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[208] Texar!... – diesen verabscheuten Namen hatte Zermah in die Finsterniß hinaus in dem Augenblicke gerufen, als Frau Burbank und Miß Alice auf dem hohen Ufer der Marino-Bucht erschienen. Das junge Mädchen hatte den schurkischen Spanier deutlich erkannt; es lag also ganz außer Zweifel, daß er der Urheber der von ihm auch persönlich geleiteten Entführung war.
In der That hatte Texar dieselbe unter Mithilfe eines halben Dutzend ihm ergebener Leute bewerkstelligt.
Von langer Hand her war von dem Spanier der Raubzug vorbereitet worden, der zur Verwüstung von Camdleß-Bay, zur Plünderung des Castle-House, zum Ruin der Familie Burbank und zur Gefangennahme oder Tödtung des Hauptes derselben führen sollte. Mit dieser Absicht hatte er die räuberischen Horden auf die Pflanzung losgelassen, sich aber nicht an deren Spitze gestellt, sondern den gewalthätigsten seiner Parteigänger die Führung derselben überlassen. Das erklärt es auch hinlänglich, wie John Bruce, selbst unerkannt unter dem tollen Haufen der Angreifer, James Burbank die Versicherung geben konnte, daß Texar jene Haufen elenden Gesindels nicht begleite.
Um diesen zu treffen, hätte man sich nach der Marino-Bucht begeben müssen, welche der erwähnte Tunnel in Verbindung mit dem Castle-House setzte. Würde das Herrenhaus erstürmt, so benutzten die letzten Vertheidiger doch sicherlich diesen Weg zum Rückzuge. Texar wußte von dem Vorhandensein des Tunnels. So begab er sich von Jacksonville auf einem Boote, dem noch ein zweites Boot mit Squambo und zwei seiner Sklaven folgte, nach der bezeichneten Stelle, um hier James Burbank, wenn dieser entfliehen mußte, aufzulauern. Seine Voraussetzung[208] sollte ihn wenigstens nicht ganz getäuscht haben; davon überzeugte er sich, als er eines der ihm wohlbekannten Boote von Camdleß-Bay hinter dem Uferschilf der Bucht, offenbar wartend, liegen sah. Die dasselbe behütenden Schwarzen wurden im ersten Anlauf überrumpelt und schonungslos hingemordet, und nun hatte er nur noch die Entwickelung der Dinge abzuwarten. Bald erschien denn auch Zermah, der das kleine Mädchen auf der Ferse nachfolgte. Auf den Schrei hin, den die Mestizin ausstieß, ließ der Spanier, in der Befürchtung, daß ihr noch Andere zu Hilfe kommen könnten, diese sofort in die Arme[209] Squambo's werfen, und Frau Burbank erschien mit Miß Alice auf dem erhöhten Uferrande erst in dem Augenblicke, wo die Mestizin in dem Boote des Indianers schon ein gutes Stück nach dem Flusse selbst zu entführt war.
Das Uebrige weiß der Leser.
Nachdem dieser freche Raub geglückt, hatte es Texar indeß nicht für rathsam gehalten, sich sogleich zu Squambo zu gesellen.
Dieser ihm auf Tod und Leben ergebene Mann wußte ja, nach welch' unzugänglichem Schlupfwinkel er Zermah und die kleine Dy zu schaffen hatte. Der Spanier verschwand denn auch, als der Donner jener drei Kanonenschüsse herüberrollte, welche die eben zum Sturme bereiten Angreifer des Castle-House zurückriefen, vom Schauplatze, indem er schräg über den Saint-John hinüber steuerte.
Wohin er sich begab, wußte eigentlich Niemand. Jedenfalls kehrte er in der Nacht vom 3. zum 4. März nach Jacksonville nicht zurück, denn dort sah man ihn erst vierundzwanzig Stunden später wieder. Was er mit diesem unerklärlichen Fernbleiben, für das einen Grund anzugeben er sich gar nicht die Mühe nahm, bezweckte, hätte Keiner sagen können. Auf jeden Fall diente es nur zu seiner ferneren Belastung, wenn er etwa der persönlichen Theilnahme an der Entführung Zermah's und Dy's angeklagt wurde. Die zeitliche Uebereinstimmung zwischen diesem Vorfalle und seinem Verschwinden mußte ja zu seinen Ungunsten sprechen. Sei dem wie ihm wolle, gewiß kam er erst am Morgen des 5. wieder nach Jacksonville, um die nöthigen Vertheidigungsmaßregeln seitens der Südstaaten vollends zu ordnen, und, wie wir gesehen haben, zeitig genug, um Gilbert Burbank eine geschickt erdachte Falle zu stellen, so wie um dem Bürgerausschuß zu präsidiren, der über den jungen Mann das Todesurtheil fällen sollte.
Unzweifelhaft blieb nur, daß Texar sich nicht mit auf dem von Squambo geführten kleinen Fahrzeuge befand, das in der Finsterniß bei steigender Fluth stromaufwärts von Camdleß-Bay hinglitt.
Zermah, die nun wohl einsah, daß kein Hilferuf, kein Nothschrei von ihr an den verlassenen menschenleeren Ufern des Saint-John mehr Widerhall finden konnte, schwieg jetzt still. Im Hintertheile des Bootes sitzend, preßte sie Dy in ihre Arme.
Das zum Tode erschrockene kleine Mädchen ließ keinen Klagelaut über ihre Lippen kommen. Sie drückte sich ängstlich an die Brust der Mestizin und verkroch sich in den Falten der großen Decke derselben. Nur ein- oder zweimal,[210] während sie so in tiefer Finsterniß dahinfuhren, kamen einzelne abgerissene Worte über ihre Lippen:
»Mama!... Mama!... Gute Zermah!... Ich fürchte mich!... Ich fürchte mich!... Ich will wieder zur Mama!...
– Ja, ja, mein Herz!... antwortete Zermah. Wir gehen wieder zu ihr!... Fürchte Dich nicht!... Ich bleibe ja bei Dir!...«
Zur selben Zeit wankte die ihrer Sinne fast beraubte Frau Burbank längs des rechten Flußufers dahin und sachte vergeblich dem Boote zu folgen, das ihre kleine Tochter nach dem jenseitigen Ufer entführte.
Ringsum lag Alles in tiefster Finsterniß. Die auf der Ansiedlung lodernden Brände erloschen allmählich, als das Gewehrfeuer schwieg. Aus den sich nach Norden hin wälzenden Rauchwolken brach nur dann und wann noch eine Flammengarbe hervor, die sich auf der Oberfläche des Flusses gleich einem flüchtig aufleuchtenden Blitze widerspiegelte. Dann wurde Alles todtenstill und dunkel. Das Boot hielt sich immer inmitten der eigentlichen Fahrstraße des Flusses, dessen von dichtem Forst bestandene Ränder man nicht mehr zu erkennen vermochte. Selbst auf hohem Meere hätte dasselbe kaum vereinsamter seinen Weg verfolgen können.
Zermah kam es wohl vor Allem darauf an, zu erfahren, nach welcher Bucht sich das von Squambo gesteuerte Boot wenden werde, und doch wäre eine deshalb an den Indianer gerichtete Frage sicherlich erfolglos geblieben Sie suchte sich also selbst über die Oertlichkeit aufzuklären, was bei der tiefen Dunkelheit sehr schwierig sein mußte, so lange Squambo die Mitte des Saint-John nicht verließ.
Die Fluth war im Wachsen, und unter den Rudern der beiden Schwarzen schnitt das Boot rasch nach Süden durch die Wellen.
Wie nothwendig wäre es für Zermah jetzt gewesen, ein Zeichen ihrer Vorüberkunft zurückzulassen, um spätere Nachforschungen zu erleichtern! Hier auf dem Flusse war das natürlich unthunlich. Auf dem Lande hätte schon ein abgerissenes Stückchen ihrer Decke, das sie unversehens an einem Busche hängen ließ, das erste Merkzeichen einer Fährte bilden können, die, einmal erkannt, gewiß weiter und bis an's Ende verfolgt worden wäre. Wozu aber hätte es dienen sollen, irgend einen Gegenstand, der dem kleinen Mädchen oder ihr selbst gehörte, dem Flusse anzuvertrauen, da doch schwerlich auf den Zufall zu rechnen war daß derselbe in James Burbank's Hände käme? – Nein, davon mußte sie[211] absehen und sich darauf beschränken, wenn irgend möglich zu erkennen, an welchem Punkte des Saint-John das Boot wieder an's Land gehen würde.
So verfloß eine volle Stunde, ohne daß Squambo weder mit ihr noch mit den Ruderern ein Wort gewechselt hätte.
Die beiden Schwarzen arbeiteten gleichmäßig weiter. Kein Licht erglänzte am Ufer, weder in einem Häuschen, noch unter den Bäumen, deren Masse sich im Schatten unbestimmt abzeichnete.
Und während Zermah gleich nach rechts und links hin scharf ausblickte, um sich das unscheinbarste Merkzeichen einzuprägen, dachte sie doch immer nur an die das kleine Mädchen bedrohenden Gefahren; daß sie auch selbst nicht minder jeder Unbill ausgesetzt sein könne, bekümmerte sie gar nicht – alle ihre Furcht concentrirte sich einzig und allein auf das Kind. Ohne Zweifel war es Texar, der sie hatte entführen lassen; ja, in dieser Hinsicht konnte sie sich nicht täuschen, sie hatte zu sicher den Spanier wieder erkannt, der an der Marino-Bucht Stellung genommen hatte, ob er nun beabsichtigte, durch den Tunnel in das Castle-House selbst vorzudringen, oder dessen Vertheidigern aufzulauern, wenn diese den Versuch machen würden, durch diesen verborgenen Ausgang zu entkommen. Hätte sich Texar nicht so unnöthig übereilt, so wären jetzt Frau Burbank und Miß Alice so wie Zermah und Dy in seinen Händen gewesen. Wenn er die Leute von der Miliz und die Horde raubsüchtigen Gesindels nicht persönlich angeführt hatte, so war das aus dem Grunde geschehen, daß er, in sicherer Voraussicht des Ausganges des Kampfes, überzeugt war, an der Marino-Bucht die Familie Burbank desto besser überraschen zu können.
Auf keinen Fall würde Texar seine persönliche Betheiligung bei dem hier vollführten Raube ableugnen können. Zermah hatte laut genug seinen Namen ausgerufen; Frau Burbank und Miß Alice mußten diesen gehört haben.
Später einmal, wenn die Stunde der Vergeltung schlug, wenn der Spanier sich für seine Unthaten zu verantworten hatte, würde er in diesem Falle nicht das Hilfsmittel zur Hand gehabt haben, sich auf ein gleich unerklärliches Alibi zu berufen, wie er das schon öfter mit Glück gethan hatte.
Jetzt entstand die Frage, welches Schicksal er seinen beiden Opfern bestimmt habe und ob er wohl beabsichtigen werde, sie bis nach den sumpfreichen Evergladen, jenseits der Quellen des Saint-John zu verschleppen. Die Mestizin stellte sich auch die Frage, ob er sich nicht ihrer, als einer besonders gefährlichen Zeugin, werde zu entledigen versuchen. Sie hätte übrigens ohne Bedenken das[212] eigene Leben zum Opfer gebracht, wenn sie annehmen konnte, dadurch das des mit ihr entführten Kindes zu retten. Doch was sollte nach ihrem Ableben unter den Händen Texar's und seiner rohen Genossen aus der armen Dy werden? Dieser Gedanke quälte sie und sie preßte das kleine Mädchen unwillkürlich inniger an ihr Herz, als ob Squambo, der ja ganz ruhig da saß und ihrer gar nicht zu achten schien, sich schon anschickte, das Kind aus ihren Armen zu reißen.
In diesem Augenblicke konnte Zermah übrigens wahrnehmen, daß sich das Boot mehr dem linken Ufer des Flusses näherte. Als besonderes Merkmal konnte ihr das schon deshalb kaum dienen, weil sie nicht wußte, daß der Spanier im Hintergrunde der Schwarzen Bucht und zwar auf einem der Holme dieser Lagune, wohnte; so wenig, wie das die Parteigänger Texar's wußten, da er vorsichtiger Weise bisher Niemand in dem Blockhause empfangen oder gar aufgenommen hatte, das nur ihm nebst Squambo und seinen Schwarzen als Schlupfwinkel und Unterkunft diente.
Dorthin nämlich sollte der Indianer Dy und Zermah jetzt bringen. Tief drinnen in dieser, fast geheimnißvoll zu nennenden Gegend würden sie jeder Aufspürung sicher entrückt sein.
Die Bucht erschien sozusagen undurchdringlich für Jeden, der nicht das Gewirr ihrer zahlreichen Wasserstraßen und die Vertheilung der von denselben umschlossenen Inseln kannte. Sie bot tausend Schlupfwinkel, in denen die Gefangenen so wohl verborgen waren, daß es unmöglich erschien, ihre Spuren zu entdecken. Im Fall James Burbank aber doch unternehmen sollte, die unentwirrbare Wildniß gänzlich zu durchsuchen, war es immer noch Zeit, die Mestizin und das Kind nach dem Süden der Halbinsel weiter zu schaffen. Dann entschwand jede Aussicht, sie inmitten jener weitausgedehnten Gebiete wieder aufzufinden, welche kaum einzelne floridische Pionniere betraten und deren ungesunde Strecken, von allen Uebrigen gemieden, nur noch wenige, stark zusammengeschmolzene Indianerhorden durchstreiften.
Die fünfundvierzig Meilen, welche Camdleß-Bay von der Schwarzen Bucht trennen, wurden rasch zurückgelegt. Gegen elf Uhr Nachts gelangte das Fahrzeug um den vorspringenden Winkel herum, den der Saint-John dritthalbhundert Schritte stromabwärts derselben bildet, und jetzt handelte es sich nur noch darum, den eigentlichen Eingang der Lagune zu erkennen, und das war, in Berücksichtigung der pechdunklen, das linke Ufer noch mehr als das rechte verhüllenden Finsterniß, keine so leichte Aufgabe. So vertraut Squambo auch mit den[213] Gewässern dieser Gegend war, zögerte er jetzt doch ein wenig, als er das Steuer wenden sollte, um die Strömung in schiefer Richtung zu durchschneiden.
Diese Sache wäre jedenfalls viel leichter abzumachen gewesen, wenn das Boot hätte längs des Ufers hingleiten können, das sich freilich in eine Unzahl kleinerer, mit Schilf bestandener oder mit Wasserpflanzen bedeckter Einschnitte auflöste. Hierbei fürchtete der Indianer aber zu leicht zu stranden, und da die bald zu erwartende Ebbe dann die Fluthen des Saint-John nach seiner Mündung zurückführen mußte, wäre das für ihn eine unbequeme Lage geworden. Wie hätte er, in der Zwangslage bis zur nächsten Fluth, d. h. also gegen elf Stunden lang, zu warten, einer Entdeckung entgehen können, wenn es wieder heller Tag wurde? Gewöhnlich durchfurchten ja recht zahlreiche Boote den Fluß. Die Tagesereignisse verursachten zudem jetzt einen fast ununterbrochenen gegenseitigen Nachrichtenaustausch zwischen Saint-Augustine und Jacksonville, und unzweifelhaft würden die Mitglieder der Familie Burbank, soweit sie nicht bei dem Angriffe auf das Castle-House umgekommen waren, lebhafte Nachforschungen anstellen. Squambo, der sich dann vielleicht in der Nähe des höheren Uferlandes festgehalten sah, hätte den auf seine Person gerichteten Verfolgungen aber unmöglich entgehen können und seine Lage wäre eine sehr mißliche geworden. Aus allen diesen Gründen wollte er sich in der Fahrstraße des Saint-John halten und, wenn es nöthig wäre, selbst mitten in der Strömung vor Anker gehen. Dann hätte er mit Wiederanbruch des Tages versucht, die versteckte Einfahrt in die Schwarze Bucht zu erkennen, und hatte er diese einmal hinter sich mit ihrem Vorhange dicht verwirrter Zweige, dann war er gegen jede Verfolgung gesichert.
Inzwischen glitt das Boot mit der Fluth noch immer stromaufwärts. Nach der verflossenen Zeit zu urtheilen, glaubte Squambo sich noch nicht in der Höhe der Lagune zu befinden.
Er sachte also noch etwas weiter nach Süden zu gelangen, als sich ein nur wenig entferntes Rauschen vernehmen ließ und der dumpfe Schlag von Schaufelrädern, welche das Wasser des Flusses aufrührten. Fast gleichzeitig tauchte, wenn auch nur unklar erkennbar, neben dem Winkel des linken Ufers eine sich bewegende Masse auf.
Ein Dampfboot kam mit halber Kraft den Fluß herab, über den hin es den weißen Schein seines Fockmastlichtes warf. In weniger als einer Minute mußte es das Boot erreicht haben.
Durch eine Handbewegung setzte Squambo die Ruder der beiden Schwarzen außer Thätigkeit und durch eine Drehung des Steuers lenkte er nach dem rechten[214] Ufer zu ab, ebenso um aus der Fahrstraße des Dampfers zu kommen, wie um von diesem aus nicht bemerkt zu werden.
Das Boot war jedoch von den Auslugern an Bord schon gemeldet worden. Jetzt rief man es an, mit dem Befehle, am Dampfer beizulegen.
Squambo stieß einen entsetzlichen Fluch aus. Da er sich jedoch durch die Flucht dem ihm gewordenen ausdrücklichen Befehle nicht entziehen konnte, mußte er wohl oder übel gehorchen.
Einen Augenblick nachher trieb das Boot neben der Steuerbordseite des Dampfers, der selbst, um jenes zu erwarten, gestoppt hatte.
Zermah erhob sich sofort.
Dieser Zwischenfall schien ihr unerwartete Rettung zu versprechen. Sie glaubte ja rufen, sich erkennen geben, um Hilfe bitten und so Squambo wieder entkommen zu können.
Der Indianer erhob sich neben ihr. In der einen Hand hielt er ein großes Bowiemesser, mit der anderen packte er das kleine Kind, das Zermah ihm vergeblich zu entwinden sachte.
»Einen Laut, sagte er – und ich ermorde das Mädchen!«
Hätte es nur ihr eigenes Leben gegolten, so würde Zermah gewiß nicht gezaudert haben; da es aber das Kind war, dem des Indianers schreckliche Waffe drohte, so schwieg sie still. Die Klugheit siegte über die Sehnsucht nach Freiheit.
Vom Verdeck des Dampfers aus konnte übrigens Niemand wahrnehmen, was im Boote unten vorging.
Ein Officier beugte sich über die Commandobrücke herunter und rief den Indianer an. Dabei wurden folgende Worte gewechselt:
»Wohin geht Ihr?
– Nach Picolata.«
Zermah faßte diesen Namen auf, während sie sich doch sagte, daß es in Squambo's Interesse liege, seine wirkliche Bestimmung nicht zu verrathen.
»Woher kommt Ihr?
– Von Jacksonville.
– Giebt es dort etwas Neues?
– Nein.
– Nichts von der Flottille Dupont's?
– Nichts.[215]
– Man hat also keine weiteren Nachrichten seit dem Angriffe auf Florida und auf das Fort Clinch?
– Nein.
– In den eigentlichen Saint-John ist noch kein Kanonenboot eingedrungen?
– Nicht eines.
– Woher rührte der Feuerschein, den wir gesehen, und das Knallen und Krachen, das man vom Norden her vernahm, als wir in Erwartung der Fluth noch vor Anker lagen?
– Von einem während letzter Nacht auf die Ansiedlung von Camdleß-Bay gerichteten Angriff.
– Durch die Nordstaatler?
– O nein!... Durch die Miliz von Jacksonville. Der Eigenthümer hatte den Anordnungen des Bürgeraus[216] schusses trotzen wollen.
– Gut!... Weiß schon! Es betrifft James Burbank, den eingefleischten Abolitionisten.
– Ganz recht.[217]
– Und wie lief die Sache ab?
– Das weiß ich nicht. Ich habe nur im Vorüberkommen etwas davon gesehen. Mir schien da Alles in hellen Flammen zu stehen!«
In diesem Augenblicke kam über die Lippen des Kindes ein schwacher Schrei... Zermah drückte ihm die Hand auf den Mund, als sich die Finger des Indianers schon dem Halse desselben näherten.
Der ziemlich hoch über ihnen stehende Officier hatte nichts gehört.
»Ist Camdleß-Bay gleich mit Geschützen angegriffen worden? fragte er.
– Das glaub' ich kaum.
– Was bedeuteten denn die drei Kanonenschläge, die wir gehört haben und die uns von Jacksonville zu kommen schienen?
– Das vermag ich nicht zu sagen.
– Der Saint-John ist demnach von Picolata bis zu seiner Mündung frei?
– Ganz frei, und Ihr könnt ruhig hinunterfahren, ohne von den Kanonenbooten etwas zu fürchten zu haben.
– Es ist gut. – Vorwärts... Vollen Dampf!«
Der Befehl wurde dem Maschinisten hinuntergerufen und der Dampfer begann sich wieder in Bewegung zu setzen.
»Noch um eine Auskunft möcht' ich bitten, sagte Squambo zu dem Officier.
– Und die wäre?
– Die Nacht ist sehr dunkel... ich finde mich kaum zurecht... könnt' ich erfahren, wo ich jetzt eigentlich bin?
– Auf der Höhe der Schwarzen Bucht.
– Ich danke.«
Die Schaufeln peitschten die Oberfläche des Flusses, nachdem das Boot sich um einige Faden entfernt hatte. Der Dampfer verschwand allmählich in der Nacht und ließ nur einen Streifen von seinen mächtigen Rädern tief aufgewühlten Wassers hinter sich.
Squambo, jetzt wieder allein auf dem Flusse, setzte sich im Hintertheile des Bootes nieder und ließ weiter rudern. Er kannte jetzt die Oertlichkeit, steuerte nach rechts hinüber und fuhr in den runden Einschnitt ein, in dessen Grund sich die Schwarze Bucht öffnete.
Daß der Indianer sie nach einem Orte führte, dessen Zugang nur sehr schwierig zu finden war, darüber konnte Zermah nicht im Zweifel sein, und es kam gar nicht darauf an, ob ihr das noch besonders gesagt wurde oder nicht.[218]
Vorläufig hätte sie doch keinen Weg gesehen, sich ihrem Herrn mitzutheilen, und Nachforschungen in diesem undurchdringlichen Labyrinth verboten sich fast von selbst. Jenseits der Bucht gewährten dagegen die Waldungen der Grafschaft Duval die Möglichkeit, jede Fährte zu täuschen, für den Fall, daß James Burbank und dessen Freunde es ja unternehmen sollten, die ganze Lagune zu durchstreifen. – Dieser westliche Theil von Florida konnte noch als ziemlich unbekanntes Land bezeichnet werden, auf dem es so gut wie unmöglich war, einer Spur zu folgen; überdies wäre es kaum klug gewesen, sich in diese Gebiete hinein zu wagen.
Die Seminolen, welche auch damals in diesen Wäldern und sumpfigen Landstrichen umherschwärmten, waren jetzt noch immer zu fürchtende Gesellen. Sie beraubten gar zu gern die in ihre Hände fallenden Reisenden und ermordeten sie ohne Bedenken, wenn diese sich ja zu vertheidigen suchten.
Im oberen Theile der Grafschaft, etwas nordwestlich von Jacksonville, hatte sich erst unlängst ein eigenthümlicher Vorfall zugetragen, der lange Zeit das allgemeine Gespräch bildete.
Ein Dutzend Floridier, die sich nach der Küste am Golfe von Mexiko begaben, waren von einer Seminolen-Horde überfallen worden. Wenn sie dabei mit dem Leben davonkamen, hatten sie es nur dem Umstande zu verdanken, daß sie keinerlei Widerstand leisteten, der übrigens – sie standen Einer zehn Wilden gegenüber – ganz nutzlos gewesen wäre.
Die guten Leute wurden dann gründlich durchsucht und alles dessen beraubt, was sie bei sich führten, selbst ihrer Kleidung. Unter Androhung des Todes hatte man ihnen dann verboten, in diesen Gebieten, welche die Indianer noch immer als ausschließliches Eigenthum beanspruchen, jemals wieder zu erscheinen. Um sie aber auch wieder zu erkennen, wenn sie dieses Verbot nicht achteten, wendete der Häuptling jener Bande ein sehr einfaches Verfahren an; er ließ den Arm eines Jeden mit einem eigenthümlichen Zeichen tätowiren, indem ihm mit einer Nadel und daran hängendem Safte einer Farbpflanze unverwischbare Zeichen eingeritzt wurden, dann wurden die Floridier, ohne weitere Unbill zu erleiden, heimgeschickt. Nach den Ansiedlungen des Nordens kamen sie natürlich in sehr bemitleidenswerthem Zustande zurück – von der Indianer-Horde an den Armen sozusagen »gestichelt« und wenig danach verlangend, noch einmal in die Hände jener Seminolen zu fallen, welche sie diesmal, schon um ihrem Zeichen Ehre zu machen, ohne Erbarmen niedergemetzelt hätten.[219]
Zu jeder anderen Zeit würden die Milizen der Grafschaft Duval es nicht ungestraft haben hingehen lassen, sondern hätten die Indianer sicherlich verfolgt. Jetzt aber hatten sie anderes zu thun, als einen doch langwierigen Streifzug gegen diese Nomaden zu beginnen. Die Furcht, das Land von den föderirten Truppen überschwemmt zu sehen, beherrschte Alles, und man behielt nur die eine Aufgabe im Auge, zu verhindern, daß jene sich zu Herren des Saint-John und mit ihm' zu denen der von ihm bespülten Gebiete machten. So konnte man die südstaatlichen Streitkräfte unmöglich zersplittern, denn diese waren schon von Jacksonville bis zur Grenze von Georgia hinauf aufgestellt. So meinte man, es würde später Zeit sein, gegen die Seminolen, welche durch den Bürgerkrieg nur frecher geworden waren, aufzubrechen, so lange diese sich nicht in die nördlicheren Landestheile wagten, aus denen man sie für immer vertrieben zu haben glaubte. Dann wollte man sich auch nicht damit begnügen, sie nur aus den Evergladen und den Sümpfen zu vertreiben, sondern dieselben womöglich ausrotten.
Vorläufig blieb es demnach gefährlich, sich in die mehr im Westen von Florida gelegenen Gebiete zu verlieren, und wenn James Burbank seine Untersuchungen wirklich nach dieser Seite hin ausdehnte, so trat damit nur eine neue Gefahr zu allen hinzu, welche ein Streifzug dieser Art so wie so mit sich bringt.
Inzwischen war das Boot längs des linken Ufers des Flusses dahingeglitten. Squambo, der nun ja wußte, daß er sich in der Höhe der Schwarzen Bucht befand, welche die Gewässer des Saint-John in's Land eintreten läßt, fürchtete nicht im mindesten, etwa auf einer Untiefe zu stranden.
Fünf Minuten später durchschnitt das Fahrzeug schon die Fluthen unter dem dunklen Gewölbe der Bäume und inmitten einer Finsterniß, welche noch tiefer war, als draußen auf freiem Flusse. Wie sehr es Squambo auch gewöhnt war, sich in den Windungen dieser Lagune zurecht zu finden, unter den jetzigen Verhältnissen wäre ihm das vielleicht doch nicht geglückt. Da er jedoch von keiner Seite bemerkt werden konnte, durfte er es ja wagen, sich den Weg zu beleuchten. So ließ er denn von einem Baume am Ufer einen harzigen Zweig abschneiden, der vorn an der Spitze des Bootes befestigt und angezündet wurde. Seine rußige Flamme mußte dem geübten Auge des Indianers genügen, um die enge Wasserstraße zu erkennen. Während einer halben Stunde etwa drang er so durch die verwirrten Windungen der Bucht vor und gelangte endlich an das Eiland mit dem Blockhause.[220]
Nun mußte Zermah aussteigen. Von Müdigkeit überwältigt, lag das kleine Mädchen schlafend in ihren Armen. Diese erwachte auch nicht, als die Mestizin die enge Pforte der Befestigung überschritt und in einem der neben dem inneren Mittelraume gelegenen Zimmer eingesperrt wurde.
In einer Decke, welche in einer Ecke lag, eingewickelt, wurde Dy auf erbärmlichem Lager niedergelegt. Zermah blieb neben ihr wach.
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