[119] Die von mir bewohnte Zelle liegt gegen hundert Schritte von der Wohnung des Grafen d'Artigas, einer der letzten dieser Reihe in Bee-Hive. Wenn ich sie nicht mit Thomas Roch theilen darf, glaub' ich doch, daß sie sich in der Nähe der seinigen befindet. Will man, daß der Wärter aus dem Healthful-House seines Pflegeramts bei dem Pensionär der Anstalt auch ferner walte, so müssen die beiden Unterkunftsräume einander benachbart sein. Ueber diesen Punkt werd' ich ja bald aufgeklärt sein.
Der Kapitän Spade und der Ingenieur Serkö wohnen jeder für sich ganz nahe bei dem »Palais d'Artigas«.
Ein Palast?... Ja, warum soll man ihm nicht diesen Namen geben, da diese Wohnstätte mit einem gewissen Aufwand von Kunst hergestellt ist? Geschickte Hände haben den Felsen bearbeitet, so daß er eine monumentale Façade bildet. Ein bereite Thür vermittelt den Zutritt. Das Licht tritt durch mehrere, im Kalkfelsen[119] ausgebrochne Fenster herein, die mit bunten Scheiben ausgestattet sind. Das Innre enthält mehrere Zimmer, einen Speisesaal und einen Salon mit besonders großem Fenster... alles so angeordnet, daß es der Luft leicht Durchgang gewährt. Die Möbel darin sind verschiednen Ursprungs und von allerlei Form; sie tragen französische, englische und amerikanische Fabrikmarken. Offenbar hält ihr Besitzer auf Abwechslung im Stile. Speisekammer und Küche sind in anliegenden Grotten hinter Bee-Hive untergebracht.
Am Nachmittag, als ich mit der festen Absicht ausging, beim Grafen d'Artigas »eine Audienz zu erlangen«, sehe ich ihn, wie er am Ufer der Lagune nach dem Bienenstocke zu geht. Doch, ob er mich nicht gesehen hat oder nur ausweichen wollte, jedenfalls beschleunigte er seinen Schritt, so daß ich ihn nicht einholen konnte.
»Und doch muß er mich empfangen!« sag' ich mir.
Ich beeile mich also und bleibe vor der Wohnung an der Thür stehen, die sich eben wieder geschlossen hat.
Eine Art großer Teufel von malaiischem Ursprunge und sehr dunkler Hautfarbe erscheint sofort auf der Schwelle und bedeutet mir mit rauher Stimme, mich zu entfernen.
Ich widersetze mich dieser Zumuthung und bleibe, während ich zweimal in gutem Englisch die Worte wiederhole:
»Melden Sie dem Grafen d'Artigas, daß ich von ihm sofort empfangen zu werden wünsche!«
Ja, da hätt' ich mich ebenso gut an die Felsen von Back-Cup wenden können! Der Wilde versteht offenbar kein Wort Englisch und antwortet mir nur mit einem drohenden Schrei.
Da kommt mir der Gedanke, mit Gewalt einzudringen und so laut zu rufen, daß der Graf d'Artigas mich hören muß. Doch aller Wahrscheinlichkeit nach hätte das keine andre Folge gehabt als die, den Zorn des Malaien zu reizen, der herkulische Kräfte zu besitzen scheint.
So verschieb' ich denn die mir zukommende Erklärung bis auf eine andre Gelegenheit, die sich früher oder später bieten wird.
Während ich an der Zellenreihe von Bee-Hive in östlicher Richtung weiter gehe, kommt mir Thomas Roch wieder in den Sinn. Ich wundre mich, ihn im Laufe dieses ersten Tags noch nicht gesehen zu haben. Sollte er vielleicht an einem neuen Anfall leiden?...[120]
Das ist kaum annehmbar, denn der Graf d'Artigas hätte doch – entsprechend seiner früheren Aeußerung darüber – jedenfalls den Wärter Gaydon zu dem Kranken entbieten lassen.
Kaum hab' ich hundert Schritte gethan, da begegne ich dem Ingenieur Serkö.
Freundlich auftretend und wie immer guter Laune, lächelt der ironische Mann bei meinem Anblick und sucht mich nicht zu vermeiden. Wenn er wüßte, daß ich ein Berufsgenosse von ihm, daß ich Ingenieur bin – wenn er selbst ein solcher ist – würde er mir vielleicht einen bessern Empfang bereiten. Trotzdem werd' ich mich hüten, ihm meinen Namen und meinen Beruf erfahren zu lassen.
Mit leuchtendem Auge und spöttischem Munde ist der Ingenieur Serkö stehen geblieben und begleitet den Guten Tag, den er mir bietet, mit eleganter Handbewegung.
Ich antwortete nur sehr kühl, was ihn keineswegs zu bekümmern scheint.
»Behüte Sie der heilige Jonathan, Herr Gaydon! sagt er zu mir mit frischer und klangvoller Stimme. Sie beklagen sich hoffentlich nicht über den glücklichen Zufall, der Ihnen gestattet hat, diese Höhle zu besuchen... die wunderbarste unter allen... ja, die allerschönste... die außerdem auch noch von unserm Sphäroïd am wenigsten bekannt ist!«
Dieses Wort aus der wissenschaftlichen Sprache, hier angewendet im Gespräch mit einem einfachen Wärter, setzt mich, ich gesteh' es, in Erstaunen und ich begnüge mich zu antworten:
»Ich werde mich nicht zu beklagen haben, Herr Serkö, wenn mir nach dem Vergnügen, diese Höhle haben besichtigen zu dürfen, auch die Freiheit gewährt würde, daraus wegzugehen...
– Wie? Sie denken schon daran, uns zu verlassen, Herr Gaydon? Sie wollen nach Ihrem traurigen Pavillon im Healthful-House zurückkehren?... Sie haben ja unsern prächtigen Wohnsitz noch kaum zu Gesicht bekommen, haben die unvergleichlichen Schönheiten, womit er ausschließlich auf Kosten der Natur ausgestattet ist, noch gar nicht bewundern können...
– O, was ich davon gesehen habe, das genügte mir, hab' ich geantwortet, und wenn Sie im Ernste sprechen, könnt' ich Ihnen doch nur ebenso ernstlich erwidern, daß es mich nicht verlangt, davon noch mehr zu sehen.
– Oho, Herr Gaydon, erlauben Sie mir, Ihnen zu bemerken, daß Sie die Vorzüge einer Existenz, die sich unter solchen Verhältnissen ohne Gleichen[123] abspielt, noch gar nicht haben schätzen lernen können. Hier führen wir ein ruhiges, sorgenloses Leben, dessen Zukunft gesichert ist, und unter materiellen Bedingungen, die sich nirgends wiederfinden. Wir erfreuen uns eines gleichmäßigen Klimas, und haben von den auf dem Ocean tobenden Stürmen ebensowenig etwas zu fürchten, wie vom Froste des Winters oder der Hitze des Sommers. Der Wechsel der Jahreszeiten macht sich für unsre mäßig warme und heilsame Atmosphäre kaum bemerkbar. Hier kann uns kein Zorn Plutos oder Neptuns erreichen...«
Diese Einmischung mythologischer Namen scheint mir nicht weniger am unrechten Platze zu sein. Der Ingenieur Serkö treibt sichtlich seinen Spott mit mir. Hat wohl der Krankenwärter Gaydon jemals von Pluto oder Neptun reden hören?
»Es ist ja möglich, Herr Ingenieur, erwidre ich darauf, daß dieses Klima Ihnen zusagt, daß Sie die Vorzüge besonders schätzen, die diese Höhle von...«
Beinahe hätte ich den Namen Back-Cup ausgesprochen, hielt mich aber davon noch rechtzeitig zurück. Was wäre wohl geschehen, wenn ich den Verdacht erregte, den Namen des Eilands und folglich auch seine Lage am westlichen Ende der Bermudas zu kennen!
»Wenn dieses Klima aber mir nicht gefällt, fuhr ich also fort, hab' ich doch, wie mir scheint, das Recht, es zu wechseln...
– Das Recht... in der That.
– Und ich erwarte, daß man mir gestatte, abzureisen, und mir die Mittel gewähre, nach Amerika zurückzukehren.
– Ich habe keinen vernünftigen Grund, Ihnen zu widersprechen, Herr Gaydon, antwortet der Ingenieur Serkö. Ihr Verlangen ist sogar ganz berechtigt. Bedenken Sie indeß, daß wir hier in edler, stolzer Unabhängigkeit leben, von keiner fremden Macht abhängen, keiner Autorität von außen unterthan und keine Colonisten weder eines Staates der Alten, noch eines der Neuen Welt sind. Das verdient die Beachtung jedes stolzen Geistes, jedes hochschlagenden Herzens!... Und ferner, welche Erinnerungen erwecken in jedem gebildeten Geiste diese Grotten, die von den Händen der Götter ausgehöhlt scheinen, und in denen sie einst ihre Orakelsprüche durch den Mund des Trophonius verkündeten?...«
Es liegt auf der Hand, daß der Spaßvogel noch immer spöttelt, und ich muß meine ganze Geduld zusammennehmen, um ihm nicht im gleichen Tone zu antworten.[124]
»Vor wenigen Minuten, sag' ich darauf ganz kurz, hab' ich hier in diese Wohnung eintreten wollen, die, wenn ich nicht irre, die des Grafen d'Artigas ist. Ich wurde jedoch daran gehindert...
– Durch wen, Herr Gaydon?
– Durch einen Mann aus der Dienerschaft des Grafen.
– Dann müßte der Mann grade in Bezug auf Sie ganz besondre Vorschriften erhalten haben.
– Der Graf d'Artigas muß mich aber unbedingt anhören, er mag wollen oder nicht.
– Ich fürchte leider, daß das schwierig... selbst unmöglich sein wird, bemerkt der Ingenieur Serkö lächelnd.
– Und warum?...
– Weil der Graf d'Artigas gar nicht mehr hier ist.
– Sie scherzen wohl, Herr Serkö. Ich hab' ihn doch eben gesehen!
– Das war nicht der Graf d'Artigas, den Sie gesehen haben, Herr Gaydon.
– Wer denn sonst, wenn ich bitten darf?
– Das war der Seeräuber Ker Karraje.«
Dieser Name wurde mit harter Stimme hervorgestoßen, und damit wandte sich der Ingenieur Serkö ab, ohne daß ich ihn zurückzuhalten suchte.
Der Seeräuber Ker Karraje!
Ja... dieser Name klang mir wie eine Offenbarung!... Ich kannte ihn recht gut, und welch schreckliche Erinnerungen rief er wach!... Er allein erklärt mir, was ich für unerklärbar hielt!... Er sagt mir, wer der Mann ist, in dessen Hände ich gefallen bin!
Mit dem, was ich schon wußte, seit meinem Eintreffen in Back-Cup gesehen und aus dem Munde des Ingenieur Serkö gehört habe, kann ich über die Vergangenheit und die Gegenwart jenes Ker Karraje Folgendes berichten:
Seit vor acht bis neun Jahren wurden die Gebiete des westpacifischen Oceans durch zahllose Ueberfälle und Seeräubereien beunruhigt, die mit unerhörter Kühnheit ausgeführt wurden. Jener Zeit operierte eine Bande von Verbrechern jeder Abstammung, Deserteure von Colonialtruppen, von entwichenen Sträflingen und Matrosen, die von ihren Schiffen weggelaufen waren, unter einem furchtbaren Anführer. Der Kern dieser Bande bildete sich zuerst aus den Leuten – dem Abschaume europäischer und amerikanischer Völker – die die Entdeckung[125] reicher Goldlager nach Neusüdwales in Australien verlockt hatte. Unter den Goldsuchern befanden sich der Kapitän Spade und der Ingenieur Serkö, zwei Ausgestoßne, die eine gewisse Uebereinstimmung der Gedanken und des Charakters bald innig mit einander verband.
Diese gut unterrichteten und thatkräftigen Männer hätten schon allein infolge ihrer Intelligenz überall und in jeder Laufbahn Erfolge gehabt. Doch ohne Gewissen und Skrupel, entschlossen, sich durch alle beliebigen Mittel zu bereichern, und von der Speculation und dem Spiel erwartend, was sie durch geduldige und regelmäßige Thätigkeit hätten erzielen können, stürzten sie sich in die unglaublichsten Abenteuer, waren heute reich, morgen bettelarm, wie die meisten jener heimatlosen Landstreicher, die in den Goldadern Reichthümer suchten.
Damals lebte an den Erzlagerstätten von Neusüdwales ein Mann von beispielloser Kühnheit, einer jener Wagehälse, die vor nichts, nicht einmal vor dem Verbrechen, zurückschrecken und deren Einfluß auf gewaltthätige und verkommene Naturen fast unwiderstehlich ist.
Dieser Mann führte den Namen Ker Karraje.
Welcher Abstammung und Nationalität der Mann und welche seine Vergangenheit war, hat auch durch die darüber angestellten Untersuchungen nicht klargelegt werden können. Wenn er sich aber allen Verfolgungen zu entziehen wußte, so machte sein Name, wenigstens der, den er sich beilegte – doch die Runde durch die ganze Welt. Man sprach ihn nur mit Furcht und Schrecken aus, wie den einer sagenhaften, unsichtbaren und ungreifbaren Persönlichkeit.
Jetzt glaube ich aber annehmen zu dürfen, daß dieser Ker Karraje der malaiischen Rasse angehört. Darauf kommt übrigens nicht viel an. Gewiß ist jedenfalls, daß man ihn mit Recht für einen furchtbaren Seeräuber und für den Urheber der vielfachen Ueberfälle in entfernten Meeren ansah.
Nachdem er einige Jahre in den Goldfeldern Australiens zugebracht und den Ingenieur Serkö, sowie den Kapitän Spade kennen gelernt hatte, gelang es ihm, sich im Hafen von Melbourne, in der Provinz Victoria, eines Schiffes zu bemächtigen. Etwa dreißig Spitzbuben, deren Zahl sich bald verdreifacht haben mochte, schlossen sich ihm an. Da wurden denn in den Theilen des Großen Oceans, wo die Seeräuberei noch so leicht und, sagen wir, so ertragreich war, gar viele Schiffe beraubt, Besatzungen niedergemacht und Razzias über gewisse Inseln des Westens, die deren Bewohner nicht vertheidigen konnten, veranstaltet. Obwohl das Schiff Ker Karraje's, das der Kapitän Spade befehligte, mehrmals[126] signalisiert worden war, gelang es doch niemals, es abzufangen. Es schien die Fähigkeit zu haben, inmitten jener Labyrinthe von Inselgruppen, wo es jede Wasserstraße, jede Bucht kannte, nach Belieben zu verschwinden.
Der Schrecken herrschte in jenen Gegenden. Engländer, Franzosen, Deutsche, Russen und Amerikaner sandten vergeblich Kreuzer zur Verfolgung dieses Schiffsgespenstes aus, das in See ging, man ahnte nicht wo, und, nach Verübung von Raub und Todtschlag, an dessen Verhinderung und Bestrafung man verzweifeln lernte, sich ebenso an unbekannten Orten verbarg.
Eines Tages nahmen die Greuelthaten ein Ende. Man hörte nicht mehr von Ker Karraje sprechen, wußte aber auch nicht, ob er den Stillen Ocean nur gegen ein andres Meer vertauscht hätte, um seine Raubzüge da wieder aufzunehmen. Als das sich eine Zeit lang nicht bestätigte, sagte man sich, daß von den so lange betriebenen Diebereien, selbst nach Abzug dessen, was für Orgien und Thorheiten verschwendet worden wäre, doch noch ein Schatz von ungeheurem Werthe übrig sein müsse. Und jetzt lebten hier Ker Karraje und seine Helfershelfer im Genusse desselben, nachdem sie ihn in einem, nur ihnen allein bekannten Versteck in Sicherheit gebracht hatten.
Wohin hatte sich die Bande nach ihrem Verschwinden geflüchtet? Alle Nachforschungen in dieser Hinsicht blieben fruchtlos, und nachdem die Unruhe mit der Gefahr vorüber war, vergaß man allmählich die Schandthaten, deren Schauplatz der westpacifische Ocean gewesen war.
Das hatte sich also vorher zugetragen, was ich aber hier noch in Erfahrung gebracht habe, wird kein Mensch hören, wenn es mir nicht gelingt, von Back-Cup zu entweichen.
Ja, diese Schurken waren im Besitz beträchtlicher Schätze, als sie den westlichen Theilen des Großen Oceans den Rücken kehrten. Nach Zerstörung ihres Schiffes zerstreuten sie sich auf verschiednen Wegen, mit der Verabredung, auf dem amerikanischen Festlande wieder zusammenzutreffen.
Jener Zeit schlug der Ingenieur Serkö, der selbst in seinem Fache sehr tüchtig, außerdem ein geschickter Mechaniker war und vorzüglich den Bau unterseeischer Fahrzeuge eingehend studiert hatte, Ker Karraje vor, einen solchen Apparat herzustellen, um die früheren Raubzüge unter sichreren Bedingungen und mit erhöhtem Erfolge wieder zu beginnen.
Ker Karraje begriff das Vortheilhafte der Idee seines Genossen, und da es an Geld nicht fehlte, konnte sofort ans Werk gegangen werden.[127]
Während dann der angebliche Graf d'Artigas die Goelette »Ebba« in den Werften von Gothenburg in Schweden bauen ließ, übergab er dem Schiffsbaumeister Cramps in Philadelphia die Pläne zu einem unterseeischen Schiff, was hier keinerlei Verdacht erregte, und das, wie man sehen wird, bald mit Mann und Maus verschwinden sollte.
Der Apparat wurde nach den Modellen des Ingenieurs Serkö und unter dessen besondrer Aufsicht gebaut, wobei die neuesten Fortschritte der nautischen Wissenschaften praktische Verwendung fanden. Vorzüglich wurden auch galvanische Battrien von neuer Art aufgestellt, die durch die nöthigen Zwischenglieder auf die Schraubenwelle wirkten und dem Fahrzeuge eine ungeheure Triebkraft verleihen mußten.
Es versteht sich, daß niemand errathen konnte, daß der Graf d'Artigas jener Ker Karraje, der frühere Pirat vom Stillen Ocean, noch daß der Ingenieur Serkö einer der entschlossensten seiner Spießgesellen war. Man sah in jenem nur einen Fremden von hohem Herkommen und großem Vermögen, der seit einem Jahre mit seiner Goelette »Ebba« die Häfen der Vereinigten Staaten besuchte. Die Goelette war übrigens längere Zeit vor Vollendung des Tug in See gegangen.
Diese Arbeit beanspruchte nämlich nicht weniger als achtzehn Monate. Als sie fertig war, erregte das Fahrzeug die Bewunderung aller derer, die sich für unterseeische Schiffahrtsversuche interessierten. Durch die äußre Form die innre Einrichtung, das System der Lüftung, durch seine Bewohnbarkeit, Stabilität, sein rasches Untertauchen, seine allseitige Manövrierfähigkeit, außerordentliche Schnelligkeit und durch die Leistungsgröße der Battrien, denen es seine mechanische Kraft entnahm, übertraf das Fahrzeug beiweitem die Nachfolger der »Grubet«, »Gymnote«, »Zêdé« und andrer Versuchsschiffe, die zur Zeit auch schon sehr vervollkommnet waren.
Darüber konnte man ein Urtheil gewinnen, als nach mehreren erfolgreichen Versuchen vier Seemeilen von Charleston eine öffentliche Probefahrt auf hohem Meere in Gegenwart zahlreicher Kriegs-, Handels- und Lustschiffe – amerikanischer und fremder, die zu diesem Zwecke zusammengeströmt waren – unternommen wurde.
Natürlich befand sich auch die »Ebba« unter diesen Schiffen und darauf waren, außer dem Grafen d'Artigas, der Ingenieur Serkö, der Kapitän Spade und ferner ein halbes Dutzend Leute zur späteren Besetzung des unterseeischen[128] Fahrzeugs, das vom Maschinisten Gibson, einem kühnen und geschickten Engländer, geführt wurde.
Das Programm dieser entscheidenden Probefahrt umfaßte verschiedne Evolutionen auf der Meeresfläche; darauf sollte das Fahrzeug sich versenken und erst nach mehreren Stunden wieder auftauchen, und zwar nachdem es eine Bake erreicht hätte, die mehrere Seemeilen draußen ausgelegt war.
Zur bestimmten Stunde manövrierte dann das Schiff, nach Schließung der obern Luke, zuerst oben auf dem Meere, und seine Schnelligkeit, wie[129] seine kurzen Wendungen erregten bei den Zuschauern gerechte Bewunderung.
Auf ein von der »Ebba« aus gegebenes Zeichen versank dann der Apparat langsam und verschwand allen Blicken.
Einige Schiffe steuerten nun nach dem Zielpunkte, der für das Wiedererscheinen bestimmt worden war.
Drei Stunden verflossen, und das Schiff war noch nicht wieder zur Meeresfläche aufgestiegen.
