[196] Um Mitternacht.
13. Januar 1774.
Du seraphischer Geist! Heiliger Gotteshauch!
Wird mein sterblicher Blick nimmer gewürdiget,
Deiner Herrlichkeit Abglanz,
Jene Himmelsgestalt, zu schaun?
O so wandelte Fluch, als ich geboren ward!
Nacht, so keimten in dir ländervergiftende
Schandgesäng', und ein König
Sann der Freiheit die Fessel aus!
So gab Gott mir im Zorn dieses phantastische
Herz, das geniuskühn zaubernde Träume schafft,
Dann abgöttische Thränen
Vor dem eignen Geschöpfe weint! –
Traum war, täuschender Traum, dieser erhabne Blick?
Dieses Beben der Brust? dieser edenische
Frühling lächelnder Wangen?
Ganz der himmlischen Seele Bild?
Nein! so wahr er im Sturm freudiger Schauer mich
Drauf, durch Sphärengesang, unter die Blüten riß,
Wo in goldenen Schalen
Mir Unsterblichkeit funkelte:
Diesen göttlichen Traum schuf mir ihr Genius!
Ihren ahndenden Wunsch hüllt er in Morgenglanz,
Bracht' in Schlummergewölken
Dann die heilige Bildung mir!
Uns, zur Liebe bestimmt, ach! zu der feurigsten
Reinsten Liebe bestimmt! warum, o Selma, schrieb
Dort ein schwarzes Verhängnis
Unsre Trennung mit Sternenschrift?
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Ach! ich fühl' es, sie feufzt! Eile, geflügelter!
Selma seufzet dir auch! Eile, beglückter Tag,
Der in Thränen der Liebe
Meinem zitternden Arm sie schenkt!
Flamme Gottes, du strahlst, Liebe! der Sonne gleich,
Auf des Todes Gefild Leben und Schönheit aus!
Gleich dem Liede Sionas,
Stürmst du Seelen zu Gott empor!
Oft durchbebtest du mich, Liebe! doch unerkannt,
Schien dein Odem mir jetzt Balsam der Sommernacht,
Jetzt ein Säuseln des Frühlings,
Jetzt ein Seufzen der Nachtigall!
Schon im schattigen Thal, wo wir, noch Seelen nur,
Träumten, spielten wir stets unter demselben Strauch,
Pflückten einerlei Blumen,
Horchten einerlei Harmonie.
Doch die Seraphim, einst unserer Pilgerschaft
Zu Geleitern gesellt, senkten den Psalterton
Oft zum Lispel der Wehmut,
Blickten seitwärts, und weineten.
Jetzo weinen auch wir! Dumpfere Trauer bebt
Diese Saiten herab! Denn in der Mitternacht
Leisem Hauche begegnen
Sympathetische Seufzer sich!
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