Achtes Capitel.
Back-Cup.

[95] Meiner Ansicht nach hat die »Ebba« in diesem Theile des Atlantischen Oceans auf keine andre Inselgruppe als auf die der Bermudas treffen können. Das ergiebt sich schon aus der von der amerikanischen Küste aus durchmessnen Entfernung und aus der Richtung, die wir vom Pamplicosund an eingehalten haben. Diese Richtung war stets eine südöstliche, und die Entfernung mag, nach der Fahrgeschwindigkeit beurtheilt, gegen neunhundert bis tausend Kilometer betragen.

Die Goelette hat ihre Fahrt noch nicht verlangsamt. Der Graf d'Artigas und der Ingenieur Serkö bleiben auf dem Hintertheile, nahe bei dem Mann am Steuer. Der Kapitän Spade hat sich nach dem Vorderdeck begeben.

Werden wir nun an diesem scheinbar isolierten Eiland vorüberfahren und es im Westen liegen lassen?

Das ist nicht wahrscheinlich, da ja Tag und Stunde der für die Ankunft der »Ebba« in ihrem Heimathafen bezeichneten Zeit zutreffen.

Schon halten sich die Matrosen, bereit zu ihrer Arbeit, auf dem Verdeck und der Obersteuermann Effrondat trifft die ersten Maßregeln zu einer bevorstehenden Landung oder Verankerung des Schiffes.

Vor zwei Uhr werd' ich wissen, woran ich mich zu halten habe, und damit die erste Antwort auf die Fragen finden, die mich beschäftigt haben, seit die Goelette jetzt auf dem Meere schwimmt.


Von einer Wache wird Land in Sicht gemeldet. (S. 94.)
Von einer Wache wird Land in Sicht gemeldet. (S. 94.)

Und doch ist es so unwahrscheinlich, daß der Heimathafen der »Ebba« grade an einer der Bermudas-In seln, also auf britischem Gebiete läge, wenigstens[95] wenn der Graf d'Artigas den Thomas Roch nicht zu Gunsten Großbritanniens entführt hat... eine Hypothese, die kaum zulässig erscheint.


Back-Cup, das als vereinzelter höherer Felsblock... (S. 101.)
Back-Cup, das als vereinzelter höherer Felsblock... (S. 101.)

Unzweifelhaft ist es, daß der seltsame Mann mich jetzt mit merkwürdiger Beharrlichkeit im Auge behält. Obgleich er nicht ahnen kann, daß ich der Ingenieur Simon Hart bin, wird er sich doch fragen, was ich von diesem Abenteuer wohl denken mag. Ist der Wärter Gaydon auch nur ein armer Teufel, so wird sich dieser arme Teufel doch ebenso gut darum Sorge machen, was ihm nun bevorsteht, wie sonst welcher vornehme Herr, und wäre das auch der Besitzer[96] dieser phantastischen Lustjacht selbst. Immerhin bin ich etwas erstaunt, ja unruhig über die Zähigkeit, womit jener durchdringende Blick sich an mich heftet.

Und wenn der Graf d'Artigas hätte errathen können, inwieweit mir jetzt über etwas ein Licht aufging... ich weiß nicht, ob er gezögert hätte, mich einfach über Bord werfen zu lassen.

Die Klugheit gebietet mir, jetzt vorsichtiger als je zu sein.

Ohne daß ich Anlaß zu einem Verdachte – nicht einmal dem fein beobachtenden und scharfsinnigen Ingenieur Serkö gegenüber – gegeben hätte, ist[97] jetzt doch eine Ecke des geheimnißvollen Schleiers für mich zurückgeschlagen und allmählich dämmert in meinen Augen die nächste Zukunft.

Mit der Annäherung der »Ebba« haben sich die Formen dieser Insel, oder richtiger dieses Eilands, worauf sie zusteuert, am hellen Himmelsgrunde immer klarer abgezeichnet. Die Sonne, die ihren Culminationspunkt schon überschritten hat, badet seine Westseite in glänzendem Lichte. Das Eiland liegt ganz vereinzelt, wenigstens entdecke ich, weder im Norden noch im Süden, eine Gruppe, zu der es gehörte. Mit der abnehmenden Entfernung erweitert sich der Gesichtswinkel, worunter es erscheint, während der Horizont hinter ihm herabsinkt.

Das merkwürdig aufgethürmte Eiland bildet ziemlich genau die Form einer umgekehrten Tasse, aus deren Boden rauchiger Dampf emporwirbelt. Sein Gipfel – also der Boden der Tasse, wenn man so sagen will – erhebt sich etwa hundert Meter über die Meeresfläche, und seine Seiten zeigen gleichmäßig steile Abhänge, die ebenso kahl erscheinen, wie die Felsmassen am Fuße, gegen die eine donnernde Brandung anläuft.

Eine besondre Eigenthümlichkeit macht dieses Eiland aber den von Westen kommenden Seefahrern um so leichter erkennbar, nämlich eine durchbrochne Felsmasse. Der natürliche Bogen scheint den Henkel jener Tasse zu bilden und läßt die Wogen wirbelnd hindurchströmen und die Strahlen der Sonne hindurchscheinen, wenn ihre Scheibe sich am östlichen Horizonte erhebt. Unter solchen Umständen gesehen, rechtfertigt das Eiland den ihm beigelegten Namen Back-Cup vollständig.

Nun, dieses Eiland kenne ich... erkenne ich wieder! Es liegt noch vor dem Archipel der Bermudas. Es ist die »Umgekehrte Tasse«, die ich vor einigen Jahren zu besuchen Gelegenheit hatte... Nein, ich täusche mich nicht!.. Damals hat mein Fuß jene Kalkfelsen betreten und ich habe das Stückchen Land von der Ostseite her umwandert. Ja... ja... das ist Back-Cup.

Bei geringerer Selbstbeherrschung hätte ich wohl einen Ruf der Ueberraschung und... der Befriedigung ausgestoßen, über den sich der Graf d'Artigas mit vollem Rechte beunruhigt hätte.

Ich will hier kurz die Umstände schildern, unter denen ich zur Zeit meines Verweilens auf den Bermudas das Eiland Back-Cup näher kennen lernte.

Dieser etwa tausend Kilometer von Nordcarolina gelegne Archipel besteht aus zweihundert Inseln und Eilanden. In seiner Mitte kreuzen sich der vierundsechzigste Längengrad westlich von Greenwich und der zweiunddreißigste Grad[98] nördlicher Breite. Seit dem Schiffbruche des Engländers Somers, der 1609 hier strandete, gehören die Bermudas zum Vereinigten Königreiche, dessen Colonialbevölkerung infolge dessen allmählich bis auf zehntausend Seelen angewachsen ist.

Um ihrer Bodenerzeugnisse an Baumwolle, Kaffee, Indigo, Arrowroot u. dgl. willen, hat England diese Gruppe nicht in Besitz genommen, man könnte sagen, »gekapert«. Sie bot aber, wegen ihrer den Vereinigten Staaten von Nordamerika nahen Lage eine sehr willkommene Marinestation. Die Besitzergreifung vollzog sich ohne Einspruch fremder Mächte, und die Bermudas werden noch heutzutage von einem britischen Gouverneur mit Hilfe eines Rathscollegiums und einer Generalversammlung verwaltet.

Die Hauptinseln des Archipels führen den Namen Saint-David, Somerset, Hamilton und Saint-Georges. Letztere Insel besitzt einen Freihafen, und die gleichnamige Stadt ist auch die Hauptstadt der Gruppe.

Die größte dieser Inseln erreicht nicht über fünfundzwanzig Kilometer Länge bei vier Kilometer Breite. Wenn man noch die mittleren abzieht, bleibt nur ein Haufen von Eilanden und Rissen übrig, die über ein Gebiet von fünfzig Quadratkilometern zerstreut liegen.

Wenn das Klima der Bermudas auch mild und heilsam ist, so werden die Inseln doch von den heftigen Winterstürmen des Atlantischen Oceans heimgesucht, und meist ist es recht schwierig, hier zu landen.

Was dem Archipel gänzlich fehlt, sind Flüsse und Bäche. Da hier aber sehr oft Regen fällt, hat man jedem Wassermangel dadurch abgeholfen, daß man die Niederschläge für die Bedürfnisse der Bewohner und für culturelle Zwecke auffängt. Das hat die Anlage gewaltiger Cisternen nöthig gemacht, die die Platzregen mit unerschöpflicher Freigebigkeit anfüllen. Diese Werke verdienen gerechte Bewundrung und machen dem menschlichen Geiste alle Ehre.

Grade die Anlage dieser Cisternen und die Begierde, die schönen Arbeiten zu sehen, hatte jener Zeit meine Reise hierher veranlaßt.

Ich erhielt von der Gesellschaft in New-Jersey, bei der ich als Ingenieur thätig war, auf einige Wochen Urlaub, reiste ab und schiffte mich in New-York nach den Bermudas ein.

Während ich mich dann auf der Insel Hamilton aufhielt, wo ich in dem großen Hafenplatze wohnte, traf ein Naturereigniß ein, das jedenfalls die Geologen interessieren mußte.[99]

Eines Tags sah man nämlich eine ganze Flottille von Fischerbooten, mit Männern, Frauen und Kindern besetzt, einlaufen, die im Southampton-Harbour Zuflucht suchten. Seit fünfzig Jahren waren die Leute auf dem östlichen Ufergelände von Back-Cup angesiedelt gewesen. Hier hatte man Holzhütten und steinerne Häuser errichtet. Die Leute befanden sich da in sehr günstiger Lage, das fischreiche Wasser auszubeuten, vorzüglich Pottfische zu fangen, die in der Nähe der Bermudas in den Monaten März und April sehr zahlreich vorkommen.

Nichts hatte bis dahin die Ruhe und Gewerbsthätigkeit der Fischer gestört. Sie beschwerten sich nicht über ihre harte Existenz, die durch den leichten Verkehr mit Hamilton und Saint-Georges einigermaßen gemildert wurde. Ihre soliden, als Kutter getakelten Fahrzeuge führten Fische aus und dafür verschiedne Dinge, die zum Familienunterhalt nöthig waren, wieder ein.

Warum also hatten sie dieses Eiland überhaupt und, wie bald bekannt wurde, mit der Absicht verlassen, nicht wieder dahin zurückzukehren?... Das kam daher, daß ihre Sicherheit dort nicht mehr wie früher gewährleistet war.

Zwei Monate vorher waren die Leute nämlich zuerst überrascht und dann geänstigt worden, als sie im Innern von Back-Cup dumpfe Detonationen vernahmen. Gleichzeitig umgab sich der Gipfel des Eilands – sagen wir: der Tassenboden – mit Rauch und Flammen. Daß dieser Felsblock vulcanischen Ursprungs war und sein Gipfel einen Krater bildete, vermuthete kein Mensch, denn seine Abhänge fielen so schroff herab, daß ein Erklimmen derselben unmöglich gewesen wäre. Jetzt konnte freilich niemand mehr daran zweifeln, daß Back-Cup ein alter Vulcan war, der die Ansiedlung an seinem Fuße mit einem nahe bevorstehenden Ausbruch bedrohte.

Im Laufe dieser beiden Monate nahm das Getöse im Innern immer mehr zu; es kam schon zu Stößen, die das ganze Rückgrat des Eilands erschütterten, aus dem Gipfel schossen, vorzüglich in der Nacht, unter Donnerrollen Flammen empor, kurz, es häuften sich die Anzeichen plutonischer Thätigkeit in der unter der Meeresfläche liegenden Grundveste, die alle einen nahe bevorstehenden Ausbruch erwarten ließen.

Da sich die Fischer nun einer drohenden Katastrophe ausgesetzt sahen, bei der ihnen das Ufergelände keinerlei Schutz gegen etwaige Lavaströme bot, und da sie sogar eine vollständige Zerstörung Back-Cups befürchten konnten, zögerten sie nicht länger, von hier zu entfliehen. All ihr Hab und Gut schafften[100] sie auf die Fischerbarken und fuhren mit Kind und Kegel ab, um im Southampton-Harbour Zuflucht zu suchen.

Auf den Bermudas erschrak man nicht wenig über die Nachricht, daß ein seit Jahrhunderten erloschner Vulcan am Westende der Gruppe jetzt zu neuer Thätigkeit erwacht sei. Doch während die Einen erschraken, regte sich in Andern eine begreifliche Neugier. Uebrigens verlohnte es sich ja, die Erscheinung genauer zu beobachten, um die Ueberzeugung zu gewinnen, daß die Fischer bei ihrer Darstellung der Sache nicht übertrieben hatten.

Back-Cup, das als vereinzelter höherer Felsblock im Westen des Archipels aufragt, steht mit diesem durch eine regellose Reihe, von Osten her unzugänglicher Eilande und Klippen in Verbindung. Da sein Gipfel nur gegen hundert Meter hoch ist, kann man es weder von Saint-Georges noch von Hamilton aus sehen.

Ein Kutter brachte uns, einige Naturforscher und mich, vom Southampton-Harbour aus nach dem Uferlande, auf dem die verlassnen Hütten der bermudischen Fischer standen.

Das Krachen im Berginnern war noch immer hörbar und aus dem Krater wirbelte eine Dampfwolke hervor.

Für uns gab es nun keinen Zweifel mehr: der alte Vulcan von Back-Cup hatte sich am feurigen Erdinnern sozusagen wiederum entzündet, und man mußte von einem Tag zum andern befürchten, daß es zu einer Eruption mit allen ihren gewöhnlichen Folgen kommen werde.

Vergeblich versuchten wir nach der Mündung des Vulcans zu gelangen. Der Aufstieg erwies sich als unmöglich, denn die steilen, glatten und schlüpfrigen Abhänge boten Hand und Fuß keinen Halt, stiegen sie doch bis zu einem Winkel von achtzig Graden an. Nie hatte ich etwas Oederes gesehen, als diese Felsenwand, auf der nur vereinzelt etwas wilder Klee an Stellen nistete, wo sich eine dürftige Humusschicht gebildet hatte.

Nach vielen fruchtlosen Versuchen wollten wir das Eiland wenigstens umwandern. Doch außer dem Theile, wo die Fischer früher ihre Hütten errichtet hatten, erwies sich der Fuß des Blocks im Norden, Süden und Westen wegen abgestürzter Felstrümmer fast ganz ungangbar.

Die Erforschung der Verhältnisse auf dem Eilande beschränkte sich also auf diese dürftige Besichtigung. Wenn man aber die mit Rauch gemischten Flammen sah, die aus dem Krater aufloderten, und das dumpfe Rollen nebst gelegentlichen[101] Detonationen, die das ganze Gefüge des Felsblocks erschütterten, hörte, dann mußte man billigen, daß die Fischer das Eiland angesichts seiner bevorstehenden Zerstörung verlassen hatten.

Das waren die Umstände, die mich zu dem früheren Besuche Back-Cups veranlaßten, und es ist wohl nicht zu verwundern, daß ich ihm, seit mir sein seltsamer Aufbau bekannt wurde, diesen Namen beilegen konnte.

Doch, ich wiederhol' es, dem Grafen d'Artigas wäre es gewiß unlieb gewesen, daß der Wärter Gaydon dieses Eiland wieder erkannte... wenigstens wenn die »Ebba« hier landen sollte, was mir mangels eines Hafens freilich nicht annehmbar erschien.

Während der Weiterfahrt der Goelette betrachte ich mir Back-Cup, wohin seit jenem fluchtartigen Auszuge kein Bermudier hat zurückkehren wollen. Das Fischerdorf ist vollständig verlassen, und ich kann mir nicht erklären, daß die »Ebba« hier liegen bleiben sollte.

Vielleicht haben der Graf d'Artigas und seine Begleiter auch gar nicht die Absicht, hier ans Land zu gehen. Selbst für den Fall, daß die Goelette zwischen den Felsen in einer engen Bucht zeitweilige Unterkunft fände, kann doch ein reicher Jachtbesitzer nicht auf den Einfall kommen, auf diesem kahlen Felsblocke, der im Bereiche der furchtbaren westatlantischen Stürme liegt, seinen Wohnsitz aufzuschlagen.

Hier zu leben, das mag sich wohl für wetterfeste Fischer eignen, doch nicht für den Grafen d'Artigas, den Ingenieur Serkö, den Kapitän Spade und deren Begleiter.

Back-Cup ist jetzt keine halbe Seemeile mehr entfernt. Es bietet nicht den lachenden Anblick, wie die andern Inseln der Gruppe mit dem üppigen Grün ihrer Hügel. Kaum wurzeln in einzelnen Gesteinsfalten ein paar dürftige Wachholderbüsche und einige magre Exemplare der Cedern, die den Hauptreichthum der Bermudas bilden. Dagegen sind die Felsen am Fuße mit einer dichten Lage von Tang und Varec bedeckt, die von den anschlagenden Wellen hierher getragen wurden, oder auch mit fadenförmigen Pflanzengebilden, mit unzähligen Sargassos aus dem gleichnamigen »Meere« zwischen den Canarien und den Inseln des Grünen Vorgebirges, wovon die Strömungen ungeheure Mengen auf die Klippen von Back-Cup warfen.

Was die Bewohner des isolierten Eilands angeht, so beschränken sie sich auf wenige Vogelarten, wie Dompfaffen, »Mota cyllas cyalis« mit bläulichem[102] Gefieder, während ungeheure Schwärme von Möven und Seeschwalben eiligen Flugs durch die wirbelnden Dämpfe aus dem Krater streichen.

Als die Goelette nur noch zwei Kabellängen vom Ufer entfernt ist, verlangsamt sie ihre Fahrt, »stoppt« sie – das wäre das richtige Wort – und hält am Eingange einer Wasserstraße an, die sich mitten zwischen vielen, die Meeresfläche kaum überragenden Felsen hinzieht.

Ich frage mich, ob sich die »Ebba« wohl in diesen gefährlichen, vielfach gewundnen Canal wagen werde.

Nein; am wahrscheinlichsten dürfte es sein, daß sie nach einem Aufenthalt von einigen Stunden – dessen Zweck ich übrigens nicht begreife – ihre Fahrt nach Osten wieder aufnehmen wird.

Jedenfalls sehe ich nichts, was auf eine Verankerung des Schiffes hindeutete. Im Gegentheil, die Anker ruhen noch auf ihren Krahnbalken, die Ketten sind nicht zurecht gelegt und die Mannschaft macht sich nicht fertig, die Boote aufs Meer hinabzulassen.

Da begeben sich der Graf d'Artigas, der Ingenieur Serkö und der Kapitän Spade nach dem Vorderdeck, und hier entwickelt sich ein Vorgang, der mir unerklärlich ist. Ich folge ebenfalls der Schanzkleidung des Backbords bis zur Höhe des Fockmastes und bemerke von hier aus eine kleine Bake, die einer der Matrosen auf das Vordertheil zu hissen beschäftigt ist.

Fast gleichzeitig wird das an dieser Stelle sonst recht klare Wasser dunkler, und mir scheint es, als ob eine große, schwarze Masse vom Grund aufstiege. Sollte es ein mächtiger Pottfisch sein, der über dem Wasser einmal Athem schöpfen wollte, und wäre die »Ebba« vielleicht von einem furchtbaren Schlage seines Schwanzes bedroht?

Doch halt... jetzt begreife ich... jetzt weiß ich, woher die Kraft kommt, die der Goelette auch ohne Segel oder Schraube ihre große Geschwindigkeit verleiht. Eben taucht der unermüdliche Schlepper empor, nachdem er jene von der amerikanischen Küste bis zu den Bermudas-Inseln befördert hat... Da schwimmt er schon an ihrer Seite!... Es ist ein versenkbares Fahrzeug, ein unterseeischer Remorqueur, ein »Tug«, der durch einen elektrischen Strom, entweder aus einer Accumulatorenbatterie oder einer mächtigen Elementensäule, wie sie zur Zeit im Gebrauch waren, mittelst einer Schraube bewegt wurde.

Auf dem obern Theile dieses Tug – einer langen Spindel aus Eisenblech – befindet sich eine schmale Plattform, in deren Mitte eine Luke den Zugang[103] nach dem Innern bildet. Vorn auf der Plattform springt ein Periskop, ein »Look-out« (Ausguck), ein Behälter hervor, dessen mit Linsengläsern geschlossne Seiten die elektrische Durchleuchtung des umgebenden Wassers gestatten.


Die Luke ist geöffnet worden... (S. 106.)
Die Luke ist geöffnet worden... (S. 106.)

Jetzt ist der um seinen Wasserballast erleichterte Tug nach der Oberfläche gekommen. Die Luke wird sich öffnen und frische Luft in das Innre eindringen. Vielleicht bleibt er auch nur am Tage unter Wasser und schleppt die »Ebba« in der Nacht, während er selbst an der Oberfläche hingleitet.


Leute im Boote schleppen die Goelette langsam dahin. (S. 106.)
Leute im Boote schleppen die Goelette langsam dahin. (S. 106.)

[104] Doch... eine Frage! Wenn es die Elektricität ist, die dem Tug seine mechanische Kraft verleiht, so muß ihm doch von irgendwo her die Energie geliefert wer den, aus welcher Quelle diese auch stammen möge. Wo befindet sich nun diese Erzeugungsstelle? Doch wohl nicht auf dem Back-Cup-Eilande...?

Und warum bedient sich die Goelette überhaupt dieses unterseeischen Schleppers? Warum birgt sie nicht selbst die eigne Antriebsmaschinerie, wie so viele andre Lustjachten?[105]

Ich habe in diesem Augenblick aber keine Muße, darüber nachzudenken oder vielmehr nach der Erklärung so vieler unerklärlichen Dinge zu grübeln.

Der Tug liegt nun längsschiffs der »Ebba«. Die Luke ist geöffnet worden und mehrere Leute sind auf der Plattform erschienen, die Mannschaft des unterseeischen Fahrzeugs, mit dem der Kapitän Spade durch den Signalapparat auf dem Vorderdeck der Goelette in Verbindung treten kann, die mittelst Drahtseils mit dem Tug verbunden ist. Offenbar geht die Bestimmung des einzuhaltenden Curses von der »Ebba« aus.

Jetzt tritt der Ingenieur Serkö an mich heran mit dem einzigen Worte:

»Einsteigen!

– Einsteigen?... wiederhole ich verwundert.

– Ja... in den Tug... nur schnell!«

Wie gewöhnlich, hab' ich solchem befehlerischen Ansinnen nur zu gehorchen und klettre schon über die Schanzkleidung.

In diesem Augenblick betritt Thomas Roch in Begleitung eines der Leute das Verdeck. Er erscheint mir sehr ruhig, auch höchst gleichgiltig und setzt seiner Ueberführung nach dem Schlepper keinerlei Widerstand entgegen. Als er sich nahe der Lukenöffnung bei mir befindet, kommen auch der Graf d'Artigas und der Ingenieur Serkö hinzu.

Der Kapitän Spade und die Mannschaft verbleiben auf der Goelette, bis auf vier Mann, die ins kleine Boot hinunter steigen, das aufs Meer gesetzt worden ist. Diese Leute ziehen eine lange Trosse nach, die vielleicht bestimmt ist, die »Ebba« durch die Risse hin zu ziehen. Es giebt also zwischen den Felsen doch wohl eine Bucht, wo die Jacht des Grafen d'Artigas vor Sturm und Unwetter Schutz findet, eine Bucht, die also gleichsam ihren Heimathafen bildet.

Nach Trennung der »Ebba« vom Tug spannt sich die sie mit dem Boote verbindende Trosse an, und eine halbe Kabellänge weiter hin sollen sie die Matrosen an eisernen, auf diesem Riff versenkten Pfeilern vertäuen. Jetzt schleppen die Leute im Boote die Goelette langsam dahin.

Wenige Minuten später ist die »Ebba« hinter einer Felsenmasse verschwunden und jedenfalls kann man von der Seeseite her nicht einmal ihre Mastspitzen erblicken.

Wer auf den Bermudas könnte ahnen, daß ein Fahrzeug in dieser verborgnen Bucht anzulegen pflegte? Und wer in Amerika würde vermuthen, daß[106] der reiche, in allen Häfen des Westens bekannte Jachtbesitzer ein Bewohner der Einöden von Back-Cup wäre?

Zwanzig Minuten später kommt das Boot wieder an den Tug heran und bringt die vier Leute zurück.

Es liegt auf der Hand, daß das unterseeische Fahrzeug auf sie wartete, ehe es weiter ging, um... wohin, ja, wohin zu gehen?...

In der That besteigt die Bootsmannschaft die Plattform, das Boot selbst wird ins Schlepptau genommen, es entsteht eine Bewegung, die Schraube arbeitet mäßig schnell und der Tug bewegt sich, die Risse im Süden umschiffend, auf Back-Cup zu.

Wenige Kabellängen von der ersten zeigt sich eine zweite, nach dem Eiland führende Wasserstraße, deren Windungen der Tug folgt. Kaum noch ein Dutzend Faden von den ersten Ausläufern des Felsens entfernt, hält er an.

Zwei Mann erhalten Befehl, das Boot auf einen schmalen, sandigen Strand zu ziehen, wo weder Wogen noch Brandung hinaufdringen können und es im Fall des Bedarfs, oder wenn die »Ebba« wieder auslaufen soll, leicht flott zu machen ist.

Die beiden Matrosen besteigen darauf den Tug, und der Ingenieur Serkö giebt mir ein Zeichen, mich ins Innere hinunter zu begeben.

Wenige Stufen einer eisernen Treppe führen hier nach einem Mittelraume, in dem verschiedne Colli und Ballen lagern, die in dem jedenfalls überfüllten Raume hatten keinen Platz finden können. Ich werde nach einer Seitencabine genöthigt, deren Thür sich hinter mir schließt, und wiederum befinde ich mich in völliger Finsterniß.

Ich habe diese Cabine gleich beim Eintreten wieder erkannt. Es ist derselbe Raum, worin ich nach der Entführung aus dem Healthful-House so lange Stunden verbracht habe und den ich erst, nachdem wir über den Pamplicosund hinaus waren, verlassen durfte.

Offenbar muß sich Thomas Roch in der nämlichen Lage wie ich befinden und wird in einer andern Abtheilung untergebracht sein.

Jetzt läßt sich ein metallisches Geräusch vernehmen. Die Luke wird geschlossen und der Apparat wird gleich untertauchen.

Wirklich fühle ich sehr bald eine absteigende Bewegung, die gewiß durch das Einströmenlassen von Wasser in einen Behälter des Tug hervorgebracht wird.[107]

Dieser Bewegung folgt eine andre, eine Treibbewegung, die das submarine Boot durch das Wasser hingleiten läßt.

Drei Minuten später stoppt dieses und ich habe die Empfindung, als ob wir wieder zur Oberfläche emporstiegen...

Ein wiederholtes Geräusch an der Luke, die jetzt geöffnet wird.

Die Thür meiner Cabine geht ebenfalls auf und mit ein paar Sprüngen befinde ich mich auf der Plattform.

Ich sehe mich um...

Der Tug ist... ins Innre von Back-Cup eingedrungen. Hier ist die geheime Zufluchtsstätte, wo der Graf d'Artigas mit seinen Begleitern lebt und sich – so zu sagen – außerhalb der Menschheit aufhält.

Quelle:
Jules Verne: Vor der Flagge des Vaterlands. Bekannte und unbekannte Welten. Abenteuerliche Reisen von Julius Verne, Band LXIX, Wien, Pest, Leipzig 1897, S. 95-108.
Lizenz:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Fantasiestücke in Callots Manier

Fantasiestücke in Callots Manier

Als E.T.A. Hoffmann 1813 in Bamberg Arbeiten des französischen Kupferstechers Jacques Callot sieht, fühlt er sich unmittelbar hingezogen zu diesen »sonderbaren, fantastischen Blättern« und widmet ihrem Schöpfer die einleitende Hommage seiner ersten Buchveröffentlichung, mit der ihm 1814 der Durchbruch als Dichter gelingt. Enthalten sind u.a. diese Erzählungen: Ritter Gluck, Don Juan, Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza, Der Magnetiseur, Der goldne Topf, Die Abenteuer der Silvester-Nacht

282 Seiten, 13.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon