Sechstes Capitel.
Jacksonville.

[63] »Ja, Zermah, Ihr habt nun einmal das Licht der Welt erblickt, um Sclaven zu sein, bemerkte der Oberverwalter, sein gewohntes Steckenpferd reitend.


»Ist es geschehen?« fragte ihn Texar. (S. 63.)
»Ist es geschehen?« fragte ihn Texar. (S. 63.)

Ja, Sclaven, nimmermehr aber, um freie Geschöpfe zu werden.[63]

– Das ist meine Ansicht nicht, erwiderte Zermah ruhigen Tones, ohne irgend welche Erregung zu zeigen, da sie an derartige Gespräche mit dem ersten Verwalter von Camdleß-Bay schon gewöhnt war.

– Wohl möglich, Zermah! Doch wie dem auch sei, Ihr werdet Euch endlich zu der Anschauung bekennen müssen, daß es zwischen Weißen und Schwarzen vernünftiger Weise niemals zu einer Gleichstellung kommen kann.

– Das ist schon geschehen, Herr Perry, und ist schon durch die Natur selbst bestimmt worden.[64]

– Ihr täuscht Euch, Zermah, Beweis dafür ist, daß es auf der Erde zehnmal, zwanzigmal – was sag' ich? – hundertmal mehr Weiße als Schwarze gibt.

– Und deshalb haben Jene die Letzteren ins Sclavenjoch gebeugt, antwortete Zermah. Sie hatten die Macht und haben dieselbe mißbraucht. Wären die Schwarzen in der Ueberzahl auf der Erde gewesen, so würden sie die Weißen zu ihren Sclaven gemacht haben.... Doch nein; sie hätten sich sicherlich gerechter und minder grausam gezeigt!«[65]

Man darf nicht etwa glauben, daß dieses vollkommen müßige Zwiegespräch es verhinderte, daß Zermah und der Oberverwalter in bestem Einvernehmen lebten. In diesem Augenblick hatten sie eben nichts Anderes zu thun, als zu plaudern. Man könnte nur voraussetzen, daß sie dazu einen nützlicheren Gegenstand hätten wählen sollen, und das wäre wohl auch der Fall gewesen, ohne die Grille des Sclavenverwalters, immer und immer wieder die Sclavenfrage zu behandeln.


Sie glitten in schräger Richtung über den Fluß. (S. 66.)
Sie glitten in schräger Richtung über den Fluß. (S. 66.)

Beide saßen im Hintertheile eines der Boote von Camdleß-Bay, welches vier Mann von der Pflanzung ruderten. Sie glitten in schräger Richtung über den Fluß und begaben sich, von der fallenden Fluth begünstigt, gerade nach Jacksonville.

Der Verwalter hatte daselbst einige Geschäfte für James Burbank zu besorgen, und Zermah wollte verschiedene Toilettegegenstände für die kleine Dy kaufen.

Es war jetzt der 10. Februar. Seit drei Tagen war James Burbank nach dem Castle-House und Texar zur schwarzen Bucht nach jenen Vorgängen in Saint-Augustine zurückgekehrt.

Selbstverständlich hatten Mr. Stannard und seine Tochter schon am folgenden Tage eine kurze Mittheilung von Camdleß-Bay erhalten, welche sie im Auszuge über den letzteingegangenen Brief Gilberts unterrichtete. Diese Neuigkeiten konnten gar nicht zeitig genug eintreffen, um Alice, deren Leben seit dem Ausbruch des schrecklichen Krieges zwischen dem Süden und dem Norden in fortwährender Angst verging, wenigstens einigermaßen zu beruhigen.

Das mit einem lateinischen Segel versehene Boot glitt rasch dahin. Vor Ablauf einer Viertelstunde mußte es den Hafen von Jacksonville erreichen. Der Verwalter behielt also nicht viel Zeit, sein Lieblingsthema zu entwickeln, und er ließ diese nicht ungenützt verstreichen.

»Nein, Zermah, fuhr er fort, nein! Auch wenn die Schwarzen in der Ueberzahl gewesen wären, hätte das an dem Stande der Dinge nichts geändert. Ja, ich behaupte sogar, daß man, der endliche Ausgang des Krieges sei nun welcher er will, doch allemal zur Sclaverei zurückkehren wird, denn Sclaven sind einmal für den Betrieb der Pflanzungen unerläßlich nothwendig.

– Das ist, wie Sie recht gut wissen, die Ansicht des Herrn Burbank aber nicht, antwortete Zermah.

– Ich weiß es; doch bei aller Achtung, die ich vor ihm empfinde, muß ich es gestehen, daß er sich damit täuscht. Ein Schwarzer gehört zu einer[66] Pflanzung ganz ebenso, wie etwa ein Pferd oder ein Feldgeräth. Wenn ein Pferd davon laufen könnte, wie es ihm beliebte, oder es einem Pfluge möglich wäre, sich in andere Hände als die seines Eigenthümers zu begeben, so wäre jeder regelrechte Betrieb ausgeschlossen. Herr Burbank mag nur seine Sclaven freigeben, und er wird bald sehen, was aus Camdleß-Bay wird.

– Das hätte er schon gethan, erwiderte Zermah, wenn die Umstände es ihm erlaubten. Ihnen, Herr Perry, kann das ja nicht unbekannt sein. Doch, wollen Sie wissen, was die Folge wäre? Kein Einziger hätte die Pflanzung verlassen und nichts hätte sich geändert, außer dem Rechte, die Schwarzen gleich Arbeitsthieren zu behandeln. Da auch Sie niemals von diesem Rechte Gebrauch gemacht haben, wäre Camdleß-Bay eben geblieben, was es vorher war.

– Meint Ihr etwa, Zermah, mich zu Euren Anschauungen bekehren zu können? fragte der Verwalter.

– Keineswegs, Herr Verwalter. Das wäre übrigens auch aus einem ganz nahe liegenden Grunde sehr unnütz.

– Und warum denn?

– Weil Sie über diese Frage eigentlich ganz ebenso denken, wie Herr Burbank, Herr Carrol und Herr Stannard, ja, wie alle Diejenigen, welche ein edles Herz und gerechten Sinn haben.

– Niemals, Zermah, niemals! Ja, ich behaupte sogar, was ich vertrete, das thue ich im wirklichen Interesse der Schwarzen. Wenn man diese ihrem freien Willen überläßt, so werden sie untergehen und die ganze Race wird bald verschwinden.

– Das glaub' ich nicht, Herr Perry, was Sie auch sagen mögen. Auf jeden Fall wäre es jedoch besser, die Race ginge gänzlich unter, als in aller Ewigkeit der erniedrigenden Sclaverei unterworfen zu sein!«

Der Verwalter hatte schon eine Antwort auf den Lippen und es ist wohl vorauszusetzen, daß seine Gegenbeweise noch lange nicht zu Ende waren. Eben wurde jedoch das Segel eingezogen und das Boot stieß an die Pfahlwand des Hafens. Hier sollte dasselbe die Rückkehr Zermah's und des Verwalters erwarten. Beide gingen denn auch sofort an's Land, um ihre Geschäfte zu besorgen.

Jacksonville liegt am linken Ufer des Saint-John, an der Grenze einer großen und niedrigen Ebene, die nur am Horizont von dem immergrünen Rahmen herrlicher Waldungen abgeschlossen wird. Mais- und Zuckerfelder, sowie,[67] vorzüglich mehr in der Nähe des Flusses, ausgedehnte Reisplantagen nehmen den größten Theil des umgebenden Landes ein.

Vor kaum zehn Jahren war Jacksonville noch nichts als ein großes Dorf mit einer Art Vorstadt, deren Lehm- und Schilfrohrhütten der schwarzen Bevölkerung zur Wohnung dienten.

Jetzt begann das Dorf sich zur Stadt umzuwandeln, und zwar ebenso durch seine schöneren und bequemeren Gebäude, wie die besser angelegten und sorgsamer unterhaltenen Straßen und die seitdem mindestens verdoppelte Anzahl seiner Bewohner. Im Laufe des folgenden Monats sollte dieser Hauptort der Grafschaft Duval durch die Eisenbahn mit Talhassee, der Hauptstadt von Florida, noch mehr gewinnen.

Schon hatten der Verwalter und Zermah bemerkt, daß in der Stadt eine besonders lebhafte Erregung herrschte. Einige hundert Leute, die einen Südstaatler amerikanischer Abstammung, die anderen Mulatten und Mestizen von spanischer Abkunft, erwarteten das Eintreffen eines Dampfers, dessen Rauchsäule ein Stück stromabwärts über einer niedrigen in den Saint-John vorspringenden Landspitze sichtbar wurde. Einige derselben hatten sich, um mit dem Dampfer noch schneller in Verbindung zu treten, in Hafenschaluppen geworfen, während Andere in den großen, einmastigen Dogres (das sind Flußschiffe, ähnlich den holländischen, zum Häringsfange dienenden Fahrzeugen) Platz nahmen, welche man so zahlreich auf dem Wasser des Saint-John bemerken kann.

Seit dem vorhergehenden Tage waren nämlich sehr ernsthafte Nachrichten vom Kriegsschauplatz eingegangen. Die geplanten Operationen, deren Gilbert Burbank in seinem Briefe Erwähnung gethan, wurden allmählich ins Werk gesetzt. Man wußte recht gut, daß die Flottille des Commodore Dupont in nächster Zeit unter Segel gehen und daß General Sherman diese mit Landungstruppen begleiten sollte. Nach welcher Seite diese Expedition sich richten würde, das blieb bisher noch unbestimmt, obwohl Alles darauf hindeutete, daß dieselbe den Saint-John und die Küste von Florida angreifen werde. Nach Gilbert war jetzt also Florida unmittelbar bedroht, von einem Einfalle föderalistischer Heere überzogen zu werden.

Als der Dampfer, der von Florida kam, an der Pfahlwand des Hafens von Jacksonville angelegt hatte, konnten dessen Passagiere jene Nachrichten nur allseitig bestätigen. Sie vervollständigten dieselben übrigens noch dahin, daß Commodore Dupont in der Bai von Saint-Andreas vor Anker gehen werde,[68] um den günstigen Augenblick abzuwarten, wo er sich einen Weg durch die enge Wasserstraße neben der Insel Amelia und in die Mündung des Saint-John erzwingen könne.

Sofort zerstreuten sich alle Gruppen in der Stadt und scheuchten dabei eine Menge jener großen Urubus auf, denen hier die Reinigung der Straßen allein obliegt. Alles schrie erregt durcheinander.

»Stand halten gegen die Nordstaatler! Nieder mit den Nordstaatler!« so lauteten die wilden Rufe, welche einzelne, Texar ergebene Rädelsführer unter das schon an sich aufgeregte Volk schleuderten. Auf dem großen Platze vor dem Court-House, dem Gerichtsgebäude, und bis zur bischöflichen Kirche hin kam es zu stürmischen Kundgebungen, und es kostete den Behörden keine geringe Mühe, das Aufbrausen der Volksmassen zu dämpfen, obgleich die Einwohner von Jacksonville, wie schon oben bemerkt, bezüglich der Frage der Sclaverei getheilter Ansicht waren. In solchen erregten Zeiten machen aber bekanntlich die frechsten Schreier und die hitzigsten Tollköpfe die Gesetze, während die gemäßigten Elemente der Herrschaft jener so gut wie immer unterliegen.

Vorzüglich war es in den Gasthäusern und Tiendas, wo die von starken Getränken angefeuerten Kehlen am lautesten wurden. »Die Bierbankhelden« – wie man bei uns sagen würde – entwickelten hier ihre Pläne, um dem Einfalle einen unüberwindlichen Widerstand entgegenzusetzen.

»Sofort müssen Milizen nach Fernandina gesendet werden! rief nun der Eine.

– In der Einfahrt zum Saint-John müssen Schiffe versenkt werden, brüllte ein Anderer.

– Wir müssen rund um die Stadt Erdbefestigungen aufwerfen und diese mit Kanonen spicken!

– Und auf der Eisenbahn von Fernandina nach Cedar-Keys schleunigst Hilfe herbeiholen!

– Auch das Leuchtfeuer muß gelöscht werden, damit die Flotte nicht in der Nacht in die Mündungen eindringen kann!

– Legt nur viel Torpedos in den Fluß!«

Von dieser Kriegsmaschine hatte man, obwohl sie zur Zeit des Secessionskrieges etwas noch ganz Neues war, doch schon reden hören, und ohne zu wissen, wie dieselbe eigentlich wirkte, hielt man es doch für angezeigt, von ihr Gebrauch zu machen.[69]

»Vor Allem, erklärte einer der wüthendsten Redner in der Tienda Torillo's, sind alle Nordstaatler der Stadt und diejenigen Südstaatler, welche mit jenen übereinstimmen, in sicheren Gewahrsam zu bringen!«

Es wäre ja zu verwundern gewesen, wenn Niemand daran gedacht hätte, diesen Vorschlag zu machen, die Ultima ratio hirnverbrannter Parteigänger aller Zeiten. Derselbe wurde denn auch mit lauten Hochs aufgenommen. Zum Glück für die ehrbaren Leute von Jacksonville sollten die Behörden der Stadt denn doch noch etwas zögern, diesem Verlangen des Volkes nachzukommen.

Auf ihrem Wege durch die Straßen hatte Zermah auf Alles, was hier vorging, ein scharfes Auge gehabt, um ihren von dieser Bewegung direct bedrohten Herrn darüber aufklären zu können. Wenn man einmal zu Gewaltmaßregeln schritt, so beschränkten sich diese gewiß nicht auf die Stadt allein, sondern auch über sie hinaus bis nach den Pflanzungen in der Grafschaft. Sicherlich hatte man dabei Camdleß-Bay in erster Linie im Auge. Das veranlaßte die Mestizin, sich behufs Einziehung möglichst sicherer Nachrichten nach dem Hause zu begeben, das Herr Stannard außerhalb der Vorstadt bewohnte.

Es war das eine reizende, jede Bequemlichkeit bietende Stätte und angenehm in einer großen Oase gelegen, welche die Axt der Waldfäller an dieser Ecke der Ebene verschont hatte. In Folge der sorgsamen Aufmerksamkeit der Miß Alice, befand sich das Haus im Innern wie im Aeußern in völlig tadellosem Zustande. Man erkannte schon die einsichtsvolle und pflichtgetreue Hausfrau in dem jungen Mädchen, die der Tod ihrer Mutter sehr frühzeitig berufen hatte, das ganze Personal Walter Stannard's zu überwachen.

Zermah wurde seitens des jungen Mädchens hochwillkommen geheißen. Miß Alice fing dieser gegenüber gleich an von Gilberts Brief zu sprechen. Zermah konnte ihr denselben fast wortgetreu wiederholen.

»Ja, er ist jetzt nicht entfernt, sagte Miß Alice, doch unter welchen Verhältnissen wird er nach Florida zurückkehren? Welche Gefahren können ihn noch vor dem Ausgange dieser Expedition bedrohen?

– Gefahren, Alice? nahm Mr. Stannard das Wort. Beruhige Dich! Gilbert hat beim Kreuzen an der Küste von Georgia und vorzüglich im Kampfe vor Port-Royal weit schlimmeren Gefahren die Stirn geboten. Ich bilde mir immer ein, der Widerstand der Floridier wird weder so furchtbar noch von langer Dauer sein. Was wollen sie beginnen mit dem Saint-John, auf dem[70] die Kanonenboote bis ins Herz der Grafschaft eindringen können? Jede Vertheidigung scheint mir da sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich.

– O, sprächst Du doch wahr, lieber Vater, sagte Alice, und gebe der Himmel, daß dieser blutige Krieg bald sein Ende findet!

– Er kann nur mit der Niederwerfung des Südens ein Ende nehmen, erwiderte Mr. Stannard, das wird also noch lange dauern, und ich fürchte, daß Jefferson Davis mit seinen Generälen Lee, Johnston und Beauregard in den mittleren Staaten noch ernsten Widerstand leisten könne. Nein, die Bundestruppen werden mit den Conföderirten nicht allzuleichtes Spiel haben. Florida freilich können sie ohne Schwierigkeit in die Hand bekommen; leider sichert ihnen dieser Besitz keineswegs den endlichen Sieg.

– Wenn Gilbert nur keine Unklugheit begeht! sagte Miß Alice, die Hände ringend. Wenn er dem Verlangen nachgäbe, seine Familie auf einige Stunden wiederzusehen, da er sich dieser so nahe weiß...

– Dieser und – Ihnen, Miß Alice, unterbrach sie Zermah, denn gehören Sie nicht auch schon zur Familie Burbank?

– Ja, Zermah, mit dem Herzen!

– Nein, nein, Alice, fürchte deshalb nichts, bemerkte Mr. Stannard. Gilbert ist viel zu vernünftig, sich in dieser Weise einem Unfalle auszusetzen, zumal da Commodore Dupont doch nur wenige Tage brauchen wird, um sich Floridas zu bemächtigen. Es wäre eine nicht zu entschuldigende Tollkühnheit, sich hier ins Land zu wagen, so lange die Föderirten noch nicht Herrn desselben sind...

– Und gerade jetzt, wo die Geister so erregt sind, um jeder Gewaltthätigkeit fähig zu sein! setzte Zermah hinzu.

– Freilich, eben heute ist die Stadt in höchster Aufregung, bestätigte Mr. Stannard. Ich habe sie gesehen und gehört, diese Volksverführer, Texar verläßt sie seit sechs bis acht Tagen gar nicht mehr.


Es war eine reizende Stätte... (S. 70.)
Es war eine reizende Stätte... (S. 70.)

Er treibt sie, spornt sie an, und die Uebelthäter werden schließlich die ganze Volksmasse zur Empörung reizen, und nicht nur gegen die Behörden allein, sondern auch gegen alle Einwohner, welche ihre Anschauungen nicht theilen.

– Halten Sie, Herr Stannard, sagte Zermah, es nicht für rathsamer, Jacksonville wenigstens während einiger Tage ganz zu verlassen? Es wäre doch ein Gebot der Vorsicht, hierher nicht zurückzukehren, bevor die föderirten Truppen in Florida eingetroffen sind. Herr Burbank hat mir aufgetragen, Ihnen zu[71] wiederholen, daß er sich glücklich schätzen würde, Sie und Miß Alice im Castle-House zu sehen.

– Ja... ich weiß es... antwortete Mr. Stannard, ich habe Burbank's Anerbieten nicht vergessen... Doch ist Castle-House denn sicherer als Jacksonville? Wenn diese Abenteurer, jene gewissenlosen Tollköpfe, zur Herrschaft kämen, würden sie sich dann nicht auch über das Land ausbreiten und würden nicht gerade die Pflanzungen zuerst der Verwüstung durch sie ausgesetzt sein?[72]

– Herr Stannard, warf Zermah dagegen ein, im Falle der Gefahr scheint es mir besser, vereinigt zu sein....

– Zermah hat Recht, lieber Vater. Gewiß wäre es besser, in Camdleß-Bay mit Allen zusammen zu sein.

– Ohne Zweifel, Alice, antwortete Mr. Stannard. Ich lehne auch das Anerbieten Burbank's gar nicht ab, glaube aber nicht, daß die Gefahr so nahe ist. Zermah wird unsere Freunde benachrichtigen, daß ich noch einige Tage brauche, meine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen, und dann werden wir gern die Gastfreundschaft des Castle-House in Anspruch nehmen....


Jacksonville.
Jacksonville.

– Und sollte Herr Gilbert sich dort einfinden, sagte Zermah, so wird er wenigstens Alle, die er liebt, beisammen finden.«

Zermah nahm Abschied von Walter Stannard und seiner Tochter. Dann begab sie sich mitten durch die lärmende, immer noch anwachsende Volksmenge nach dem Landungsplatze, wo der Verwalter sie schon erwartete. Beide stiegen in das Boot, um den Fluß wieder zu überschreiten, und Perry nahm sein früheres Gespräch genau an dem Punkte, wo es abgebrochen worden war, wieder auf.

Ob sich Mr. Stannard, wenn er die Gefahr noch nicht so nahe wähnte, wohl täuschte? Die Ereignisse sollten sich leider überstürzen und Jacksonville davon die ersten Rückschläge empfinden.

Die föderalistische Regierung ging inzwischen immer noch mit einiger Schonung vor, um die Interessen des Südens nicht mehr als nöthig zu verletzen.

Sie griff nur zu allmählich fortschreitenden Maßregeln. Zwei Jahre nach Eröffnung der Feindseligkeiten hatte der weise Abraham Lincoln die Abschaffung der Sclaverei auf dem ganzen Gebiete der Vereinigten Staaten noch immer nicht officiell ausgesprochen. Noch mehrere Monate sollten vergehen, bis eine Botschaft des Präsidenten die Frage der Auslösung und allmählichen Emancipation der Schwarzen verkündete, bevor die gänzliche Befreiung proclamirt und die Eröffnung eines Credits von einer Million Dollars beschlossen wurde mit der Bestimmung, zur Schadloshaltung früherer Besitzer für jeden frei gegebenen Sclaven dreihundert Dollars auszuzahlen. Wenn einzelne Generäle des Nordens sich berechtigt geglaubt hatten, in den von ihren Truppen besetzten Ländern die Dienstbarkeit der Schwarzen aufzuheben, so wurden sie bisher stets desavouirt Es herrschte eben noch keine völlige Uebereinstimmung bezüglich[75] dieser Frage und man sprach sogar von einigen Heerführern der Unionisten, welche diese Maßregeln weder vernünftig noch zweckmäßig fanden.

Inzwischen nahmen die kriegerischen Ereignisse und meist zum Nachtheile der Conföderirten immer ihren Fortgang. Der General Price hatte am 12. Februar mit seinen Milizen aus Missouri ganz Arkansas räumen müssen. Wir wissen schon, daß das Fort Henry von den Föderirten genommen und besetzt worden war. Jetzt griffen diese das von zahlreicher Artillerie vertheidigte Fort Donelson an, welches außerdem noch durch Außenwerke, die auch die kleine Stadt Dover umschlossen, geschützt wurde. Trotz Kälte und Schnee fiel das doppelt, auf der Landseite von fünfzehntausend Mann unter General Grant und auf der Wasserseite von den Kanonenbooten des Commodore Foot bedrohte Fort am 14. Februar mit einer ganzen Division von Südstaatlern, Mannschaften und Kriegsmaterial, den Föderirten in die Hände.

Für die Conföderirten war das ein sehr harter Schlag und die Wirkung dieser Niederlage machte sich weithin fühlbar. Als nächste Folge führte sie den Rückzug des General Johnston herbei, der die wichtige Stadt Nashville am Cumberland aufgeben mußte. Die vom Schrecken gepackten Einwohner verließen dieselbe bald nach ihm, und dasselbe Loos traf wenige Tage später das Fort Columbus. Der ganze Staat Kentucky war damit der Bundesregierung wieder unterworfen.

Man begreift leicht, mit welchen Empfindungen von Zorn, welchen Gedanken an Rache diese Ereignisse in Florida aufgenommen wurden.

Die Behörden wären gar nicht im Stande gewesen, diese Aufregung zu dämpfen, welche sich bis in die Weiler der entferntesten Grafschaften hinein verbreitete. Die Gefahr wuchs jetzt sozusagen von Tag zu Tag für Jeden, der nicht die Anschauungen des Südens theilte und sich den Plänen zum Widerstand gegen die förderirte Armee offen anschloß. In Talhassee wie in Saint-Augustine kam es zu Ruhestörungen, deren Unterdrückung sich ziemlich schwierig gestaltete; vorzüglich aber war es in Jacksonville, wo die Erhebung des Volkes zunächst in Gewaltthätigkeiten auszuarten drohte.

Unter solchen Umständen mußte die Lage von Camdleß-Bay immer schwieriger werden. Mit seinem ihm ergebenen Personale konnte James Burbank zwar, wenigstens dem ersten, etwa auf die Pflanzung gerichteten Sturm widerstehen, obgleich es jener Zeit sehr schwer war, sich Waffen und Schießbedarf in ausreichender Menge zu beschaffen. Mr. Stannard aber, der in Jacksonville in erster[76] Linie bedroht war, hatte alle Ursache, für die Sicherheit seiner Wohnung, seiner Tochter und aller Seinen zu fürchten.

James Burbank schrieb Jenem, da ihm die Gefahren dieser Lage bekannt waren, einen Brief nach dem anderen. Er entsandte mehrere Boten mit der Bitte, sich unverzüglich zu ihm nach dem Castle-House zu begeben. Dort sei man verhältnißmäßig in Sicherheit, wenn es darauf ankäme, eine andere Zuflucht zu suchen, und wenn es nöthig würde, tiefer hinein ins Land zu entfliehen bis zu dem Augenblick, wo die föderirten Truppen durch ihre Anwesenheit wieder einige Sicherheit gewährleisteten, so werde man das von hier aus besser bewerkstelligen können.

Auf dieses Drängen hin entschloß sich Mr. Walter Stannard, Jacksonville unverzüglich zu verlassen und sich nach Camdleß-Bay zu flüchten. Er brach am Morgen des 23. so heimlich als möglich und ohne etwas von seiner Absicht merken zu lassen, auf. Ein Boot erwartete ihn im Hintergrunde einer kleinen Bucht des Saint-John, etwa eine Meile stromaufwärts. Miß Alice und er bestiegen dasselbe, fuhren rasch quer über den Fluß und langten glücklich an dem kleinen Hafen an, wo die Familie Burbank sie erwartete.

Man kann sich leicht vorstellen, welcher Empfang ihnen zu theil ward. Alice war ja so gut wie eine Tochter von Frau Burbank, und jetzt sahen sich Alle vereinigt. Die bösen Tage hoffte man nun mit mehr Sicherheit und jedenfalls mit weniger Angst zu verbringen.

In der That war es die höchste Zeit gewesen, aus Jacksonville wegzukommen. Am nächsten Tage schon wurde des Haus des Mr. Stannard von einer Bande Missethäter überfallen, welche ihre Schandthaten mit dem bequemen Mantel des localen Patriotismus verdeckten. Die Behörde hatte große Mühe eine Plünderung desselben zu verhüten, sowie einige andere Wohnungen zu schützen, welche ehrbaren Bürgern gehörten, die nur nicht mit den Separatisten in ein Horn stießen. Offenbar nahte die Stunde heran, wo die rechtmäßigen Behörden verdrängt und durch Anführer der aufständischen Menge ersetzt werden sollten. Diese aber würden, statt Gewaltthätigkeiten entgegenzutreten, solche vielmehr selbst veranlassen.

Wirklich hatte, wie Mr. Stannard früher Zermah sagte, Texar sich seit einer Reihe von Tagen entschlossen, seinen unbekannten Schlupfwinkel zu verlassen, um sich nach Jacksonville zu begeben. Hier fand er seine gewohnten Spießgesellen, die sich aus der Hefe der Bevölkerung recrutirten und von verschiedenen[77] Pflanzungen an beiden Ufern des Flusses zusammengeströmt waren. Diese Tollköpfe beabsichtigten nichts anderes, als den Städten ebenso wie dem ganzen Lande ihren Willen aufzuzwingen. Sie standen mit der Mehrzahl gleichgesinnter Anhänger in den verschiedenen Grafschaften von Florida in schriftlichem Verkehr, und indem sie die Sclavenfrage überall geschickt voran stellten, gewannen sie jeden Tag an Einfluß. Noch kurze Zeit, und sie mußten in Jacksonville wie in Saint-Augustine, wo schon alle Landstreicher, Abenteurer und Waldläufer, deren es hier zu Lande sehr viele gibt, sich zusammenfanden, die Herren sein, über die öffentliche Gewalt gebieten und die Civil- und Militärmacht in ihrer Hand vereinigen. Die Milizen wie die regulären Truppen würden dann nicht zaudern, mit jenen Hitzköpfen gemeinsame Sache zu machen, wie es ja unglücklicher Weise in erregten Zeiten meist der Fall ist, wenn die rohe Gewalt das Heft in der Hand hält.

James Burbank war über Alles, was außerhalb vorging, sehr wohl unterrichtet. Mehrere seiner Vertrauten, auf die er zählen konnte, hielten ihn bezüglich der Bewegung, die sich in Jacksonville vorbereitete, stets auf dem Laufenden. Er wußte, daß Texar wieder aufgetaucht war, daß sein trauriger Einfluß auf die untere Volksclasse, welche wie er meist spanischer Abkunft war, immer zunahm. Ein solcher Mann an der Spitze der Stadt war eine unmittelbare Bedrohung für Camdleß-Bay; James Burbank bereitete sich auch für alle Fälle vor, entweder auf heftigen Widerstand, wenn dieser möglich schien, oder auf eine Flucht, wenn es nothwendig sein sollte, Castle-House der Plünderung und Zerstörung durch Feuer preis zu geben. Die Sicherheit seiner Familie und seiner Freunde möglichst zu erhöhen, war und blieb sein unablässiger Gedanke.

Während dieser Tage zeigte Zermah wirklich die rührendste Ergebenheit. Jede Stunde überwachte sie die Grenzen der Besitzung, vorzüglich an der Flußseite. Einige Sclaven, welche sie unter den Intelligentesten und Besten ausgewählt hatte, blieben Tag und Nacht auf den Posten, die sie ihnen bestimmte. Jede Unternehmung gegen die Pflanzung mußte also sofort gemeldet werden können. Die Familie konnte nicht überrascht werden, ohne Zeit zum Rückzuge nach dem Castle-House zu gewinnen.

Es war jedoch nicht ein directer Angriff mit bewaffneter Hand, um deswillen sich James Burbank vorläufig zu sorgen brauchte. So lange die Herrschaft nicht in den Händen Texar's und seinesgleichen war, konnte man das[78] nicht wohl wagen. Unter dem Drucke der öffentlichen Meinung wurde die Behörde dagegen zu einer Maßregel veranlaßt, welcher den Anhängern der gegen den Norden so überaus feindlich gesinnten Leute eine Art Genugthuung bieten sollte.

James Burbank war vielleicht der bedeutendste Pflanzer von Florida, sowie der reichste von denen, deren Anschauungen man hinlänglich kannte, man hielt also zunächst immer ihn im Auge und er wurde in die Lage gebracht, sich über seine persönliche Gesinnung bezüglich der Sclavenbefreiung inmitten eines Sclavenstaates auszusprechen.

Am Abend des 26. erschien ein Gerichtsdiener von Jacksonville auf Camdleß-Bay, der ein an James Burbank adressirtes Schreiben überbrachte.

Dasselbe enthielt Folgendes:

»Vorladung – an Mr. James Burbank, sich in Person morgen am 27. Februar elf Uhr Vormittags im Court-Justice vor den Richtern von. Jacksonville einzufinden.«

Nichts weiter.

Quelle:
Jules Verne: Nord gegen Süd. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LII–LIII, Wien, Pest, Leipzig 1889, S. 63-73,75-79.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
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