[312] Während unsre Künstler sich lustwandelnd einen Einblick in die auf diesem Archipel herrschenden Sitten verschafften, verschmähten es einige der Notabeln von Standard-Island nicht, mit dessen einheimischen Behörden in Verbindung zu treten. Die »Papalangis« – so nennt man hierzulande die Fremden – brauchten nicht zu fürchten, einen schlechten Empfang zu finden.
Was die europäischen Behörden angeht, so werden diese durch einen General-Gouverneur vertreten, der gleichzeitig als englischer General-Consul für die westlichen, dem Protectorate des Vereinigten Königreichs mehr oder weniger unterworfnen Gruppen amtiert. Cyrus Bikerstaff glaubte von einem officiellen Besuche desselben absehen zu können. Zwei- oder dreimal haben sich die beiden Herren steif gegrüßt, weiter gingen die Beziehungen zwischen ihnen aber nicht.
Mit dem deutschen Consul, gleichzeitig einem der größten Händler des Landes, kam es nur zu dem üblichen Austausche der Karten.
Während des Aufenthalts hatten die Familien Tankerdon und Coverley Ausflüge in die Umgebungen von Suva und in die Wälder veranstaltet, die seine Höhen bis zum Gipfel bekleiden.
Mit Bezug darauf bemerkte der Oberintendant gegen seine Freunde vom Quartett mit vollem Rechte:
»Wenn unsre Milliardeser so besondre Vorliebe für Spaziergänge nach großen Höhen verrathen, so kommt das daher, daß unser Standard-Island zu flach und einförmig ist. Ich hoffe aber, man wird es eines Tags noch mit einem künstlichen Berge versehen, der sich mit allen Höhen im Stillen Ocean messen kann. Inzwischen lassen unsre Stadtkinder keine Gelegenheit vorübergehen, um die reine und belebende Luft der Berge zu athmen. Das entspricht einem Bedürfnisse der Menschennatur...
– Sehr schön, sagt Pinchinat. Doch einen Rath, mein lieber Eucalistus! Wenn Sie Ihren Berg aus Stahlblech oder Aluminiumplatten construieren, dann vergessen Sie nicht, einen hübschen Vulcan darin unterzubringen... einen Vulcan mit Rauchkammern und Feuerwerk...
– Und warum das nicht, mein Herr Spaßvogel? fällt Calistus Munbar ein.
– Ja, das hab' ich mir eben auch gesagt: Warum das nicht?« antwortet Seine Hoheit.
Es versteht sich, daß Walter Tankerdon und Miß Dy an jenen Ausflügen theilnehmen und dabei Arm in Arm dahinwandeln.
Natürlich werden daneben auf Viti-Levu auch die Sehenswürdigkeiten seiner Hauptstadt besucht, jener »Mbure-kalu« oder Tempel der Geister, und das Local für die politischen Versammlungen. Diese auf einem Untergrund von Steinen errichteten Bauwerke bestehen aus Bambus, aus Stämmen, die mit einer Art vegetabilischer Passementerie überzogen sind, und aus sinnreich verbundnen Latten, die das Strohdach tragen. Die Touristen besichtigen ferner das sehr gesund liegende Krankenhaus und den botanischen Garten, der sich amphitheatralisch hinter der Stadt ausbreitet. Zuweilen dehnen sich diese Spaziergänge bis zum Abend aus, und dann geht es, wie in der guten alten Zeit, mit der Laterne in der Hand nach Hause. Bis zu Gasometern, Auer'schem Glühlicht, Bogenlampen oder bis zum Acetylen ist man auf den Fidschi-Inseln noch nicht vorgeschritten, das wird aber »unter deim erleuchteten Protectorate Großbritanniens« schon nicht ausbleiben, meint Calistus Munbar.
Der Kapitän Sarol, seine Malayen und die in Samoa eingeschifften Neu-Hebridier verbleiben auch während des hiesigen Aufenthalts bei ihrer gewohnten Lebensweise. Sie gehen nicht ans Land, da ihnen Viti-Levu schon bekannt ist, die einen, weil sie es bei Betreibung der Küstenschiffahrt häufiger[315] besucht, die andern, weil sie hier für Rechnung von Farmern schon gearbeitet haben. Sie ziehen es beiweitem vor, auf Standard-Island zu bleiben, das sie unablässig durchstreifen und dabei die Stadt, die Häfen, den Park, die Felder und die Batterien am Rammsporn und am Achter besuchen. Noch wenige Wochen, und die wackern Leute werden, dank der Gefälligkeit der Compagnie und dem Wohlwollen Cyrus Bikerstaff's, in ihrer Heimat, nach fünfmonatlicher Fahrt auf der Propeller- Insel, wieder eintreffen.
Manchmal plaudern unsre Künstler mit Sarol, der recht gut beanlagt ist und sich der englischen Sprache ganz geläufig bedient. Sarol erzählt ihnen mit wahrer Begeisterung von den Neuen Hebriden, von den Eingebornen dieser Gruppe, von ihrer Ernährungsweise und ihrer Kochkunst, was vorzüglich den Bratschisten interessiert. Pinchinat's geheimer Ehrgeiz strebte danach, womöglich ein neues Gericht zu entdecken, dessen Recept er dann den gastronomischen Gesellschaften des alten Europa mittheilen wollte.
Am 30. Januar brechen Sebastian Zorn und seine Kameraden in einer ihnen vom Gouverneur überlassenen elektrischen Schaluppe des Steuerbordhafens auf, um die Rewa, einen der Hauptflüsse des Landes, hinauszufahren. In dem Fahrzeuge haben noch der Führer desselben, ein Mechaniker, zwei Matrosen und ein einheimischer Lootse Platz genommen. Athanase Dorémus hat man vergeblich angeboten, sich den Ausflüglern anzuschließen. In dem Tanz- und Anstandslehrer ist jedes Gefühl der Neugierde eingeschlafen... dann könnte sich während seiner Abwesenheit auch ein Schüler anmelden wollen, und er zieht es deshalb vor, im Casino auszuharren.
Um sechs Uhr morgens verläßt die Schaluppe, gut ausgerüstet und, weil sie erst am Abend zurückkehren soll, auch mit einigem Mundvorrath versehen, die Bay von Suva und steuert längs der Küste nach der Rewamündung hin.
Auf der Fahrt zeigen sich nicht nur viele Klippen, sondern auch viele Haifische, und es gilt darum, sich vor beiden in Acht zu nehmen.
»Pah! stößt Pinchinat hervor, Eure Haifische, das sind ja nicht einmal Salzwasser-Cannibalen mehr! Die englischen Missionäre haben sie gewiß ebenso wie die Fidschianer zum Christenthum bekehrt!... Wetten wir, daß die Bestien den Geschmack an Menschenfleisch ganz verloren haben?
– Verlassen Sie sich darauf nicht, antwortet der Pilot... so wenig als man sich auf die Fidschi-Insulaner des Innern verlassen kann.«[316]
Pinchinat begnügt sich mit einer wegwerfenden Geberde. Seiner Ansicht nach hat man ihm doch nur etwas weiß gemacht mit den angeblichen Menschenfressern, die sich nicht einmal an Feiertagen als solche erweisen.
Der Lootse kennt die Bay und den Lauf der Rewa ganz genau. In diesem großen Flusse, der auch Wat-Levu genannt wird, verspürt man die Fluth bis fünfundvierzig Kilometer von der Mündung und Barken können auf ihm bis achtzig Kilometer weit hinaufsegeln.
An der Mündung ist die Rewa über hundert Toisen breit. Sie verläuft zwischen sandigen, niedrigen Ufern an der linken und zwischen hügligen Ufern, die einen üppigen Bestand von Bananen und Cocospalmen zeigen, an der rechten Seite. Ihr Name ist eigentlich Rewa-Rewa, entsprechend jener Verdoppelung der Wörter, wie sie den Völkerschaften des Stillen Oceans fast gemeinsam ist. Wie Yvernes bemerkt, findet man dasselbe ja in den kindlichen Ausdrücken, wie »Papa«, »Mama«, »Dada«, »Bonbon« u. s. w. – In der That scheinen die Eingebornen hier noch ganz in den Kinderschuhen zu stecken.
Die eigentliche Rewa entsteht aus der Vereinigung des Waï-Levu (Großen Wassers) und des Waï-Manu und seine Hauptmündung führt den Namen Waï-Ni-ki.
Nach Durchschiffung des Stromdeltas gleitet die Schaluppe an dem Dorfe Komba vorüber, das halb versteckt in einem wahren Blumenkorbe liegt. Um die Fluthwelle möglichst auszunützen, wird weder hier, noch am Dorfe Naitasiri angehalten. Uebrigens war letzteres unlängst für »tabu« erklärt worden, ein Bann, der sich auf seine Häuser, Bäume, Einwohner und über den Strand hin erstreckte, den das Wasser der Rewa benetzt. Die Eingebornen hätten niemand gestattet, hier den Fuß ans Land zu setzen. Das Tabu ist einmal eine, wenn auch nicht gerade sehr ehrwürdige, doch eine sehr verehrte Sitte – Sebastian Zorn wußte schon etwas davon – und man schenkte ihr die gebührende Beachtung.
Beim Vorüberfahren vor Naitasiri macht der Lootse die Ausflügler auf einen hohen Baum, einen Tavala, aufmerksam, der sich an einer Einbiegung des Ufers erhebt.
»Was ist's denn so Merkwürdiges mit diesem Baume? fragt Frascolin.
– O, erklärt der Lootse, nichts anders, als daß seine Rinde von der Wurzel bis zur Gabelung durch Einschnitte gestreift ist. Diese Einschnitte bezeichnen die Anzahl menschlicher Körper, die an der Stelle selbst gekocht und aufgezehrt wurden....[317]
– So, als ob Einer von den Kerben auf dem Theilholze des Bäckers spräche!« bemerkt Pinchinat, der ungläubig mit den Achseln zuckt.
Er hat aber Unrecht. Die Fidschi-Inseln sind vor allem der Sitz des Cannibalismus gewesen, der den Berichten nach daselbst auch jetzt noch nicht ganz außer Gebrauch gekommen ist. Die Feinschmeckerei wird ihn unter den Stämmen des Landesinnern noch lange erhalten. Ja, die Feinschmeckerei, denn nach den Aussagen der Eingebornen hat nichts einen so köstlichen Geschmack wie das Menschenfleisch, das den des Rindfleisches weit übertreffen soll. Konnte man dem Lootsen glauben, so hat es hier einen Häuptling gegeben, Ra-Undrenudu genannt, der auf seinem Besitzthum Steine aufrichten ließ, und bei sei nem Ableben belief sich deren Anzahl auf achthundertzweiundzwanzig.
»Und wissen Sie auch, was diese Steine bedeuteten?...
– Das zu errathen, ist uns unmöglich, antwortet Yvernes, selbst wenn wir unsern ganzen Musikantenscharfsinn daransetzen.
– Sie bedeuteten die Anzahl menschlicher Körper, die jener Häuptling verzehrt hatte.
– Ganz allein?...
– Gewiß, ganz allein!
– Das ist ein tüchtiger Esser gewesen!« begnügt sich Pinchinat, der sich seine Ansicht über die »windbeuteligen Fidschi-Insulaner« schon gebildet hat, einfach zu antworten.
Gegen elf Uhr ertönt auf dem rechten Ufer eine Glocke. Zwischen Buschwerk und beschattet von Bananen und Cocospalmen wird das aus wenigen Strohhütten bestehende Dorf Naililii sichtbar. Auf die Frage der Touristen, ob sie hier nicht eine Stunde anhalten könnten, um mit dem Missionär, einem Landsmanne, einen Händedruck zu wechseln, antwortet der Lootse bejahend, und so wird das Boot an einem Baumstamme festgelegt.
Sebastian Zorn und seine Kameraden gehen ans Land, und nach kaum zwei Minuten Weges begegnen sie dem Superior der Mission.
Es ist ein Mann von etwa fünfzig Jahren mit anziehendem Gesicht und energischen Zügen. Hocherfreut, einmal Franzosen begrüßen zu können, führt er sie nach seiner Wohnung in der Mitte des Dorfes, das etwa hundert Seelen zählt. Er besteht darauf, daß seine Gäste eine landesübliche Erfrischung annehmen. Diese besteht aber nicht etwa aus dem widerlichen Kava, sondern aus einem wohlschmeckenden Getränk oder vielmehr aus einem Absud, das durch[318] Abkochung von Cyreen, einer am Ufer der Rewa sehr häufig vorkommenden Muschelart, gewonnen war.
Dieser Missionär widmet sich, freilich unter großen Schwierigkeiten, mit Leib und Seele der katholischen Propaganda, denn er hat mit einem wesleyanischen Pastor zu kämpfen, der ihm in der Nachbarschaft sehr fühlbare Concurrenz macht. Im ganzen ist er jedoch mit den erzielten Erfolgen zufrieden, wenn er auch zugiebt, viel Mühe zu haben, seine Gläubigen von der Vorliebe für »Bukalo«, d. i. Menschenfleisch, abzubringen.
»Und wenn Sie noch weiter ins Land hineinkommen, meine Herren, setzt er hinzu, so seien Sie klug und weise und nehmen sich hübsch in Acht!
– Da hörst Du's, Pinchinat!« sagt Sebastian Zorn.
Kurz bevor der Mittags-Angelus vom Thurme der kleinen Kirche tönt, geht es wieder fort. Unterwegs kreuzt das Boot mehrere Piroguen mit Auslegern, deren Plattform mit Bananen beladen ist. Diese bilden die landläufige Münze, die auch der Steuererheber von den Leuten an Zahlungsstatt annimmt. Die Ufer sind überall mit Lorbeerbäumen, Akazien, Citronenbäumen und blutroth blühenden Cacteen eingerahmt. Darüber strecken die Bananen und Cocospalmen ihre langen, mit Blüthenkolben beschwerten Aeste und Wedel hinaus, und diese grünen Massen ziehen sich bis nach den dahinter gelegnen Bergen hin, die der Steilgipfel des Mbugge-Levu überragt.
Zwischen dem dichten Gehölz erheben sich einzelne, zu der wilden Natur des Landes gar nicht passende europäische Fabriksanlagen, Zuckerfabriken, die mit den neuesten Maschinen ausgerüstet sind, und deren Erzeugnisse, sagt ein Reisender, Verschnur, »den Vergleich mit dem Zucker der Antillen und andrer Colonien nicht zu scheuen brauchen«.
Gegen ein Uhr gelangt das Boot an das Ziel seiner Fahrt auf der Rewa. Nach zwei Stunden muß die Ebbe wieder einsetzen, die man zur Rückfahrt auf dem Strome benützen will. Zurück geht es dann sehr schnell, denn die Strömung wird eine sehr lebhafte. Die Ausflügler dürfen hoffen, vor zehn Uhr abends im Steuerbordhafen wieder eingetroffen zu sein.
An dieser Stelle verfügt man also über einige Zeit, die kaum besser zu verwenden ist, als zu einem Besuche des Dorfes Tampoo, dessen erste Hütten in der Entfernung von einer halben Meile hervorlugen. Der Maschinist und die beiden Matrosen sollen zur Bewachung der Schaluppe zurückbleiben, während der Lootse seine Passagiere bis nach dem Dorfe »lootst«, wo sich die alten[319] Sitten und Gebräuche in aller Reinheit erhalten haben. In diesem Theile der Insel war bisher jede Liebesmüh der Missionäre verloren. Hier herrschen noch die Wundermänner, hier pflegt man noch die Hexereien, die den etwas complicierten Namen »Vaka-Ndranni-Kan-Tacka« (d. h. die Beschwörung durch Baumblätter) haben. Man verehrt hier die Katoavus, Götter, deren Existenz keinen Anfang und kein Ende hat und die keine ihnen geweihten Opfer verschmähen. Leider ist der Generalgouverneur ganz außer Stande, diese Opfer zu verhindern oder auch nur zu bestrafen.[320]
Vielleicht wär' es klüger gewesen, sich nicht unter diese verdächtigen Stämme zu wagen. Unsre Künstler, die nun einmal so neugierig wie die Pariser überhaupt sind, bestehen aber darauf und der Lootse erklärt sich zu ihrer Begleitung bereit, doch unter der Warnung, sich niemals von einander zu entfernen.
Beim Betreten Tampoos, das aus etwa hundert Strohhütten bestehen mag, sieht man zunächst Frauen... wirkliche Wilde. Sie tragen nur einen einfachen Schurz um die Lenden und scheinen gar nicht erstaunt, Fremde zu erblicken,[321] denn sie unterbrechen ihre Arbeit nicht im geringsten. An derartige Besuche sind sie gewöhnt, seit der Archipel unter britischer Schutzherrschaft steht.
Die Frauen sind mit der Zubereitung von Curcuma, einer Art Wurzeln, beschäftigt, die man in großen, mit Grashalmen und Bananenblättern ausgelegten Gruben aufbewahrt. Daraus hervorgeholt, werden sie geröstet, zerrieben und in mit Farrnwedeln ausgefütterten Körben gepreßt. Der dadurch gewonnene Saft wird dann in Bambusstengel gefüllt. Dieser Saft dient gleichzeitig als Nahrung und als Pomade und wird zu beiden Zwecken in großer Menge verwendet.
Die kleine Gesellschaft geht in das Dorf hinein. Die Eingebornen bekümmern sich gar nicht um sie und bieten den Besuchern weder einen Gruß, noch laden sie sie in ihre Wohnungen ein. Der äußre Anblick der Hütten ist auch keineswegs verlockend. Bei dem daraus hervordringenden Geruch, worin der von ranzig gewordenem Cocosöl vorherrscht, beglückwünscht sich das Quartett, daß die Gesetze der Gastfreundschaft hier offenbar nicht in hoher Achtung stehen.
Vor der Wohnung des Häuptlings – eines hochgewachsenen Insulaners von wildem Aussehen und harten Gesichtszügen – angelangt, tritt ihnen dieser jedoch inmitten eines Gefolges von Eingebornen einige Schritte entgegen. Sein kraushaariger Kopf erscheint von Kalk ganz weiß. Er hat das Staatscostüm angelegt, ein streifiges Hemd, einen Gürtel um den Leib, am linken Fuß einen ausgetretnen gestickten Pantoffel und – Pinchinat wollte schon immer vor Lachen platzen – einen schäbigen, blauen, vielfach geflickten Rock mit goldnen Knöpfen, dessen ungleich lange Schöße ihm um die nackten Beine flattern.
Während er auf die Gruppe der Papalangis (Fremden) zuschreitet, stolpert der Häuptling über einen niedrigen Baumstumpf, verliert das Gleichgewicht und fällt der Länge nach hin.
Entsprechend der Etiquette des »Bale muri« straucheln sofort scheinbar auch alle Begleiter des Häuptlings und sinken zur Erde, »um jenem Falle den Charakter der Lächerlichkeit zu nehmen«.
Darüber gab der Pilot Aufklärung und Pinchinat billigt diese Formalität, die übrigens – wenigstens seiner Ansicht nach – auch nicht lächerlicher sei, als viele andre, die an europäischen Höfen gebräuchlich sind.
Nachdem sich alle wieder erhoben haben, wechseln der Häuptling und der Lootse einige Worte in der Landessprache, wovon das Quartett natürlich keine Silbe versteht. Nach der Uebersetzung des Lootsen drehte sich das kurze Gespräch[322] nur darum, welche Absicht die Fremden nach dem Dorfe Tampoo geführt hätte. Darauf war die Antwort erfolgt, daß sie das Dorf nur einfach zu besichtigen und einen Spaziergang in dessen Umgebung zu machen wünschten. Nach einigen weitern Fragen und Antworten wurde die Erlaubniß dazu ertheilt.
Der Häuptling giebt über das Erscheinen der Touristen weder Freude noch Mißvergnügen zu erkennen, und auf ein Zeichen von ihm ziehen sich die Eingebornen in ihre Strohhütten zurück.
»Alles in allem scheinen die Leute hier nicht so bösartiger Natur zu sein, bemerkt Pinchinat.
– Das ist aber doch kein Grund, irgendeine Unklugheit zu begehen,« antwortet Frascolin.
Eine Stunde lang lustwandeln die Künstler im Dorfe umher, ohne im geringsten belästigt zu werden. Der Häuptling im blauen Rocke hat sich wieder in seine Hütte begeben, und die Eingebornen läßt die ganze Sache offenbar ganz gleichgiltig.
Nachdem sie durch die Dorfstraßen von Tampoo spaziert sind, in denen sich keine Strohhütte öffnet, um sie gastlich zu empfangen, begeben sich Sebastian Zorn, Yvernes, Pinchinat, Frascolin und der Lootse nach nahe gelegnen Tempelruinen, einer Art Eulennestern unsern eines Hauses, in dem der Zauberer der Ortschaft wohnt.
An seine Thür gelehnt, wirst ihnen dieser Zauberer einen keineswegs ermuthigenden Blick zu, und seine Bewegungen scheinen anzudeuten, daß er ihnen ein schlimmes Geschick wünschen möchte.
Frascolin sucht sich mit Hilfe des Lootsen mit dem Wundermann in Verbindung zu setzen Da nimmt dieser aber einen so abstoßenden Gesichtsausdruck und eine so drohende Haltung an, daß man jede Hoffnung aufgeben muß, diesem fidschischen Stacheligel ein Wort zu entlocken.
Inzwischen hat sich Pinchinat trotz an ihn ergangner Warnungen etwas entfernt und begiebt sich in ein dichtes Bananengehölz, das sich einen Hügelabhang hinaufzieht.
Als dann Sebastian Zorn, Yvernes und Frascolin, entmuthigt durch den grollenden Zauberer, sich anschicken, Tampoo zu verlassen, vermissen sie plötzlich ihren Kameraden.
Nun ist es aber schon Zeit geworden, nach dem Boote zurückzukehren. Bald muß die Ebbe einsetzen, und die wenigen Stunden, die sie anhält, sind nicht zu[323] viel, um den Lauf der Rewa hinabzufahren. Beunruhigt durch die Abwesenheit Pinchinat's, ruft Frascolin ihn mit lauter Stimme.
Sein Ruf bleibt ohne Antwort.
»Wo ist er denn? fragt Sebastian Zorn.
– Ja... ich weiß es nicht... antwortet Yvernes.
– Hat einer von Ihnen Ihren Freund weggehen sehen?« erkundigt sich der Lootse.
Nein, keiner hat das gesehen.
»Er wird vom Dorfe aus jedenfalls auf einem Fußwege nach dem Boote zurückgekehrt sein, meint Frascolin.
– Daran hätte er unrecht gethan, antwortet der Pilot, doch gehen wir ihm nach, ohne Zeit zu verlieren!«
Schwer geängstigt brechen alle auf. Der Pinchinat macht immer solche Streiche, und die Wildheit der Eingebornen, die jeder Civilisation hartnäckigen Widerstand leisteten, als nur eingebildet zu betrachten, kann ihn den schlimmsten Gefahren aussetzen.
Auf dem Wege durch Tampoo bemerkt der Lootse mit einiger Besorgniß, daß kein einziger Bewohner mehr zu sehen ist. Alle Thüren der Strohhütten sind geschlossen, auch vor der des Häuptlings ist kein Eingeborner mehr zu entdecken. Die mit der Zubereitung von Curcuma beschäftigten Frauen sind ebenfalls verschwunden. Das Dorf scheint seit einer Stunde völlig verlassen zu sein.
Die kleine Gesellschaft beschleunigt ihren Schritt. Wiederholt, doch vergeblich, ruft man nach dem Verschwundnen. Sollte er doch nicht nach der Uferstelle, wo das Boot festgelegt war, zurückgekehrt sein? Oder läge die unter der Aufsicht des Maschinisten und der beiden Matrosen zurückgelassene Schaluppe gar nicht mehr da?
Noch sind einige hundert Schritte zurückzulegen. Alle beeilen sich nach Kräften, und aus dem Waldessaume hervortretend, sehen sie das Boot mit seinen drei Wächtern.
»Unser Kamerad? ruft Frascolin fragend.
– Nun kommt er nicht mit Ihnen? antwortet der Maschinist.
– Nein... seit einer halben Stunde...
– Hat er sich denn nicht hier eingestellt? fragt Yvernes dazwischen.[324]
Was mag aus dem Unvorsichtigen geworden sein? Der Lootse verhehlt nicht seine schlimmsten Befürchtungen.
»Wir müssen nach dem Dorfe zurück, erklärt Sebastian Zorn. Wir dürfen Pinchinat nicht verlassen...«
Die Schaluppe bleibt nun unter der Obhut nur des einen der Matrosen, obgleich es vielleicht gefährlich ist, so zu verfahren. Es erscheint aber rathsamer, in Tampoo diesmal in größerer Anzahl und gut bewaffnet aufzutreten. Und wenn alle Strohhütten durchsucht werden müßten, das Dorf sollte nicht verlassen und nach Standard-Island nicht zurückgekehrt werden, ehe Pinchinat nicht wiedergefunden war.
Jetzt geht es noch einmal nach Tampoo hin. Im Dorfe und dessen Umgebung herrscht dieselbe Einsamkeit. Wohin mag sich die Bevölkerung wohl begeben haben? Auf den Straßen ist es todtenstill und die Hütten stehen leer.
Ein Zweifel kann nun gar nicht mehr aufkommen. Pinchinat ist in den Bananenwald eingedrungen, dort ergriffen und wer weiß wohin geschleppt worden. Das Loos, das bei den Cannibalen, über die er immer spöttelte, seiner harrt, kann man sich leicht genug vorstellen. Nachforschungen in der Umgebung von Tampoo führten voraussichtlich zu keinem Erfolge. In der so waldreichen Gegend und im Busch, in dem sich doch nur die Insulaner zurechtfanden, waren etwaige Fußspuren nicht zu erkennen. Dazu lag noch die Befürchtung nahe, daß jene versuchen könnten, sich der Schaluppe zu bemächtigen, und wenn dieses Unglück eintrat, dann war alle Hoffnung auf eine Rettung Pinchinat's verloren und das Leben seiner Kameraden obendrein in Frage gestellt.
Frascolin's, Yvernes' und Sebastian Zorn's Verzweiflung läßt sich mit Worten gar nicht schildern. Was war zu thun? Der Lootse und der Maschinist wissen in keiner Weise zu helfen.
Da sagt Frascolin, der sich sein kaltes Blut bewahrt hat:
»Laßt uns nach Standard-Island zurückkehren!
– Ohne unsern Kameraden? ruft Yvernes.
– Brächtest Du das über's Herz? setzt Sebastian Zorn hinzu.
– Ich sehe keinen andern Ausweg, antwortet Frascolin. Wir müssen dem Gouverneur von Standard-Island von dem Vorfalle Mittheilung machen... die Behörden von Viti-Levu müssen zum schnellsten Einschreiten veranlaßt werden...
– Ja, ja, brechen wir auf, stimmt ihm der Lootse zu, und um den Ebbestrom zu benützen, haben wir keine Minute länger zu zögern![325]
– Das ist das einzige Mittel, Pinchinat zu retten, ruft Frascolin, wenn... wenn es dazu nicht gar schon zu spät ist!«
In der That, das war das einzige Mittel.
Alle verlassen Tampoo mit der Besorgniß, das Boot an seiner Stelle nicht mehr vorzufinden. Vergeblich wird der Name Pinchinat's wiederholt ausgerufen. Bei größrer Aufmerksamkeit hätten der Lootse und seine Begleiter hinter Gebüschen aber einzelne der wilden Fidschi-Insulaner bemerken können, die ihre Abfahrt beobachteten.
Das Boot selbst war nicht belästigt worden. Der Matrose hat keine Seele an den Ufern der Rewa herumschweifen sehen.
Mit ängstlich bedrücktem Herzen entschließen sich Sebastian Zorn, Yvernes und Frascolin in dem Fahrzeuge Platz zu nehmen.... Sie zögern... rufen noch einmal.... Vergeblich; es ist nothwendig, abzufahren, hat Frascolin erklärt, und er hatte Recht damit, es bleibt das einzige, was zu thun ist.
Der Maschinist setzt die Dynamos in Thätigkeit, und vom Ebbestrome unterstützt, gleitet die Schaluppe in größter Schnelligkeit die Rewa hinab.
Um sechs Uhr wird die Westspitze des Deltas umschifft, eine halbe Stunde später trifft man im Steuerbordhafen ein.
Binnen einer Viertelstunde haben Frascolin und seine beiden Kameraden unter Benützung eines Tramwagens das Stadthaus von Milliard-City erreicht.
Cyrus Bikerstaff begiebt sich, sobald er von dem Geschehenen Kenntniß genommen hatte, sofort nach Suva und ersucht den Generalgouverneur des Archipels um eine Besprechung, die ihm ohne Zögern bewilligt wird.
Als der Vertreter der Königin erfährt, was sich in Tampoo zugetragen hat, verhehlt er nicht, daß es sich um einen ernsten Fall handelt. Jener Franzose im Innern der Insel in den Händen eines Stammes, der sich jeder Botmäßigkeit entzieht....
»Leider können wir vor morgen gar nichts in der Sache thun, fügt er hinzu, der Ebbe in der Rewa entgegen, vermöchten unsre Boote gar nicht aufzukommen. Uebrigens ist es unumgänglich nothwendig, in Tampoo, gleich mit größrer Macht aufzutreten, und am sichersten wäre es vielleicht, unmittelbar durch den Wald vorzudringen...
– Gleichviel, antwortet Cyrus Bikerstaff, doch nicht morgen, sondern heute, sofort muß dahin aufgebrochen werden![326]
– Dazu steht mir die nöthige Mannschaft nicht schnell genug zur Verfügung, erwidert der Gouverneur.
– Die haben wir zur Hand, mein Herr! erklärt Cyrus Bikerstaff. Veranlassen Sie nur, daß sich Ihre Milizsoldaten unsern Leuten anschließen, und unter der Führung eines Ihrer Officiere, die das Land jedenfalls genau kennen...
– Verzeihen Sie, mein Herr, unterbricht ihn Seine Excellenz trocknen Tones, ich bin nicht gewöhnt, daß man mir...
– Verzeihen Sie auch mir, fällt ihm Cyrus Bikerstaff ins Wort, ich sage Ihnen aber, daß, wenn Sie nicht augenblicklich vorgehen, wenn unser Freund, unser Gast nicht heil und gesund zurückkehrt, die Verantwortlichkeit dafür auf Sie fällt und...
– Und?... fragt der Gouverneur hochmüthig.
– Die Batterien Standard-Islands werden Suva, Ihre Hauptstadt, mit allen fremden Besitzungen, gleichviel, ob das englische oder deutsche sind, in Grund und Boden schießen!«
Dieses Ultimatum läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig, und es gilt nur, sich ihm zu fügen. Die wenigen Kanonen der Insel vermöchten gegen die Batterien von Standard-Island doch nichts auszurichten. Der Gouverneur giebt also klein bei, es wäre aber gewiß lobenswerther gewesen, wenn er sich, schon aus Rücksichten der Menschlichkeit, gleich von Anfang an gegen das Ansinnen Bikerstaff's nicht ablehnend verhalten hätte.
Eine halbe Stunde später landen hundert Mann, Seeleute und Milizen, in Suva unter dem Befehl des Commodore Simcoë, der die Operation persönlich zu leiten wünschte. Der Oberintendant, Sebastian Zorn, Yvernes und Frascolin befinden sich an seiner Seite. Eine Abtheilung Gendarmerie von Viti-Levu schließt sich ihnen an.
Unter Führung des Lootsen, der die schwer zugänglichen Theile des Inselinnern genau kennt, dringt man gleich von Anfang an durch den halben Urwald vor, um schnellen Schrittes und auf kürzestem Wege Tampoo so bald wie möglich zu erreichen.
Es macht sich nicht nöthig, bis zum Dorfe selbst zu marschieren. Eine Stande nach Mitternacht erhält die Colonne Befehl zu halten.
Aus der Tiefe eines fast undurchdringlichen Dickichts leuchtet ein Feuerschein auf. Hier haben sich offenbar die Bewohner von Tampoo versammelt, denn ihr Dorf liegt nur eine halbe Wegstunde weiter im Osten.[327]
Der Commodore Simcoë, der Lootse, Calistus Munbar und die drei Pariser dringen noch etwas weiter vor.
Nach kaum hundert Schritten bleiben sie unbeweglich stehen.
Vor einem helllodernden Feuer und umgeben von einer lärmenden Menge von Männern und Frauen, sehen sie Pinchinat halbnackt an einen Baum gebunden, schon schreitet der Häuptling des Stammes mit erhobner Keule auf ihn zu...
»Vorwärts... vorwärts!« commandiert Simcoë seine Leute.[328]
Die Eingebornen, die sich urplötzlich dem Gewehrfeuer und furchtbaren Kolbenschlägen ausgesetzt sehen, erstarren vor Schrecken. In einem Augenblicke ist der Platz geleert und die ganze Bande im Walde verstreut.
Von dem Baume losgebunden, fällt Pinchinat seinem Freunde Frascolin in die Arme.
Wer vermöchte sie zu malen, die Freude dieser Kunstler, dieser Brüder – in die sich freilich einige Thränen und auch wohlverdiente Vorwürfe mischen.[329]
»Aber, Unglücksel'ger, sagt der Violoncellist, was ist Dir nur eingefallen, Dich allein zu entfernen?
– Unglückselig, so viel es Dir beliebt, alter Freund, anwortet Pinchinat, doch stürme nicht auf einen Bratschisten ein, der, so wie ich, in dieser Minute so mangelhaft bekleidet ist. Gebt mir meine Sachen her, damit ich mich in geziemender Form sehen lassen kann!«
Seine Kleidungsstücke finden sich am Fuße eines Baumes wieder, und er nimmt sie so ruhig in Empfang, als ob gar nichts geschehen wäre. Erst als er dann »repräsentabel« ist, drückt er dem Commodore Simcoë und dem Oberintendanten die Hände.
»Nun, beginnt Calistus Munbar, wie steht's? Werden Sie nun an den Cannibalismus der Fidschi-Insulaner glauben gelernt haben?
– O, es ist nicht allzuschlimm mit den Kerlen, antwortet Seine Hoheit, ich habe ja noch alle Arme und Beine beisammen!
– Immer derselbe verteufelte Phantast! ruft Frascolin.
– Und wißt Ihr, was mich in meiner Lage als ein menschliches Stück Wild, das eben an die Keule geliefert werden sollte, am meisten genierte?
– Ich lasse mich aufknüpfen, wenn ich das weiß! erwidert Yvernes.
– Nun, nicht etwa das, daß ich von den Eingebornen mit Haut und Haar verzehrt werden, nein, daß mich ein ganz bekleideter Kerl auffressen sollte... so ein Bursche in blauem Rock mit goldnen Knöpfen... mit einem Regenschirm unterm Arme... ein richtiger britischer Affe!«
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