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[344] Inzwischen war es halb zwölf Uhr geworden.
Wäre es nicht gar so finster und der Nebel nicht so dicht gewesen, so hätte man das Licht am Stagseile des Fockmastes auf dem anderen Schiffe ein bis zwei Seemeilen weit recht gut sehen können.
Doch nichts war zu entdecken, weder der Rumpf eines Fahrzeuges noch der Schein einer Laterne. Will Mitz wußte nur, daß das Schiff, als es zum Stillliegen kam, sich nördlich von ihnen befand. Das Boot wandte sich also dieser Seite zu, womit es sich auf jeden Fall vom »Alert« entfernte.
Der Nebel machte in Verbindung mit der Nacht die Flucht sehr schwierig. Bei dem Fehlen des Windes und dem spiegelblanken Meere hätte das Schiff in einer halben Stunde erreicht sein können, wenn Will Mitz nicht gezwungen gewesen wäre, sozusagen aufs Geratewohl hinauszusteuern.
Jetzt konnten sich die Flüchtlinge auch vom Anfang an das Drama ins Gedächtnis zurückrufen, dessen schreckliche Lösung heute so nahe gewesen war.
»Die Seeräuber vom › Halifax‹ also waren es, sagte Hubert Perkins, die sich des › Alert‹ bemächtigt hatten.
– Und während man sie in der Umgebung des Hafens suchte, fuhr Niels Harboe fort, war es ihnen gelungen, nach der Farmarbucht zu entkommen.
– Sie wußten also wahrscheinlich, nahm Albertus Leuwen das Wort, daß der ›Alert‹ zum Abfahren bereit war und nur seinen Kapitän und dessen Mannschaft an Bord hatte.
– Ohne Zweifel, antwortete Roger Hinsdale. In den Tagesblättern stand seine Abfahrt für den dreißigsten Juni angekündigt, und gerade am[344]
Tage vorher waren sie aus dem Gefängnisse von Queenstown entflohen. Sie haben va banque gespielt, und das ist den Schurken leider gelungen!
– Und in der Nacht, die unserer Einschiffung vorherging, sagte Axel Wickborn, ist es gewesen, wo der unglückliche Kapitän Paxton und seine Mannschaft überfallen, ermordet und ins Meer geworfen wurden.
– Jawohl, bestätigte John Howard, und die Leiche eines von diesen war es, die von der Strömung ans Ufer getragen und da gefunden wurde, wie nach Barbados berichtet worden war.[345]
– Entsinnt ihr euch wohl der Frechheit dieses Markel? rief Tony Renault. Hatte er nicht dem Offizier von der ›Essex‹ gegenüber zugestanden, daß er einen seiner Leute in der Bai verloren habe, und nicht obendrein hinzugefügt, wenn man an dem armen Bob einen Dolchstich gefunden hätte, so werde ihm dieser wahrscheinlich von den Banditen des ›Halifax‹ beigebracht worden sein! Dieser Elende! Wenn er nur eingefangen, verurteilt und gehängt würde, und seine Leute mit ihm!«
Die hier wiedergegebenen Worte zeigten – während das Boot weiter gegen Norden hinglitt – daß die Passagiere des »Alert« vollkommen die Umstände kannten, unter denen die Abschlachtung des Kapitäns Paxton und seiner Leute erfolgt war.
Als sie an Bord kamen, waren Harry Markel und seine Spießgesellen bereits die Herren des Schiffes.
Da warf Hubert Perkins noch eine Frage auf.
»Warum, sagte er, ist aber der ›Alert‹ nicht in See gegangen, ohne unser Eintreffen abzuwarten?
– Weil er keinen Wind hatte, antwortete Louis Clodion. Du erinnerst dich wohl, Hubert, daß die Luft damals schon zwei Tage ebenso ruhig war wie heute. Während unserer Überfahrt von Bristol nach Cork haben wir ja nicht das geringste von einer Brise verspürt. Nach dem Gelingen seines Anschlags wäre Harry Markel gewiß gern abgefahren, doch er konnte es einfach nicht.
– Und der Elende, bemerkte Roger Hinsdale, hatte sich dann schnell entschlossen, eine falsche Rolle zu spielen. Er verwandelte sich zum Kapitän Paxton und seine Mordgesellen zu Matrosen des ›Alert‹.
– Und wenn man bedenkt, rief Tony Renault, daß wir uns über zwei Monate in der Gesellschaft dieser Schandbuben befunden haben... dieser Räuber... dieser Mörder... die doch schlau genug waren, sich als ehrenwerte Leute aufzuspielen!
– O, entfuhr es Albertus Leuwen, sie haben uns doch niemals die geringste Sympathie eingeflößt.
– Nicht einmal jener Corty, der sich um unser Wohlbefinden so besorgt zeigte! erklärte Axel Wickborn.
– Und noch weniger Harry Markel, der in uns keine gute Vorstellung von dem Kapitän Paxton erweckte!« fügte Hubert Perkins hinzu.[346]
Will Mitz hörte dem Gespräche zu. Die jungen Leute wußten alles, waren sich über alles klar. Sie erinnerten sich nicht ohne Beschämung und Ingrimm der Lobsprüche, die sie über den Kapitän und seine Mannschaft geäußert hatten, der Dankesbezeugungen, mit denen die Verbrecher fast überhäuft worden waren, und auch der besonderen Belohnung, die Mistreß Kathlen Seymour der Mörderhorde zugewendet hatte.
Und gerade Patterson hatte sich bei diesen Lobsprüchen, eine Folge seiner leicht auflodernden Begeisterung, in den überschwenglichsten Worten überboten!
Augenblicklich mochte der Mentor freilich nicht auf das Vergangene zurückkommen, noch auf das, was er zur Ehre des Kapitäns etwa gesagt hatte. Hinten im Boote sitzend, hörte er kaum auf das Gespräch der anderen; seine Gedanken weilten – wenn er überhaupt an jemand dachte – unzweifelhaft bei seiner fernen Gattin.
Tatsächlich dachte er aber an gar nichts.
Endlich wurde noch eine letzte Frage aufgeworfen, die eine entschieden annehmbare – und zwar die wirklich richtige – Antwort fand.
Warum mochte sich Harry Markel, nachdem er die Pensionäre der Antilian School an Bord genommen hatte, dieser nicht gleich zu Anfang der Reise entledigt haben, da er doch dann sofort hätte nach den südlichen Meeren segeln können?
Louis Clodion gab darauf folgende Antwort:
»Ich glaube bestimmt, daß Harry Markel anfangs die Absicht gehegt hat, sich von uns zu befreien, sobald der ›Alert‹ auf hohem Meere war. Da er aber wegen Mangels an Wind gezwungen wurde, nahe der Küste beizulegen, wird er gehört haben, daß jeder der Passagiere auf Barbados eine Prämie erhalten sollte, und mit unglaublicher Tollkühnheit hat er sich deshalb mit dem ›Alert‹ nach den Antillen gewagt.
– Ja ja, sagte Will Mitz, ja, das wird der Grund gewesen sein, und das Verlangen, sich dieses Geldes zu bemächtigen, hat Ihnen das Leben gerettet... vorausgesetzt, daß es nun gerettet ist,« murmelte er noch für sich, denn er wollte niemand seine Unruhe merken lassen, obgleich die Lage sich mehr und mehr verschlimmerte.
Seit vollen zwei Stunden irrte das Boot nun schon im Nebel umher, ohne das Schiff zu finden, von dem man doch gestern sah, wo es gelegen hatte.[347]
Will Mitz hatte aber keinen Kompaß zur Hand, konnte sich nicht einmal nach den Sternen richten, und jetzt war schon weit mehr Zeit als nötig verflossen, auf das andere Schiff zu stoßen.
Wenn sie nun darüber hinausgefahren waren, was dann?... Sollten sie nach Osten oder nach Westen umkehren?... Liefen sie damit nicht Gefahr, etwa gar wieder auf den »Alert« zu treffen?... Da erschien es doch ratsamer, draußen auf dem Meere zu warten, bis der Nebel sich zerstreute, was ja schon mit Sonnenaufgang, das heißt, nach vier bis fünf Stunden eintreten konnte. Dann steuerte das Boot geraden Weges auf das Schiff zu, und selbst wenn die Flüchtlinge vom »Alert« aus bemerkt worden wären, würde es Harry Markel doch nicht wagen, sie zu verfolgen, denn das hätte für ihn und seine Leute voraussichtlich sehr schlecht ablaufen können.
Ehe es dahin kam, hätte der »Alert« freilich, wenn sich nur ein wenig Wind erhob, nach Südwesten absegeln können.
Will Mitz verstand jetzt gut genug, warum Harry Markel diesen Kurs bisher eingehalten hatte. Leider wäre es aber dem anderen Schiffe dann ebenso leicht gewesen, in entgegengesetzter Richtung weiter zu fahren, und am Morgen wäre es dann jedenfalls schon außer Sicht. Was sollte dann aus dem Boote mit seinen elf Insassen werden, wenn es hilflos dem Wind und Wellengange preisgegeben war?
Auf jeden Fall manövrierte Will Mitz so, daß er so weit wie möglich von dem »Alert« entfernt bliebe.
Eine Stunde nach Mitternacht hatte sich in der Sachlage noch nichts geändert. Einige der Flüchtlinge wurden schon von lebhafter Unruhe ergriffen. Hoffnungsvoll bei der Abfahrt, hatten sie angenommen, nach einer halben Stunde in Sicherheit zu sein, und jetzt irrten sie bei der Aufsuchung des anderen Schiffes schon zwei Stunden lang in tiefer Finsternis umher.
Louis Clodion und Roger Hinsdale, die überhaupt eine große Energie zeigten, sprachen ihren Kameraden Mut zu, wenn diese eine Klage hören ließen und sich niedergeschlagen erwiesen. Patterson schien überhaupt das Bewußtsein verloren zu haben.
Will Mitz unterstützte die beiden jungen Leute in ihrer Bemühung.
»Nur guten Mut, meine jungen Herren, sagte er. Noch hat sich kein Wind erhoben, das Schiff muß also noch an derselben Stelle liegen wie gestern Abend. Sobald der Nebel sich mit Anbruch des Tages verzieht, werden wir, da unser[348] Boot vom ›Alert‹ schon fern ist, es in der Nähe sehen, und dann erreichen wir es mit wenigen Ruderschlägen.«
Will Mitz war jetzt freilich selbst etwas ängstlicher, wenn er das auch nicht merken lassen wollte, ängstlicher, weil er an eine andere, nicht ausgeschlossene Möglichkeit dachte.
Einer der Räuber hatte ja die Flucht der Passagiere entdecken können, so daß Harry Markel wußte, was er zu tun habe, und er mit einigen seiner Leute in dem zweiten Boote des Dreimasters deren Verfolgung aufnahm.
Dem Schurken mußte doch alles daran liegen, die Flüchtlinge wieder in seine Gewalt zu bringen, da die Windstille den »Alert« hinderte, diese Gegend zu verlassen.
Und selbst wenn er hätte weiter segeln können, lief er da nicht Gefahr, von dem anderen Schiffe verfolgt zu werden, das sicherlich schneller und stärker als das seinige war und dessen Kapitän dann jedenfalls über alles aufgeklärt worden war?
Will Mitz lauschte gespannt auf das leiseste Geräusch vom Meere her. Zuweilen glaubte er, in kurzer Entfernung regelmäßige Ruderschläge zu hören, was darauf hingewiesen hätte, daß ein Boot des »Alert« sie verfolgte.
Dann ließ er selbst die Ruder einziehen, so daß das still liegende Boot nur schwach auf der langen Dünung schwankte.
Wiederum verfloß eine Stunde. Louis Clodion und seine Kameraden lösten einander beim Rudern ab, nicht um vorwärts zu kommen, sondern nur um sich an derselben Stelle zu erhalten. Will Mitz wollte sich nicht noch weiter entfernen, da er nicht wußte, welche Richtung er einschlagen sollte. Vor allem kam es ja darauf an, bei Sonnenaufgang nicht in zu großer Entfernung von dem Schiffe zu sein, entweder um ihm Signale zu geben oder um es noch zu erreichen, wenn es sich etwa in Bewegung setzte.
Jetzt zur Zeit der Tag- und Nachtgleiche in der zweiten Hälfte des Septembers bricht der Tag nicht vor sechs Uhr morgens an.
Zerstreute sich der Nebel, so wäre ein Schiff jedoch schon von fünf Uhr an bis auf eine Entfernung von drei bis vier Seemeilen wohl zu erkennen gewesen.
Will Mitz wünschte deshalb dringend und sprach darüber mit Roger Hinsdale, Louis Clodion und Tony Renault, den beherztesten von allen, daß der Nebel noch vor Tagesanbruch verschwinden möchte.[349]
»Doch nicht etwa durch eine frische Brise, setzte er hinzu, denn dann würde nicht nur der ›Alert‹ absegeln, sondern auch das andere Schiff, und wir trieben verlassen auf dem weiten Meere!«
Mit diesem unbedeckten und schwer belasteten Boote, auf dem man kein Segel hissen konnte, einem Boote, das schon ein geringer Wellenschlag zum Kentern bringen mußte, war die Hoffnung ausgeschlossen, einen Hafen der Antillen zu erreichen. Am ersten Reisetage mußte der »Alert«, nach der Schätzung des jungen Seemannes, in südöstlicher Richtung von Barbados wenigstens sechzig Seemeilen zurückgelegt haben. Sechzig Meilen hätte das Boot, selbst mit Hilfe eines Segels und bei günstigem Winde und schlichtem Wasser, aber kaum in achtundvierzig Stunden hinter sich bringen können. Dabei fehlte es ihm an Proviant und an Wasser. Wenn der Tag graute und die Passagiere Hunger und Durst verspürten, wie hätte man diese stillen können?
Von Anstrengung und unwiderstehlicher Schlafsucht überwältigt, waren die meisten der jungen Leute nach einer weiteren Stunde auf den Bänken zusammengesunken und lagen da in tiefem Schlummer. Widerstanden Louis Clodion und Roger Hinsdale demselben jetzt auch noch, so verging doch voraussichtlich die Nacht nicht, ohne daß auch sie der Übermüdung erlagen.
Dann mußte Will Mitz allein wach bleiben, und wer weiß, ob er, so vielen ungünstigen Umständen und so arg getäuschter Hoffnung gegenüber, nicht selbst zu verzweifeln anfing.
Dazu mußten auch immer noch die Ruder gebraucht werden, um sich gegen die Strömung zu halten, bis der Nebel sich auflöste oder der Tag anbrach.
Dann und wann strich jetzt ein schwacher Lufthauch durch die Dunstmassen, und wenn es nachher auch wieder ganz still wurde, deuteten doch gewisse Vorzeichen auf das Wiedererwachen des Windes, sobald der Tag graute.
Da erfolgte kurz nach vier Uhr plötzlich ein Stoß, das Boot war, wenn auch leicht, auf irgend ein Hindernis getroffen, und das konnte hier nur der Rumpf eines Schiffes sein.
Sollte es das sein, das die Flüchtlinge nun schon seit so langen Stunden suchten?
Die einen waren bei dem Anprall von selbst erwacht, die anderen von ihren Kameraden geweckt worden.
Will Mitz ergriff eines der Ruder, um das Boot neben die Schiffswand zu legen.[350]
Das Boot war an dem Heck des Fahrzeuges angestoßen, denn Will Mitz fühlte genau den Eisenbeschlag des Steuerruders.
So lag es also unter dem ausgebauchten Teile des Fahrzeuges, und obgleich der Nebel jetzt etwas schwächer war, hatte es doch kein Wachtposten von diesem bemerken können.
Plötzlich kam Will Mitz ein Seilende in die Hand, das vier bis fünf Fuß lang vom Deck herunterhing.
Will Mitz erkannte das Seil sofort...
Es war das Haltetau, das er selbst durchschnitten hatte, als sie vom »Alert« abstießen.
»Der ›Alert‹!« rief er leise, doch mit Verzweiflung in der Stimme.
Nachdem sie also die ganze Nacht umhergeirrt waren, hatte das Unglück sie wieder dem »Alert« zugeführt, wo sie bedroht waren, Harry Markel nochmals in die Hände zu fallen.
Allen sank jetzt der Mut und Tränen füllten ihre Augen.
Doch war es nicht noch immer Zeit, wieder zu entfliehen und das andere Schiff aufzusuchen? Schon färbte sich der Horizont im Osten mit dem ersten Tagesscheine. Es war bald fünf Uhr. Eine frische Morgenluft strich über das Wasser.
Plötzlich stiegen die Dunstmassen empor und legten die Oberfläche des Meeres frei, das nun im Umkreis von drei bis vier Seemeilen zu übersehen war.
Das andere Schiff benutzte den ersten Windhauch und entfernte sich schon nach Osten zu, so daß alle Hoffnung schwand, auf ihm Schutz zu sachen.
Vom Deck des »Alert« war nicht das geringste Geräusch zu vernehmen. Offenbar lagen Harry Markel und die Mannschaft noch in tiefem Schlafe. Selbst der wachthabende Matrose hatte das Wiedereinsetzen der Brise nicht bemerkt und die nicht richtig eingestellten Segel schlugen leise an die Masten.
Jetzt, wo die Passagiere keine Hoffnung auf andere Rettung mehr hatten, mußten sie versuchen, sich des »Alert« zu bemächtigen.
Will Mitz hatte darüber nachgedacht und war schon fest entschlossen, einen kühnen Handstreich zu wagen. Was er vorhatte, teilte er gedämpften Tones den andern mit. Louis Clodion, Tony Renault und Roger Hinsdale verstanden ihn. Das war noch die einzige Aussicht auf Rettung, da niemand das Boot hatte abfahren oder zurückkommen sehen.
»Wir folgen Ihnen, Will Mitz, erklärte Magnus Anders.[351]
– Sobald Sie wollen!« setzte Louis Clodion hinzu.
Da der Tag eben erst graute, galt es, den »Alert« zu überrumpeln, ehe darauf Alarm geschlagen wurde, und Harry Markel in seiner Kabine, die Mannschaft aber im Volkslogis einzusperren. Mit Unterstützung der jungen Leute gedachte dann Will Mitz so zu manövrieren, daß sie entweder wieder nach den Antillen kämen, oder sich an das erste Schiff anschließen könnten, das ihren Weg kreuzen würde.
Geräuschlos glitt das Boot längs des Schiffsrumpfes an Backbord und bis zu den Rüsten des Großmastes hin. Von hier mußte es unter Benützung der sogenannten Jungfern leicht sein, die Reling zu erklimmen und das Verdeck zu betreten. An den Rüsten des Besanmastes wäre das wegen der Höhe des Hinterkastells weit schwieriger gewesen.
Will Mitz stieg zuerst hinaus. Kaum war er mit dem Kopfe aber in der Höhe der Reling, als er anhielt und ein Zeichen gab, ganz still zu sein.
Harry Markel hatte seine Kabine verlassen und sah sich nach dem Wetter um. Da die Segel an die Masten schlugen, rief er nach seinen Leuten, diese richtig zu stellen.
Die Leute schliefen aber noch immer, wenigstens folgte keiner seinem Rufe, und er begab sich deshalb nach dem Volkslogis.
Will Mitz, der seine Bewegungen aufmerksam verfolgte, sah ihn an der nach diesem führenden Treppe verschwinden.
Jetzt war der Augenblick zum Handeln gekommen. Jedenfalls war es besser, Harry Markel nicht erst einschließen und sich dabei vielleicht auf einen Kampf einlassen zu müssen, dessen Lärm auch im Vorderteile des Schiffes hörbar gewesen wäre. Waren alle im Volkslogis eingesperrt, so würde man etwaige Ausbruchsversuche schon bis zum Eintreffen an den Antillen zu vereiteln wissen, und wenn der Passatwind anhielt, mußte Barbados binnen sechsunddreißig Stunden zu erreichen sein.
Will Mitz sprang zuerst auf das Verdeck. Die jungen Leute folgten ihm nach Festlegung des Bootes, worin Patterson zurückgeblieben war, und kletterten hinauf, ohne gehört oder gesehen zu werden.
In wenigen Sekunden hatten sie die Treppe zum Volkslogis erreicht und mit dem Lukendeckel geschlossen, der bei schlechtem Wetter darüber gelegt wurde. Dann bedeckten sie diesen schleunigst noch mit der dazu gehörigen geteerten Presenning und befestigten diese an den Rändern mit schweren Spieren und Tauen.
Jetzt war die ganze Besatzung mit Einschluß Harry Markels gefangen und es war nur noch nötig, die Schurken zu überwachen, bis sie entweder an ein unterwegs angetroffenes Schiff oder im ersten Hafen, den der »Alert« anlief, ausgeliefert worden wären.
Allmählich wurde es nun heller, die Dunstmassen stiegen weiter in die Höhe und der Horizont erweiterte sich mit dem Morgenlichte.
Gleichzeitig frischte der Wind ein wenig auf, ohne aber stetig aus ein und derselben Richtung zu wehen. So wie die Segel jetzt eingestellt waren, konnten sie den Dreimaster nur an seiner Stelle halten.
Der Handstreich des kühnen Will Mitz war also gelungen. Seine Begleiter und er waren die Herren des »Alert«!
Das andere Schiff, auf dem sie Rettung zu finden gehofft hatten, lag schon fünf bis sechs Meilen draußen im Osten und mußte bald vollständig verschwinden.
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