Fünftes Capitel.
Die schwarze Bucht.

[54] Beim ersten Tagesgrauen des folgenden Morgens ging ein Mann am Ufer eines der kleinen, tief in der als »Schwarze Bucht« bekannten Lagune verlorenen Inselchen hin und her. Das war Texar; wenige Schritte von ihm hatte eben ein noch in einem Skiff sitzender Indianer sein schmales Fahrzeug ans Land getrieben; das war Squambo, derselbe, der Jenen am Vorabend vom »Shannon« abgeholt hatte.

Nachdem er einigemal hin- und hergewandelt, blieb Texar vor einer Magnolie stehen, zog einen der tiefer hängenden Aeste des Baumes herab und riß davon ein Blatt mit dem Stengel los. Dann entnahm er seinem Taschenbuche ein kleines Billet, das nur drei bis vier mit Tinte geschriebene Worte enthielt. Dieses Billet, das er sehr eng zusammenrollte, steckte er in den unteren Hauptnerv des Blattes, und führte das so geschickt aus, daß das Mangobaumblatt nichts von seinem gewöhnlichen Aussehen verloren hatte.

»Squambo! rief darauf Texar.

– Herr? antwortete der Diener.

– Begieb Dich nach der bewußten Stelle.«

Squambo nahm das Blatt, legte es im Vordertheil des Skiff nieder und setzte sich selbst auf das Hintertheil, dann ergriff er die Pagaie, ruderte um die äußerste Spitze der Insel und drang in einen gewundenen, von dem dicken Laub der Bäume halb versteckten Wasserarm ein.[54]

Diese Lagune war launisch von einem Labyrinth von Canälen wie von engen mit schwärzlichem Wasser gefüllten Schleifen durchsetzt, wie man solche in manchen Gärtnereien Europas antrifft. Ohne die Durchlässe dieser tiefeinschneidenden Einbuchtung, in der sich viele Nebenarme des Saint-John verlieren, zu kennen, hätte sich gewiß Niemand hineingewagt.

Squambo war sich jedoch keinen Augenblick im Unklaren. Wo man nimmermehr einen Ausweg vermuthet hätte, da trieb er sein Skiff ohne Bedenken hin. Die niedrigen Zweige, welche er auseinanderbog, schlossen sich hinter ihm wieder zusammen, und Niemand hätte sagen können, daß hier ein Fahrzeug vorübergekommen sei.

So drang der Indianer immer tiefer in die lang gewundenen Schläuche ein, welche manchmal kaum so breit waren, wie die Abzugsgräben, welche man zur Entwässerung der Wiesengründe anlegt. Eine ganze Welt von Wasservögeln flatterte bei seiner Annäherung auf. Schlüpfrige Aale mit spitzigen Köpfen wanden sich durch die über das Wasser hinausragenden Wurzeln hindurch. Squambo bekümmerte sich weder um die Reptilien, noch um die eingeschlafenen Kaimans, die er durch das Anstoßen mit seinen Rudern erwecken konnte. Er glitt immer weiter vorwärts, und wenn es ihm am Raume zum Rudern gebrach, stieß er sich mit dem Ende seiner Pagaie vorwärts.

Obwohl jetzt schon heller Tag war und der schwere Dunst der Nacht bei den ersten Strahlen der Sonne zu verschwinden begann, konnte man ihn unter dem Schutze dieses undurchdringlichen grünen Daches doch nicht sehen. Selbst bei höchstem Sonnenstande wäre kein Strahl bis hierher gedrungen. Diese sumpfigen Strecken bedurften auch eines gewissen Halbdunkels, ebenso für die in ihrem schwarzen Gewässer wimmelnden Wesen, wie für die tausenderlei Wasserpflanzen, die auf dessen Oberfläche schwammen.

Während einer Stunde gelangte Squambo so von einem Eilande zum anderen, und als sein Skiff anhielt, befand er sich an einem der letzten Theile der Bucht.

Hier, wo der sumpfige Charakter der Lagune sich verlor, ließen die weniger dicht stehenden und minder reich belaubten Bäume endlich das Tageslicht durchdringen. Jenseits dieser Stelle breitete sich eine weite Prairie aus, welche in der Ferne wieder Waldungen umsäumten und die sich nur wenig über den Saint-John erhob. Auf derselben sproßten kaum fünf bis sechs Bäume. Wenn der Fuß den noch immer halb morastigen Boden betrat, bekam er die Empfindung, als bewege er sich auf elastischen Polstern dahin. In langem Zickzack[55] wucherten nur einige Sassafrasbüsche mit mageren Blättern und wenigen violetten Beeren auf der Wiesenfläche.

Nachdem er sein Skiff an einem Baumstumpf des Ufers befestigt, ging Squambo ans Land. Der nächtliche Nebel begann sich aufzulösen. Die gänzlich vereinsamte Wiese tauchte allmählich aus dem Dunste auf. Zwischen den fünf bis sechs Bäumen, deren Schattenbild sich wirr durcheinander darüber erhob, stand auch ein mittelgroßer Mangobaum.

Nach diesem Baume begab sich der Indianer, erreichte ihn nach wenigen Minuten und bog hier einen Zweig desselben herab, an dessen Ende er das von Texar erhaltene Billet befestigte. Dann schnellte der Zweig, sich selbst überlassen, wieder hinauf, und das Blatt verlor sich unter dem übrigen Laube des Mangobaumes.

Squambo kehrte wieder nach seinem Skiff zurück und schlug die Richtung nach jenem Eilande ein, auf dem sein Herr ihn erwartete.

Diese schwarze Bucht, so genannt nach dem düsteren Scheine ihres Wassers, konnte eine Gesammtfläche von fünf- bis sechshundert Acres bedecken. Vom Saint-John ernährt, bildete sie eine Art ganz undurchdringlichen Archipels für jeden, der ihre zahllosen Windungen nicht ganz genau kannte. Wohl an hundert Eilande ragten aus ihr empor. Weder Brücken noch Stege verbanden diese miteinander, lange Leinen von Lianen spannten sich von einem zum anderen. Manche hohe Aeste erschienen über den tausend Armen, welche sie trennten, innig verschlungen. Weiter gab es nichts – es war demnach äußerst erschwert, von einer Stelle der Lagune nach einer anderen zu gelangen.

Eines jener Eilande, etwa im Mittelpunkt des ganzen Systems, zeichnete sich durch seinen Umfang von etwa zwanzig Acres und seine Höhe von fünf bis sechs Fuß über dem mittleren Wasserstande des Saint-John – zwischen Ebbe und Fluth – aus.

Vor langer Zeit hatte dieses Eiland eine kleine Festung, mehr nur ein Blockhaus, getragen, das jetzt, wenigstens militärisch genommen, verlassen war. Seine halb verfaulten Palissaden erhoben sich noch unter den großen Bäumen, den Mangos, Cypressen, Steineichen, schwarzen Wallnußbäumen und australischen Fichten, durch welche sich lange Guirlanden von Coboeas und anderen endlosen Schlingpflanzen hinwanden.

Innerhalb der Umfassung entdeckte das Auge endlich unter üppigem Grün noch die geometrischen Linien des kleinen Bollwerks oder vielmehr dieses Beobachtungspostens, der niemals mehr als zwanzig Mann aufzunehmen eingerichtet gewesen war. In den Holzwänden befanden sich einige Schießscharten.


Squambo gelangte von einem Eilande zum andern. (S. 55.)
Squambo gelangte von einem Eilande zum andern. (S. 55.)

Mit Rasen überzogene Dächer deckten das Haus mit einem wirklichen Erdpanzer. Im Innern sah man einige Zimmer um einen centralen Raum, der als Magazin für Proviant und Spießbedarf gedient haben mochte. Um in die kleine Festung einzudringen, mußte man[56] erst durch ein enges Ausfallsthor über die Umfassung hinaus gelangen, dann den mit einigen Bäumen bestandenen Hof überschreiten und endlich ein Dutzend Stufen emporklimmen, welche durch aufgelegte[57] Planken gebildet wurden, dann kam man erst an die einzige Pforte, welche Zutritt nach dem Innern gewährte, doch auch diese bestand eigentlich nur aus einer früheren Schießscharte, welche zu beregtem Zwecke etwas erweitert worden war.

In diesem versteckten Winkel pflegte Texar sich aufzuhalten; hier vermuthete ihn keine Seele. Vor aller Augen verborgen, lebte er hier mit dem seinem Herrn treu ergebenen Squambo, der nicht mehr werth war als Jener, und mit fünf oder sechs Sclaven, welche ebenfalls nicht viel mehr werth waren als der Indianer.

Es war, wie man erkennt, ziemlich weit entfernt von diesem Eilande der schwarzen Bucht bis nach den reichen Niederlassungen an beiden Ufern des Flusses, dort wäre auch die Existenz Texar's und seiner Genossen kaum gesichert gewesen, obwohl diese wenig Ansprüche machten. Einige Hausthiere, ein halb Dutzend Acres, bepflanzt mit Pataten, Ignamen und Gurken, etwa zwanzig Obstbäume in halbwildem Zustande, das war Alles, ohne die Jagd in den benachbarten Wäldern und den Fischfang in den Teichen der Lagune anzuführen, welche doch zu jeder Jahreszeit einigen Ertrag liefern mußten. Die Bewohner der schwarzen Bucht besaßen aber ohne Zweifel auch noch andere Hilfsquellen, deren Geheimniß nur Texar und Squambo kannten.

Die Sicherheit des Blockhauses war schon durch seine Lage in der Mitte dieser unzugänglichen Wildniß gewährleistet, und überdies hatte ja Niemand einen Grund, dasselbe anzugreifen. Jedenfalls hätte das Gebell der Hunde des Eilandes, zwei jener wilden, von den Caraïben eingeführten Spürhunde, welche die Spanier früher zum Einfangen der Neger verwandten, die erste verdächtige Annäherung verrathen.

Das war also die seiner ganz würdige Wohnung jenes Texar. Ueber seine Persönlichkeit selbst noch einige Worte:

Texar zählte jetzt fünfunddreißig Jahre. Er war von mittelgroßem Wuchs, von kräftiger Constitution und abgehärtet durch den fortwährenden Aufenthalt im Freien und sein von jeher abenteuerliches Leben. Spanier von Geburt, konnte er seine Abstammung nicht verleugnen. Sein Haar war schwarz und struppig, die Augenbrauen dicht, seine Augen grünlich und der Mund breit, aber mit dünnen, eingezogenen Lippen, als wäre er nur durch einen Säbelhieb entstanden, die Nase kurz mit weiten, mehr nüsternartigen Nasenlöchern. Seine ganze Erscheinung verrieth einen hinterlistigen gewaltthätigen Charakter. Früher[58] trug er einen Vollbart; nachdem ihm aber dieser vor zwei Jahren bei irgend welcher nicht näher bekannten Gelegenheit zur Hälfte verbrannt worden war, hatte er ihn geschoren, und dadurch trat die Härte seiner Gesichtszüge nur noch abschreckender hervor.

Vor zehn bis zwölf Jahren war dieser Abenteurer zuerst in Florida aufgetreten und hatte sich in jenem Blockhause festgesetzt, dessen Benützung ihm Niemand streitig machte. Woher er gekommen, wußte man nicht, und er sprach nicht davon. Ebensowenig war etwas über sein früheres Leben bekannt. Man vermuthete nur – und zwar mit Recht – daß er früher Sclavenhändler gewesen sei und wohl manche Schiffsladung Neger nach den Häfen von Georgia und den beiden Carolina geschafft hatte. Reichthümer konnte er dem Anscheine nach bei diesem verruchten Handel nicht gesammelt haben. Jedenfalls besaß er keine Achtung, nicht einmal in dem Lande, wo Leute seines Schlages keineswegs zu den Seltenheiten gehören.

Wenn Texar auch vielfach und zwar nicht zu seinem Vortheile bekannt war, so hinderte ihn das doch nicht, in der Grafschaft, und vorzüglich in Jacksonville, einen merkbaren Einfluß auszuüben, der sich jedoch nur auf die minderwerthigen Elemente der Bevölkerung des Hauptortes erstreckte. Dorthin begab er sich häufig in Geschäften, von denen er nichts verlauten ließ. Unter den kleinen weißen Leuten und den verworfensten Subjecten der Stadt hatte er sich nicht wenig Freunde erworben. Das haben wir ja schon gesehen, als er in Begleitung eines halben Dutzend ziemlich verdächtiger Gestalten von Saint-Augustine zurückkehrte. Sein Einfluß machte sich jedoch auch noch bei einzelnen Pflanzern am Saint-John geltend. Er besuchte diese zuweilen, und wenn diese Besuche auch nicht erwidert wurden, weil Niemand seine versteckte Höhle in der schwarzen Bucht kannte, so hatte er doch zu verschiedenen Niederlassungen an beiden Ufern Zutritt. Die Jagd bot übrigens sehr natürliche Gelegenheit zu jenen Verbindungen, welche sich leicht zwischen Leuten von gleichen Sitten und gleichem Geschmack anknüpfen.

Andererseits war dieser Einfluß seit mehreren Jahren nur noch gewachsen in Folge der herrschenden Anschauungen, zu deren lautestem Vertheidiger Texar sich aufwarf. Kaum hatte die Sclavenfrage jene unselige Trennung der beiden Hälften der Union herbeigeführt, als Texar sich als der verbissenste und entschlossenste Anhänger der Sclaverei vordrängte. Seinen Reden nach leitete ihn dabei kein persönliches Interesse, da er selbst kaum ein halbes Dutzend Sclaven[59] besaß. Er vertheidigte angeblich nur das Princip; aber mit welchen Mitteln? Dadurch, daß er an die niedrigsten Leidenschaften appellirte, die Habgier der großen Menge erregte, diese zur Plünderung, zur Brandlegung und selbst zu Mordthaten gegen diejenigen Einwohner und Pflanzer verleitete, welche die Ideen des Nordens theilten. Jetzt eben ging der gefährliche Abenteurer auf nichts Geringeres aus, als auf den Sturz der Civilbehörden von Jacksonville, wo er die ehrenhaftesten Männer mit gemäßigten Ansichten, welche wegen ihres Charakters sonst allgemein geachtet wurden, durch seine rücksichtslosesten Parteigänger zu ersetzen gedachte. War er erst durch eine Empörung Herr der Grafschaft, so hätte er dann völlig freie Bahn gehabt, seine persönliche Rache zu befriedigen.

Es versteht sich von selbst, daß James Burbank und andere Besitzer von Pflanzungen das Wühlen und Treiben dieses, schon durch seine niedrigen Gesinnungen zu fürchtenden Menschen nicht unbeachtet ließen. Daraus eben entsprang jener Haß auf der einen und das Mißtrauen auf der anderen Seite welche durch die nächsten Ereignisse nur noch verschärft werden sollten.

Hierbei kamen noch zu dem, was man von Texar, seit er den Sclavenhandel aufgegeben, zu wissen glaubte, verschiedene höchst verdächtige Thatsachen. Bei Gelegenheit des letzten Einfalles der Seminolen schien Alles darauf hinzudeuten, daß diese irgendwelche geheime Unterstützung gefunden haben mußten. Hatte er sie angewiesen, welche Schandthaten auszuführen, und sie unterrichtet, welche Niederlassungen anzuzünden wären? Unterstützte er sie dabei, Hinterhalte und Fallen zu legen? Das konnte in Folge gewisser Nebenumstände gar nicht in Zweifel gezogen werden, und nach dem letzten Einfalle jener Indianer sahen die Behörden sich gezwungen, auf den Spanier zu fahnden, ihn gefangen zu setzen und vor Gericht zu stellen.

Texar berief sich dagegen auf einen Alibibeweis – ein Vertheidigungssystem, das ihm auch noch mehrfach von Vortheil sein sollte – und es wurde in der That nachgewiesen, daß er an dem Angriff auf eine Farm in der Grafschaft Duval nicht theilgenommen haben könne, weil er sich zu derselben Zeit zu Savannah im Staate Georgia, einige vierzig Meilen weiter nördlich und außerhalb der Grenzen Floridas, befunden habe.

In den folgenden Jahren wurden sowohl auf Pflanzungen als auch zum Nachtheile von Reisenden, welche auf den Straßen in Florida überfallen waren, mehrere sehr bedeutende Diebstähle verübt. Wohl hatte man dabei auch Texar[60] als Theilnehmer an diesen Verbrechen im Verdachte, doch wegen Mangels an Beweisen ging er wiederum straflos aus.

Da bot sich eine Gelegenheit, wo man den bisher unfaßbaren Missethäter auf frischer That ertappt zu haben glaubte. Es war der Vorfall, um deswillen er gestern nach der Stadt und vor den Richter von Saint-Augustine geladen war.

Acht Tage vorher nämlich kamen James Burbank, Edward Carrol und Walter Stannard vom Besuch einer Pflanzung in der Nachbarschaft von Camdleß-Bay, als sie gegen sieben Uhr Abends bei anbrechender Dunkelheit laute Nothrufe bis zu sich dringen hörten. Sie beeilten sich nach dem Punkte, von dem die Rufe ertönten, zu gelangen und befanden sich bald vor den Gebäuden einer vereinzelt stehenden Farm.

Diese Gebäude standen in Flammen. Die Farm war vorher von einem halben Dutzend Leuten, die schon wieder nach verschiedenen Seiten verschwunden waren, geplündert worden; weit konnten die Urheber dieser Missethat jedoch nicht sein; man bemerkte sogar noch zwei der Schurken, welche quer durch den Wald entflohen.

James Burbank und seine Freunde machten sich sofort auf, dieselben, und zwar in der Richtung nach Camdleß-Bay, zu verfolgen. Vergeblich. Den beiden Brandstiftern gelang es, unter dem dichten Gehölz zu entkommen. Jedenfalls hatten aber die Herren Burbank, Carrol und Stannard sehr bestimmt einen derselben erkannt, und das war Texar, der Spanier.

Außerdem – und das machte diese Wahrnehmung noch beweisender – wäre Zermah, als jenes Individuum an einer Ecke der Grenze von Camdleß-Bay verschwand, von diesem beinahe angerannt worden. Auch ihrer Wahrnehmung nach war es Texar gewesen, der, so schnell er konnte, entfloh.

Begreiflicher Weise erregte dieses Vorkommniß in der Grafschaft großes Aufsehen. Ein Raub mit nachfolgender Brandlegung ist das Verbrechen, welches am meisten von den auf weiten Strecken vertheilt siedelnden Colonisten gefürchtet wird.

James Burbank zögerte also gar nicht, davon an geeigneter Stelle Anzeige zu machen, und auf seine Anklage hin beschloß die Behörde, gegen Texar eine Untersuchung zu eröffnen.

Der Spanier wurde nach Saint-Augustine dem Recorder zugeführt, um seinen Belastungszeugen gegenübergestellt zu werden. James Burbank, Walter Stannard und Edward Carrol sagten übereinstimmend aus, daß sie Texar in[61] dem Individuum erkannt hätten, das von der brennenden Farm entfloh. Für sie war hierin gar kein Irrthum möglich. Texar mußte einer der Urheber jenes Verbrechens sein.

Auch der Spanier hatte zu seiner Entlastung verschiedene Zeugen mit nach Saint-Augustine gebracht. Diese Zeugen nun erklärten ausdrücklich, daß sie sich an dem betreffenden Abend mit Texar in Jacksonville in der »Tienda« eines gewissen Torrillo, einer übelberüchtigten, aber sehr bekannten Gastwirthschaft, befunden hätten. Texar hatte sie den ganzen Abend über nicht verlassen. Diese Aussage wurde noch durch den Umstand unterstützt, daß Texar gerade in der Stunde, wo das Verbrechen begangen wurde, mit einem anderen Gaste in der Wirthschaft Torillo's Streit gehabt hatte – einen Streit, der mit einer Schlägerei und Bedrohungen endigte, wegen welcher gegen ihn höchst wahrscheinlich noch Klage erhoben wurde.

Gegenüber dieser Behauptung, welche den Stempel der Wahrheit trug und übrigens auch von anderen, Texar ganz fremden Personen bestätigt wurde, konnte der Magistrat von Saint-Augustine nicht wohl etwas anderes thun, als die angefangene Untersuchung einstellen und den Angeklagten von der Beschuldigung freisprechen. Sein Alibi war auch diesmal unbestreitbar zum Vortheil dieser seltsamen Persönlichkeit erwiesen worden.

Nach dieser Verhandlung und in Begleitung seiner Zeugen war Texar an jenem 7. Februar von Saint-Augustine zurückgekehrt. Wir wissen, wie er sich an Bord des »Shannon« benahm, während der Dampfer den Fluß hinunterglitt. Dann hatte er sich auf dem Skiff, das der Indianer Squambo führte, nach dem Blockhaus begeben, wohin ihm nur schwer Jemand hätte folgen können. Diesen Squambo, einen intelligenten, schlauen Seminolen, der der Vertraute Texar's geworden war, hatte der Spanier nach der letzten Erhebung der Indianer, bei der sein Name besonders und mit Recht genannt wurde, in Dienst.

Bei den Empfindungen, die er gegen James Burbank hegte, konnte in dem Spanier kein anderer Gedanke als der aufkommen, sich mit allen möglichen Mitteln zu rächen. Bei den obwaltenden Verhältnissen und den Wechselfällen des Krieges mußte Texar, wenn es ihm gelang, die Behörden von Jacksonville zu stürzen, für Camdleß-Bay sehr gefährlich werden. Zugegeben, daß James Burbank bei seinem energischen und entschlossenen Charakter auch vor einem solchen Menschen nicht zitterte, so hatte doch Frau Burbank nur zu viel Ursache, für ihren Gatten und die Ihrigen zu fürchten.[62]

Dazu kommt noch, daß diese so ehrenwerthe Familie gewiß in unablässiger Angst geschwebt hätte, wenn sie nur ahnen konnte, daß Texar vermuthete, Gilbert Burbank habe sich der Armee des Nordens angeschlossen. Wie er das erfahren hatte, da die Abreise des jungen Mannes doch sehr geheim gehalten worden war... jedenfalls durch Spionage, und wiederholt werden wir sehen, daß verschiedene Spione auf der Lauer waren, ihn von Allem zu unterrichten.

Wenn nun Texar Ursache hatte zu der Annahme, daß der Sohn von James Burbank in den Reihen der Föderirten diente und sich unter dem Befehle des Commodore Dupont befand, so lag auch die Befürchtung nahe, daß er versuchen würde, den jungen Lieutenant in eine Falle zu verlocken, sich seiner Person zu bemächtigen und ihn anzuklagen. Man kann sich leicht genug denken, welches Loos Gilbert erwartete, wenn er den durch die Fortschritte der Nordarmee aufs Höchste erregten Südstaatlern in die Hände fiel.

So war der Zustand der Dinge bei Beginn unserer Erzählung, dies die Lage der Föderirten, welche beinahe bis zur Seegrenze Floridas vorgedrungen waren, und die Stellung der Familie Burbank inmitten der Grafschaft Duval und die Texar's – nicht allein in Jacksonville, sondern auch im ganzen Gebiete der Sclavenstaaten. Wenn der Spanier sein Ziel erreichte und die Behörden durch seine Parteigänger gestürzt wurden, so mußte es ihm mehr als leicht sein, auf Camdleß-Bay eine gegen die Abolitionisten wüthende Menge zu hetzen.

Etwa eine Stunde nach seiner Trennung von Texar war Squambo wieder an der mittelsten kleinen Insel zurück. Er zog sein Skiff auf das Uferland, ging durch die Umzäunung und stieg die Treppe nach dem Blockhaus hinaus.

»Ist es geschehen? fragte ihn Texar.

– Ja, Herr!

– Nun... Nichts?

– Nichts.«

Quelle:
Jules Verne: Nord gegen Süd. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LII–LIII, Wien, Pest, Leipzig 1889, S. 54-63.
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