[84] Wem anders konnte diese nicht näher zu bezeichnende Tat zugeschrieben werden, als demjenigen, welcher einen bestimmten Zweck damit verfolgte? Sollten diesem ersten Angriff andere mit größerer Tragweite folgen? War er, wie wir mit Bestimmtheit annahmen, nur der Anfang der prophezeiten Feindseligkeiten gegen die Familie Roderich?
Der Doktor war sofort beim ersten Verschwinden der Vermählungsverkündigung von seinem Sohn benachrichtigt worden, welcher gleich darauf zu mir ins Hotel Temesvár kam.[84]
Man kann sich leicht vorstellen, in welchem Zustand von Aufregung sich der Hauptmann befand.
»Natürlich ist dieser Schurke der Täter! rief er. Wie er es angestellt hat, weiß ich allerdings nicht. Er wird es auch sicher nicht dabei bewenden lassen. Aber ich werde ihm sein unsauberes Handwerk legen!
– Ruhe und kaltes Blut, mein lieber Haralan, sagte ich, hüten Sie sich ja vor jeder Unvorsichtigkeit, welche die gespannte Situation nur verschlimmern könnte.
– Mein lieber Vidal, hätte mich mein Vater nur rufen lassen, ehe dieser Mensch unser Haus verlassen, oder hätte man mich wenigstens nachher nach meinem eigenen Gutdünken handeln lassen – dann wurde er uns jetzt keine Sorgen machen!
– Dennoch bleibe ich bei meiner Ansicht, lieber Haralan, daß es besser war, daß Sie sich nicht in den Vordergrund gedrängt haben.
– Und wenn er so fortfährt?
– Dann haben wir immer noch Zeit, die Hilfe der Polizei zu requirieren. Sie müssen an Mutter und Schwester denken!
– Wenn sie nur nichts von dem heutigen Vorfall erfahren!
– Man wird es ihnen und Markus nicht sagen; nach der Hochzeit werden wir ja sehen, welche Haltung wir annehmen müssen.
– Nach der Hochzeit?... antwortete Hauptmann Haralan, wenn es nur dann nicht zu spät ist!«
An diesem Tage waren Frau und Fräulein Roderich, welche die geheimen Sorgen des Doktors nicht ahnten, ganz von den Vorbereitungen zu der Festlichkeit in Anspruch genommen, die am gleichen Abend in ihrem Hause stattfinden sollte; alles mußte tadellos sein. Der Doktor, welcher in der Ragzer Gesellschaft viele Freunde zählte, hatte zahlreiche Einladungen ergehen lassen. Hier, auf neutralem Grund und Boden, begegneten sich die ungarische Aristokratie mit der Armee, dem hohen Magistrat und dem übrigen Beamtenstand. Der Gouverneur von Ragz, welchen eine langjährige Freundschaft mit Dr. Roderich verband, hatte sein Kommen auch zugesagt.
Die großen Empfangsräume genügten vollkommen, um die einhundertundfünfzig Personen aufzunehmen, welche sich am Abend hier versammeln sollten. In der Galerie wurden Erfrischungen serviert. Niemand wird erstaunt sein, daß die Toilettenfrage Myra Roderich in einem gewissen,[85] erlaubten Maße beschäftigte und daß Markus, als Künstler, in dieser Angelegenheit gute Ratschläge erteilen wollte, wie er es bereits getan, als er seine Braut gemalt hatte.
Übrigens – Myra war Magyarin und jeder Magyare, ob Mann oder Frau, legt großen Wert auf Kleidung. Das liegt im Blute, wie die Freude am Tanz, die sich bis zur Leidenschaft steigern kann. Nachdem mein Urteil über Myra sich auf alle Damen und Herren bezieht, versprach das Fest einen sehr glänzenden Charakter zu zeigen.
Nachmittags waren die Vorbereitungen beendet. Ich verweilte den ganzen Tag im Hause des Doktors und wartete die Stunde ab, die ich, wie ein richtiger Magyare, den Sorgen meiner Toilette widmen mußte.
Während ich einen Augenblick lang an einem der Fenster lehnte und auf den Batthyány-Kai hinabblickte, sah ich zu meinem größten Mißvergnügen – Wilhelm Storitz. Hatte ihn ein bloßer Zufall hergeführt? Gewiß nicht! Er ging immer den Kai entlang, langsam, mit gesenktem Kopfe; aber als er in die Nähe des Hauses Roderich kam, richtete er sich plötzlich hoch auf – und welch ein Blick! Er ging mehrmals vorüber, so daß es Frau Roderich schließlich bemerkte. Sie machte ihren Mann darauf aufmerksam, welcher sie zu beruhigen versuchte, ohne des letzten Besuches dieses Menschen Erwähnung zu tun.
Ich füge noch hinzu, daß Markus und ich den Preußen auf dem Magyar-Platze begegneten, als wir uns in unser Hotel begaben. Kaum bemerkte er meinen Bruder, als er plötzlich stehen blieb und unschlüssig schien, ob er auf uns zukommen solle oder nicht. Aber er blieb doch unbeweglich stehen, mit totenbleichen Zügen, während die Arme ihm völlig steif herabhingen.... Er sah aus, als ob er an Ort und Stelle zusammenbrechen würde. Seine fürchterlichen Augen schossen Blitze des Hasses auf Markus, welcher ihn gar nicht zu beachten schien. Aber als wir uns einige Schritte entfernt hatten, sagte er:
»Hast Du diesen Menschen bemerkt?
– Ja, Markus.
– Das ist jener Wilhelm Storitz, von dem ich Dir gesprochen habe.
– Ich weiß.
– Kennst Du ihn denn?[86]
– Hauptmann Haralan hat mich mehrmals auf ihn aufmerksam gemacht.
– Ich war der Meinung, er hätte Ragz verlassen.
– Es scheint nicht, oder, was wahrscheinlicher ist, er wird wieder zurückgekommen sein.
– Schließlich ist das ja ganz gleichgültig.
– Freilich, ganz gleichgültig!« sagte ich.
Aber nach meiner unausgesprochenen Meinung wäre es beruhigender für mich gewesen, wenn Wilhelm Storitz Ragz noch fern geblieben wäre.
Gegen neun Uhr abends hielten die ersten Wagen vor dem Hause des Doktors und die Empfangsräume begannen sich zu füllen. Herr Roderich samt Frau und Tochter empfingen die Gäste am Eingange der im Glanze der Kronleuchter taghell erleuchteten Galerie. Jetzt wurde der Gouverneur von Ragz gemeldet; mit den herzlichsten, von treuer Freundschaft zeugenden Worten sprach er der Familie seinen Glückwunsch aus. Fräulein Myra und mein Bruder wurden durch besondere Liebenswürdigkeit ausgezeichnet. Übrigens wurde das Brautpaar von allen Seiten umringt und beglückwünscht.
Zwischen neun und zehn Uhr erschienen die Stadtautoritäten und Offiziere, die Kameraden Hauptmann Haralans, welcher, obwohl ich ihm die Sorge von der Stirne ablas, die Gäste mit gewinnender Liebenswürdigkeit begrüßte. Die prachtvollen Toiletten der Damen, die glänzenden Uniformen und die Prunkgewänder der Staatswürdenträger boten einen farbenprächtigen Anblick. Man hielt sich im Salon und in der Galerie auf, bewunderte die Geschenke, die im Arbeitszimmer des Doktors zur Besichtigung ausgestellt waren, den kostbaren Schmuck und die Luxusgegenstände, unter denen die Gaben meines Bruders durch künstlerischen Geschmack auffielen. Auf einem Pfeilertischchen im Salon lag der Heiratskontrakt, der im Laufe des Abends unterzeichnet werden sollte. Auf einem andern stand das prachtvolle Brautbukett aus Rosen und Orangenblüten und daneben ruhte – nach magyarischem Brauche – auf einem Kissen der Kranz, den Myra an ihrem Hochzeitstage bei dem Gange in die Kathedrale tragen sollte.
Das Fest zerfiel in zwei Teile: in ein Konzert und den Ball; beides wurde durch die feierliche Unterzeichnung des Ehekontraktes auseinander[87] gehalten. Der Tanz sollte erst um Mitternacht beginnen und wahrscheinlich war der größte Teil der Eingeladenen mit dieser so spät angesetzten Stunde nicht sehr einverstanden, weil es, ich wiederhole es, für den Ungarn und die Ungarin kein Vergnügen gibt, dem sie sich mit größerer Lust und Leidenschaftlichkeit hingeben, als dem Tanze.
Der musikalische Teil des Abends war einem berühmten Zigeunerorchester zugeteilt. Dieses Orchester, dessen Ruhm sich über das ganze Ungarland verbreitet hatte, war in Ragz noch niemals gehört wor den. Zur festgesetzten Stunde nahmen die Musiker und der Dirigent im Saale Platz.
Es war mir bekannt, daß die Magyaren enthusiastische Musikliebhaber sind. Aber – wie man sehr richtig bemerkt hat – es existiert ein bedeutender Unterschied in der Art und Weise, wie Deutsche und Ungarn die Musik genießen. Der letztere ist Dilettant, keine ausübende Kraft. Er singt nicht oder nur wenig, er hört lieber zu; und wenn er Vorführungen seiner vaterländischen Musik lauschen kann, dann bedeutet das Zuhören für ihn gleichzeitig eine sehr ernste Sache und ein außerordentlich lebhaft empfundenes Vergnügen.
Das Orchester bestand aus zwölf Mann und dem Primas. Auf dem Programm standen ihre allerschönsten Stücke, jene charakteristischen ungarischen Weisen, Schlachtengesänge, militärische Märsche, wie sie der Ungar als Mann der Tat der träumerischen deutschen Musik vorzieht.
Vielleicht fragt sich der Leser, warum die Melodien nicht mehr dem hochzeitlichen Charakter des Festes, das ja zu Ehren der Unterzeichnung des Ehekontraktes veranstaltet worden war, angepaßt waren. Das wäre ein Vergehen gegen die Tradition gewesen und Ungarn ist das Land der Traditionen. Es bleibt seinen Volksliedern ebenso treu, wie Serbien seinen »Pesmas« und die Walachei ihren »Doimas«. Es begeistert sich an den aufregenden Melodien, dieser rhythmischen Kriegsmusik, welche die ruhmreiche Vergangenheit heraufbeschwört und die unvergeßlichen Heldentaten der Vorfahren preist.
Die Zigeuner trugen ihre so originellen Kostüme und ich wurde nicht müde, diese merkwürdigen, fremdartigen Typen zu betrachten, die sonnengebräunten Gesichter, die glänzenden Augen unter den buschigen Brauen, die etwas hervortretenden Backenknochen, die spitzen, weißen Zähne, diezwischen ihren Lippen durchleuchteten, ihre schwarzen, leicht gewellten Haare über der etwas zurücktretenden Stirne.
Die künstlerischen Vorführungen des Orchesters fanden großen Beifall. Die Anwesenden lauschten erst andächtig, um sich dann in überschwenglichen Beifallsäußerungen zu ergehen. Das war besonders bei den bekanntesten Volksliedern der Fall, welche die Zigeuner mit einer solchen Meisterschaft und heiligen Begeisterung zum Besten gaben, daß das schlummernde Echo der stillen Pußta davon erweckt werden mußte.
Der erste Teil des Abends war vorüber. Ich, für meinen Teil, muß gestehen, daß bisher die glücklichsten Augenblicke dieses inmitten von Magyaren verlebten Abends jene waren, wenn – während der gelegentlichen kurzen Ruhepausen – das ferne Rauschen der Donau an mein Ohr drang.
Ich will auch nicht behaupten, daß Markus dem Zauber dieser seltsamen Musik sehr zugänglich gewesen sei. Seine Seele war von einem anderen, süßeren, geheimen Zauber gefesselt. Er saß neben Myra Roderich, ihre Blicke trafen sich und sangen jene Lieder ohne Worte, welche den Herzen zweier Liebenden Seligkeit sind.
Der letzte Applaus war verklungen. der Zigeunerprimas erhob sich und seine Gefährten folgten seinem Beispiele. Dann sagten ihnen Doktor Roderich und Hauptmann Haralan viel Schmeichelhaftes über ihr Spiel, was sie sehr zu beglücken schien; darauf verließen sie das Zimmer.
Nun schritt man ohne längeres Zögern zur Unterzeichnung des Kontraktes, was mit entsprechender Feierlichkeit in Szene gesetzt wurde; darauf folgte ein – ich möchte es mit dem Worte »Zwischenakt« bezeichnen; die Eingeladenen verließen ihre Plätze, suchten ihre näheren Bekannten auf, es bildeten sich sympathische Gruppen, einige verloren sich in dem erleuchteten Garten, während auf silbernen Platten Erfrischungen herumgereicht wurden.
Bis zu diesem Augenblicke hatte noch nichts die Ordnung und Ruhe des Festes gestört und nachdem der Anfang so glänzend verlaufen war, lag kein Grund zu der Annahme vor, daß nicht auch das Ende ein gutes sein werde. Wenn ich mich auch anfangs übler Vorahnungen nicht erwehren konnte, so hatte ich jetzt meine völlige Sicherheit wiedergewonnen.
Ich wurde auch nicht müde, Frau Roderich über das so gelungene Fest zu beglückwünschen.[91]
»Ich danke Ihnen, Herr Vidal, antwortete sie, und ich freue mich, daß meine Gäste eine angenehme Stunde verbracht haben. Aber ich sehe unter all den Fröhlichen doch nur meine liebe Tochter und Ihren Bruder. Wie glücklich sie sind!...
– Gnädige Frau, erwiderte ich, dieses Glück verdanken sie Ihnen! Und es muß wohl das größte Glück der Eltern sein, ihren Kindern zum Glück zu verhelfen!...«
Ich weiß nicht, durch welche bizarre Ideenassoziation dieser ziemlich landläufige Ausspruch mir Wilhelm Storitz in Erinnerung brachte. Hauptmann Haralan schien nicht mehr an ihn zu denken. War seine zur Schau getragene Sorglosigkeit Wahrheit oder Schein? Ich konnte es nicht beurteilen, aber er schritt von Gruppe zu Gruppe, war der Mittelpunkt des Festes durch seine ansteckende Fröhlichkeit und gewiß hat ihn mehr als eine der anwesenden Ungarinnen mit geheimer Bewunderung betrachtet. Und man sah ihm an, wie sehr ihn die herzlichen Sympathiekundgebungen erfreuten, welche die ganze Stadt bei dieser Gelegenheit seiner Familie zum Ausdrucke brachte.
»Mein lieber Hauptmann, redete ich ihn an, als er an mir vorbeischritt, wenn der Schluß des Abends dem Anfang gleicht...
– O ich zweifle nicht daran! meinte er. Die Musik ist etwas sehr schönes, aber Tanzen ist unvergleichlich schöner!
– Nun, die Franzosen werden hinter den Ungarn nicht zurückstehen, sagte ich. Ihre Schwester hat mir den zweiten Walzer versprochen.
– Warum nicht den ersten?
– Den ersten?... Der muß doch Markus gehören, nach allen Regeln der Tradition!... Haben Sie denn Markus ganz vergessen, oder wollen Sie, daß es zu ernstlichen Auseinandersetzungen zwischen mir und meinem Bruder kommt?
– Sie haben recht, lieber Vidal. Das Brautpaar muß den Ball eröffnen!«
Die Zigeuner erschienen wieder und ließen sich am Ende der Galerie nieder. Im Arbeitszimmer des Doktors waren Spieltische hergerichtet, so daß auch für das Vergnügen jenes gesetzteren Teiles der Gäste, welche sich nicht mehr an den Walzern und Mazurkas beteiligten, gesorgt war. Das Orchester war bereit, mit dem Vorspiel zu beginnen und wartete nur ein[92] Zeichen des Hauptmannes ab, um einzusetzen – als von der Seite der Galerie her, deren Türe in den Garten führte, der noch ferne Gesang einer kräftigen, sonoren Stimme hörbar wurde. Es waren seltsame Töne von absonderlichem Rhythmus, denen jeder Zusammenhang fehlte; einzelne musikalische Phrasen, die kein Bindemittel einte.
Die Paare, welche für den ersten Tanz aufgestellt waren, schwiegen erstaunt.... Man lauschte.... Viel leicht handelte es sich um eine festliche Überraschung?... Hauptmann Haralan hatte sich mir genähert.
»Was soll das bedeuten? fragte ich.
– Ich weiß es nicht, antwortete er mir in einem Tone, der seine geheime Unruhe nur zu sehr verriet.
– Woher kommt der Gesang?... Von der Straße?...
– Nein.. ich glaube nicht.«
Und wirklich mußte derjenige, dessen Stimme an unser Ohr drang, jetzt im Garten sein und sich der Galerie nähern. Er konnte in jedem Moment eintreten.
Hauptmann Haralan ergriff meinen Arm und zog mich neben die zum Garten führende Türe.
In der Galerie befanden sich in diesem Augenblicke ungefähr zehn Personen – die Mitglieder des Orchesters nicht eingerechnet, die hinter ihren Pulten saßen. Die übrigen Gäste hatten sich in die anderen Räume verteilt. Diejenigen, welche während der Zwischenpause den Garten aufgesucht hatten, waren soeben wieder eingetreten.
Hauptmann Haralan trat auf die Stiege. Ich folgte ihm und unsere Blicke durchforschten den in seiner ganzen Ausdehnung erleuchteten Garten... Wir sahen niemanden.
Herr und Frau Roderich näherten sich uns in diesem Augenblicke und ersterer flüsterte seinem Sohne einige Worte zu, worauf dieser verneinend den Kopf schüttelte.
Und die Stimme ließ sich noch immer hören, immer deutlicher, immer mächtiger und sie kam immer näher....
Markus, mit Myra am Arme, trat gleichfalls auf die Galerie, während Frau Roderich sich zu den übrigen Damen begab, welche ihr eine Menge Fragen stellten, auf die sie keine Antwort zu erteilen vermochte.[93]
»Ich werde mir Gewißheit verschaffen«, rief Hauptmann Haralan und stieg die Stufen hinab.
Dr. Roderich, mehrere Diener und ich folgten ihm. Plötzlich – der unsichtbare Sänger schien nur wenige Schritte von der Galerie entfernt – schwieg die Stimme.
Der Garten wurde durchforscht, jedes Gebüsch wurde untersucht. Nachdem dank der reichlichen Beleuchtung auch nicht ein Winkel im Schatten lag, konnte die Nachsuche auf das genaueste abgehalten werden.... Trotzdem fand sich niemand....
Sollte es nicht die Stimme eines verspätet heimkehrenden Passanten des Tököly-Walles gewesen sein?
Diese Annahme war ziemlich unwahrscheinlich, außerdem konnten wir mühelos konstatieren, daß der Tököly-Wall gänzlich verödet und vereinsamt dalag.
Ein einziges Licht erstrahlte in etwa fünfhundert Schritt Entfernung, es kam von der Aussichtswarte des Wilhelm Storitz gehörenden Hauses.
Auf die Galerie zurückgekehrt, waren wir gleichfalls außer Stande, eine Auskunft zu erteilen; deshalb erteilte Hauptmann Haralan das Zeichen zum Beginn des Balles und die Paare formten sich wieder.
»Nun, fragte Myra lächelnd, haben Sie keine Tänzerin gewählt?
– Meine Tänzerin sind Sie, Fräulein Myra, aber erst für den zweiten Tanz.
– Also, mein lieber Heinrich, sagte Markus, dann wollen wir Dich nicht mehr lange warten lassen.«
Markus irrte sich! Ich hatte länger auf den mir von Myra versprochenen Walzer zu warten, als er glaubte. Eigentlich warte ich heute noch darauf.
Das Orchester hatte das Vorspiel beendet, als die Stimme wieder ertönte... und diesmal inmitten des Saales.... Der Sänger selbst blieb unsichtbar....
Dem Staunen, der Verwirrung der Gäste gesellte sich eine lebhafte Empfindung der Erbitterung zu. Die Stimme sang mit aller ihr zu Gebote stehenden Kraft das »Lied vom Hasse« von Friedrich Margrave, jene deutsche Hymne, die ihres gehässigen Inhaltes wegen überall gekannt ist. Darin lag eine Herausforderung des ungarischen Patriotismus, eine[94] gewollte, direkte Beleidigung! Und derjenige, dessen Stimme so gewaltig inmitten des Zimmers ertönte... er war und blieb unsichtbar!... Er war nicht zu entdecken, und dennoch mußte er sich in diesem Raume befinden!
Niemand dachte jetzt an den Tanz, lähmender Schrecken hatte sich der Anwesenden, besonders der Damen, bemächtigt.
Hauptmann Haralan schritt durch den Saal, mit zornsprühenden Augen und vorgestreckten Händen, als ob er das Wesen, welches sich allen Blicken zu entziehen wußte, in jedem Augenblicke fassen wolle.
Doch jetzt verstummte die Stimme, nachdem die letzte Strophe des »Liedes vom Hasse« gesungen war.
Und dann... ich habe es mit diesen meinen eigenen Augen gesehen und Hunderte der anwesenden Gäste waren Zeuge dessen, das nicht möglich schien....
Das auf dem Tischchen liegende Brautbukett wurde plötzlich emporgenommen, zerrissen, so daß die armen Blüten wie von Füßen zerstampft aussahen!... Im nächsten Augenblicke bedeckten die Fetzen des zerrissenen Ehekontraktes den Boden!...
Ein tödlicher Schrecken erfaßte alle Gemüter! Jedes wollte den Schauplatz so fürchterlicher Ereignisse fliehen. Ich fragte mich immer wieder, ob ich auch im Vollbesitze meiner Vernunft, ob diesen unerhörten Vorkommnissen Glauben beizumessen sei!
Hauptmann Haralan trat auf mich zu und sagte mir zornesbleich:
»Das ist Wilhelm Storitz' Machwerk!«
Wilhelm Storitz?... Hatte Haralan den Verstand verloren?...
Wenn nicht er, dann war ich auf dem besten Wege dazu! Ich war wach, ich träumte nicht, trotzdem sah ich, jetzt, in diesem Augenblicke, mit diesen meinen eigenen Augen, wie der Brautkranz von dem Kissen, auf dem er ruhte, von unsichtbaren Händen aufgehoben wurde, durch den Saal schwebte, die Galerie durchflog und zwischen den Bäumen des Gartens verschwand!...
»Das ist zu viel!...« rief der Hauptmann, seiner selbst nicht mächtig' er stürzte aus dem Saal, durcheilte die Halle und raste den Tököly-Wall entlang.
Ich versuchte, ihm zu folgen.[95]
So rannten wir, einer hinter dem anderen, bis zum Hause des Wilhelm Storitz, dessen Fenster im Auslug nach wie vor erleuchtet war. Der Hauptmann rüttelte mit aller Kraft an der Klinke des Gittertores. Ohne recht zu wissen, was ich tat, vereinte ich meine Anstrengungen mit den seinigen. Aber das Schloß war fest gefügt, es ließ sich nicht erbrechen. Kaum, daß es unseren vereinten Bemühungen etwas nachgab.
Wir mühten uns schon geraume Zeit vergeblich ab und das dadurch gesteigerte Gefühl ohnmächtiger Wut beraubte uns um den letzten Rest klaren Verstandes....
Da drehte sich die Türe langsam in ihren Angeln....
Hauptmann Haralan hatte sich augenscheinlich getäuscht, als er Wilhelm Storitz beschuldigte.... Wilhelm Storitz konnte sein Haus nicht verlassen haben, da er uns selbst die Türe öffnete, in eigener Person vor uns stand.
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