Zwölftes Capitel.
Die Rathschläge des Ingenieur Serkö.

[143] Thomas Roch, der nun an die Arbeit gegangen ist, hält sich lange Stunden in dem Schuppen des linken Ufers auf, den er sich als Laboratorium eingerichtet hat und den außer ihm niemand betritt. Höchst wahrscheinlich will er ganz allein seine Präparate herstellen, ohne die Vorschriften dazu preiszugeben. Was die übrigen Vorrichtungen betrifft, die zur Verwendung des Fulgurator Roch nothwendig sind, so dürften sie meiner Meinung nach ziemlich einfach sein. Diese Art Projectil erfordert ja keine Kanone, keinen Mörser und kein Lancierrohr, wie das Zalinski'sche Geschoß. Es ist autopropulsiver Natur, trägt seine Triebkraft in sich selbst, und jedes Schiff, das innerhalb einer gewissen Zone an ihm vorübersegelte, würde schon Gefahr laufen, durch die entsetzliche Störung der Atmosphäre vernichtet zu werden. Was vermöchte jemand noch gegen Ker Karraje, wenn er erst im Besitz eines solchen Zerstörungsmittels wäre?...

Vom 11. bis 17. August. – In dieser Woche hat Thomas Roch seine Arbeit ohne Unterbrechung fortgesetzt. Jeden Morgen begiebt sich der Erfinder nach seinem Laboratorium, aus dem er erst mit anbrechender Nacht zurückkehrt. An einen Versuch, zu ihm zu gelangen und ihn zu sprechen, kann ich gar nicht denken. Obgleich er noch immer für alles, was sich nicht auf seine Arbeit bezieht, ohne jedes Interesse ist, scheint er seiner selbst jetzt doch völlig Herr zu sein.[143]

Warum sollte er auch die Vernunft nicht wieder erlangt haben?... Jetzt muß doch sein Geist die ersehnte Befriedigung gefunden haben, wo er beschäftigt ist, seine von langer Hand vorbereiteten Pläne durchzuführen.

In der Nacht vom 17. zum 18. August. – Um 1 Uhr morgens haben mich Detonationen außerhalb der Höhle aus dem Schlafe aufgeschreckt.

»Bedeutet das einen Angriff auf Back-Cup? hab' ich mich gefragt. Hat man wegen der auffälligen Manöver der Goelette des Grafen d'Artigas Verdacht geschöpft und sie bis zum Eingange der engen Wasserstraße verfolgt?... Versucht man das Eiland durch Geschützfeuer zu zerstören?... Soll die Gerechtigkeit diese Uebelthäter noch ereilen, bevor Thomas Roch seinen Sprengstoff fertig hat und bevor die andern Apparate auf Back-Cup eingetroffen sind?«

Wiederholt und fast in regelmäßigen Zwischenräumen donnern draußen die heftigen Detonationen. Da kommt mir der Gedanke, daß nach einer etwaigen Zerstörung der Goelette »Ebba« jede Verbindung mit dem Festlande abgeschnitten und damit die weitere Verproviantierung des Eilands unmöglich geworden wäre....

Freilich genügte ja der Tug, um den Grafen d'Artigas nach irgend einem Punkte der amerikanischen Küste zu befördern, und an Geld fehlte es diesem nicht, sich eine neue Lustjacht zu verschaffen.... Immerhin! Gott sei gelobt, wenn er nur zuläßt, daß Back-Cup zerstört wird, ehe Ker Karraje den Fulgurator Roch zur Verfügung hat.

Sehr früh am andern Morgen eile ich aus meiner Zelle...

In der Umgebung von Bee-Hive hat sich nichts verändert.

Die Leute widmen sich ihren gewohnten Arbeiten. Der Tug liegt an seinem Ankerplatze. Ich sehe Thomas Roch, der sich nach dem Laboratorium begiebt. Ker Karraje und der Ingenieur Serkö ergehen sich ruhig am Ufer der Lagune. Das Eiland ist in der Nacht keinem Angriffe ausgesetzt gewesen. Und doch hat mich der Lärm sehr naher Detonationen aus dem Schlafe geweckt....

Eben geht Ker Karraje nach seiner Wohnung zurück und der Ingenieur Serkö wendet sich, wie gewöhnlich lächelnd und mit spöttischem Gesichtsausdrucke, nach mir zu.


.Der Wal ist arg verwundet und das Wasser färbt sich röthlich... (S. 140.)
.Der Wal ist arg verwundet und das Wasser färbt sich röthlich... (S. 140.)

»Nun, Herr Simon Hart, beginnt er, haben Sie sich endlich mit dem Leben in dieser stillen Umgebung ausgesöhnt?... Schätzen Sie jetzt die Vorzüge unsrer bezaubernden Grotte nach Verdienst?... Haben Sie auf die Hoffnung[144] verzichtet, heute oder morgen Ihre Freiheit wieder zu erlangen, dieser entzückenden Zufluchtsstätte zu entfliehen?...«

Was hätt' es mir genützt, diesem Spötter gegenüber aufzubrausen? So antworte ich ihm denn mit voller Ruhe:

»Nein, Herr Ingenieur, darauf hab' ich nicht verzichtet, sondern erwarte noch immer, daß man mir meine Freiheit wiedergiebt...

– Wie, Herr Hart? Wir sollten uns von einem Manne trennen, den wir alle hochschätzen... und ich mich von einem Collegen, der vielleicht in der[145] Zeit, wo Thomas Roch geistig noch mehr umnachtet war als jetzt, einen Theil seiner Geheimnisse kennen gelernt hat?... Das kann Ihr Ernst nicht sein!«

Aha, also das ist es, weshalb ihnen daran liegt, mich hier im Kerker von Back-Cup zurückzuhalten!

Sie nehmen an, daß mir die Erfindung Thomas Roch's zum Theile bekannt geworden sei... sie hoffen darauf, mich zum Reden zu zwingen, wenn Thomas Roch sich dessen weigert... Deshalb bin ich mit ihm entführt worden... deshalb haben sie mich noch nicht mit einem Steine am Halse in die Lagune geworfen. Es ist immer gut, das zu wissen.

Auf die letzten Worte des Ingenieur Serkö antworte ich dann:

»Gewiß, es ist mein voller Ernst!

– Nun, erwidert darauf mein Gegenüber, wenn ich die Ehre hätte, der Ingenieur Simon Hart zu sein, so würde ich mir etwa folgendes sagen: In Hinblick einerseits auf die Persönlichkeit Ker Karraje's, auf die Gründe, die ihn veranlaßt haben, einen so geheimen Zufluchtsort wie diese Höhle aufzusuchen, ferner auf die Nothwendigkeit, daß eben diese Höhle jedem Versuche einer Entdeckung entzogen bleibt, und das nicht nur im Interesse des Grafen d'Artigas, sondern auch in dem seiner Genossen...

– Seiner Helfershelfer, bitte... werf' ich ein.

– Meinetwegen, seiner Helfershelfer!... Und andrerseits im Hinblick darauf, daß Sie den wahren Namen des Grafen d'Artigas kennen und wissen, in welchem Panzerschranke seine Schätze verwahrt liegen...

– Geraubte und mit Blut befleckte Schätze, Herr Serkö!

– Ja doch, das mag ja sein!... müssen Sie doch begreifen, daß die Frage nach Ihrer Freiheit niemals nach Ihrem Wunsche gelöst werden kann.«

Das macht jede weitre Auseinandersetzung überflüssig Ich lenke das Gespräch also nach einer andern Seite.

»Darf ich hören, so frage ich, wie Sie erfahren haben, daß der Wärter Gaydon der Ingenieur Simon Hart war?

– O, das kann ich Ihnen wohl mittheilen, lieber Herr College... das verdanken wir eigentlich nur einem Zufalle. Wir unterhielten gewisse Verbindungen mit der Fabrik, in der Sie thätig waren, und erfuhren, daß Sie diese unter auffallenden Umständen verlassen hatten. Bei einem Besuche des Healthful-House, schon mehrere Monate vor dem des Grafen d'Artigas, sah' ich Sie dann dort... erkannte Sie...[146]

– Sie?...

– Ich selbst, und von der Minute an gelobte ich mir, daß Sie mein Reisegefährte an Bord der Goelette »Ebba« werden müßten....«

Ich erinnerte mich zwar nicht, mit Serkö im Healthful-House jemals zusammengetroffen zu sein, immerhin konnte er aber doch die Wahrheit sprechen.

»Hoffentlich, dachte ich für mich, wird Dir dieser Einfall früher oder später noch theuer zu stehen kommen!«

Dann fuhr ich ohne jeden Uebergang fort:

»Irre ich nicht, so haben Sie Thomas Roch vermocht, Ihnen das Geheimniß seines Fulgurators auszuliefern?...

– Ja, Herr Hart, um den Preis von Millionen... O, die Millionen kosten uns ja nur das Wegnehmen!... Wir haben ihm auch die Taschen tüchtig vollgestopft!

– Was werden ihm aber diese Millionen nützen, wenn er nicht frei ist, sie mit hinwegzunehmen, sie nach Belieben zu genießen?

– O, darüber zerbricht er sich den Kopf nicht, Herr Hart. Der geniale Mann macht sich um die Zukunft keine Sorgen!... Er lebt ausschließlich der Gegenwart. Während man da draußen in Amerika die nöthigen Apparate nach seinen Zeichnungen anfertigt, beschäftigt er sich hier mit der Zusammensetzung der verschiednen Chemikalien, womit er überreichlich versorgt ist. Ha... großartig! Dies autopropulsive Geschoß, das seine Fluggeschwindigkeit selbst entwickelt und sie bis zum Eintreffen am Ziele sogar steigert, da es ein besondres Pulver mit zunehmender Verbrennbarkeit enthält.... O, das ist eine Erfindung, bestimmt zur radicalen Aenderung der Kriegführung...

– In der Defensive, Herr Serkö?...

– Und auch in der Offensive, Herr Hart!

– Natürlich,« bestätigte ich ohne Zögern.

Dann setz' ich dem Ingenieur Serkö noch weiter zu und sage:

»Also... was niemand bei Thomas Roch bisher gelingen wollte..

– Ist uns ohne besondre Schwierigkeit gelungen...

– Und Sie zahlten dafür...

– O, einen unglaublich hohen Preis... gleichzeitig schlugen wir in dem Manne aber auch eine höchst empfindliche Saite an.

– Welche Saite?...

– Die der Rache![147]

– Der Rache?... Und gegen wen?

– Gegen Alle, die sich ihn zum Feinde gemacht haben, indem sie ihn entmuthigten, abwiesen, davon trieben, ihn zwangen, von Land zu Land um den Preis für eine Erfindung von so unbestreitbarer Ueberlegenheit zu betteln! Jetzt ist jedes Gefühl von Vaterlandsliebe in ihm erstorben. Er hat nur noch einen Gedanken, eine einzige wilde Begierde, sich an denen, die ihn verkannt haben, ja an der ganzen Menschheit zu rächen. Wahrlich, Herr Hart, von Ihren Regierungen in Europa und Amerika war es ein unverzeihlicher Fehler, den Fulgurator Roch nicht seinem wahren Werth entsprechend bezahlen zu wollen!«

Der Ingenieur Serkö schildert mir nun mit Begeistrung die verschiednen Vorzüge des neuen Sprengstoffs, der, wie er mir sagt, dem, den man aus dem Nitro-Methan gewinnt, indem man ein Atom Natrium einem der drei Atome Wasserstoff substituiert, und von dem man zur Zeit so viel sprach, ganz zweifellos überlegen ist.

»Und welche zerstörende Wirkung! fährt er fort. Sie zeigt sich ähnlich der des Zalinsky'schen Geschosses, übertrifft sie aber hundertfach und erfordert keinen Apparat zum Forttreiben, da der Fulgurator sozusagen mit eignen Flügeln durch die Luft fliegt!«

Ich lauschte gespannt, um vielleicht einen Theil des Geheimnisses zu erspähen. Vergeblich... der Ingenieur Serkö sagte nicht mehr, als er sagen wollte.

»Hat Thomas Roch, fragte ich weiter, Ihnen auch die Zusammensetzung seines Sprengstoffs mitgetheilt?...

– Ja wohl, Herr Hart, und bald werden wir im Besitz beträchtlicher Mengen davon sein, die an sicherm Orte untergebracht werden sollen.

– Ist es aber nicht mit Gefahren verknüpft... mit Gefahren aller Art, solche Massen jenes Stoffes aufzustapeln?... Wenn's nun der Zufall wollte und eine Explosion zerstörte das ganze Eiland von...«

Nochmals war ich nahe daran, mir den Namen Back-Cup entschlüpfen zu lassen. Wenn ich gleichzeitig die Identität Ker Karraje's und die Lage dieser Höhle kannte, fand man Simon Hart vielleicht für besser unterrichtet, als es hier erwünscht war. Glücklicherweise hat der Ingenieur Serkö nicht bemerkt, wie ich mich plötzlich unterbrach, und er antwortet mir ruhig:

»Wir haben nichts zu fürchten. Der Sprengstoff Thomas Roch's kann sich nur mit Hilfe des speciellen Deflagrators entzünden. Weder Nässe noch Feuer vermögen ihn zur Explosion zu bringen.[148]

– Und Thomas Roch hat Ihnen auch das Geheimniß dieses Deflagrators verkauft?...

– Noch nicht, Herr Hart, der Handel ist aber dem Abschluß nahe. Ich wiederhole Ihnen also, es ist keine Gefahr vorhanden und Sie können ruhig schlafen. Zum Kuckuck, wir haben doch auch keine Lust, mit unsrer Höhle und unsern Schätzen in die Luft zu fliegen! Noch wenige gute Jahre, und wir theilen die Beute, die hinreichen wird, jedem ein hübsches Vermögen zu sichern, mit dem er nach Belieben schalten und walten kann... das heißt, nach der Liquidation der Gesellschaft Ker Karraje und Compagnie!... Ich füge auch hinzu, daß wir, wenn wir vor einer unzeitigen Explosion sicher sind, ebensowenig eine Denunciation fürchten... die allein von Ihnen ausgehen könnte, mein lieber Herr Hart! Ich rathe Ihnen also, Ihren Entschluß zu fassen, als praktischer Mann sich hübsch zu fügen und die Auflösung der Gesellschaft abzuwarten. Dann werden wir sehen, was unsre Sicherheit erfordert, soweit Ihre Person dabei in Frage kommt!«

Diese Andeutung klingt nicht grade besonders beruhigend. Freilich, noch ist nicht aller Tage Abend. Aus dem Gespräch behalt' ich aber im Gedächtniß, daß Thomas Roch, wenn er der Gesellschaft Ker Karraje und Compagnie seinen Sprengstoff verkaufte, doch das Geheimniß der Zündmasse für sich behalten hat, ohne die der Sprengstoff ja nicht mehr Werth hat, als der Staub der Landstraße.

Eh' ich dieses Gespräch abbreche, glaub' ich dem Ingenieur Serkö noch eine, übrigens recht nahe liegende Bemerkung machen zu müssen.

»Herr Serkö, sag' ich, Sie kennen jetzt also wirklich die Zusammensetzung des Fulgurator Roch. Gut. Besitzt er aber auch die zerstörende Kraft, die sein Erfinder ihm zuschreibt?... Sind damit schon Versuche angestellt worden?... Haben Sie nicht ein Ding gekauft, das ebenso wirkungslos ist, wie eine Priese Tabak?...

– Vielleicht, Herr Hart, sind Sie darüber besser unterrichtet, als Sie sich den Anschein geben. Ich danke Ihnen indeß für das Interesse, das Sie an unsrer Angelegenheit nehmen. Doch machen Sie sich keine Sorge. In vergangner Nacht haben wir eine Reihe entscheidender Versuche ausgeführt. Nur mit wenigen Gramm jener Substanz wurden dabei gewaltige Felsblöcke unsers Uferlandes zu unfühlbarem Staub verwandelt.«

Diese Erklärung stimmte mit den von mir gehörten Detonationen überein.[149]

