Achtes Capitel.
Fidschi und seine Bewohner.

[300] »Wie viel, sagst Du? fragt Pinchinat.

– Zweihundertfünfzig, lieber Freund, antwortet Frascolin. Ja, man zählt zweihundertfünfzig Inseln und Eilande, die zur Gruppe der Fidschi-Inseln gehören.

– Doch was interessiert das uns, antwortet Pinchinat, wenn das Juwel des Stillen Oceans daran nicht zweihundertfünfzigmal Halt macht?

– Du wirst doch nie etwas von Geographie lernen! erklärt Frascolin.

– Und Du... Du verstehst davon leider zuviel!« erwidert der Bratschist.

Der zweiten Geige geht es leider immer so, wenn sie den widerhaarigen Kameraden etwas lehren will.

Sebastian Zorn allein, der dafür noch eher zugänglich ist, läßt sich vor eine Wandkarte im Casino führen, auf der jeden Tag die Lage der Insel eingezeichnet wird. Hierdurch ist es leicht, die Reiseroute Standard-Islands seit der Abfahrt aus der Madeleinebay zu verfolgen. Diese Route bildet ein großes S, dessen unterer Bogen sich um die Fidschi-Inseln windet.

Frascolin zeigt dem Violoncellisten hier die Anhäufung der von Tasman 1613 entdeckten Inseln... einen Archipel, der einerseits zwischen dem 17. und 20. Grad südlicher Breite und andrerseits zwischen dem 174. Grade westlicher und dem 179. Grade östlicher Länge liegt.

»Wir werden uns also mit unsrer gewaltigen Maschine durch diese hunderte über den Weg zerstreute Kieselsteine wagen? bemerkt Sebastian Zorn.

– Jawohl, alter Kunstgenosse, antwortet Frascolin, und wenn es Dir beliebt, dabei richtig aufzupassen...

– Und den Mund geschlossen zu halten... wirst Pinchinat ein.

– Warum das?

– Weil in den geschlossenen Mund, sagt das Sprichwort, keine Mücke fliegen kann!

– Und von welcher Mücke sprichst Du?

– Von der, die Dich immer sticht, wenn sich Dir Gelegenheit bietet, Standard-Island herunterzumachen!«[300]

Sebastian Zorn zuckt verächtlich die Achseln und wendet sich Frascolin wieder zu.

»Du sagtest?...

– Ich sagte, daß sich, um die beiden großen Inseln Witi-Levu und Vanua-Levu zu erreichen, drei Durchgänge in der Ostgruppe bieten, der von Namuku, von Lakemba und der von Oneata...

– O den, worin wir in tausend Granatstückchen zerschellen! ruft Sebastian Zorn. Das wird uns schon nicht erspart bleiben! Hat es denn Sinn und Verstand, mit einer ganzen Stadt und einer großen Bevölkerung darin in solchen Gewässern herumzufahren? Nein, das streitet wider die Gesetze der Natur!

– Aha, die Mücke! spöttelt Pinchinat, da haben wir ja unsern Sebastian mit seiner Mücke!«

Bei den ewigen Unkenrufen des starrköpfigen Violoncellisten hatte er damit ja nicht ganz Unrecht.

In der That bildet in diesem Theil des Stillen Oceans die erste Gruppe der Fidschi-Inseln fast einen Schlagbaum für alle aus dem Osten kommenden Schiffe. Die Durchgänge sind indeß breit genug, so daß der Commodore Simcoë sich mit seinem schwimmenden Bauwerk getrost hineinwagen kann, abgesehen noch von denen, die Frascolin bezeichnet hatte. Unter diesen Inseln sind außer den beiden westlich gelegnen Levu, Ono Ngaloa und Kandabu die bedeutendsten.

Zwischen den aus dem Meeresgrund aufsteigenden Gipfeln breitet sich ein ganzes Meer, das Meer von Koro aus, und wenn der Archipel, den schon Cook zu Gesicht bekam und der von Bligh 1789 und von Wilson 1792 besucht wurde, so genau bekannt ist, so verdankt man das den denkwürdigen Reisen Dumont d'Urville's 1828 und 1833, denen des Amerikaners Wilkes 1839, des Engländers Erskine 1853 und endlich der Expedition des »Herald«, Kapitän Durham, von der britischen Marine, nach deren Angaben man so verläßliche Karten desselben, die den Hydrographen alle Ehre machen, zu entwerfen vermochte.

Der Commodore Simcoë hat also gar keine Ursache, zu zögern. Von Südosten kommend, läuft man in die Straße von Vulanga ein und läßt dabei die gleichnamige Insel – eine Art Schiffszwieback, der auf einem Korallenplateau liegt – zur Linken. Am nächsten Tage fährt Standard-Island auf das innere Meer ein, das von festen unterseeischen Bergketten gegen den Wogenschwall des Oceans geschützt ist.[301]

Natürlich ist noch nicht alle Furcht wegen der unter dem Schutze der britischen Flagge eingeführten Raubthiere verschwunden. Die Milliardeser halten noch immer die Augen offen. Durch die Gehölze werden auch jetzt noch dann und wann Treibjagden unternommen, doch ohne daß eine Spur von Raubthieren zu entdecken ist. Ebenso schweigt jedes Heulen und Brüllen. In der ersten Zeit weigern sich einzelne Furchtsame allerdings, nach dem Parke oder in die Felder hinauszugehen. Konnte man nicht befürchten, daß der Dampfer auch eine Ladung Schlangen – wie auf Martinique – eingeschmuggelt hatte, die sich doch noch irgendwo verbargen? Auf den Fang eines solchen Reptils war deshalb eine Prämie ausgesetzt worden. Man will jede Schlange mit Gold aufwiegen und so und so viel für jeden Centimeter der Länge geben, und wenn eine solche so groß wie eine Boa Constrictor wäre, würde das schon ein hübsches Sümmchen ausmachen. Da aber alle Nachsuchungen fruchtlos bleiben, kann man sich wohl beruhigen. Standard-Island hat seine ganze frühere Sicherheit wiedergewonnen. Die Urheber dieses Bubenstückes sind dabei nur um ihre Raubthiere gekommen.

Die wichtigste Folge der Sache ist jedenfalls die, daß dadurch eine vollständige Aussöhnung zwischen beiden Stadthälften stattgefunden hat. Seit dem Vorfall zwischen Walter und Coverley und dem zwischen diesem und Tankerdon besuchen sich gegenseitig die Familien von Steuerbord und Backbord, laden sich gegenseitig ein, und jetzt jagt eine Gesellschaft, eine Festlichkeit die andre. Jeden Abend findet bei den ersten Notabeln Ball und Concert statt, vorzüglich in dem Hôtel der Neunzehnten und dem der Fünfzehnten Avenue. Das Concert-Quartett kann kaum allen Anforderungen entsprechen. Uebrigens vermindert sich der Enthusiasmus für dessen Leistungen nicht, sondern scheint mehr und mehr zuzunehmen.

Endlich verbreitet sich eines Morgens, während Standard-Island mit seinen mächtigen Schrauben das ruhige Meer von Koro aufwühlt, die Nachricht, daß Jem Tankerdon sich officiell nach dem Hôtel Nat Coverley's begeben habe, um für seinen Sohn Walter Tankerdon um die Hand der Tochter des früheren Rivalen, der Miß Dy Coverley, anzuhalten, und daß Nat Coverley die Hand seiner Tochter, der Miß Dy Coverley, dem Walter Tankerdon, dem Sohne Jem Tankerdon's, zugesagt habe. Die Mitgistsangelegenheit hat keine Schwierigkeit bereitet. Die beiden jungen Leute sollen jedes mit zweihundert Millionen ausgestattet werden.[302]

»Da werden sie zur Noth immer etwas zu leben haben... selbst in Europa!« bemerkt Pinchinat sehr richtig.

Jetzt regnet es Glückwünsche von allen Seiten. Der Gouverneur Cyrus Bikerstaff sacht seine innerlichste Befriedigung gar nicht zu verhehlen. Durch diese Heirat verschwinden alle Ursachen zu Rivalitäten, die für die Zukunft Standard-Islands so gefährlich zu werden drohten. Der König und die Königin von Malecarlien sind die ersten, die dem Brautpaare ihre besten Wünsche zu erkennen geben. Die Briefkästen der beiden Hôtels ersticken durch Karten, die in oder auf Aluminium gedruckt sind. Die Journale verzeichnen einmal über das andre die in Aussicht stehenden Herrlichkeiten... wie man solche in Milliard-City noch niemals und in der andern Welt erst recht noch nicht gesehen hat. Nach Frankreich gehen Kabeltelegramme ab, durch die die Ausstattung bestellt wird. Die Magazine für Neuigkeiten, die größten Modewaarengeschäfte, die berühmtesten Damenschneiderateliers, die Fabriken für Bijouteriewaaren und Kunstgegenstände erhalten ganz unglaubliche Aufträge. Ein eigner Dampfer, der von Marseille auslaufen soll, soll durch den Suezcanal und den Indischen Ocean diese Wunder der französischen Industrie hierher befördern. Die Hochzeit ist für die Zeit nach fünf Wochen, auf den 27. Februar, festgesetzt. Es versteht sich von selbst, daß auch die Kaufleute von Milliard-City bei der Sache nicht leer ausgehen. Auch sie haben ihren Theil zur Ausstattung beizutragen, und mit den Ausgaben, die sich die Nabobs von Standard-Island erlauben, ließe sich hiervon allein ein hübsches Vermögen zusammenbringen.

Der Organisator der bevorstehenden Festlichkeiten ist selbstverständlich der Oberintendant Calistus Munbar. Auf eine Schilderung seines Seelenzustandes nach der Veröffentlichung der Verlobung Walter Tankerdon's und Miß Dy Coverley's müssen wir freilich verzichten, der freundliche Leser weiß ja, wie er dieses Bündniß herbeigewünscht, wie er es zu Stande zu bringen sich bemüht hat. Das ist die Verwirklichung seines Traumes, und da ihm von oben herab freie Hand gelassen wird, darf man darauf vertrauen, daß er seine Sache machen und eine alles übertreffende Festlichkeit veranstalten wird.

Der Commodore Simcoë theilt den Journalen mit, daß die Propeller-Insel sich an dem zur Trauung bestimmten Tage zwischen den Fidschi-Inseln und den Neuen Hebriden befinden wird. Vorher solle sie noch Viti-Levu anlaufen und da einen zehntägigen Aufenthalt nehmen, den einzigen, der in diesem Archipel geplant ist.[303]

Herrliche Fahrt! Auf dem Meer spielen zahlreiche Walfische. Die Tausende von Wasserstrahlen, die sie emporwerfen, bilden fast ein Neptunbassin, »wogegen das in Versailles nur ein Kinderspiel ist« – bemerkt Yvernes. Freilich zeigen sich auch Hunderte von Haifischen, die Standard-Island wie ein dahinsegelndes Schiff verfolgen.

Dieser Theil des Großen Oceans begrenzt Polynesien, das wieder mit Melanesien zusammenstößt, in dem die Gruppe der Neuen Hebriden zu suchen ist. Ihn durchschneidet der 180. Längengrad (von Paris) – jene angenommene Linie, die den ungeheuern Ocean in zwei Hälften theilt. Kommen sie an und über den genannten Meridian, so streichen die von Osten heransegelnden Seeleute einen Tag aus ihrem Kalender, während umgekehrt die von Westen kommenden einen hinzufügen (das heißt, ein und denselben Kalendertag zweimal rechnen). Ohne diese Maßregel würde es keine Uebereinstimmung der Daten geben. Im vergangnen Jahre hatte Standard-Island damit nichts zu schaffen gehabt, da es nach Westen über jenen Meridian nicht hinauskam. Dieses Mal mußte es sich aber der allgemeinen Regel anschließen, und da es von Osten herkommt, verwandelt sich der 22. in den 23. Januar.

Von den zweihundertfünfzig Inseln, die die Fidschigruppe bilden, sind nur etwa hundert bewohnt und die Bevölkerung übersteigt kaum hundertachtundzwanzigtausend Seelen... für einundzwanzigtausend Quadratkilometer eine geringe Dichtigkeit.

Unter diesen Inseln nämlich, die nur einfache Fragmente von Atolls oder die Kuppeln unterseeischer Berge sind, die noch ein Korallenkranz umschließt, hat keine über hundertfünfzig Quadratkilometer Bodenfläche. In politischer Hinsicht gehört das ganze mit zu Australasien und ist erst seit 1874 von der Krone abhängig. Das heißt mit andern Worten, daß England es ohne viele Umstände seinem Colonialbesitz einverleibt hat. Daß die Bewohner von Fidschi sich endlich entschlossen, die britische Schutzherrschaft anzuerkennen, kam vorzüglich daher, daß sie 1859 von einer tongischen Invasion bedroht waren, die das Vereinigte Königreich durch das Dazwischentreten seines berüchtigten Pritchard, des Pritchard von Tahiti, verhinderte. Der Archipel ist jetzt in siebzehn Bezirke getheilt, die von eingebornen Unterhäuptlingen, lauter näheren oder entfernteren Verwandten der Herrscherfamilie des letzten Königs Thakumbau, verwaltet werden.

»Ist es eine Folge des englischen Systems... fragt der Commodore Simcoë, der sich mit Frascolin über dieses Thema unterhält, daß es den[304] Bewohnern der Fidschi-Inseln ebenso ergehen wird wie den Tasmaniern? Ich weiß es nicht, Thatsache bleibt aber doch, daß die Zahl der Urbewohner immer mehr abnimmt. Die Colonie macht keine Fortschritte, weder in ihrer Entwicklung, noch in der Zunahme der Bevölkerung, wofür schon die geringe Zahl der Frauen gegenüber der der Männer den Beweis liefert.

– Das ist allerdings das Zeichen des baldigen Verlöschens einer Rasse, antwortet Frascolin, und in Europa giebt es auch einige Staaten, die an solchem Frauenmangel leiden.[305]

– Hier sind übrigens, fährt der Commodore fort, die Eingebornen nicht wirkliche Leibeigne, so wenig wie die der benachbarten Inseln, die von den Pflanzern vielfach zur Urbarmachung des Bodens gemiethet werden. Sie gehen an Krankheiten zu Grunde, und zum Beispiel 1875 starben nur an den Blattern nicht weniger als dreißigtausend! Dennoch bleibt es ein herrliches Stückchen Erde, dieses Fidschi, wovon Sie sich ja noch selbst überzeugen werden. Ist die Temperatur im Innern der Insel auch recht hoch, so hält sie sich doch in mäßigeren Grenzen am Küstengebiete, das reich an Früchten und Gemüsen, wie auch an Cocospalmen, Bananen u. s. w. ist. Und die Leute haben eigentlich weiter nichts zu thun, als die Ignamen, die Taros – diese Aroidee spielt in der Ernährung der Eingebornen im Großen Ocean überhaupt eine sehr wichtige Rolle – und das nahrhafte Mark der Palmen, aus dem der Sago bereitet wird, einzuernten!


Die Flora der Insel ist von tropischer Ueppigkeit. (S. 309.)
Die Flora der Insel ist von tropischer Ueppigkeit. (S. 309.)

– Der Sago! ruft Frascolin. Welche Erinnerung an unsern Schweizer Robinson!

– Was Schweine und Hühner betrifft, fuhr der Commodore Simcoë fort, so haben sich diese seit ihrer Einführung hier erstaunlich vermehrt. Aus dem allen ergiebt sich, daß es den Bewohnern sehr leicht wird, die nothwendigsten Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Leider neigen die Eingebornen deshalb auch zu tadelnswerther Trägheit, zum far niente, obwohl sie recht intelligent und beweglichen Geistes sind...

– Nun, wenn sie so geistvoll sind... unterbricht ihn Frascolin.

– Achten sie doch nicht auf ihre Kinder, die früh wegsterben,« erwidert der Commodore Simcoë.

In der That scheinen alle Eingebornen, die Polynesier, die Melanesier und andre, sich um die Kinderpflege blutwenig zu bekümmern.

Auf der Weiterfahrt nach Viti-Levu kommt Standard-Island noch an mehreren dazwischen liegenden Inseln, wie Vagua-Vatou, Moala und Ngan vorbei, ohne sich jedoch aufzuhalten.

Von allen Seiten umschwärmen seine Ufer ganze Flottillen von langen Piroguen mit gekreuzten Bambusstangen als Auslegern, die zur Erhaltung des Gleichgewichts des Bootes und zur Unterbringung der Ladung dienen. Sie kommen gelegentlich wohl näher, machen aber keinen Versuch, in einen der beiden Häfen einzudringen. Bei dem schlechten Rufe, in dem die Bewohner der Fidschi-Inseln stehen, hätte man es ihnen auch schwerlich gestattet.[306]

Die Leute sind übrigens Christen geworden. Seit sich europäische Missionäre 1835 in Lecumba niederließen, sind fast alle wesleyanische Protestanten, untermischt mit einigen tausend Katholiken. Früher huldigten sie aber dem Cannibalismus so unmäßig, daß sie auch jetzt den Geschmack an Menschenfleisch noch nicht verloren haben dürften. Das hängt mit ihrer alten Religion zusammen. Ihre Götter liebten das Blut. Friedfertiges Wohlwollen wurde unter diesen Völkerschaften für eine Schwäche, eine Sünde angesehen. Damit, daß man einen Feind verzehrte, that man ihm noch eine Ehre an; den Mann, den man verachtete, ließ man zwar kochen, aß ihn aber nicht. Kindliche Körper bildeten bei den Festmahlen das Hauptgericht, und die Zeit ist noch gar nicht fern, wo der König Thakumbau es liebte, unter einem Baum zu sitzen, an dessen Zweigen überall für die königliche Tafel bestimmte Gliedmaßen hingen. Zuweilen wurde auch ein Stamm – und das ist den Nulocas auf Viti-Levu in der Nähe von Namosi widerfahren – bis auf wenige Frauen vollständig aufgezehrt. Eine dieser Frauen lebte noch im Jahre 1880.

Findet Pinchinat nun nicht auf irgendeiner dieser Inseln noch Enkelkinder von Menschenfressern, die die Sitte ihrer Großväter bewahrt haben, so wird er wohl darauf verzichten müssen, einen Rest von Localfarbe auf den Archipelen des Stillen Oceans zu Gesicht zu bekommen.

Die Westgruppe der Fidschis enthält zwei große Inseln, Viti-Levu und Vanua-Levu, nebst zwei mittleren, Kantavu und Taviuni. Mehr im Nordwesten liegen die Inseln Wassava und öffnet sich der Canal der Insel Ronde, durch den der Commodore Simcoë steuern muß, um nach den Neuen Hebriden hinauf zu gelangen.

Am Nachmittage des 25. Januar werden die Höhen von Viti-Levu am Horizonte sichtbar. Diese bergige Insel ist die bedeutendste des Archipels, etwas um ein Drittel größer als Corsica, das heißt, sie umfaßt zehntausendsechshundertfünfundvierzig Quadratkilometer.

Ihre Gipfel erheben sich bis auf zwölf- und sogar fünfzehnhundert Meter über das Meer. Es sind erloschne oder wenigstens eingeschlafne Vulcane, deren Wiedererwachen allemal recht unerwünscht sein dürfte.

Viti-Levu ist mit seiner nördlichen Nachbarin Vanua-Levu durch eine unterseeische Klippenreihe verbunden, die in der Urzeit jedenfalls über die Wasserfläche emporragte. Ueber diese Barre konnte sich Standard-Island jedoch ruhig hinwegbegeben. Uebrigens schätzte man sonst die Wassertiefe nördlich von Viti-Levu[307] auf vier- bis fünfhundert, und südlich davon auf fünfhundert bis zweitausend Meter.

Die Hauptstadt des Archipels war früher Levuka auf der Insel Ovalau, im Osten von Viti-Levu. Die von englischen Häusern gegründeten Handelsniederlassungen sind daselbst vielleicht auch jetzt noch bedeutender als die von Suva, der gegenwärtigen Hauptstadt auf der Insel Viti-Levu. Dieser Hafenplatz bietet aber der Schiffahrt besondre Vortheile, da er zwischen zwei Deltas im äußersten Südosten der Insel liegt. Der Landungsplatz der Packetboote, die nach den Fidschi-Inseln kommen, befindet sich in der Bucht von Ngalao, im Süden der Insel Kalandava und am nächsten dem benachbarten Neuseeland, Australien und den französischen Besitzungen von Neu-Caledonien und den Loyalty-Inseln.

Standard-Island geht vor dem Hafen von Suva vor Anker. Alle Formalitäten werden noch an demselben Tage erfüllt und der gegenseitige freie Verkehr gestattet. Da das für die Colonisten ebenso wie für die Eingebornen nur von Vortheil sein kann, sind die Milliardeser sich eines vortrefflichen Empfanges sicher, woran freilich wohl mehr das Interesse als die Sympathie Antheil haben. Man darf hier auch nicht vergessen, daß die Fidschi-Inseln von der Krone abhängen, und daß die Beziehungen zwischen dem Foreign-Of fice und der Standard-Island Compagnie, die auf ihre Unabhängigkeit so eifersüchtig ist, von jeher gespannter Natur waren.

Am nächsten Tage, dem 26. Januar, begeben sich die Händler von Standard-Island, die Einkäufe und Verkäufe abschließen wollen, frühzeitig ans Land. Die Touristen, und darunter unsre Pariser, bleiben natürlich nicht zurück. Obgleich Pinchinat und Yvernes gern Frascolin – den Lieblingsschüler des Commodore Simcoë – wegen seiner »ethno-rasantogeographischen« Studien, wie Seine Hoheit sagt, etwas aufziehen, ziehen sie doch ebenso gern aus seinen Kenntnissen Vortheil. Auf die Fragen seiner Kameraden über die Bewohner von Viti-Levu und über ihre Sitten und Gebräuche hat die zweite Violine stets eine lehrreiche Antwort zur Hand. Heute läßt sich sogar Sebastian Zorn herab, sich fragend an ihn zu wenden, und als Pinchinat dabei erfährt, daß dieses Land vor gar nicht so langer Zeit noch der Hauptschauplatz der Menschenfresserei gewesen sei, kann er einen Seufzer nicht unterdrücken und sagt:

»Ach ja... wir aber kommen zu spät, und Ihr werdet sehen, daß diese von der Civilisation entnervten Fidschier bis aufs Hühnerfricassée heruntergekommen und Seiner Majestät dem Schweine zu Füßen gefallen sind![308]

– Du Anthropophage! ruft ihm Frascolin zu, Du hättest verdient, die Tafel des Königs Thakumbau zu zieren...

– He, ein Entrecôte von Pinchinat à la Bordelaise...

– Schweigt nur still, erwidert Sebastian Zorn, wenn wir mit unnützen Redereien unsre Zeit verlieren...

– So werden wir durch den Vormarsch auch keinen Fortschritt erzielen! ruft Pinchinat. Da hast Du eine unklare Phrase, wie Du sie liebst, mein alter Violoncellist! Doch Du hast Recht, also vorwärts marsch!«

Die an der rechten Seite einer kleinen Bucht erbaute Stadt Suva bedeckt mit ihren Häusern den Abhang eines grünenden Hügels. Sie hat Quais zum Anlegen für die Schiffe, Straßen mit Trottoirs aus Holzplanken, ganz so, wie man sie häufig in Seebädern am Strande findet. Die hölzernen, meist nur aus einem Erdgeschoß, zuweilen, doch selten, noch aus einem Obergeschoß bestehenden Häuser sind freundlich und kühl. In der Umgebung sieht man Hütten der Eingebornen mit in Hörner auslaufenden und mit Muscheln verzierten Giebelstöcken. Die recht solid hergestellten Dächer widerstehen auch den stärksten Regengüssen, die zwischen Mai und October vorkommen. Im März 1871, so berichtet Frascolin, der in der Statistik zu Hause ist, wurden in Mbua, an der Ostseite der Insel, an einem Tage achtunddreißig Centimeter Niederschlag beobachtet.

Viti-Levu hat, ebenso wie die andern Inseln des Archipels, ein recht ungleichmäßiges Klima, und die Vegetation wechselt von einer Küste zur andern. An der dem Südostpassat ausgesetzten Seite ist die Luft sehr feucht und der Boden mit prächtigen Wäldern bedeckt, auf der andern Seite findet man ausgedehnte, zur Cultur geeignete Savannen.

Verschiedne Baumarten scheinen im Aussterben begriffen, darunter der schon fast ganz verschwundne Santelholzbaum und der Dakua, die den Fidschis eigenthümliche Fichte.

Bei seinen Streifereien überzeugt sich das Quartett jedoch, daß die Flora der Insel von tropischer Ueppigkeit ist. Ueberall erheben sich Wälder von Cocos- und von andern Palmen, an deren Stämmen sich farbenprächtige Orchideen hinaufwinden, oder dichte Gehölze – von Casuarineen, Pandanusarten, Baumfarrn, und in mehr sumpfiger Gegend große Mengen von Wurzelträgern, deren Wurzeln sich über den Erdboden ausbreiten und verschlingen. Baumwoll- und Theepflanzungen haben jedoch nicht die Ergebnisse geliefert, die man nach dem Klima hier hätte erwarten dürfen. Der Boden von Viti-Levu, wie überhaupt[309] auf der ganzen Gruppe, besteht aus gelblichem Thon, ursprünglich aus vulcanischer Asche, die sich nur nach und nach zu fruchtbarer Erde umgesetzt hat.

Die Fauna ist ebenso formenarm wie fast überall im Stillen Ocean; sie enthält nur etwa vierzig Arten von Vögeln, Papageien und acclimatisierte Zeisige, Fledermäuse, ferner Ratten zu Legionen, nichtgiftige Reptilien, die von den Eingebornen sehr gern gegessen werden, Eidechsen, daß man sich vor ihnen kaum retten kann, und widerwärtige Schaben von greulicher Gefräßigkeit. Raubthiere dagegen gibt es nicht, was Pinchinat veranlaßt, sich wieder einmal in gewohnten Spottreden zu ergehen.

»Unser Gouverneur, Cyrus Bikerstaff, hätte einige Paare Löwen, Tiger, Panther, Krokodile und ähnliches Gelichter aufheben und sie hier auf Fidschi in Freiheit setzen sollen... das wäre doch nur eine Wiedererstattung, da sie ja ursprünglich England gehörten.«

Die Eingebornen, eine Mischung von Polynesiern und Melanesiern, zeigen noch einen ziemlich hübschen Typus, wenn sie den Bewohnern von Samoa und der Marquisen auch nachstehen. Die großen, kräftigen Männer, unter denen es übrigens viele Mestizen giebt, haben dunkelkupferfarbenen, fast schwarzen Teint und krauses, dickes Wollhaar. Ihre Bekleidung läßt viel zu wünschen übrig und besteht meist aus einem einfachen Schurz oder einer Decke, die aus einheimischem Stoffe, dem »Masi«, hergestellt ist, den man aus einer Art Maulbeerbaum – welcher auch das Papier liefert – zu gewinnen versteht. Zuerst ist dieser Stoff blendend weiß; die Leute verstehen ihn aber zu färben und streifig zu machen und versenden viel davon nach allen Inselgruppen des östlichen Großen Oceans. Die Männer tragen jedoch auch gern alte Sachen aus Europa, die von den Trödlermärkten Deutschlands oder des Vereinigten Königreichs herstammen. Es macht dann einen höchst lächerlichen Eindruck, die Eingebornen in unförmiger Hofe, abgeschabtem Ueberzieher oder auch in einem schwarzen Gehrock einherstolzieren zu sehen, der, zerrissen und abgetragen, sich schließlich auf den Rücken eines Stutzers von Viti-Levu verirrt hat.

»Aus einem solchen Rocke könnte man einen ganzen Roman machen, bemerkt Yvernes.

– Ja, einen Roman, der damit endete, daß jener zu einer Weste würde!« antwortet Pinchinat.

Die Frauen kleiden sich – trotz wesleyanischer Predigten – mehr oder weniger decent mit einem Röckchen und einem Caraco aus Masi. Ziemlich gut[310] gewachsen, können sie, wenigstens so lange sie der Reiz der Jugend schmückt, sogar für hübsch gelten. Nur haben sie die abscheuliche Gewohnheit – ganz wie die Männer – das reiche schwarze Haar so stark mit Kalk einzupudern, daß dieser eine wirkliche Mütze bildet, die sie ihrer Meinung nach mehr vor den glühenden Sonnenstrahlen schützt. Ferner rauchen sie wie ihre Gatten und Brüder einheimischen Tabak, der wie verbranntes Heu riecht, und wenn sie die Cigarette nicht zwischen den Lippen umher wälzen, wird diese durch das Ohrläppchen ganz in derselben Weise gesteckt, wie man in Europa Perlen- und Diamantengehänge trägt.

Im allgemeinen sind die Frauen nicht besser daran, als Sclavinnen. Sie müssen die schwersten Arbeiten verrichten, und die Zeit liegt noch nicht fern, wo man sie, nachdem sie sich für ihre Eheherrn abgeplagt hatten, auf deren Grabe einfach erwürgte.

Im Laufe der drei Tage, die unsre Touristen zu Ausflügen in die Nachbarschaft von Suva benützten, versuchten sie mehrmals, auch in Hütten der Eingebornen einzudringen. Das war ihnen aber unmöglich, nicht etwa wegen der Ungastlichkeit der Insassen, sondern wegen des widerlichen Gestanks, der darin herrschte. Die Leute salben sich über und über mit Cocosöl ein, leben mit ihren Schweinen, Hunden und Katzen zusammen, hüllen sich in übelriechende Lumpen, beleuchten ihre Wohnungen durch Verbrennung von Dammanagummi, so daß ein Fremder fast erstickt... nein, in einer solchen Hütte war es nicht auszuhalten. Wer übrigens am häuslichen Herde eines Fidschiers Platz nahm, der muß auch, wenn er nicht einen argen Verstoß begehen will, seine Lippen mit dem ekelhaften Kava benetzen, einem Liqueur, den die Eingebornen über alles lieben. Ist dieser Kava, der aus gedörrten Wurzeln des Pfefferbaumes gewonnen wird, europäischen Lippen schon an und für sich zuwider, so wird er es noch mehr durch die Art seiner Zubereitung. Man weicht die pfefferige Masse nicht etwa ein, sondern kaut sie, zerreibt sie zwischen den Zähnen und spuckt sie schließlich in ein Gefäß mit Wasser aus. Dieses ekelhafte Gemisch wird dann jedem Gaste so eindringlich aufgenöthigt, daß man kaum abschlagen kann, es anzunehmen. Man hat nur seinen Dank dafür auszusprechen, und zwar mit den im ganzen Archipel üblichen Worten: »E mana ndina«, das heißt: »Amen«.

Nur der Vollständigkeit wegen erwähnen wir hier noch der Schaben, die überall umherkriechen, der weißen Ameisen, die die zerlumpte Kleidung noch weiter zerstören, und der Moskitos – Moskitos zu Millionen – die man an[311] den Wänden, auf dem Fußboden und an den Kleidern der Eingebornen in zahlloser Menge sich tummeln sieht.

So erscheint es nicht auffällig, daß Seine Hoheit mit dem comico-britanischen Accent der englischen Clowns beim Erblicken dieser entsetzlichen Insecten ausrief:

»Miustic!... Miustic!«

Jedenfalls hatten weder er noch seine Kameraden den Muth, in eine Fidschier Hütte einzudringen. Aus diesem Grunde bleiben ihre ethnologischen Studien also unvollkommen; ja sogar der gelehrte Frascolin war davor zurückgeschreckt, was eine bedauerliche Lücke in seinen Reiseerinnerungen zurückließ.

Quelle:
Jules Verne: Die Propeller-Insel. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXVII–LXVIII, Wien, Pest, Leipzig 1897, S. 300-312.
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