[62] Die Schenke »Zum umgebrochenen Kreuze« rechtfertigte diese Bezeichnung durch eine braunrote Zeichnung an einer der Giebelwände des Hauses: durch das Bild eines russischen Doppelkreuzes, das am Fuße umgebrochen war und auf der Erde lag... jedenfalls eine Legende, die mit irgend einer kirchen-schänderischen Untat aus längstvergangener Zeit in Verbindung stand.
Ein gewisser Kroff, ein Slawe von Geburt und Witwer im Alter von vierzig bis fünfundvierzig Jahren, bewirtschaftete die einsam an der Landstraße von Riga und am Rande eines Waldes gelegene Schenke, die schon sein Vater besessen hatte. Im Umkreise von zwei bis drei Werst hätte man nirgends ein näher gelegenes Haus oder einen Weiler angetroffen... die Einsamkeit im vollsten Sinne des Wortes.
Als gelegentliche Kunden empfing Kroff nur die wenigen Reisenden, die hier einmal Halt machen mußten, als eine Art Stammgäste aber verkehrten bei ihm etwa ein Dutzend Bauern, die auf nahe gelegenen Feldern arbeiteten, und einige Holzfäller und Kohlenbrenner aus dem benachbarten Walde.
Ob der Gastwirt ein gutes Geschäft machte, hätte niemand sagen können; jedenfalls ließ er keine Klagen hören und war überhaupt nicht angelegt, über etwas zu sprechen, was ihn selbst betraf. Der Kabak war schon seit etwa dreißig Jahren im Betrieb, erst unter Leitung des Vaters – der als Schmuggler und Wilddieb sein Schäfchen ins Trockene gebracht hatte – und dann unter der des Sohnes. Die Leute in der weiteren Umgebung mutmaßten auch, daß es im[62] »Umgebrochenen Kreuze« an Geld nicht fehle... es bekümmerte sich darum aber niemand näher.
Von Natur wenig mitteilsam, lebte Kroff sehr zurückgezogen und verließ seine Schenke nur in den seltenen Fällen, wo er einmal in Pernau zu tun hatte. Im übrigen arbeitete er in seinem Garten, solange ihn keine Gäste davon abriefen, denn er hatte weder eine Magd noch einen Burschen zur Hilfe. Von Person recht kräftig, hatte er ein rötliches Gesicht, starken Vollbart, üppiges Kopfhaar und einen freien, offenen Blick. Er richtete nie an jemand eine Frage und antwortete stets kurz und bündig, wenn jemand zu ihm sprach.
Das Haus, hinter dem der Garten lag, bestand nur aus einem Erdgeschoß mit einer einflügeligen Haupttür, durch die man sofort in die Gaststube eintrat, welche von einem Fenster im Hintergrunde erhellt wurde. Rechts und links schloß sich daran noch je ein nach der Straße hinaus gelegenes Zimmer. Die Wohnstube Kroffs befand sich in einem Anbau nach dem Gemüsegarten zu.
Tür und Fensterläden des Kabak waren sehr fest und mit tüchtigen Haken und schweren Eisenriegeln versehen. Der Wirt schloß sie stets schon mit Anbruch der Dämmerung ab, denn allzu sicher war es im Lande hier gerade nicht. Die Schenke blieb aber trotzdem bis abends zehn Uhr zugänglich. Augenblicklich saßen darin ein halbes Dutzend Gäste, die Wodka und Schnaps in lustige Stimmung versetzt hatten.
Der einen halben Morgen große Garten, der nur von einer lebenden Hecke umschlossen war, stieß an den sich längs der Straße hinziehenden Wald. Kroff baute darin die beliebtesten Gemüsearten, was ihm noch einen recht netten Gewinn einbrachte. Von Obstbäumen, die sich freilich keiner besonderen Pflege erfreuten, befanden sich darin einige dürftig entwickelte Kirschbäume neben Apfelbäumen, die recht gute Früchte lieferten, und außerdem dicht bestandene Beete voll Himbeersträuchern mit duftigen, glänzendroten Früchten, die in Livland überhaupt gut gedeihen.
Am heutigen Tage schwatzten und tranken an den Tischen der Gaststube drei oder vier Bauern und ebensoviele Holzfäller aus Weilern der Umgebung. Der Schnaps. das Spitzgläschen zu zwei Kopeken, lockte sie Tag für Tag hierher ehe sie nach ihren Gehöften oder Hütten heimkehrten, die drei bis vier Werst entfernt lagen. Die Nacht über blieb keiner im »Umgebrochenen Kreuze«; hier kehrten auch nur selten Reisende ein, um eine Nacht zu schlafen. Die Postillone und die Schaffner der Telegen und der Postwagen machten aber[63] gern an der alten Schenke Halt, ehe sie zur letzten Strecke nach Pernau aufbrachen.
Außer den gewohnten Gästen saßen heute etwas abgesondert zwei Männer an einem Tische, die nur mit gedämpfter Stimme miteinander sprachen und die anderen Personen immer scharf im Auge behielten; das waren der Brigadier Eck und einer seiner Unterbeamten. Nach der Verfolgung längs der Pernova hatten sie ihre Nachsuchungen in der Umgegend fortgesetzt, wo sich verdächtiges Gesindel umhertreiben sollte, waren dabei aber immer in Verbindung mit den Patrouillen geblieben, denen die Überwachung der Dörfer und Weiler des Nordens der Provinz oblag.
Eck war von seinem letzten Zuge recht unbefriedigt zurückgekommen. Von dem Flüchtling, den er lebendig zu fangen und dem Major Verder einzuliefern gehofft hatte, war nicht einmal der Leichnam im Schollengewirr der Pernova gefunden worden... eine arge Verletzung seiner Eigenliebe.
Der Brigadier äußerte eben gegen seinen Begleiter:
»Wir können wohl annehmen, daß der Spitzbube ertrunken ist.
– Ohne Zweifel, bestätigte der Polizist.
– Nun, so ganz 'ohne Zweifel' ist das leider nicht, wenigstens haben wir dafür keine greifbaren Beweise. Doch selbst wenn es uns gelungen wäre, den Mann als Leiche aufzufischen, hätte er dann doch nicht nach Sibirien zurückgeschickt werden können. Nein... lebend mußten wir den Burschen in die Hand bekommen... wahrlich, eine dumme Geschichte, die der Polizei nicht viel Ehre macht!
– O, Herr Eck, ein andermal werden wir mehr Glück haben,« antwortete der Polizist, der sich mit den Fehlschlägen in seinem Berufe ruhiger abfand...
Der Brigadier schüttelte den Kopf, ohne seinen Mißmut zu verhehlen.
Draußen wütete der Sturm jetzt mit einer Heftigkeit ohnegleichen. Die Eingangstür knarrte in ihren Angeln, als wollte sie diese herausreißen. Der große Ofen hörte wie erstickt manchmal zu knattern auf und dröhnte dann wieder wie ein Hochofen. Man hörte in der Tannenwaldung die Äste knicken und brechen, die dann zum Teil auf das Dach des Kabaks geschleudert wurden, als sollten sie es einschlagen.
»He, da macht sich ja die Arbeit der Holzfäller ganz allein, sagte einer der Bauern, die brauchen ja ihre Ladung nur zusammenzulesen![64]
– Es ist auch das richtige Wetter für Verbrecher und Schmuggler, setzte der Polizist hinzu.
– Ja, wie für solche Burschen geschaffen, antwortete Eck, doch deshalb braucht man sie nicht nach Belieben schalten und walten zu lassen!... Es steht fest, daß hier eine schlimme Bande ihr Wesen treibt; aus Tarvart wird ein Einbruch und aus Karkus ein Mordversuch gemeldet. Ja, die zwischen Riga und Pernau ist jetzt höchst unsicher. Die Verbrechen vermehren sich, und den Verbrechern gelingt es in den meisten Fällen zu entwischen. Und doch, was wagen sie denn, wenn sie sich abfangen lassen?... In Sibirien Salz zu fördern, und das ängstigt sie nicht. Früher, wo es ein Tänzchen in der Hanfschlinge galt, da mußte sich einer die Sache überlegen. Die Galgen sind jetzt aber zusammengebrochen, wie das Kreuz des Kabaks Meister Kroffs...
– Man wird sie schon wieder aufrichten, meinte der Polizist.
– Die höchste Zeit dazu wär' es wirklich,« versicherte Eck.
Wie hätte ein Polizeibrigadier auch beistimmen können, daß die für politische Verbrechen beibehaltene Todesstrafe für Vergehen gegen das gemeine Recht abgeschafft worden war!... Das ging über seinen Verstand und geht ja ebenso über den Verstand vieler guten Leute, die nicht zur Polizei gehören.
»Nun aber vorwärts, mahnte Eck, indem er sich schon zum Aufbruch fertig machte. Ich muß mit dem Brigadier der fünften Abteilung in Pernau zusammentreffen, da ist keine Zeit mehr zu verlieren!«
Bevor er aufstand, klopfte er erst noch auf den Tisch.
Kroff kam sofort herbeigelaufen.
»Wieviel, Kroff? fragte er und holte einiges Kleingeld aus der Tasche.
– Das wissen Sie ja selbst, Brigadier, erwiderte der Schenkwirt. Bei mir gilt für alle nur der gleiche Preis.
– Auch für die, die in deinen Kabak kommen, wo sie wissen, daß du sie weder nach Papieren noch nach ihrem Namen fragst?
– Ich gehöre nicht zur Polizei, antwortete Kroff ziemlich kurz.
– O alle Gastwirte sollten dazu gehören, dann wäre wohl mehr Ruhe und Frieden im Lande! entgegnete der Brigadier. Nimm dich in Acht, Kroff, daß man dir nicht eines schönen Tages die Bude zumacht, wenn du sie nicht von Schmugglern und vielleicht noch schlimmeren Gesellen rein hältst![67]
– Ich gebe dem zu trinken, der mich bezahlt, antwortete der Gastwirt, und ich weiß ebensowenig, wohin meine Gäste gehen, wie ich von ihnen wußte, woher sie kamen.
– Gleichviel, Kroff! Stelle dich nur nicht taub, wenn ich mit dir rede, du könntest's sonst noch einmal an den Ohren fühlen. Nun, gute Nacht... auf Wiedersehen!«
Der Brigadier Eck erhob sich, bezahlte die Zeche und ging, der Polizist hinter ihm, auf den Ausgang zu. Die anderen Gäste folgten seinem Beispiele, denn das schlechte Wetter verlockte sie nicht, noch länger im Kabak »Zum umgebrochenen Kreuze« sitzen zu bleiben.
In diesem Augenblick öffnete sich aber die Tür, die vom Sturme dann heftig wieder zugeschlagen wurde.
Herein traten zwei Männer, deren einer den anderen, welcher hinkte, am Arme führte.
Das waren Poch und sein Reisegefährte, die auf der Landstraße mit der Post verunglückt waren.
Der unbekannte Reisende erschien wie immer mit seinem Mantel verhüllt und mit über den Kopf gezogener Kapuze, so daß man sein Gesicht nicht sehen konnte.
Dieser richtete zuerst das Wort an den Schenkwirt.
»Unser Postwagen ist zweihundert Schritt von hier zerbrochen, begann er. Der Postillon und der Schaffner haben sich nach Pernau auf den Weg gemacht und wollen uns morgen beizeiten hier abholen. Können Sie uns für die Nacht wohl zwei Zimmer geben?
– Gewiß, antwortete Kroff.
– Eines brauch' ich für mich, setzte Poch hinzu, und womöglich mit gutem Bette.
– Das sollen Sie haben, versprach Kroff. Sind Sie etwa verletzt?
– Eine Hautabschürfung am Beine, erwiderte Poch. Eine Sache ohne Bedeutung.
– Das zweite Zimmer nehme ich in Beschlag,« ließ sich der Reisende hören.
Als er sprach, erschien es Eck immer, als ob ihm diese Stimme bekannt wäre.
»Sapperment, sagte er für sich, ich möchte gleich darauf schwören... das ist doch...«[68]
Seiner Sache zwar nicht ganz sicher, trieb ihn doch ein polizeilicher Instinkt, sich über seine Vermutung näher zu unterrichten.
Inzwischen hatte sich Poch an einem der Tische niedergesetzt und darauf seine noch immer an der Kette hängende Mappe gelegt.
»Ein Zimmer, wendete er sich an Kroff, nun ja, das ist ganz schön; solch eine Hautwunde hindert mich aber nicht, zu essen, und ich habe tüchtigen Hunger.
– Sofort sollen Sie ein Abendbrot erhalten, antwortete der Wirt.
– Bitte, so schnell wie möglich!« rief Poch ihm nach.
Da trat der Polizeibrigadier an ihn heran.
»Nun wahrlich, Herr Poch, sagte er, das ist ja ein Glück, daß Sie nicht ernster verletzt worden sind!
– Ah, rief der Bankbeamte, da ist ja der Herr Eck. Guten Tag, Herr Eck, oder vielmehr Guten Abend!
– Guten Abend, Herr Poch!
– Sie sind wohl auf einem Streifzuge hier?
– Wie Sie sehen. Ihre Verletzung ist also wirklich unbedeutend?
– Morgen wird kaum noch etwas davon zu sehen sein.«
Kroff hatte schon Brot, kalten Speck und die Teetasse auf den Tisch gesetzt. Hierauf wandte er sich an den anderen Reisenden.
»Und Sie mein Herr?...
– Ich bin nicht hungrig. Weisen Sie mir mein Zimmer an, denn ich möchte bald schlafen. Wahrscheinlich warte ich die Rückkehr des Postschaffners gar nicht ab und mache mich schon früh vier Uhr auf den Weg.
– Wie es Ihnen beliebt,« antwortete der Schenkwirt.
Er führte den Reisenden hierauf in das links neben der Gaststube liegende Zimmer, das rechts gelegene hatte er für den Bankbeamten bestimmt.
Während der Unbekannte aber sprach, hatte sich seine Kapuze etwas nach rückwärts verschoben, so daß der ihn beobachtende Brigadier etwas von seinem Gesicht sehen konnte. Das genügte ihm.
»Ja, ja, murmelte er für sich, er ist es. Warum will er denn so frühzeitig aufbrechen und nicht einmal die Post abwarten, um damit weiter zu fahren?«
Man weiß ja, auch die harmlosesten Umstände erscheinen den Leuten von der Polizei allemal etwas auffallend.[69]
»Und wohin will er zu Fuß?« fragte sich Eck, zwei Fragen, auf die der Reisende gewiß nicht geantwortet hätte, wenn sie ihm vorgelegt worden wären.
Dieser schien übrigens nicht bemerkt zu haben, daß der Brigadier ihn scharf angesehen und ihn zu erkennen geglaubt hatte. Er begab sich also in das ihm von Kroff angewiesene Zimmer.
Eck trat wieder an Poch heran, der mit gutem Appetit speiste.
»Jener Reisende war mit Ihnen im Postwagen? fragte er.
– Jawohl, Herr Eck, ich habe aber keine vier Worte aus ihm herausholen können.
– Sie wissen auch nicht, wohin er sich begibt?
– Nein, er ist in Riga eingestiegen, und ich glaube, er wollte nach Reval. Wenn Broks hier wäre, könnte er uns darüber Aufschluß geben.
– O, das wäre wohl nicht der Mühe wert«, meinte der Brigadier.
Kroff hörte von diesem Zwiegespräch gerade soviel wie jeder uninteressierte Gastwirt, der sich nicht darum bekümmert, wer seine Gäste sind. Er ging in der Schenkstube hier und dort hin, während die Bauern und Holzfäller sich verabschiedeten und ihm Gute Nacht wünschten.
Der Brigadier, der es mit dem Fortgehen jetzt gar nicht mehr so eilig zu haben schien, zog den plauderlustigen Poch, dem das sehr gelegen kam, nochmals ins Gespräch.
»Und Sie, Sie gehen nach Pernau? fragte er.
– Nein, nach Reval, Herr Eck.
– Im Auftrage des Herrn Johausen?
– Ja, in dessen Auftrage,« antwortete Poch.
Mit einer unwillkürlichen Bewegung zog er die auf dem Tische liegende Mappe mit den Wertpapieren näher an sich heran...
»Das ist ja ein Wagenunfall, der Ihnen mindestens zwölf Stunden Verspätung kosten wird.
– Nur zwölf Stunden dann, wenn Broks seinem Versprechen gemäß morgen frühzeitig wiederkommt, und dann könnt' ich immer noch binnen vier Tagen in Riga zurück sein... zur Feier meiner Hochzeit...
– Mit der hübschen Zenaïde Parenzof... ja ja... weiß schon...
– Das glaub' ich gern... Sie wissen eben alles!
– Na, das denn doch nicht, so weiß ich zum Beispiel schon nicht, wohin sich Ihr Reisegefährte begeben wird; danach, daß er morgen so früh fortgehen[70] will, ohne auf Sie zu warten, scheint es allerdings, daß er in Pernau zu bleiben gedenkt.
– Das wäre wohl möglich, meinte Poch, und wenn ich den Mann nicht wiedersehen sollte, so wünsch' ich ihm glückliche Reise. Doch sagen Sie, Herr Eck, übernachten Sie heute auch hier im Wirtshause?
– Nein, Poch, uns ruft eine Zusammenkunft nach Pernau, und wir werden sehr bald aufbrechen. Sie werden ja, das wünsch' ich Ihnen, nach einem tüchtigen Abendessen gut schlafen... lassen Sie nur Ihre Mappe nicht abhanden kommen.
– Die hängt an mir so fest wie die Ohren am Kopfe! erwiderte der Bankbeamte mit hellem Lachen.
– Vorwärts nun, rief der Brigadier seinem Untergebenen zu. Wir wollen uns aber bis ans Kinn fest einhüllen, sonst dringt uns der Sturm bis zu den Knochen hindurch. Gute Nacht, Poch!
– Gute Nacht, Herr Eck.«
Die beiden Polizeiagenten öffneten die Tür, die Kroff erst durch eine Querstange an der Innenseite und dann noch durch zweimaliges Umdrehen eines großen Schlüssels verschloß, den er sofort wieder abzog.
Um diese Stunde war kaum noch zu erwarten, daß jemand im »Umgebrochenen Kreuze« wegen Nachtquartiers vorsprechen würde, war es doch schon eine Seltenheit, daß zwei Reisende bis zum nächsten Morgen zwei Zimmer in Anspruch genommen hatten, und ohne diesen Unfall der Post wäre der Schenkwirt in seinem vereinsamten Kabak wie gewöhnlich allein gewesen.
Inzwischen hatte Poch seine Mahlzeit mit großem Appetit verzehrt. Speise und Trank, mehr brauchte es kaum, seinen Kräften wieder aufzuhelfen, und das Bett würde nun vollenden, was der Tisch so gut begonnen hatte.
Ehe Kroff sich in sein Zimmer zurückzog, wartete er, bis Poch dasseinige eingenommen hatte. Er hielt sich nahe dem Ofen, aus dem zuweilen infolge des Sturmes dicker Rauch hervorquoll, der das ganze Gastzimmer mit warmen Schwaden erfüllte.
Kroff bemühte sich dann, den Rauch mit einer hin- und hergeschwenkten Serviette zu vertreiben, deren Falten dabei wie eine Peitsche klatschten.
Das auf dem Tische stehende Talglicht flackerte dazu hoch auf und ließ die Schatten aller Gegenstände in seinem Scheinfelde tanzen.
Draußen schlugen so ungestüme Windstöße an die Fensterläden, daß man glauben konnte, es poche einer kräftig dagegen.[71]
»Hörten Sie nicht eben... sagte Poch lauschend, als die Tür unter einem so gewaltsamen Stoße zitterte und knarrte, daß man sich über die Ursache wohl täuschen konnte.
– Das ist niemand, versicherte der Gastwirt, draußen ist bestimmt kein Mensch. An dergleichen bin ich gewöhnt. Im tiefen Winter haben wir oft noch weit schlimmeres Wetter.
– Ja freilich, meinte Poch, wer sollte sich auch diese Nacht noch auf der Landstraße befinden, außer verdächtigem Gesindel und Polizisten.
– Gewiß... Sie haben damit völlig recht.«
Es war jetzt bald neun Uhr. Der Bankbeamte erhob sich, nahm seine Mappe sorgsam unter den Arm, ergriff dann das angezündete Licht, das Kroff ihm hinhielt. und begab sich nach seinem Zimmer.
Der Gastwirt hielt noch eine alte Laterne mit großen Scheiben in der Hand, die ihm als Leuchte dienen sollte, wenn sich die Tür hinter Poch geschlossen hatte.
»Wollen Sie sich denn nicht niederlegen? fragte dieser noch vor dem Betreten seines Zimmers.
– O doch, antwortete Kroff, ich muß nur erst noch meinen allabendlichen Rundgang machen.
– Durch Ihr ganzes Anwesen?
– Jawohl, überallhin; ich muß da nachsehen, ob die Hühner im Stalle auf den Stangen sitzen und in Sicherheit sind, denn zuweilen fehlen mir am Morgen eines oder zwei.
– Aha, bemerkte Poch, die Füchse.
– Die Füchse und auch die Wölfe. Diesen verwünschten Burschen macht es keine Schwierigkeit, über die Hecke zu springen. Da das Fenster meiner Stube nach dem Garten hinausgeht, brenne ich ihnen wohl manchmal eine Portion Blei aufs Fell. Wenn Sie also einen Schuß hören sollten, so beunruhigen Sie sich deswegen nicht.
– O, versicherte Poch, wenn ich so schlafe, wie ich hoffe, wird mich auch kein Kanonendonner wecken. Was ich noch sagen wollte, ich habe keine so große Eile, weiter zu kommen. Kann mein Reisegefährte nicht zeitig genug aufstehen, so ist das seine Sache. Mich lassen Sie ruhig bis in den hellen Tag hinein schlafen.
Das Bett zu verlassen wird es noch Zeit genug sein, wenn erst Broks von Pernau zurückgekehrt und der Wagen wieder in stand gesetzt ist.[72]
– Wie Sie wünschen, antwortete der Gastwirt. Es wird Sie niemand eher wecken, und wenn der andere Reisende weggehen will, werde ich schon dafür sorgen, daß Sie durch kein Geräusch gestört werden.«
Vor Ermüdung herzhaft gähnend, begab sich Poch nun in sein Zimmer, dessen Tür er von innen sorgfältig abschloß.
Kroff befand sich in der von seiner Laterne kaum erhellten Gaststube. Hier ging er an den Tisch, woran der Bankbeamte gesessen hatte, und schaffte Teller, Tasse und Teemaschine bei Seite. Als ordnungsliebender Mann verschob er nicht auf morgen, was er noch heute tun konnte.
Hierauf begab sich Kroff nach der Gittertür der Umzäunung und öffnete sie.
An dieser – der nordöstlichen – Seite hatte der Sturm etwas weniger Gewalt; der Anbau an der Rückwand des Hauses lag einigermaßen geschützt. Darüber hinaus aber fegte der Wind so heftig einher, daß der Gastwirt es für ratsamer fand, sich ihm gar nicht erst auszusetzen. Heute mußte ihm ein Blick nach dem Geflügelhof hin genügen.
Innerhalb der Umzäunung war nichts Verdächtiges zu bemerken, vor allem keiner der beweglichen Schatten, die die Anwesenheit eines Wolfes oder Fuchses verraten hätten.
Kroff leuchtete mit seiner Laterne nach allen Richtungen hinaus, und da er nichts Auffallendes wahrnahm, ging er wieder nach der Gaststube zurück.
Gewohnt, das Feuer im Ofen nicht erst verlöschen zu lassen, legte er noch mehrere Stücke Torf darauf, blickte noch einmal überall umher und zog sich dann endlich in sein Zimmer zurück.
Die Tür, die dicht neben der zum Garten führenden lag, bildete den Eingang zu dem Anbau, der das Privatzimmer des Gastwirtes enthielt, und dieses grenzte wieder an das, worin Poch jetzt schon in tiefem Schlummer lag.
Kroff ging, die Laterne in der Hand, hinein, und in der Gaststube herrschte nun völlige Finsternis.
Zwei bis drei Minuten hörte man noch die Schritte des Mannes, während er sich auskleidete, und dann zeigte ein dumpfes Geräusch an, daß er sich aufs Bett geworfen hatte.
Wenige Augenblicke später schlief in der Schenke alles, trotz des Aufruhrs der Elemente. des Windes, des Regens, trotz des lauten Seufzens des Sturmes, der durch die ihrer oberen Äste beraubten Tannen des Waldes fegte.
– – – – – – – – – – – – – -– – – – – – –[75] Kurz vor vier Uhr morgens stand Kroff wieder auf und ging mit der Laterne in der Hand in die Gaststube.
Fast im gleichen Augenblicke öffnete sich die Zimmertür des zweiten Reisenden.
Dieser erschien in der Kleidung wie gestern, eingehüllt in seinen weiten Mantel und die Kapuze über den Kopf gezogen.
»Schon fertig, mein Herr? fragte Kroff.
– Wie Sie sehen, antwortete der Fremde, der zwei oder drei Papierrubel in der Hand hielt. Wieviel bin ich für die Nacht schuldig?
– Einen Rubel, antwortete der Gastwirt.
– Hier ist ein Rubel... nun, bitte öffnen Sie mir die Tür.
– Sogleich«, sagte Kroff, nachdem er sich beim Schein der Laterne überzeugt hatte, einen richtigen Rubelschein erhalten zu haben.
Den aus der Tasche hervorgeholten großen Schlüssel in der Hand, ging der Schenkwirt schon nach der Haustür, blieb aber noch einmal stehen und sagte zu dem Reisenden:
»Wollen Sie denn vor dem Weggehen gar nichts genießen?
– Nein, ich danke.
– Auch nicht ein Gläschen Wodka oder einen Schluck Schnaps?
– Gar nichts, sag' ich Ihnen. Öffnen Sie mir nur schnell... ich habe Eile.
– Nun, wie es Ihnen beliebt«
Kroff entfernte von der Tür die starken Holzstangen, die diese von innen mit zuhielten, dann steckte er den Schlüssel in das Schloß, dessen Riegel laut knarrte.
Noch war es draußen tief dunkel. Nur der Regen hatte aufgehört, der Wind pfiff aber noch mit Sturmesgewalt. Der Weg war mit abgebrochenen Zweigen bedeckt und zahllose Blätter flatterten in der Luft.
Der Reisende zog die Kapuze des Mantels fester über den Kopf und trat ohne ein weiteres Wort zu äußern hinaus. Schon nach wenigen Schritten war er in der Finsternis der Nacht verschwunden. Während er sich dann auf der Straße nach Pernau entfernte, legte Kroff die inneren Querstangen wieder vor und verschloß die Eingangstür des Kabaks »Zum umgebrochenen Kreuze«.[76]
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