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[200] Eine Stunde später betrat Gilbert den Landungsplatz von Jacksonville. Die stromabwärts abgefeuerten Revolverschüsse waren hier gehört worden, doch wußte natürlich Niemand, ob es sich dabei um einen Kampf zwischen den conföderirten Booten und der föderirten Flottille handelte oder ob man gar fürchten[200] sollte, daß die Kanonenboote des Commandanten Stevens die Fahrstraße an jener Stelle schon passirt hätten. Die Bevölkerung der Stadt gerieth darüber in erklärliche Aufregung und viele Einwohner strömten infolge dessen nach dem Landungsplatze hin. Die Civilbehörden in der Person Texar's und seiner entschiedensten Parteigänger hatten sich beeilt, jenen zu folgen.
Alle blickten erwartungsvoll nach der jetzt vom Nebel befreiten Barre hinaus. Gläser und Fernrohre waren unablässig in Gebrauch, die Entfernung – nahezu drei Meilen – erwies sich jedoch als zu groß, um sich über die[201] Bedeutung des Gefechtes und seines Ausganges sichere Rechenschaft geben zu können.
Jedenfalls verweilte die Bundesflottille noch immer in der schon am Vortage innegehabten Stellung und Jacksonville hatte von einem unmittelbaren Angriffe der Kanonenboote vorläufig nichts zu fürchten. Die am meisten Compromittirten seiner Einwohner mußten also Zeit gewinnen, um ihr Entweichen nach dem Innern Floridas vorzubereiten.
Wenn übrigens Texar und zwei oder drei seiner Genossen mehr als Andere Ursache hatten, wegen ihrer persönlichen Sicherheit besorgt zu sein, so schien es ihnen doch nicht, als ob sie sich wegen jenes Vorfalles zu beunruhigen hätten. Der Spanier mochte sogar ahnen, daß es sich dabei nur um die Aufbringung jenes kleinen Bootes handle, dessen er sich um jeden Preis bemächtigen wollte.
»Ja, um jeden Preis! wiederholte Texar, der das sich schon dem Hafen nähernde Boot zu erkennen trachtete. Um jeden Preis – diesen Sohn Burbank's, der glücklich in die ihm von mir gestellte Falle gegangen ist. Endlich habe ich ihn, den Beweis, daß James Burbank mit den Föderirten ein Einverständniß unterhält! Donnerwetter, wenn ich den Sohn habe ins Gras beißen lassen, sollen keine vierundzwanzig Stunden vergehen, bis auch der Vater sein Loth Blei im Kopfe hat!«
Obwohl seine Partei in Jacksonville die Oberhand besaß, hatte Texar, schon in Folge mehrfacher Kundgebungen zu Gunsten James Burbank's, eine passende Gelegenheit erwarten wollen, um den ihm Verhaßten aufs neue verhaften zu lassen. Da hatten es die Umstände gefügt, daß er Gilbert in eine geschickt gelegte Schlinge locken konnte. Wurde Gilberts Eigenschaft als föderirter Officier nachgewiesen, er im feindlichen Lande gefangen und als Spion zum Tode verurtheilt, so konnte der Spanier seiner Rache bis zur Neige genug thun.
Das Glück wollte ihm jetzt wirklich gar zu wohl. Es war der Sohn James Burbank's, des Ansiedlers von Camdleß-Bay, der eben nach dem Hafen von Jacksonville eingeliefert wurde.
Daß Gilbert allein und sein Begleiter ertrunken oder gerettet war, hatte nicht viel zu bedeuten, da der junge Officier eingefangen wurde. Jetzt galt es nur noch, diesen vor ein aus Anhängern Texar's zusammengesetztes Gericht zu stellen, in dem der Spanier selbst den Vorsitz führte.
Gilbert wurde mit Gejohle und Bedrohung seitens der Volksmenge, die ihn recht wohl kannte, empfangen, eine Begrüßung, die er mit gerechter Verachtung[202] aufnahm. Seine Haltung verrieth nicht die geringste Furcht, obwohl eine zahlreiche Begleitmannschaft herangezogen werden mußte, um ihn vor den sinnlosen Wuthausbrüchen des Pöbels zu schützen. Nur als er Texar bemerkte, konnte er sich nicht länger beherrschen und hätte sich auf den Elenden gestürzt, wenn seine Wächter ihn nicht davon zurückhielten.
Texar selbst machte keine Bewegung und sprach auch kein Wort; ja, er gab sich den Anschein, als ob er den jungen Officier gar nicht bemerkte, denn er ließ ihn mit erheuchelter Gleichgiltigkeit sich ruhig entfernen.
Wenige Minuten später sah Gilbert sich in dem Stadtgefängnisse von Jacksonville eingeschlossen, und Niemand konnte sich einer Täuschung darüber hingeben, welches Loos ihm von den südstaatlichen Machthabern bestimmt sei.
Gegen Mittag meldete sich Mr. Harvey, der Geschäftsfreund James Burbank's, im Gefängnisse, um Gilbert aufzusuchen, aber nur um mit nichtssagenden Redensarten abgewiesen zu werden. Auf ausdrücklichen Befehl Texar's sollte der junge Lieutenant strengstens allein gehalten werden. Mr. Harvey's gutwilliger Schritt hatte nur zur Folge, daß auch er sich eine heimliche Beobachtung zuzog.
In der That waren ja seine näheren Beziehungen zur Familie Burbank nicht unbekannt geblieben, und es gehörte mit zu den Plänen des Spaniers, daß die Verhaftung Gilberts auf Camdleß-Bay nicht sofort bekannt wurde. Nach stattgefundener, nur der Form halber angestellter Untersuchung und Verurtheilung, würde es Zeit genug sein, James Burbank von dem Vorgefallenen zu benachrichtigen, und wenn er dann davon erfuhr, würde es ihm nicht mehr gelingen, aus dem Castle-House zu entfliehen, um Texar zu entgehen.
Ueberdies konnte Mr. Harvey einen Boten nach Camdleß-Bay gar nicht mehr schicken, da alle Fahrzeuge im Hafen mit Beschlag belegt worden waren. Da eben jede Verbindung zwischen dem rechten und dem linken Ufer des Flusses aufhörte, konnte die Familie Burbank von der Verhaftung Gilberts auch keine Kenntniß bekommen, und während sie ihn an Bord des Kanonenbootes Stevens' wähnte, saß der junge Mann – eingesperrt im Gefängnisse zu Jacksonville.
Mit welcher Seelenspannung lauschte man inzwischen im Castle-House darauf, ob nicht ein entfernter Kanonendonner das Eintreffen der Föderirten diesseits der Barre verkündigte. Jacksonville in den Händen der Nordstaatler bedeutete ja gleichzeitig Texar in der Hand James Burbank's! Letzterer gewann dadurch aber wieder die Freiheit, im Verein mit dem Sohne und den Freunden[203] der Familie die bis jetzt erfolglos gebliebenen Nachforschungen von neuem aufzunehmen.
Aber nichts ließ sich von stromabwärts her vernehmen. Der Verwalter Perry, der den Saint-John bis zur Linie der Absperrung besichtigte, und Pyg mit einen der Unterverwalter, die an dem Uferland bis drei Meilen unterhalb der Pflanzung entsendet worden waren, brachten die nämliche Meldung heim. Die Flottille lag immer noch vor Anker; es schien, als treffe man hier noch keinerlei Vorbereitung abzusegeln und bis zur Höhe von Jacksonville vorzudringen.
Wie hätten die Schiffe auch die Barre überwinden sollen? Selbst angenommen, daß die Fluth diese über Erwarten zeitig wieder fahrbar machte, konnten sich die Kanonenboote nicht in die deshalb noch immer gefährliche Wasserstraße hineinwagen, so lange der einzige Lootse, der alle Windungen des Weges genau kannte, nicht zur Hand war.
Auf der Ansiedlung erschien Mars übrigens nicht wieder.
Am folgenden Tage, dem 11. März, gegen elf Uhr, war der unter dem Vorsitze Texar's stehende Ausschuß in demselben Saale des Court-Justice versammelt, in dem der Spanier schon früher als Ankläger James Burbank's aufgetreten war. Diesmal boten sich aber bezüglich des jungen Officiers so ernsthafte Belastungsmomente dar, daß dieser dem ihm in Voraus bestimmten Schicksal nicht mehr entgehen konnte – sein Todesurtheil war schon so gut wie gefällt. Nach abgethaner Frage bezüglich des Sohnes wollte sich Texar mit der des Vaters beschäftigen. Hielt er die kleine Dy in seiner Macht und unterlag Frau Burbank den wiederholten, von seinen Händen gegen sie gerichteten Schlägen, so fühlte er seine Rache gestillt. Schien es nicht, als ob Alles sich günstig fügte, um seinem unversöhnlichen Hasse Ausdruck geben zu können?
Gilbert wurde aus seiner Zelle geholt. Ganz wie gestern begleiteten ihn Pöbelhaufen mit wüstem Geschrei, und auch als er den Saal betrat, wo sich jenes Zerrbild eines Richterstuhles, die wildeste Spießgesellenbande des Spaniers, befand, erhoben sich tobende Rufe aus den Reihen der Zuhörer.
»Zum Tode mit dem Spion!... Zum Tode!«
Dahin ging die Beschuldigung, welche die hirnlose Pöbelmasse auf Anregung Texar's ihm schon am Vortage nachgeschleudert hatte.
Gilbert hatte inzwischen seine ganze Kaltblütigkeit wieder erlangt und es gelang ihm sogar, sich gegenüber dem Spanier zu bemeistern, der nicht einmal[204] Scham genug zeigte, bei einer ihn persönlich interessirenden Verhandlung unbetheiligt zu bleiben.
»Ihr nennt Euch Gilbert Burbank, begann Texar, und seid gegenwärtig Officier in der föderirten Kriegsflotte?
– Ja.
– Und augenblicklich Lieutenant an Bord eines der Kanonenboote des Commandanten Stevens?
– Ja.
– Ihr seid der Sohn jenes James Burbank, des Amerikaners aus dem Norden und Besitzers der Ansiedlung von Camdleß-Bay?
– Ja.
– Gesteht Ihr zu, die unterhalb der Barre verankert liegende Flottille in der Nacht des zehnten März verlassen zu haben?
– Ja.
– Gesteht Ihr ferner, gefangen worden zu sein, als Ihr im Begriffe wart, Euch in Begleitung eines Matrosen von demselben Schiffe wieder nach der Flottille zu begeben?
– Ja.
– Wollt Ihr offen aussagen, was Ihr auf den Gewässern des Saint-John beabsichtigtet?
– Es erschien ein Mann an Bord des Kanonenbootes, auf dem ich als zweiter Officier diene. Er benachrichtigte mich, daß die Pflanzung meines Vaters durch einen Haufen von Mordbrennern verwüstet, daß das Castle-House von den Räubern wenigstens bestürmt worden war. Ich brauche dem Vorsitzenden des über mich aburtheilenden Ausschusses nicht zu sagen, auf wen die Verantwortung für jene Schandthaten zurückfällt.
– Und ich, erwiderte Texar, habe Gilbert Burbank nur zu sagen, daß sein Vater durch Freilassung seiner Sclaven der öffentlichen Meinung einen Schlag in's Gesicht versetzt hatte, daß eine Verordnung die Ausweisung der neuen Freigelassenen bestimmte und daß dieser Verordnung der nöthige Nachdruck gegeben werden mußte....
– Durch Raub und Brandstiftung, unterbrach ihn Gilbert, durch eine Gräuelthat, deren persönlicher Urheber kein anderer, als Texar ist!
– Wenn ich vor meinen Richtern stehe, werde ich Antwort geben, entgegnete der Spanier frostig. Versucht es nicht, Gilbert Burbank, die Rollen zu tauschen. Ihr steht hier als Angeklagter, nicht als Kläger.[205]
– Ja wohl... als Angeklagter... wenigstens augenblicklich, antwortete der junge Officier. Die föderirten Kanonenboote brauchen aber nur die Flußbarre zu überschiffen, um sich Jacksonvilles zu bemächtigen, und dann...«.
Da schrie Alles wild durcheinander und nur noch heftiger wurden Drohungen laut gegen den jungen Officier, der sich erkühnte, den Südstaatlern so in's Gesicht zu trotzen.
»Zum Tode!... Zum Tode!« tönte es von allen Seiten.
Dem Spanier kostete es einige Mühe, die aufgeregte Menge zu beschwichtigen. Dann nahm er die Befragung wieder auf.
»Werdet Ihr uns einfach sagen, Gilbert Burbank, aus welchem Grunde Ihr letztvergangene Nacht Euer Schiff verlassen habt?
– Ich verließ es, um meine sterbende Mutter zu sehen.
– Ihr gesteht also zu, an Camdleß-Bay gelandet zu sein?
– Ich habe keine Ursache, das zu verhehlen.
– Und einzig und allein, um Eure Mutter zu sehen?
– Allein aus diesem Grunde.
– Wir haben dagegen Veranlassung zu glauben, bemerkte Texar, daß Ihr dabei noch einen anderen Zweck verfolgtet.
– Welchen?
– Den, mit Eurem Vater zu verhandeln, mit dem nordstaatlich gesinnten Pflanzer, der schon lange im Verdacht steht, ein Einverständniß mit der Armee der Föderalisten zu unterhalten.
– Ihr wißt selbst, daß das erlogen ist, erwiderte Gilbert in ganz natürlicher Entrüstung. Wenn ich nach Camdleß-Bay gekommen bin, so geschah das nicht als Officier, sondern als Sohn....
– Nein, als Spion!« entgegnete Texar.
Da verdoppelten sich die Rufe: »Zum Tode mit dem Spion!... Zum Tode!...«
Gilbert sah wohl ein, daß er verloren war; einen schmerzlichen Stich gab ihm aber noch der neue Gedanke in's Herz, daß auch sein Vater gleich ihm verloren sei.
»Ja, nahm Texar wieder das Wort, die Krankheit Eurer Mutter war nur ein Vorwand! Ihr seid nach Camdleß-Bay als Spion gekommen, um den Föderirten Nachricht über die auf dem Saint-John getroffenen Maßnahmen zur Vertheidigung zu bringen!«[206]
Gilbert schnellte empor.
»Ich bin gekommen, um meine sterbende Mutter zu sehen, antwortete er nachdrücklicher, und das wißt Ihr recht wohl. Nimmermehr hätt' ich geglaubt, daß sich in einem civilisirten Staate Richter finden könnten, die es einem Soldaten als Verbrechen anrechneten, an's Sterbebett seiner Mutter geeilt zu sein, wenn dieses auch auf feindlichem Gebiete stand! Mag der, der mein Verfahren tadelt und unter gleichen Umständen nicht ebenso gehandelt hätte, doch vortreten und es auszusprechen wagen!«
Jede Zuhörerschaft, die nicht aus Leuten bestand, in denen der Haß jedes Gefühl ertödtete, hätte dieser ebenso edelmüthigen wie offenen Erklärung Beifall spenden müssen. Hier ließ sich davon nichts spüren. Nur Verwünschungen beantworteten dieselbe und gröhlende, an Texar gerichtete Zustimmung, als der Spanier erklärte, daß sich James Burbank schon durch Aufnahme eines feindlichen Officiers zur Kriegszeit ganz ebenso schuldig gemacht habe, wie dieser Officier selbst. Endlich war also der Beweis ermittelt, den Texar beizubringen versprochen, der Beweis des geheimen Einverständnisses James Burbank's mit der Armee des Nordens.
Die sogenannten Richter verurtheilten denn auch, sich stützend auf seine Zugeständnisse in den seinen Vater betreffenden Fragen, Gilbert Burbank, Lieutenant der föderirten Kriegsmarine, zum Tode durch Pulver und Blei.
Der Verurtheilte wurde darauf, inmitten des Gejohles des Pöbels, der ihn mit den Rufen: »Zum Tode mit dem Spion!... Zum Tode!...« verfolgte, sofort in's Gefängniß zurückgeführt.
Am Abend traf noch eine Abtheilung Miliz auf Camdleß-Bay ein.
Der dieselbe führende Officier fragte nach Mr. Burbank.
James Burbank trat vor. Edward Carrol und Walter Stannard schlossen sich ihm an.
»Was verlangt man von mir? fragte James Burbank.
– Lesen Sie diesen Befehl!« antwortete der Officier.
Der betreffende Befehl lautete dahin, James Burbank zu verhaften als Mitschuldigen Gilbert Burbank's, der, wegen Spionage vom Bürgerausschuß in Jacksonville zum Tode verurtheilt, in den nächsten achtundvierzig Stunden erschossen werden sollte.
Ende des ersten Theiles.[207]
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Nord gegen Süd
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