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[355] Es ist eine ebenso schreckliche wie zauberisch schöne Gegend, die der Evergladen. Im südlichsten Theile Floridas gelegen, erstrecken sie sich bis zum Cap Sable, der äußersten Spitze der Halbinsel. Das ganze Gebiet stellt freilich nur einen ungeheuren, fast im gleichen Niveau mit dem Atlantischen Ocean gelegenen Sumpf dar. Die Fluthen des Meeres tränken denselben sehr reichlich, wenn Stürme im Ocean oder im Golfe von Mexiko sie darüber tragen, und hier mischen sie sich auch noch mit dem Wasser aus den Wolken, das zur Winterszeit in furchtbaren Katarakten darauf niederstürzt. Das ganze Land erscheint demnach halb flüssig und halb fest, so daß an eine Bewohnbarkeit desselben nicht zu denken ist.
Als Umfassung haben jene Wasserflächen Rahmen von weißem Sande, welche die düstere Färbung jener zahlreichen glänzenden Oasen nur um so deutlicher hervortreten lassen, in denen sich allein die massenhaft vorkommenden Sumpfvögel widerspiegeln, welche nahe darüber hinflattern. Fischreich sind jene übrigens nicht, wohl aber wimmelt es darin von verschiedenen Schlangen.
Man darf deshalb aber nicht glauben, daß der allgemeine Charakter dieser Gebiete der der Unfruchtbarkeit sei. Gerade auf Inseln, welche die ungesunden Gewässer der See baden, kommt die Natur wieder zu ihrem Rechte. Die verderbliche Malaria wird hier sozusagen von dem entzückenden Dufte besiegt, welchen die prächtigen Blumen dieser Zone ausathmen. Alle diese Inseln sind erfüllt von dem Wohlgeruche von tausend, zu herrlichstem Glanz und überraschendster Ueppigkeit entwickelter Pflanzen, welche den Namen der floridischen Halbinsel rechtfertigen. Nach diesen heilsamen Oasen der Evergladen ziehen sich auch die nomadisirenden Indianer zurück, wenn sie einmal einen – übrigens nie lange andauernden – Halt machen.
Dringt man einige Meilen in dieses Gebiet ein, so trifft man auf eine ziemlich ausgedehnte Wasserfläche, den Okee-cho-bee-See, ein wenig unterhalb des 27. Breitengrades. In einer Ecke dieses Sees nun lag die Insel Carneral, auf[355] der Texar sich eine unbekannte Zuflucht gesichert hatte, in der er jeder Verfolgung entgehen konnte.
Diese Gegend erscheint eines Texar und seiner Genossen vollkommen würdig. Als Florida noch den Spaniern gehörte, flüchteten sich gerade hierher alle Uebelthäter weißer Race, um sich der Justiz ihres Landes zu entziehen. Vermischt mit der eingebornen Bevölkerung, in deren Adern noch caraïbisches Blut vorkommt, waren sie dann wahrscheinlich die Stammväter jener Creeks, wie der Seminolen und jener nomadisirenden Indianer, die nur ein langwieriger blutiger Kampf einzuschüchtern vermochte und deren mehr oder weniger vollständige Unterwerfung erst aus dem Jahre 1845 datirt.
Die Insel Carneral schien gegen jeden Angriff geschützt zu sein. In ihrem östlichen Theile ist sie freilich nur durch einen schmalen Wasserarm vom Festlande getrennt – wenn man mit diesem Namen den sie umgebenden Sumpf bezeichnen darf. Jener Canal mißt in der Breite etwa hundert Fuß, und ein grob gearbeitetes Boot diente zu seiner Ueberschreitung; ein anderes Verkehrsmittel gab es hier nicht.
Auf dieser Seite mittelst Schwimmens zu entweichen, ging unbedingt nicht an, denn Niemand konnte sich in dieses halbschlammige Wasser, mit seinem Gewirr von Sumpfpflanzen und den zahlreichen Reptilien darin, wagen.
Weiter hinaus erhebt sich der große Eypressenwald mit seinem halbdurchtränkten Erdboden, der nur schmale und kaum erkennbare Fußpfade bietet, von den anderen Hindernissen desselben ganz zu schweigen. Ein thoniger Boden, der an den Füßen wie Vogelleim haftet, ungeheure kreuz- und querliegende Stämme und ein Modergeruch, der den Wanderer zu ersticken droht. Hier wuchern dazu noch sehr gefährliche Pflanzenarten, Phytaelen, welche ebenso giftig wirken können, wie manche Disteln, vorzüglich auch Unmassen von jenen »Pezizen«, das sind riesenhafte Champignons, welche gelegentlich explodiren, als ob sie Schießbaumwolle oder Dynamit enthielten. Schon der geringste Stoß vermag eine heftige Detonation derselben auszulösen, und im Augenblicke erfüllt sich dann die Luft mit röthlichen Staubmassen. Letztere bestehen aus den Sporen der Gewächse, dringen in die Athmungswege ein und erzeugen einen Ausbruch von stark brennenden Eiterblüthen. Es erscheint also als ein Gebot der Klugheit, diese schadenbringenden Gewächse ebenso zu meiden, wie man den gefährlichen Raubthieren aus dem Wege geht. Die Wohnung Texar's war nichts anderes, als ein alter indianischer Wigwam, der aus Pfählen und Bohlen unter dem Schutze[356] großer Bäume im östlichen Theile der Insel bestand. Völlig versteckt unter dichtem Grün, konnte man dieselbe auch vom nächstgelegenen Ufer nicht wahrnehmen. Die beiden Spürhunde bewachten sie übrigens mit demselben Eifer, wie das Blockhaus in der Schwarzen Bucht. Auf den Mann dressirt, hätten sie Jeden in Stücke zerrissen, der sich dem Wigwam zu nähern versuchte.
Hierher also waren Zermah und die kleine Dy seit zwei Tagen gebracht worden. Die Reise auf dem Saint-John selbst und auf dem Washington-See war zwar eine ziemlich bequeme gewesen, wurde aber höchst beschwerlich in ihrer Fortsetzung durch den Cypressenwald, selbst für kräftige Männer, die an das ungesunde Klima gewöhnt und in langen Tagemärschen durch diese Wälder und Sümpfe geübt waren. Was hatten dabei aber eine Frau und ein schwaches Kind zu leiden gehabt! Zermah wenigstens war ja stark, muthig und ergeben. Während des ganzen Auszuges trug sie Dy, deren kleiner Fuß diese Dauermärsche doch nicht ausgehalten hätte. Zermah hätte sich auf den Knien fortschleppen lassen, um nur jener jede Anstrengung zu ersparen. Freilich war sie am Ende ihrer Kräfte, als sie auf der Insel Carneral anlangte.
Mußte sie nun nach dem, was sie seit ihrer Entführung nach der Schwarzen Bucht durch Texar und Squambo schon erlitten hatte, nicht gänzlich verzweifeln? Wenn sie auch nicht wußte, daß jenes von ihr dem jungen Sclaven anvertraute Billet in James Burbank's Hände gefallen war, so war ihr dafür nicht unbemerkt geblieben, daß dieser seine edelmüthige Bereitwilligkeit, ihr zu helfen, hatte mit dem Leben bezahlen müssen. In dem Augenblicke überrascht, wo er das Eiland verlassen wollte, um sich nach Camdleß-Bay zu begeben, erhielt er die ihm den Tod bringende Wunde. Da mußte sich die Mestizin also wohl sagen, daß James Burbank niemals von dem unterrichtet werden würde, was sie von dem unglücklichen Schwarzen erfahren hatte, daß nämlich der Spanier und seine Leute im Begriffe waren, nach der Insel Carneral überzusiedeln, und wie konnte unter diesen Verhältnissen Jemand Veranlassung nehmen, ihren Spuren nachzugehen?
Zermah konnte also den Schatten einer Hoffnung nicht mehr bewahren. Uebrigens erlosch so wie so jede Aussicht auf Rettung inmitten dieser Gebiete, deren Schrecken sie vom Hörensagen kannte. Ja, sie war damit nur zu gut vertraut – hier schien kein Entrinnen möglich.
Das kleine Mädchen befand sich inzwischen in einem Zustande äußerster Schwäche. Die Ermüdung zunächst, trotz der unablässigen Sorgfalt Zermah's,[357] und dann der Einfluß des wirklich mörderischen Klimas hatten deren Gesundheit tief erschüttert. Bleich und abgezehrt, wie vergiftet von den schädlichen Ausdünstungen, besaß sie kaum noch die Kraft, sich aufrecht zu erhalten; kaum noch die, ein paar Worte hervorzubringen, wobei sie dann stets nach ihrer Mutter verlangte. Jetzt konnte Zermah sie nicht, wie in den ersten Tagen ihres Aufenthaltes in der Schwarzen Bucht, durch die Zusicherung trösten, daß sie Frau Burbank bald wiedersehen werde, daß ihr Bruder, Miß Alice, Mars schon zu ihr unterwegs wären. Bei ihrem frühreifen Verstande, der durch die schrecklichen Scenen, welche die Verwüstung der Ansiedlung begleiteten, nur noch mehr geschärft erschien, begriff Dy schon, daß sie dem heimatlichen Herd entrissen war und sich in den Händen eines bösen Mannes befand, daß sie, wenn ihr Niemand zu Hilfe käme, Camdleß-Bay wohl niemals wiedersehen würde.
Jetzt wußte Zermah auf ihre Klagen nichts zu antworten und sah, trotz zuverlässigster Pflege, das arme Kind mehr und mehr verfallen.
Der Wigwam bestand, wie gesagt, nur aus einer nachlässig errichteten Hütte, welche für die Winterszeit gewiß nicht ausreichend war, denn dann mußten Wind und Regen überall in dieselbe eindringen. In der warmen Jahreszeit dagegen, die sich unter dieser Breite jetzt schon fühlbar machte, konnte sie ihre Insassen wenigstens gegen die brennenden Sonnenstrahlen schützen.
Dieser Wigwam war in zwei ungleich große Räume getheilt; der eine, sehr beschränkte, stand nicht direct mit außerhalb in Verbindung, sondern öffnete sich nur nach dem anderen »Zimmer«. Dieser ziemlich große Raum erhielt sein Licht durch eine weite Thüre an der vorderen, das heißt an derjenigen Seite, welche nach dem Ufer des Canals zu lag.
Zermah und Dy sahen sich auf den kleineren Raum beschränkt, wo sie wenigstens die nothdürftigsten Geräthe vorfanden, und einen Haufen von Blättern, der ihnen als Nachtlager diente.
Den anderen Raum bewohnten Texar und der Indianer Squambo, der seinen Herrn niemals verließ. Hier befanden sich als Möbel ein Tisch mit mehreren Krügen Branntwein darauf, Gläser und einige Schüsseln, eine Art Vorrathsschrank, ein kaum aus dem gröbsten bearbeiteter Baumstamm als Bank, und zwei Bündel trockenes Laub, das die Stelle der Betten vertrat. Das zur Bereitung der Mahlzeiten nöthige Feuer wurde auf einem, an einer Ecke des Wigwams draußen angebrachten Steinherde entzündet. Das genügte für die Bedürfnisse einer Nahrungsweise, die nur aus getrocknetem Fleische, ferner aus[358] Wild bestand, von dem ein Jäger auf der Insel leicht den nöthigen Bedarf erlegen konnte, und die sich endlich aus Früchten und Gemüsen in fast rohem Zustande zusammensetzte – um wenigstens nicht Hungers zu sterben.
Die Sclaven, etwa sechs an der Zahl, welche Texar von der Schwarzen Bucht mitgebracht hatte, schliefen wie die beiden Hunde im Freien, und wie diese überwachten sie die nächste Umgebung, während ihnen nur die großen Bäume, die niedrigsten Aeste, die sich über ihrem Kopfe kreuzten, einigen Schutz gewährten.
Vom ersten Tage ab hatten Zermah und Dy dagegen die Freiheit, sich nach Belieben umherzubewegen. Sie wurden in ihren Wohnräumen nicht ferner eingeschlossen, da sie es ja schon auf der Insel Carneral selbst waren. Man begnügte sich, sie zu überwachen – eine ziemlich unnütze Vorsicht, da es ja unmöglich war, den Canal zu überschreiten, ohne sich des Bootes zu bedienen, welches einer der Schwarzen unausgesetzt hütete. Und während sie das kleine Mädchen spazieren führte, hatte sich Zermah sehr schnell von allen den Schwierigkeiten Rechnung gegeben, denen eine Entweichung von hier begegnen mußte.
Wenn die Mestizin an diesem Tage nicht aus den Augen gelassen wurde, so begegnete sie dafür Texar niemals. Erst in der Nacht vernahm sie wieder die Stimme des Spaniers. Er wechselte einige Worte mit Squambo, dem er die strengste Aufsicht anempfahl, und bald darauf schliefen Alle, mit Ausnahme Zermah's, in dem Wigwam.
Bisher hatte Zermah von Texar übrigens noch kein Wort hervorzulocken vermocht. Bei der Flußfahrt nach dem Washington-See zu fragte sie ihn wiederholt vergeblich, was er mit dem Kinde und ihr selbst im Schilde führe, ja, sie versuchte es sogar mit Bitten wie mit Drohungen.
Während sie so sprach, begnügte sich der Spanier, sie mit seinen kalten, boshaft blickenden Augen anzusehen. Dann zuckte er höchstens die Schultern, wie Einer, den man belästigt und der es unter seiner Würde hält, Antwort zu geben.
Zermah fühlte sich dadurch jedoch keineswegs geschlagen.
Auf der Insel Carneral angelangt, beschloß sie Texar gegenüber zu treten, ihn um Mitleid, wenn nicht für sie, doch für das bedauernswerthe Kind anzuflehen, und wenn das von ihm abprallte, ihn durch Zusicherung gewisser Vortheile zu gewinnen.
Die Gelegenheit bot sich sehr bald.
Am folgenden Tage, als das kleine Mädchen noch schlummerte, begab sich Zermah nach dem Canal.[359]
Texar wandelte langsam an dessen Ufer hin und her. Mit Squambo ertheilte er eben einem Sclaven den Auftrag, die Schlingpflanzen zu entfernen, welche das Forttreiben des einzigen schwerfälligen Bootes stark behinderten.
Bei Ausführung dieser Arbeit schlugen zwei Schwarze mit langen Ruthen auf die Oberfläche des Canals, um die Reptilien zu erschrecken, deren Köpfe aus dem Wasser hervorlugten.
Bald darauf verließ Squambo seinen Herrn, und dieser wollte sich ebenfalls schon entfernen, als Zermah gerade auf ihn zukam.[360]
Texar ließ sie ruhig herankommen, und als sie vor ihm stand, blieb auch er stehen.
»Texar, begann Zermah, mit fester Stimme, ich habe mit Ihnen zu reden. Ohne Zweifel wird das zum letztenmale sein, und ich bitte Sie, mich anzuhören.«
Der Spanier, der sich eine Cigarrette angezündet hatte, gab keine Antwort. Nachdem sie einige Secunden gewartet, nahm Zermah wieder wie folgt das Wort:
»Wollen Sie mir endlich sagen, Texar, was Sie mit Dy Burbank vorhaben?«
Keine Antwort.
[361] »Es kommt mir nicht in den Sinn, Sie für mich um Mitleid anzuflehen. Es handelt sich nur um jenes Kind, dessen Leben sehr gefährdet ist und das Sie also bald auch verlieren würden...«
Auf diese Schilderung machte Texar eine leichte Bewegung, die seine völlige Ungläubigkeit verrieth.
»Ja, bald, fuhr Zermah fort. Wenn es durch eine Flucht nicht möglich ist, dann durch den Tod.«
Nachdem der Spanier langsam den Rauch seiner Cigarrette ausgeblasen, begnügte er sich zu erwidern:
»Bah, das kleine Ding wird sich schon nach einigen Tagen Ruhe wieder erholen, und ich rechne auf Deine besondere Sorgfalt, Zermah, uns dieses kostbare Leben zu erhalten.
– Nein, ich wiederhole es, Texar, binnen kurzem wird das Kind todt sein, und todt ohne jeden Vortheil für Euch!
– Ohne Vortheil, versetzte Texar höhnisch, wenn ich das Mädchen fern von seiner sterbenden Mutter und von seinem zur Verzweiflung getriebenen Vater und Bruder halte!
– Zugegeben, sagte Zermah. Doch Ihr habt Eure Rache wohl hinlänglich gekühlt; Texar, glaubt mir, Ihr würdet mehr Vortheil daraus ziehen, dieses Kind, statt es hier zurückzuhalten, seiner Familie wiederzugeben.
– Was willst Du damit sagen?
– Ich will sagen, daß James Burbank nun wohl genug gelitten hat. Jetzt muß Euer eigenes Interesse zu Worte kommen...
– Mein Interesse?...
– Ganz sicherlich, Texar, antwortete Zermah, lebhafter werdend. Die Ansiedlung von Camdleß-Bay ist verwüstet worden, Frau Burbank ringt mit dem Tode und ist vielleicht in diesem Augenblicke, wo ich zu Euch spreche, schon nicht mehr unter den Lebenden, ihre Tochter ist verschwunden und deren Vater möchte wohl vergebens versuchen, eine Spur von ihr wiederzufinden. Alle diese Verbrechen, Texar, sind durch Euch begangen worden – das weiß ich! Ich habe das Recht, es Euch in's Gesicht zu sagen. Doch hütet Euch – einmal kommt noch Alles an's Licht – und denkt an die strenge Strafe, die Eurer wartet. Ja, schon Euer Interesse erheischt es, Mitleid zu haben. Ich spreche nicht für mich, die mein Gatte bei seiner Rückkehr nicht wieder finden wird – nein, ich spreche nur für die arme Kleine, welche offenbar dem Tode entgegengeht. Behaltet[362] mich hier, wenn Ihr wollt, aber sendet dieses Kind nach Camdleß-Bay; gebt es seiner Mutter zurück! Niemand wird wegen der Vergangenheit von Euch Rechenschaft fordern. Ja, wenn Ihr's verlangt, wird man Euch die Freigebung des Kindes mit Gold aufwiegen, Texar, und wenn ich mich unterfange, so zu Euch zu reden, so geschieht es, weil ich James Burbank und die Seinigen vom Grunde ihres Herzens kenne. Sie würden gewiß ihr ganzes Vermögen dafür hingeben, dieses Kind zu retten, und ich rufe Gott zum Zeugen an, daß Jene das Versprechen halten werden, welches deren Sclavin Euch hier giebt.
– Deren Sclavin?... rief Texar ironisch. Es giebt auf Camdleß-Bay ja keine Sclaven mehr.
– Doch, Texar; denn um bei meinem Herrn bleiben zu können, hab' ich es nicht angenommen, frei zu sein.
– Wirklich, Zermah, wirklich! erwiderte der Spanier. Nun, da es Dir doch nicht widersteht, Sclavin zu sein, so könnten wir uns vielleicht verständigen. Es sind jetzt wohl sechs bis sieben Jahre her, seit ich Dich von meinem Freund Tickborn kaufen wollte. Ich hatte auf Dich, und auf Dich allein, eine beträchtliche Summe geboten, und Du würdest mir seit jener Zeit angehören, wenn James Burbank nicht hinzugekommen wäre, um Dich zu erstehen. Jetzt hab' ich Dich und werde Dich behalten.
– Thut, was Ihr wollt, Texar, antwortete Zermah, ich werde auch Eure Sclavin sein, doch werdet Ihr dieses Kind nicht zurückgeben?
– Das Kind James Burbank's, versetzte Texar mit dem Ausdrucke niedrigsten Hasses, seinem Vater zurückgeben... nimmermehr!
– Elender! rief Zermah, welche ein gerechter Ingrimm übermannte. Nun wohl, wenn es dessen Vater nicht ist, so wird es Gott sein, der Euch dieses Kind entreißt!«
Ein Hohnlachen, ein geringschätziges Achselzucken war die ganze Antwort des Spaniers. Er hatte sich eine zweite Cigarrette gedreht, zündete diese ruhig an dem Reste der ersten an, aber entfernte sich, am Canalufer hinschreitend, ohne Zermah ferner eines Blickes zu würdigen.
Gewiß würde die muthige Mestizin ihn, auch auf die Gefahr hin, von Squambo und seinen Genossen ermordet zu werden, wie ein wildes Thier niedergeschlagen haben, wenn sie nur eine Waffe gehabt hätte.
Doch jetzt vermochte sie nichts. Regungslos starrte sie auf die Schwarzen, die am hohen Ufer arbeiteten – nirgends ein befreundetes Antlitz, nichts als[363] wilde Gesichter von stumpfsinnigen Geschöpfen, welche dem menschlichen Geschlechte kaum anzugehören schienen. Da kehrte sie in den Wigwam zurück, um bei dem Kinde, das mit schwacher Stimme nach ihr rief, wieder ihre Mutterstelle zu übernehmen. Zermah bemühte sich, das arme kleine Wesen zu beruhigen, das sie in ihre Arme nahm. Ihre Küsse belebten es wieder ein wenig; sie besorgte ihm ein warmes Getränk, das sie auf dem Herde an der Außenseite bereitete, neben welchen sie jenes getragen hatte. Sie umgab es mit aller Sorgfalt, welche ihre hilflose und verlassene Lage nur gestattete. Dy dankte ihr mit einem Lächeln. Aber mit welchem Lächeln!... Mit einem traurigeren, als wenn es Thränen gewesen wären.
Im Laufe des ganzen Tages sah Zermah den Spanier nicht wieder, sie sachte ihn auch nicht. Wozu denn? Er würde doch niemals zu anderen Empfindungen kommen, und mit neuen Beschuldigungen hätte sie die Lage nur verschlechtert.
Wenn nämlich bisher seit ihrem Aufenthalte in der Schwarzen Bucht und seit ihrer Ankunft auf der Insel Carneral dem Kinde und ihr jede eigentliche schlechte Behandlung erspart geblieben war, so durfte sie von einem solchen Manne doch Alles fürchten. Es bedurfte bei ihm nur eines Wuthanfalles, um sich zu den größten Gewaltthätigkeiten hinreißen zu lassen; diese schwarze Seele war doch keiner Regung von Mitleid fähig, und da nicht einmal das Interesse über seinen Haß hatte obsiegen können, so mußte Zermah auf jede Hoffnung für die Zukunft Verzicht leisten. Was aber die Gefährten des Spaniers betraf, wie Squambo und die Sclaven, wie hätte man von ihnen verlangen können, menschlicher zu sein als ihr Herr? Diese wußten ja, welches Loos ihrer harrte, wenn einer von ihnen nur etwas Mitgefühl an den Tag legte. Von dieser Seite war also nichts zu hoffen. Zermah war demnach auf sich allein angewiesen. Ihr Entschluß war gefaßt... sie wollte in der nächstfolgenden Nacht zu entfliehen suchen.
Auf welche Weise aber? Jedenfalls mußte sie dabei den die Insel Carneral umschließenden Wassergürtel überschreiten. Wenn dieser Theil des Sees vor dem Wigwam auch nur eine geringe Breite hatte, so konnte man ihn doch nicht schwimmend überwinden. Es blieb also nur die einzige Aussicht, sich des Bootes zu bemächtigen, um das andere Ufer zu erreichen.
Der Abend kam heran, dann die Nacht, welche sehr dunkel, selbst schlecht zu werden versprach, denn schon begann es zu regnen und über den Sumpf schien sich ein tüchtiger Wind entfesseln zu wollen.[364]
Wenn es Zermah unmöglich war, den Wigwam durch die Thür des großen Raumes zu verlassen, so konnte es vielleicht nicht schwer fallen, ein Loch in die Wand zu machen, durch dasselbe zu entschlüpfen und Dy nach sich zu ziehen. Einmal draußen, würde sie sich nach den Umständen richten.
Gegen zehn Uhr hörte man draußen nichts mehr als das Pfeifen der scharfen Windstöße. Texar und Squambo schliefen. Selbst die unter irgend welchem dichten Busche gelagerten Hunde streiften nicht mehr um die Wohnung einher.
Der Augenblick war günstig.
Während Dy noch auf ihrem Blätterlager ruhte, begann Zermah vorsichtig das Stroh und Schilfrohr herauszuziehen, die mit einander verflochten die Seitenwand des Wigwam bildeten.
Nach einer Stunde war das betreffende Loch noch nicht groß genug, daß das kleine Mädchen und sie hätten hindurch kriechen können, und schon wollte sie daran gehen, es zu erweitern, als ein Geräusch sie plötzlich unterbrach.
Dieses Geräusch kam von außen, aus der tiefen Dunkelheit. Das Gebell der Spürhunde verrieth, daß Jemand auf dem Ufer hin und her ging. Sofort erwacht, verließen Texar und Squambo ohne Zögern ihr Zimmer.
Dann ließen sich Stimmen vernehmen. Offenbar war ein Trupp Leute vom anderen Ufer des Canals angelangt. Zermah mußte ihren, augenblicklich undurchführbaren Fluchtversuch verschieben. Bald konnte man trotz des wüthenden Sturmes leicht das Geräusch von zahlreichen Schritten auf dem Erdboden unterscheiden.
Zermah lauschte gespannten Ohres. Was ging hier vor? Hatte die Vorsehung vielleicht Mitleid mit ihr? Sendete sie ihr eine Hilfe, auf welche sie nicht mehr rechnen konnte?
Nein, das begriff sie gar bald. Es hätte sonst doch offenbar zu einem Kampfe zwischen den Ankommenden und den Leuten Texar's, zu einem Angriffe beim Ueberschreiten des Canals, zu lauten Rufen von der einen oder der anderen Seite, gewiß auch zu Gewehrschüssen kommen müssen. Doch nichts von alledem. Die Ankömmlinge bildeten vielmehr eine Verstärkung für die Bewohner der Insel Carneral.
Eine Minute später bemerkte Zermah, daß zwei Personen nach dem Wigwam zurückkehrten, der Spanier war von einem anderen Manne begleitet, der Squambo nicht sein konnte, denn draußen, nach der Seite des Canals, hörte man noch immer die Stimme des Indianers.[365]
Zwei Menschen befanden sich jetzt aber im vorderen Zimmer, sie hatten schon angefangen mit gedämpfter Stimme zu plaudern, als sie sich plötzlich unterbrachen.
Einer der Beiden schritt mit einer Laterne in der Hand auf Zermah's Zimmer zu. Diese fand nur noch Zeit, sich auf das Blätterlager zu werfen, um das in der Seitenwand ausgehöhlte Loch zu verdecken.
Texar – denn dieser war es – öffnete die Thür ein wenig, blickte in das Zimmer, zog sich aber, als er die Mestizin neben dem kleinen Mädchen ausgestreckt liegen und scheinbar tief schlafend sah, langsam wieder zurück.
Dann nahm Zermah ihren Platz an der zugeschlagenen Thür wieder ein.
Wenn sie nicht sehen konnte, was im anderen Zimmer vorging, noch den, der mit Texar sprach, zu erkennen vermochte, so konnte sie doch hören.
Und dabei vernahm sie Folgendes.
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