[34] Valentin tritt ein, als Soldat angetan, Degen an der Seite.
VALENTIN.
Habt ihr's gehört? Ich weiß es schon;
Durch wunderbare Vision,
Die mir im Traume ward heut nacht,
Ist mir die Ordre kundgemacht.
Hinunter zu den Müttern soll es gehn,
Ich soll als Knappe dir zur Seite stehn.
Wer sind die Mütter? Weiß der Teufel!
Verfluchte Hexen ohne Zweifel?
FAUST.
Göttinnen sind es, dunkle, ungekannte,
Von Geistern selbst nicht gern genannte.
Ihr Wesen ist Gestaltung, Umgestaltung,
Des ew'gen Sinnes ew'ge Unterhaltung,
Umschwebt von Bildern aller Kreatur,
Urtypen der erzeugenden Natur;
Dort ist origo omnium formarum.
VALENTIN.
Spaßvogel du! Urigel? Lirum larum!
FAUST.
Du lachst, Naturbursch! Aber mir, mir graut,
Mich überrieselt kalte Gänsehaut!
VALENTIN.
Wo aber ist das Zeug? In welchem Raum?
Hinunter geht's, so sagte mir der Traum.
FAUST.
Sie thronen hehr in purer Einsamkeit,
Um sie kein Ort, noch weniger eine Zeit.
VALENTIN.
Potz Blitz, da tapp' ein anderer hinein!
Da muß es ja verdammt langweilig sein![35]
FAUST.
Es ist kein Raum und doch zugleich ein Raum,
Ein Raum und doch gewissermaßen kaum.
Zu ihrer Wohnung magst ins Tiefste schürfen,
Sie ist im innersten Erdballschlund,
Den wir mit Fug symbolisch deuten dürfen
Als metaphysischen Weltenuntergrund.
VALENTIN.
Als Untergrund? Das muß ja Hefe sein!
Da haben wir – dies muß von selbst erhellen –
Die Welt uns als ein Bierfaß vorzustellen.
Wie schlagen wir den mächt'gen Spunden ein?
FAUST.
Fast lachen muß ich trotz dem tiefen Schauer;
Naiver du, wie denkst du ganz als Brauer!
Stellst dir, du unverbesserlicher Tor,
Tief mystische Dinge wie mechanisch vor!
Ein Schlüssel tut's, tief geistiges Symbol,
Der öffnet uns das grauenvolle Hohl!
Es sei! Es sei!
Ich muß es wagen,
Hinweg das Zagen!
Lieschen, den Schlüssel bring herbei!
Lieschen geht mit Zeichen großer Angst.
VALENTIN.
Zu einem Schloß von so besonderer Art
Will's wohl ein Ding mit einem krausen Bart,
Und schwer genug mag's werden, ihn zu drehn.
FAUST.
Ach, am Objekte ist nicht viel zu sehn;
Des Grauens Sitz bei solchen Geistertiefen
Liegt wesentlich und stets im Subjektiven.
LIESCHEN kommt mit einem rostigen Schlüssel.
Da komm ich mit dem Schauderinstrumente,
Mit Zittern nahm ich's in die zarten Hände.
VALENTIN.
Der ganze Bart ist ja ein rost'ger Knauf!
Das geht ja nicht, der macht das Schloß nicht auf.[36]
FAUST.
Ich soll ihn ja nicht stecken und nicht drehn,
Ein Pfiff darauf, und alles ist geschehn.
O schrecklich jetzt! Mir zuckt das Herz voll Qual!
Ich bleibe hier, ich wag's nicht noch einmal!
VALENTIN macht eine entschieden gebietende Attitüde mit dem Schlüssel.
Potz Donner, sei doch nicht so feig,
Du siehst ja aus wie Milchbrotteig!
Hättst du gelernt, dich selbst und andere zu meistern,
Erbebtest du auch nicht vor einer Schar von Geistern!
So steh doch nicht so mauderich,
Wenn du nicht pfeifst, so pfeife ich!
FAUST.
Nein! Nein!
Das darf nicht sein!
Es wäre völlig wirkungslos
Und stellt' uns schwerer Ahndung bloß,
Nur reiner Pfiff von Humanistenlippen
Führt uns hinab durch infernale Klippen;
Die Mütterwohnungöffnungsprozedur
Taugt nicht für empiristische Natur!
VALENTIN den Schlüssel reichend.
So pfeife denn, dein Pfiff mag eher gelten,
Doch meinen Stand, den laß ich mir nicht schelten.
FAUST.
Es sei! Ich wag es. Lieschen, lebe wohl!
Jetzt geht's hinunter in das grause Hohl!
LIESCHEN.
Zieh kühn hinab ins dunkle Reich der Mütter,
Bald grüß ich dich als sieggekrönten Ritter!
Du, Valentin, beschütze treu den Teuern,
Verlaß ihn nie in seinen Abenteuern,
Doch sei dabei ein bißchen minder grob,
Sonst trübest du das zugedachte Lob!
VALENTIN.
Ich bin halt, wie ich bin, ich mein es nicht so böse;
Soll der da vorwärts gehn, so braucht es eben Stöße.
Faust pfeift. Es erscheint ein Kaminfeger.
Buchempfehlung
»Es giebet viel Leute/ welche die deutsche poesie so hoch erheben/ als ob sie nach allen stücken vollkommen wäre; Hingegen hat es auch andere/ welche sie gantz erniedrigen/ und nichts geschmacktes daran finden/ als die reimen. Beyde sind von ihren vorurtheilen sehr eingenommen. Denn wie sich die ersten um nichts bekümmern/ als was auff ihrem eignen miste gewachsen: Also verachten die andern alles/ was nicht seinen ursprung aus Franckreich hat. Summa: es gehet ihnen/ wie den kleidernarren/ deren etliche alles alte/die andern alles neue für zierlich halten; ungeachtet sie selbst nicht wissen/ was in einem oder dem andern gutes stecket.« B.N.
162 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro