Zehnter Auftritt

[37] Die Vorigen. Der Kaminfeger.


KAMINFEGER mit Leiter, Besen, Schürfeisen.

Da bin ich, da bin ich und zeige euch an,

Der Schlot ist geöffnet, bereit ist die Bahn!

Beginnen kann der Niederschlupf

Zum unnennbaren Mütterschupf!


Er verschwindet.


LIESCHEN.

O Himmel, sah ich recht? er hinkt auf einem Fuß!

Sein Blick aus der geschwärzten Fratze

Wies merkbar auf die innre Teufelstatze,

Aus höllischer Esse bracht' er seinen Ruß!

VALENTIN.

Könnt' ich ihn packen, mit seinem Besen

Ihm den Leviten tüchtig lesen!

Ein schöner Reiseführer, der Mephisto!

Jetzt weiß man erst nicht, hotto oder histo?

FAUST.

Nicht speziell versteh ich diese Wendung,

Doch das erseh ich aus der dunkeln Sendung:

Zum Tauchen in die tiefsten Tiefen,

Zum penetranten Niederschliefen,

Zum Geistesrücktritt hinter die Erscheinung

Führt nur die Kraft durchschneidender Verneinung,

Sie sieht sich an wie das abstruse Schwarze.

VALENTIN.

Dir wachsen doch, wie Warze wächst auf Warze,

Die Raupen im Gehirn! Was faserst da?

Den rußig Schwarzen, scheint mir, lobst du ja!

FAUST.

Ach Gott, die Tiefen der Abstraktion,

Sie selbst enthalten oft Illusion,

Es können ihre Schauer, ihre Schrecken,[38]

Heilsam an sich, doch Täuschung auch bezwecken;

Der Schwarze, der dem Guten doch muß dienen,

Meint's drum nicht gut, ist nicht als Freund erschienen.

O Not! o Kreuz! Furchtbarer Doppelschein!

Entsetzlich Zwielicht zwischen Ja und Nein!

VALENTIN.

Blitzsakerment! Wer kann das Zeug verstehen!

Der Mensch wird närrisch! Hoch ist's Zeit zum Gehen!


Dumpfes donnerähnliches Geräusch. Der Boden unter Faust und Valentin schwankt, bricht ein, sie sinken hinab, Faust reicht im Versinken seufzend Lieschen noch einmal die Hand.


LIESCHEN allein.

O schauervoller Niedergang!

Wie ist um ihn mir weh und bang!

Doch weiß ich, all der Schauer und der Schreck

Hat eine Läutrungsphase nur zum Zweck,

Und tief bedenkend faß ich neuen Mut:

Das ganze Leben ist ein Institut.


Der Vorhang fällt. Ende des ersten Aufzugs.


Quelle:
Friedrich Theodor Vischer: Faust, Der Tragödie dritter Teil. Stuttgart 1978, S. 37-39.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Wieland, Christoph Martin

Musarion. Ein Gedicht in drei Buechern

Musarion. Ein Gedicht in drei Buechern

Nachdem Musarion sich mit ihrem Freund Phanias gestrittet hat, flüchtet sich dieser in sinnenfeindliche Meditation und hängt zwei radikalen philosophischen Lehrern an. Musarion provoziert eine Diskussion zwischen den Philosophen, die in einer Prügelei mündet und Phanias erkennen lässt, dass die beiden »nicht ganz so weise als ihr System sind.«

52 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon