Zehntes Capitel.
Ein Zusammentreffen.

[341] Ja, sie mußten wohl weiter vorwärtsgehen. Gegen jene zu fürchtende Möglichkeit wurden alle Vorsichtsmaßregeln getroffen. Es erschien zum Beispiel unumgänglich, den Weg, so gut es anging, zu beleuchten, die Cypressenwildniß zu erhellen und sich für jede Ueberraschung bereit zu halten.

Die Waffen wurden also sorgsam untersucht und in Stand gesetzt, um auf das erste Signal zum Gebrauch bereit zu sein. Beim geringsten Allarm sollten, nachdem die Packete niedergelegt waren, sich Alle bei der Vertheidigung betheiligen. Die Ordnung des Zuges wurde nicht weiter verändert. Gilbert und Mars marschirten immer an der Spitze desselben, aber in etwas größerer Entfernung davor, um jede Ueberraschung abzuwenden. Jeder war bereit, seine Pflicht zu thun, obgleich die wackeren Leute alle sich im Herzen recht bedrückt fühlten, seit sich ein Hinderniß zwischen ihnen und dem zu erreichenden Ziele erhob.

Man nahm übrigens keine langsamere Gangart an; nur schien es rathsam, nicht immer unmittelbar den immer deutlich sichtbaren Spuren nachzugehen; denn besser war es immerhin, nicht mit der nach den Evergladen marschirenden Abtheilung zusammenzutreffen. Unglücklicher Weise erkannte man bald, daß das nur schwer ausführbar sein möchte. Jene Abtheilung hielt nämlich offenbar keine gerade Richtung ein. Die Fährte wich zuweilen nicht wenig nach links und dann ebensoviel nach rechts hin ab, als wären sie ungewiß gewesen, wohin sie sich zu wenden hätten. Im Allgemeinen aber verlief die Fährte doch nach dem Süden.

Wiederum war ein Tag verflossen. Kein Zusammentreffen hatte James Burbank genöthigt Halt zu machen. Er war ziemlich schnell vorwärts gekommen und näherte sich dabei offenbar mehr und mehr jener durch den Cypressenwald ziehenden Truppe. Das erkannte man leicht an den immer sehr zahlreichen Spuren, die von Stunde zu Stunde immer frischer auf dem etwas plastischen Boden zu sehen waren. Es wäre nichts leichter gewesen, als der Nachweis, wie vielmal jene gerastet hatten, entweder um zu essen und sich zu stärken – dann zeigten die sich kreuzenden Fußeindrücke das vielfache Hin- und Herlaufen der Leute –[341] oder wenn sie nur gehalten hatten, um die einzuschlagende Richtung zu berathschlagen.

Gilbert und Mars prüften diese Merkzeichen fortwährend mit größter Aufmerksamkeit. Da diese sie über so mancherlei aufklären konnten, beobachteten sie dieselben ebenso genau, wie es die Seminolen zu thun pflegen, welche so geschickt sind, auf dem Erd boden, den sie zur Zeit der Jagd oder im Kriege durchziehen, die geringsten Anzeichen zu erkennen und zu deuten.

In Folge dieser eingehenden Prüfung konnte auch Gilbert mit Sicherheit Folgendes aussprechen:

»Lieber Vater, wir wissen nun ganz gewiß, daß weder Zermah noch meine Schwester bei der uns vorausgehenden Truppe gewesen sind. Da sich auf der Erde nirgends die Spur eines Pferdes findet, so mußte Zermah, wenn sie dabei war, offenbar zu Fuße gehen, wenn sie auch meine Schwester auf dem Arme trug, und dann mußten ihre Fußtritte, sowie die unserer Dy wenigstens an den Haltestellen, erkennbar sein. Nirgends findet sich aber der Abdruck eines weiblichen oder kindlichen Fußes. Was die männliche Gesellschaft selbst angeht, so ist diese zweifelsohne mit Feuerwaffen ausgerüstet, denn an vielen Stellen findet man Eindrücke, die nur von Gewehrkolben herrühren können. Ich habe sogar zu erkennen geglaubt, daß diese Kolben denen der Gewehre unserer Seesoldaten ganz ähnlich seien. Die floridischen Milizen müssen also Feuerwaffen nach diesem Modell zur Verfügung gehabt haben, sonst erschiene jener Umstand ganz unerklärlich. Außerdem – und das ist leider zu gewiß – ist jene Truppe mindestens zehnmal so stark als die unsrige. Wir müssen also mit größter Vorsicht vorgehen, je mehr wir uns derselben nähern.«

Natürlich mußte man diesen Empfehlungen des jungen Officiers nachkommen, und das geschah denn auch, da die Schlüsse, welche er aus der Zahl und der Form jener Eindrücke zog, gewiß ganz richtige waren. Daß die kleine Dy und Zermah sich unter jener Truppe nicht befanden, erschien gar nicht bestreitbar, und daraus ergab sich der weitere Schluß, daß man hier keiner Fährte des Spaniers folgte. Die aus der Schwarzen Bucht abgezogenen Leute desselben konnten weder so zahlreich, noch so gut bewaffnet sein. Es erschien also gar nicht zweifelhaft, daß es sich hier um einen starken Trupp floridischer Milizen handelte, die sich nach den südlichen Gebieten der. Halbinsel, also nach den Evergladen zu, begaben, wo Texar wahrscheinlich seit einem oder zwei Tagen schon angelangt war.[342]

Kurz, jene Truppe in ihrer Stärke und Bewaffnung bildete für die Genossen James Burbank's gewiß eine ernsthafte Gefahr.

Am Abend wurde an einer beschränkten Lichtung Halt gemacht. Auch hier mußte sich nur wenige Stunden vorher Jemand aufgehalten haben, denn das bezeugten verschiedene Haufen kaum erkalteter Asche, die Reste von Feuern, welche für den Lagerplatz angezündet worden waren.

Man entschloß sich deshalb nicht eher wieder aufzubrechen, als bis es fast schon ganz dunkle Nacht war. Ueber den Himmel zogen einzelne Wolken hin. Der in seinem letzten Viertel stehende Mond konnte nur erst sehr spät aufgehen, und das gab die Möglichkeit, sich jener Abtheilung unter den günstigsten Bedingungen zu nähern. Vielleicht konnte man dieselbe erkennen, ohne selbst bemerkt zu werden, und sie umgehen, wenn man tiefer in den Wald hinein abwich. Damit hätte man ihr auf dem Wege von Südosten zuvorkommen und eher am Okee-cho-bee-See und an der Insel Carneral eintreffen können.

Die kleine Gesellschaft, Gilbert und Mars immer an der Spitze, brach gegen achteinhalb Uhr wieder auf und zog schweigend unter dem Gewölbe der Bäume hin, wo es vollkommen finster war. Zwei Stunden lang wanderten Alle in dieser Weise weiter und dämpften möglichst den Laut ihrer Schritte, um sich nicht zu verrathen.

Kurz nach zehn Uhr hielt James Burbank durch ein leises Wort die Abtheilung der Schwarzen an, denen er selbst mit dem Oberverwalter vorausging. Sein Sohn und Mars kamen eben eilig zu ihnen zurück. Mit gespannter Erwartung harrten Alle der Erklärung dieser plötzlichen Rückwärtsbewegung.

Diese Erklärung wurde sofort gegeben.

»Was giebt es, Gilbert?... fragte James Burbank. Was habt Ihr, Mars und Du, bemerkt?...

– Ein Lager unter den Bäumen, von dem man wenigstens die Feuer ganz deutlich sehen kann.

– Weit von hier?... fragte Edward Carrol.

– Gegen hundert Schritte.


Gilbert und Mars prüften diese Merkzeichen. (S. 342.)
Gilbert und Mars prüften diese Merkzeichen. (S. 342.)

– Habt Ihr auch erkennen können, wer die Leute sind, welche da lagern?

– Nein, denn die Feuer sind dem Verlöschen nahe, antwortete Gilbert. Ich glaube aber, wir haben uns nicht getäuscht, als wir deren Anzahl auf zweihundert abschätzten.

– Schlafen sie etwa, Gilbert?[343]

– Ja, wenigstens die Meisten, doch haben sie Wachtposten ausgestellt. Wir haben einige Mann gesehen, welche mit dem Gewehr auf der Schulter unter den Cypressen auf- und abziehen.

– Was sollen wir nun thun? fragte Edward Carrol, sich an den jungen Officier wendend.

– Zuerst, erwiderte Gilbert, haben wir uns, wenn es möglich ist, darüber Aufklärung zu verschaffen, wen wir da vor uns haben; erst dann können wir daran denken, diese Truppe zu umgehen.[344]

– Ich bin erbötig, darüber Kundschaft einzuziehen, sagte Mars.

– Und ich begleite Euch, meldete sich Perry.

– Nein, ich werde gehen, erklärte Gilbert. Dabei kann ich mich nur auf mich allein verlassen...

– Gilbert, fiel James Burbank ein, es giebt gewiß Keinen unter uns, dem es nicht danach verlangt, im Interesse Aller selbst sein Leben auf's Spiel zu setzen. Doch um jene Kundschaft zu erlangen und dabei womöglich nicht bemerkt zu werden, muß Einer allein sein...[345]

– Deshalb will ich eben allein gehen.

– Nein, mein Sohn, ich verlange, daß Du bei uns bleibst, antwortete James Burbank. Es wird mit Mars genug sein.

– Ich bin bereit, Herr!«


Am Abend wurde Halt gemacht. (S. 343.)
Am Abend wurde Halt gemacht. (S. 343.)

Und ohne weiter zu fragen, verschwand Mars schon im Dunkeln.

James Burbank und die Seinigen trafen gleichzeitig die Vorbereitungen, um jedem Angriff Widerstand leisten zu können. Die Ballen wurden auf die Erde niedergelegt und die Träger derselben griffen zu ihren Flinten. Mit dem Gewehr in der Hand nahmen Alle hinter den Cypressenstämmen Aufstellung, doch so, daß sie im Nothfalle gleich nach einem Punkte zusammentreten konnten.

Von der Stelle, die James Burbank einnahm, konnte man das Lager selbst nicht sehen. Man mußte sich dazu wenigstens um weitere fünfzig Schritte nähern, um die schon sehr weit abgebrannten Feuer wahrnehmen zu können. Deshalb machte es sich also nothwendig, die Rückkehr des Mestizen abzuwarten, um diejenigen Entschlüsse zu fassen, welche die Umstände etwa erheischten. In seiner Ungeduld hatte sich der junge Lieutenant noch mehrere Schritte über den Halteplatz hinausgewagt.

Mars schlich mit äußerster Vorsicht hin und verließ den Schutz eines Baumes nur, um sich hinter einem anderen zu bergen. So näherte er sich mit der geringsten Gefahr bemerkt zu werden und hoffte nahe genug heran zu kommen, um die Oertlichkeit, die Anzahl der Leute daselbst, aber vorzüglich, um zu erkennen, welcher Partei sie wohl angehörten. Gerade das erwies sich aber als besonders schwierig. Die Nacht war sehr finster und die Feuer warfen nur einen sehr schwachen Schein. Um sein Ziel zu erreichen, mußte er sich bis zum Lager selbst heranschleichen. Mars besaß Unerschrockenheit genug, um das zu thun, und Gewandtheit genug, um die Aufmerksamkeit der ausgestellten Wachen zu täuschen.

Inzwischen gelangte er immer weiter vorwärts. Um vorkommenden Falls unbehindert zu sein, hatte er weder Gewehr noch Revolver mitgenommen, sondern sich nur mit einer Axt bewaffnet, denn er mußte jeden Lärm vermeiden und sich schlimmsten Falls vertheidigen, ohne ein Geräusch zu verursachen.

Bald befand sich der muthige Mestize nur noch in sehr geringer Entfernung von einem der wachthabenden Leute, der selbst wieder nur acht bis zehn Schritte von dem eigentlichen Lagerplatze entfernt stand. Alles still ringsum. Offenbar ermüdet von einem langen Marsch, lagen die Mannschaften alle in tiefem[346] Schlummer. Nur die Wachtposten waren noch mehr oder weniger auf die Umgebung aufmerksam, was Mars sofort bemerkte.

Einer von der Mannschaft nämlich, den er seit einigen Augenblicken beobachtete, stand zwar aufrecht, aber er regte sich nicht. Sein Gewehr ruhte auf dem Boden. An einen Cypressenstamm gelehnt und den Kopf herabgesunken, schien auch er in Schlaf verfallen zu wollen. Vielleicht gestattete dieser Umstand, hinter ihm weg zu schleichen und so bis nach dem Lager selbst zu gelangen.

Langsam näherte sich Mars der Schildwache, als ein trockener Zweig, den er zertreten hatte, plötzlich seine Anwesenheit verrieth.

Der Mann richtete sich auf, erhob den Kopf und neigte sich, nach rechts und links hinausblickend, lauschend vor.

Ohne Zweifel mochte er etwas Verdächtiges bemerken, denn er erhob schon das Gewehr zum Anschlage...

Doch bevor er dazu kam, Feuer zu geben, hatte Mars die auf seine Brust gerichtete Waffe gepackt und den Mann zur Erde geworfen, nachdem er ihm die breite Hand über den Mund gedrückt, so daß dieser keinen Laut von sich geben konnte.

Einen Augenblick darauf war der Mann gefesselt; der kräftige Mestize nahm ihn in die Arme, wogegen sich jener vergebens wehrte, und Mars trug ihn nach der Lichtung hin, wo James Burbank sich aufhielt.

Nichts hatte die übrigen Schildwachen, welche den Lagerplatz behüteten, auf diesen Vorgang aufmerksam gemacht – ein Beweis, daß sie nur nachlässig ihre Pflicht erfüllten. Wenige Secunden darauf erschien Mars mit seiner Last und legte den Gefangenen zu Füßen seines jungen Herren nieder.

In einem Augenblick hatten die Schwarzen schon einen Kreis um James Burbank, Gilbert, Edward Carrol und den Verwalter Perry geschlossen. Der halberstickte Mann hätte jetzt keinen Laut, nicht einmal ohne seine Fesseln, hervorzubringen vermocht. Die Finsterniß gestattete nicht, weder sein Gesicht, noch an seiner Kleidung zu erkennen, ob er einem Theil der floridischen Milizen angehörte.

Mars entfernte das Taschentuch, das ihm den Mund verstopfte, und man mußte warten, bis Jener etwas zum Bewußtsein gekommen war, um ihn zu befragen.

»Zu Hilfe! rief er endlich schwach.

– Keinen Laut! sagte James Burbank, ihn wieder niederdrückend. Du hast von uns nichts zu fürchten.[347]

– Was wollt Ihr von mir?

– Daß Du offen Antwort giebst.

– Das wird von den an mich gerichteten Fragen abhängen, erwiderte der Mann, der jetzt schon einigermaßen beruhigt schien.

Vor Allem, seid Ihr für den Süden oder für den Norden?

– Für den Norden.

– Dann bin ich bereit zu antworten.«

Gilbert übernahm nun die weitere Befragung.

»Wie viel Mann, begann er, zählt die Abtheilung, welche da drüben liegt?

– Nahezu zweihundert.

– Und diese begiebt sich wohin?

– Nach den Evergladen.

– Wer ist der Führer derselben?

– Der Kapitän Howick!

– Wie! Der Kapitän Howick, einer der Officiere vom »Wasbah«? rief Gilbert.

– Derselbe!

– Jene Abtheilung besteht also aus Seesoldaten von dem Geschwader des Commodore Dupont?

– Ja, es sind Föderirte, Nordstaatler, Anti-Sclavereifreunde, Unionisten!« antwortete der Mann, der ordentlich stolz schien, alle diese den Anhängern der guten Sache gegebenen Namen aufzuzählen.

Anstatt einer Truppe floridischer Milizen also, welche James Burbank und die Seinigen vor sich zu haben fürchteten, statt einer Bande Helfershelfer Texar's, waren es Freunde, die hier zu ihnen stießen, Waffengefährten, welche ihnen eine gar sehr erwünschte Verstärkung zuführten.

»Hurrah, hurrah!« riefen jetzt Alle so laut, daß das ganze Lager erwachte. Fast augenblicklich leuchteten zahlreiche Fackeln in der Finsterniß auf. Die Leute von dort kamen nach der Lichtung gelaufen, und vor jeder weiteren Erklärung drückte der Kapitän Howick die Hand des jungen Lieutenants, den er gewiß nicht auf dem Wege nach den Evergladen vermuthet hatte.

Die nachfolgenden Erklärungen waren weder lang noch schwierig.

»Herr Capitän, fragte Gilbert, können Sie mir wohl mittheilen, was Sie im unteren Florida beabsichtigen?

– Mein lieber Gilbert, antwortete Kapitän Howick, wir befinden uns auf einer dahin gerichteten Expedition, welche der Commodore entsendet hat.[348]

– Und Sie kommen...?

– Vom Mosquito-Inlet, von wo aus wir uns zuerst nach New-Smyrna im Innern der Grafschaft begaben.

– Dann gestatten Sie mir die Frage, Herr Capitän, welchen Zweck Ihre Expedition hat?

– Sie ist beauftragt, eine Bande südstaatlicher Parteigänger, welche zwei unserer Schaluppen in einen Hinterhalt gelockt haben, abzustrafen, und den Tod unserer braven Kameraden zu rächen.«

Der Kapitän Howick berichtete darauf Folgendes, was James Burbank noch nicht wissen konnte, da es sich erst zwei Tage nach seinem Aufbruche von Camdleß-Bay zugetragen hatte.

Der Leser hat nicht vergessen, daß der Commodore Dupont beschäftigt war, über das Küstengebiet die effective Blockade auszuüben. Seine Flottille beherrschte auch das Meer von der Insel Anastasia, oberhalb Saint-Augustine, ab bis zur Mündung des Canals, der die Bahama-Inseln von dem Cap Sable, an der Südspitze Floridas trennt. Das erschien ihm jedoch noch nicht hinreichend, und er beschloß deshalb, die südstaatlichen Fahrzeuge bis in die kleineren Wasserläufe der Halbinsel zu verfolgen.

Zu diesem Zwecke war eine jener Expeditionen, bestehend aus einer Abtheilung Seesoldaten und zwei Schaluppen des Geschwaders, unter Führung zweier Officiere abgesendet worden, welche trotz geringen Mannschaftsbestandes doch nicht zögerte, sich nach dem Küstengebiet der Grafschaft zu begeben.

Hier überwachten aber südstaatliche Banden die Bewegungen der Föderirten. Sie ließen die Schaluppen unbelästigt in diesen wilden Theil Floridas eindringen, was von jenen als eine beklagenswerthe Unbesonnenheit zu betrachten war, da Indianer und Milizen gerade diese Gebietstheile stark besetzt hatten. Das Resultat war denn auch, daß jene Schaluppen, achtzig Meilen im Westen von Cap Malabar, in einen Hinterhalt am Strande des Kissimmee-Sees verlockt wurden. Hier von zahlreichen Parteigängern des Südens überfallen, fanden die beiden Officiere, welche diese traurige Expedition führten, mit einer Anzahl Matrosen den Tod. Die Ueberlebenden erreichten das Mosquito-Inlet nur wie durch ein Wunder. Sofort befahl nun Commodore Dupont die strengste Verfolgung der floridischen Milizen, um jene Niedermetzelung der Förderirten zu rächen.

Eine Abtheilung von zweihundert Seesoldaten wurde also unter dem Befehl des Kapitän Howick nahe dem Mosquito-Inlet an's Land gesetzt. Bald erreichte[349] dieselbe die kleine Stadt New-Smyrna, wenige Meilen von der Küste. Nachdem er hier die ihm nöthigen Erkundigungen eingezogen, setzte sich Capitän Howick in Marsch nach dem Südwesten. Gerade in den Evergladen rechnete er die Banden zu finden, denen man jenen Hinterhalt beim Kissimmee-See zuschrieb, und dahin führte er eben seine Abtheilung, die sich jetzt nur noch in geringer Entfernung von ihrem Ziel befand.

Das war das Vorkommniß, welches James Burbank und seine Begleiter nicht kannten, als sie in diesem Theile des Cypressenwaldes mit dem Capitän Howick zusammentrafen.

Schnell wechselten jetzt Fragen und Antworten zwischen dem Capitän und dem Lieutenant über Alles, was für den Augenblick und für die nächste Zukunft von Bedeutung schien.

»Zunächst, sagte Gilbert, lassen Sie mich Ihnen mittheilen, daß auch wir nach den Evergladen zu ziehen im Begriff sind.

– Auch Sie, antwortete der Officier, höchst überrascht von dieser Erklärung, was haben Sie dort vor?

– Wir verfolgen mehrere Schurken, Herr Capitän, und denken sie ebenso zu strafen, wie Sie diejenigen, die von Ihnen gesucht werden.

– Schurken? Wer sind diese Schurken?

– Gestatten Sie, Herr Kapitän, ehe ich Ihnen darauf antworte, noch eine Frage an Sie zu stellen. Seit wann haben Sie New-Smyrna mit Ihren Leuten verlassen?

– Seit acht Tagen.

– Und Sie sind keiner südstaatlichen Abtheilung im Innern der Grafschaft begegnet?

– Nein, mein lieber Gilbert, antwortete Capitän Howick. Dagegen wissen wir aus sicherer Quelle, daß sich verschiedene Abtheilungen Milizen nach Unter-Florida geflüchtet haben.

– Wer ist denn der Führer der Abtheilung, welche Sie verfolgen? Kennen Sie denselben?

– Ja, gewiß, und ich kann sogar sagen, daß es Herr Burbank nicht zu bereuen haben dürfte, wenn wir den frechen Burschen einsingen.

– Was wollen Sie damit sagen? fragte James Burbank den Capitän Howick.

– Nun, weiter nichts, als daß der betreffende Anführer niemand Anderes ist, als jener Spanier, den der kürzlich zusammengetretene Kriegsrath trotz der[350] Vorkommnisse auf Camdleß-Bay wegen Mangel an Beweisen aus der Untersuchung entlassen mußte...

– Texar?«

Aus Aller Munde erklang dieser Name, und mit welcher Verwunderung, kann man sich wohl leicht denken.

»Wie, rief Gilbert, Sie sind im Begriffe, Texar, den Führer jenes Raubgesindels, einzufangen?

– Ihn selbst! Er hat jenen Hinterhalt beim Kissimmee auf dem Gewissen und gleichzeitig die Niedermetzelung unserer Leute durch fünfzig seiner von ihm befehligten Spießgesellen, wie wir in New-Smyrna gehört haben, wo man uns auch mittheilte, daß er nach der Gegend der Evergladen geflüchtet ist.

– Und wenn es Ihnen gelingt, sich des Elenden zu bemächtigen?... fragte Edward Carrol.

– So wird er auf der Stelle durch Pulver und Blei abgethan, antwortete Capitän Howick; so lautet der bestimmte Befehl des Commodore, und dieser Befehl, verlassen Sie sich darauf, Herr Burbank, wird ohne Zögern zur Ausführung gebracht werden.«

Der Leser begreift wohl leicht die Wirkung, welche diese Erklärung auf James Burbank und die Seinigen hervorbrachte. Mit Hilfe der durch Capitän Howick zugeführten Verstärkung erschien die Befreiung Dy's und Zermah's, ebenso wie die Gefangennahme des Spaniers und seiner Helfershelfer und endlich die lange vergeblich erstrebte Bestrafung für so viel Verbrechen so gut wie gewiß. Das gab einen herzlichen Austausch von Händedrücken zwischen den Seesoldaten der föderirten Abtheilung und den von Camdleß-Bay gekommenen Schwarzen, und laute Hurrahs tönten durch die tiefe Stille des majestätischen Waldes.

Gilbert unterrichtete nun den Capitän Howick eingehender über die Zwecke, die er und seine Begleiter im Süden Floridas in erster Linie verfolgten. Ihnen lag es vor Allem am Herzen, Zermah und das Kind, welche jetzt nach der Insel Carneral gebracht worden waren – wie das Billet der Mestizin ankündigte – aus den Händen des Feindes seiner Familie zu befreien.


Langsam näherte sich Mars der Schildwache. (S. 347.)
Langsam näherte sich Mars der Schildwache. (S. 347.)

Der Capitän erfuhr dabei gleichzeitig, daß das Alibi, auf welches sich der Spanier vor jenem Kriegsrathe berufen hatte, unbedingt keinen Glauben verdiente, obwohl Niemand zu enträthseln vermochte, wie es im Grunde damit zusammenhing. Jetzt freilich, wo er sich wegen Menschenraubes und wegen der blutigen Affaire vom Kissimmee[351] zu verantworten hatte, schien es kaum glaublich, daß Texar sich der Bestrafung für dieses doppelte Verbrechen entziehen könnte.

Da machte aber James Burbank noch eine unerwartete Bemerkung, die er an den Capitän Howick richtete:

»Können Sie mir sagen, Herr Capitän, an welchem Tage jenes Vorkommniß mit den föderirten Schaluppen stattgefunden hat?

– Gewiß, Herr Burbank, es war am 22. März, als unsere Leute meuchlings hingemordet wurden.[352]

– Nun, am 22. März, antwortete James Burbank, befand sich Texar bestimmt noch in der Schwarzen Bucht, die er eben zu verlassen sich anschickte. Wie konnte er also an dem Gemetzel betheiligt sein, das an demselben Tage zweihundert Meilen weit entfernt am Kissimmee-See stattfand?

– Was sagen Sie?... rief der Capitän.

– Ich sage, daß Texar nicht der Anführer jener Südstaatler gewesen sein kann, die Ihre Schaluppen überfallen haben.

– Sie irren, Herr Burbank, erwiderte Capitän Howick. Der Spanier ist[353] von den dem Gemetzel entgangenen Seesoldaten erkannt worden. Ich habe diese Leute selbst darum befragt, und sie kannten Texar, den sie ja in Saint-Augustine wiederholt gesehen hatten, vollkommen genau.

– Das kann nicht sein, Herr Capitän, versetzte James Burbank. Das von Zermah geschriebene Billet, welches sich noch in meiner Hand befindet, beweist, daß Texar am 22. März sich noch in der Schwarzen Bucht aufhielt.«


»Er wird auf der Stelle erschossen.« (S. 351.)
»Er wird auf der Stelle erschossen.« (S. 351.)

Gilbert hatte diesem Zwiegespräch gelauscht, ohne sich einzumischen. Auch seiner Ansicht nach mußte sein Vater Recht haben. Der Spanier hatte sich am Tage jenes Gemetzels unmöglich in der Nachbarschaft des Kissimee-Sees befinden können.

»Das ändert an der Hauptsache nichts, sagte er jetzt. Im Leben dieses Menschen trifft man auf so unerklärliche Dinge, daß ich mir gar nicht die Mühe nehmen mag, dieselben aufzuhellen. Am 22. März war er noch in der Schwarzen Bucht, das behauptet Zermah, und am 22. März stand er an der Spitze einer Bande von Floridiern, zweihundert Meilen von dort, das behaupten Sie, Herr Capitän, nach der einstimmigen Erklärung Ihrer Leute. Zugegeben; eines aber ist gewiß, nämlich, daß er sich augenblicklich in den Evergladen befindet – und binnen achtundvierzig Stunden kann und wird er in unserer Gewalt sein!

– Ja, Gilbert, antwortete Capitän Howick, und ob er nun für jene Entführung oder für jenen heimtückischen Hinterhalt erschossen wird, jedenfalls, meine ich, wird der Schurke mit vollem Rechte erschossen. Vorwärts also!«

Jener Umstand erschien zwar nicht minder unbegreiflich, wie viele andere, die mit dem Privatleben Texar's in Beziehung standen. Auch hier schien ein unerklärliches Alibi vorzuliegen, und man hätte fast glauben mögen, daß der Spanier wirklich die Fähig keit besäße, sich zu verdoppeln.

Niemand konnte sagen, ob dieses Geheimniß noch entschleiert werden würde. Immerhin! Jedenfalls galt es, sich Texar's zu bemächtigen, und das war jetzt das Bestreben der Seesoldaten des Capitän Howick ebenso wie der Genossen James Burbank's.[354]

Quelle:
Jules Verne: Nord gegen Süd. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LII–LIII, Wien, Pest, Leipzig 1889, S. 341-355.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Nord gegen Süd
Nord gegen Süd
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