[41] Erst am folgenden Morgen und ohne besondre Eile begannen auf der »Ebba« die Vorbereitungen zur Abfahrt. Von der Spitze des Kais von New-Berne aus konnte man sehen, »wie die Matrosen nach der üblichen Abwaschung des Verdecks die Segel aus ihren Hüllen zogen, unter Leitung des Obersteuermanns[41] Effrondat die Beschlagleinen schießen ließen, die Hißtaue zurichteten und die Boote emporzogen, was auf eine gleich bevorstehende Abfahrt hindeutete.
Um acht Uhr morgens war der Graf d'Artigas noch nicht sichtbar geworden. Sein Begleiter, der Ingenieur Serkö – so bezeichnete man ihn an Bord – hatte seine Cabine noch nicht verlassen. Nur der Kapitän Spade ertheilte den Matrosen schon seine Anordnungen für die sofortige Abreise.
Die »Ebba« war eine Jacht, die zum Schnellsegeln gebaut war, obgleich sie nie an einem Wettsegeln in Nordamerika oder dem Vereinigten Königreiche theilgenommen hatte. Ihre hohen Masten, die große Segelfläche, die Stellung ihrer Raaen, ihr Wasserzug, der eine große Stabilität sicherte, sogar wenn sie unter vollem Segeldrucke stand, ihre am Vordertheile weit vorspringende, am Hintertheile scharf zulaufende Gestalt, ihre wunderbar sein ausgearbeitete Wasserlinie... alles deutete auf ein sehr schnelles, seetüchtiges Fahrzeug, das auch schwererem Wetter leicht zu trotzen vermochte.
Bei starker Brise legte die »Ebba«, selbst sehr scharf am Winde gehalten, doch bequem zwölf Seemeilen in der Stunde zurück.
Segelschiffe sind freilich stets den Launen von Wind und Wetter unterworfen. Tritt Windstille ein, so ist es mit jedem Vorwärtskommen aus. Obwohl sie übrigens denen der Dampfjachten überlegne nautische Eigenschaften besitzen, geht ihnen doch die Sicherheit des Ganges ab, die der Dampf den letzteren verleiht.
Alles in allem genommen scheint es also, daß der Vorrang demjenigen Schiffe gebührt, das die Vortheile des Segels und der Schraube in sich vereinigt. Das war aber jedenfalls nicht die Ansicht des Grafen d'Artigas, da er sich für seine Seereisen, selbst wenn sie über die Grenzen des Atlantischen Oceans hinausgingen, mit einer einfachen Goelette begnügte.
Am heutigen Morgen wehte ein schwacher Wind aus Westen. Die »Ebba« hätte also bequem das Becken der Neuze durchfahren können, um, den Pamplicosund durchquerend, nach einem jener »Inlets« – d. s. enge Wasserstraßen – zu kommen, die die Verbindung zwischen dem Binnensee und dem Meere bilden.
Zwei Stunden später schaukelte die »Ebba« noch immer vor ihren Ankern, deren Ketten sich mit einsetzender Ebbe zu spannen anfingen. Die Goelette hatte sich gedreht und stand jetzt mit dem Hintertheile der Neuzemündung zugewendet. Die kleine Bake, die am Vorabend noch an ihrer Backbordseite schwamm, mußte[42] in der Nacht eingeholt worden sein, denn man gewahrte sie nicht mehr im Plätschern der Strömung.
Plötzlich donnerte in der Entfernung von einer Meile ein Kanonenschuß. Eine leichte Rauchwolke schwebte über den Batterien am Strande. Ihm antworteten einige Detonationen von den Geschützen, die auf den Lidos der schmalen Inseln an der Seeseite aufgestellt waren.
In diesem Augenblick erschienen der Graf d'Artigas und Serkö auf dem Verdeck.
Der Kapitän Spade trat auf sie zu.
»Ein Kanonenschuß... sagte er.
– Den haben wir erwartet, erwiderte der Ingenieur Serkö, leicht die Achseln zuckend.
– Das bedeutet, daß unsre That im Healthful-House entdeckt worden ist, fuhr der Kapitän Spade fort.
– Gewiß, antwortete der Ingenieur Serkö, und jene Schüsse bedeuten den Befehl, die Durchfahrten zu schließen.
– Doch was geht das alles uns an? fragte der Graf d'Artigas ganz ruhig.
– O, nicht das geringste,« versicherte der Ingenieur Serkö.
Der Kapitän Spade hatte Recht gehabt mit seiner Ansicht, daß das Verschwinden Thomas Roch's und seines Wärters dem Personal des Healthful-House zur Stunde bekannt geworden sei.
Der Arzt, der sich am Morgen zur gewöhnlichen Visite nach dem Pavillon Nr. 17 begab, hatte das Zimmer leer gefunden. Von der Sachlage sofort unterrichtet, hatte der Director genaue Nachsuchungen innerhalb der Einfriedigung anstellen lassen. Diese ergaben, daß die Pforte in der Umfassungsmauer, und zwar des Theiles, der sich längs des Hügelfußes hindehnte, zwar verschlossen, der Schlüssel aber nicht im Schlosse war und daß irgend jemand auch die Riegel zurückgeschoben hatte.
So unterlag es keinem Zweifel, daß im Laufe des Abends oder der Nacht eine Entführung durch diese Pforte stattgefunden hatte. Wer diese ins Werk gesetzt haben mochte, davon hatte man vorläufig noch keine Ahnung und noch weniger einen Verdacht auf eine bestimmte Person. Man wußte nur, daß gegen halb acht Uhr am Vorabende einer der Anstaltsärzte Thomas Roch unter einem heftigen Anfalle leidend gesehen hatte. Nach Ertheilung der nöthigen Verordnungen ließ er den Kranken in einem Zustande zurück, in dem ihm[43] jedes Bewußtsein seines Thuns fehlte, als er aus dem Pavillon Nr. 17 wegging und ihn der Wärter Gaydon bis ein Stück in die Seitenallee hinein begleitete.
Was nachher geschehen war, das wußte niemand.
Die Nachricht von dem Raube wurde telegraphisch nach New-Berne und von da nach Raleigh übermittelt. Durch eine Depesche gab der Gouverneur von Nordcarolina sogleich Befehl, durch den Pamplicosund kein Schiff ohne die sorgfältigste Durchsuchung passieren zu lassen. Eine zweite Depesche ordnete an, daß der Stationskreuzer, der »Falcon«, sich unverzüglich zur Ausführung dieser Maßregel fertig zu machen habe. Gleichzeitig ergingen strenge Vorschriften, die Städte und das offne Land der ganzen Provinz genau zu überwachen.
Infolge dieser Verordnungen konnte der Graf d'Artigas auch in der Entfernung von zwei Meilen sehen, daß der »Falcon« sich eiligst zum Verlassen seines Ankerplatzes rüstete. Während der Zeit, die er brauchte, um Dampfdruck zu bekommen, hätte die Goelette davonsegeln können, ohne die Befürchtung – wenigstens in der ersten Stunde – verfolgt zu werden.
»Sollen wir den Anker aufwinden? fragte der Kapitän Spade.
– Ja, da der Wind günstig ist, doch ohne irgend welche Eile merken zu lassen, antwortete der Graf d'Artigas.
– Natürlich, fiel der Ingenieur Serkö ein, werden die Durchfahrten aus dem Pamplicosund jetzt überwacht sein, und kein Schiff wird in See stechen können, ohne den Besuch gewisser Herrn erhalten zu haben, die ebenso neugierig wie indiscret sein dürften.
– Fahren wir dennoch ab, befahl der Graf d'Artigas. Wenn die Officiere des Kreuzers oder die Zollbeamten die »Ebba« nach Belieben durchstöbert haben, wird das Verbot für unser Schiff aufgehoben werden, und ich würde sehr erstaunt sein, wenn man ihm nicht freie Passage gewährte...
– Mit tausend Entschuldigungen und tausend Wünschen für glückliche Reise und baldige Wiederkehr!« setzte der Ingenieur Serkö hinzu, der seine Worte mit längerem Lachen begleitete.
Als die Neuigkeit in New-Berne bekannt wurde, fragte sich die zuständige Behörde zunächst, ob es sich um eine Flucht oder um eine Entführung Thomas Roch's und seines Wärters handeln möge. Da eine Flucht nur mit der Zustimmung Gaydon's ausführbar gewesen wäre, ließ man diesen Gedanken fallen. Nach der Ansicht des Directors und der Anstaltsverwaltung schloß das zeitherige Verhalten des Wärters Gaydon jeden solchen Verdacht aus.[44]
Es kam also nur eine Entführung in Frage, und man kann sich vorstellen, welche Wirkung das in der Stadt hervorbrachte. Wie! Der so streng bewachte französische Erfinder war verschwunden, und mit ihm das Geheimniß jenes Fulgurators, das bisher noch niemand zu lüften vermocht hatte! Das konnte ja die schwerstwiegenden Folgen haben, wenn die Kenntniß der neuen Kriegsmaschine für Amerika unwiederbringlich verloren ging. Wenn man annahm, daß dieser Streich im Interesse einer andern Nation ausgeführt worden war, so konnte diese, während sie Thomas Roch in ihrer Gewalt hatte, ja erfahren, was der Bundesregierung dem Manne zu entlocken nicht hatte gelingen wollen. Vernünftiger Weise konnte man ja gar nicht annehmen, daß die Urheber dieses Menschenraubes nur für Rechnung einer Privatperson gehandelt hätten.
Die angeordneten Maßnahmen erstreckten sich auf die verschiednen Grafschaften von Nordcarolina. Längs aller Straßen und Schienenwege, wie in der Umgebung der Wohnstätten in den Städten und auf dem Lande wurde eine sorgsame Ueberwachung eingerichtet. Das Meer sollte an der ganzen Küste, von Wilmington bis Norfolk, gesperrt werden. Keinem Fahrzeug durfte der Besuch der Officiere oder Beamten erspart bleiben und jedes sollte bei dem geringsten verdächtigen Zeichen vorläufig beschlagnahmt werden. Uebrigens traf nicht allein der »Falcon« Vorbereitungen zum Auslaufen, sondern auch verschiedne Dampfbarkassen, die für den Dienst auf dem Pamplicosund bestimmt sind, durchstreiften diesen bereits nach allen Richtungen hin mit dem Auftrage, alle Handelsschiffe, Lustjachten und Fischerboote gründlich zu durchsuchen, und zwar ebensowohl die, die auf ihrem Ankerplatze liegen blieben, wie die, die im Auslaufen waren.
Die Goelette »Ebba« ging nun eben daran, die Anker zu lichten. Im Ganzen schien sich der Graf d'Artigas wegen der von der Regierung getroffnen Maßregeln nicht die geringste Sorge zu machen, so wenig wie wegen der Folgen, die es für ihn haben konnte, wenn Thomas Roch und sein Wärter Gaydon auf seinem Schiffe gefunden wurden.
Gegen neun Uhr waren die letzten Vorbereitungen vollendet. Die Mannschaft der Goelette drehte schon das Gangspill. Die Ketten rasselten durch die Klüsen, und sobald die Anker senkrecht hingen, wurden schnell die Segel beigesetzt.
Wenige Augenblicke später wendete die »Ebba« unter dem Drucke des Großsegels, des Fock- und des dreieckigen Segels, sowie der beiden Klüver-[45] und der Jagersegel ihren Bug nach Osten, nachdem sie um das linke Ufer der Neuze herumgekommen war.
Etwa fünfundzwanzig Kilometer von New-Berne bildet das Strombecken einen scharfen Winkel von ziemlich gleicher Länge, der in nordwestlicher Richtung verläuft. Nachdem die »Ebba« Croatan und Havelock passiert hatte, erreichte sie dieses Knie und segelte nun, den Wind vom linken Ufer her abfangend, nach Norden zu. Es war elf Uhr geworden, als sie, von der Brise begünstigt und ohne dem Kreuzer oder den Dampfbarkassen begegnet zu sein, die Spitze der Insel Sivan erreichte, jenseit welcher der Pamplicosund sich ausbreitet.
Diese große Wasserfläche mißt von der Insel Sivan bis zum Ende der Insel Roanoke gegen hundert Kilometer. Nach dem Meere zu ist sie von einer Kette langer und schmaler Inseln, ebenso vieler natürlicher Dämme, abgeschlossen, die in südnördlicher Richtung vom Cap Look-out bis zum Cap Hatteras und von diesem bis zum Cap Henri in der Höhe der Stadt Norfolk verlaufen. Letztere liegt schon im Staate Virginien, dem nördlichen Grenznachbar Nordcarolinas.
Der Pamplicosund wird von vielen, auf den Inseln und Eilanden verstreuten Feuern erleuchtet, um die Schiffahrt darauf auch in der Nacht zu ermöglichen. Daher finden die Schiffe, die einen Schutz vor dem zu starken Wogenschlage des Atlantischen Oceans suchen, hier leicht einen sichern Platz mit gutem Ankergrunde.
Zwischen dem Pamplicosund und dem Oceane öffnen sich mehrere Durchfahrten. In der Nähe des Leuchtthurmes der Insel Sivan trennt der Ocracoke-Inlet die Inselkette, oberhalb desselben der Hatteras-Inlet und noch weiter nördlich die drei übrigen, die die Namen Logger-Head, New-Head und Oregon führen.
Bei der von der Goelette eingehaltnen Richtung kam sie auf den Ocracoke-Inlet zu und man mußte annehmen, daß sie diesen zur Durchfahrt benutzen wollte, wenn sie ihre Segelstellung beibehielt.
Der »Falcon« bewachte freilich gerade diesen Theil des Pamplicosundes und visitierte alle Handelsschiffe und Fischerbarken, die aus demselben nach dem Meere zu segelten.
Gegenüber dem Ocracoke-Inlet angelangt, näherte sich die »Ebba« diesem jedoch weder weiter, noch suchte sie den Dampfschaluppen aus dem Wege zu gehen, die auf dem Pamplicosund umherkreuzten. Es hatte den Anschein, als[46] mache die Lustjacht nur eine Morgenspazierfahrt, und sie setzte ihren Weg gemächlich nach der Hatteras-Durchfahrt zu fort.
Ohne Zweifel leiteten den Grafen d'Artigas nur ihm bekannte Gründe, diesen Inlet (eigentlich Einlaß) zu passieren, denn die um ein Viertel anluvende Goelette schlug jetzt den Weg dahin ein.
Bis zu dieser Minute war die »Ebba« weder von Zollbeamten noch von den Officieren des Kreuzers angesprochen worden, obwohl sie nichts that, sich diesen zu entziehen. Uebrigens wär' es auch kaum möglich gewesen, von den Beamten unbemerkt wegzukommen.
Daß ihm behördlicherseits ausnahmsweise zugestanden worden wäre, von der Belästigung durch eine Visitation verschont zu bleiben, und daß man den Grafen d'Artigas vielleicht für eine zu hochstehende Persönlichkeit angesehen hätte, um seine Fahrt auch nur für eine einzige Stunde zu unterbrechen... das war gar nicht anzunehmen, denn von ihm als Fremden, der die Lebensweise eines mit Reichthümern gesegneten großen Herrn führte, wußte eigentlich niemand, wer er war, woher er kam oder wohin er ging.
Die Goelette setzte also, graziösen und schnellen Ganges, ihre Fahrt über das ruhige Wasser fort. Ihre Flagge, ein goldner Halbmond in der Ecke eines rothen Flaggentuchs, flatterte weit ausgebreitet in der Luft.
Der Graf d'Artigas saß auf dem Hinterdeck in einem der Rohrlehnstühle, wie sie an Bord von Lustjachten gebräuchlich sind. Der Ingenieur Serkö und der Kapitän Spade plauderten mit ihm.
»Sie beeilen sich gerade nicht, uns ihren Gruß darzubringen, die Herren Officiere von der Bundesmarine, bemerkte der Ingenieur Serkö.
– Mögen Sie kommen, wann es ihnen beliebt, erwiderte der Graf d'Artigas in sehr gleichgiltigem Tone.
– Ohne Zweifel erwarten sie die »Ebba« am Einlaufe zum Hatteras-Inlet, bemerkte der Kapitän Spade.
– Mir soll's recht sein!« schloß der reiche Jachtbesitzer.
Damit versank er wieder in die phlegmatische Sorglosigkeit, die er gewöhnlich zur Schau trug.
Die Ansicht des Kapitän Spade schien sich zu bestätigen, denn offenbar hielt die »Ebba« auf den genannten Inlet zu. Wenn der »Falcon« noch keine Anstalt traf, sie hier zum Stehen zu bringen, so würde er das jedenfalls thun, wenn sie sich am Eingange der engen Durchfahrt zeigte. Hier war es ganz[47] unmöglich, sich der vorgeschriebnen Durchsuchung zu entziehen, wenn man vom Pamplicosund aus nach dem offnen Meere segeln wollte.
Es hatte auch gar nicht den Anschein, als versuchte die Goelette eine solche zu verhüten. Thomas Roch und Gaydon mußten jedenfalls so sicher versteckt sein, daß die Beamten des Staats sie nicht entdecken konnten.
Diese Annahme war wohl erlaubt; vielleicht hätte der Graf d'Artigas keine so große Zuversicht gezeigt, wenn er gewußt hätte, daß der Kreuzer und die kleinen Zolldampfer auf die »Ebba« ganz besonders aufmerksam gemacht worden waren.
Wirklich hatte der Besuch des Fremden im Healthsul-House ihm eine gewisse Beachtung zugelenkt. Der Director konnte zwar keinerlei verdächtige Ahnung über die Gründe dieses Besuches haben. Doch waren der Pflegling und dessen Wärter nur wenige Stunden nach seinem Weggange aus der Anstalt entführt, in dieser Zeit aber im Pavillon Nr. 17 kein andrer Besuch empfangen worden und niemand mit Thomas Roch zusammengekommen. Jetzt erwachte natürlich der Verdacht, und die Verwaltung fragte sich, ob nicht jene Persönlichkeit ihre Hand bei der Sache im Spiele gehabt habe. Nachdem er sich von der Oertlichkeit und der Lage des Pavillons hinreichend unterrichtet hatte, konnte ja der Begleiter des Grafen d'Artigas die Riegel an der Pforte zurückgeschoben und den Schlüssel an sich genommen haben. So brauchte er nach Dunkelwerden nur in den Park hineinschleichen und die Entführung mußte verhältnißmäßig leicht zu bewerkstelligen gewesen sein, da die »Ebba« höchstens zwei bis drei Kabellängen von der Parkmauer verankert lag.
Diese Verdachtsmomente, die dem Director und dem Personal der Anstalt erst beim Beginn der Untersuchung des Falls vor Augen getreten waren, verstärkten sich, als man die Goelette die Anker lichten und durch das Mündungsbecken der Neuze in der Richtung nach einer der Durchfahrtsstraßen des Pamplicosundes steuern sah.
Hierauf gestützt, erging nun an die Behörden von New-Berne der Befehl, daß der Kreuzer »Falcon« und die Zolldampfer der Goelette »Ebba« folgen, sie vor dem Passieren einer der Verbindungsstraßen anhalten und gründlichst durchsuchen sollten, so daß weder Cabinen, noch Mannschafts- oder Wirthschaftsräume und auch der Laderaum des Schiffes nicht unbesichtigt blieben. Die Weiterfahrt sollte ihr nicht eher gestattet werden, als bis man die Gewißheit hätte, daß Thomas Roch und Gaydon nicht an Bord wären.
[48]
Der Graf d'Artigas mochte wohl kaum ahnen, daß auf ihm ein besondrer Verdacht ruhte und seine Jacht den Officieren und Zollbeamten eigens zur Visitation empfohlen war. Doch selbst wenn er das gewußt hätte, würde sich der so hochmüthige, nichts achtende Besitzer der Jacht darum nicht die mindeste Sorge ge macht haben.
Gegen drei Uhr nachmittags manövrierte die Goelette, die bisher eine Seemeile vom Hatteras-Inlet kreuzte, so, daß sie nach der Mitte der Durchfahrt zulief.
Nachdem er einige seewärts segelnde Fischerbarken durchsucht hatte, wartete der »Falcon« jetzt am Eingange der genannten Wasserstraße. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte die »Ebba« nicht die zwecklose Absicht, unbemerkt zu entkommen oder sich durch schnelles Davonsegeln den Formalitäten zu entziehen, denen sich jetzt alle auf dem Pamplicosund befindlichen Fahrzeuge unterwerfen mußten. Kein einfacher Segler hätte ja die Verfolgung durch ein Kriegsschiff vereiteln können, und wenn die Goelette der Aufforderung zum Gegenbrassen nicht nachgekommen wäre, so hätten wohl eine oder zwei Kugeln hingereicht, sie dazu zu zwingen.
Da stieß ein Boot mit zwei Officieren und zehn Matrosen vom Kreuzer ab und steuerte so, daß es der »Ebba« den Weg verlegen mußte.
Der Graf d'Artigas beobachtete dieses Manöver von dem Platze aus, wo er auf dem Hinterdeck saß und sich ruhig eine Havannacigarre angezündet hatte, mit vollster Gleichgiltigkeit.
Als das Boot nur noch eine halbe Kabellänge entfernt war, erhob sich einer der Leute darin und schwenkte eine Fahne.
»Das Signal zum Anhalten, sagte der Ingenieur Serkö.
– Ja... wirklich, antwortete der Graf d'Artigas.
– Man giebt uns den Befehl, zu warten...
– Nun, so warten wir.«
Der Kapitän Spade ging sofort daran, zu brassen. Die Segel der beiden Masten wurden also so eingestellt, daß der Druck des Windes auf dieselben sich gegenseitig aufhob.
Der Gang der Goelette wurde damit unterbrochen; sie glitt allmählich langsamer dahin und stand endlich soweit still, daß sie nur der Ebbestrom, der durch die Wasserstraße nach dem Meere zu verlief, ein wenig fortbewegte.
Einige Ruderschläge brachten das Boot vom »Falcon« Bord an Bord mit der »Ebba«. Ein Bootshaken wurde in die Rüsten des Großmastes eingelegt.[51]
Die Leiter an der Lücke der Schanzkleidung rollte hinunter und zwei Officiere nebst acht Mann stiegen an Bord, während zwei Matrosen im Boote zurückblieben.
Die Mannschaft der Goelette stellte sich in Ordnung am Vorderkastell auf.
Der höhere Officier von den beiden, ein Schiffslieutenant, trat auf den Eigenthümer der »Ebba«, der sich schon grüßend erhoben hatte, zu, und zwischen den Herren kam es zu folgenden Fragen und Antworten:
»Diese Goelette gehört dem Grafen d'Artigas, den ich wohl die Ehre habe, vor mir zu sehen?
– Ja, Herr Lieutenant.
– Das Schiff heißt?...
– Die »Ebba«.
– Und wird geführt?
– Vom Kapitän Spade.
– Seine Nationalität?...
– Indo-malaiisch.«
Der Officier warf einen Blick nach der Flagge der Goelette, während der Graf d'Artigas fortfuhr:
»Darf ich wohl nach der Veranlassung fragen, Herr Lieutenant, der ich das Vergnügen Ihres Besuchs hier verdanke?
– Es ist Befehl ergangen, erwiderte der Officier, alle Fahrzeuge zu durchsuchen, die zur Zeit auf dem Pamplicosund ankern oder aus diesem wegsegeln wollen.«
Er glaubte nicht hervorheben zu sollen, daß die »Ebba« mehr als jedes andre Fahrzeug der genauesten Durchsuchung unterzogen werden sollte.
»Sie, Herr Graf, verweigern es ohne Zweifel nicht, daß wir...
– O, in keiner Weise, Herr Lieutenant, antwortete der Graf d'Artigas. Meine Goelette steht ganz zu Ihrer Verfügung... vom Top der Masten bis zum Grunde des Laderaums. Ich gestatte mir nur die Frage, weshalb die Fahrzeuge, die sich heute auf dem Pamplicosund befinden, einer so rigorosen Maßregel unterworfen werden.
– Ich habe keine Ursache, Sie darüber im Unklaren zu lassen, Herr Graf, antwortete der Officier, ohne zu zögern. Dem Gouverneur von Carolina ist eine im Healthsul-House vorgekommene Entführung gemeldet worden, und die Regierung will sich überzeugen, daß die entführten Personen nicht im Laufe der Nacht auf ein Schiff gebracht worden sind.[52]
– Wäre das denkbar? sagte der Graf d'Artigas mit dem Ausdrucke der Ueberraschung. Und wer sind die Personen, die aus dem Healthful-House so räthselhaft verschwanden?
– Ein Erfinder, ein halb Irrsinniger, nebst seinem Wächter.
– Ein Irrsinniger, Herr Lieutenant?... Sie meinen doch nicht etwa den Franzosen Thomas Roch?...
– Ganz recht, um den handelt es sich.
– Diesen Thomas Roch hab' ich noch gestern bei einem Besuche der Anstalt gesehen. Ich legte ihm im Beisein des Directors einige Fragen vor und er verfiel, als wir, der Kapitän Spade und ich, ihn verließen, in einen Zustand fast tobsüchtiger Aufregung.«
Der Officier beobachtete den Fremden mit gespannter Aufmerksamkeit. Er bemühte sich offenbar, in dessen Benehmen oder Worten etwas Verdächtiges zu entdecken.
»Das ist doch kaum glaublich!« setzte der Graf d'Artigas hinzu.
Er sagte das so, als ob er jetzt das erste Wort von dem Raube im Healthsul-House hörte.
»Ich begreife, Herr Lieutenant, fuhr er fort, daß sich die Regierung, da es sich um Thomas Roch handelt, sehr beunruhigt fühlt, und ich billige vollständig die Maßregeln, die deshalb getroffen wurden. Es ist wohl überflüssig, Ihnen zu versichern, daß sich weder der Erfinder, noch sein Wärter an Bord der »Ebba« befindet. Uebrigens können Sie sich davon überzeugen, indem Sie die Goelette so eingehend, wie es Ihnen beliebt, durchsuchen. Kapitän Spade, wollen Sie die Herren gefälligst führen!«
Nachdem er den Lieutenant vom »Falcon« dann noch kühl begrüßt hatte, setzte sich der Graf d'Artigas wieder in den Lehnstuhl und rauchte gelassen weiter.
