27. Elegie

[198] Sommer 1776.


Denkt mein Mädchen an mich? Balsamischer duftet der Garten

Nach dem Regen, und Glanz träufelt am grüneren Busch.

Gottes Wolke schaut, nach entlasteter Fülle, gegürtet

Mit dem Bogen der Huld, freundlich zurück in das Thal,[198]

Wo der gescheuchte Reigen der Kinder aus Weiden hervortanzt,

Und, das Wunder zu spähn, jauchzend den Hügel erklimmt.

Aber ich hefte den Blick auf die schäumenden Wogen der Schleuse,

Gleite sanft, wie im Traum, gegen die reißende Flut,

Und mein horchendes Ohr hört leise, wie Mädchenstimmen,

Und ein banges Ach, tief in des Stromes Geräusch.

Denkt mein Mädchen an mich, und schwebt mit dem lieben Gedanken,

In Gedüften verhüllt, etwa ihr Engel um mich?

O so beschwör' ich dich bei des Mädchens reinster Empfindung,

Die ihr mit Engelwonn' Augen und Wangen verklärt,

Ihrer heiligsten Thräne, die je in goldener Schale

Zu Jehovens Altar, freudiger Eile, du trugst:

Zeig mir die holde Gestalt der Auserwählten, die jetzo,

Fern, voll trüberes Grams, ihren Geliebten beweint!

Irrt sie im bunten Thale, von frohen Gespielen genötigt,

Stumm, den grünen Hut über die Augen gesenkt?

Pflückt ohn' Absicht Blumen, und springt itzt behende zur Blüte

Jenes Hollunders, der einst unsere Küsse verbarg;

Oder zum Quell, den in hohler Hand sie bei Mondenschimmer

Einst zu trinken mir bot? Spielet sie zögernd im Quell,

Unachtsam des Getändels um sie; und lispelt vergebens

Ihr die Freundin ins Ohr: Mädchen, du bist ja so still?

Oder sitzt sie einsam im grünen Dunkel der Laube,

Auf der Stelle, wo einst mir an dem Herzen sie lag?...

Die ihr heimlich umher von der Schöne des Mädchens flüstert,

Weht mir den Rosenbusch, freundliche Weste zurück;

Daß ich das Antlitz schaue der Herrlichen, und in der Schönheit

Strahlenmeer sich hinab stürze mein schauernder Geist!

Ach! sie traurt, die Schönste der Mädchen, und lehnet die Stirne,

Hingesenkt auf die Hand, an den gebogenen Ast!

Thränen netzen die Hand und die glühende Wange; sie seufzet,

Nennt mich bei Namen, und schwer zittert ihr Busen empor!

Selma, Selma, weine nicht so! Du weinest um mich zwar;

Aber es bricht mir das Herz, Beste, dich weinen zu sehn!

Der im edenischen Myrtengedüft einst unsere Seelen,

Ach so ähnlich! erschuf, und uns mit segnendem Hauch

Ein zur Liebe weiht', und den zärtlichsten Engeln vertraute,

Dann so wunderbar hier beide vereinigte, Gott,

Unser Vater, beschied, nicht zürnend, uns Zähren der Trennung;[199]

Bald vereiniget uns wieder ein ewiger Bund!...

Still! sie atmet leis'; auf die müdegeweinten Wimper

Gießt mein Genius ihr duftigen Schlummer herab,

Und umleuchtet ihr Haupt mit Träumen vom winkenden Brautkranz,

Und dem Reigengesang hoffender Bräute der Flur.

Atemlos horcht sie dem Lied' und (o sie fühlt, daß ich weine!)

Meinem vor Lieb' und Lust trunkenen stammelnden Laut.

Seht! sie bebt, und wie Abendrot auf träufelnden Rosen,

Schimmert ein Lächeln sanft über ihr nasses Gesicht.


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 49, Stuttgart [o.J.], S. 198-200.
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