»Also, lieber College, fährt der Ingenieur Serkö fort, kann ich Ihnen versichern, daß wir keiner Enttäuschung entgegengehen. Die Wirkung jenes Sprengstoffs übertrifft alle Erwartungen. Mit einer Ladung von mehreren tausend Tonnen wäre er mächtig genug, unser Sphäroid zu zerstückeln und im Weltraume ebenso zu verstreuen, wie jene Bruchstücke des zwischen Mars und Jupiter zersprungenen Planeten. Halten Sie sich versichert, daß er imstande ist, jedes beliebige Fahrzeug in einer Entfernung zu vernichten, die die längste Flugweite der heutigen Geschosse weit übertrifft, und das in der Gefahrenzone von einer guten Seemeile. Der wunde Punkt der Erfindung liegt nur in der Regulierung des Zielens, das zu ändern eine ziemlich lange Zeit beansprucht...«

Der Ingenieur Serkö hält inne, wie Einer, der sich nicht weiter auslassen will, und er setzt dann ablenkend hinzu:

»Ich schließe also, wie ich angefangen habe, Herr Hart, ergeben Sie sich in Ihr Schicksal!... Fügen Sie sich dieser neuen Existenz ohne Hintergedanken. Passen Sie sich den stillen Genüssen unsers unterirdischen Lebens an! Hier bewahrt man seine Gesundheit, wenn sie gut, und stellt sie wieder her, wenn sie erschüttert war. Das hat sich auch bei Ihrem Landsmanne bewahrheitet. Ergeben Sie sich in Ihr Loos... das ist das klügste, was Sie thun können!«

Hiermit verläßt mich der weise Berather, nachdem er mich mit freundschaftlicher Handbewegung begrüßt hat, gleich einem Manne, dessen verbindliche Absichten alle Werthschätzung verdienen. Doch welche Ironie in seinen Worten, in seinen Blicken und in seiner Haltung... und wird es mir je beschieden sein, mich dafür zu rächen?...

Aus der Unterhaltung ist mir jedenfalls hervorgegangen, daß das sichre Treffen des Zieles mancherlei Umstände macht. Wahrscheinlich ist also jener Wirkungskreis von einer Seemeile Durchmesser, in dem der Fulgurator Roch so gefährlich sein soll, nicht leicht zu verlegen, und ein Schiff dürfte jenseit oder diesseit dieser Zone vor dessen Wirkung geschützt sein... O, könnte ich doch Alle, die das angeht, davon unterrichten!...

Am 20. August. – In den letzten zwei Tagen ist nichts Neues vorgekommen. Ich habe meine täglichen Spaziergänge bis zu den äußersten Enden von Back-Cup ausgedehnt. Des Abends, wenn die elektrischen Lampen die lange Perspective der Deckenbögen beleuchten, kann ich mich bei der Betrachtung der Naturwunder dieser, mir zum Gefängniß gewordnen Höhle einer Art religiöser Stimmung nicht erwehren. Uebrigens hab' ich die Hoffnung nicht verloren.[150]

irgendwo in den Wänden einen, den Seeräubern unbekannt gebliebnen Spalt zu entdecken, durch den ich fliehen könnte. Freilich... meine Entweichung würde in Bee-Hive bald bekannt... und ich wieder eingefangen werden... wenn nicht... ja, richtig... das Boot... das Boot der »Ebba«, das draußen in der Bucht angebunden liegt... Wenn ich mich dessen bemächtigen... den Canal passieren... und nach Saint Georges oder Hamilton gelangen könnte...

Am Abend – es mochte gegen neun Uhr sein – hab' ich mich, etwa hundert Meter im Osten von der Lagune, am Fuße eines Pfeilers auf seinem Sandboden hingestreckt. Sehr bald danach vernehme ich in kurzer Entfernung erst das Geräusch von Schritten, dann verschiedne Stimmen.

So gut wie möglich hinter dem felsigen Fuße des Pfeilers versteckt, lausche ich mit gespanntester Aufmerksamkeit.

Die Stimmen erkenne ich leicht genug. Es sind die Ker Karraje's und des Ingenieur Serkö. Die beiden Männer sind stehen geblieben, sie bedienen sich der englischen Sprache, die in Back-Cup meist benützt wird. Ich werde also verstehen können, was sie sprechen.

Aha, von Thomas Roch ist die Rede, oder vielmehr von seinem Fulgurator.

»In acht Tagen, sagt Ker Karraje, denke ich mit der »Ebba« wieder abzufahren und bringe dann die verschiednen Theile, die in der Fabrik in Virginia nun fertig sein müssen, mit zurück....