Niemand konnte freilich wissen, daß das unterseeische Fahrzeug im Einvernehmen mit dem Grafen d'Artigas und dem Ingenieur Serkö, zum geheimen Schlepper der Goelette bestimmt, erst mehrere Seemeilen weiter draußen wieder auftauchen sollte. Mit Ausnahme der in das Geheimniß eingeweihten Personen glaubte aber jedermann, daß es infolge eines seinem Rumpfe oder seiner Maschine zugestoßnen Unfalls wirklich untergegangen wäre. An Bord der »Ebba« heuchelte man eine schmerzliche Bestürzung, die an Bord der andern Schiffe wirklich herrschte. Es wurden deshalb Sondierungen vorgenommen, längs des vermuthlichen Wegs des Fahrzeugs Taucher hinunter geschickt... vergebens; es erschien nur zu gewiß, daß der Apparat in den Tiefen des Atlantischen Oceans zugrundegegangen war.
Zwei Tage darauf segelte der Graf d'Artigas wieder ab und vierundzwanzig Stunden später traf er mit dem Tug an der dafür bestimmten Stelle zusammen.
So kam Ker Karraje in Besitz eines vortrefflichen Hilfsmittels für den doppelten Zweck, die Goelette im Nothfall zu schleppen und andre Schiffe anzugreifen. Mit diesem furchtbaren Zerstörungswerkzeuge, dessen Existenz niemand ahnte, konnte der Graf d'Artigas seine alten Seeraubzüge mit besserm Erfolge und sichrer vor Entdeckung wieder aufnehmen.
Diese Einzelheiten hab' ich von dem Ingenieur Serkö erfahren, der ebenso stolz auf sein Werk, wie offenbar sicher ist, daß der Gefangne von Back-Cup nie imstande sein werde, das Geheimniß zu verrathen. Man begreift leicht, über welch große Offensivkraft Ker Karraje jetzt verfügte. Im nächtlichen Dunkel stürzte sich der Tug auf die Schiffe, die in der Anwesenheit der Lustjacht »Ebba« nichts arges sehen konnten. Wenn er ihnen mit dem Rammsporn ein Leck beigebracht hatte, legte sich die Goelette neben sie, ihre Leute metzelten die erschreckte Mannschaft nieder und plünderten die Ladung. So kam es, daß recht viele Schiffe[130] in den Seeberichten nur noch unter der Rubrik »Verschollen« aufgeführt wurden.
Nach der widerlichen Comödie in der Bai von Charleston brandschatzte Ker Karraje nun ein Jahr hindurch die Schiffe im amerikanischen Gewässer des Atlantischen Meeres. Die zusammengeraubten Schätze häuften sich zusehends. Waaren, die er nicht selbst verwenden konnte, veräußerte er an entlegnen Plätzen und verwandelte die Erträgnisse des Seeraubs in Gold und Silber. Noch immer fehlte es ihm aber an einem sichern und unbekannten Platze, wo die Piraten ihre Schätze bis zur Zeit der Theilung unterbringen konnten.
Da kam ihm der Zufall zu Hilfe. Bei einer gelegentlichen Untersuchung des Meeres unterhalb der Oberfläche in der Nähe der Bermudas, entdeckten der Ingenieur Serkö und der Maschinist Gibson am Fuße des Eilands den Tunnel, der nach dem Innern von Back-Cup führte. Einen bessern und gegen alle Nachforschungen mehr gesicherten Zufluchtsort hätte Ker Karraje gar nicht finden können. Damit wurde eines der Eilande des bermudischen Archipels, wo schon früher Seeräuber gehaust hatten, zum Schlupfwinkel einer noch weit gefährlichern Bande.
Nach der »Besitznahme« von Back-Cup traf man hier die schon beschriebnen Einrichtungen für den Aufenthalt des Grafen d'Artigas und seiner Helfershelfer. Der Ingenieur Serkö erbaute eine elektrische Kraftstation, ohne dabei auf Maschinen zurückzugreifen, deren Herstellung auswärts hätte Verdacht erregen können; er bediente sich vielmehr nur leicht zu montierender Batterien, die nur die Verwendung von Metallplatten und gewissen Chemikalien verlangten, welche sich die »Ebba« bei ihrem Verweilen in Häfen der Vereinigten Staaten verschaffte.
Nach dem Vorhergehenden ist leicht zu errathen, was sich in der Nacht vom 19. zum 20. zugetragen hatte. Wenn der Dreimaster, der bei der Windstille seinen Platz nicht verlassen konnte, bei Tagesanbruch nicht mehr sichtbar war, so lag das daran, daß er von dem Tug gerammt, von der Goelette angegriffen, dann geplündert worden und mit seiner Besatzung schließlich untergangen war. Und ein Theil seiner Ladung befand sich auch auf der »Ebba«, als jener in der unergründlichen Tiefe des Atlantischen Oceans verschwand.
O, in welche Hände bin ich gefallen!... Wie wird dieses traurige Abenteuer endigen! Werd' ich jemals dem Kerker auf Back-Cup entfliehen, den falschen Graf d'Artigas denuncieren und die Meere von der Räuberhorde Ker Karraje's befreien können?[131]
Und so furchtbar er schon ist, wird das nicht noch mehr der Fall sein, wenn Ker Karraje in Besitz des Fulgurator Roch käme?... Ja, hundertmal mehr! Kann er erst dieses neue Zerstörungsmittel gebrauchen, so vermag kein Handelsfahrzeug ihm mehr zu widerstehen und kein Kriegsschiff der gänzlichen Zerstörung zu entrinnen.
Lange Zeit bedrücken mich die Gedanken, die die Erinnerung an den Namen Ker Karraje mir erweckt. Alles, was ich von dem berüchtigten Piraten wußte, ist in meinem Gedächtniß wieder aufgelebt... sein Räuberleben, als er noch die Gewässer des Pacifischen Meeres unsicher machte, die Expeditionen, die die Seemächte zur Aufbringung seines Schiffs ausrüsteten, aber auch die Nutzlosigkeit dieser Versuche. Wiederum war er es dann einige Jahre später, dem das unerklärliche Verschwinden von Schiffen in den Nachbarmeeren des amerikanischen Festlands zuzuschreiben war. Er hatte nur den Schauplatz seiner Greuelthaten gewechselt. Man hielt sich von ihm für befreit, und er setzte seine Raubzüge auf dem so verkehrsreichen Atlantischen Meere mit dem Tug fort, den man im Gewässer der Bai von Charleston versunken glaubte.
»Und jetzt, sag' ich für mich, kenne ich seinen wahren Namen und seinen geheimen Schlupfwinkel: Ker Karraje und Back-Cup! Wenn der Ingenieur Serkö aber diesen Namen vor mir ausgesprochen hat, so muß er dazu ermächtigt worden sein. Hat man mir nur zu verstehen geben wollen, daß ich auf jede Hoffnung, meine Freiheit wieder zu erlangen, zu verzichten hätte?...«
Der Ingenieur Serkö hatte unbedingt den Eindruck bemerkt, den die Erwähnung jenes Namens auf mich machte. Ich erinnre mich, daß er beim Fortgehen von mir sich der Wohnung Ker Karraje's zuwandte, jedenfalls um ihn von dem Vorgefallnen zu unterrichten.
Nach einem ziemlich langen Spaziergange am Ufer der Lagune wollte ich schon nach meiner Zelle zurückkehren, als hinter mir ein Geräusch entstand.
Ich drehe mich um.
Da kommt der Graf d'Artigas in Begleitung des Kapitän Spade. Er wirft mir einen fragenden Blick zu. Da entringen sich mir in einer Aufwallung des Zorns, den ich nicht zu bemeistern vermag, die Worte:
»Herr Graf, Sie halten mich hier wider alles Recht zurück! Haben Sie mich aus dem Healthful-House wegschleppen lassen, damit ich hier die Pflege Thomas Roch's übernehmen soll, so erklär' ich hiermit, darauf nicht einzugehen, und ich verlange von Ihnen, mich zurückzuschicken...«[132]
Das Haupt der Seeräuber macht weder eine Bewegung, noch kommt ein Wort über seine Lippen.
Da übermannt mich der lange verhaltne Ingrimm.
»Antworten Sie, Graf d'Artigas... oder richtiger... denn ich weiß, wer Sie sind... geben Sie Antwort... Ker Karraje!«
Da erwidert er mir:
»Der Graf d'Artigas ist Ker Karraje... ebenso wie der Wärter Gaydon der Ingenieur Simon Hart ist, und Ker Karraje wird dem Ingenieur Simon Hart, der alle seine Geheimnisse kennt, die Freiheit niemals wiedergeben!«
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