattet, erwidern diese Besuche.
Auch Sebastian Zorn und seine Kameraden unternehmen weite Ausflüge, deren Reiz sie für die Anstrengung dabei reichlich entschädigt.
Die Bucht von Taio-Haë bildet einen Kreis mit schmalem Eingange, worin Standard-Island keinen Platz gefunden hätte, um so weniger, weil die Bucht noch von zwei Sandbänken getheilt wird. Die Sandbänke trennt wieder eine Art steiler Hügel, auf dem sich noch die Reste einer von Porter 1812 angelegten Befestigung erheben. Das war zur Zeit, wo der Genannte die Insel besetzte, wobei das Lager der Amerikaner auf der östlichen Sandbank aufgeschlagen war – eine Besitzergreifung, die von der Bundesregierung nicht gutgeheißen wurde.
An Stelle einer Stadt auf dem jenseitigen Ufer finden unsre Pariser nur ein recht bescheidnes Dorf, dessen Wohnhäuser unter Bäumen verstreut liegen. Dagegen münden hier prächtige Thäler, darunter das von Taio-Haë, worin viele Nuka-Hivaner wohnen. Es ist ein wahrer Hochgenuß, unter die dichten Bestände von Cocospalmen, Bananen, Casuarinen, Goyaven, Brodbäumen, Hibiscussträuchern und andern Arten einzudringen.
Die Touristen finden in den Hütten daselbst den freundlichsten Empfang. Da, wo sie vor hundert Jahren vielleicht aufgezehrt worden wären, können sie jetzt die aus Bananenmehl und Meiteig, dem gelblichen Satzmehl des Taro, hergestellten Brodkuchen kosten, die frisch ziemlich süß, altbacken aber säuerlich schmecken. Nach dem großen Rochen, der noch gegessen wird, und nach dem Haifischfleische, das die Eingebornen desto höher schätzen, je mehr es angefault ist, verspürten sie freilich keinen Appetit.
Athanase Dorémus begleitet sie zuweilen bei ihren Spaziergängen. Das Männchen hat diesen Archipel schon im vorigen Jahre besucht und macht sich jetzt als Führer nützlich. Wahrscheinlich ist er nicht besonders bewandert in der Naturgeschichte und verwechselt vielleicht die schöne Spondias cytherea, deren Früchte den Aepfeln gleichen, mit dem Pandanus odoratisimus, der dieses Beiwort völlig rechtfertigt, mit der Casuarina, deren Holz fast Eisenhärte hat, mit dem Hibiscus, dessen Rinde die Eingebornen zur Kleidung verwenden, mit dem Papayabaume oder mit der Gardenia florida. Das Quartett braucht jedoch nicht auf seine etwas verdächtigen Kenntnisse zurückzugreifen, wenn ihm die marquisanische[157] Flora prächtige Farren, stolze Polypoden, chinesische Rosenbäume mit rothen und weißen Blüthen, oder ihre Gramineen und Solaneen, darunter den Tabak, ihre Labiaten mit violetten Büscheln, die den jungen Mädchen der Insel als beliebter Schmuck dienen, die hohen Ricinusstauden, ihre Dracänen, ihr Zuckerrohr oder ihre Orangen- und Citronenbäume zeigte, die, erst vor Kurzem eingeführt, in dem sonnendurchwärmten, von zahlreichen Gebirgswässern benetzten Boden ganz vorzüglich gedeihen.
Da, eines Morgens, als das Quartett, einem Bergbache folgend, über das Dorf der Taïs bis zur Höhe der Gebirgskette aufgestiegen ist und sich ihm zu Füßen die Thäler der Taïs, der Taïpis und der Happas ausbreiten, da entringt sich ihm ein Ausruf der Bewunderung. Wären die Instrumente zur Hand gewesen, es hätte mit einem Meisterwerke der Musik auf diese Meisterwerke der Natur geantwortet, wenn auch ein paar Vögel die einzigen Zuhörer gewesen wären. Und sie ist obendrein so hübsch, die Kurukurutaube, die in diesen Höhen fliegt, so reizend, die kleine Salangane, und der Phaëton, der ständige Gast der Schluchten von Nuka-Hiva, flattert in gar so launischen Kreisen durch die laue Luft.
Von einem giftigen Reptil hat man auch tief drinnen in den Wäldern nichts zu fürchten. Kaum zwei Fuß lange Boas, die ebenso unschuldig sind wie eine Natter, und Simquen, deren azurblauer Schwanz mehr einer Blume ähnelt, kommen gar nicht in Betracht.
Die Eingebornen zeigen einen bemerkenswerthen Typus. Man erkennt an ihnen den asiatischen Charakter, als Beweis eines ganz andern Ursprungs, als dessen der übrigen oceanischen Völkerschaften. Von mittlerer Größe, sind sie sehr regelmäßig gebaut, stark in der Musculatur und breit in der Brust. Sie haben seine Gliedmaßen, ovales Gesicht, hohe Stirn, dunkle Augen mit langen Wimpern, eine Adlernase, weiße, regelmäßige Zähne, weder rothe noch weiße, sondern wie die Araber bräunliche Haut, und Gesichtszüge, worin sich Heiterkeit und Sanftmuth gleichzeitig widerspiegeln.
Tätowierungen kommen fast gar nicht mehr vor – jene Tätowierungen, die nicht durch Einschnitte in die Haut, sondern durch seine Stiche ausgeführt wurden, welche man mit Kohlenpulver von der Aleurita triloba einpuderte. Dieses Verfahren ist durch die... Baumwollstoffe der Missionäre außer Mode gekommen.
»Diese Leute, sagt Yvernes, sind ein recht schöner Menschenschlag, jetzt aber doch vielleicht minder schön als damals, wo sie nur mit einem Schurz[158] bekleidet, mit den Haaren als einzige Kopfbedeckung und Pfeil und Bogen schwingend umherzogen.«
Diese Bemerkung fiel gelegentlich eines Ausflugs nach der Comptrollerbucht in Gesellschaft des Gouverneurs. Eyrus Bikerstaff hatte seine Gäste nach genannter Bucht zu führen gewünscht, die ebenso wie La Valette verschiedne Häfen einschließt, und in den Händen der Engländer wäre Nuka-Hiva ohne Zweifel zum Malta des Stillen Oceans geworden. Hier siedelt der Stamm der Happas auf fruchtbarem Boden mit einem kleinen Flusse, der von einem rauschenden Wasserfalle gespeist wird. Hier spielten sich auch in der Hauptsache die Kämpfe des Amerikaners Porter mit den Eingebornen ab.
Die Bemerkung Yvernes' verlangte eine Antwort, und der Gouverneur gab sie, indem er sagte:
»Vielleicht haben Sie Recht, Herr Yvernes. Die Marquisaner sahen einst stattlicher aus mit dem Lendenschurz, dem Maro und dem Pareo mit leuchtenden Farben, dem Ahu bun, einer Art wehender Schärpe, und mit ihrer Tiputa, einer Art mexikanischen Ponchos. Gewiß kleidet sie das moderne Costüm nicht besonders gut. Doch, Verfall ist einmal die Folge der Civilisation. Zur selben Zeit, wo unsre Missionäre daran gehen, die Eingebornen zu bekehren, nöthigen sie sie auch, sich etwas weniger lückenhaft zu bekleiden.
– Thun sie denn da nicht recht daran, Herr Gouverneur?
– In Rücksicht auf gesellschaftliche Formen, ja; vom hygienischen Gesichtspunkte aus betrachtet, nein! Seit sie anständiger gekleidet gehen, haben diese wie andre Insulaner ebenso an angeborner Kraft, wie an natürlicher Heiterkeit verloren. Sie langweilen sich, und das zehrt an ihrer Gesundheit. Früher kannten sie keine Bronchitis, keine Lungenentzündung, keine Sckwindsucht...
– Und seit sie nicht mehr ganz nackt gehen, holen sie sich den Schnupfen! ruft Pinchinat.
– Ganz richtig; hier sehen wir eine ernste Ursache des Untergangs der Rasse.
– Woraus ich schließe, läßt der Bratschist sich vernehmen, daß Adam und Eva erst seit dem Tage gehustet und geniest haben, wo sie Rock und Hosen trugen, nachdem sie aus dem irdischen Paradies vertrieben waren, was uns, ihren entarteten und doch verantwortlichen Kindern, die schönen Brustkrankheiten eingebracht hat.
– Uns, Herr Gouverneur, fragt Yvernes, schien es so, als ob die Frauen dieses Archipels weniger schön wären als die Männer...[159]
– Ebenso wie auf den andern Inselgruppen, antwortet Cyrus Bikerstaff, und doch sehen Sie hier den vollendetsten Typus der Oceanier vor sich. Sollte das nicht ein Naturgesetz sein, das den Rassen, die sich dem Zustande der Wildheit nähern, gemeinschaftlich ist? Trifft es nicht ebenso für die Thierwelt zu, wo wir allemal sehen, daß die männlichen Thiere die weiblichen an physischer Schönheit übertreffen?
– O, ruft Pinchinat, man muß wirklich bis zu den Antipoden gehen, um eine derartige Beobachtung, deren Richtigkeit unsre hübschen Pariserinnen nie zugeben würden, zu machen!«
Unter der Bevölkerung Nuka-Hivas giebt es nur zwei Classen, die dem Gesetze des Tabu unterworfen sind. Dieses Gesetz wurde von den Starken gegen die Schwachen, von den Reichen gegen die Armen erfunden, um sich ihre Vorrechte und ihren Besitz zu erhalten.
Das Tabu hat als Farbe weiß, und Gegenstände, die »tabuiert« sind, z. B. geheiligte Orte, Grabdenkmäler oder Häuptlingswohnungen, dürfen die kleinen Leute nicht berühren. Deshalb giebt es eine »Tabu-Classe«, zu der die Priester, die Zauberer oder Touas, die Akarkis oder Civilhäuptlinge gehören, und eine nicht dadurch geschützte Classe, der die Frauen und das gemeine Volk zugezählt werden. Und es ist nicht allein verboten, unter dem Tabu stehende Gegenstände zu berühren, sondern man darf auch nicht einmal die Blicke darauf richten.
»Und dieses Gesetz, fügt Cyrus Bikerstaff hinzu, wird auf den Marquisen ebenso streng gehandhabt, wie auf Pomotou oder den Gesellschaftsinseln, und ich würde Ihnen nicht rathen, meine Herren, gegen dasselbe zu verstoßen.
– Hörst Du es, braver Zorn? sagt Frascolin. Hüte Deine Hände und nimm Deine Augen in Acht!«
Der Violoncellist begnügt sich mit einem Achselzucken, als gingen ihm derlei Dinge gar nichts an.
Am 5. September hat Standard-Island den Ankerplatz bei Taio-Haë wieder verlassen. Es läßt im Osten die Insel Houa-Houna (Kuhuga), die östlichste der ersten Gruppe, liegen, von der nur die grünen Höhen in der Entfernung sichtbar werden und der es an jedem Strande gebricht, da sie überall von senkrecht abfallenden Ufern begrenzt wird. Natürlich verlangsamt Standard-Island auf der Fahrt längs dieser Inseln seine Geschwindigkeit, denn wenn eine solche Masse schnell vorüberglitte, würde das eine Sturmfluthwelle erzeugen, die alle Boote auf's Land werfen und die Ufer überschwemmen müßte. Man hält sichauch auf einige Kabellängen entfernt von Uapou, das mit seinen vielen Basaltnadeln einen merkwürdigen Anblick bietet. Zwei Buchten, die eine mit dem Namen »Possession«, die andre mit der Bezeichnung »Bai de Bon-Accueil« verrathen hierdurch, daß sie Franzosen als Taufpathen gehabt haben. In der That hatte der Kapitän Marchand hier einmal die Flagge Frankreichs gehißt.
Weiterhin und sich nach den Gewässern der zweiten Gruppe wendend, steuert Ethel Simcoë auf Hiva-Oa, oder mit ihrem spanischen Namen, die Insel Dominica zu. Vulcanischen Ursprungs und die größte des Archipels, mißt sie sechsundfünfzig Meilen im Umfange. Sehr deutlich kann man ihre aus schwärzlichem Gestein aufgebauten Steilufer sehen, ebenso wie die Wasserfälle, die sich von den mit üppigem Grün bedeckten Hügeln ihres Innern herabstürzen.
Eine Meerenge von drei Meilen Breite trennt diese Insel von Taou-Ata. Da Standard-Island diese nicht passieren konnte, mußte es letztere im Westen umschiffen, wo in die Bay Madre de Dios – auch Resolutions- oder Cooksbucht – die ersten europäischen Schiffe einliefen. Für diese Insel wäre es vortheilhafter. nicht so nahe bei Hiva-Oa zu liegen. Dann würde es weniger leicht zu Zank und Streit zwischen beiden kommen, und die Bewohner könnten sich nicht mit solcher Wuth hinschlachten, wie es jetzt der Fall ist.
Nachdem man noch an der unfruchtbaren, schutzlosen und unbewohnten Insel Motane vorübergekommen war, nimmt der Commodore Simcoë seine Richtung nach Fatou-Hiva, der alten »Insel Cook's«. Sie besteht eigentlich nur aus einem ungeheuern Felsen, auf dem es von Vögeln der Tropenzone wimmelt, aus einer Art Zuckerhut von drei Meilen Umkreis.
Das ist das letzte südwestliche Eiland, das die Milliardeser am 9. September nachmittags aus den Augen verlieren. Seiner Reiseroute gemäß steuert Standard-Island nun nach Südwesten, um zum Archipel von Pomotou zu gelangen, dessen mittleren Theil es durchschiffen soll. Die Witterung im September, der dem März der nördlichen Halbkugel entspricht, hält sich immer vorzüglich.
Am Morgen des 11. September hat eine Schaluppe des Backbordhafens eine der großen Bojen angelaufen, die eines der Kabel der Madeleinebay trägt. Das Ende des mit einer Guttaperchalage gänzlich isolierten Kupferdrahtes wird mit den Apparaten des Observatoriums verbunden, so daß nun eine telephonische Unterhaltung mit jenem Küstenpunkte Amerikas ermöglicht ist.
Die Direction der Standard-Island Company wird wegen der Schiffbrüchigen von der malayischen Ketsch darum befragt, ob dem Gouverneur zugestanden[163] wird, jene bis nach den Fidschi-Inseln mitzunehmen, von denen aus sie ihre Heimat leichter erreichen können.
Die Antwort lautet zustimmend, Standard-Island erhält sogar die Genehmigung, nach Westen bis zu den Neuen Hebriden zu gehen, um die Schiffbrüchigen daselbst ans Land zu setzen, vorausgesetzt, daß die Notabeln von Milliard-City dem zustimmen.
Cyrus Bikerstaff theilt das dem Kapitän Sarol mit, und dieser bittet den Gouverneur, den Directoren in der Madeleinebay dafür seinen Dank auszusprechen.
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