– Und sobald wir sie haben, fährt der Ingenieur Serkö fort, werde ich an die Montage der Apparate gehen und die Herstellung der Bocklafetten zum Abfeuern in die Hand nehmen. Zuerst werden wir aber eine Arbeit ausführen müssen, die mir unumgänglich erscheint....

– Und worin besteht die?... fragt Ker Karraje.

– Die Wand unsers Eilands zu durchbrechen.

– Die Wand durchbrechen?...

– O, nur mittels eines ganz engen Ganges, den nur ein Mann auf einmal passieren kann, einer Art Stollen, der leicht zu verschließen ist und dessen Ausmündung hinter den Uferfelsen versteckt bleibt.

– Doch wozu, Serkö?

– Ich habe schon häufig über den Vortheil einer andern Verbindung mit dem Ufer, als der durch den unterseeischen Tunnel, nachgedacht. Wer weiß denn, was sich in Zukunft einmal ereignen kann...[151]

– Die Wände sind aber so dick und so außerordentlich hart... bemerkt Ker Karraje.

– Mit wenigen Gramm des Sprengstoffs unsers Roch, antwortet der Ingenieur Serkö, verpflichte ich mich, das Gestein zu so seinem Staub zu zertrümmern, daß man diesen nur noch wegzublasen braucht!«

Der Gegenstand dieses Zwiegesprächs war für mich natürlich von höchstem Interesse, betraf es doch die Herstellung eines Wegs neben dem Tunnel, zwischen dem Innern von Back-Cup und der Außenwelt.

Als mich noch dieser Gedanke erfüllte, erwiderte Ker Karraje:

»Gut, es mag sein, Serkö; und wenn es einmal nöthig würde, Back-Cup zu vertheidigen, die Annäherung eines Schiffs abzuwehren... Das setzt freilich voraus, daß unser Zufluchtsort, sei es durch Zufall oder infolge einer Denunciation bekannt geworden wäre...

– O, wir haben weder einen solchen Zufall noch eine Denunciation zu befürchten, fällt der Ingenieur Serkö ein.

– Durch einen von unsern Leuten gewiß nicht, doch durch jenen Simon Hart...

– Durch ihn! ruft Serkö. Da müßt es ihm doch erst gelungen sein, zu entfliehen... und aus Back-Cup entflieht Keiner!... Ich gestehe übrigens, daß der wackre Mann mich interessiert. Es ist ja doch ein College, und ich kann mich des Verdachts nicht erwehren, daß er von der Erfindung Thomas Roch's mehr weiß, als er ausspricht... Ich werde ihn schon noch vornehmen, so daß wir uns verständigen, indem ich mit ihm über Physik, Mechanik, Ballistik und dergleichen in vertraulicher Weise plaudre.

– Immerhin, erwidert der edelmüthige und feinfühlige Graf d'Artigas, wenn wir erst in Besitz des ganzen Geheimnisses sind, wird es rathsam sein, wir entledigen uns des...

– Dazu haben wir noch Zeit, Ker Karraje...

– Wenn Gott sie Euch läßt, Ihr Elenden!« dachte ich dabei und mußte die Hand auf das hochklopfende Herz drücken.

Und doch, was konnte ich hoffen, wenn nicht die Vorsehung selbst in nächster Zeit hier eingriff?

Das Gespräch nimmt nun eine andre Wendung und Ker Karraje bemerkt:

»Jetzt, wo wir die Zusammensetzung des Sprengstoffes kennen, Serkö, muß uns Thomas Roch um jeden Preis auch die der Zündmasse mittheilen.


 »Der wackre Mann interessiert mich.« (S. 152.)
»Der wackre Mann interessiert mich.« (S. 152.)

– Selbstverständlich, erwidert der Ingenieur Serkö, und ich werde ihn schon dahin zu bringen wissen. Leider verweigert es Thomas Roch, über diesen Gegenstand zu sprechen. Er hat jedoch bereits einige Tropfen der Zündflüssigkeit – denn eine solche ist es – hergestellt, die zur ersten Erprobung des Sprengstoffs dienten, und er wird uns davon mehr liefern, wenn es sich darum handelt, den Gang auszubrechen.

– Das ist ja recht schön, doch für unsre Fahrten auf dem Meere...

– Geduld... Geduld! Wir werden schließlich alle Blitze seines Fulgurators in den Händen haben.

– Bist Du dessen sicher, Serkö?

– Ganz sicher... es handelt sich nur um den Preis, Ker Karraje!«

Mit diesen Worten schloß das Gespräch, und die beiden Männer entfernten sich, glücklicher Weise ohne mich bemerkt zu haben. Wenn der Ingenieur Serkö auch ein klein wenig für einen Collegen eingetreten war, scheint der Graf d'Artigas doch von weniger wohlwollender Gesinnung gegen mich erfüllt zu sein. Bei dem geringsten Verdachte lieg' ich in der Lagune, und wenn ich dann durch den Tunnel gelangte, so wäre es doch nur als Leichnam, den die Ebbeströmung mit hinaustrüge.

Am 21. August. – Am folgenden Tag ging der Ingenieur Serkö an die Auswahl der Stelle an der Wand, wo am besten ein Durchgang so angelegt werden könnte, daß er von außen unsichtbar blieb. Nach eingehender Untersuchung hat er sich zu diesem Zwecke für die nördliche Wand, zehn Meter von den ersten Zellen von Bee-Hive entschieden.

Mich drängt es, diesen Gang vollendet zu sehen Wer weiß, ob er mir nicht ein Entkommen ermöglicht!... Ach, wär' ich doch ein mehr geübter Schwimmer, vielleicht hätte ich versucht, durch den Tunnel zu entweichen, von dem ich die Lage der Mündung genau kenne. Bei Gelegenheit des Kampfes, dessen Schauplatz die Lagune war, hat sich ja, als das Wasser darin unter den letzten krampfhaften Schlägen des Walfisches so stark bewegt wurde, seine obere Oeffnung einen Augenblick gezeigt. Sollte das bei starker Ebbe nach einer Springfluth nicht wieder eintreten? Darauf muß ich Acht haben! Zur Zeit des Neu- und Vollmondes, wenn das Meer unter sein mittleres Niveau am tiefsten sinkt, wär' es doch möglich, daß...

Wozu könnt' es mir aber dienen, das zu beobachten?... Ich weiß es nicht, darf aber dennoch nichts vernachlässigen.

[155] Am 29. August. – Diesen Morgen hab' ich der Abfahrt des Tug beigewohnt. Es handelt sich jedenfalls um die Reise nach einem Hafen Amerikas, um die dort angefertigten Maschinentheile abzuholen.

Der Graf d'Artigas unterhält sich einige Augenblicke mit dem Ingenieur Serkö, der ihn, wie es scheint, diesmal nicht begleiten soll und dem er wohl noch einige, jedenfalls mich betreffende Ermahnungen ans Herz legt. Dann betritt er die Plattform des Fahrzeugs, steigt in dessen Innres hinunter und ihm folgen der Kapitän Spade und die Mannschaft der »Ebba«. Sobald die Luke geschlossen ist, versinkt der Tug unter das Wasser, dessen Oberfläche kurze Zeit von einem schwachen Wirbel bewegt wird.

Die Stunden entfliehen, der Tag vergeht. Da der Tug nach seinem Platze nicht wieder zurückgekehrt ist, schließe ich, daß er die Goelette auf der Reise schleppen... vielleicht auch Schiffe zerstören wird, die ihm auf der Fahrt grade in den Weg kommen...

Immerhin ist anzunehmen, daß die Abwesenheit der Goelette nicht lange dauert. Acht Tage dürften ihr zur Hin- und Rückfahrt genügen.

Die Witterung scheint die »Ebba« übrigens noch begünstigen zu wollen, das entnehme ich der Ruhe der Atmosphäre, die im Innern der Höhle herrscht. Wir haben ja in der Breite der Bermudas-Inseln jetzt die schönste Jahreszeit. O, wenn ich durch die Wände meines Kerkers einen Ausgang entdecken könnte!...

Quelle:
Jules Verne: Vor der Flagge des Vaterlands. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXIX, Wien, Pest, Leipzig 1897, S. 143-153,155-156.
Lizenz:

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