Die beiden Officiere und die acht Matrosen begannen nun, geleitet vom Kapitän Spade, ihre Nachsuchung.
Zuerst begaben sie sich durch die Treppenkappe nach dem Hinterdecksalon. Dieser zeigte eine verschwenderische Ausstattung nebst kostbaren Möbeln, Wandgetäfel aus feinstem Holz, Kunstgegenstände von hohem Werth und Tapeten und Behänge von theuerstem Preise.
Selbstverständlich wurde dieser Salon nebst den anliegenden Cabinen und dem Zimmer des Grafen d'Artigas mit der Sorgfalt durchsucht, die nur die erfahrensten Polizeibeamten hätten anwenden können. Der Kapitän Spade unterstützte[53] übrigens diese Anordnungen, um bei den Officieren nicht den geringsten Verdacht bezüglich des Eigenthümers der »Ebba« aufkommen zu lassen.
Nach dem Salon und den Einzelräumen des Hintertheils kam der reich geschmückte Speisesaal an die Reihe; dann durchsuchte man die Vorrathsräume, die Küche und, im Vordertheile, die Cabinen des Kapitäns Spade und des Obersteuermanns, sowie das »Volkslogis« (d. i. der Schlafraum der Mannschaft), ohne daß weder Thomas Roch noch Gaydon gefunden wurde.
Nun erforderte noch der Schiffs- oder Laderaum nebst seinem Inhalt eine genaue Besichtigung. Nachdem die Lukendeckel abgehoben waren, ließ der Kapitän Spade zwei Schiffslaternen anzünden, um die Durchsuchung zu erleichtern.
Der »Raum« enthielt weiter nichts als Wasserkasten, Proviant jeder Art, Fässer mit Wein, Pipen mit Spiritus, Fäßchen mit Gin, Branntwein und Whisky, Biertonnen, einen Vorrath an Kohlen, und zwar alles in reichlicher Menge, als ob die Goelette eine lange Fahrt vorhätte. Die amerikanischen Matrosen drängten sich auch noch in die Zwischenräume dieser Frachtstücke, zwischen Ballen und Säcke hinein bis zur Wägerung, d. i. die innere Ausschalung des Schiffes... doch alles blieb fruchtlos.
Es erwies sich also als ein Irrthum, daß der Graf d'Artigas verdächtigt worden war, bei der Entführung des Pfleglings und seines Wärters aus dem Healthful-House Antheil gehabt zu haben.
Die Visitation, die etwa zwei Stunden in Anspruch nahm, war ganz ergebnißlos verlaufen.
Gegen halb sechs Uhr erschienen die Officiere und Mannschaften vom »Falcon« wieder auf dem Verdeck der Goelette, nachdem sie deren Innres aufs gewissenhafteste durchsucht und sich überzeugt hatten, daß sich weder Thomas Roch noch Gaydon hier befand. Ueber Deck besichtigten sie ebenso eingehend das Vorderkastell und alle Boote. Damit befestigte sich ihre Ueberzeugung, daß man die »Ebba« in falschem Verdacht gehabt hatte.
Die beiden Officiere hatten sich nur noch vom Grafen d'Artigas zu verabschieden und traten jetzt auf ihn zu.
»Sie werden uns, Herr Graf, freundlichst entschuldigen, Sie so lange belästigt zu haben, begann der Lieutenant.
– O, bitte, meine Herren, Sie kommen ja den Befehlen nach, deren Ausführung Ihnen übertragen war...[54]
– Es handelte sich dabei ja nur um eine unumgängliche Formalität,« glaubte der Officier hinzusetzen zu müssen.
Durch ein leichtes Neigen des Kopfes bezeugte der Graf d'Artigas, daß er diese Antwort in gutem Glauben hinnahm.
»Ich hatte Ihnen schon im voraus versichert, meine Herren, daß ich an jener Entführung unbetheiligt war.
– Wir zweifeln daran nicht im mindesten, Herr Graf. Wir haben nun nur noch an Bord unsers Kreuzers zurückzukehren...
– Ganz wie es Ihnen beliebt... Hat die Goelette »Ebba« nun freie Passage?
– Natürlich.
– Auf Wiedersehen, meine Herren, auf Wiedersehen, denn ich bin ein häufiger Besucher dieses Küstenstrichs und werde jedenfalls in nicht zu ferner Zeit hierher zurückkehren. Dann haben Sie hoffentlich den Urheber dieses Menschenraubes entdeckt und Thomas Roch im Healthsul-House wieder in sichern Gewahrsam gebracht. Das ist im Interesse der Vereinigten Staaten, und ich möchte sagen, der ganzen Menschheit, jedenfalls zu wünschen!«
Nach diesen Worten grüßten die beiden Officiere sehr höflich und der Graf d'Artigas dankte ihnen durch eine leichte Verbeugung.
Der Kapitän Spade begleitete sie bis an den Ausschnitt der Schanzkleidung und die Herren schifften sich mit ihren Leuten wieder ein, um sich nach dem Kreuzer zurück zu begeben, der etwa in zwei Kabellängen von der Wasserstraße zwischen den Inseln wartete.
Auf ein Zeichen des Grafen d'Artigas ließ der Kapitän Spade die Segel wieder wie früher einstellen. Der Wind hatte inzwischen etwas aufgefrischt und die »Ebba« glitt nun schnell auf den Hatteras-Inlet zu.
Eine halbe Stunde später war die Wasserstraße durchmessen und die Jacht steuerte jetzt ins offne Meer hinaus.
Eine Stunde lang ging die Fahrt in ostnordöstlicher Richtung fort. Wie es aber oft vorzukommen pflegt, war von dem vom Lande her wehenden Winde schon einige Seemeilen von der Küste nichts mehr zu spüren. Die »Ebba« blieb still liegen, die Segel schlugen leicht an die Masten, das Steuerruder wirkte nicht mehr und rings umher lag eine glatte, kaum noch gekräuselte Wasserfläche.
Der Kapitän Spade war im Vordertheile auf Ausguck geblieben. Seit dem Verlassen des Inlet schweifte sein Blick einmal über Back- und dann[55] wieder über Steuerbord, als suchte er einen in der Umgebung schwimmenden Gegenstand.
Da rief er plötzlich mit lauter Stimme:
»Alle Segel einziehen!«
In Ausführung dieses Befehls beeilten sich die Matrosen, die Drissen zu lösen und die schlaff herabhängenden Segel an den Raaen und Stangen einzubinden, ohne sie aber in ihre Ueberzüge einzuhüllen.
Der Graf d'Artigas schien fast die Absicht zu hegen, an Ort und Stelle das nächste Tagesgrauen und damit den Morgenwind abzuwarten. Es kommt jedoch selten vor, daß man in derartiger Lage nicht unter Segel bleibt, um den ersten günstigen Lufthauch zu benützen.
Ein Boot wurde aufs Meer hinabgelassen und der Kapitän Spade stieg mit einem Matrosen hinein, der es mittelst eines großen Riemens nach einem Gegenstande hinruderte, welcher nur einige Meter vom Backbord schwamm.
Dieser Gegenstand war eine kleine Bake, ähnlich der, die auf der Neuze schaukelte, als die »Ebba« wenige Kabellängen vom Ufer beim Healthsul-House verankert lag.
Nachdem die Bake sammt einer daran befestigten Sorrleine aufgenommen war, beförderte das Boot sie nach dem Vordertheile der Goelette.
Unter Leitung des Obersteuermanns wurde ein vom Bord herabgelassnes Schlepptau neben der Sorrleine daran befestigt. Dann stiegen der Kapitän Spade und der Matrose nach dem Deck der Goelette hinauf und an einem Dävit derselben wurde das Boot wieder aufgeholt.
Fast augenblicklich spannte sich das Schlepptau scharf an und die »Ebba« glitt, ohne jedes Segel, nach Osten hin mit einer Geschwindigkeit, die mindestens zwölf Seemeilen in der Stunde betragen mußte.
Jetzt war es dunkle Nacht und die Feuer von der amerikanischen Küste verschwanden bald unter den Dunstmassen des Horizonts.[56]
Buchempfehlung
In einem belebten Café plaudert der Neffe des bekannten Komponisten Rameau mit dem Erzähler über die unauflösliche Widersprüchlichkeit von Individuum und Gesellschaft, von Kunst und Moral. Der Text erschien zuerst 1805 in der deutschen Übersetzung von Goethe, das französische Original galt lange als verschollen, bis es 1891 - 130 Jahre nach seiner Entstehung - durch Zufall in einem Pariser Antiquariat entdeckt wurde.
74 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro