Fünfzehntes Capitel.
Die beiden Brüder.

[396] Die Situation war eine verzweifelte. Wie nun hinüberkommen? Selbst ein geübter Schwimmer hätte das nicht vermocht, ohne dabei zwanzigmal das Leben auf's Spiel zu setzen. Wohl betrug die Entfernung von einem Ufer zum anderen nur etwa hundert Fuß, doch ohne Benutzung eines Bootes war dieselbe gar nicht zu überwinden. Da und dort lugten nämlich verdächtige dreieckige Köpfe aus dem Wasser heraus und die darin wachsenden Pflanzen bewegten sich unaufhörlich durch das Hin- und Hergleiten der Reptilien.[396]

Vor Entsetzen schaudernd, drängte sich die kleine Dy noch dichter an Zermah. O, wenn es für das Heil des Kindes genügt hätte, sich mitten unter diese Ungeheuer zu stürzen, die sie gleich einem riesenhaften Kopffüßler mit tausenden Saugarmen zu umschlingen drohten, so würde sich die Mestizin keinen Augenblick überlegt haben, was sie zu thun hätte.

Um die Tochter ihres Herrn zu retten, bedurfte es aber eines helfenden Eingriffes der Vorsehung, und eine solche Hilfe in höchster Noth kann nur Gott allein gewähren. Zu ihm nahm auch Zermah ihre Zuflucht. Am Uferrande in die Knie gesunken, flehte sie zu Dem, der dem Zufall gebietet, dem Zufall, der ja so oft zum Träger seines Willens wird.

Inzwischen konnten einzelne Gefährten Texar's aber von einer Minute zur anderen am Saume des Waldes erscheinen; ebenso mußte sie befürchten, daß der auf der Insel zurückgebliebene Bruder Texar's sich nach dem Wigwam begab, und wenn er dort Zermah und Dy nicht mehr vorfand, nach ihnen zu suchen beginnen würde...

»O mein Gott, flehte die unglückliche Frau, Erbarmen, Erbarmen mit uns!«

Da richteten sich ihre Blicke unwillkürlich nach der rechten Seite des Canals.

Ein leichte Strömung führte das Gewässer desselben nach der nördlichen Seite des Sees, wo einige Zuflüsse des Calaooschatches münden, eines an sich kleinen Flusses, der nach dem Golf von Mexiko verläuft und durch dessen Wasser der Okee-cho-bee-See zur Zeit der allmonatlichen Hochfluthen gespeist wird.

Ein Baumstamm, der langsam von der rechten Seite daher geschwommen kam, stieß eben an's Ufer. Dieser Stamm konnte offenbar zur Ueberschreitung des Canals dienen, da ein vorspringender Winkel des Ufers, der wenige Schritte weiter unten der Strömung eine andere Richtung ertheilte, ihn nach dem Cypressenwalde hinübertreiben mußte. Gelangte der Stamm aber unglücklicherweise doch nach der Insel selbst zurück, so waren die Flüchtlinge auch nicht mehr gefährdet als jetzt.

Ohne weiter zu überlegen und wie durch Instinct gedrängt, eilte Zermah auf den daherschwimmenden Stamm zu. Bei reiflicherem Nachdenken hätte sie sich vielleicht sagen müssen, daß Hunderte von gefährlichen Reptilien hier im Wasser wimmelten und daß der Stamm selbst sich mit seinen Zweigen in Wasserpflanzen fangen und dadurch mitten im Canal festgehalten werden konnte. Ja – aber Alles war noch besser, als auf der Insel selbst zu bleiben. Zermah faßte also Dy in den einen Arm, hielt sich mit dem anderen an den Aesten des Stammes fest und trieb vom Ufer ab.[397]

Sofort gelangte dieses eigenthümliche Rettungsfloß wieder in die Strömung und diese trug es langsam dem jenseitigen Ufer zu.

Zermah suchte sich dabei in dem Gezweig, das sie theilweise bedeckte, möglichst zu verbergen. Uebrigens waren beide Ufer völlig verlassen, und weder von der Seite der Insel noch von der des Cypressenwaldes tönte ein Laut zu ihrem Ohre. Wenn sie nur erst den Canal überschritten, hoffte die Mestizin schon bis zum Abend ein schützendes Versteck zu finden, da sie, ohne Gefahr bemerkt zu werden, bis dahin tiefer in die Waldung eindringen zu können glaubte. Allmählich schöpfte sie wieder einige Hoffnung. Um die gräulichen Schlangen, deren offene Rachen zu beiden Seiten des Baumstammes gähnten und die wiederholt durch die halb in's Wasser tauchenden Aeste desselben schlüpften, machte sie sich fast gar keine Sorge. Das kleine Mädchen hatte vor diesem Anblick die Augen geschlossen. Mit der einen Hand hielt Zermah sie an ihre Brust gedrückt, die andere hatte sie frei, immer bereit, jene Ungeheuer mit dem Jagdmesser abzuwehren. Ob diese nun vor der blitzenden Klinge wirklich erschraken oder ob sie nur unter dem Wasser für ihre Opfer gefährlich wurden, jedenfalls suchten sie gar nicht auf den dahertreibenden Stamm zu gelangen.

Endlich erreichte der Stamm die Mitte des Canals, dessen Strömung schräg nach dem Walde zu gerichtet war. Vor Ablauf einer Viertelstunde mußte er, wenn er sich nicht an Wasserpflanzen fing, am jenseitigen Ufer angelangt sein. Wie groß auch die dort lauernden Gefahren sein mochten, jedenfalls hielt sich Zermah dann gegen einen Ueberfall Texar's geborgen.

Plötzlich drückte sie das Kind noch fester in ihre Arme.

Von der Insel her erscholl ein wüthendes Gebell; fast in demselben Augenblicke erschien ein Hund auf dem hohen Ufer, an dem er in tollen Sätzen herabsprang.

Zermah erkannte den zur Bewachung des Wigwams zurückgelassenen Spürhund, den der Spanier nicht mit sich genommen hatte.

Mit borstig aufgerichtetem Felle und glühenden Augen schickte das Thier sich an, mitten unter die an der Wasserfläche wimmelnden Reptilien hineinzuspringen.

In diesem Augenblicke zeigte sich aber auch ein Mann am Rande des Wassers – der auf der Insel zurückgebliebene Bruder Texar's.

Durch das Gebell des Hundes aufmerksam gemacht, wollte er diesem zu Hilfe eilen.[398]

Man würde sich nur schwer eine Vorstellung machen können von der in ihm auflodernden Wuth, als er Dy und Zermah auf dem dahintreibenden Baumstamm erblickte. Sie unmittelbar zu verfolgen, vermochte er ja nicht, da sich die Pirogue am anderen Ufer befand – nur ein Mittel blieb ihm übrig, Zermah zu tödten, auf die Gefahr hin, auch das Kind dem Tode zu weihen.

Texar, der ein Gewehr bei sich trug, legte an und zielte auf die Mestizin, die das Kind mit dem eigenen Körper zu decken sachte.

Plötzlich stürzte sich der völlig wuthtolle Hund in den Canal. Texar glaubte, ihn vorher gewähren lassen zu sollen.

Doch schneller als man es ausdenken kann, hatten die Schlangen das Thier umstrickt, das, nachdem es sich kurze Zeit mit seinen furchtbaren Fangzähnen gegen deren giftige Bisse gewehrt, unter dem Wasser verschwand.

Texar hatte den Tod des Hundes mit angesehen, ohne Zeit zu gewinnen, ihm Hilfe zu bringen. Jetzt drohte Zermah ihm zu entgehen...

»So stirb Du!« rief er und gab auf sie Feuer.

Der Stamm hatte jetzt aber schon das andere Ufer fast erreicht und die Kugel streifte nur unbedeutend die Schulter der Mestizin.

Wenige Augenblicke darauf stieß der rettende Baumstamm an's Land. Das Kind in den Armen tragend, sprang Zermah an's Ufer, verschwand inmitten des Röhrichts, wo ein zweiter Schuß sie kaum hätte treffen können, und eilte bald unter den ersten Bäumen des Cypressenwaldes hin.

Wenn die Mestizin jetzt auch nichts mehr von dem auf der Insel zurückgehaltenen Texar zu befürchten hatte, so konnte sie doch noch in die Hände des Bruders desselben fallen.

Ihr eifrigstes Streben ging also zunächst darauf hin, so schnell und so weit wie möglich von der Insel Carneral wegzukommen. Mit einbrechender Nacht wollte sie dann versuchen, nach dem Washington-See hin zu flüchten. Unter Aufwendung allen Vorrathes körperlicher Kraft und geistiger Energie lief sie denn, mehr als daß sie ging, auf gut Glück weiter, immer das Kind im Arme, das ihr, ohne eine Verzögerung herbeizuführen, nicht hätte folgen können.


Die Pirogue lag am anderen Ufer. (S. 396.)
Die Pirogue lag am anderen Ufer. (S. 396.)

Die kleinen Füßchen Dys hätten es dieser versagt, auf dem sehr unebenen Boden, durch das Gestrüpp, das sich wie von einem Jäger gestellte Fallen auf- und niederbog, und zwischen den großen zutage liegenden Wurzeln hin, deren Verschlingungen für sie ebenso viele unübersteigliche Hindernisse gebildet hätten, Dienste zu thun.[399]

Zermah trug also unablässig die ihr so theure Last, deren Gewicht sie gar nicht zu empfinden schien. Zuweilen blieb sie stehen – weniger um Athem zu schöpfen, als um auf ein etwaiges Geräusch im Walde zu lauschen. Manchmal glaubte sie ein Gebell zu vernehmen, das dann also von dem anderen, von Texar mitgenommenen Spürhunde herkommen mußte, und dann wieder einzelne Gewehrschüsse zu hören, die in der Ferne verhallten. Da legte sie sich die Frage vor, ob die südstaatlichen Parteigänger doch nicht etwa mit einer föderirten Abtheilung in's Handgemenge gekommen sein möchten. Als sie bald darauf aber[400] erkannte, daß alle jene Laute nur von dem Geschrei eines dieselben nachäffenden Vogels oder von einem dürren Zweige herrührten, dessen Fasern unter der, durch die warme Luft erzeugten Spannung gleich einem Pistolenschusse zerbarsten, nahm sie den einen Augenblick unterbrochenen Weg wieder auf. Von erneuerter Hoffnung voll, wollte sie die Gefahren nicht mehr sehen, die sie bis zur Erreichung der Quellen des Saint-John noch so vielfach bedrohten.

Während einer Stunde entfernte sie sich so in schräger Richtung von dem Okee-cho-bee-See, um der Küste des Atlantischen Oceans näher zu kommen. Sie[401] sagte sich mit Recht, daß einzelne Schiffe des Bundesgeschwaders nahe dem Uferlande Floridas kreuzen würden, um die unter Führung des Capitän Howick ausgesendete Abtheilung zu erwarten. Dann war es ja leicht möglich, daß einige Schaluppen zur Beobachtung längs des Strandes vertheilt lagen.


Schnell hatten die Schlangen das Thier umstrickt. (S. 399.)
Schnell hatten die Schlangen das Thier umstrickt. (S. 399.)

Plötzlich hielt Zermah an. Diesmal konnte sie sich nicht täuschen. Ein wüthendes Gebell erhob sich unter den Bäumen und kam merkbar näher. Zermah erkannte es als dasselbe, welches sie so oft gehört hatte, wenn die Spürhunde um das Blockhaus in der Schwarzen Bucht umherstreiften.

»Dieser Hund ist uns auf der Spur, dachte sie, und Texar kann dann auch nicht mehr weit entfernt sein.«

Ihre erste Sorge wandte sich nun der Auffindung eines Dickichts zu, in dem sie sich mit dem Kinde zu verbergen vermöchte. Konnte sie damit aber dem Spürsinne eines ebenso intelligenten wie wilden Thieres entgehen, das von jeher dazu abgerichtet war, flüchtige Sclaven zu verfolgen und deren Fährte zu entdecken?

Das Gebell näherte sich mehr und mehr, und schon ließen sich, allerdings noch entfernte Rufe vernehmen.

Wenige Schritte von der Stelle, wo sie sich befand, strebte eine große, vom Alter ausgehöhlte Cypresse empor, über welche Schlangenkraut und Lianen ein dichtes Netz aus verworrenen Zweigen gestrickt hatten.

Zermah verkroch sich in diese, für das kleine Mädchen und sie selbst gerade hinreichend große Aushöhlung, deren Lianennetz Beide vollkommen deckte.

Der Hund war aber einmal auf ihrer Spur. Einen Augenblick später bemerkte Zermah ihn schon vor dem Baume. Er bellte mit zunehmender Wuth und sprang in gewaltigem Satz auf die Cypresse zu.

Ein gut gezielter Hieb ließ ihn zurückweichen und ein schmerzliches Geheul ausstoßen.

Gleich darauf machte sich das Geräusch von Tritten vernehmbar. Verschiedene Stimmen riefen und antworteten einander, und unter diesen auch die so leicht erkennbaren Stimmen Texar's und Squambo's.

Wirklich kam hier der Spanier mit seinen Leuten, die nach der Seite des Binnensees hin zurückwichen, um der föderirten Abtheilung aus dem Wege zu gehen. Sie waren dieser im Cypressenwalde unerwarteter Weise begegnet und bei der Ungleichheit der Kräfte suchten sie ihr Heil in schleunigster Flucht. Texar strebte danach, die Insel Carneral auf kürzestem Wege zu erreichen, um einen[402] Wassergürtel zwischen sich und den Föderirten zu wissen. Da Letztere den Canal ohne Fahrzeug nicht zu überschreiten vermochten, mußten sie vor diesem Hinderniß Halt machen. Während der dadurch gewonnenen mehrstündigen Frist dachten die Südstaatler nach dem anderen Ufer der Insel zu gelangen, und nach Anbruch der Nacht hofften sie nach dem südlichen Strande des Sees übersetzen zu können.

Als Texar und Squambo bis zu der Cypresse kamen, vor der der Hund noch immer heulte und bellte, sahen sie den Erdboden stellenweise geröthet von dem Blute, das aus einer offenen Wunde in der Seite des Thieres floß.

»Da seht!... Seht! rief der Indianer.

– Der Hund ist verwundet? antwortete Texar.

– Ja... offenbar durch einen Jagdmesserhieb, und jedenfalls nur vor ganz kurzer Zeit!... Sein Blut dampft noch!

– Wer kann das gewesen sein?«

In diesem Augenblicke stürzte sich der Hund von neuem auf das Zweiggewirre, das Squambo mit dem Kolben seines Gewehres auseinander drängte.

»Zermah!... rief er verblüfft.

– Und das Kind bei ihr! setzte Texar hinzu.

– Ja!... Doch wie haben sie entfliehen können?

– Das koste dem Weibe das Leben!«

Die von Squambo, gerade als sie noch einen Schlag gegen den Spanier führen wollte, entwaffnete Mestizin wurde so roh und gewaltsam aus der Baumhöhle gezerrt, daß das kleine Mädchen ihrem Arme entsank und mitten unter die riesigen Pilze, die im Cypressenwalde besonders üppig wuchernden Becherschwämme, rollte.

Durch den Stoß zerplatzte eines der Pilzhäupter gleich einer Feuerwaffe, und eine leuchtende Wolke seinen Staubes verbreitete sich in der Luft. Gleich darauf explodirten sozusagen auch noch mehrere andere Becherschwämme. Es entstand ein allgemeines Krachen, als wäre der Wald mit Feuerwerkskörpern angefüllt gewesen, welche nach allen Seiten hin zischten.

Geblendet durch diese Myriaden von Sporen, hatte Texar Zermah, auf die er schon das breite Messer zückte, loslassen müssen, während auch Squambo der brennend-reizende Staub völlig blind machte. Zum Glücke wurden die Mestizin und das Kind von den Sporen nicht belästigt, weil sie auf dem Erdboden ausgestreckt lagen und jene Samenbehälter über ihnen platzten.[403]

Nichtsdestoweniger konnte Zermah dem wüthenden Texar noch nicht entweichen. Schon war auch die Luft nach einer letzten Reihenfolge von Explosionen wieder athembar geworden.

Da krachten noch andere Detonationen – diesmal aber der Knall von Feuerwaffen.

Es war die föderirte Abtheilung, welche sich auf die südstaatlichen Parteigänger stürzte, und letztere mußten, da sie sich von den Seesoldaten des Capitän Howick fast umringt sahen, sofort die Waffen strecken. In diesem Augenblicke drückte Texar, der Zermah wieder gepackt hatte, dieser den Stahl in die Brust.

»Das Kind!... Schaff' das Kind weg!« rief er Squambo zu.

Schon hatte der Indianer das kleine Mädchen ergriffen und wollte mit ihr nach der Seite des Sees zu entfliehen, als wieder ein Gewehrschuß krachte. – Er stürzte todt zusammen, getroffen von einer Kugel, die Gilbert ihm mitten in's Herz gesendet hatte.

Jetzt waren Alle zur Stelle. James und Gilbert Burbank, Edward Carrol, Perry, Mars, die Schwarzen von Camdleß-Bay, die Seewehrleute des Capitän Howick, welche mit dem Gewehr im Anschlage auf die Südstaatler lagen, und unter letzteren Texar, der neben Squambo's Leichnam stand.

Einzelne hatten doch noch nach der Seite der Insel zu entkommen vermocht.

Doch was that das? Das kleine Mädchen lag ja wieder in den Armen seines Vaters, der es an sich preßte, als fürchte er, es könne ihm noch einmal geraubt werden. Ueber Zermah herabgebeugt, suchten Gilbert und Mars diese in's Leben zurückzurufen. Das arme Weib athmete zwar noch, vermochte jedoch nicht zu sprechen. Mars unterstützte mit der Hand ihren Kopf und rief und umarmte sie einmal über das andere.

Zermah schlug die Augen auf. Sie sah das Kind in den Armen des Herrn Burbank; sie erkannte Mars, der sie mit Küssen bedeckte, und lächelte ihm zu. Dann schlossen sich ihre Lider wieder...

Mars, der sich wieder aufgerichtet hatte, wurde jetzt Texar gewahr und sprang auf diesen mit den von ihm schon so oft ausgerufenen Worten zu:

»Texar umbringen!... Texar umbringen!

– Haltet ein, Mars, sagte da der Capitän Howick, überlaßt es uns, an dem Elenden Gerechtigkeit zu üben!«

Dann wendete er sich nach dem Spanier.

»Ihr seid Texar aus der Schwaren Bucht? fragte er.[404]

– Ich brauche hier keine Antwort zu geben, versetzte Texar trotzig.

– James Burbank, der Schiffslieutenant Gilbert, Edward Carrol und der Mestize Mars kannten Euch und erkennen Euch wieder.

– Das kann ja sein.

– Ihr werdet standrechtlich erschossen werden.

– Meinetwegen!«

Da wandte sich zum größten Erstaunen Aller, die sie verstehen konnten, die kleine Dy an Mr. Burbank.

»Papa, sagte sie, es sind zwei Brüder... zwei solche garstige Männer..., die einer wie der andere aussehen...

– Zwei Männer?...

– Ja; meine gute Zermah hat von mir verlangt, daß ich's Dir sagen sollte!...«

Er schien sehr schwer zu begreifen, was diese einfachen Worte des Kindes wohl bedeuteten, doch fast gleichzeitig sollte dazu und in höchst unerwarteter Weise die Erklärung gegeben werden.

Texar war nach dem Fuße eines Baumes geführt worden. Von hier aus sah er James Burbank ziemlich gleichmüthig an und rauchte auch noch eine eben angezündete Cigarrette, als in dem Augenblicke, wo sich schon das Executionspeloton aufstellte, ein Mann herzugesprungen kam und sich dem Verurtheilten zur Seite stellte.

Das war der zweite Texar, dem die nach der Insel Carneral entkommenen Parteigänger des Spaniers die Gefangennahme seines Bruders mitgetheilt hatten.

Der Anblick dieser beiden, sich so außerordentlich ähnelnden Männer erklärte mit einem Schlage die Bedeutung obiger kindlichen Worte.

Endlich fand man den Schlüssel zu diesem Lebenslaufe voller Verbrechen, der bisher nur durch unerklärliche Alibis beschützt worden war.

Und jetzt trat, frisch hervorgerufen durch die Gegenwart der beiden Texars, Allen deren Vergangenheit wieder vor die Augen.

Immerhin mußte das Dazwischentreten des Bruders eine gewisse Verzögerung in der Ausführung der Befehle des Commodore zur Folge haben.

In der That bezog sich der Befehl Dupont's, betreffend eine Hinrichtung ohne weitläufigere Untersuchung, ja nur auf den Urheber der Falle, in der die Officiere und Seeleute der föderirten Boote ihren Untergang gefunden hatten.[405]

Was aber den Veranstalter der Zerstörung von Camdleß-Bay und der Entführung betraf, so sollte dieser nach Saint-Augustine eingeliefert werden, wo er bei einer wiederholten Untersuchung übrigens wohl auch zum Tode verurtheilt werden würde.

Im Grunde konnte man gewiß beide Brüder als gleichmäßig verantwortlich für die lange Reihe von Verbrechen betrachten, die sie bisher straflos begangen hatten.

Ohne Zweifel war das erlaubt, doch aus Achtung vor den Gesetzen glaubte der Capitän Howick Jenen doch noch folgende Frage vorlegen zu sollen:

»Welcher von Euch beiden, sagte er, bekennt sich schuldig jenes Gemetzels beim Kissimmee?«

Er erhielt keine Antwort.

Offenbar waren die beiden Texars gleichmäßig entschlossen, jeder ihnen gestellten Frage nur Stillschweigen entgegenzusetzen.

Nur Zermah allein hätte den Antheil bezeichnen können, der jedem an jenen Verbrechen zukam. Es lag auf der Hand, daß derjenige der beiden Brüder, der sich mit ihr am 22. März in der Schwarzen Buchr befand, nicht der Urheber oder mindestens nicht Theilnehmer jenes an demselben Tage, aber hundert Meilen weiter im Süden von Florida, stattgefundenen Gemetzels sein konnte. Diesen aber, den Leiter der Entführung, wieder zu erkennen, hatte Zermah ein wohl unerwartetes Mittel. Doch war sie denn jetzt nicht todt?...

Nein, gestützt von ihrem Gatten, trat sie eben heran und sagte mit kaum vernehmbarer Stimme:

»Derjenige, welcher der Entführung schuldig ist, hat eine Tättowirung auf dem linken Arme...«

Bei diesen Worten sah man das nämliche verächtliche Lächeln die Lippen der beiden Brüder umspielen, und den Aermel zurückstreifend, zeigten sie auf ihrem linken Arme eine – ganz gleichmäßige Tättowirung.

Gegenüber dieser neuen Unmöglichkeit, sie zu unterscheiden, begnügte sich der Capitän Howick, zu erklären:

»Der Urheber des Gemetzels beim Kissimmee wird erschossen werden. – Welcher von Euch beiden ist es?

– Ich!« antwortete gleichzeitig das Brüderpaar.

Nach dieser Antwort nahm das Executions-Peloton die Verurtheilten auf's Korn, während diese sich zum letztenmale umarmten.[406]

Die Salve krachte, und Hand in Hand sanken Beide zur Erde.

So endigten diese Männer, auf denen so viele Schandthaten lasteten, welche seit einer Reihe von Jahren ungestraft zu begehen, ihnen eine ganz außergewöhnliche Aehnlichkeit gestattet hatte. Das einzige menschenwürdige Gefühl, das sie je an den Tag gelegt, war die hingebende brüderliche Zuneigung gewesen, die einer für den anderen empfunden und die sie bis in den Tod begleitet hatte.

Quelle:
Jules Verne: Nord gegen Süd. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LII–LIII, Wien, Pest, Leipzig 1889, S. 396-407.
Lizenz:
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