[71] So vergingen zwei Tage, von denen jeder freie Augenblick der Besichtigung der Stadt gewidmet war. Ich verbrachte auch so manche Stunde auf der Brücke, welche die beiden Donauufer mit der Svendor-Insel verbindet und wurde nicht müde, den herrlichen Strom zu bewundern.
Ich gestehe, daß ich mich, ohne es eigentlich zu wollen, im Gedanken oft mit Wilhelm Storitz beschäftigte. Also Ragz war sein gewöhnlicher Aufenthaltsort! Ich hatte auch erfahren, daß er ganz allein mit einem alten[71] Diener lebte, welcher unter dem Namen Hermann bekannt und auch nicht sympathischer, zugänglicher und mitteilsamer war als sein Herr. Es wollte mir scheinen, als ob dieser Hermann mich in Gang und Haltung an jenen Menschen erinnerte, welcher uns am Abend meiner Ankunft in Ragz folgte, während wir – mein Bruder und ich – längs des Batthyány-Kais spazieren gingen.
Ich hielt mich nicht für verpflichtet, Markus etwas von der Begegnung zu erzählen, die Hauptmann Haralan und ich am Tököly-Wall gehabt hatten. Vielleicht hätte es ihn beunruhigt, diesen Wilhelm Storitz in Ragz zu wissen! Warum sollte ich sein gegenwärtiges Glück durch einen Schatten der Unruhe verdunkeln? Aber ich bedauerte, daß der abgewiesene Rivale nicht in sicherer Entfernung war, wenigstens bis nach dem Tage, an dem Markus und Myra für das Leben verbunden werden sollten.
Am Morgen des 16. Mai hatte ich mich eben für meinen gewöhnlichen Spaziergang bereit gemacht, der mich diesmal in die Umgebung von Ragz, auf die Felder führen sollte, als mein Bruder in mein Zimmer trat.
»Ich bin sehr beschäftigt, lieber Freund, sagte er; entschuldige mich, wenn ich nicht bei Dir bleiben kann und sei nicht böse.
– Gewiß nicht, lieber Markus, antwortete ich; geh' nur und kümmere Dich nicht um mich.
– Wird Haralan nicht kommen, Dich abzuholen?
– Nein, er ist heute nicht frei. Aber das macht nichts! Ich werde in irgend einem kleinen Gasthause am anderen Donauufer essen.
– Vergiß nur nicht, lieber Heinrich, pünktlich um sieben Uhr zurückzukommen.
– Man ißt viel zu vortrefflich bei Dr. Roderich, als daß ich die Essensstunde versäumen würde!
– Gourmand!... Ich hoffe, Du hast auch nicht auf den Empfangsabend vergessen, der übermorgen bei Dr. Roderich stattfindet. Da wirst Du die oberen Zehntausend der Ragzer Gesellschaft studieren können.
– Wird das Dein offizielles Verlobungsfest?
– Wenn Du es so nennen willst... obwohl Myra und ich schon lange Braut und Bräutigam sind... Ich meine oft, wir seien seit jeher verlobt gewesen.
– Schon vom ersten Lebenstage an?...
– Vielleicht.....
– Also auf Wiedersehen, o Glücklichster unter den Sterblichen!
– Das ist ein verfrühter Ausspruch. Das kannst Du mir sagen, wenn meine Braut meine Frau geworden ist!«
Markus drückte mir die Hand und begab sich in sein Zimmer zurück und ich wollte eben fort gehen, als Hauptmann Haralan ganz unerwartet erschien. Ich war sehr erstaunt darüber, denn unserer Verabredung gemäß sollten wir uns heute nicht sehen.
»Sie! rief ich freudig aus. Mein lieber Hauptmann, das nenne ich eine angenehme Überraschung!«
Irrte ich mich vielleicht? Es wollte mir scheinen. daß Hauptmann Haralan sehr besorgt aussah. Er antwortete nur kurz:
»Lieber Vidal, mein Vater erwartet Sie zuhause. Er hat mit Ihnen zu sprechen und läßt Sie bitten, bald zu kommen!
– Ich stehe zu Ihrer Verfügung«, antwortete ich, ziemlich bestürzt, beunruhigt sogar, ohne den Grund zu wissen.
Hauptmann Haralan sprach kein Wort, während wir, Seite an Seite, den Batthyány-Kai hinab schritten. Was war denn vorgefallen und welche Mitteilungen konnte mir Dr. Roderich zu machen haben? Handelte es sich um Markus' Angelegenheiten....
Als wir ankamen, führte uns der Diener sofort in das Arbeitszimmer des Doktors.
Frau und Fräulein Roderich waren ausgegangen und Markus wollte sie wahrscheinlich auf ihrem Morgenspaziergang begleiten.
Dr. Roderich war allein in dem Gemache; er saß vor seinem Schreibtisch und als er sich uns zuwandte, bemerkte ich auch in seinem Gesichte den sorgenvollen Ausdruck, der mir an Hauptmann Haralan aufgefallen war.
»Irgend etwas ist geschehen, dachte ich, aber Markus wußte gewiß nichts davon, als ich ihn heute früh sprach.«
Ich nahm dem Doktor gegenüber in einem Fauteuil Platz, während Hauptmann Haralan stehen blieb und sich auf den Kamin stützte. Angstvoll erwartete ich, was mir Dr. Roderich zu sagen hatte.
»Vor allem, Herr Vidal, sagte er, danke ich Ihnen für Ihr Kommen.
– Ich stehe ganz zu Diensten, Herr Roderich, erwiderte ich.
– Ich möchte mit Ihnen in Haralans Gegenwart reden.[75]
– Handelt es sich um Markus' Heirat mit Fräulein Myra?
– Ja.
– Sie haben mir wohl etwas Ernstes mitzuteilen.
– Ja und nein, antwortete der Doktor. Wie dem auch sei, weder meine Frau und Tochter, noch Ihr Bruder wissen darum. Ich halte es für besser, sie über das, was ich Ihnen anvertrauen will, in Unwissenheit zu lassen. Sie werden ja selbst beurteilen können, ob ich recht oder unrecht handle.«
Unwillkürlich suchten meine Gedanken einen Zusammenhang zwischen dieser Eröffnung und der Begegnung herzustellen, die sich vor dem ruinenhaften Hause des Tököly-Walles abgespielt hatte.
»Am gestrigen Nachmittag, nahm der Doktor das Wort – meine Frau und Tochter waren nicht zuhause – meldete mir der Diener während meiner Ordinationsstunde einen Besuch an, den ich lieber nicht empfangen hätte. Dieser Besucher war – Wilhelm Storitz.... Aber es ist Ihnen vielleicht nicht bekannt, daß dieser Deutsche...?
– Ich bin über alles unterrichtet, sagte ich.
– Gut, dann wissen Sie also, daß vor ungefähr sechs Monaten – lange bevor die Bewerbung Ihres Bruders angenommen worden ist – Wilhelm Storitz die Hand meiner Tochter begehrte. Nachdem ich mich mit meiner Frau und meinem Sohne beraten, welche meine Abneigung einer derartigen Heirat gegenüber teilten, ließ ich Wilhelm Storitz wissen, daß er sich keine Hoffnungen machen könne. Anstatt sich diese Abweisung zu Herzen zu nehmen, wiederholte er seine Werbungen in den formellsten Ausdrücken, worauf er eine nicht minder formelle Antwort erhielt, die ihm ein für allemal jede Hoffnung abschneiden mußte.«
Während Dr. Roderich sprach, schritt Hauptmann Haralan unruhig im Zimmer auf und ab und blieb manchmal an einem der Fenster stehen, durch die man den Tököly-Wall überblicken konnte.
»Herr Roderich, sagte ich, ich wußte von dieser Angelegenheit, auch daß sie sich vor der Bewerbung meines Bruders abgespielt hat.
– Fast drei Monate vorher, Herr Vidal.
– Und Wilhelm Storitz ist, fuhr ich fort, nicht deshalb abgewiesen worden, weil Markus schon erklärter Bräutigam war, sondern weil diese Heirat überhaupt nicht nach Ihrem Sinne war?[76]
– So ist es. Wir hätten niemals zu einer solchen Verbindung, die uns in keiner Hinsicht passend erschien unsere Zustimmung gegeben und auch Myra hätte sich einem derartigen Ansinnen energisch widersetzt.
– Hat die Persönlichkeit oder die Stellung Wilhelm Storitz' Sie zu diesem Entschlusse bewogen?
– O, er ist wahrscheinlich sehr gut gestellt, antwortete Dr. Roderich. Man nimmt an, daß sein Vater ihm ein beträchtliches Vermögen hinterlassen habe, das er seinen glücklichen Erfindungen verdankte. Was aber seine Person betrifft...
– Ich kenne ihn, Herr Roderich.
– Sie kennen ihn?«
Ich erzählte, unter welchen Umständen ich auf der »Dorothea« mit Wilhelm Storitz zusammengekommen war, ohne seinen Namen zu kennen, wie dieser Deutsche während vier Tagen zwischen Budapest und Vukovár mein Reisegefährte gewesen, und daß er in dieser Stadt ausgestiegen sein mußte, nachdem er in Ragz nicht mehr an Bord gewesen war.
»Und vor wenigen Tagen, fügte ich bei, sind wir – Hauptmann Haralan und ich – gelegentlich unseres Spazierganges an seinem Hause vorbeigekommen und ich habe Wilhelm Storitz in dem Augenblicke, da er auf die Straße trat, erkannt.
– Man hat mir doch gesagt, daß er die Stadt vor einigen Wochen verlassen habe, bemerkte Dr. Roderich.
– Man glaubte es und er muß auch abwesend gewesen sein, nachdem ihn Vidal in Budapest gesehen hat, mischte sich Hauptmann Haralan ein; sicher ist aber, daß er jetzt zurückgekehrt ist.«
Die Stimme des Hauptmanns klang sehr erregt, aber der Doktor nahm wieder das Wort:
»Ich habe Ihnen, Herr Vidal, über die pekuniären Verhältnisse dieses Mannes Auskunft gegeben; was aber seine Lebensweise anbelangt, kann niemand behaupten, dieselbe zu kennen. Sie ist ganz rätselhaft! Es scheint, als lebe dieser Mensch nicht wie andere Menschen.
– Spielt nicht die Übertreibung dabei eine große Rolle? fragte ich den Doktor.
– Etwas Übertreibung ist gewiß auch dabei, antwortete er. Aber er ist erblich belastet, gehört einer übel beleumundeten Familie an;[77] auch sein Vater, Otto Storitz, gab zu den abenteuerlichsten Gerüchten Anlaß.
– Die ihn überlebt haben, Doktor, wenn ich nach dem Zeitungsartikel urteile, den ich in Budapest gelesen. Es handelt sich um die Wiederkehr seines Todestages, der jedes Jahr in Spremberg, im Kirchhofe der Stadt, feierlich begangen wird. Wenn man dieser Zeitung Glauben schenken darf, hat die Zeit die abenteuerlichen Legenden, die Sie erwähnten, nicht zu unterdrücken vermocht. Der tote Gelehrte hat den lebenden Gelehrten beerbt. Er sei ein Zauberer gewesen, hieß es darin, welcher die Geheimnisse der Geisterwelt ergründet und über übernatürliche Gewalt verfügt hätte! Und jedes Jahr erwartet man – so scheint es – daß ein außerordentliches Ereignis sich an seinem Grabe abspielen müsse.
– Nun also, Herr Vidal, fuhr der Doktor fort, es wird Sie daher nicht wundern, wenn, nachdem man sich derartiges in Spremberg erzählt, Wilhelm Storitz in Ragz als eine von Geheimnissen umgebene Persönlichkeit angesehen wird.... Das ist der Mann, welcher die Augen zu meiner Tochter erhoben hat und der – gestern die Kühnheit hatte, seine Werbung nochmals anzubringen!
– Gestern? rief ich.
– Gestern; es war der Zweck seines Besuches!
– Und wenn er auch nicht das wäre, was er ist, sagte Hauptmann Haralan, so bleibt immer noch zu bedenken, daß er ein Preuße ist, was genügt, um eine Verbindung mit unserem Hause unmöglich zu machen.«
Diese Worte waren der kurze Ausdruck jener durch die Tradition großgezogenen und instinktiv empfundenen Antipathie, welche die magyarische Rasse der germanischen gegenüber fühlt.
»Das Ganze hat sich folgendermaßen abgespielt, sagte Dr. Roderich; es ist gut, wenn Ihr auch von allen Einzelheiten unterrichtet seid. Als mir Wilhelm Storitz angemeldet wurde, zögerte ich zunächst... ob ich ihn annehmen oder Beschäftigung vorschützen sollte.
– Vielleicht wäre das letztere besser gewesen, Vater, sagte der Hauptmann; nach dem Mißerfolg seiner früheren Besuche hätte er verstehen müssen, daß er dieses Haus unter keinem Vorwand mehr betreten dürfe.
– Vielleicht hast Du recht, sagte der Doktor, aber ich wollte ihn nicht zum Äußersten treiben und fürchtete einen möglichen Skandal...[78]
– Sei versichert, Vater, daß ich dem bald ein Ende gemacht hätte!
– Ja, gerade weil ich Dich kenne, sagte der Doktor, indem er die Hand seines Sohnes faßte, gerade darum schien mir alle Vorsicht geboten... Und deshalb – was immer auch geschehen mag – beschwöre ich Dich bei Deiner Liebe zu Deiner Mutter, zu mir, zu Deiner Schwester, welche in eine sehr unangenehme Lage kommen würde, wenn ihr Name öffentlich genannt würde – wenn dieser Wilhelm Storitz einen Skandal provozieren sollte...«
Obwohl ich Hauptmann Haralan erst seit kurzer Zeit kannte, so hielt ich ihn für einen sehr leicht erregbaren Charakter und bis zur Übertriebenheit empfindlich für alles, was die Ehre seiner Familie anging. Aus diesem Grunde bedauerte ich doppelt, daß Markus Rivale nach Ragz zurückgekehrt war und besonders, daß er nochmals den Versuch gewagt hatte, Myra zu erwerben.
Dr. Roderich erzählte uns alle Einzelheiten dieses Besuches, den er in seinem Arbeitszimmer empfangen hatte. Wilhelm Storitz hatte sofort das Wort ergriffen, und zwar in Ausdrücken, die von seiner seltenen Zähigkeit sprachen. Herr Roderich könne nicht allzu sehr erstaunt sein, so sagte er – daß er wiederkomme und noch einen Versuch zur Erreichung seiner höchsten Wünsche unternehme, nachdem er – vor achtundvierzig Stunden – nach Ragz zurückgekehrt. Der Doktor war bei seiner festen Weigerung geblieben, aber Wilhelm Storitz hatte sich nicht für überzeugt erklärt, sondern mit immer lauter und zorniger werdender Stimme ausgerufen, die Verlobung Fräulein Myras mit meinem Bruder betrachte er keineswegs als ein Hindernis seiner Wünsche; er liebe das junge Mädchen und wenn sie ihm nicht angehören könne, so würde sie auch niemals die Frau eines andern werden!
»Der Elende!... der Unverschämte! knirschte Hauptmann Haralan ingrimmig. Und ich war nicht da, um ihn hinauszuwerfen!«
»Eines ist sicher, dachte ich, wenn sich diese beiden Menschen einmal gegenüberstehen, dann ist der vom Doktor gefürchtete Skandal fertig.«
»Als er das gesagt hatte, fuhr der Doktor fort, stand ich auf und bedeutete ihm, daß ich kein weiteres Wort mehr hören wolle. Myras Vermählung sei beschlossene Sache und würde in wenigen Tagen gefeiert werden. – ›Weder in wenigen Tagen noch später, noch überhaupt‹, schrie[79] Wilhelm Storitz. – ›Mein Herr‹, sagte ich und zeigte auf die Türe, ›verlassen Sie mich!‹ Jeder andere hätte verstanden, daß er unmöglich länger bleiben könne. Können Sie es glauben? Er ging nicht, er blieb, sprach leiser und versuchte, durch Sanftmut zu erlangen, was seiner Heftigkeit nicht gelungen war; ich sollte ihm wenigstens versprechen, die Hochzeit aufzuschieben. Da stand ich auf und näherte mich dem Kamin, um dem Diener zu läuten. Er ergriff mich beim Arme, der Zorn packte ihn wieder und er schrie, daß man es auf der Straße gehört haben muß. Glücklicherweise[80] waren meine Frau und Tochter noch nicht zurückgekehrt. Endlich ging Wilhelm Storitz, aber nicht, ohne die widersinnigsten Drohungen aussprechen: Myra würde niemals Markus' Frau werden; es würden unvorhergesehene Hindernisse auftauchen, welche die Heirat unmöglich machen sollten. Jeder Storitz sei im Besitze von Geheimmitteln, gegen die alle menschliche Gewalt machtlos sei, und er werde von denselben ohne Zögern gegen die leichtsinnige Familie Roderich Gebrauch machen, die gewagt habe, ihn abzuweisen.... Dann öffnete er die Türe meines Zimmers und stürzte[81] wutschnaubend hinaus, vorbei an den Leuten, die draußen warteten und ließ mich mit meiner Angst ob seiner unverständlichen Drohungen zurück.«
Kein Wort dieser unheimlichen Szene war – wie der Doktor wiederholt versicherte – zur Kenntnis seiner Frau und Tochter, sowie meines Bruders gelangt, und es war besser, sie nicht zu beunruhigen. Übrigens kannte ich meinen Bruder zu genau, um nicht zu fürchten, daß er, wie Hauptmann Haralan, die Sache verfolgen könne. Der letztere gab schließlich den Gründen und Bitten seines Vaters nach.
»Gut, sagte er, ich werde diesen Elenden nicht aufsuchen, um ihn zu züchtigen. Aber wie, wenn er zu mir kommt?... Oder wenn er Markus Übles zufügen will?... Wenn er uns beleidigt?«... Dr. Roderich blieb die Antwort schuldig.
Unsere Besprechung war zu Ende. Jetzt mußte man abwarten, die Ereignisse an sich herantreten lassen. Dieser Zwischenfall war vielleicht überhaupt nicht der Beachtung wert; niemand würde davon erfahren, wenn Wilhelm Storitz nur seine Drohungen nicht zur Tat machte! Aber was konnte er tun? Durch welche Mittel hätte er die Heirat verhindern können? Wollte er Markus durch eine zugefügte öffentliche Beleidigung zwingen, sich mit ihm zu schlagen?... Oder hatte er irgend einen Gewaltstreich gegen Myra Roderich vor?... Wie könnte er denn in das Haus eindringen, da er sicher war, nicht mehr vorgelassen zu werden?... Es stand nicht in seiner Macht – so vermutete ich – Türen zu sprengen! Übrigens würde Dr. Roderich im Notfalle nicht zögern, den Beistand der Autorität in Anspruch zu nehmen und diese würde wohl dem Deutschen bald Vernunft beibringen.
Ehe wir uns trennten, beschwor Dr. Roderich seinen Sohn noch ein letztes Mal, nichts gegen den unverschämten Menschen zu unternehmen und der Hauptmann versprach es, wenn auch widerwillig.
Unser Gespräch hatte sich in die Länge gezogen, so daß Frau und Fräulein Roderich und mein Bruder inzwischen vom gemeinsamen Spaziergang heimgekehrt waren. Ich wurde eingeladen, am Frühstück teilzunehmen und so mußte ich meinen Ausflug in die Umgebung von Ragz auf den Nachmittag verlegen.
Es bedarf keiner Versicherung, daß ich einen glaubwürdigen Grund ausfindig machte, um meine Gegenwart zu dieser Stunde im Arbeitszimmer[82] des Doktors zu erklären. Markus schöpfte nicht Verdacht und die Mahlzeit verlief sehr heiter.
Als man sich vom Tisch erhob, sagte Fräulein Myra zu mir:
»Herr Heinrich, nachdem wir Sie zu unserer Freude hier vorgefunden haben, werden Sie auch den ganzen übrigen Tag mit uns verbringen.
– Und mein Spaziergang? versuchte ich einzuwerfen.
– Wir werden einen gemeinsamen Spaziergang unternehmen.
– Ich hatte mir nämlich vorgenommen, heute etwas weiter hinauszuwandern.
– Wir werden eben alle etwas weiter hinauswandern!
– Aber zu Faß...
– Gewiß, zu Faß... Aber müssen Sie denn heute unter allen Umständen so weit gehen? Ich bin sicher, daß Sie noch nicht alles Schöne auf der Svendor-Insel bewundert haben!
– Das stand für morgen auf dem Programm.
– Nun, so ändern Sie es ab und gehen wir heute hin!«
So kam es, daß ich in Begleitung dieser Damen und meines Bruders die Insel aufsuchte, die eigentlich ein öffentlicher Garten ist, besser gesagt, Park, mit Hainen, Schweizerhäuschen und Vergnügungsorten jeder Kategorie.
Aber meine Gedanken waren nicht ganz bei der Sache, Markus bemerkte es und ich suchte ihn durch eine ausweichende Antwort zufriedenzustellen.
Fürchtete ich, Wilhelm Storitz auf einem der Wege zu begegnen?... Nein, ich mußte immer wieder an die Worte denken, die er dem Doktor zugerufen hatte: »Es würden ungeahnte Schwierigkeiten auftauchen, welche die Hochzeit unmöglich machen sollten.... Jeder Storitz sei im Besitze von Geheimmitteln, gegen die alle menschliche Gewalt machtlos sei!« Was steckte hinter diesen Reden?... Sollte man sie wörtlich auffassen?... Ich wollte mich mit dem Doktor, sobald wir allein sein würden, darüber aussprechen.
Dieser und auch der nächste Tag verstrichen. Ich begann wieder mutiger in die Zukunft zu blicken. Man hatte Wilhelm Storitz nicht wieder erblickt, obgleich er die Stadt nicht verlassen hatte. Das Haus am Tököly-Wall war bewohnt. Ich sah seinen Diener Hermann beim Vorübergehen hin und her eilen. Einmal wurde auch Wilhelm Storitz selbst an einem[83] Fenster seiner Aussichtswarte gesehen, seine Blicke schienen das Ende des Walles, das Haus des Doktors zu suchen.
So standen die Dinge, als sich in der Nacht vom 17. auf den 18. Mai folgendes ereignete:
Obwohl das Tor der Kathedrale verschlossen und verriegelt war und während der Nacht niemand hätte eindringen können, ohne bemerkt zu werden, wurde die auf die Namen Markus Vidal und Myra Roderich lautende Heiratsverkündigung aus ihrem Rahmen gerissen; am nächsten Morgen fanden sich die zerrissenen und zerknitterten Papierreste. Der Schaden wurde augenblicklich ausgebessert; eine Stunde später, und zwar diesmal bei vollem Tageslicht, teilte das zweite Blatt das Schicksal des ersteren und ein solches ereignete sich im Laufe des 18. Mai dreimal nacheinander. Der Schuldige war unmöglich zu entdecken. Endlich entschloß man sich, den zur Aufnahme der Ankündigungen bestimmten Rahmen durch ein starkes Eisengitter zu schützen.
Dieses lächerliche Attentat gab den redseligen Zungen für kurze Zeit Unterhaltungsstoff, wurde aber bald vergessen. Nur Dr. Roderich, Hauptmann Haralan und ich maßen ihm tiefere Bedeutung bei. Wir konnten nicht einen Moment daran zweifeln, daß dies den ersten Akt jener angekündigten Feindseligkeiten bedeute, gewissermaßen ein Vorpostengefecht in dem blutigen Kriege, den uns Wilhelm Storitz erklärt hatte.
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