Dreizehntes Capitel.
Während weniger Stunden.

[167] James Burbank begab sich nach der Schwelle. Er erwartete Niemand. Vielleicht überbrachte ihm der von seinem Geschäftsfreunde Mr. Harvey noch einmal abgesendete John Bruce eine neue wichtige Nachricht aus Jacksonville.

Jetzt klopfte es schon zum dritten Male mit ungeduldiger Hand.

»Wer da? fragte James Burbank.

– Ich! lautete die kurze Antwort.

– Das ist Gilbert!...« rief Miß Alice.

Sie hatte sich nicht getäuscht. Gilbert auf Camdleß-Bay! Gilbert erschien bei seiner Familie, glücklich, einige Stunden im Schoße derselben verbringen zu können, und jedenfalls in Unkenntniß über das Unglück, das dieselbe vor kurzem betroffen.

Im nächsten Augenblick lag der junge Mann in den Armen seines Vaters, während ein Mann, der ihn begleitete, sorgfältig und nach einem letzten forschenden Blick nach außen die Thür verschloß.

Das war Mars, der Gatte Zermah's, der treuergebene Begleiter des jungen Gilbert Burbank.[167]

Nachdem er seinen Vater umarmt, wandte Gilbert sich um und ergriff, als er Miß Alice wahrnahm, deren Hand, die er mit innigster Zärtlichkeit drückte.


Sie hatten das Eiland sorgsam durchsucht. (S. 166.)
Sie hatten das Eiland sorgsam durchsucht. (S. 166.)

»Meine Mutter! rief er. Wo ist meine Mutter?... Ist es wahr, daß sie mit dem Tode ringt?

– Du weißt also, mein Sohn?... erwiderte James Burbank.

– Ich weiß Alles, daß die Ansiedlung durch die Banden von Jacksonville zerstört, daß das Castle- House wüthend angegriffen wurde, daß meine Mutter... vielleicht gar todt ist!...«


James Burbank ergriff die Hand seines Sohnes. (S. 173.)
James Burbank ergriff die Hand seines Sohnes. (S. 173.)

Die Anwesenheit des jungen Mannes hier im Lande, wo er persönlich die größte Gefahr lief, kam jetzt zur Erklärung.

Die Sache verhielt sich folgendermaßen.[168]

Seit dem gestrigen Tage waren mehrere Kanonenboote vom Geschwader des Commodore Dupont bis über die Mündung des Saint-John vorgedrungen, hatten aber vor der Barre, vier Meilen unterhalb Jacksonville, Halt machen müssen. Einige Stunden später erschien ein Mann, angeblich einer der Feuerächter von Pablo, an Bord des Kanonenbootes von Stevens, auf dem Gilbert[169] die Stellung des zweiten Officiers einnahm. Dieser berichtete über Alles, was sich in und um Jacksonville ereignet hatte, den Einfall in Camdleß-Bay, die Zerstreuung der Schwarzen und den hoffnungslosen Zustand der Frau Burbank. Man kann sich leicht die Empfindungen Gilberts vorstellen, als er den Bericht über diese beklagenswerthen Vorkommnisse vernahm.

Da ergriff ihn denn ein unwiderstehliches Verlangen, seine Mutter wiederzusehen. Mit Erlaubniß des Commandanten Stevens verließ er die Flottille, warf sich in eines jener leichten Boote, welche man allgemein »Gigs« nennt, und begleitet von seinem treuen Mars konnte er – oder glaubte doch so – bei der herrschenden Dunkelheit unbemerkt den Fluß hinausfahren, bis er eine halbe Meile unterhalb Camdleß-Bay das Land betrat, um eine Landung in dem kleinen Hafen der Ansiedlung, der ja überwacht sein konnte, zu vermeiden.

Er wußte aber nicht und konnte nicht wissen, daß er dabei in eine ihm von Texar vorbereitete Falle ging. Um jeden Preis hatte der Spanier sich den von den Richtern des Court-Justice verlangten Beweis verschaffen wollen – den Beweis, daß James Burbank ein Einverständniß mit dem Feinde unterhielt. Um nun den jungen Lieutenant nach Camdleß-Bay zu verlocken, hatte ein ihm ergebener Wächter des Leuchtthurms von Pablo es übernommen, Gilbert einen Theil der Ereignisse, deren Schauplatz das Castle-House gewesen war, und vor Allem den gefahrdrohenden Zustand seiner Mutter erfahren zu lassen. Der junge Lieutenant, der unter den uns bekannten Verhältnissen abgefahren war, wurde dann, während er den Fluß hinaufschiffte, beobachtet. Während er aber längs des Röhrichts, welches die hohen Ufer des Saint-John besäumt, dahinglitt, war es ihm, ohne das selbst zu ahnen, gelungen, die zu seiner Verfolgung abgeschickten Leute von seiner Fährte abzulenken. Hatten ihn die Spione nicht an dem hohen Ufer unterhalb Camdleß-Bay landen sehen, so hofften sie wenigstens, sich seiner bei der Rückkehr zu bemächtigen, weil dieser ganze Theil des Flusses von ihnen scharf bewacht wurde.

»Meine Mutter!... Meine Mutter! rief Gilbert noch einmal. Wo ist sie?

– Hier, mein Sohn!« antwortete Frau Burbank.

Sie erschien eben auf dem Absatze der nach der Vorhalle führenden Treppe, die sie, sich am Geländer haltend, langsam herabstieg und sank da in ein Sopha nieder, während Gilbert sie mit seinen Küssen bedeckte.[170]

Trotz ihrer Betäubung hatte die Kranke doch das Pochen an der Thür des Castle-House vernommen und beim Erkennen der Stimme ihres Sohnes genug Kraft gefunden, sich zu erheben, um ihren Gilbert zu sehen, um mit ihm und all' den Ihrigen zu weinen.

Der junge Mann preßte sie in seine Arme.

»Mutter... Mutter!... rief er, ich sehe Dich also wieder!... O Gott, wie Du leidest!... Aber Du lebst doch!... Und wirst wieder genesen!... Ja, diese schrecklichen Tage werden ein Ende nehmen!... Wir werden wieder zusammen sein... Bald!... Wir geben Dir Deine Gesundheit wieder!... Fürchte nichts für mich, Mutterherz!... Niemand weiß, daß ich mit Mars hierher gekommen bin!...«

Und Gilbert versuchte, da er während seiner Rede die geliebte Mutter schwächer werden sah, sie durch seine Liebkosungen wieder zu beleben.

Inzwischen hatte Mars wohl begriffen, daß Gilbert und er selbst noch gar nicht die ganze Ausdehnung des Unglücks kannte, das sie betroffen hatte. Still neigten James Burbank und die Herren Carrol und Stannard den Kopf. Miß Alice konnte ihren Thränen nicht Einhalt thun. Ja, die kleine Dy war nicht hier, ebenso wenig Zermah, die es doch hätte errathen müssen, daß ihr Gatte eben nach Camdleß-Bay gekommen war, daß er sich im Hause befand, sie erwartete....

Mit angsterfülltem Herzen ließ er die Blicke nach allen Seiten der Vorhalle umherschweifen und fragte dann James Burbank:

»Was ist denn vorgefallen, Herr?«

In diesem Augenblick erhob sich Gilbert wieder.

»Und Dy?... rief er. Ist Dy schon schlafen gegangen?... Wo ist denn meine kleine Schwester?

– Und wo ist meine Frau?« sagte Mars.

Binnen einer Minute wußten der junge Officier und Mars Alles. Als sie von der Stelle, wo sie ihr Boot zurückließen, am hohen Ufer des Saint-John dahingeschritten waren, hatten sie trotz der Finsterniß die vielfachen Ruinen der Ansiedlung an verschiedenen Stellen erkennen können; sie glaubten freilich bis dahin, daß sich Alles nur auf einen materiellen Verlust, in Folge der Freilassung der Sclaven, beschränken dürfte... Jetzt waren sie aus jeder Unkenntniß gerissen. Der Eine fand nicht mehr seine Schwester, der Andere nicht mehr seine Gattin in der Wohnung.... Und Niemand vermochte ihnen zu sagen, nach welchem Versteck Texar dieselben seit sieben Tagen entführt habe.[171]

Gilbert kniete neben Frau Burbank nieder, er mischte seine Thränen mit den ihrigen. In Mars' Gesicht schwollen alle Adern an und mit keuchender Brust ging er hin und her.

Endlich machte sich sein Ingrimm Luft.

»Ich bringe Texar um! rief er. Ich gehe nach Jacksonville.... Morgen... noch heute Nacht... nein, auf der Stelle....

– Ja, komm', Mars, komm'!...« antwortete Gilbert.

James Burbank hielt sie zurück.

»Wenn das ausführbar gewesen wäre, sagte er, würde ich Dein Eintreffen nicht erst abgewartet haben, mein Sohn! Ja, jener Elende hätte gewiß schon mit seinem Leben bezahlt, was er uns angethan hat. Vor Allem aber ist es nöthig, daß er aussagt, was er aussagen kann; und wenn ich so zu Dir spreche, Gilbert, wenn ich Dir und Mars noch zu warten rathe, so geschieht das, weil es unbedingt nöthig ist.

– Du hast Recht, Vater, antwortete der junge Mann. Doch, so werde ich wenigstens die Umgebung durchsuchen, werde Alles aufbieten...

– Meinst Du denn, ich hätte das nicht gethan? rief Mr. Burbank. Kein Tag ist vergangen, ohne daß wir nicht die Ufer des Flusses, die Inseln und Holme, welche Texar als Zufluchtsort dienen können, abgesucht hätten. Doch nicht ein einziges Zeichen fand sich, das uns hätte auf die Fährte Deiner Schwester, Gilbert, und auf die Deiner Gattin, Mars, leiten können... bis her sind unsere Nachforschungen ganz erfolglos gewesen!...

– Warum sollten wir aber nicht in Jacksonville Klage führen? fragte der junge Officier. Und warum nicht Texar verfolgen als den Schuldigen, der die Verwüstung von Camdleß-Bay veranlaßt, der jenen schändlichen Raub...

– Warum? antwortete James Burbank. Weil derselbe Texar jetzt der Herr ist, weil Alle, die noch auf Ehre halten, vor den ihm ergebenen Schurken zittern müssen, weil der schlimmste Pöbel, aber leider ebenso die Miliz der Grafschaft, auf seiner Seite steht.

– Ich bringe Texar um! wiederholte Mars, als ob das in ihm schon zur fixen Idee geworden wäre.

– Das wirst Du thun, wenn es dazu Zeit ist! bemerkte ihm James Burbank. Für jetzt würde es die ganze Lage nur verschlimmern.

– Und wann wird es Zeit sein? fragte Gilbert.,[172] – Wenn die Föderirten die Herren von Florida sind, wenn sie Jacksonville in ihre Gewalt gebracht haben.

– Und wenn es dann zu spät wäre?

– Mein Sohn!... Mein Sohn!... Ich bitte Dich... sag' so etwas nicht! rief Frau Burbank.

– Nein, Gilbert, sag' so etwas nicht!« wiederholte Miß Alice.

James Burbank ergriff die Hand seines Sohnes.

»Höre mich an, Gilbert, sagte er. Wir würden ganz wie Du und wie Mars Texar auf der Stelle gebührend gestraft haben, wenn er verweigerte, auszusagen, wohin er seine Opfer geschleppt hat. Im Interesse Deiner Schwester, Gilbert, und im Interesse Deiner Gattin, Mars, mußte unser gerechter Zorn der Klugheit weichen. Wir haben in der That alle Ursache zu glauben, daß Texar Dy und Zermah als Geißeln betrachtet, durch die er sich zu decken sacht, denn der Schurke muß ja fürchten, verfolgt zu werden, weil er die gesetzmäßige Obrigkeit von Jacksonville gestürzt, weil er eine Bande Uebelthäter auf Camdleß-Bay gehetzt, weil er die Ansiedlung eines Nordstaatlers angezündet hat. Würde ich, wenn ich hiervon nicht überzeugt wäre, gegen Dich in dieser Weise sprechen, Gilbert? Woher würde ich den Muth nehmen, zu warten?

– Und ich den, noch zu leben!« rief Frau Burbank.

Die unglückliche Frau hatte eingesehen, daß ihr Sohn, wenn er sich nach Jacksonville begab, Texar in die Hände fallen mußte. Und was hätte dann einen Officier der föderirten Armee retten können, den die Südstaatler in der Gewalt hatten, während die Föderirten Florida bedrohten?

Der junge Officier war aber kaum noch Herr seiner selbst; er bestand darauf, sofort aufzubrechen. Und als Mars wieder rief:

»Ich bringe Texar um! – sagte er:

– So komm!

– Du wirst nicht gehen, Gilbert!«

Frau Burbank hatte sich mit dem letzten Aufgebot ihrer Kräfte erhoben und dicht vor die Thüre gestellt; aber erschöpft von dieser Anstrengung konnte sie sich nicht mehr halten und sank zusammen.

»Meine Mutter!... Meine Mutter!... rief der junge Mann.

– Bleib, bleib hier, Gilbert!« flehte Miß Alice.

Frau Burbank mußte nach ihrem Zimmer zurückgeschafft werden, wo das junge Mädchen an ihrer Seite verharrte. Dann gesellte sich James Burbank[173] wieder zu Edward Carrol und Mr. Stannard in der Vorhalle. Gilbert saß, den Kopf in die Hand gestützt, auf einem Divan, und Mars stand schweigend an der Seite.

»Jetzt, Gilbert, begann James Burbank, hast Du Dich selbst wiedergefunden. So sprich. Von dem, was Du uns zu sagen hast, werden die Entschlüsse, die wir zu fassen haben, abhängen. Wir hegen keine andere Hoffnung, als die einer schleunigen Ankunft der Föderirten in der Grafschaft. Haben sie denn auf ihre Absicht, Florida zu besetzen, ganz verzichtet?

– Nein, gewiß nicht, Vater.

– Wo sind sie denn?

– Ein Theil des Geschwaders begibt sich eben nach Saint-Augustine, um die Blockade der Küste vollständig zu machen.

– Doch denkt der Commodore nicht daran, sich in den Besitz von Jacksonville zu setzen? fragte lebhaft Edward Carrol.

– Der Unterlauf des Saint-John gehört uns schon, erklärte der junge Lieutenant. Unsere Kanonenboote liegen ja im Flusse selbst, unter dem Befehle des Commandanten Stevens vor Anker.

– Im Flusse!... Und sie haben noch keinen Versuch gemacht, sich Jacksonvilles zu bemächtigen?... rief Mr. Stannard.

– Nein, denn sie waren gezwungen, vor der Barre, vier Meilen unterhalb des Hafens der Stadt, Halt zu machen.

– Die Kanonenboote aufgehalten... sagte James Burbank, aufgehalten durch ein unüberwindliches Hinderniß?...

– Ja, lieber Vater, antwortete Gilbert, aufgehalten durch den Mangel an Fahrwasser. Die Fluth muß hoch steigen, um ihnen die Ueberschiffung der Barre zu gestatten, und auch dann hat diese noch ihre Schwierigkeiten. Mars kennt das Fahrwasser ganz genau, und er soll uns deshalb dabei als Lootse dienen.

– Warten!... Immer noch warten! rief James Burbank, und wie viele Tage?

– Höchstens drei Tage, und nur vierundzwanzig Stunden, wenn der Wind von außen die Fluthen in die Mündung treiben sollte.«

Drei Tage oder vierundzwanzig Stunden – wie lang mußte diese Zeit den Insassen des Castle-House erscheinen! Und würde bis dahin, wenn die Conföderirten die Ummöglichkeit, die Stadt wirksam zu vertheidigen, einsahen,[174] wenn sie dieselbe ebenso verließen, wie sie Fernandina, das Fort Clinch und andere Punkte von Georgia und vom nördlichen Florida verlassen hatten – würde dann Texar nicht mit ihnen entfliehen? Und wo sollte man diesen nachher aufsuchen?

Nichtsdestoweniger war es in diesem Augenblick, wo er in Jacksonville die Gesetze vorschrieb, wo der Pöbel ihn bei jedem Gewaltstreiche unterstützte, unmöglich, ihn anzugreifen. Auf einen solchen Gedanken war gar nicht zurückzukommen.

Mr. Stannard fragte darauf Gilbert, ob es wahr sei, daß die Föderirten im Norden einen Mißerfolg zu verzeichnen gehabt hätten und was man von der Niederlage bei Betonville zu halten habe.

»Der Sieg bei Pea-Ridge, antwortete der junge Lieutenant, hat den von Curtis geführten Truppen gestattet, das einen Augenblick verlorene Terrain wiederzunehmen. Die Lage der Nordstaatler ist eine ganz vorzügliche, ihr endlicher Erfolg in einer freilich nicht genau vorauszusehenden Zeit gesichert. Wenn sie erst die wichtigsten Punkte von Florida besetzt haben, werden sie schon die Zuführung von Kriegscontrebande, welche bisher über die hiesige Küste betrieben wurde, zu verhindern wissen, und in kurzer Zeit muß es den Conföderirten dann an Waffen ebenso wie an Munition fehlen. Es kann also nicht mehr lange währen, und das Staatsgebiet wird unter dem Schutze unseres Geschwaders die Ruhe und Sicherheit wiedergefunden haben, die ihm jetzt mangelt. Ja... binnen weniger Tage!... Aber bis dahin....«

Der Gedanke an seine so schweren Gefahren ausgesetzte Schwester kam wieder über ihn mit einer solchen Gewalt, daß Mr. Burbank diese Erinnerung in ihm zu verwischen suchen mußte, und deshalb lenkte er das Gespräch wieder auf die kriegführenden Theile. Gilbert konnte ihm ja gewiß noch so manche Neuigkeit mittheilen, die nicht bis Jacksonville oder wenigstens nicht bis Camdleß-Bay gedrungen war.

In der That gab es deren, und sogar solche von höchster Bedeutung für die Nordstaatler im Gebiete von Florida.

Der Leser erinnert sich vielleicht, daß in Folge des Sieges bei Donelson der Staat Tenessee fast vollständig wieder unter die Macht der Föderirten gekommen war. Diese gedachten, sich mittelst eines gleichzeitigen Angriffs ihrer Armeen und ihrer Flotte zu Herren des ganzen Verlaufs des Mississippi zu machen. Sie waren deshalb bis zur Insel 10 hinabgegangen, wo ihre Truppen[175] mit der Division des Generals Beauregard, dem die Vertheidigung des Flusses oblag, zuerst in Berührung kamen. Schon am 24. Februar hatten die Brigaden des General Pope, der bei Commerse am rechten Ufer des Mississippi ans Land gegangen war, das Corps J. Thomson's zurückgetrieben. Bei der Insel 10 und dem Dorfe New-Madrid angelangt, mußten sie freilich vor einem furchtbaren System von Feldwerken, welche Beauregard hatte anlegen lassen, Halt machen. Wenn seit dem Fall von Donelson und Nashville alle wichtigen Punkte oberhalb Memphis für die Conföderirten als verloren zu betrachten waren, so konnten doch diejenigen noch Widerstand leisten, welche sich unterhalb der genannten Stadt befanden. Auf diesem Punkt also sollte es bald zu einer Schlacht, und wahrscheinlich zu einem Entscheidungskampfe kommen.

Inzwischen war die Rhede von Hampton-Road am Eingang des James River der Schauplatz eines höchst denkwürdigen Seegefechtes gewesen. Dabei wurden die ersten Vertreter jener gepanzerten Schiffe auf die Probe gestellt, deren Verwendung die ganze Seetaktik verändert und die Flotten der Alten wie der Neuen Welt völlig umgestaltet hat.

Am 2. März waren der »Monitor«, ein von dem schwedischen Ingenieur Erikson gebautes Panzerschiff, und die »Virginia«, das heißt der umgewandelte »Merimmak« fertig geworden, der eine von New- York, der andere von Norfolk in See zu gehen.

Zu derselben Zeit befand sich eine föderalistische Division, vereinigt unter dem Befehl des Capitän Manston, vor Anker bei Hampton-Road, nahe Newport-News. Diese Schiffsabtheilung bestand aus dem »Congreß«, dem »Saint-Laurence«, dem »Cumberland« und zwei Dampffregatten.

Plötzlich erscheint am 5. März des Morgens die von dem conföderirten Capitän Buchanan geführte »Virginia« von einigen anderen minder bedeutenden Fahrzeugen begleitet, wirst sich zuerst auf den »Congreß«, dann auf den »Cumberland«, den sie mit ihrem Sporn anrennt und mit hundertzwanzig Mann Besatzung versenkt. Dann wendet sie sich gegen den »Congreß«, der in den Schlamm gerathen ist, durchlöchert ihn mit ihren gewaltigen Geschossen und überliefert das Schiff den Flammen. Nur die Nacht verhinderte die drohende Vernichtung auch der anderen drei föderirten Kriegsschiffe.

Man kann sich jetzt nur schwer vorstellen, welche Wirkung dieser Sieg eines kleinen gepanzerten Schiffes über die hochbordigen Schiffe der Union hervorbrachte. Diese Neuigkeit verbreitete sich mit wahrhaft wunderbarer Schnelle.[176]

Die Anhänger der Nordstaaten waren wirklich verblüfft und rathlos, da die »Virginia« ja vielleicht ungestraft bis in den Hudson vordringen und die vor New-York liegenden Fahrzeuge zerstören könnte. Auf der anderen Seite herrschte im Süden ein maßloser Jubel, da man hier schon die Blockade aufgehoben und den Handel an allen Küsten wieder unbeschränkt sah.


Angriff der Föderirten auf die Insel 10. (S. 176.)
Angriff der Föderirten auf die Insel 10. (S. 176.)

Dieser maritime Erfolg war es gewesen, der am vorhergehenden Tage in Jacksonville so geräuschvoll gefeiert wurde. Die Conföderirten konnten jetzt glauben, gegen die Kriegsschiffe der Bundesregierung geschützt zu sein. Vielleicht wurde auch in Folge des Sieges von Hampton-Road das Geschwader des Commodore Dupont nach dem Potomak oder dem Chesapeake gerufen. Dann war Florida nicht länger von einer Landung bedroht. Die Anschauungen der Freunde der Sclaverei, welche sowieso von der gewaltthätigsten Volksclasse des Südens getragen wurden, mußten dann ohne Widerstreit triumphiren. Das hätte aber die Sicherstellung Texar's und seiner Genossen in einem Amte bedeutet, durch das sie so viel Unheil anrichten konnten.

Die Conföderirten hatten sich übrigens mit ihren Siegesgeschrei etwas stark übereilt, und mehrere im Norden von Florida schon bekannt gewordene Neuigkeiten vervollständigte Gilbert, indem er die umlaufenden Gerüchte erzählte, die zur Zeit, seit er das Kanonenboot des Commandanten Stevens verließ, auftauchten.

Der zweite Tag des Kampfes von Hampton-Road war gerade das Gegentheil von dem vorhergegangenen gewesen. Am Morgen des 9. März, als die »Virginia« sich anschickte, die »Minnesota«, eine der beiden föderirten Fregatten, anzugreifen, stellte sich ihr ein Feind entgegen, den sie vorher hier nicht einmal geahnt hätte. Es war ein merkwürdig aussehendes Fahrzeug, das sich von der Flanke der Fregatte ablöste, eine auf einem Floß angebrachte Käsebüchse, sagten die Conföderirten. Diese Käsebüchse entpuppte sich als der vom Lieutenant Marden befehligte »Monitor«. Er war in diese Gewässer geschickt worden, um die Batterien im Potomak zu zerstören. Lieutenant Marden hatte aber, als er an der Mündung des James-River angekommen und den Kanonendonner von Hampton-Road gehört, den »Monitor »auf dieses Kampffeld geführt.

Nur zehn Faden von einander entfernt, beschossen sich die beiden furchtbaren Kriegsmaschinen volle vier Stunden und rannten aneinander an, ohne sich besondern Schaden zuzufügen. Endlich mußte die in der Schwimmlinie getroffene »Virginia«, welche zu sinken drohte, in der Richtung nach Norfolk entfliehen.[179]

Der »Monitor«, welcher übrigens ebenfalls neun Monate später untergehen sollte, hatte seinen Gegner vollständig geschlagen, und Dank diesem Siege erlangte die Bundesregierung wieder die Oberherrschaft auf den Gewässern von Hampton-Road.

»Nein, Vater, sagte Gilbert, unser Geschwader ist bestimmt nicht nach dem Norden zurückgerufen worden. Die sechs Kanonenboote von Stevens ankern vor der Barre des Saint-John. Ich wiederhole Dir, binnen höchstens drei Tagen sind wir die Herren von Jacksonville.

– Du siehst wohl, Gilbert, antwortete Mr. Burbank, daß Du warten und nach Deinem Schiffe zurückkehren mußt. Doch während Du Dich hierher nach Camdleß-Bay begabst, fürchtest Du nicht, bemerkt worden zu sein?

– Nein, lieber Vater, versicherte der junge Lieutenant, Mars und mir gelang es, Jedermanns Blicken zu entgehen.

– Und jener Mann, der damals kam, Dir mitzutheilen, was auf der Pflanzung vorgefallen war, der Dir von dem Brande, der Plünderung und von der Erkrankung Deiner Mutter berichtete, wer war er?

– Er gab sich für einen der Wächter aus, die von dem Leuchtthurm von Pablo vertrieben worden waren, und er machte auch den Commandanten Stevens auf die Gefahr aufmerksam, welche den Nordstaatlern in diesem Theile von Florida drohte.

– Vorher wußte er von Deiner Anwesenheit an Bord nichts?

– Nein, er schien daüber vielmehr sehr erstaunt zu sein, erklärte der junge Lieutenant. Doch wozu diese Fragen, lieber Vater?

– Ich fürchte bei der ganzen Sache immer eine von Texar gelegte Falle. Er ahnt nicht allein, sondern er weiß entschieden, daß Du in der föderirten Marine dienst. Er hat erfahren können, daß Du Dich unter dem Befehl des Commandanten Stevens befindest. Wenn er Dich hätte hierher locken wollen...

– O, fürchte nichts, Vater. Wir sind in Camdleß-Bay angekommen, ohne bei der Herfahrt auf dem Flusse von irgend Jemand gesehen worden zu sein, und ganz dasselbe wird der Fall sein, wenn wir wieder hinunterwärts fahren...

– Um nach Deinem Schiffe zurückzukehren... nicht anderswohin!

– Ich hab' es Dir versprochen, Vater. Mars und ich, wir werden vor Tagesanbruch an Bord zurück sein.

– Um welche Stunde brecht Ihr auf?

– Mit Eintritt der Ebbe, das heißt gegen zwei Uhr Morgens.[180]

– Wer weiß, ließ sich Mr. Carrol vernehmen, vielleicht werden die Kanonenboote Stevens' gar nicht drei Tage lang vor der Barre des Saint-John aufgehalten.

– Ja... es genügt, daß der Wind vom Meere her auffrischt, um der Barre hinreichend Wasser zuzuführen, antwortete der junge Lieutenant. O, wollte er sich doch zum Sturme verwandeln und mit aller Macht blasen! Endlich, endlich müssen wir doch jene Schurken unterwerfen und dann...

– Dann bringe ich Texar um!« wiederholte Mars.

Es war jetzt ein wenig vor Mitternacht. Gilbert und Mars sollten das Castle-House vor zwei Uhr nicht verlassen, da sie warten mußten, bis die eintretende Ebbe ihnen gestattete, die Flottille des Commandanten Stevens zu erreichen. Die Dunkelheit mußte eine sehr tiefe werden, und so boten sich die besten Aussichten, daß sie unbemerkt davon kommen würden, obwohl zahlreiche Boote damit beauftragt waren, den Saint-John stromabwärts von Camdleß-Bay zu überwachen.

Der junge Officier begab sich noch einmal zu seiner Mutter hinaus. Er fand Alice in ihrem Stuhle sitzen. Frau Burbank war, gebrochen von der letzten Anstrengung, die sie sich zugemuthet, in eine Art schmerzhafte Betäubung versanken, wenigstens den Seufzern nach zu urtheilen, die sich von Zeit zu Zeit ihrer Brust entrangen.

Gilbert wollte diesen halbbewußtlosen Zustand, der allerdings mehr einer Ohnmacht, als dem Schlafe glich, nicht stören. Er setzte sich neben das Bett, nachdem ihm Miß Alice durch ein Zeichen angedeutet hatte, nicht zu sprechen. Hier beobachteten nun Beide schweigend die arme Frau, die vielleicht die härtesten Schicksalsschläge noch immer nicht empfangen hatte. Brauchten sie denn Worte, um ihre Gedanken auszutauschen? Nein, sie litten von demselben Leiden, sie verstanden sich, ohne etwas zu sagen, sie sprachen ja mit dem Herzen!

Endlich erschien die Stunde des Aufbruches aus dem Castle-House. Gilbert hielt Miß Alice die Hand entgegen und Beide beugten sich über Frau Burbank, deren halbgeschlossene Augen die jungen Leute nicht sehen konnten.

Dann drückte Gilbert seine Lippen auf die heiße Stirn seiner Mutter, welche das junge Mädchen nach ihm küßte. Frau Burbank schien das wie ein schmerzhaftes Zittern zu durchbeben; sie sah aber weder ihren Sohn sich zurückziehen noch Miß Alice ihm nachfolgen, um dem Verlobten das letzte Lebewohl zu sagen.[181]

Gilbert und sie kamen wieder zu James Burbank und dessen Freunden, welche die Vorhalle nicht verlassen hatten.

Mars, der sich nur in der Umgebung des Castle-House umgesehen hatte, trat hier eben wieder ein.

»Es ist Zeit aufzubrechen, sagte er.

– Ja, Gilbert, antwortete James Burbank. – Geh also mit Gott!... Wir werden uns nicht eher, als in Jacksonville wiedersehen...

– Ja... in Jacksonville und schon morgen, wenn die Fluth uns gestattet, die Barre zu überschiffen. Was Texar betrifft...

– So müssen wir diesen lebend in unsere Gewalt bekommen!... Vergiß das nicht, Gilbert!

– Ja, ja... lebend!...«

Der junge Mann umarmte seinen Vater und drückte seinem Oheim Carrol sowie Mr. Stannard die Hand.

»Komm nun, Mars,« sagte er.

Beide folgten wieder dem rechten Ufer des Flusses längs der Grundstücke der Ansiedlung und schritten etwa eine halbe Stunde scharf dahin. Unterwegs trafen sie keine lebende Seele. An der Stelle angelangt, wo sie ihre Gig unter einem Haufen Schilfrohr verborgen hatten, schifften sie sich ein, um die schnellere Strömung zu benützen, welche sie rasch über die Barre des Saint-John führen sollte.

Quelle:
Jules Verne: Nord gegen Süd. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LII–LIII, Wien, Pest, Leipzig 1889, S. 167-177,179-182.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Nord gegen Süd
Nord gegen Süd
Nord gegen Süd Band 2 (Collection Jules Verne)
Nord gegen Süd

Buchempfehlung

Bjørnson, Bjørnstjerne

Synnöve Solbakken. (Synnøve Solbakken)

Synnöve Solbakken. (Synnøve Solbakken)

Vor dem Hintergrund einer romantisch idyllischen Fabel zeichnet der Autor individuell realistische Figuren, die einerseits Bestandteil jahrhundertealter Tradition und andererseits feinfühlige Persönlichkeiten sind. Die 1857 erschienene Bauernerzählung um die schöne Synnöve und den hitzköpfigen Thorbjörn machte Bjørnson praktisch mit Erscheinen weltberühmt.

70 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon